Details
- Adresse
- Creekside, London SE8 3DZ, Großbritannien
- Architektur
- Herzog & de Meuron (Jacques Herzog, Pierre de Meuron)
- Fotografie
- Margherita Spiluttini
- Funktion
- Gemischte Nutzung
- Wettbewerb
- 1997
- Planung
- 1998 - 1999
- Ausführung
- 2000 - 2003
Publikationen
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Archfoto
Genereller introtext zu Archfoto der von nextroom geschrieben wird.
Presseschau
Ein Gebäude, an dem alles tanzt
Die Architekten Herzog & de Meuron haben im heruntergekommenen Londoner Stadtteil Deptford mit dem Laban Dance Centre ein weiteres Wahrzeichen an die Themse gebaut.
Die Architekten Herzog & de Meuron haben im heruntergekommenen Londoner Stadtteil Deptford mit dem Laban Dance Centre ein weiteres Wahrzeichen an die Themse gebaut.
Bei «Universal Tyres» stapeln sich die Abfallreifen. Die Camions, die schräg gegenüber repariert werden, haben ihre guten Tage längst hinter sich. Zwischen beiden Betrieben zieht ein Nebenarm der Themse, der Deptford Creek, eine ölige Schleife. Bei Ebbe dümpeln Bootswracks auf dem stinkenden Schlick. Deptford ist altes Gewerbegebiet. Hier, im Westen von Greenwich, liess König Heinrich VIII. 1513 die ersten königlichen Docks errichten. Heute ist von der einstigen Blüte kaum noch etwas zu spüren. Die Arbeitslosigkeit ist doppelt so hoch wie im Londoner Durchschnitt, die Einkommen liegen, landesweit gesehen, in den unteren 10 Prozent. 44 Prozent der Kinder leben von Schulmahlzeiten. Ein Grossteil der Bevölkerung sind Flüchtlinge, 31 Prozent gehören ethnischen Minderheiten an.
Ausgerechnet hier fand die Laban Dance Society, Europas führendes Institut für zeitgenössischen Tanz, eine ehemalige Müllhalde als Bauplatz und schrieb einen Wettbewerb für den Neubau eines Tanzzentrums aus, den Herzog & de Meuron 1997 für sich entschieden. Zur Verfügung standen 50 Millionen Franken, von denen knapp zwei Drittel aus der nationalen Lotterie kamen. Damit galt es, ein extrem grosses Raumprogramm aus öffentlichen und internen Funktionen zu bewältigen; war das neue Zentrum doch von Anfang an als Impulsgeber für die Entwicklung des Stadtteils gedacht, wie die Tate Modern, die die Architekten vor drei Jahren weiter themseaufwärts fertig gestellt haben.
«Als wir uns das Gebiet anschauten, wussten wir zuerst nicht, wie wir reagieren sollten», erzählt Harry Gugger, der als Partner im Büro Herzog & de Meuron die Planung vor Ort betreut hat. Das neue Gebäude wie einen Solitär gegenüber der Umgebung abzuschliessen, wäre eine falsche Geste gewesen, andererseits fand sich in der unmittelbaren Nachbarschaft nichts, woran sich anknüpfen liess. Also entschieden sich die Basler für eine subtile Zwischenlage.
Das neue Zentrum liegt als hallenartiges Volumen am Fluss wie viele alte Lagerhäuser auch. Der Kunststoff Polykarbonat, mit dem es umhüllt ist, ist ein industrieller Werkstoff, den die Architekten vor einigen Jahren auch für eine Werkhalle der Bonbon-Firma Ricola im elsässischen Mülhausen eingesetzt haben. Er schimmert jedoch wie eine grosse Lichtfläche zwischen den dunklen Backstein- und Wellblechbauten der Umgebung. Vertikale Streifen in Pink, Hellgrün und Türkisblau geben der Aussenhaut einen textilen Touch, der sich aus der Nähe noch verstärkt, wenn man sieht, dass die Kunststoffverkleidung vom Boden abgehoben ist wie der Saum eines kostbaren Kleides. Die oft geschosshohen Fenster glupschen wie grosse Augen nach aussen.
Italienisches Flair
Das Gebäude selbst fügt sich in seinem Grundriss zwar in den Perimeter zwischen Fluss und Strasse, es verlässt jedoch die Rechteckform einer Halle und öffnet sich zum einzigen architektonisch nennenswerten Bauwerk in der Umgebung mit einer grossen einladenden Geste: Die Eingangsfront liegt der 300 Meter entfernten, filigranen Barockkirche St. Paul's direkt gegenüber und schwingt sich nach innen, so dass ein grosser städtischer Raum entsteht, der unmittelbar vor dem Gebäude als Freilichttheater ausgestaltet werden soll. Dafür soll der Erdaushub verwendet werden, dessen Entsorgung zu viel gekostet hätte.
Den unmittelbaren Anstoss für den produktiven Umgang mit der Umgebung gab diesmal das Laban Centre selbst. Als das Institut, das der Papst des freien Tanzes, Rudolf Laban, nach einer Odyssee zwischen Monte Verità und Berlin 1948 als «Art of the Movement Studio» in Manchester gegründet hatte, zu Beginn der siebziger Jahre nach London zog, besetzte man drei Kilometer vom jetzigen Ort entfernt eine ehemalige Kirche, baute bei weiterem Platzbedarf jeweils an und schuf so ein dichtes Netz aus informellen Räumen. «Bei unserem ersten Besuch sassen wir in der Cafeteria, da bestand eine Wand aus der Kirchenmauer, daran lehnten alte Grabsteine», erinnert sich Harry Gugger. Das ganze Zentrum lebte von seinem dörflichen Charakter.
Diese kleinstädtische Vielfalt prägt nun auch das neue Gebäude. Wer es betritt, kann einen Weg nach unten gehen, der zur Cafeteria führt, die auch der Öffentlichkeit zugänglich ist, oder eine breite Rampe hinaufsteigen, die an eine kleine Piazza erinnert, von der zwei Wege seitlich zu Lichthöfen abfallen. Ein kleiner Teich spiegelt Licht nach innen. Sofort fühlt man sich von der dichten Atmosphäre italienischer Bergstädte umfangen. Die grösste Vielfalt hat auf dem kleinsten Raum Platz. Zwei teerschwarz gestrichene Wendeltreppen aus rohem Beton drehen sich obendrein wie Bohrer durch die Decke, als wären sie Skulpturen im öffentlichen Raum, die denjenigen ähneln, welche Jacques Herzog einmal für eine Kunstausstellung entworfen hat.
Im Zentrum sitzt das Auditorium mit 300 Sitzen und der grössten Tanzbühne des Landes. Der ganz mit schwarzer Feuerschutzfarbe gestrichenen Wandverkleidung aus rohen Holzbrettern entspricht aussen eine helle Wandbemalung Michael Craig-Martins, für die er Alltagsgegenstände in schwarzen Linien und Accessoires in bunten Farben über eine weisse Fläche tanzen lässt, als wäre der Theaterraum mit einem gewendeten Mantel umhüllt, der sein Futter nach aussen kehrt.
Intensive Farben
Um das Auditorium lagern sich dreizehn Tanzstudios, die, weil jenes leicht aus der Gebäudemitte gerückt ist, alle unterschiedliche Grundrisse und Raumhöhen aufweisen und so Orientierung gewähren und der Individualität des Tanzes Rechnung tragen. Spiegel- und Glaszonen bilden jeweils einen Fries, über dem sich die offene Betonstruktur zum Bühnenturm hinspannt. Ein raumhohes Fenster vor einer Ruhezone mit Klavier und Sitzbank öffnet den Blick ins Freie.
Sind die Studios ganz in den Farben der Baumaterialien gehalten, zu denen die Menschen in ihren Trainingskleidern wie Farbtupfer kontrastieren, so taucht das Farbkonzept Michael Craig- Martins die Erschliessungsflure in grelles Magenta, Türkis und Grün. «Ich suche jeweils den extremsten Farbton, um einem Ort ein ganz bestimmtes Gefühl zu geben», sagt der Künstler und verweist auf die Aggressivität des Grüns und die Zaghaftigkeit des Pinks. Hier pulsiert die Energie der Tänzerinnen und Tänzer noch einmal in der Farbe.
Überhaupt tanzt alles an diesem Gebäude. Die Lampen der Cafeteria strecken ihre Tentakel aus. Ein Lichtschacht bricht aus der Decke nach unten durch, als wollte er dem Treiben auf der Piazza zuschauen. Eine Gebäudeecke spreizt sich flusswärts zur messerscharfen Kante, als grätsche das Dance Centre zum Spagat. Und nach Einbruch der Dunkelheit sehen Passanten hinter den Fenstern die Tänzerinnen und Tänzer in träumerischer Bewegung. Dann verzaubert das Laban wie ein riesiger Lampion die Nacht über Deptford.
Dem Tanz ein Regenbogen-Haus
Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron
Das Laban Centre in London von Herzog & de Meuron
Arm und Reich - der Gegensatz ist allgegenwärtig in London. Doch so eklatant zeigt sich der Wechsel selten wie auf dem Spaziergang der Themse entlang nach Greenwich: Essen mit Stil in den Conran-Tempeln von Butler's Wharf, Wohnen mit Gewürzgeruch in ehemaligen Lagerhäusern, Glaspaläste, Blocks, den Schiffen nachempfunden, die hier nicht mehr fahren, schmucke Reihenhäuschen - der Reichtum will nimmermehr aufhören. Plötzlich tauchen drei Hochhäuser auf, schwarz das eine, weiss die beiden andern, düster alle drei. Deptford, South East London. Hier ist die Arbeitslosigkeit mehr als doppelt so hoch wie im Londoner Mittel, und die Durchschnittseinkommen sind tiefer als fast überall sonst im Vereinigten Königreich. Nahezu die Hälfte der Kinder erhalten Schulmahlzeiten, über ein Drittel der Haushalte werden von allein erziehenden Eltern organisiert. Das Viertel hat einen hohen Flüchtlingsanteil, ein Drittel der Einwohner gehört ethnischen Minoritäten an. Hierhin, in eine Gegend, welche zu den ärmsten Grossbritanniens gehört, haben Herzog & de Meuron ihr zweites Londoner Werk gesetzt: das Laban Dance Centre. Der 22 Millionen Pfund teure Neubau, der heute Mittwoch offiziell eröffnet wird, umfasst eine Ausbildungsstätte für Tänzer, Choreographen, Tanzlehrer und Community-Arbeiter sowie ein Theater mit 300 Plätzen.
Leuchtende Architektur
Diese Laterna magica ist ein weiteres Gebäude der Basler Architekten, das durch Einfachheit strahlt - leuchtend in der Nacht, reflektierend bei Tage. Geschaffen wurde es in Zusammenarbeit mit dem Künstler Michael Craig-Martin, der mit Herzog & de Meuron bereits an der Leucht-Box der Tate Modern wirkte. Nun wurden die gerundeten Fassaden mit halbtransparentem Polykarbonat - farblos, grün, türkis und magentarot - eingekleidet, was das Haus leicht und transluzid erscheinen lässt. Wie die Tate Modern steht auch Laban in Kommunikation mit einem Barockbau, auch hier St. Paul's genannt, wenngleich viel kleiner als Wrens Meisterwerk. Während die Tate Modern durch die neue Fussgängerbrücke mit der mächtigen St. Paul's Cathedral in eine Achse gebracht wird, blickt man vom Eingangstor des Laban in gerader Linie auf St. Paul's Deptford und umgekehrt. Dazwischen liegt eine stark befahrene Strasse, die den schnurgeraden Zugang fast so schwierig macht wie die Themse und recht eigentlich nach einer Fussgängerpassage ruft.
Nähert man sich dem im Volksmund bereits «Rainbow Building» genannten Bau aber von der Themse her, ist er leicht zu übersehen. Aus dem Schmutz steigt er empor, hinter Lagerschuppen, Reifendepots, Schutt und Stacheldraht. Ein Kubus, lang und flach, der die Stimmungen der Umgebung aufnimmt, den Himmel spiegelt und die Erde ein bisschen versöhnlicher stimmt. Der Geruch ist nicht zu ignorieren, die Trostlosigkeit nicht zu übersehen: Der Deptford Creek liegt stinkend, dreckig, und triebe die Flut einen toten Hund an den vor sich hin rostenden Kähnen vorbei - man würde ihn nicht zur Kenntnis nehmen. Noch sind hier die Erinnerungen an Schutt und Asche wach, in welche der Osten Londons unter dem Bombenhagel des Zweiten Weltkriegs versank. Aufgeräumt wurde lange nicht, weshalb der auf der Insel seltene Gartenrotschwanz hier nistet - er soll sich in Bombenlandschaften heimisch fühlen. Herzog & de Meuron haben das Dach ihres Gebäudes mit der Erde des Creek bedeckt, auf dass der Vogel sich weiterhin wohl fühle, und ihren Bau unterteilt mit kleinen Innenhöfen, in denen Mooslandschaften auf Vulkangestein wachsen sollen, als Ruhepole in diesem quirligen Tanzhaus.
Vom Monte Verità an die Themse
Aussenleben - Innenleben: Die Laban-Schule hat sich schon immer der Gemeinschaft verpflichtet gefühlt. Jeder Mensch ist ein Tänzer - davon war der ungarische Tänzer, Choreograph, Pädagoge und Theoretiker des modernen Tanzes, Rudolf von Laban (1879-1958), überzeugt. Auf dem Monte Verità wurde jener Tanz, der aus der Körpermitte heraus in die Extremitäten strömt und Körper, Geist und Seele vereint, erprobt. In riesigen Bewegungschören wurde alsdann der tanzende Mensch gefeiert, auch an der Eröffnungsfeier der Berliner Olympischen Spiele von 1936, bevor Laban von den Nazis zum Staatsfeind deklariert wurde und nach England auswanderte. Hier gründete er in den späten vierziger Jahren das Art of Movement Studio in Manchester, das später nach Addlestone in Surrey verlegt wurde und 1974 unter der Leitung von Marion North und dem Namen Laban Centre for Movement and Dance nach New Cross London. 350 Studierende aus 35 Ländern erwerben sich hier derzeit einen BA in Tanztheater, einen MA in Tanz-Performance, Choreographie, Szenographie oder einen MSc in Dance Science, einer neuen Ausbildung, die sich stärker mit Anatomie und Physiologie des Körpers befasst. Daneben werden Pilates-Lehrer ausgebildet, insbesondere auch Community-Dance-Pädagogen, legt man doch immer noch viel Gewicht auf die Arbeit mit Amateuren. Deshalb versteht sich Laban auch als Sammelbecken für die Bewegungen im Quartier und bietet Tanzkurse für Kinder und Erwachsene an.
Herzog & de Meuron haben nicht nur Ziel und Zweck dieser Institution, sondern auch ihre Geisteshaltung in die Architektur aufgenommen. Das Innere des Tanzhauses folgt klar der Funktion: 13 Studios, ein Theater mit tiefer Bühne und guter Aufsicht, viel Platz für die umfangreiche Bibliothek, Physiotherapieräume, Pilates-Studio, Cafeteria, verbunden durch Gänge, Strassen genannt, welche die Farben der Fassade tragen: Türkis, Grün und Pink. Diese Räume treten mit der Aussenwelt in ein Zwiegespräch, wechselhaft, irisierend, da - wie dies der Tanzkunst immanent ist - ganz und gar dem Auge verpflichtet, dem, je nach Lichtverhältnissen und Standort, mal mehr, mal weniger von dieser Kunst preisgegeben wird. Verspiegelte Fenster lenken den Blick. Wer bei Tag ums Haus geht, mag in den Fenstern den Turm von St. Paul's oder die Wolken, den Creek und die ganze Trostlosigkeit sehen, und irgendwo wird darin eine Conga aufscheinen, ein Tänzerbein sich strecken. Des Nachts aber werden die Fenster zu einzelnen Steinen des Tanzhaus- Puzzles: Tänzer an der Stange, gebeugte Rücken am Computer, die Nähmaschinen der Schneiderei, die Anlagen der Technik, während im Übrigen die Körper zu Silhouetten verschwimmen hinter den schillernden Kunststoffscheiben. Es ist dies ein leuchtendes Zeichen an die Umgebung: Seht her, was wir machen! Gleichzeitig schützt die Fassade die Privatsphäre der Tanzenden.
Nähert man sich dem Bau von St. Paul's Deptford her und somit wohl auf dem rechten Weg, wird der Turm, der barocke, zusehends verschwinden auf der Fassade. Der Bau präsentiert sich als schlichte, homogene Form, aufgelöst nur durch die sich ablösenden Bilder in den Fenstern. Im Innern aber darf auch ein bisschen Spiel und Chaos sein. Zwei an eine Muschel erinnernde massive schwarze Wendeltreppen verbinden die beiden Stockwerke, die eine trennt gleichzeitig die beiden Strassen, die vom Eingang herführen, nach unten zu Pilates, nach oben ins Theater. Über das schwarze Material zieht ein hölzerner Handlauf, gebogen, organisch anmutend und ein merkwürdiges Zeichen in dieser streng formalen Landschaft. Und doch der Tradition, die hier gepflegt wird, wahlverwandt.
Sie sollen damals nackt getanzt haben auf dem Monte Verità, den freien Tanz gepflegt, was immer das heissen mag. Indes war Rudolf von Laban ein sehr formbewusster Mensch, der die Tanzkunst zu systematisieren und sie in eine Schrift zu binden trachtete, die Labanotation. Seine Theorien werden hier selbstredend gelehrt, und selbstredend wird hier Technik trainiert. Schwerpunkt bildet indes der kreative Akt, und es ist kaum Zufall, dass in der Londoner Tanzszene viele Choreographen vom Laban Centre kommen. Nun haben Herzog & de Meuron der Kreativität ein Haus geschaffen, dem Chaos Deptford eine klare Form gegenübergestellt, in der Labans Vision vom Tanz als lebendiger Architektonik sich entfalten kann.