Pläne

Details

Adresse
Judenplatz 1, 1010 Wien, Österreich
Architektur
Rachel Whiteread
Bauherrschaft
Stadt Wien, Historisches Museum der Stadt Wien
Tragwerksplanung
Karlheinz Wagner
Weitere Konsulent:innen
Konsulenten Mahnmal: Jabornegg & Pálffy
Konsulenten für die Oberflächengestaltung des Platzes: Jabornegg & Pálffy
Mitarbeiter Büro Jabornegg & Pálffy: Dean Stubnja, Nicole David, Martin Gaudenzi
Maßnahme
Neubau
Funktion
Denkmäler
Planung
1996
Ausführung
1998 - 2000

Presseschau

27. Oktober 2000Markus Mittringer
Der Standard

Geschichte, Erfahrung und Konserve

(SUBTITLE) Enthüllung des Mahnmals und Eröffnung des Museums am Wiener Judenplatz

Während Rachel Whitereads Schoah-Mahnmal und Jabornegg & Pálffys Architektur im Misrachi-Haus am Judenplatz auf die produktive Kraft der Vorstellung setzen, lässt die Schau im Museum der Imagination keinen Platz.

Während Rachel Whitereads Schoah-Mahnmal und Jabornegg & Pálffys Architektur im Misrachi-Haus am Judenplatz auf die produktive Kraft der Vorstellung setzen, lässt die Schau im Museum der Imagination keinen Platz.

Wien - Rachel Whitereads Mahnmal am Wiener Judenplatz schweigt beredt. Ihre hermetisch verschlossene Bibliothek definiert ein Vakuum, eine ewige Leere inmitten der Stadt, gewaltsam entstanden durch die Vernichtung von mehr als 65.000 österreichischen Juden. Mit der systematischen Ermordung der Menschen wurde versucht, ihre Erinnerungen, ihre Kultur, alle Hinweise auf die Umstände ihres Lebens und religiösen Handelns zu tilgen.

Bücher wurden verbrannt, weil sie das Gedächtnis repräsentieren, weil die Schrift, weil das Wort im jüdischen Leben vor jeder Darstellung Identität stiftet und den Alltag bestimmt. All das vermittelt Whitereads Mahnmal ganz ohne aufdringliche Didaktik.

Die Bibliothek, die nie wieder zu betreten sein wird, die anonymen Bücher, die nie wieder aufzuschlagen sein werden, und die Nennung der Namen jener Orte, an denen die Auslöschung industriell betrieben wurde, genügen ihr. Das Wort „Dachau“ visualisiert sich selbst. Das Material, Beton in RAL-9002-Hellgrau, tut ein Übriges, schmerzlich in das hübsch verputzte Ensemble des Platzes zu schneiden. Hier steht Geschichte ohne Fassade, hier steht kalter Beton, nicht edler Marmor.

Rachel Whiteread hat einen Ort der Erinnerung definiert, weil sie der Erinnerung Platz gegeben hat. Weil sie dem Gedenken Raum gibt, anstatt es bevormundend zu leiten, weil ihr Mahnmal dem individuellen Schicksal genauso entspricht wie dem des ganzen Volkes. Sie ist bei der Herausforderung und Verantwortung, ein Schoah-Mahnmal zu schaffen, im Rahmen ihres individuellen künstlerischen Vokabulars geblieben. Und hat damit ein allgemein gültiges und verständliches Zeichen gesetzt.

Dem entspricht das gestalterische Konzept der Architekten András Pálffy und Christian Jabornegg für das Misrachi-Haus und die Einbindung der archäologischen Grabungsfunde in das Museum. Jabornegg und Pálffy haben das Haus von allen über die Jahrhunderte gewucherten Ein-und Umbauten befreit und klar strukturierte Raumfolgen ohne jeglichen romantisierenden Zierrat angelegt. Und sie haben die freigelegten Reste der 1421 zerstörten Synagoge gemäß ihrer symbolischen Bedeutung in eine mattschwarze Stahlvorsatzschale gehüllt, die einen imaginären Raum schafft, der ermöglicht, das Versammlungshaus gedanklich wieder aufzubauen.

Diese seltene konzeptuelle Übereinstimmung von Künstler und Architekt konterkariert die „Visualisierung der bilderlosen Vergangenheit“ in den Schauräumen krass. Hier wird jeder Ansatz persönlicher Vorstellungskraft digital unterbunden. Bis ins kleinste Detail durfte die Multimedia-Firma Nonfrontiere hier ihr Bild der mittelalterlichen Stadt und des jüdischen Lebens rekonstruieren. Stolz verweist man auf jene Computertechnik, die schon den Spielfilmen Matrix und Lost in Space ihre actionreichen Effekte bescherte.

1050 Oberflächen mit durchschnittlich 50 zu definierenden Parametern werden da als Beleg angeführt, ein authentisches Bild zu liefern. In spätestens zwei Jahren sieht der ganze Zauber vermutlich so alt aus wie heute ein Videogame auf einer C-64-Konsole und muss entsorgt werden. Viel früher schon wird man sich an der Ästhetik satt gesehen haben, die „keinesfalls in die banale Verspieltheit einer Disney-Erlebniswelt abrutschen will“ und es doch tut.

Wenn da ein Sonnenstrahl durch den dramatisch wolkenverhangenen Himmel über Wien bricht und eine dunkle Gasse bühnenreif erhellt, dann sieht man den Rabbi, der dort wohnen soll, zwangsweise singend und tanzend im Licht der Musicalbühne. Ansonsten bleibt kein Raum für selbsttätiges Erfahren. Bevor noch der eigene Imaginationsapparat bedient werden muss, liefert die Simulation Antworten auf nie gestellte Fragen. Interaktion ist reduziert auf eine Handbewegung, eine Kultur des Wortes und Gespräches auf eine digitale Scheinwelt

25. Oktober 2000Ute Woltron
Der Standard

Architektur der Ruhe und Besinnlichkeit

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu...

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu...

Standard: Welches Anliegen hatten Sie mit Ihrer Architektur?

András Pálffy: Wir wollten eine klare Trennung zwischen Mahnmal und Ausgrabung, und dazu die Geschichte dieses Hauses freilegen. Der Gebäudezustand war merkwürdig, mit dem Ablösen des Putzes hat sich die Geschichte offenbart. Auf mittelalterliche Struktur folgt barocke, das Haus ist ein Sammelsurium an baulichen Eingriffen.

STANDARD: Sie haben das Umfeld miteinbezogen.

Christian Jabornegg: Da das Mahnmal ein sehr stilles ist, haben wir auch die Platzgestaltung still gehalten. Alle Zuführungsstraßen wurden beruhigte Fußgängerzonen und stimmen mit möglichst wenig gestalterischen Mitteln auf das ein, was den Besucher im Museum erwartet, nämlich Ruhe und Besinnlichkeit.

STANDARD: Wie erschließt sich das Museum?

Pálffy: Über das Haus Judenplatz 8 erreicht man die Ausstellungsräume im Untergeschoß, die auf den archäologischen Schauraum vorbereiten. Er ist über einen unterirdischen Gang zu erreichen. Das verschafft dem Besucher Überblick über die Ausgrabung. Decken und Wände sind mit schwarzem Blech verkleidet, der Raum tritt in den Hintergrund, die ausgeleuchteten Ausgrabungen sind das Zentrale. Das Spiel mit Licht und Dunkel ergibt einen Grad der Abstraktion, der hilfreich ist für das Verständnis der Funde.

STANDARD: Welche Materialien wurden verwendet?

Jabornegg: Wir haben überall nur die notwendigsten Mittel eingesetzt, damit die Struktur lesbar bleibt. Neue statische Eingriffe sind in Sichtbeton gemacht, ein einheitlicher Monolithestrich ist der Boden, nur die Treppen sind aus Kalksandstein.

25. Oktober 2000Doron Rabiovici
TagesAnzeiger

Das Mahnmal am Wiener Judenplatz

In Wien wird heute das Holocaust-Denkmal der bri- tischen Künstlerin Rachel Whiteread enthüllt. In unserem Essay beleuchtet ein österreichischer Schriftsteller und Historiker die kulturelle Bedeutung des Kunstwerks.

In Wien wird heute das Holocaust-Denkmal der bri- tischen Künstlerin Rachel Whiteread enthüllt. In unserem Essay beleuchtet ein österreichischer Schriftsteller und Historiker die kulturelle Bedeutung des Kunstwerks.

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25. Oktober 2000ORF.at

In Beton gegossene Mahnung

Nach fast sechsjähriger Vorbereitungs-, Diskussions- und Bauphase ist es soweit: Wien hat eine Gedenkstätte für die von den Nazis ermordeten österreichischen Juden.

Nach fast sechsjähriger Vorbereitungs-, Diskussions- und Bauphase ist es soweit: Wien hat eine Gedenkstätte für die von den Nazis ermordeten österreichischen Juden.

Eine von mahnenden Worten gekennzeichnete Eröffnungsfeier fand heute Mittag am Wiener Judenplatz statt. Spitzen der Politik und der religiösen Gemeinschaften, angeführt von Bundespräsident Klestil, verwiesen auf die Verbrechen der Vergangenheit und die Hoffnung auf eine Zukunft ohne Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.

Für Wiens Bürgermeister Häupl sind: „700 Jahre Antisemitismus in dieser Stadt genug“ und Kulturstadtrat Marboe forderte dazu auf, in dieser Feierstunde auf Applaus zu verzichten und stattdessen ein beredtes Zeichen des Gedenkens zu setzen für eine Zukunft ohne Vorurteile und Diskriminierung. Für Simon Wiesenthal, den Initiator des von der britischen Künstlerin Rachel Whiteread ausgeführten Mahnmals, ist dieser Tag einer der wichtigsten in seinem jahrzehntelangen Kampf gegen das Vergessen.


Entstehung

Als Simon Wiesenthal 1994 in einem Brief an den Wiener Bürgermeister Michael Häupl die Errichtung eines Mahnmals zum Gedenken an 65.000 von den Nazis ermordeten österreichischen Juden anregte, schaltete die Kulturpolitik schnell: der Judenplatz wurde als Standort fixiert, die Britin Rachel Whiteread ging mit ihrem Projekt einstimmig als Siegerin eines Wettbewerbs hervor. Sechs Jahre, eine Anrainer-Protestbewegung und aufreibende Standortdiskussionen innerhalb der jüdischen Gemeinde später, ist es nun so weit: Am Tag vor dem Nationalfeiertag wird jetzt Whitereads Betonkubus - er stellt eine nach außen gekehrte Bibliothek dar - feierlich enthüllt.

Das Mahnmal ist absoluter Blickfang auf dem Platz in der Innenstadt. Die Stahlbetonkonstruktion - mit einer Grundfläche von zehn mal sieben Metern und eine Höhe von 3,8 Metern - ist von Bodenfriesen umgeben, auf denen die Namen jener Orte fest gehalten sind, an denen österreichische Juden während der NS-Zeit zu Tode kamen.


Misrachi-Haus

An das Mahnmal angegliedert ist ein multimediales Museum im benachbarten Misrachi-Haus, das äußerst baufällig war und von Grund auf restauriert werden musste. In einem EDV-gestützten Holocaust-Archiv lassen sich Namen und Daten von 65.000 österreichischen Juden, die Opfer des Holocausts wurden, mit multimedialen Mitteln recherchieren. Gestaltet wurde das Archiv vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands. Dokumentiert werden auch die Umstände, die zu ihrer Verfolgung und Ermordung geführt haben.

Weiter führt eine digitale Schau ins alte jüdische Wien. Über einen unterirdischen Gang gelangt man dann zu den Ausgrabungen unter dem Judenplatz, wo die Reste der ältesten Wiener Synagoge aus dem Mittelalter freigelegt wurden - auch dies hatte zur Verzögerung des Projekts geführt, nachdem man die Synagoge erst im Laufe der Mahnmal-Arbeiten entdeckt hatte.


Kosten

Von der Stadt Wien wurde für das Projekt ein Gesamtbudget von 160 Millionen Schilling (11,63 Mill. Euro) zur Verfügung gestellt. Rund 15 Millionen Schilling kostete die Platzgestaltung, 8 Millionen die Errichtung des Mahnmals durch Rachel Whiteread, etwa 40 Millionen Schilling die baulichen Maßnahmen am Misrachi-Haus. Der archäologische Schauraum und der museale Bereich kamen auf knapp 74 Millionen Schilling Die restlichen Geldmittel (23 Millionen Schilling) sind zur Abdeckung der bis zum Baubeginn angefallenen Kosten erforderlich gewesen.


[Projekt Judenplatz Wien von Simon Wiesenthal (Hg.):
„Projekt Judenplatz Wien“, Zsolnay Verlag, ISBN 3-552-04982-7.
]

[Das jüdische Wien von János Kalmár und Alfred Stalzer
Gebundene Ausgabe (2000), Verlag Pichler; ISBN 3-850-58182-9.]

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