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06. März 2010Markus Mittringer
Der Standard

Raimund Abraham 1933-2010

Architekt Raimund Abraham, ein Befürworter des Einfachen und Sinnfälligen in der Baukunst, wirkte als Künstler, Anreger und Lehrer. Er ist 76-jährig einem Verkehrsunfall in Los Angeles zum Opfer gefallen.

Architekt Raimund Abraham, ein Befürworter des Einfachen und Sinnfälligen in der Baukunst, wirkte als Künstler, Anreger und Lehrer. Er ist 76-jährig einem Verkehrsunfall in Los Angeles zum Opfer gefallen.

Vergangenen Mittwochabend hielt Raimund Abraham am Southern California Institute of Architecture seinen letzten Vortrag: Die Verklärung der Stars unter den Architekten war einer der zentralen Punkte, die Abraham, der die Komplexität des Einfachen bedingungslos gegenüber dem Spektakulären, dem technisch gerade noch Machbaren verteidigte, dabei ein letztes Mal scharf kritisiert hat.

Ein letztes Abendessen mit Freunden und Wegbegleitern wie Eric Owen Moss und Peter Noever später war Abraham tot, mit einem Bus in Downtown L.A. kollidiert, noch an Ort und Stelle seinen Verletzungen erlegen. Raimund Abraham hat - prototypisch für sein Leben - nicht die vorgeschriebene Fahrtrichtung eingeschlagen.

Der 1933 in Lienz in Osttirol geborene Architekt war nicht im Ruhestand, hat nicht daran gedacht, das eigene Haus, an dem er seit Jahren in Mexiko baute, als Alterssitz zu nutzen.

Er hat dort umgesetzt, was seine Sache, seine Haltung war: kompromissloses Bauen, elementare Architektur, schlichte Häuser mit einer sinnstiftenden Verschränkung von internen und externen Blicken, Häuser, die skulptural erscheinen mögen, im Kern aber der Funktion verpflichtet sind - Orte, die Intimität und Öffentlichkeit versöhnen.

Verbindliche Botschaft

„Ich werde“, sagt Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, „die Botschaft von Raimund Abraham niemals vergessen: ,Jeder Bau verletzt die Erde. Jeder Architekt hat deshalb die Verantwortung, dass diese aufgeladene Schuld der Verletzung der gegebenen Erde nur durch eine kulturelle und künstlerische Verbesserung versöhnt werden kann.'“

In Mexiko und in New York, der Stadt, in der er seit 1971 lebte, hat er weitergeplant, gezeichnet, gedacht, seine Vorlesungen (an der Cooper Union und am Pratt Institute in New York) ausgearbeitet. In Vorbereitung war etwa ein Musikerhaus auf dem ehemaligen Militärgelände bei Neuss in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Projekts „Museumsinsel Hombroich“.

Als Raimund Abrahams Hauptwerk gilt das Austrian Cultural Forum in New York, das, so Dietmar Steiner, „nur unter schwierigsten Rahmenbedingungen verwirklicht werden konnte, aber heute als Manifest und Landmark zeitgenössischer Architektur in die globale Architekturgeschichte eingeschrieben ist“. Das Magazin Wallpaper hat Abrahams Bau, der auf nur sieben Metern Breite und - für New York - mickrigen 24 Etagen den großen Bürotürmen locker Paroli bietet, unter die fünf wichtigsten Gebäude New Yorks gereiht.

Protest gegen FP-Beteiligung

Zwei Jahre vor der Eröffnung des Hauses legte Abraham aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ seinen österreichischen Pass nieder. 2002 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Österreichs aktuelle Kulturministerin Claudia Schmied würdigte Abraham in einer ersten Reaktion kenntnisreich: „Diese Qualität betraf nicht nur sein architektonisches Werk, sondern auch sein öffentliches Wirken. Er ging keine Kompromisse ein, da er bedingungslos an seinen Prinzipien festhielt.“ Und diese Prinzipien vor allem auch weitergab.

Elementarteile

Abraham, der wenig gebaut hat - einige Wohn- und Geschäftshäuser in den USA, die Hypo-Bank-Filiale in seiner Heimatstadt Lienz - war ein ungemein bedeutender und einflussreicher Lehrer; hierzulande leider nur im Rahmen von Gastvorträgen bei Kollegen.

"Raimund Abraham hat der Architektur unserer Zeit von seinen ersten Recherchen der bäuerlichen „elementaren Architektur“ des Alpenraums bis zu seinen großartigen literarisch-poetischen Zeichnungen und den wenigen ihm vergönnten Bauten (Anm: bei den internationalen Wettbewerben zum Centre Pompidou und der Bastille-Oper in Paris wurde er jeweils auf den zweiten Rang gereiht) eine neue Begründung ermöglicht", sagt Dietmar Steiner stellvertretend für viele, denen Abraham weit mehr war, denn der „Schwierige“ mit dem Kulturinstitut.

Der Standard, Sa., 2010.03.06



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Abraham Raimund

06. Dezember 2008Markus Mittringer
Der Standard

Edle Festung für die Kunst im Golf

Nach langer Architekten- und Standortsuche wurde es nun eröffnet: Ieoh Ming Peis Museum of Islamic Art in Doha. Ein Signal zur Positionierung Katars als Kultur- und Bildungszentrum am Persischen Golf

Nach langer Architekten- und Standortsuche wurde es nun eröffnet: Ieoh Ming Peis Museum of Islamic Art in Doha. Ein Signal zur Positionierung Katars als Kultur- und Bildungszentrum am Persischen Golf

Der beigefarbene Magny- und Charmesson-Kalkstein kommt aus Frankreich, der edle graue Jet-Mist-Granit aus den USA, der rostfreie Edelstahl aus Deutschland; für Standort und Hülle hat der aus China stammende Ieoh Ming Pei gesorgt; die Innenausstattung der Schauräume hat das Pariser Büro von Jean-Michel Wilmotte unter anderem mit brasilianischem Perlholz (Louro Faia) verkleidet. (Woher das die Nahsicht doch etwas irritierende Silikon in den Fugen der steinernen Fassadenverkleidung kommt, ist nicht bekannt.)

Zum Direktor wurde Oliver Watson ernannt, ehedem Chefkurator der Middle Eastern Collections am Londoner Victoria & Albert Museum. Der Auftraggeber ist der Emir von Katar, seine Hoheit Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani. Dessen Tochter, ihre Exzellenz Sheikha Al-Mayassa Bint Hamad Bin Khalifa Al-Thani steht dem Board of Trustees vor. Beide stammen ebenso wie die spezielle, dem Klima trotzende Betonmischung aus Katar.

Alles zusammen ergibt das eben eröffnete Museum of Islamic Art in Doha, ein spektakuläres Haus auf einer künstlichen, etwa 60 Meter dem Festland vorgelagerten Insel im Golf.

I. M. Pei bestand auf dieser Insel, einem Bauplatz, von dem er sicher sein konnte, dass kein noch so himmelstrebender Bauboom sein Haus je in den Schatten stellen würde. Souverän ruht seine etwa 50 Meter hohe Burg auf ihren 35.000 Quadratmetern Grundfläche in der Bucht, unberührt von Jean Nouvels Büroturm in der Skyline Dohas gegenüber an der Nordseite, unberührbar auch von allen Bauten, die da, wie etwa ein geplantes Fotomuseum von Santiago Calatrava oder eine riesige Struktur Arata Isozakis, noch kommen mögen.

Solitär im Meer

I. M. Pei hat einen Solitär ins Meer gesetzt, seine Essenz islamischer Architektur in zeitgemäßer Interpretation. Der Pritzger-PrizeTräger von 1983 und Architekt des Grand Louvre (der „Pyramide“) war nicht die erste Wahl, ein Symbol für Katars Positionierung als Kultur- und Bildungszentrum in der Region zu errichten. Ein Wettbewerb hatte Jahre zuvor kein befriedigendes Resultat gebracht. Schließlich wurde Pei direkt (er nimmt seit Jahrzehnten an keinen Wettbewerben mehr teil) quasi aus der Pension geholt, um noch einmal „Wesentliches“ zu errichten.

Und der machte die Insel als Bauplatz zur Bedingung - und ging auf Reisen; besuchte die große Moschee von Córdoba in Spanien, die Mogul-Residenz Fatehpur Sikri in Indien, die Omayyaden-Moschee in Damaskus, die Grenzfestungen von Monastir und Souuse. Um schließlich bei einem Brunnen für rituelle Waschungen aus dem 13. Jahrhundert innezuhalten: Der Sabil der Ibn-Tulun-Moschee von Kairo hat ihm letztlich „die streng minimalistische Architektur aufgezeigt, die erst durch die Sonne, durch das Spiel von Schatten und Farbschattierungen zum Leben erweckt wird“, war „Vorbild“ für sein annähernd fensterloses Zentralgebäude, den „Ausdruck einer geometrischen Sequenz“. Durch einen Arkadengang und ein wasserbespieltes Atrium mit dem Hauptgebäude verbunden ist ein zweigeschoßiger „Education Wing“.

Erschlossen wird die Insel durch zwei Fußgeherstege zu den Nebeneingängen und eine (autotaugliche) zeremonielle Rampe zum Haupteingang. Und - die wohl eindrucksvollste Annäherung - durch einen dem Emir vorbehaltenen Bootssteg samt drehbarer offener Hebebühne zum Transport der Eminenzen auf das Niveau des zentralen, spektakulär überkuppelten Foyers.

Hier übersetzt Pei die Komplexität orientalischer Dekors in ein dreidimensionales Spiel von Überschneidungen, schwelgt in den unendlichen Möglichkeiten des Ornaments, zitiert in einem monumentalen Luster perforierte ägyptische Metallarbeiten, lässt die mit Edelstahl ausgekleidete Kuppel via Licht zum „lebendig“ facettierten Gewölbe werden.

Zugleich ist das Foyer der Raum, um „moderne“ Materialien einzubringen: Gläserne Treppen und Geländer, stählerne Handläufe, computergenerierte Stahlbrücken bringen im Verbund mit dem verglasten Erker ebenso Licht wie das reale Leben ins Heiligtum - sorgen aber auch für dezente Shoppingmall-Atmosphäre.

Der Standard, Sa., 2008.12.06

04. November 2008Markus Mittringer
Der Standard

Provisorium mit Zukunft

Die Temporäre Kunsthalle Berlin wurde mit Candice Breitz eröffnet: Adolf Krischanitz' Holzbau bringt zumindest für zwei Jahre die Gegenwart auf den Schlossplatz.

Die Temporäre Kunsthalle Berlin wurde mit Candice Breitz eröffnet: Adolf Krischanitz' Holzbau bringt zumindest für zwei Jahre die Gegenwart auf den Schlossplatz.

Berlin - Jetzt also auch in Berlin: eine simple Schachtel für Kunst nach dem Adolf-Krischanitz-Prinzip. Temporäre Kunsthalle Berlin nennt sich das Unternehmen, das, entstanden aus einer Privatinitiative, zumindest vorübergehend die Gegenwart auf den Berliner Schlossplatz bringt. Soll doch in zwei Jahren der Kunstzauber mit dem Himmel, so wie Gerwald Rockenschaub ihn versteht - grob gepixelt -, wieder weg sein. Soll doch dann eine ganz und gar nicht gegenwärtige Kiste den Schlossplatz dominieren: Die „kritische“ Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, gebaut, um auch noch die letzte Erinnerung an DDR-Zeiten zu löschen.

Vom Palast der Republik stehen nur mehr die Stiegenhäuser - und inmitten der offenen Kellergeschoße und Fundamente nun diese blaue Schachtel mit 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche und einer Bar (Friedrichs) mit großzügigem Freigelände.

Und das Wien-Prinzip - Kunst an Milchcafé, Bier und Cocktails - sollte auch in Berlin aufgehen. Die Eröffnung war gut besucht, und die Schau - ebenfalls in Ansätzen aus Wien übernommen - bietet leichte Kost für alle Berliner: Kunsthalle-Wien-Direktor Gerald Matt hat Candice Breitz ausgewählt, um die Berliner gleich vorweg mit der in Wien einst so umstrittenen blauen Kiste auszusöhnen. Die in Johannesburg geborene Candice Breitz porträtiert Popstars: Bisher entstanden: Legend (A Portrait of Bob Marley), Queen (A Portrait of Madonna), King (A Portrait of Michael Jackson) und Working Class Hero (A Portrait of John Lennon).

John Lennons Jünger

Da man über diese Popstars ohnehin schon alles weiß, lässt Candice Breitz auch alles Wissenswerte weg. Übrig bleiben Texte und Melodien, interpretiert von Fans der härteren Sorte. Im Fall von John Lennon muss man sich das jetzt so vorstellen: 25 Jünger geben Lennons erstes Soloalbum John Lennon / Plastic Ono Band von 1970 zu ihrem jeweils Besten. Und Candice Breitz bastelt aus den Ton- und Videospuren dann eine Choralversion auf 25 parallel geschalteten Monitoren. Übrigens exakt in der Originallänge von 39 Minuten und 55 Sekunden.

So etwas hält die stärkste Badewanne nicht aus und wird deswegen eher im Kunstkontext vertrieben. Das Lennon-Tribute etwa wurde von der Londoner White Cube Gallery produziert und hatte 2006 in Gateshead Premiere. Dort fanden sich nebst dem Publikum von White Cube, welches man sonst auch gerne auf der Londoner Frieze Art Fair oder der Art Basel in Miami Beach antrifft, vor allem Familienmitglieder der Interpreten. Die Pop-Geschichte weiß von den Originalaufnahmen zu Working Class Hero zu berichten, dass Lennon sich zu der Zeit nicht nur Yoko Ono, sondern auch Dr. Arthur Janovs angeblich Traumata löschenden Urschreitherapie zu widmen hatte.

Die Fans dürften sich die Anekdote zu Herzen genommen haben. Jeder Auserwählte müht sich ab, sein Innerstes nach außen zu kehren. Was vor allem auch den absolut mangelhaften Beitrag des englischen Gesundheitssystems zur Zahnhygiene ungeschminkt aufdeckt, aber auch von den insularen Eigenheiten betreffend die Ernährung zu berichten weiß. Der Rest ist pure Inbrunst: 25 vom eigenen Gemüt völlig ergriffene, eher einfache Gemüter schmettern eher schwer als „lyrics“ erkennbare Zeilen ins Publikum: „As soon as you're born they make you feel small / By giving you no time instead of it all / Till the pain is so big you feel nothing at all / A working class hero is something to be / A working class hero is something to be / They hurt you at home and they hit you at school / They hate you if you're clever and they despise a fool / Till you're so fucking crazy you can't follow their rules ...“

Band-Aid-Video-Clip

Und also erkennt der geübte Kunstfreund sofort die kritische Analyse der jüngeren Sozialgeschichte Großbritanniens in der liebevollen Persiflage auf das Genre Band-Aid-Video-Clip.

Warum Candice Breitz? Sie arbeitet ebenso in Berlin (derzeit an einem Jack-Nicholson-Porträt, das noch in die laufende Ausstellung eingespeist werden wird) wie jene Künstler, denen die kommenden Ausstellungen gewidmet sind: Simon Starling, Katharina Grosse, Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla. In einer nächsten Serie soll dann die jüngere Berliner Szene vorgestellt werden. Und: Provisorien halten meist länger als geplant. Vielleicht auch in Berlin.

Der Standard, Di., 2008.11.04



verknüpfte Bauwerke
Temporäre Kunsthalle Berlin

03. Oktober 2005Markus Mittringer
Der Standard

Mittelstädte mit Kunstputz

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär...

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär...

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär ins Kunsthaus Graz zu überstellen. Die monumentale Mischtechnik aus Spielzeug- und Modellbauhäuschen dient, wie die meisten der bildenden Kunst zuzuordnenden Exponate innerhalb der Ausstellung M Stadt Europäische Stadtlandschaften, als Showelement.

Und angesichts von Burdens überbordendem Idyll stellt sich gleich die Frage nach dem „M“ im Titel: Mittelstadt? Mittelmaß? Migration und Stadt? Mega-City? Metropolis? Oder, um bei Fritz Lang zu bleiben: Sucht Graz diesen Herbst einen Mörder? Oder geht es wieder einmal um Metaebenen, um Diskurse, um Medien und das Urbane, oder das Urbane als Medium?

Nun, es geht genau gesagt um das Viele, das so anfällt, wenn Städte sich wandeln (Diskursdeutsch: „Veränderungsprozess“), was sie seit ihrer Erfindung eigentlich gerne tun. Noch nie aber wurden sie dabei so genau beobachtet wie eben heute. (Diesfalls unter der kuratorischen Oberaufsicht des Architekturtheoretikers Marco De Michelis).

Und so gibt sich gleich die Ausstellungsarchitektur des spanischen Studios ReD/Research+Design als quasi urbanes Setting, legt im Space02 des Grazer 60er-Jahre-Retro-Aliens Wege an, setzt Blöcke in den Weg, erzwingt Ausweichmanöver, bietet Abkürzungen, um von Objekt zu Objekt zu gelangen. Und lässt von der Decke abgehängte Stoffbahnen eine Welle bilden, das Panorama einer Landschaft. Auf dieser Ebene finden sich die sechs Themen und Fragen wieder, die M Stadt zumindest gestellt haben will.

In Earthscapes untersucht der katalanische Architekt Vicente Guallart die geologischen Beschaffenheiten der Gebiete, in denen Städte entstanden sind, und kommt zur wenig erstaunlichen Erkenntnis, dass die Architektur weit mehr ihren eigenen Prinzipien gehorcht, als sich für die jeweilige Umgebung immer wieder selbst zu erfinden. Die Abteilung Euro-Sprawl will zeigen, dass europäische Städte heute ebenso ihrer Zentren verlustig gehen, wie amerikanische solche nie hatten. Dan Grahams Arbeit Homes for Amerika wird da als künstlerischer Input aufgeboten. In der Abteilung für Migrations sorgen Duane Hansons Derelict Woman - eine hyperrealistische Sandlerin aus bemaltem Polyester - und Gavin Turcs Nomad betitelte, befleckte Schlafsäcke aus bemalter Bronze, für Drastik.

Spätestens im Abschnitt Shopping wird deutlich, dass vieles an „Kunst“ nur aufgeboten wird, um einer naturgemäß spröderen Architekturausstellung Pepp zu verleihen und die Vorzeigeschau des Festivals in allen Sparten mit großen Namen ausstatten zu können. Andreas Gurskys Mixed-Media-Arbeiten zur Marke Prada bringen ebenso wenig ein wie Sylvie Fleurys zu Tode ausgestellter vergoldeter Einkaufswagen. Und auch das Shopping-Wagerl, das der Berliner Stiletto 1989 zu einem Fauteuil recycelt hat, lässt den Zusammenhang mit Debatten und Modellen zu Shoppingmalls und anderen Freizeitlandschaften schwer vermissen.

Eine Ebene höher wurden die das Kunsthaus charakterisierenden, lichtgebenden Warzen bis in Betrachterhöhe nach innen verlängert. Und dienen nun als Kleinkinoräume, in denen Porträts der Städte Basel, Krakau, Triest, Ljubljana und des urbanen Systems des Ruhrgebietes laufen. Das sieht zwar recht hübsch aus, beschert aber weder der Schau noch deren Themen irgend einen Mehrwert.

Der Standard, Mo., 2005.10.03

23. Oktober 2004Markus Mittringer
Der Standard

Kiste mit Jägerstüberl innen drin

Das Salzburger Museum der Moderne ist nun auch offiziell eröffnet. Und lädt ein, die Enttäuschung hinter der geraden Linie zu erleben. Und die Depression im Jägerstüberl

Das Salzburger Museum der Moderne ist nun auch offiziell eröffnet. Und lädt ein, die Enttäuschung hinter der geraden Linie zu erleben. Und die Depression im Jägerstüberl

Am Mönchsberg steht ein Jägerstüberl. Es ist von außen nicht als solches zu erkennen. Weil sich nämlich ein karges Museum über das Jägerstüberl stülpt. Dort, wo einst das Café Winkler stand, befindet sich jetzt das Museum der Moderne. Es ist schon länger offen, eröffnet wurde es aber erst jetzt. Das hängt mit den Festspielen zusammen, die frecherweise im Sommer schon stattfanden.

Und da die Salzburger Festspiele ja allerhand Besucher anlocken, zu welchem Zweck ja Salzburg von der Österreich Werbung erst errichtet wurde, musste das Museum eben schon im Sommer eingeleuchtet werden. Und jetzt, da es sich erst richtig fertig zeigt, will gar nicht recht viel Glamour aufkommen.

Allein ein Faktor ist es schon; und startet daher auch gleich mit der Vision einer Sammlung. Mit der Behauptung also, es hätte keine richtige eigene. Weil das, was an Grundstock so da ist - die Sammlung des Kunsthändlers Friedrich Welz, die später dann ergänzt wurde um Figuratives und Fotografie durch Otto Breicha, um Egon Schiele durch Peter Weiermeier - mag nicht recht in den Zeitgeist passen, für den die Direktorin des Hauses steht.

Der Zeitgeist fordert das internationale Format, und so wurde mit allerhand Leihgaben an einer Vision einer Sammlung gearbeitet, die so international werden will, auf dass man sie bald schon nicht mehr von anderen Sammlungen unterscheiden wird können. Das ist ein weiter Weg, aber mit Vanessa Beecroft ist schon ein guter Anfang gemacht. Die findet sich, samt ihren jeweils unterschiedlich gruppierten Nackerten, nun endlich auch in Salzburg.

Eine Tischgesellschaft stellt die Beecroft diesmal unter Zuhilfenahme tadellos gertenschlanker Models - kritisch wie immer - dar. Und mit allerhand Leihgaben aus den bewährten Sammlerhänden der Familien Batliner oder Thyssen Bornemisza oder Ploil, nebst einer Imi-Knoebel-Schenkung durch Thaddaeus Ropac kommt dann, ergänzt durch die untadelig kühle Architektur des Münchner Büros Klaus Friedrich, Stefan Hoff und Stefan Zwink, kommt dann doch Weltstadtstimmung auf, an der Salzach, die - ganz so weltstädtisch wie Graz - auch schon eine Insel hat. Nur weniger Acconci-mäßig, mehr in Richtung der bewährten Atterseeschifffahrt designt. Zum Museum ist sonst noch zu sagen, dass es lichttechnisch besser funktioniert als die eigentliche Eröffnungsschau - Ein-Leuchten - vermuten ließ.

Die über drei Etagen und 2300 Quadratmeter verteilten Räume bleiben aber bedrückend nieder. Doch wichtiger sind ja heutzutage, wo es vorwiegend darum geht, Einnahmen zu lukrieren, der Shop und das Wirtshaus. Das Wirtshaus ist der schönste Raum des neuen Mönchsbergkomplexes. Leider hat ihn Mattheo Thun verschandelt, weil ihm nichts Besseres eingefallen ist, als seine Installation Lusterweibchen - darunter muss man sich jetzt ein von der Decke schwebendes Band aus ganz vielen Hirschgeweihen vorstellen - mit lila bezogenen und ansonsten blattvergoldeten Sessel zu kombinieren.

Mozartkugel-Würfe

Die übrigen Sitzgelegenheiten sind grün, und man greift intuitiv nach einer vollen Ladung Mozartkugeln, den Meister dorthin zu bomben, wo er auch hingehört: in die 80er-Jahre, in denen man sich unter Design etwas unbedingt Lustiges vorzustellen hatte. Da hilft letztlich nur noch die Zuflucht. Eva Schlegl hat eine Lounge gebaut - so etwas braucht ein Museum heutzutage unbedingt - in der man es echt aushält. Zumal man ja im Shop ein Buch kaufen kann, um abzutauchen.

Salzburg hat nun also auch offiziell ein Museum der Moderne. Es schaut tadellos aus, ist aber voll von Kunstwerken, die gemäß der Vision ausgesucht wurden, es möglichst schnell verwechselbar zu machen. Das ist schade. Weil, wie Tim Noble & Sue Webster in ihrer Neonarbeit so allgemein gültig feststellen: Man hätte so gerne wieder einmal „fucking beautiful“ gesagt und damit nicht nur die Hülle gemeint.

Der Standard, Sa., 2004.10.23



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Museum der Moderne

25. Oktober 2003Markus Mittringer
Der Standard

Blaue Blase fertig, passende Kunst gesucht

Schon „Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst“, die erste Schau im Grazer Kunsthaus, zeigt, dass es einigermaßen schwierig werden wird, aus der blauen Blase einen brauchbaren und variablen Kunstraum abzuleiten. Andernorts hätte man im Folgenden die Kunst besprochen.

Schon „Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst“, die erste Schau im Grazer Kunsthaus, zeigt, dass es einigermaßen schwierig werden wird, aus der blauen Blase einen brauchbaren und variablen Kunstraum abzuleiten. Andernorts hätte man im Folgenden die Kunst besprochen.

Einmal in die Jahre gekommen, wollen ältere Gebäude immer wieder einmal radikal gesäubert werden, heißt, von nachträglichen, im Lauf der Zeit oft wuchernden Einbauten befreit, wieder in den Urzustand zurückversetzt werden. Oft passiert das aus praktischen Erwägungen, oft ist so eine Radikalkur, genauso wie der Zubau vorweg, schlicht von Tagesmoden bestimmt.

Beim Kunsthaus Graz ist das anders: Es ist als Substanz brandneu, basiert aber auf einer optimistischen Idee aus den 60er-Jahren oder auch auf jenen Überlegungen zum Ausstellungsraum, die Friedrich Kiesler noch viel früher entwickelt hat. Das neue Kunsthaus Graz muss, um als Ausstellungsraum überhaupt erst bespielbar zu sein, gleich vorweg mit allerhand Ein- und Anbauten versehen werden.

Mit Stellwänden, Verschlägen und Kobeln musste ihm Direktor Peter Pakesch erst einmal ein Fassungsvermögen zimmern lassen, um Kunst, im konkreten Fall viel Flachware, überhaupt unter- und vor allem anbringen zu können. Weil: Wo kein Flecken gerader Wand, da lässt sich ohne besondere Vorrichtungen (vergl. Kieslers Vorschläge, die Bilder durch Arme gehalten vor den gekrümmten Flächen quasi schweben zu lassen) nichts anbringen. Dasselbe gilt im Übrigen für Projektionen: Auch dafür müssen künftig Ausstellung für Ausstellung eigens kostenintensiv Wände aufgezogen werden.

Zu diesen Basisschwierigkeiten kommt die Nebensächlichkeit, dass es für nicht selbsttätig leuchtende Kunst in den amorphen Gewölben an der Mur (man sieht sie bedauerlicherweise von innen nicht) schlicht zu dunkel ist. Aber Sponsoren sei Dank kann man alles nachjustieren. Und bevor man sich jetzt schon die Frage stellt, ob denn diese Präsentationsbedingungen den einzelnen Objekten gerecht werden, ist die Frage beantwortet, ob denn die Wände und Kobel die Architektur stören würden.

Ja! Jetzt teilen die sicherheitsbewusst massiv verbauten Schlitze für die Rolltreppen die beiden Ausstellungsebenen ohnehin schon brachial in Hälften, und dann steht auf den mageren verbliebenen Freiflächen auch noch inständig eine Barriere im Weg, um einen Blick so weit schweifen zu lassen, dass man dessen Strecke bezogen auf die Architektur auch als Achse bezeichnen könnte.


Maßkunsthaus

Man muss sich den durch die Einbauten evozierten Effekt in etwa so vorstellen, als könnte ein auf Eventgastronomie spezialisierter Baumeister ohne ökonomische Einschränkungen seiner Fantasie kreativ freien Lauf lassen und eine Raststätte als artifizielles Durcheinander von Themenwirten gestalten. In der oberen Ausstellungsebene - der mit den neonverstärkten Lichteinlass-Nozzles - schwebt über dem verunglückten Haufendorf dann noch ein Himmel voller fremder Galaxien.

Sicher, es wird sich Kunst finden - oder eher extra anfertigen lassen -, die mit all dem ordentlich zurechtkommt, und Pakesch hat ja seine Eröffnungschau Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst als erste einer langen Reihe von Ausstellungen definiert, die versuchen werden, Grundlagen für dieses architektonische Experiment zu erarbeiten. Die Angst, der fortwährend erzwungene Raumbezug könnte die Möglichkeiten eines Hauses für permanent wechselnde Präsentationen zu sehr einschränken, es schlichtweg rasch fad werden lassen, in jeder Schau Peter Cook und Colin Fournier zum Thema zu haben - diese Angst konnte die Einbildung jedenfalls nicht lindern.

Eine Schau, die im besten Sinn ordentlich gemacht ist, das Thema der Perzeption variantenreich anreißt, eine Schau, die als Einführung in Grundlagen der Kunstbetrachtung ebenso für ein breites Publikum geeignet wie ob der Qualität einzelner Arbeiten auch Spezialisten zu befriedigen im Stande ist.

Wenn aber dann doch zwangsläufig die zugleich einströmenden Wahrnehmungen von Schauraum und Schaustück schmerzlich kollidieren, sei ein Besuch in Olafur Eliassons Rundum-Lichtraum anempfohlen: Das ist eine entspannende Lichttherapie für den gestressten internationalen Kunstfreund. Harmlos und schön. Oder ein Irren in Gianni Colombos Spazio Elastica - einem Nachbau, begründet durch die glaubwürdige Versicherung, man hätte das Original schon bei der legendären Grazer Trigon '67 zukunftsweisend gefunden.


[Bis 18 1. 2004
www.kunsthausgraz.at]

Der Standard, Sa., 2003.10.25



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Kunsthaus Graz

03. Oktober 2003Markus Mittringer
Der Standard

„Man muss Künstler finden, die kämpfen können“

Der venezianische Architekturtheoretiker Marco De Michelis kam zum ersten „Kunsthaus Jour fixe“ nach Graz. Thema der vom Standard mitveranstalteten Diskussionsreihe war das „Friendly Alien“ selbst. Davor schilderte er erste Eindrücke.

Der venezianische Architekturtheoretiker Marco De Michelis kam zum ersten „Kunsthaus Jour fixe“ nach Graz. Thema der vom Standard mitveranstalteten Diskussionsreihe war das „Friendly Alien“ selbst. Davor schilderte er erste Eindrücke.

Er kam nach Graz, ohne sich vorher Fragen gestellt zu haben. Marco de Michelis, Dekan der Architekturfakultät von Venedig und bis 2003 Professor an der Bauhaus-Universität Weimar, war aber hochgradig neugierig. Immerhin gab es das erste Gebäude zu besichtigen, das Peter Cook, ein weltberühmter Architekt, mit 66 vorlegt.

Und? „Positiv, städtebaulich witzig, weich, nicht so aggressiv, ein Ball. Es wirkt temporär, wie eine Installation, aufgeblasen, und in zwei Wochen geht die Luft aus und alles verschwindet. Jetzt gilt es zu warten, wie ein festeres städtisches Bild entstehen wird.“

Die Transparenz schätzt De Michelis, die Inszenierung, den Sog nach oben, den zwingenden Parcours, den die Rolltreppen vorgeben. Fraglich erscheint ihm der unterschiedliche Charakter der beiden Ausstellungsebenen. Hier beginnt dann wieder die ewige Diskussion um die „White Box“. Der neutrale Raum hat sich zwar als funktionsfähig erwiesen, aber als endgültige Lösung möchte De Michelis ihn nicht zementiert wissen. Das wäre auch historisch nicht haltbar: „Alte Museen waren auch nie neutral. Die Kunst musste immer eine Dialektik entwickeln. Wir haben alle wunderbare Ausstellungen gesehen in Räumen, die total schwer zu bespielen sind. Und langweilige in weißen Boxen. Die erste Etage in Graz kann da auch Impulse geben. Skeptisch bin ich bezüglich des oberen Raums. Da haben sich die Architekten überschätzt. Das Beleuchtungssystem sieht aus wie eine Installation von Lucio Fontana. Da muss man schon jemanden finden, der in der Lage ist, dagegen zu kämpfen. Sol LeWitt, der 2004 dort ausstellen wird, sollte aber genug Quadratisches liefern, um gegen den oberen Raum zu boxen.“

Das Grazer Kunsthaus sei „sympathisch naiv“, voller Details, die architektonisch nicht richtig zu Ende gedacht wurden, der Preis eben für eine Planung in „jugendlich-unkritischem Optimismus“. Und: „Ein bisschen alt ist es geboren, auf erstaunliche Weise nicht aktuell. Obwohl ich es nicht als spät realisiertes Werk von archigram sehe. Aber es ist in diesem Zeitgeist der 70er-Jahre“.

Herzog/de Meuron oder Zumthor, diese „so genannten Minimalisten“ der jüngeren Generation, verteidigt De Michelis das Naive, „sind so seriös, sie dramatisieren jedes Problem, jedes Detail wird zu einem Dilemma hochstilisiert. Etwa Bregenz ist von ungeheuerer Härte. In Graz ist alles spielerisch, dass ist eine Qualität.“

Ob man anstatt von Spielerisch nicht auch von einem zu großen Kompromiss zwischen Entwurf und Realität sprechen könnte? „Es braucht doch diese besonderen Technologien nicht. Man muss damit aufhören, immer Raketen bauen zu wollen. Wer behauptet, er würde Raketentechnologie benutzen wie Foster oder Rogers, der ästhetisiert doch nur den Traum einer Moderne. Das ist marktorientiert, da geht es doch nur darum, den Leuten vorzugaukeln, dass die Fabriken nicht schmutzig, sondern so sauber sind wie eine Waschmaschine, und so sehen sie dann auch aus.“

Könnte es sein, dass der Hang zu spektakulären Entwürfen am Wettbewerbssystem selbst liegt, daran, dass jeder die Jury um jeden Preis zu beeindrucken sucht? „Die Physiologie des Wettbewerbs ist: Wenn du gewinnen willst, darfst du nur eine klare Idee liefern, für mehr haben die Preisrichter keine Zeit, man gewinnt mit einer Leitidee. Und die bleibt zu oft auch die einzige des Gebäudes.“


Hose zu klein

Und in Wien, wo dem MuseumsQuartier auch ein Wettbewerb voraus ging? „Ich habe nie verstanden, warum man das gemacht hat, brauchte man etwas so Zentrales? Die Architekten haben fein gearbeitet, aber es ist ein bisschen langweilig und ein bisschen zu dick. Es ist ein Gebäude Größe 54 in einem Paar Hosen Größe 48.“

Und die begehrteste Baugrube der Welt, „Ground Zero“, kann man so etwas einfach ausschreiben? „Eindeutig nein. Am Bewerb haben einige der besten Architekten der Welt - Amerikas - teilgenommen und einige der intelligentesten. Und der Entwurf von Liebeskind ist so katastrophal im Vergleich zum Jüdisches Museum in Berlin oder dem Museum in Osnabrück. Wenn die Metaphern, wie hier das Jahr der Unabhängigkeitserklärung, nicht aus dem Bauch des Architekten kommen, sondern aus Politik und Berechnung erwachsen, kommt es zu einer Tragödie wie der geplanten.“

Der Standard, Fr., 2003.10.03



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

27. August 2003Markus Mittringer
Der Standard

Das andere Kulturinstitut

Ein Projekt der MAK-Dependance „Schindler House“ in L.A. sorgt für produktive Aufregung: Ein Architekturwettbewerb auf fremdem Grund kratzt am selbstverständlichen Umgang der Amerikaner mit Eigentum und sorgt für Medienrummel abseits von Arnies Kandidatur.

Ein Projekt der MAK-Dependance „Schindler House“ in L.A. sorgt für produktive Aufregung: Ein Architekturwettbewerb auf fremdem Grund kratzt am selbstverständlichen Umgang der Amerikaner mit Eigentum und sorgt für Medienrummel abseits von Arnies Kandidatur.

West Hollywood - Österreich hat ja zwei Kulturinstitute in den Vereinigten Staaten von Amerika: eines in New York, das vor allem über die komplex unglücklichen Umstände seiner Werdung und sein architektonisch wertvolles, endgültiges Äußeres auf sich aufmerksam gemacht hat, und eines in West Hollywood, Los Angeles, das auch programmatisch Interesse zu wecken aus eigenen Stücken imstande ist - nicht nur hierzulande, sondern genau dort, wo die Mission greifen sollte: in den USA und von dort aus weiter.

Raimund Abrahams Kulturinstitut in New York, das offizielle, hatte von Konzeption an mit der Enge einer Lücke in Manhattan zu leben, Rudolph M. Schindlers, in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gezimmertes Privathaus in Los Angeles - seit 1995 als „MAK Center for Art and Architecture“ höchst selbsttätige Dependance des Wiener Museums für angewandte Kunst (und als solche im Besitz der Republik Österreich) - versucht gerade jetzt ein künftiges Dasein als „gerahmtes“ Kunstwerk zu verhindern.

Ursprünglich für ein semiurbanens - nach allen Seiten hin offenes - Gebiet konzipiert, führt das Schindler House mittlerweile ein Halbinseldasein. Heute, inmitten eines dicht gepackten Wohngebietes zwischen Sunset und Santa Monica Boulevard am Fuß der Hollywood Hills gelegen, ist Schindlers architekturhistorischer Schlüsselbau einseitig von einem Condominium (Eigentumswohnanlage) bedrängt, dessen Scheußlichkeit die Bambushecke um das „Museum“ kaum zu vertuschen vermag.

Und es soll demnächst auch seine verbliebene offene Seite einbüßen - und damit endgültig vom Haus zum Denkmal degradiert werden. Also tat MAK-Direktor Peter Noever in der Heimat der Mutigen unfassbar „Unkorrektes“: Wissend, dass das bislang von einem unauffälligen Einfamilienhaus besetzte Nachbargrundstück an einen Developer verkauft und von diesem optimal verplant wurde, rief er einen Wettbewerb aus, das benachbarte Eigentum - und damit das Fundament US-amerikanischer Moral - infrage zu stellen.

Odile Decq+Benoît Cornette, Peter Eisenman, Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au, Günther Domenig, Mark Mack, Eric Owen Moss, The Next Enterprise, Dominique Perrault, Lebbeus Woods und andere Celebrities der fortgeschrittenen Bauwelt beteiligten sich mit Ideen und Entwürfen an der „feindlichen“ ideellen Übernahme. Wer, wie Frank Gehry, Roberto Gottardi oder Carl Pruscha nicht teilnahm, saß in der Jury. And the winners are: Decq/Cornette, Peter Eisenman, Zaha Hadid Architects.

Bauen wird aller Wahrscheinlichkeit nach keiner. Und die Möglichkeit, das Grundstück einfach zu kaufen und brach liegen zu lassen ist auch zu teuer (für Interessenten: drei Millionen Dollar plus die Kosten bereits getätigter Investitionen). Und dennoch hat dieser Wettbewerb eine zentrale Aufgabe von Architektur erfüllt: Es wurde „site-specific“ gedacht, und nicht orientiert an Profit und bestehenden Bauordnungen.

Genug, hitzige Diskussionen auszulösen, genug für eine Netto-Seite in der New York Verdana. Genug für einen kleinen Clash of Cultures.

Richard Loring heißt der in einer öffentlichen Diskussionsrunde von Wettbewerbsarchitekten und Juroren angegriffene Developer, Lorcan O'Herlihy sein ausführender Architekt. Beide - für Qualität so gut beleumundet, dass etwa Tom Mayne von Morphosis eine Teilnahme am „Wettbewerb“ gegen den Kollegen absagte - verstanden die Wien-geleitete europäische Welt nicht mehr (oder schon wieder nicht). Hatten sie doch alles getan, nicht am Schindler House zu kratzen, hatten in einer Subversion wider das Kapital bloß 18 statt 23 möglicher Apartments geplant, sich unter der Bambushecke geduckt verhalten, brav versucht, den Stil Schindlers zeitgemäß zu adaptieren, und um alles in der Welt keinen Schatten auf das Juwel zu werfen.

Und der Dank: Europa sagt - vertreten durch Odile Decq, Peter Noever und Carl Pruscha -, „verstecken ist ganz feig, überhaupt das Ärgste, zu tun als ob, nachgerade peinlich“. Wenn Zaha Hadid - wider alle Flächenwidmung einen 23-stöckigen Turm ersinnt, dann würde etwa Carl Pruscha sich in dessen Schatten im Schindler House geradezu wohl fühlen. Weil das Einzige, was guter Architektur nichts anhaben kann, so die Juroren, gute, und damit visionäre, nicht anpassungswütige, Architektur ist. Der penibel erarbeitete Kompromiss von O'Herlihy dagegen ein Worst-Case-Scenario. Der Ausgang der Geschichte ist offen, zur Illustration sei Folgendes ins Bewusstsein gerückt: Wie souverän könnte des Erdberger Wittgensteinhaus heute dastehen, wäre es beizeiten gelungen, das bronzeschillernde Büroungetüm in dessen verlängertem Park zu verhindern.

Der Standard, Mi., 2003.08.27

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Presseschau 12

06. März 2010Markus Mittringer
Der Standard

Raimund Abraham 1933-2010

Architekt Raimund Abraham, ein Befürworter des Einfachen und Sinnfälligen in der Baukunst, wirkte als Künstler, Anreger und Lehrer. Er ist 76-jährig einem Verkehrsunfall in Los Angeles zum Opfer gefallen.

Architekt Raimund Abraham, ein Befürworter des Einfachen und Sinnfälligen in der Baukunst, wirkte als Künstler, Anreger und Lehrer. Er ist 76-jährig einem Verkehrsunfall in Los Angeles zum Opfer gefallen.

Vergangenen Mittwochabend hielt Raimund Abraham am Southern California Institute of Architecture seinen letzten Vortrag: Die Verklärung der Stars unter den Architekten war einer der zentralen Punkte, die Abraham, der die Komplexität des Einfachen bedingungslos gegenüber dem Spektakulären, dem technisch gerade noch Machbaren verteidigte, dabei ein letztes Mal scharf kritisiert hat.

Ein letztes Abendessen mit Freunden und Wegbegleitern wie Eric Owen Moss und Peter Noever später war Abraham tot, mit einem Bus in Downtown L.A. kollidiert, noch an Ort und Stelle seinen Verletzungen erlegen. Raimund Abraham hat - prototypisch für sein Leben - nicht die vorgeschriebene Fahrtrichtung eingeschlagen.

Der 1933 in Lienz in Osttirol geborene Architekt war nicht im Ruhestand, hat nicht daran gedacht, das eigene Haus, an dem er seit Jahren in Mexiko baute, als Alterssitz zu nutzen.

Er hat dort umgesetzt, was seine Sache, seine Haltung war: kompromissloses Bauen, elementare Architektur, schlichte Häuser mit einer sinnstiftenden Verschränkung von internen und externen Blicken, Häuser, die skulptural erscheinen mögen, im Kern aber der Funktion verpflichtet sind - Orte, die Intimität und Öffentlichkeit versöhnen.

Verbindliche Botschaft

„Ich werde“, sagt Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, „die Botschaft von Raimund Abraham niemals vergessen: ,Jeder Bau verletzt die Erde. Jeder Architekt hat deshalb die Verantwortung, dass diese aufgeladene Schuld der Verletzung der gegebenen Erde nur durch eine kulturelle und künstlerische Verbesserung versöhnt werden kann.'“

In Mexiko und in New York, der Stadt, in der er seit 1971 lebte, hat er weitergeplant, gezeichnet, gedacht, seine Vorlesungen (an der Cooper Union und am Pratt Institute in New York) ausgearbeitet. In Vorbereitung war etwa ein Musikerhaus auf dem ehemaligen Militärgelände bei Neuss in Nordrhein-Westfalen im Rahmen des Projekts „Museumsinsel Hombroich“.

Als Raimund Abrahams Hauptwerk gilt das Austrian Cultural Forum in New York, das, so Dietmar Steiner, „nur unter schwierigsten Rahmenbedingungen verwirklicht werden konnte, aber heute als Manifest und Landmark zeitgenössischer Architektur in die globale Architekturgeschichte eingeschrieben ist“. Das Magazin Wallpaper hat Abrahams Bau, der auf nur sieben Metern Breite und - für New York - mickrigen 24 Etagen den großen Bürotürmen locker Paroli bietet, unter die fünf wichtigsten Gebäude New Yorks gereiht.

Protest gegen FP-Beteiligung

Zwei Jahre vor der Eröffnung des Hauses legte Abraham aus Protest gegen die Regierungsbeteiligung der FPÖ seinen österreichischen Pass nieder. 2002 wurde er amerikanischer Staatsbürger. Österreichs aktuelle Kulturministerin Claudia Schmied würdigte Abraham in einer ersten Reaktion kenntnisreich: „Diese Qualität betraf nicht nur sein architektonisches Werk, sondern auch sein öffentliches Wirken. Er ging keine Kompromisse ein, da er bedingungslos an seinen Prinzipien festhielt.“ Und diese Prinzipien vor allem auch weitergab.

Elementarteile

Abraham, der wenig gebaut hat - einige Wohn- und Geschäftshäuser in den USA, die Hypo-Bank-Filiale in seiner Heimatstadt Lienz - war ein ungemein bedeutender und einflussreicher Lehrer; hierzulande leider nur im Rahmen von Gastvorträgen bei Kollegen.

"Raimund Abraham hat der Architektur unserer Zeit von seinen ersten Recherchen der bäuerlichen „elementaren Architektur“ des Alpenraums bis zu seinen großartigen literarisch-poetischen Zeichnungen und den wenigen ihm vergönnten Bauten (Anm: bei den internationalen Wettbewerben zum Centre Pompidou und der Bastille-Oper in Paris wurde er jeweils auf den zweiten Rang gereiht) eine neue Begründung ermöglicht", sagt Dietmar Steiner stellvertretend für viele, denen Abraham weit mehr war, denn der „Schwierige“ mit dem Kulturinstitut.

Der Standard, Sa., 2010.03.06



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Abraham Raimund

06. Dezember 2008Markus Mittringer
Der Standard

Edle Festung für die Kunst im Golf

Nach langer Architekten- und Standortsuche wurde es nun eröffnet: Ieoh Ming Peis Museum of Islamic Art in Doha. Ein Signal zur Positionierung Katars als Kultur- und Bildungszentrum am Persischen Golf

Nach langer Architekten- und Standortsuche wurde es nun eröffnet: Ieoh Ming Peis Museum of Islamic Art in Doha. Ein Signal zur Positionierung Katars als Kultur- und Bildungszentrum am Persischen Golf

Der beigefarbene Magny- und Charmesson-Kalkstein kommt aus Frankreich, der edle graue Jet-Mist-Granit aus den USA, der rostfreie Edelstahl aus Deutschland; für Standort und Hülle hat der aus China stammende Ieoh Ming Pei gesorgt; die Innenausstattung der Schauräume hat das Pariser Büro von Jean-Michel Wilmotte unter anderem mit brasilianischem Perlholz (Louro Faia) verkleidet. (Woher das die Nahsicht doch etwas irritierende Silikon in den Fugen der steinernen Fassadenverkleidung kommt, ist nicht bekannt.)

Zum Direktor wurde Oliver Watson ernannt, ehedem Chefkurator der Middle Eastern Collections am Londoner Victoria & Albert Museum. Der Auftraggeber ist der Emir von Katar, seine Hoheit Scheich Hamad Bin Khalifa Al-Thani. Dessen Tochter, ihre Exzellenz Sheikha Al-Mayassa Bint Hamad Bin Khalifa Al-Thani steht dem Board of Trustees vor. Beide stammen ebenso wie die spezielle, dem Klima trotzende Betonmischung aus Katar.

Alles zusammen ergibt das eben eröffnete Museum of Islamic Art in Doha, ein spektakuläres Haus auf einer künstlichen, etwa 60 Meter dem Festland vorgelagerten Insel im Golf.

I. M. Pei bestand auf dieser Insel, einem Bauplatz, von dem er sicher sein konnte, dass kein noch so himmelstrebender Bauboom sein Haus je in den Schatten stellen würde. Souverän ruht seine etwa 50 Meter hohe Burg auf ihren 35.000 Quadratmetern Grundfläche in der Bucht, unberührt von Jean Nouvels Büroturm in der Skyline Dohas gegenüber an der Nordseite, unberührbar auch von allen Bauten, die da, wie etwa ein geplantes Fotomuseum von Santiago Calatrava oder eine riesige Struktur Arata Isozakis, noch kommen mögen.

Solitär im Meer

I. M. Pei hat einen Solitär ins Meer gesetzt, seine Essenz islamischer Architektur in zeitgemäßer Interpretation. Der Pritzger-PrizeTräger von 1983 und Architekt des Grand Louvre (der „Pyramide“) war nicht die erste Wahl, ein Symbol für Katars Positionierung als Kultur- und Bildungszentrum in der Region zu errichten. Ein Wettbewerb hatte Jahre zuvor kein befriedigendes Resultat gebracht. Schließlich wurde Pei direkt (er nimmt seit Jahrzehnten an keinen Wettbewerben mehr teil) quasi aus der Pension geholt, um noch einmal „Wesentliches“ zu errichten.

Und der machte die Insel als Bauplatz zur Bedingung - und ging auf Reisen; besuchte die große Moschee von Córdoba in Spanien, die Mogul-Residenz Fatehpur Sikri in Indien, die Omayyaden-Moschee in Damaskus, die Grenzfestungen von Monastir und Souuse. Um schließlich bei einem Brunnen für rituelle Waschungen aus dem 13. Jahrhundert innezuhalten: Der Sabil der Ibn-Tulun-Moschee von Kairo hat ihm letztlich „die streng minimalistische Architektur aufgezeigt, die erst durch die Sonne, durch das Spiel von Schatten und Farbschattierungen zum Leben erweckt wird“, war „Vorbild“ für sein annähernd fensterloses Zentralgebäude, den „Ausdruck einer geometrischen Sequenz“. Durch einen Arkadengang und ein wasserbespieltes Atrium mit dem Hauptgebäude verbunden ist ein zweigeschoßiger „Education Wing“.

Erschlossen wird die Insel durch zwei Fußgeherstege zu den Nebeneingängen und eine (autotaugliche) zeremonielle Rampe zum Haupteingang. Und - die wohl eindrucksvollste Annäherung - durch einen dem Emir vorbehaltenen Bootssteg samt drehbarer offener Hebebühne zum Transport der Eminenzen auf das Niveau des zentralen, spektakulär überkuppelten Foyers.

Hier übersetzt Pei die Komplexität orientalischer Dekors in ein dreidimensionales Spiel von Überschneidungen, schwelgt in den unendlichen Möglichkeiten des Ornaments, zitiert in einem monumentalen Luster perforierte ägyptische Metallarbeiten, lässt die mit Edelstahl ausgekleidete Kuppel via Licht zum „lebendig“ facettierten Gewölbe werden.

Zugleich ist das Foyer der Raum, um „moderne“ Materialien einzubringen: Gläserne Treppen und Geländer, stählerne Handläufe, computergenerierte Stahlbrücken bringen im Verbund mit dem verglasten Erker ebenso Licht wie das reale Leben ins Heiligtum - sorgen aber auch für dezente Shoppingmall-Atmosphäre.

Der Standard, Sa., 2008.12.06

04. November 2008Markus Mittringer
Der Standard

Provisorium mit Zukunft

Die Temporäre Kunsthalle Berlin wurde mit Candice Breitz eröffnet: Adolf Krischanitz' Holzbau bringt zumindest für zwei Jahre die Gegenwart auf den Schlossplatz.

Die Temporäre Kunsthalle Berlin wurde mit Candice Breitz eröffnet: Adolf Krischanitz' Holzbau bringt zumindest für zwei Jahre die Gegenwart auf den Schlossplatz.

Berlin - Jetzt also auch in Berlin: eine simple Schachtel für Kunst nach dem Adolf-Krischanitz-Prinzip. Temporäre Kunsthalle Berlin nennt sich das Unternehmen, das, entstanden aus einer Privatinitiative, zumindest vorübergehend die Gegenwart auf den Berliner Schlossplatz bringt. Soll doch in zwei Jahren der Kunstzauber mit dem Himmel, so wie Gerwald Rockenschaub ihn versteht - grob gepixelt -, wieder weg sein. Soll doch dann eine ganz und gar nicht gegenwärtige Kiste den Schlossplatz dominieren: Die „kritische“ Rekonstruktion des Berliner Stadtschlosses, gebaut, um auch noch die letzte Erinnerung an DDR-Zeiten zu löschen.

Vom Palast der Republik stehen nur mehr die Stiegenhäuser - und inmitten der offenen Kellergeschoße und Fundamente nun diese blaue Schachtel mit 600 Quadratmeter Ausstellungsfläche und einer Bar (Friedrichs) mit großzügigem Freigelände.

Und das Wien-Prinzip - Kunst an Milchcafé, Bier und Cocktails - sollte auch in Berlin aufgehen. Die Eröffnung war gut besucht, und die Schau - ebenfalls in Ansätzen aus Wien übernommen - bietet leichte Kost für alle Berliner: Kunsthalle-Wien-Direktor Gerald Matt hat Candice Breitz ausgewählt, um die Berliner gleich vorweg mit der in Wien einst so umstrittenen blauen Kiste auszusöhnen. Die in Johannesburg geborene Candice Breitz porträtiert Popstars: Bisher entstanden: Legend (A Portrait of Bob Marley), Queen (A Portrait of Madonna), King (A Portrait of Michael Jackson) und Working Class Hero (A Portrait of John Lennon).

John Lennons Jünger

Da man über diese Popstars ohnehin schon alles weiß, lässt Candice Breitz auch alles Wissenswerte weg. Übrig bleiben Texte und Melodien, interpretiert von Fans der härteren Sorte. Im Fall von John Lennon muss man sich das jetzt so vorstellen: 25 Jünger geben Lennons erstes Soloalbum John Lennon / Plastic Ono Band von 1970 zu ihrem jeweils Besten. Und Candice Breitz bastelt aus den Ton- und Videospuren dann eine Choralversion auf 25 parallel geschalteten Monitoren. Übrigens exakt in der Originallänge von 39 Minuten und 55 Sekunden.

So etwas hält die stärkste Badewanne nicht aus und wird deswegen eher im Kunstkontext vertrieben. Das Lennon-Tribute etwa wurde von der Londoner White Cube Gallery produziert und hatte 2006 in Gateshead Premiere. Dort fanden sich nebst dem Publikum von White Cube, welches man sonst auch gerne auf der Londoner Frieze Art Fair oder der Art Basel in Miami Beach antrifft, vor allem Familienmitglieder der Interpreten. Die Pop-Geschichte weiß von den Originalaufnahmen zu Working Class Hero zu berichten, dass Lennon sich zu der Zeit nicht nur Yoko Ono, sondern auch Dr. Arthur Janovs angeblich Traumata löschenden Urschreitherapie zu widmen hatte.

Die Fans dürften sich die Anekdote zu Herzen genommen haben. Jeder Auserwählte müht sich ab, sein Innerstes nach außen zu kehren. Was vor allem auch den absolut mangelhaften Beitrag des englischen Gesundheitssystems zur Zahnhygiene ungeschminkt aufdeckt, aber auch von den insularen Eigenheiten betreffend die Ernährung zu berichten weiß. Der Rest ist pure Inbrunst: 25 vom eigenen Gemüt völlig ergriffene, eher einfache Gemüter schmettern eher schwer als „lyrics“ erkennbare Zeilen ins Publikum: „As soon as you're born they make you feel small / By giving you no time instead of it all / Till the pain is so big you feel nothing at all / A working class hero is something to be / A working class hero is something to be / They hurt you at home and they hit you at school / They hate you if you're clever and they despise a fool / Till you're so fucking crazy you can't follow their rules ...“

Band-Aid-Video-Clip

Und also erkennt der geübte Kunstfreund sofort die kritische Analyse der jüngeren Sozialgeschichte Großbritanniens in der liebevollen Persiflage auf das Genre Band-Aid-Video-Clip.

Warum Candice Breitz? Sie arbeitet ebenso in Berlin (derzeit an einem Jack-Nicholson-Porträt, das noch in die laufende Ausstellung eingespeist werden wird) wie jene Künstler, denen die kommenden Ausstellungen gewidmet sind: Simon Starling, Katharina Grosse, Jennifer Allora & Guillermo Calzadilla. In einer nächsten Serie soll dann die jüngere Berliner Szene vorgestellt werden. Und: Provisorien halten meist länger als geplant. Vielleicht auch in Berlin.

Der Standard, Di., 2008.11.04



verknüpfte Bauwerke
Temporäre Kunsthalle Berlin

03. Oktober 2005Markus Mittringer
Der Standard

Mittelstädte mit Kunstputz

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär...

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär...

Zunächst muss festgestellt werden: Es ist dem steirischen herbst gelungen, Chris Burdens Pizza City aus dem Wiener Museum für angewandte Kunst temporär ins Kunsthaus Graz zu überstellen. Die monumentale Mischtechnik aus Spielzeug- und Modellbauhäuschen dient, wie die meisten der bildenden Kunst zuzuordnenden Exponate innerhalb der Ausstellung M Stadt Europäische Stadtlandschaften, als Showelement.

Und angesichts von Burdens überbordendem Idyll stellt sich gleich die Frage nach dem „M“ im Titel: Mittelstadt? Mittelmaß? Migration und Stadt? Mega-City? Metropolis? Oder, um bei Fritz Lang zu bleiben: Sucht Graz diesen Herbst einen Mörder? Oder geht es wieder einmal um Metaebenen, um Diskurse, um Medien und das Urbane, oder das Urbane als Medium?

Nun, es geht genau gesagt um das Viele, das so anfällt, wenn Städte sich wandeln (Diskursdeutsch: „Veränderungsprozess“), was sie seit ihrer Erfindung eigentlich gerne tun. Noch nie aber wurden sie dabei so genau beobachtet wie eben heute. (Diesfalls unter der kuratorischen Oberaufsicht des Architekturtheoretikers Marco De Michelis).

Und so gibt sich gleich die Ausstellungsarchitektur des spanischen Studios ReD/Research+Design als quasi urbanes Setting, legt im Space02 des Grazer 60er-Jahre-Retro-Aliens Wege an, setzt Blöcke in den Weg, erzwingt Ausweichmanöver, bietet Abkürzungen, um von Objekt zu Objekt zu gelangen. Und lässt von der Decke abgehängte Stoffbahnen eine Welle bilden, das Panorama einer Landschaft. Auf dieser Ebene finden sich die sechs Themen und Fragen wieder, die M Stadt zumindest gestellt haben will.

In Earthscapes untersucht der katalanische Architekt Vicente Guallart die geologischen Beschaffenheiten der Gebiete, in denen Städte entstanden sind, und kommt zur wenig erstaunlichen Erkenntnis, dass die Architektur weit mehr ihren eigenen Prinzipien gehorcht, als sich für die jeweilige Umgebung immer wieder selbst zu erfinden. Die Abteilung Euro-Sprawl will zeigen, dass europäische Städte heute ebenso ihrer Zentren verlustig gehen, wie amerikanische solche nie hatten. Dan Grahams Arbeit Homes for Amerika wird da als künstlerischer Input aufgeboten. In der Abteilung für Migrations sorgen Duane Hansons Derelict Woman - eine hyperrealistische Sandlerin aus bemaltem Polyester - und Gavin Turcs Nomad betitelte, befleckte Schlafsäcke aus bemalter Bronze, für Drastik.

Spätestens im Abschnitt Shopping wird deutlich, dass vieles an „Kunst“ nur aufgeboten wird, um einer naturgemäß spröderen Architekturausstellung Pepp zu verleihen und die Vorzeigeschau des Festivals in allen Sparten mit großen Namen ausstatten zu können. Andreas Gurskys Mixed-Media-Arbeiten zur Marke Prada bringen ebenso wenig ein wie Sylvie Fleurys zu Tode ausgestellter vergoldeter Einkaufswagen. Und auch das Shopping-Wagerl, das der Berliner Stiletto 1989 zu einem Fauteuil recycelt hat, lässt den Zusammenhang mit Debatten und Modellen zu Shoppingmalls und anderen Freizeitlandschaften schwer vermissen.

Eine Ebene höher wurden die das Kunsthaus charakterisierenden, lichtgebenden Warzen bis in Betrachterhöhe nach innen verlängert. Und dienen nun als Kleinkinoräume, in denen Porträts der Städte Basel, Krakau, Triest, Ljubljana und des urbanen Systems des Ruhrgebietes laufen. Das sieht zwar recht hübsch aus, beschert aber weder der Schau noch deren Themen irgend einen Mehrwert.

Der Standard, Mo., 2005.10.03

23. Oktober 2004Markus Mittringer
Der Standard

Kiste mit Jägerstüberl innen drin

Das Salzburger Museum der Moderne ist nun auch offiziell eröffnet. Und lädt ein, die Enttäuschung hinter der geraden Linie zu erleben. Und die Depression im Jägerstüberl

Das Salzburger Museum der Moderne ist nun auch offiziell eröffnet. Und lädt ein, die Enttäuschung hinter der geraden Linie zu erleben. Und die Depression im Jägerstüberl

Am Mönchsberg steht ein Jägerstüberl. Es ist von außen nicht als solches zu erkennen. Weil sich nämlich ein karges Museum über das Jägerstüberl stülpt. Dort, wo einst das Café Winkler stand, befindet sich jetzt das Museum der Moderne. Es ist schon länger offen, eröffnet wurde es aber erst jetzt. Das hängt mit den Festspielen zusammen, die frecherweise im Sommer schon stattfanden.

Und da die Salzburger Festspiele ja allerhand Besucher anlocken, zu welchem Zweck ja Salzburg von der Österreich Werbung erst errichtet wurde, musste das Museum eben schon im Sommer eingeleuchtet werden. Und jetzt, da es sich erst richtig fertig zeigt, will gar nicht recht viel Glamour aufkommen.

Allein ein Faktor ist es schon; und startet daher auch gleich mit der Vision einer Sammlung. Mit der Behauptung also, es hätte keine richtige eigene. Weil das, was an Grundstock so da ist - die Sammlung des Kunsthändlers Friedrich Welz, die später dann ergänzt wurde um Figuratives und Fotografie durch Otto Breicha, um Egon Schiele durch Peter Weiermeier - mag nicht recht in den Zeitgeist passen, für den die Direktorin des Hauses steht.

Der Zeitgeist fordert das internationale Format, und so wurde mit allerhand Leihgaben an einer Vision einer Sammlung gearbeitet, die so international werden will, auf dass man sie bald schon nicht mehr von anderen Sammlungen unterscheiden wird können. Das ist ein weiter Weg, aber mit Vanessa Beecroft ist schon ein guter Anfang gemacht. Die findet sich, samt ihren jeweils unterschiedlich gruppierten Nackerten, nun endlich auch in Salzburg.

Eine Tischgesellschaft stellt die Beecroft diesmal unter Zuhilfenahme tadellos gertenschlanker Models - kritisch wie immer - dar. Und mit allerhand Leihgaben aus den bewährten Sammlerhänden der Familien Batliner oder Thyssen Bornemisza oder Ploil, nebst einer Imi-Knoebel-Schenkung durch Thaddaeus Ropac kommt dann, ergänzt durch die untadelig kühle Architektur des Münchner Büros Klaus Friedrich, Stefan Hoff und Stefan Zwink, kommt dann doch Weltstadtstimmung auf, an der Salzach, die - ganz so weltstädtisch wie Graz - auch schon eine Insel hat. Nur weniger Acconci-mäßig, mehr in Richtung der bewährten Atterseeschifffahrt designt. Zum Museum ist sonst noch zu sagen, dass es lichttechnisch besser funktioniert als die eigentliche Eröffnungsschau - Ein-Leuchten - vermuten ließ.

Die über drei Etagen und 2300 Quadratmeter verteilten Räume bleiben aber bedrückend nieder. Doch wichtiger sind ja heutzutage, wo es vorwiegend darum geht, Einnahmen zu lukrieren, der Shop und das Wirtshaus. Das Wirtshaus ist der schönste Raum des neuen Mönchsbergkomplexes. Leider hat ihn Mattheo Thun verschandelt, weil ihm nichts Besseres eingefallen ist, als seine Installation Lusterweibchen - darunter muss man sich jetzt ein von der Decke schwebendes Band aus ganz vielen Hirschgeweihen vorstellen - mit lila bezogenen und ansonsten blattvergoldeten Sessel zu kombinieren.

Mozartkugel-Würfe

Die übrigen Sitzgelegenheiten sind grün, und man greift intuitiv nach einer vollen Ladung Mozartkugeln, den Meister dorthin zu bomben, wo er auch hingehört: in die 80er-Jahre, in denen man sich unter Design etwas unbedingt Lustiges vorzustellen hatte. Da hilft letztlich nur noch die Zuflucht. Eva Schlegl hat eine Lounge gebaut - so etwas braucht ein Museum heutzutage unbedingt - in der man es echt aushält. Zumal man ja im Shop ein Buch kaufen kann, um abzutauchen.

Salzburg hat nun also auch offiziell ein Museum der Moderne. Es schaut tadellos aus, ist aber voll von Kunstwerken, die gemäß der Vision ausgesucht wurden, es möglichst schnell verwechselbar zu machen. Das ist schade. Weil, wie Tim Noble & Sue Webster in ihrer Neonarbeit so allgemein gültig feststellen: Man hätte so gerne wieder einmal „fucking beautiful“ gesagt und damit nicht nur die Hülle gemeint.

Der Standard, Sa., 2004.10.23



verknüpfte Bauwerke
Museum der Moderne

25. Oktober 2003Markus Mittringer
Der Standard

Blaue Blase fertig, passende Kunst gesucht

Schon „Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst“, die erste Schau im Grazer Kunsthaus, zeigt, dass es einigermaßen schwierig werden wird, aus der blauen Blase einen brauchbaren und variablen Kunstraum abzuleiten. Andernorts hätte man im Folgenden die Kunst besprochen.

Schon „Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst“, die erste Schau im Grazer Kunsthaus, zeigt, dass es einigermaßen schwierig werden wird, aus der blauen Blase einen brauchbaren und variablen Kunstraum abzuleiten. Andernorts hätte man im Folgenden die Kunst besprochen.

Einmal in die Jahre gekommen, wollen ältere Gebäude immer wieder einmal radikal gesäubert werden, heißt, von nachträglichen, im Lauf der Zeit oft wuchernden Einbauten befreit, wieder in den Urzustand zurückversetzt werden. Oft passiert das aus praktischen Erwägungen, oft ist so eine Radikalkur, genauso wie der Zubau vorweg, schlicht von Tagesmoden bestimmt.

Beim Kunsthaus Graz ist das anders: Es ist als Substanz brandneu, basiert aber auf einer optimistischen Idee aus den 60er-Jahren oder auch auf jenen Überlegungen zum Ausstellungsraum, die Friedrich Kiesler noch viel früher entwickelt hat. Das neue Kunsthaus Graz muss, um als Ausstellungsraum überhaupt erst bespielbar zu sein, gleich vorweg mit allerhand Ein- und Anbauten versehen werden.

Mit Stellwänden, Verschlägen und Kobeln musste ihm Direktor Peter Pakesch erst einmal ein Fassungsvermögen zimmern lassen, um Kunst, im konkreten Fall viel Flachware, überhaupt unter- und vor allem anbringen zu können. Weil: Wo kein Flecken gerader Wand, da lässt sich ohne besondere Vorrichtungen (vergl. Kieslers Vorschläge, die Bilder durch Arme gehalten vor den gekrümmten Flächen quasi schweben zu lassen) nichts anbringen. Dasselbe gilt im Übrigen für Projektionen: Auch dafür müssen künftig Ausstellung für Ausstellung eigens kostenintensiv Wände aufgezogen werden.

Zu diesen Basisschwierigkeiten kommt die Nebensächlichkeit, dass es für nicht selbsttätig leuchtende Kunst in den amorphen Gewölben an der Mur (man sieht sie bedauerlicherweise von innen nicht) schlicht zu dunkel ist. Aber Sponsoren sei Dank kann man alles nachjustieren. Und bevor man sich jetzt schon die Frage stellt, ob denn diese Präsentationsbedingungen den einzelnen Objekten gerecht werden, ist die Frage beantwortet, ob denn die Wände und Kobel die Architektur stören würden.

Ja! Jetzt teilen die sicherheitsbewusst massiv verbauten Schlitze für die Rolltreppen die beiden Ausstellungsebenen ohnehin schon brachial in Hälften, und dann steht auf den mageren verbliebenen Freiflächen auch noch inständig eine Barriere im Weg, um einen Blick so weit schweifen zu lassen, dass man dessen Strecke bezogen auf die Architektur auch als Achse bezeichnen könnte.


Maßkunsthaus

Man muss sich den durch die Einbauten evozierten Effekt in etwa so vorstellen, als könnte ein auf Eventgastronomie spezialisierter Baumeister ohne ökonomische Einschränkungen seiner Fantasie kreativ freien Lauf lassen und eine Raststätte als artifizielles Durcheinander von Themenwirten gestalten. In der oberen Ausstellungsebene - der mit den neonverstärkten Lichteinlass-Nozzles - schwebt über dem verunglückten Haufendorf dann noch ein Himmel voller fremder Galaxien.

Sicher, es wird sich Kunst finden - oder eher extra anfertigen lassen -, die mit all dem ordentlich zurechtkommt, und Pakesch hat ja seine Eröffnungschau Einbildung - Das Wahrnehmen in der Kunst als erste einer langen Reihe von Ausstellungen definiert, die versuchen werden, Grundlagen für dieses architektonische Experiment zu erarbeiten. Die Angst, der fortwährend erzwungene Raumbezug könnte die Möglichkeiten eines Hauses für permanent wechselnde Präsentationen zu sehr einschränken, es schlichtweg rasch fad werden lassen, in jeder Schau Peter Cook und Colin Fournier zum Thema zu haben - diese Angst konnte die Einbildung jedenfalls nicht lindern.

Eine Schau, die im besten Sinn ordentlich gemacht ist, das Thema der Perzeption variantenreich anreißt, eine Schau, die als Einführung in Grundlagen der Kunstbetrachtung ebenso für ein breites Publikum geeignet wie ob der Qualität einzelner Arbeiten auch Spezialisten zu befriedigen im Stande ist.

Wenn aber dann doch zwangsläufig die zugleich einströmenden Wahrnehmungen von Schauraum und Schaustück schmerzlich kollidieren, sei ein Besuch in Olafur Eliassons Rundum-Lichtraum anempfohlen: Das ist eine entspannende Lichttherapie für den gestressten internationalen Kunstfreund. Harmlos und schön. Oder ein Irren in Gianni Colombos Spazio Elastica - einem Nachbau, begründet durch die glaubwürdige Versicherung, man hätte das Original schon bei der legendären Grazer Trigon '67 zukunftsweisend gefunden.


[Bis 18 1. 2004
www.kunsthausgraz.at]

Der Standard, Sa., 2003.10.25



verknüpfte Bauwerke
Kunsthaus Graz

03. Oktober 2003Markus Mittringer
Der Standard

„Man muss Künstler finden, die kämpfen können“

Der venezianische Architekturtheoretiker Marco De Michelis kam zum ersten „Kunsthaus Jour fixe“ nach Graz. Thema der vom Standard mitveranstalteten Diskussionsreihe war das „Friendly Alien“ selbst. Davor schilderte er erste Eindrücke.

Der venezianische Architekturtheoretiker Marco De Michelis kam zum ersten „Kunsthaus Jour fixe“ nach Graz. Thema der vom Standard mitveranstalteten Diskussionsreihe war das „Friendly Alien“ selbst. Davor schilderte er erste Eindrücke.

Er kam nach Graz, ohne sich vorher Fragen gestellt zu haben. Marco de Michelis, Dekan der Architekturfakultät von Venedig und bis 2003 Professor an der Bauhaus-Universität Weimar, war aber hochgradig neugierig. Immerhin gab es das erste Gebäude zu besichtigen, das Peter Cook, ein weltberühmter Architekt, mit 66 vorlegt.

Und? „Positiv, städtebaulich witzig, weich, nicht so aggressiv, ein Ball. Es wirkt temporär, wie eine Installation, aufgeblasen, und in zwei Wochen geht die Luft aus und alles verschwindet. Jetzt gilt es zu warten, wie ein festeres städtisches Bild entstehen wird.“

Die Transparenz schätzt De Michelis, die Inszenierung, den Sog nach oben, den zwingenden Parcours, den die Rolltreppen vorgeben. Fraglich erscheint ihm der unterschiedliche Charakter der beiden Ausstellungsebenen. Hier beginnt dann wieder die ewige Diskussion um die „White Box“. Der neutrale Raum hat sich zwar als funktionsfähig erwiesen, aber als endgültige Lösung möchte De Michelis ihn nicht zementiert wissen. Das wäre auch historisch nicht haltbar: „Alte Museen waren auch nie neutral. Die Kunst musste immer eine Dialektik entwickeln. Wir haben alle wunderbare Ausstellungen gesehen in Räumen, die total schwer zu bespielen sind. Und langweilige in weißen Boxen. Die erste Etage in Graz kann da auch Impulse geben. Skeptisch bin ich bezüglich des oberen Raums. Da haben sich die Architekten überschätzt. Das Beleuchtungssystem sieht aus wie eine Installation von Lucio Fontana. Da muss man schon jemanden finden, der in der Lage ist, dagegen zu kämpfen. Sol LeWitt, der 2004 dort ausstellen wird, sollte aber genug Quadratisches liefern, um gegen den oberen Raum zu boxen.“

Das Grazer Kunsthaus sei „sympathisch naiv“, voller Details, die architektonisch nicht richtig zu Ende gedacht wurden, der Preis eben für eine Planung in „jugendlich-unkritischem Optimismus“. Und: „Ein bisschen alt ist es geboren, auf erstaunliche Weise nicht aktuell. Obwohl ich es nicht als spät realisiertes Werk von archigram sehe. Aber es ist in diesem Zeitgeist der 70er-Jahre“.

Herzog/de Meuron oder Zumthor, diese „so genannten Minimalisten“ der jüngeren Generation, verteidigt De Michelis das Naive, „sind so seriös, sie dramatisieren jedes Problem, jedes Detail wird zu einem Dilemma hochstilisiert. Etwa Bregenz ist von ungeheuerer Härte. In Graz ist alles spielerisch, dass ist eine Qualität.“

Ob man anstatt von Spielerisch nicht auch von einem zu großen Kompromiss zwischen Entwurf und Realität sprechen könnte? „Es braucht doch diese besonderen Technologien nicht. Man muss damit aufhören, immer Raketen bauen zu wollen. Wer behauptet, er würde Raketentechnologie benutzen wie Foster oder Rogers, der ästhetisiert doch nur den Traum einer Moderne. Das ist marktorientiert, da geht es doch nur darum, den Leuten vorzugaukeln, dass die Fabriken nicht schmutzig, sondern so sauber sind wie eine Waschmaschine, und so sehen sie dann auch aus.“

Könnte es sein, dass der Hang zu spektakulären Entwürfen am Wettbewerbssystem selbst liegt, daran, dass jeder die Jury um jeden Preis zu beeindrucken sucht? „Die Physiologie des Wettbewerbs ist: Wenn du gewinnen willst, darfst du nur eine klare Idee liefern, für mehr haben die Preisrichter keine Zeit, man gewinnt mit einer Leitidee. Und die bleibt zu oft auch die einzige des Gebäudes.“


Hose zu klein

Und in Wien, wo dem MuseumsQuartier auch ein Wettbewerb voraus ging? „Ich habe nie verstanden, warum man das gemacht hat, brauchte man etwas so Zentrales? Die Architekten haben fein gearbeitet, aber es ist ein bisschen langweilig und ein bisschen zu dick. Es ist ein Gebäude Größe 54 in einem Paar Hosen Größe 48.“

Und die begehrteste Baugrube der Welt, „Ground Zero“, kann man so etwas einfach ausschreiben? „Eindeutig nein. Am Bewerb haben einige der besten Architekten der Welt - Amerikas - teilgenommen und einige der intelligentesten. Und der Entwurf von Liebeskind ist so katastrophal im Vergleich zum Jüdisches Museum in Berlin oder dem Museum in Osnabrück. Wenn die Metaphern, wie hier das Jahr der Unabhängigkeitserklärung, nicht aus dem Bauch des Architekten kommen, sondern aus Politik und Berechnung erwachsen, kommt es zu einer Tragödie wie der geplanten.“

Der Standard, Fr., 2003.10.03



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Kunsthaus Graz

27. August 2003Markus Mittringer
Der Standard

Das andere Kulturinstitut

Ein Projekt der MAK-Dependance „Schindler House“ in L.A. sorgt für produktive Aufregung: Ein Architekturwettbewerb auf fremdem Grund kratzt am selbstverständlichen Umgang der Amerikaner mit Eigentum und sorgt für Medienrummel abseits von Arnies Kandidatur.

Ein Projekt der MAK-Dependance „Schindler House“ in L.A. sorgt für produktive Aufregung: Ein Architekturwettbewerb auf fremdem Grund kratzt am selbstverständlichen Umgang der Amerikaner mit Eigentum und sorgt für Medienrummel abseits von Arnies Kandidatur.

West Hollywood - Österreich hat ja zwei Kulturinstitute in den Vereinigten Staaten von Amerika: eines in New York, das vor allem über die komplex unglücklichen Umstände seiner Werdung und sein architektonisch wertvolles, endgültiges Äußeres auf sich aufmerksam gemacht hat, und eines in West Hollywood, Los Angeles, das auch programmatisch Interesse zu wecken aus eigenen Stücken imstande ist - nicht nur hierzulande, sondern genau dort, wo die Mission greifen sollte: in den USA und von dort aus weiter.

Raimund Abrahams Kulturinstitut in New York, das offizielle, hatte von Konzeption an mit der Enge einer Lücke in Manhattan zu leben, Rudolph M. Schindlers, in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts gezimmertes Privathaus in Los Angeles - seit 1995 als „MAK Center for Art and Architecture“ höchst selbsttätige Dependance des Wiener Museums für angewandte Kunst (und als solche im Besitz der Republik Österreich) - versucht gerade jetzt ein künftiges Dasein als „gerahmtes“ Kunstwerk zu verhindern.

Ursprünglich für ein semiurbanens - nach allen Seiten hin offenes - Gebiet konzipiert, führt das Schindler House mittlerweile ein Halbinseldasein. Heute, inmitten eines dicht gepackten Wohngebietes zwischen Sunset und Santa Monica Boulevard am Fuß der Hollywood Hills gelegen, ist Schindlers architekturhistorischer Schlüsselbau einseitig von einem Condominium (Eigentumswohnanlage) bedrängt, dessen Scheußlichkeit die Bambushecke um das „Museum“ kaum zu vertuschen vermag.

Und es soll demnächst auch seine verbliebene offene Seite einbüßen - und damit endgültig vom Haus zum Denkmal degradiert werden. Also tat MAK-Direktor Peter Noever in der Heimat der Mutigen unfassbar „Unkorrektes“: Wissend, dass das bislang von einem unauffälligen Einfamilienhaus besetzte Nachbargrundstück an einen Developer verkauft und von diesem optimal verplant wurde, rief er einen Wettbewerb aus, das benachbarte Eigentum - und damit das Fundament US-amerikanischer Moral - infrage zu stellen.

Odile Decq+Benoît Cornette, Peter Eisenman, Zaha Hadid, Coop Himmelb(l)au, Günther Domenig, Mark Mack, Eric Owen Moss, The Next Enterprise, Dominique Perrault, Lebbeus Woods und andere Celebrities der fortgeschrittenen Bauwelt beteiligten sich mit Ideen und Entwürfen an der „feindlichen“ ideellen Übernahme. Wer, wie Frank Gehry, Roberto Gottardi oder Carl Pruscha nicht teilnahm, saß in der Jury. And the winners are: Decq/Cornette, Peter Eisenman, Zaha Hadid Architects.

Bauen wird aller Wahrscheinlichkeit nach keiner. Und die Möglichkeit, das Grundstück einfach zu kaufen und brach liegen zu lassen ist auch zu teuer (für Interessenten: drei Millionen Dollar plus die Kosten bereits getätigter Investitionen). Und dennoch hat dieser Wettbewerb eine zentrale Aufgabe von Architektur erfüllt: Es wurde „site-specific“ gedacht, und nicht orientiert an Profit und bestehenden Bauordnungen.

Genug, hitzige Diskussionen auszulösen, genug für eine Netto-Seite in der New York Verdana. Genug für einen kleinen Clash of Cultures.

Richard Loring heißt der in einer öffentlichen Diskussionsrunde von Wettbewerbsarchitekten und Juroren angegriffene Developer, Lorcan O'Herlihy sein ausführender Architekt. Beide - für Qualität so gut beleumundet, dass etwa Tom Mayne von Morphosis eine Teilnahme am „Wettbewerb“ gegen den Kollegen absagte - verstanden die Wien-geleitete europäische Welt nicht mehr (oder schon wieder nicht). Hatten sie doch alles getan, nicht am Schindler House zu kratzen, hatten in einer Subversion wider das Kapital bloß 18 statt 23 möglicher Apartments geplant, sich unter der Bambushecke geduckt verhalten, brav versucht, den Stil Schindlers zeitgemäß zu adaptieren, und um alles in der Welt keinen Schatten auf das Juwel zu werfen.

Und der Dank: Europa sagt - vertreten durch Odile Decq, Peter Noever und Carl Pruscha -, „verstecken ist ganz feig, überhaupt das Ärgste, zu tun als ob, nachgerade peinlich“. Wenn Zaha Hadid - wider alle Flächenwidmung einen 23-stöckigen Turm ersinnt, dann würde etwa Carl Pruscha sich in dessen Schatten im Schindler House geradezu wohl fühlen. Weil das Einzige, was guter Architektur nichts anhaben kann, so die Juroren, gute, und damit visionäre, nicht anpassungswütige, Architektur ist. Der penibel erarbeitete Kompromiss von O'Herlihy dagegen ein Worst-Case-Scenario. Der Ausgang der Geschichte ist offen, zur Illustration sei Folgendes ins Bewusstsein gerückt: Wie souverän könnte des Erdberger Wittgensteinhaus heute dastehen, wäre es beizeiten gelungen, das bronzeschillernde Büroungetüm in dessen verlängertem Park zu verhindern.

Der Standard, Mi., 2003.08.27

03. April 2003Markus Mittringer
Der Standard

Lust, Platzangst und Atemnot

Im Migros-Museum wird das „Unheimliche“ als Netz von Erzählsträngen, Raumfolgen und Defekten aufbereitet. Raum wird extrem beschrieben: als mysteriöser Ort, als Zelle oder Unendlichkeit. In jedem Fall als Versuchung.

Im Migros-Museum wird das „Unheimliche“ als Netz von Erzählsträngen, Raumfolgen und Defekten aufbereitet. Raum wird extrem beschrieben: als mysteriöser Ort, als Zelle oder Unendlichkeit. In jedem Fall als Versuchung.

Zürich - Verzaubert und in die Wüste geschickt - das kann ganz schön Angst machen. Oder auch anturnen. Allein, getrieben und von allem und jedem entfremdet in der Großstadt herumzuirren detto. Ferngesteuert, ausgeliefert, fremdbestimmt oder ganz verlassen - auch gut. Meist hat es mit Raum zu tun, wenn einem so richtig superunwohl zumute ist. Ist er leer, ein Horror. Zu eng, ein Horror. Unbegrenzt - Angst. Krümmt und biegt er sich - Wahnsinn. Erzählt er von Abwesenden - Schauder. Deutet er auf Anwesende hin - Furcht. Ist er fenster- wie türlos - Panik. Mündet er in immer neue Räume - auch Unbehagen. Außerdem kann er noch scharfkantig, abschüssig, zu kalt, zu heiß, zu hell, zu dunkel, zu feucht oder zu trocken sein. In jedem Fall ist so ein Raum eine Herausforderung.

„Bewitched, Bothered and Bewildered“ versammelt eine ganze Reihe von Raumerfahrungen zum Nacherleben, Mitfürchten oder - fast schade - zum Ergründen, wie und warum recht simple Konstruktionen so unheimlich sein können.

Unheimlich ist vor allem die latente Bedrohung. Ob die nun real existiert, früher oder später doch in der Gestalt der Katastrophe eintrifft, auf Probleme mit den eigenen Synapsen zurückzuführen ist oder einfach darin besteht, dass man mit Raum eine Behörde verbindet und daher sogleich untertänigst in Ohnmacht verfällt und das gestempelte Schicksal hinnimmt, ist eigentlich egal. Räume sind voller Zustände. Erschreckender Zustände.

Und die färben ab: Markus Schinwald zeigt mit seinem Film Dictio Pii sieben Personen, die in schäbigen Hotelgängen und -zimmern ewig gleichen, befremdlichen Ritualen nachgehen, deren Gemeinsamkeit darin besteht, letztlich unbefriedigend zu sein: Die Protagonisten fahren Lift, nutzen mechanische Hilfsmittel, um soziales Verhalten wie Lächeln oder bestimmte Körperhaltungen nachzuahmen, rauchen, schütteln unentwegt Staub von sich ab, räumen Kästen ein und wieder aus. Im Wissen, dass alles Begehren unerfüllt bleibt, haben sie keine Eile. Man hört, sie wären nicht arm, sie würden bloß nichts (an-)nehmen.

Die Videoinstallation Star City von Jane und Louise Wilson zeigt Gerätschaften in der einst geheimen Raumfahrerstadt Baikonur, mit denen für den ersten bemannten Raumflug trainiert wurde. Völlig schwerelos schwebt die Kamera durch den Ort, an dem einst ein Versuch begann, Utopie Tat werden zu lassen, zeigt, welch derbes Gerät dazu verhalf, ein Stück ins Weltall vorzudringen. Der Ort erscheint so verlassen wie unwirklich. Er existiert bloß noch im Gedächtnis dessen, der sich seiner - irgendwo weit weg schwebend - gerade erinnert.

Wirklich verlassen ist Brasilia. Matthias Müller besuchte die „Hauptstadt der Hoffnung“ der 50er-Jahre, die heute als entvölkertes Weltkulturerbe für das Scheitern sozialer Utopien steht (Vacancy, 1988). Anish Kapoor hat - ähnlich wie in der Tate Modern in London, nur weitaus kleiner - ein Füllhorn auf Staubsaugerbetrieb umgestellt, zieht Blicke ab, verspricht einen Fluchtweg aus dem Raum ins Nichts.

Über einen kurzen - angeblich recht bewusstseinserweiternden - Moment ebenfalls ins Nichts laden die Schweizer Architekten Décosterd & Rahm. Ihr Raum (ND Cult, 2003) ist ein dunkles, durch schwere schwarze Vorhänge isoliertes Sterbezimmer. Zentral und hell erleuchtet steht ein Plexiglaskubus. Innerhalb dieses Schneewittchensarges ist der Sauerstoffgehalt auf 6 % gesenkt. Kurzfristig kann die Atmosphäre halluzinogene Zustände hervorrufen, mittelfristig Schäden, längerfristig erstickt man. Obwohl - behauptet die Einspielung vom Band - beim noch ganz jungen Menschen Sauerstoffmangel die Zellentwicklung stimuliert. Eine Arbeit zum beliebten Thema „Die Lust und ihr Preis“.


[Bis 25. Mai]

Der Standard, Do., 2003.04.03

22. März 2003Markus Mittringer
Der Standard

Ein strahlendes Wahrzeichen für die Kunst

Nach dem keltischen Wort für „Flusskrümmung“ wurde das neue Linzer Museum moderner Kunst benannt: Lentos. Das am Donauufer gelegene Haus ist beinahe fertig gestellt. Es rückt die Innenstadt näher an den Fluss, „verbindet“ auf grandiose Weise Hauptplatz und Brucknerhaus.

Nach dem keltischen Wort für „Flusskrümmung“ wurde das neue Linzer Museum moderner Kunst benannt: Lentos. Das am Donauufer gelegene Haus ist beinahe fertig gestellt. Es rückt die Innenstadt näher an den Fluss, „verbindet“ auf grandiose Weise Hauptplatz und Brucknerhaus.

Linz - Wenn mit 18. Mai das „Lentos - Kunstmuseum Linz“ eröffnet, wird kein Vertreter des Bundes ein „Gesichtsbad“ nehmen. Wozu auch? Kein Cent des Bundes steckt im Neubau. „Die sollen uns gern haben“, gibt sich der Linzer SP-Bürgermeister Franz Dobusch anlässlich der Präsentation des (fast) fertigen Museums am Donauufer empört.

All seine diesbezüglichen Reisen nach Wien „waren das Benzin nicht wert“, die Antwort monoton gleich lautend: „Kein Geld!“ „Die Wien-Lastigkeit der Bundesmuseen ist unerträglich“, ergänzt (ÖVP-) Vizebürgermeister und Kulturstadtrat Reinhard Dyk, bevor Lentos-Direktor Peter Baum „die Art und Weise, wie der Bund sich abputzt“, als schlicht „unerträglich“ charakterisiert. Also wird „nur“ der Bundespräsident eröffnen.

Finanziert und in den letzten 29 Monaten errichtet wurde das Museum trotzdem. 33 Millionen Euro hat der 8000-Quadratmeter-Bau (davon 2700 Quadratmeter reine Ausstellungsfläche) gekostet. Rund 7,3 Millionen Euro steuerte das Land bei, knapp drei Millionen konnten über Sponsoren aufgebracht werden. Der Rest entfällt auf die Stadt Linz, wobei der Verkauf der ehemaligen Museumsräume der Neuen Galerie der Stadt Linz im Geschäftszentrum Lentia rund 2,5 Millionen Euro erbrachte, der Hauptteil der Summe über ein Finanzierungsmodell auf 20 Jahre aufgebracht wird. Zum Vergleich: Das Grazer Kunsthaus, das mit 43,6 Millionen Euro budgetiert ist, wovon der Bund ein Drittel beisteuert, kommt bei einer Bruttogeschoßfläche von 9000 Quadratmetern auf 2100 Quadratmeter Ausstellungsfläche.

Der 130 Meter lange Baukörper des Schweizer Architekten Jürg Weber rückt das Linzer Stadtzentrum unmittelbar an den Fluss. Eine 60 Meter lange offene Skulpturenhalle ist dem Bau eingeschnitten und rahmt ihrerseits den gegenüberliegenden Stadtteil Urfahr mitsamt dem Linzer Wahrzeichen Pöstlingberg.


Variable Erscheinung

Je nach Distanz, Blickwinkel und Lichteinwirkung zeigt sich das Lentos außen reflektierend oder durchscheinend. Der ganze Bau ist mit einer semitransparenten Glashülle überzogen, unzählige Male wiederholt sich - in Chrom aufgedampft - der Schriftzug „Kunstmuseum Lentos“. In der Schrift spiegelt sich die Umgebung wider, die Freistellen lassen die anthrazitgraue Fassade durchscheinen. Nachts kann das Haus durch Leuchten hinter der äußeren Glasfassade in verschiedenen Farben und Intensitäten zum Strahlen gebracht werden.

Im Inneren des Hauses wird der „Panoramablick“ der Halle mit einem 40 Meter langen Fensterband erneut aufgenommen. Im Erdgeschoß finden sich Foyer, Shop, Gastronomie, Büroräume und eine großzügige Veranstaltungshalle. Unter der Erde sind die Lager, die Restaurationswerkstätten, die Bibliothek und weiters noch zwei Ausstellungsräume für lichtempfindliche Grafik und Fotografie untergebracht.

Das Obergeschoß ist Ausstellungstrakt und über die gesamte Länge durch eine durchgehende Glasdecke belichtet - so kann weit gehend auf Kunstlicht verzichtet werden. (Orientierungs-)Blicke ins Freie gestatten nur Schlitze im Bereich des Haupttreppenhauses. Zur Eröffnung zeigt sich die Etage zweigeteilt: Ein Trakt bleibt als 40 mal 21 Meter große Ausstellungshalle unverbaut, im zweiten bestimmen frei stehende Wände einen Rundgang durch elf Kammern.

Zur Eröffnung wird Direktor Peter Baum die ständige Sammlung des Lentos mit Schwerpunkten bei Jahrhundertwende und Expressionismus (Klimt und Kokoschka), österreichischer Malerei zwischen 1918 und 1938 (Egger-Lienz), Kunst nach '45, Informel, Abstraktem Expressionismus, geometrischer Abstraktion und Pop-Art, Neuer Malerei der 80er bis hin zu pluralistischen Tendenzen der Gegenwart präsentieren.

Aus den 1320 Exponaten an Malerei, Skulptur und Objektkunst wählt Baum einen Überblick mit u. a. Karel Appel, Stephan Balkenhol, Herbert Bayer, Christo, Egon Schiele, Oskar Kokoschka, Maria Lassnig, Markus Lüpertz, Emil Schuhmacher und Andy Warhol. Ergänzt wird der Auftakt durch einen Querschnitt der Fotosammlung mit Arbeiten von Herbert Bayer über Mario Giacomelli, Inge Morath, Shirin Neshat bis Edward Streichen und Jan Saudek.

Im September wird Peter Baum exemplarische Zeichnungen und Lithografien aus der Kubin-Sammlung seines Hauses vorstellen. Und mit der Gruppenschau Paris 1945 bis 1965 rund um die „Ecole de Paris“ im Haus eine Abschiedsvorstellung geben. Anfang 2004 wird er, nach gut 30 Jahren als Direktor, das Lentos in Richtung Pension verlassen. Sein Nachfolger - die Ausschreibung sollte im Sommer stattfinden - wird eines der klarsten, logistisch bestens angelegten und auch schönsten Häuser nicht nur Österreichs übernehmen.

Der Standard, Sa., 2003.03.22



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Lentos Kunstmuseum

11. Januar 2003Markus Mittringer
Der Standard

Geborgen hinter Gittern

Die Mur-Insel, das schwimmende „Amphitheater“ des New Yorker Architekten Vito Acconci, soll als eine Spielstätte des Kulturhauptstadtjahres rund 250 Besucher fassen und für Konzerte, Film- und Tanzvorführungen genutzt werden.

Die Mur-Insel, das schwimmende „Amphitheater“ des New Yorker Architekten Vito Acconci, soll als eine Spielstätte des Kulturhauptstadtjahres rund 250 Besucher fassen und für Konzerte, Film- und Tanzvorführungen genutzt werden.

Bisweilen ist Graz recht zweigeteilt. Oder eher noch unentschlossen. Zum einen kann man mit Richard Kriesches Marienlift ein Stück in den Himmel über Graz fahren, zum anderen den Lift hinunter zum Mur-Ufer nehmen - einem künstlichen Eiland entgegen. Lässt sich die Himmelfahrt als spätes demokratisches Aufbegehren verstehen, als selbstbewusster Akt der frisch gebackenen Kulturhauptstädter, ihr Graz ebenso mütterlich von oben zu betrachten, von der Ebene der obersten Urheber aus für sein Wohlergehen zu beten, so legt die Mur-Insel praktisch ein gegenteiliges Verhalten offen.

Wer hinabfährt an die Uferbänke oder sich von der Innenstadt bzw. vom Gries her kommend über einen der beiden Stege knapp über den Mur-Spiegel begibt, dem muss der Uhrturm noch viel höher erscheinen, der stellt sich noch tiefer unter die Fuchtel des Wahrzeichens.

Und kann dort, auf der Insel, die Robert Punkenhofer erdacht und Vito Acconci dann entworfen hat, künftig Kaffee trinken oder von den geschwungenen Stufen des Miniaturamphitheaters aus künstlerischen Darbietungen lauschen, oder auch nur dem Spiel der dunklen Wellen. Mit heftigem Seegang ist nicht zu rechnen, eine edelstählerne Doppelreling verhindert aber dennoch unliebsame Ausrutscher ins Fließwasser.

Der Amerikaner Acconci, der einst das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) „verdoppelte“, um den Klon genial mit dem Original zu verschneiden, muss irgendwie an Fabergé gedacht haben - und dessen Eier. Zwei kunstvoll miteinander verschnittene Halbschalen bilden das artifizielle Eiland, deren eine sich verglast schützend über das künftige Café wölbt, die andere den Himmel zeigt und den Stadtteil Gries hinter Gittern. Geborgen ist man dort, fernab und doch zentral. Man hockt in einer Schüssel und erinnert sich der Kurkonzerte, die in vergleichbaren Pavillons zu ertragen man immer doppelt Schlagobers bestellte.

Natürlich ist es eine Neuinterpretation des traditionsreichen Müßigganges. Wie alles in Graz weitaus schicker. Es passt gut zu den edlen Wartehäuschen am Hauptplatz, zur neuen Trafik aus edlem Stahl und hartem Glas ebendort. Und es passt auch gut zum neuen Kunsthaus, das in Sichtweite entsteht und dort schon erste Noppen in den Grazer Himmel reckt. Man spürt schon: Die Insel wird „in“ werden, ein Platz für die schönen Grazer, die schon alt genug sind, samstags mit edlen Papiertüten voll von frisch erworbenem Konsumgut dort auszuspannen, aber noch jung genug, nicht ob der Kombination aus Stahl und Feuchtigkeit dem Rheumatismus anheimzufallen.

Die Plattform für Bergziegencarpaccio an einer Cuvée allerjungfräulichster Olivenöle nebst gehobener Kleinkunst wird dankbar angenommen werden. Es ist ein guter Ort: einsichtig, „schräg“, aber elegant. Ein weiteres Lokal, sich „kulturell“ zu fühlen.

Der Standard, Sa., 2003.01.11



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Insel in der Mur

19. September 2002Markus Mittringer
Der Standard

Architektierkundeunterricht

Unter dem Titel „trespassing“ versucht man in der Secession, Architekten aufgrund ihrer Eigenschaften zu klassifizieren. Unterdessen in Kabinett und Keller: Dialoge mit Singvögeln.

Unter dem Titel „trespassing“ versucht man in der Secession, Architekten aufgrund ihrer Eigenschaften zu klassifizieren. Unterdessen in Kabinett und Keller: Dialoge mit Singvögeln.

Wien - Henrik Hakansson beobachtet Vögel und andere Tiere. Sandrine von Klot und Angelika Fitz beobachten Architekten. Im Gegensatz zu Hakansson ist von Klot, was sie beobachtet: Architektin, Mitglied der zumindest sprachdestruktivistischen Gruppe ESCAPE*spHERE. Angelika Fitz ist freie Kulturwissenschafterin „in wechselnden interdisziplinären Konstellationen an den Schnittstellen der Bereiche Kunst, Architektur und Cultural Studies, mit den Schwerpunkten ,öffentliche Handlungsfelder' und ,kulturelle Differenz'“. Jedenfalls hat sie die eigene Praxis übergreifend mit der von Klots zum Projekt Trespassing verschränkt und temporär in den semiöffentlichen Raum der Künstlervereinigung Secession eingeschrieben.

Hakansson verwendet zwecks kritischer Analyse der Schnittmenge von Konrad Lorenz, den Besetzungspraktiken der internationalen Filmindustrie und dem überaus bedrohten Vogel Balistar (unter Ornithologen auch Bali Mynah oder Leucopsar rothschildi genannt) „unterschiedliche Registrierungsapparaturen und Visualisierungsmedien, etwa Überwachungskameras, Hochgeschwindigkeitsfilme und Computerprogramme, zur akustischen und motorischen Analyse, wie sie in wissenschaftlichen Experimenten und Forschungsprojekten eingesetzt werden“.

Woran man schon sehen kann, dass ein Vogerl zu filmen wahrlich ein Mammutprojekt ist. Zumal der Film als solcher seit Andy Warhols Valium-Ersatzprogramm Empire State Building und Sleep ja auch nur mehr durch mehrere bidirektional interagierende Kontexte gebrochen, sinnstiftend anzuschauen, geschweige denn herzustellen ist. Also hat Henrik Hakansson im Zoo von Schönbrunn 18 Stunden lang ein Balistarpärchen gefilmt, womit er jenes grob undemokratische videografische Porträtverfahren kritisch zitiert - Casting! -, mit dem sich bekannterweise dicke Studiobosse Vorteile in Bett und Bank verschaffen.

Es ist erschütternd, angesichts des originalgetreuen Nachbaus der Schönbrunner Voliere im grafischen Kabinett der Secession mit der schmutzigen Wahrheit allein gelassen zu werden, dass Schauspieler am Set gehalten werden wie die Vogerln im Käfig. Ebenso hintergründig angelegt ist Hakanssons auf 16 mm gedrehter Hochgeschwindigkeits-Loop einer Feldlerche im „optimalen“ Flug zwischen „Nirgendwo“ und „Irgendwo“. Den Soundtrack dazu (mit den Schlagern The Blackbird-Song for a new breed und Nightingale-Love two times ) gibt es limitiert auf feinstem Vinyl.

Architekten sind weniger bedrohte Arten. Was - wie trespassing zeigt - an ihrer Anpassungsfähigkeit an wechselnde Lebensbedingungen, ihrer Paarungsfreudigkeit mit anderen Arten und ihrer Absage an das Genie zugunsten der Gruppe liegen mag. Jedenfalls bauen sie am Ende immer noch Häuser. Wie sie dazu kommen, woran sie dabei denken, welche drolligen Schritte sie unternehmen, bis ihr Handeln dann räumliche Konturen annimmt, ist in vielen Stationen eines Erlebnisparcours so fesch wie anschaulich dargelegt.

Das „Universum“ Architektur zeigt in Hör- und Sehstationen, Videos mit Spielhandlung, anhand vieler Pläne, Skizzen und Geistesblitznotate, welch breit gestreutes Forschen und Tun heutzutage auf einen Bau hinausläuft. Konventionelle Architekturmodelle fehlen auch nicht. Als Orientierungshilfe dient eine Kartensammlung in der Art von Farbton-Tabellen. Jedes Architektenteam kann damit aufgrund seiner Methode, Techniken und Effekte bestimmt werden. Bei Pau- hof sieht das dann so aus: „Methode: Implizite Volumen; Techniken: Überlagerungen; Effekt: Polare Oppositionen.“ Schade, dass es für Hakansson keine Karte gibt. Bis 3. 11.

Der Standard, Do., 2002.09.19

18. September 2002Markus Mittringer
Der Standard

Münchens Heldenberg in der Schuhschachtel

Mit der Pinakothek der Moderne eröffnete am Dienstag in München eines der weltweit größten Museen für bildende und angewandte Künste. Auf 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche hat Architekt Stephan Braunfels vier große Sammlungen vereint.

Mit der Pinakothek der Moderne eröffnete am Dienstag in München eines der weltweit größten Museen für bildende und angewandte Künste. Auf 12.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche hat Architekt Stephan Braunfels vier große Sammlungen vereint.

München - Stephan Braunfels ist Eklektizist: Im Fall der Münchner Pinakothek der Moderne definiert er sich durch die Übernahme der Lehrstücke von Richard Meier, von Axel Schulthes, von Oswald Mathias Ungers - und zollt dabei dem alten Schinkel wie auch Leo von Klenze, der mit der Alten Pinakothek 1836 die bayrische Mutter aller Museen aus dem Geist der Basilika erschaffen hat, den gebührenden Respekt.

Die Mischung ergibt ein verhaltenes Machtwerk, ein Kanzleramtskunstmuseum. Es lässt die Maler-Meister des 20. Jahrhunderts im Oberlicht strahlen, es erhöht die milde Stromlinie des Volkswagens, es schmeichelt Luigi Collani, den Rudolf Mooshammer unter den Designern, es lässt den Kandidaten Stoiber beim Staatsakt in der Rotunde in einer tragenden Rolle erscheinen. Oder: Wahlkampf im Getty-Museum auf bayrischem Grund, dort wo der Zweite Weltkrieg die Türkenkaserne für die spätere Nutzung als Parkplatz vorbereitet hat, dort, wo der Münchner zu seiner Erbauung gerne den Zirkus Roncalli aufsuchte. Eine Art bajuwarisches Centre Pompidou hätte dort gar nicht hingepasst, und einen Edmund Stoiber hätte jede Guggenheim'sche Manier wohl glatt erschlagen müssen.

„Dunkler Anzug, kurzes Kleid, Uniform, Tracht“: Daraus durfte wählen, wer dem feierlichen Eröffnungsakt der dritten Münchner Pinakothek beisitzen wollte. Viele der protokollgerecht Gewandeten kannten die Stimmung unter dem großen Luster - die Rotunde von Pantheon'schen Ausmaßen ziert ein Sixties-Schattengitter aus konzentrischen Kreisen - schon:

Der Ministerpräsident hat dort nicht zum ersten Mal empfangen: Zum Millennium schon gab er sich als Kunstpionier, ließ den lange verschleppten Rohbau eigens winterfest und sanitär befriedigend aufrüsten. Was den Bau zwar verzögerte, dafür aber sinnlos teuer war, wie Bayerns Rechnungshof im nachhinein anmerkte. Der Tradition dieser Willkür entsprechend, musste auch die Eröffnung noch vor dem Wahlsonntag, und nicht, wie geplant, im Spätherbst über die Medienbühne gehen.

Vier Sammlungen eint der späte Weiheraum: Die Staatsgalerie Moderner Kunst, die Neue Sammlung mit ihren gut 50.000 Exponaten zur Geschichte des Designs, die staatliche Graphische Sammlung und das Architekturmuseum der Technischen Universität München. Nach außen hin gibt sich die „Kiste“ schlicht: Eine einspringende Pfeilerhalle markiert den Eingang, ein paar Fenster lassen in die Tiefe blicken. Eine Chillida-Plastik stimmt ein auf das lichtdurchflutete Grab einer längst befriedeten Moderne. Der Rest ist zweckdienlicher Beton, städtebaulich bestens positioniert: Münchens dritte Pinakothek gibt seiner Ältesten den Vorplatz zurück.

Innen dann schafft Braunfels alle Voraussetzungen, die vier Sammlungen auf insgesammt 13.000 Quadratmetern althergebracht auch weiterhin getrennt voneinander zu verhandeln. Braunfels schlägt eine große Achse quer durchs Gebäude. Sie „verbindet“ Münchens Innenstadt mit der Alten Pinakothek. Von der zentralen lichtdurchfluteten Rotunde aus gelangt man über monumentale Treppen nach oben zu den ruhigen Raumgefügen für die Großmeister des letzten Jahrhunderts - aufgeteilt in Klassische Moderne, Kunst ab 1950 (mit jeweils eigenen Räumen für Beuys, Baselitz, Flavin, Fontana, Judd, Nauman, Palermo, Polke, Rainer, Richter Twombly, Wall und Warhol), und Gegenwart.

Nach unten zu bohren sich die „angewandten“ Vordenker in die Erde, bis mit einem Amphietheater (!?) für Sitzmöbelklassiker ein Tiefpunkt erreicht wird. Auf Eingangsniveau lassen sich neutral Architektur und Graphik präsentieren, und zeigt eine Installation von Pipilotti Rist, dass die unmittelbare Gegenwart, selbst in der milden Biedermeierlichkeit der Schweizerin in den noblen Amtsräumen bestenfalls als kurzfristiger Partygag etwas zu schaffen hat. Das Haus verlangt nach Staatstragendem. Dafür ist selbst Olaf Metzel noch zu jung. Seine Reise nach Jerusalem bleibt, wonach sie aussieht: ein ins Groteske mutierter Lampion fürs Jugendprogramm zum Staatsakt.


Kunst im Rahmen

Braunfels setzt auf elegante, räumlich souverän verschachtelte Verschneidungen von Kreisen, Rechtecken und Quadraten. Das ist so hintergründig dominant wie das betroffene Schweigen einer enttäuschten Mutter. Alle Kunst, die sich diesem stillen Diktat widersetzt - aus dem Rahmen fällt, den Kubus sprengt, so unausgewogen Platz greift wie die Installation des aufmüpfigen John Bock, stört die Alten bei Tisch. Endlich hat die Moderne in München ein Heim gefunden. Gemäß dem Alter ihrer Helden ist es ein Altenheim geworden. Eines mit viel Sonne, angemessen Platz und höchsten Pflegestandards in bester Lage. Damit ist eine jahrzehntelange, pech und pannenreiche Herbergssuche endlich abgeschlossen. Alle sind glücklich.

Joseph Beuys' Steinhalde Das Ende des 20.Jahrhunderts ist ebenso hermetisch sicher verwahrt wie Francis Bacons Kreuzigung. Gino Severini (Der Krieg, 1914) wird ab und an einen Ausflug in die Pflegestation für Design machen und dort eingedenks Marinetti Schöneres als die Nike von Samothrake beweinen: den Autobahn-Adler, das Steyer-Baby, den Tatra 87.

Die Münchner können Stolz sein: Für 121 Millionen haben sie die Wilden des letzten Jahrhunderts hoffähig gemacht. Zehn Prozent davon kamen aus privater Hand.

Der Standard, Mi., 2002.09.18



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Pinakothek der Moderne

10. April 2002Markus Mittringer
Der Standard

Der Anspruch entwickelt sich

„mega: manifeste der anmaßung“ im Wiener Künstlerhaus

„mega: manifeste der anmaßung“ im Wiener Künstlerhaus

Wien - Ohne Anmaßung geht gar nichts. Wer nur „berechtigt“ in Anspruch nimmt, bleibt sitzen. Nur das Mittelmaß wird nie handgreiflich, es offenbart sich in der Deckung (wodurch es ja auch den nachhaltigeren Schaden anrichtet). Und: Mit der Moderne haben wir auch die Utopien verabschiedet. Umgekehrt ist genau jetzt alles furchtbar dynamisch, halt- und hemmungslos vereinnahmend.

Alles verknüpft und bindet sich, verbreitet, konzentriert, verändert sich. Zehn hoch sechs Greißler bilden einen Megastore, Pulver klumpt zu Pearls, eine Großstadt ist bloß noch ein Dorf, „lang“ bezeichnet etwas relativ Kurzes, Macht allein ist nicht mächtig genug, und der Orgasmus kommt sowieso immer zu selten - wenn er nicht zu früh kommt, was dann aber echt eine Megakatastrophe ist.

Außerdem verkommt die Sprache. Das Regionale verkommt sowieso. Und gegen die Symbole wird auch rabiat vorgegangen. Und wie soll man das jetzt alles wieder in den Griff bekommen, wo Frank Herbert tot und das gute alte Manifest zu einer Wanderausstellung mit „a“ hinten dran verkommen ist?

Handgreiflich, architektonisch, anmaßend. Im Künstlerhaus gibt es eine schöne Ausstellung von Zeugnissen alter handgreiflicher Vorauseiler: Le Corbusier, Jerry „Batman“ Robinson, Claude „Salzfabrik“ Ledoux, Rem „Megalarge“ Kohlhaas, Marx, Engels, Beuys. Aber die ist nicht so wichtig.

Diese Helden gilt es - im Sinne echter Grenzüberschreitung - zurückzulassen. Ringsum gibt es eine Menge meist noch leerer Bühnen - ein Forum für jüngere Architekten (oder zumindest solche, die es noch nicht in die „schöne Ausstellung“ geschafft haben), um dort in Form zu bringen, was ihnen für die Zukunft so vorschwebt.

Die Kuratoren von mega: manifeste der anmaßung - Peter Bogner, Ursula Horvath, Henny Liebhart-Ulm, Anna Soucek und Jan Tabor - muten dem gemeinen Besucher darüber hinaus noch zu, die 40 Auftragsmanifeste noch zeitlich getrennt voneinander präsentiert und durch Experten infrage gestellt zu wissen. Und das Geheimprojekt Babylonische Hure wird überhaupt erst am 2. Juni enthüllt - an einem Sonntag!

Das ist megaanstrengend, und dann gibt es nicht einmal einen Megaeisbecher als Nachschlag zur Eintrittskarte. Dafür wird Horatius zitiert: „Jeder soll mit dem eigenen Maß und Fuß messen.“ Eine Megasauerei, wo doch jeder weiß, dass das einen Megastau gibt, wenn die Reisebusse so lange warten müssen. Das kippt jede vernünftig kalkulierte durchschnittliche Aufenthaltsdauer aus dem Lot. Heute noch trendy, morgen schon der Megatrend? DER STANDARD wird weiterhin berichten.


[Bis 2. Juni]

Der Standard, Mi., 2002.04.10

19. März 2002Markus Mittringer
Der Standard

Architektur zum Erlesen

Wespennest - Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder Nr. 126: „Architext“ 120 Seiten, 12 Euro

Wespennest - Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder Nr. 126: „Architext“ 120 Seiten, 12 Euro

Warum", fragte die STANDARD-Architekturkritikerin Ute Woltron den Wespennest-Herausgeber Walter Famler einmal, „kommt im Wespennest die Architektur nicht vor?“ - und erntete einen Schwerpunkt. Der findet sich inmitten des aktuellen Hefts 126, und ist trotz der Tatsache, dass er in einer „Zeitschrift für brauchbare Texte und Bilder“ liegt, völlig abbildlos. Und gerade weil das dem gemeinen Wallpaper-Blätterer jetzt spanisch vorkommt, sollte genau der sich so ein neues Wespennest in jenem gut eingeübten, das kreative Potenzial des urbanen Sixpack-Trägers unterstreichenden, kecken Winkel auf den südindischen Couchtisch legen. (Achtung: Das Heft ist rosa! Unter Umständen muss also das Bad passend neu verfliest werden!)

Da zum Lesen vor lauter Spaß an der Kultur ohnehin keine Zeit bleibt, hier nun eine kurze Inhaltsangabe samt dramaturgischem Gerüst für den passenden Smalltalk zum Asianudelsuppenschlürfen: "Architekturzeitschriften zeigen alles, nur nicht Architektur. Sie helfen nur dem Auffälligen nach. Architektur ist aber vor allem das, was nicht auffällt. Der Gerrit Confurios sagt das auch! Und im Grunde hat ja, man wird nur leider immer missverstanden, wenn man das sagt, der Adolf Holl recht, wenn er meint: ,Auf jeden Fall müssen es Männer sein, die am Werk sind, wenn Extravaganz, Großzügigkeit, und Verschwendung angesagt sind, Männer mit Visionen, nur ja keine Geschäftsleute.„

Am besten Diktatoren. Ich halte es eher, wie ja auch der Friedrich Achleitner, mit Bogdan Bogdanovic und gehe spazieren. Weil man selbst aus den ,bedeutungslosesten Krümeln“ vieles über die Stadt lernen kann. Und der Koolhaas findet es auch traurig, dass alle nur mehr shoppen, weil sie offenbar nichts Besseres zu tun haben."

Der Standard, Di., 2002.03.19

18. Januar 2002Markus Mittringer
Der Standard

Experimentelle Kunst, traditioneller Kaffee

Wiener Kunstmuseen in Bewegung: Gerald Matt baut aus, Edelbert Köb baut um

Wiener Kunstmuseen in Bewegung: Gerald Matt baut aus, Edelbert Köb baut um

Wien - Begonnen hat alles mit einer Ausstellung der Wiener Festwochen: Peter Weiermairs „Von der Natur in der Kunst“. Das war 1991, und Adolf Krischanitz hat dafür eine Innenhalle in die Winterreithalle der ehemaligen Hofstallungen gestellt. Quer durch diesen Kunstkubus zog Krischanitz eine semitransparente Rohrbrücke, „als organisch technisches Gebilde, eine Art künstliche Luftröhre der Ausstellung“. Witterungsbeständig hochgerüstet übersiedelte der Innenraum ins urbane Ödland Karlsplatz. Die „Kiste“ brachte in der Verlängerung des Naschmarktes eine Spur von Organisation in den Unraum vor der Bibliothek mit der unsäglichen Eule und erweckte dort zumindest die Idee eines Platzes.

Im derart geschützten Raum avancierte das Kunsthallen-Café zum Bestseller. Die Architekten Ortner & Ortner planten derweilen das Museumsquartier - und damit die neue Kunsthalle - ungemein oft um, wodurch es das Provisorium am Karlsplatz immerhin auch zehn Jahre hielt. (Relativ kurz, zumindest im Vergleich zum Provisorium 20er-Haus.)

Als das Museumsquartier dann im letzten Jahr endgültig seine Höfe öffnete, war Krischanitz' ikeafarbene Schachtel am Karlsplatz doch schon sehr abgebraucht. Seit gestern lädt die im Kunstbereich verkleinerte Nachfolgebox zum Konsum. Adolf Krischanitz hat einen feinen gläsernen Pavillon entworfen, der platzseitig wie eh und je zur Einkehr, straßenseitig zum experimentellen Kunsterleben bittet. Gerald Matt will den 250 Quadratmeter großen Ausstellungsraum als project space führen, als „Abteilung Forschung und Entwicklung“.

Die Serie der jährlich geplanten drei bis vier Ausstellungen beginnt am 13. Febru-ar mit Kim Soojas Installation A Laundry Woman und wird ab Mai in Kooperation mit dem documenta-Archiv Kassel den Mythos rund um Harald Szeemans 72er-documenta 5 beleuchten.

Dreimal zehn Tage im Jahr sollen dann die ganz Jungen Platz haben, an der Überwindung von Harald Szeemann zu arbeiten, der project space dient dann als Labor. Bei so viel Jugend liegt eine Kooperation mit einem Ausbildner nahe. Matt will mit der Universität für angewandte Kunst Erfahrung in Lehre und Praxis tauschen. Und die jährlich beste Diplomarbeit des Instituts im project space präsentieren. Dem siegreichen Absolventen winkt zudem ein dreimonatiger Aufenthalt in den Delfina Art Studios, London - inklusive Taschengeld.

Der Standard, Fr., 2002.01.18



verknüpfte Bauwerke
KUNSTHALLE wien – project space

19. November 2001Markus Mittringer
Der Standard

Architekt Wilhelm Holzbauer erhielt den Österreichischen Staatspreis.

Der Lohn des guten Tons

Der Lohn des guten Tons

Er gehört zweifelsohne zu jenen Architekten, die Österreichs Benutzeroberfläche stark geprägt haben. Das ist in Wien nicht zu übersehen und auch nicht in Salzburg. In Wien hat das mit der U-Bahn begonnen, zieht sich als Fußgängerzone durch die Kärntner Straße - beide späten österreichischen Anschlüsse an längst bewährte städtische Verkehrslösungen hat er mitgestaltet -, markiert mit einem Einkaufszentrum prominent den Kärntner Ring, spielt als Andromeda Tower zaghaft Skyline und fügt sich willig der Hülle eines der Simmeringer Gasometer.

1964 hat Wilhelm Holzbauer sich selbstständig gemacht. Von da an ging er umweglos den Weg des Großbaumeisters: „Ich bekenne mich zu einer Architektur, deren Wurzeln in einer pragmatischen Grundhaltung liegen und nicht in einer ideologischen.“ Architektur ist Wilhelm Holzbauer das, was gebaut ist. Ins Philosophische ausgreifende Traktate zu Form und Inhalt sind seine Sache nicht. Er hat, gemeinsam mit Hans Hollein, Gustav Peichl, Friedrich Achleitner, Johannes Spalt und Friedrich Kurrent, bei Clemens Holzmeister an der Akademie am Wiener Schillerplatz sein Handwerk erlernt. Mit Kurrent und Spalt dann als „Arbeitsgruppe4“ ans architektonische Gewissen des Nachkriegsösterreich appelliert und dann ein paar Amerika-Jahre angeschlossen. Daran hinderte ihn auch der Untergang der „Andrea Doria“ nicht.

Holzbauer überlebte die Katastrophe auf seiner ersten großen Überfahrt und erreichte die USA schließlich doch. Dort sollte er sich als Gastprofessor im Unterrichten üben. Von 1977 bis 1998 tat er das dann an der Angewandten in Wien so „ordentlich“, dass das Institut ihn von 1987 bis 1991 zum Rektor machte.

Hartnäckig wie beim Versuch, Amerika zu erreichen, war Holzbauer auch bei der Errichtung des Amsterdamer Rathauses. Er gewann den diesbezüglichen Wettbewerb. Allein der Stadt mangelte es an Geld. Was die Stadtväter aber nicht daran hinderte, sich auch noch eine Oper zu wünschen. Holzbauer kombinierte Rat- und Opernhaus, überstand die 20 Jahre, die das Projekt in Schwebe harrte, und baute schließlich doch.

Überhaupt wird ihm ein sehr großes Verständnis für seine Bauherren nachgesagt, sollen deren Wünsche stets in Erfüllung gehen, ohne dass die sich über einen „Künstler“ ärgern müssten, der starrköpfig an seiner ästhetischen Konzeption festhalten würde.

Und am Schluss sieht dann alles immer recht mächtig aus. Nach Big Business und trotzdem nicht zu auffällig. Holzbauer baut Häuser wie Hugo Boss Anzüge und isst gerne Risotto mit Leuten, die solche Häuser brauchen könnten. Weil er immer den richtigen Ton trifft, hat man ihm nun auch den großen Österreichischen Staatspreis verliehen.

Der Standard, Mo., 2001.11.19

11. Oktober 2001Markus Mittringer
Der Standard

Die Türken in Wien

Das Architekturzentrum Wien ist nicht länger mehr ein Provisorium. Die Institution hat das unbeschadet überstanden. Und präsentiert sich weiterhin neu, aber gelassen. Inmitten des Museumsquartiers öffnet es künftig seine zahlreichen Pforten.

Das Architekturzentrum Wien ist nicht länger mehr ein Provisorium. Die Institution hat das unbeschadet überstanden. Und präsentiert sich weiterhin neu, aber gelassen. Inmitten des Museumsquartiers öffnet es künftig seine zahlreichen Pforten.

Wien - Das Museum moderner Kunst war so ein Provisorium. Da gab es dieses diffuse Wissen um eine so genannte Moderne, die sich draußen in der Welt abgespielt haben soll, während hierzulande einer anderen Wahrheit gefrönt wurde, und da gab es das dumpfe Gefühl, dass der Akt, dieser Moderne Asyl zu gewähren, wieder einmal einen Anschluss ermöglichen könnte. Das Traiskirchen der Moderne in Österreich lag bis vor kurzem nahe dem Südbahnhof. Vorsichtshalber hat man die Asylanten in einem Pavillion beherbergt. Vorteil: Der temporäre Charakter der Architektur symbolisierte vortrefflich die Distanz der Politik zum Geschehen im Haus. Und: Karl Schwanzers Bau hatte, nach der Weltausstellung in Brüssel, seine Schuldigkeit ohnehin schon getan. Eine Mezzie quasi, gerade recht, um sich einer lästigen Pflicht zu entledigen. Nachdem sich die Asylanten als erstens hartnäckig und zweitens als vermehrungsfreudig erwiesen, hat man sich dann dazu durchgerungen, mit einem Fürsten ein Untermietverhältnis einzugehen. (Die Hinwendung des Schokoladefabrikanten Ludwig zum modernen Gestalten und dessen Expansionsdrang erforderten die lokale Erweiterung)


Notwendigkeiten

Die Provisorien 20er-Haus und Palais Liechtenstein hielten sich, immerhin, bis mit heurigem Jahr ein Museumsquartier das Licht der Welt und damit den Rocksaum Maria Theresias erblickte. Dietmar Steiner hat das alles miterlebt, und das mag mit ein Grund dafür gewesen sein, sich 1992 von Ursula Pasterk, Hannes Swoboda und Rudolf Scholten mit der Gründung eines Architekturzentrums beauftragen zu lassen.

Im Jahr darauf nahm dieses dann seine provisorischen Betrieb auf. Dank großzügiger Stuhlspenden aus der Bevölkerung mussten die Teilnehmer am Wiener Architekturkongress dann im Messepalast doch nicht durchtanzen. Woraus sich in Folge ein Programm ergab, das in Zeiten der Ostöffnung auch gleich die Mauern zum Norden, Süden und Westen hin zu Fall brachte. Trotzdem überlebte das AZW und sollte das - auf „dem Privatgrund der Museumsquartier-Errichtungsgesellschaft“ (Steiner) - auch weiterhin tun.

Im unmittelbaren Vergleich zum Museum moderner Kunst war sein Dasein als Provisorium ein kurzes. Gleichwohl mutet es jetzt, wo es sich dauerhaft breit gemacht und herausgeputzt hat, weitaus eingesessener an. Alle anderen Haupt- und parasitären Nutzer der neu errichteten Zentralstelle für österreichische Kultur stehen noch ein wenig verloren im Quartier herum.

Und das kommt auch daher, dass der Dietmar Steiner um die Funktion eines Kaffeehauses Bescheid weiß. Und darum hat er, ohne weiter zu fragen, eines in Auftrag gegeben, dass auch Funktionen jenseits des einnahmenfreundlichen Drapierens von aufgeradeltem Mozzarella erfüllt. Anne Lacatan und Jean-Philippe Vassel haben den Schankraum gestaltet: „Wir hatten die Idee, etwas sehr Leichtes zu machen, etwas sehr Erfrischendes. Wir hatten auch die Idee des türkischen Cafés, wo man sehr bequem sitzt und sehr lang dort sitzen und reden kann.“ Und genau das haben die beiden gemacht. Und damit dem Quartier eine Mitte gegeben, einen Punkt der Gelassenheit inmitten der Aufregung ringsum.


Kaffee mit Satz

Und das Architekturzentrum? Hat damit ganz unspektakulär seine Kompetenz bewiesen. Und eine Ausstellung gibt es auch: „Sturm der Ruhe“ versammelt Gebautes und Geschriebenes zu genau dieser Haltung. Begleitet ist die stille Erlebnisschau von einer Broschüre jenseits der Standardästhetik gängiger Architekturvermarktung: schwarz-weiss und annähernd abbildlos.

Das Café ist mit orientalischen Fliesen ausgekleidet. Das Denkmalamt überlegt, es rückwirkend unter Schutz zu stellen. Una Abraham kocht. Die erste und einzige öffentlich zugängliche Architekturbibliothek Österreichs wird in ein paar Wochen eröffnet. Die AZW-Datenbank verzeichnet ungefähr so viele Zugriffe wie die Homepage von Hermann Maier. Dietmar Steiner hat aus der Türkenbelagerung die richtigen Schlüsse gezogen. Und so kam es zur Metropole im Espressoland.

Der Standard, Do., 2001.10.11

19. Juni 2001Markus Mittringer
Der Standard

Verschärfte Rahmenbedingungen

Im Wiener Kunstforum gastiert die Schau „Mythos Großstadt - Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“. Material aus bisher verschlossenen Archiven zeigt städtebauliche Ansätze auf dem Gebiet der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Markus Mittringer fand nicht nur in der Ausstellungsarchitektur von Coop Himmelb(l)au Brücken in die unmittelbare Gegenwart Wiens.

Im Wiener Kunstforum gastiert die Schau „Mythos Großstadt - Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890-1937“. Material aus bisher verschlossenen Archiven zeigt städtebauliche Ansätze auf dem Gebiet der Monarchie und ihrer Nachfolgestaaten. Markus Mittringer fand nicht nur in der Ausstellungsarchitektur von Coop Himmelb(l)au Brücken in die unmittelbare Gegenwart Wiens.

Wien - Folgt man dem Sozialwissenschaftler Richard Sennett, so ist das städtische Leben stets historischer bzw. aktueller Ausdruck des Selbstverständnisses und der Erfahrungsbestände einer Kultur. Die großen Städte sind „Agenturen des sozialen Wandels und Gedächtnisspeicher, Brutstätten des Werdenden und Monumente des Gewordenen“. Für Sennett erklärt sich der Geist der Civitas in einer „Kultur des Unterschiedes“.

Sennet ist Zeitgenosse und muss seine Arbeiten als Werbung, als Plädoyer für diese Kultur des Mit- und Nebeneinander verstanden wissen, da immer wieder gespenstische Reinheitsgebote diese gründende großstädtische Eigenschaft und Funktion infrage zu stellen suchen.

In Wien wird gerade ein Museumsquartier fertig gestellt. Es versteckt sich in den ehemaligen Hofstallungen und ist - unter peinlicher Vermeidung jedes Repräsentationswollens - die späte letzte Bauphase des Kaiserforums des Franz Joseph. Den Fischer-von-Erlach-Trakt, hinter dem sich die Gegenwart, dem politischen Willen folgend, ducken musste, überragen daher, anstatt eines zeitgenössischen Signals, zwei historische Gebäude: der Sitz der Möbelkette Leiner und ein etwas älterer Flakturm.


Utopie und Praxis

Im Kunstforum der Bank Austria ist eine Ausstellung zu Gast, die sich dem Mythos Großstadt widmet, der Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa von 1890-1937. Sie fokussiert den Aufbruch neuer architektonischer Ideen in den letzten Jahrzehnten der Donaumonarchie und ihrer Nachfolgestaaten.

Die Schau ist aus einer Kooperation des Bundesministeriums für Unterricht und Kulturelle Angelegenheiten, Wien, dem Canadian Centre for Architecture in Montreal und dem Getty Research Institute in Los Angeles entstanden. Den Mythos Großstadt belegen gut 350 Pläne und Zeichnungen, zu Utopie und Praxis des Bauens zwischen Lemberg und Laibach, Zagreb und Prag, Wien und Brünn. Und, die Öffnung der Archive der ehemaligen Ostblockstaaten liefert dem weiteres Beweismaterial: So mancher große Entwurf, so manches realisierte Gebäude, und vor allem die Rahmenbedingungen ihres Zustandekommens, dürften auch heute noch einigen ein entsetztes „Wien darf nicht Temeswar werden!“ entlocken.

Die Aufgabenstellung lag für die Architekten dieser annähernd fünfzig Jahre, vom späten Anschluss der Monarchie an internationale Standards von Industrie und Verkehr über deren Zerfall hin zur Organisation der vielen Völker in eigenen Staatswesen, darin, politische Kontroversen, radikale soziale Umwandlungen und die komplexe multinationale Geschichte des auseinander driftenden Vielvölkerstaates, auf die jeweiligen lokalen Traditionen hin abgestimmt, in eine gebaute Form zu bringen.

Was diese Reibung von lokalem Interesse, internationalem Gedankengut und nationaler Identitätsfindung an neuen städtischen Strukturen tatsächlich ausprägte beziehungsweise an nachhaltig prägenden Ideen hervor-brachte, gliedert die Ausstellung in zwei Abschnitte: „Die Stadt als Form und Idee“ konzentriert sich auf städtebauliche Theorie und Konzeption, „Modernität und Ort“ stellt in zehn Episoden die Protagonisten der aufbrechenden neuen Stadtkultur vor.

Was Otto Wagner nun mit den Prager Kubisten, was Camillo Sitte mit dem am Bauhaus orientierten Schaffen in Budapest, was Joze Plecnik mit Adolf Loos, was Zagreb mit Krakau verband, ist bei allen formalen, zeitlichen, sozialen und religiösen Unvereinbarkeiten ein Bekenntnis zur Stadt als „kulturelles Arte-fakt“ und zum Bauen als Aufgabe, unter komplexen und unsteten Bedingungen „Bedeutung“ zu manifestieren. Letzteres könnte wieder von Richard Sennett stammen. Und: Unauffälligkeit stand keiner der präsentierten Arbeiten als Ziel vor.


[Bis 26. August]

Der Standard, Di., 2001.06.19

27. Oktober 2000Markus Mittringer
Der Standard

Geschichte, Erfahrung und Konserve

Während Rachel Whitereads Schoah-Mahnmal und Jabornegg & Pálffys Architektur im Misrachi-Haus am Judenplatz auf die produktive Kraft der Vorstellung setzen, lässt die Schau im Museum der Imagination keinen Platz.

Während Rachel Whitereads Schoah-Mahnmal und Jabornegg & Pálffys Architektur im Misrachi-Haus am Judenplatz auf die produktive Kraft der Vorstellung setzen, lässt die Schau im Museum der Imagination keinen Platz.

Wien - Rachel Whitereads Mahnmal am Wiener Judenplatz schweigt beredt. Ihre hermetisch verschlossene Bibliothek definiert ein Vakuum, eine ewige Leere inmitten der Stadt, gewaltsam entstanden durch die Vernichtung von mehr als 65.000 österreichischen Juden. Mit der systematischen Ermordung der Menschen wurde versucht, ihre Erinnerungen, ihre Kultur, alle Hinweise auf die Umstände ihres Lebens und religiösen Handelns zu tilgen.

Bücher wurden verbrannt, weil sie das Gedächtnis repräsentieren, weil die Schrift, weil das Wort im jüdischen Leben vor jeder Darstellung Identität stiftet und den Alltag bestimmt. All das vermittelt Whitereads Mahnmal ganz ohne aufdringliche Didaktik.

Die Bibliothek, die nie wieder zu betreten sein wird, die anonymen Bücher, die nie wieder aufzuschlagen sein werden, und die Nennung der Namen jener Orte, an denen die Auslöschung industriell betrieben wurde, genügen ihr. Das Wort „Dachau“ visualisiert sich selbst. Das Material, Beton in RAL-9002-Hellgrau, tut ein Übriges, schmerzlich in das hübsch verputzte Ensemble des Platzes zu schneiden. Hier steht Geschichte ohne Fassade, hier steht kalter Beton, nicht edler Marmor.

Rachel Whiteread hat einen Ort der Erinnerung definiert, weil sie der Erinnerung Platz gegeben hat. Weil sie dem Gedenken Raum gibt, anstatt es bevormundend zu leiten, weil ihr Mahnmal dem individuellen Schicksal genauso entspricht wie dem des ganzen Volkes. Sie ist bei der Herausforderung und Verantwortung, ein Schoah-Mahnmal zu schaffen, im Rahmen ihres individuellen künstlerischen Vokabulars geblieben. Und hat damit ein allgemein gültiges und verständliches Zeichen gesetzt.

Dem entspricht das gestalterische Konzept der Architekten András Pálffy und Christian Jabornegg für das Misrachi-Haus und die Einbindung der archäologischen Grabungsfunde in das Museum. Jabornegg und Pálffy haben das Haus von allen über die Jahrhunderte gewucherten Ein-und Umbauten befreit und klar strukturierte Raumfolgen ohne jeglichen romantisierenden Zierrat angelegt. Und sie haben die freigelegten Reste der 1421 zerstörten Synagoge gemäß ihrer symbolischen Bedeutung in eine mattschwarze Stahlvorsatzschale gehüllt, die einen imaginären Raum schafft, der ermöglicht, das Versammlungshaus gedanklich wieder aufzubauen.

Diese seltene konzeptuelle Übereinstimmung von Künstler und Architekt konterkariert die „Visualisierung der bilderlosen Vergangenheit“ in den Schauräumen krass. Hier wird jeder Ansatz persönlicher Vorstellungskraft digital unterbunden. Bis ins kleinste Detail durfte die Multimedia-Firma Nonfrontiere hier ihr Bild der mittelalterlichen Stadt und des jüdischen Lebens rekonstruieren. Stolz verweist man auf jene Computertechnik, die schon den Spielfilmen Matrix und Lost in Space ihre actionreichen Effekte bescherte.

1050 Oberflächen mit durchschnittlich 50 zu definierenden Parametern werden da als Beleg angeführt, ein authentisches Bild zu liefern. In spätestens zwei Jahren sieht der ganze Zauber vermutlich so alt aus wie heute ein Videogame auf einer C-64-Konsole und muss entsorgt werden. Viel früher schon wird man sich an der Ästhetik satt gesehen haben, die „keinesfalls in die banale Verspieltheit einer Disney-Erlebniswelt abrutschen will“ und es doch tut.

Wenn da ein Sonnenstrahl durch den dramatisch wolkenverhangenen Himmel über Wien bricht und eine dunkle Gasse bühnenreif erhellt, dann sieht man den Rabbi, der dort wohnen soll, zwangsweise singend und tanzend im Licht der Musicalbühne. Ansonsten bleibt kein Raum für selbsttätiges Erfahren. Bevor noch der eigene Imaginationsapparat bedient werden muss, liefert die Simulation Antworten auf nie gestellte Fragen. Interaktion ist reduziert auf eine Handbewegung, eine Kultur des Wortes und Gespräches auf eine digitale Scheinwelt

Der Standard, Fr., 2000.10.27



verknüpfte Bauwerke
Mahnmal am Judenplatz

15. Juli 2000Markus Mittringer
Der Standard

Freibier auf Österreichs größter Baugrube

Wien - Seit 2. April wird gebaut. Auf 45.000 Quadratmetern Grund wächst das Museumsquartier. Die ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen wurden zunächst von 92.000 Kubikmetern umbautem Raum gereinigt und um 85.000 Kubikmeter oder 6000 Lkw-Ladungen Aushub erleichtert. Und so kam es also zunächst zu drei gewaltigen Löchern. Jenes, aus dem dann das Museum moderner Kunst wuchs, reichte gleich 17,5 Meter in die Tiefe.

Wien - Seit 2. April wird gebaut. Auf 45.000 Quadratmetern Grund wächst das Museumsquartier. Die ehemaligen kaiserlichen Hofstallungen wurden zunächst von 92.000 Kubikmetern umbautem Raum gereinigt und um 85.000 Kubikmeter oder 6000 Lkw-Ladungen Aushub erleichtert. Und so kam es also zunächst zu drei gewaltigen Löchern. Jenes, aus dem dann das Museum moderner Kunst wuchs, reichte gleich 17,5 Meter in die Tiefe.

Jetzt muss man schon die Freitreppe nach oben nehmen, um hineinzukommen. Um dort - im Foyer - gleich zu erfahren, wozu ein derartiges Loch vonnöten war. Erst im Eingangsbereich wird die volle Dimension des Baues erfahrbar. Der Schacht mit den Personenliften und dem Materialaufzug bleibt, in die Tiefe und die drei Geschoße hoch, offen. Nach außen hin öffnet sich der mit Basaltlava verkleidete Museumsblock nur in wenigen Lichtschlitzen - Architekt Laurids Ortner spricht von Orientierungspunkten. Lediglich im oberen, dem einzigen Saal mit natürlichem (Ober-)Licht, findet sich ein größeres Fenster zur Stadt hin. Es holt die Kuppeln von Natur- und Kunsthistorischem Museum als „Exponat“ in den Ausstellungsraum.

Im Juni 2001 wird alles fertig und eingerichtet sein, werden Museum Moderner Kunst, Leopold Museum und Kunsthalle offiziell eröffnet, werden sich 32.000 Kubikmeter Beton vor Publikum beweisen müssen. Gefeiert wird jetzt schon. Am Sonntag kommt es zum „Tag der offenen Baustelle“. während des ganzen Tages gilt in der Kunsthalle, im Architekturzentrum und im Kindermuseum freier Eintritt, bieten Sonderführungen die Gelegenheit, die neuen Kulturkubaturen kennen zu lernen.

Und was wäre eine Baustelle ohne Freibier. Unter www.mqw.at können Informationen zur Architektur, zur Geschichte des Quartiers und zum Programm der einzelnen Institutionen abgerufen werden. Und im Infopool, dem Besucherzentrum in der rechten Ovalhalle beim Haupteingang bieten 1:200 Modell und 3D-Visualisierung den sauberen Kontrast zur Baustelle.

Und was ein publikumsintensives Event zur Implantation des neuen Zentrums sein will, kann auf ein Rahmenprogramm, das allen etwas bietet, nicht verzichten. Im Halbstundentakt treten Künstler auf, spielt eine Combo Dixieland, üben Jongleure und Pantomimen ihr Handwerk aus. Kinder sind aufgefordert, am Versuch teilzunehmen, die größte Seifenblase Wiens zustande zu bringen, während die Väter mit Leberkäse zum ersten kulinarischen Genuss im Quartier kommen. Ein breiteres kulinarisches Angebot wird vom Pächter für das Glacis-Beisls erwartet. Ein solcher wird noch gesucht.

Der Standard, Sa., 2000.07.15



verknüpfte Bauwerke
MuseumsQuartier Wien - MQ

07. Juli 2000Markus Mittringer
Der Standard

Vom Scheitern der Moderne

Der deutsche Künstler Günter Förg ist derzeit mit Fotografien der Bauten des konstruktivistischen Architekten Konstantin Melnikov in der Sammlung Essl und mit Malereien in der Ausstellung Zeitwenden in Wien vertreten. Markus Mittringer traf ihn.

Der deutsche Künstler Günter Förg ist derzeit mit Fotografien der Bauten des konstruktivistischen Architekten Konstantin Melnikov in der Sammlung Essl und mit Malereien in der Ausstellung Zeitwenden in Wien vertreten. Markus Mittringer traf ihn.

Klosterneuburg - Günter Förg (48) ist gar nicht unglücklich mit der Oberflächlichkeit des Seins im Jetzt, mit der Konstruktion von Wahrheit durch die Medien. Dem Verflachen setzt er präzise formale Studien entgegen.

STANDARD: Sie sind im Moment auch in der Ausstellung Zeitwenden in Wien vertreten. Die war ja schon in Bonn heftig umstritten.

Förg: Die Idee ist nicht schlecht. Einen Rückblick zu machen und zugleich eine Vorschau. Aber in Endeffekt geht es dann immer ums Geld. Und trotz der Millionen, die da verbraten wurden, wurde es eng. Dann wurden die ganzen Kuratoren entlassen. Und das ist nicht unbedingt der wahnsinnige Stil. Der Walter Smerling (Anm.: Leiter der Schau im Kunstmuseum Bonn) hat sich damit bei der ganzen Kunstwelt unbeliebt gemacht. Dass das Ganze dann in einem Fiasko enden musste, war klar.

STANDARD: Das Problem?

Förg: Die Frage ist, brauchen wir überhaupt noch solche Großausstellungen? Langt es nicht, wenn man alle zwei Jahre an die Biennale geht oder alle fünf Jahre zur documenta? Das ganze Geschehen ist ja sehr direkt vom Kunstmarkt geprägt, also von Galeristen, die da powern und versuchen, ihre Leute reinzubringen. Da geht es schlichtweg um Geld.

STANDARD: Dafür ist Zeitwenden höchst beliebig ausgefallen.

Förg: Ich denke, die Zeit ist eben so. Insofern spiegelt die Ausstellung schon etwas wider. Ich denke, so etwas hat sich überholt. Der Herr Schlingensief hat doch hier die Aktion gemacht mit den Ausländern im Container. Die Aktion ist natürlich unsäglich. Aber ich finde, sie hat gut in unsere Zeit und vor die Oper gepasst. Das ist die heutige Wahrheit. Und dass für eine blöde Kunstausstellung eben auch vier Millionen Mark verbraten wurden, ist auch unsere heutige Zeit.

STANDARD: Trotzdem haben Sie teilgenommen.

Förg: Der Smerling hat sich damit unbeliebt gemacht und war auch vorher schon unbeliebt. Aber ich mag solche Leute immer. Und er hat dann keine Ruhe gegeben und immer wieder gesagt: "Sie müssen mitmachen. Dann habe ich halt gesagt: „Na gut, drei Bilder!“

STANDARD: In einem problematischen Zusammenhang.

Förg: Es gibt immer Idealsituationen. Aber Teil des Geschäftes ist, dass die Arbeiten in alle Winde zerstreut werden und die Idealsituation dann weg ist. Aber dann müssen sich die Bilder eben einzeln behaupten.

STANDARD: Was wäre ein zeitgemäßes Präsentationsforum?

Förg: Was wollen die als Nächstes bringen? Jan Hoet hatte 500.000 Besucher bei seiner documenta, die David dann schon Probleme, das zu halten. Wo soll das hin? Dann müsste man eine Ausstellung machen, die nicht mehr 16 Millionen Mark wie die documenta kostet, sondern 25 Millionen. Und dann braucht man eine Million Besucher. Aber so viele Schulkinder gibt es gar nicht. Am Schluss macht dann Hessen mobil, und jedes Kind muss dann die documenta sehen, damit die Statistik passt.

Ich bin ja nicht unglücklich mit der Zeit, in der ich lebe. Weil wenn alles sehr seicht und oberflächlich wird, also auf Fernsehniveau kommt, das ist eine herrliche Situation, um präzise zu sein. Wenn alle verblöden, dann kommt es auch besser, wenn man selbst eine exakte Arbeit setzt.

STANDARD: Was zeichnet Konstantin Melnikov aus?

Förg: Zuerst dachte ich, also nach Moskau, das ist doch das Allerletzte. Ich muss mir doch nicht das Elend anschauen. Aber die Architektur der Zeit Melnikovs lässt sich, gut organisiert, in einer Woche rezipieren. Also bin ich '95 doch nach Moskau. Unter den 20 Architekten ist der Melnikov der wichtigste.

Es ist doch ganz schön, dass die Moderne so gescheitert ist. Und im Fall Melnikov sieht man das ganz explizit. Der war der Star. Andere wie Lisitzky haben ja nie etwas realisiert. Der Melnikov kommt aber vom Bauen her. Die anderen haben sich nicht mehr als Individuen dargestellt, sondern für die große Idee im Kollektiv gearbeitet - anonym. Und was macht der Melnikov? Stellt sich hin, baut dieses Wohnhaus und schreibt über das riesige Atelierfenster „Konstantin Melnikow, Architekt“. Er betonte sich als Individuum, als Künstler. Und das war es dann auch. Danach durfte er nicht mehr bauen.

STANDARD: Gibt es eine Wechselwirkung zwischen Ihrer Malerei, der Skulptur, den Architekturfotos?

Förg: Wie das alles zusammenhängt? Der Zusammenhang bin ich. Es wurde aber auch immer wieder geschrieben: Die Architektur verbindet alles. Und das finde ich jetzt gar nicht so blöd.

STANDARD: Und wieso gerade diese Fotos in Wien?

Förg: Da stand dieser Kaviarhändler in meinem Wiener Hotelzimmer. Keine Ahnung, wie der da reingekommen ist. Und über die Donau gibt es ja diese Beziehung Wien-Moskau. Die Wiener sind ja melancholisch wie die Russen.

Der Standard, Fr., 2000.07.07

06. Mai 1998Markus Mittringer
Der Standard

Die Misere am Bau

Das Künstlerhaus sucht gelungene Verschränkungen von Kunst und Haus

Das Künstlerhaus sucht gelungene Verschränkungen von Kunst und Haus

Wien – „Verbaut“ ist oft genug schon die einzig treffende Bezeichnung für jene Körper, denen, zumeist erst im nachhinein, der Appendix Kunst aufgepfropft wird. „Kunst am Bau“ wird dieses Phänomen nachträglicher Zufügung im deutschen Sprachraum gemeinhin genannt. Und verfolgt man die Geschichte künstlerischer Gebäudeausstattung beginnend in der Nachkriegszeit aus einem die Ästhetik betreffenden Blickwinkel, so gemahnt die Zufügung oft genug an eine Hautkrankheit. Ornamentale Glasmosaike überwuchern öde Fassaden, in den Innenhöfen fristen seit den 50ern einsame Eisbären und in Stein gebändigte Tiger ihr trostloses Dasein.

Kunst, verbaut., weist darauf hin, daß der einzig nachvollziehbare Zusammenhang zwischen Haus und Beiwerk der gemeinsame Topf der Finanzierung ist. Doch, der Ausstellung Untertitel, „Die 90er. Das Ende der Trennung!“, verkündet Besserung, zeigt Ansätze, das Dilemma der Verschränkung von Kunst und Bau zu mildern. Die Kuratoren Jan Tabor und Peter Bogner haben elf „beachtenswerte Beispiele“ einer zeitgenössischen Allianz von Künstler und Architekt gewählt, gestehen aber, daß ihre Absicht, „die Verbindung von hervorragender Architektur mit hervorragender Kunst“ zu zeigen, sich nicht verwirklichen ließ. „Diese Fälle sind sporadisch.“

Unter dem, was sie vorstellen, finden sich tatsächlich tröstliche Beispiele – die Neue-Welt-Schule von Architekt Adolf Krischanitz in Kooperation mit Künstler Helmut Federle oder Walter Pichlers Tor zum Garten im MAK – aber auch solche wie das Zollamt Spielfeld von Erich Schifko, dem die Künstlerin Renate Kapfinger-Kordon mit ihrem lieblich bunten Segel animierter Objekte nichts von der Tristesse „Grenze“ nehmen konnte. Von „Überschreitung“ (als ästhetischer Kategorie) kann hierbei kaum die Rede sein, es bleibt beim gemeinen Übertritt.

Uneingeschränkt gelungen ist dem Architekturbüro BEHF die Inszenierung der engagierten Schau. Ein Band über Kopf „schwebender“ Projektoren verbindet die Säle, Dias belegen, was Architekten und Künstler in den 90ern fallweise eint, einzelne Kunstwerke bringen die Aura des Originals in die Abfolge der Reproduktionen. Als historischen Exkurs ergänzen Belege von genretypischen Skandalen, der Versuch einer Typologie und eine „Leistungsschau der Bundesländer“ den Rundkurs durch die obere Etage des Künstlerhauses.

Freilich: „Das Ende der Trennung!“ bleibt ebenso ein frommer Wunsch, wie sämtliche Versuche, die Misere legislativ zu lösen, nicht zwangsläufig einen qualitativen Quantensprung nach sich ziehen. Wie auch immer die Sache gehandhabt wird, als Direktvergabe anläßlich intimer Kamingespräche von Stadtvater zu Staatskünstler, als kunstgewidmeter Prozentsatz der Baukosten, als variabler Pool oder private Initiative – die Liaison von Kunst und Bau bleibt „dangereuse“.

Glücklich währt sie nur, wenn gute Kunst und gute Architektur willentlich eine Partnerschaft eingehen. Alles andere ist Terror – in jeder Hinsicht.

Der Standard, Mi., 1998.05.06

20. Dezember 1997Markus Mittringer
Der Standard

Stadtplanung zwischen Utopie und Abstraktion

Im NAI, dem Niederländischen Architekturinstitut in Rotterdam, vermittelt die Ausstellung „Mastering the City“ die Geschichte der Stadtplanung im Norden und Osten Europas seit 1900. Dem Wiener Architekten Boris Bodrecca ist mit der Umsetzung der schwierigen Materie ein Meisterstück an Vermittlung durch überlegte Gestaltung gelungen.

Im NAI, dem Niederländischen Architekturinstitut in Rotterdam, vermittelt die Ausstellung „Mastering the City“ die Geschichte der Stadtplanung im Norden und Osten Europas seit 1900. Dem Wiener Architekten Boris Bodrecca ist mit der Umsetzung der schwierigen Materie ein Meisterstück an Vermittlung durch überlegte Gestaltung gelungen.

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