Details

Adresse
Rennweg 3 (Talstation Congress), 6020 Innsbruck, Österreich
Mitarbeit Architektur
Thomas Vietzke (Projektleitung)
Bauherrschaft
INKB
Weitere Konsulent:innen
Generalunternehmer: STRABAG AG
Bauleitung: Malojer Baumanagement GmbH & Co, Innsbruck
Maschinen, Seile: Leitner GmbH, Gießhübl
Brücke: ILF Beratende Ingenieure ZT GmbH, Rum/Innsbruck
Lichtplanung: Zumtobel Lighting GmbH, Dornbirn
Funktion
Verkehr
Planung
2004
Ausführung
2005 - 2007

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Archfoto

Genereller introtext zu Archfoto der von nextroom geschrieben wird.

Presseschau

25. März 2008Eva Maria Froschauer
TEC21

Neustart in Innsbruck

Nach der 2002 eröffneten Bergiselschanze hat Zaha Hadid 2004 bis 2007 gleich mehrere neue Bauten in Innsbruck realisiert. Die neue Hungerburgbahn mit ihren abenteuerlich geschwungenen Stationen bietet ein architektonisches Spektakel, das – so das Kalkül der Auftraggeber – die Rentabilität der gesamten Anlage inklusive ihrer historischen Teile verbessern soll. Zum Erlebnis trägt ein eigens entwickeltes Fahrzeug bei, das als U-Bahn losfährt und als Standseilbahn weiterrollt.

Nach der 2002 eröffneten Bergiselschanze hat Zaha Hadid 2004 bis 2007 gleich mehrere neue Bauten in Innsbruck realisiert. Die neue Hungerburgbahn mit ihren abenteuerlich geschwungenen Stationen bietet ein architektonisches Spektakel, das – so das Kalkül der Auftraggeber – die Rentabilität der gesamten Anlage inklusive ihrer historischen Teile verbessern soll. Zum Erlebnis trägt ein eigens entwickeltes Fahrzeug bei, das als U-Bahn losfährt und als Standseilbahn weiterrollt.

Ganz am Anfang, als noch keine Chance auf Realisierung zu bestehen schien, hat Zaha Hadids Architektursprache für Aufsehen gesorgt. Mittlerweile sind die fliessenden, gebrochenen, schwebenden, verdichteten, verdrehten, zerpixelten oder verworfenen Räume konsensfähig geworden. Ihre realisierten Projekte erzeugen ein breites publizistisches Echo insbesondere in Publikumsmedien, die sie als längst fällige Erneuerung in der Architektur begrüssen. Dies war auch der Fall bei den vier Stationsbauten, die Zaha Hadid Ende 2007 für die Hungerburgbahn in Innsbruck fertig gestellt hat. In Bezug auf die doppelt gekurvten Glasflächen betonte die Architektin auch selbst, dass die Grenzen des derzeit Machbaren ausgereizt seien. Dennoch sind die Neubauten – trotz ihrer formalen Eigenständigkeit – Teil einer hundertjährigen Geschichte, deren vorläufig letztes Kapitel sie darstellen und in deren Kontext sie betrachtet werden müssen.

Herausragende Ingenieurleistungen ...

Die Erschliessung des Bergterrains nördlich der Tiroler Landeshauptstadt, der Hanglagen der Nordkette, ist auch eine Geschichte herausragender technischer Neuerungen. Der erste bauliche Eingriff datiert in die Pionierphase des Seilbahnbaus um 1900 zurück, als Standund Seilschwebebahnen für den «Bequemalpinismus» interessant wurden – versprachen sie doch, dem Transportaufkommen des neuen Sommer- wie Wintersportinteresses gewachsen zu sein. Der Wirtschaftsfaktor, der im Ausbau des neuen Verkehrsmittels lag, wurde von weitsichtigen Geschäftsleuten rasch erkannt. Die Initiatoren für die Erschliessung der Hungerburg, einer privilegiert über Innsbruck liegenden Siedlungs- und Erholungsterrasse, waren ein Tourismuspionier sowie ein Eisenbahningenieur und Bauunternehmer. Als 1906 die erste Hungerburgbahn – eine Standseilbahn – nach nur sieben Monaten Bauzeit eröffnet wurde, galt sie als beeindruckendes Projekt. Die Flussquerung über den Inn wurde mit einem kühnen, noch heute bestehenden Eisenbrückentragwerk gelöst, das Stampfbetonviadukt im weiteren Trassenverlauf galt als technische Meisterleistung.

Doch war dieser Bahnabschnitt, die Sektion I, nur der Auftakt zu einer fulminanten Eroberungsgeschichte der Innsbrucker Bergwelt: Bald nach Eröffnung der Bahn wurde bereits ein Ausbau erwogen, der allerdings erst nach dem Ersten Weltkrieg – nun als Seilschwebebahn – realisiert werden konnte (1927 / 28). Die Sektion II und III dieser Nordkettenbahn entwickelten sich rasch zu beliebten Ausflugszielen. Der Reiz lag in der unmittelbaren Nähe zur Stadt: Bei der Bahnfahrt liess sich der Gegensatz zwischen urbaner Kulturlandschaft und «unschuldiger » Bergwelt besonders pointiert erleben.

... und moderne Ar chitektur

Hinzu kam die raffinierte Qualität der heute denkmalgeschützten Stationshochbauten, die der Innsbrucker Architekt Franz Baumann nach einem Wettbewerb unter den damals besten Baukünstlern der Tiroler Zwischenkriegsmoderne errichtete (Bilder 1–3). Weitere Seilbahnstationen, die etwa zeitgleich in Tirol und Vorarlberg entstanden, haben dazu beigetragen, den baukünstlerischen Status des damals noch jungen Bautypus festzulegen. Dennoch kommt der Nordkettenbahn eine Sonderstellung zu: Ihre Übersetzung technischer rungen in kraftvolle architektonische Aussagen, ihre Eleganz bei der Bewältigung der topografischen Herausforderung blieben unübertroffen. Sie trug dazu bei, dass das Bauen im Alpenraum – allerdings nur für kurze Zeit – sowohl auf beschönigend-heimatverliebtes Gebaren als auch auf vermeintlich traditionelle Formen verzichtete. Die monumentale Kraft des «neuen tirolischen Geistes» ist bis heute spürbar.

Die drei Baumann’schen Stationen auf der Hungerburg, der Seegrube und dem Hafelekar sind 2004 bis 2006 denkmalgerecht saniert und im Interesse der Kapazitätssteigerung vorsichtig erweitert worden. Die für die Umbauten verantwortlichen Architekten Schlögl & Süss aus Innsbruck fanden schlichte und pragmatische Lösungen, die den Bahnbetrieb fliessender und für mehr Fahrgäste durchgängiger machen. Dabei wurden alte Raumkonzeptionen wiederhergestellt und Neuerungen wie Selbstbedienungstheken oder vergrösserte Warteräume und Kassenanlagen geschickt eingefügt. Beim Entwurf der Innenausstattung hatte sich Baumann in jedes Detail vertieft; Beleuchtungskörper und Türdrücker waren Teil eines Ausstattungsprogramms, das – die lokale Holzbautradition verfremdend – den Anschluss an internationale neue Strömungen suchte. Die kraftvollen Stühle und Tische tun bis heute ihren Dienst, als hätte der Entwerfer vorausgeahnt, welche Robustheit die künftigen Skischuhtrampeleien in Seilbahnrestaurationen erfordern würden.

Alte und neue Konflikte

Der Bergbahnbau, dessen Ingenieurleistungen einst als Sieg über die Natur gefeiert wurden, barg immer auch soziale Spannungen. In seinem Theaterstück «Die Bergbahn» (1929) stilisierte der österreichische Schriftsteller Ödön von Horváth den Bau einer Bahn zum Feld der Ausbeutung, bei der nichts dem Sieg, dem Ziel, dem grossen technischen Menschenwerk entgegenstehen konnte. Auch in der Gegenwart verlaufen Seilbahnbauten nicht immer ganz konfliktfrei; allerdings haben sich die Auseinandersetzungen in Umweltausschüsse und Gemeinderäte verlagert. Und noch eine Eigenschaft dieser Bauaufgabe hat sich bis heute erhalten: Sie ermöglicht – bezogen auf die notwendige Technik – ein überproportional hohes Erleben, denn jede Fahrt wird zum kleinen Gipfelsieg.

Dass dabei Selbstüberhebung und Absturz selten ausbleiben, zeigt die fortgesetzte Geschichte der Hungerburg- und Nordkettenbahnen. Was wurde nicht alles überlegt, um die Nordkette anziehend zu halten: ein Hotelbau auf der Seegrube, ein Höhenflugplatz oder die Erschliessung neuer Gebiete für den Wintersport. Die jüngste Entwicklung war eher ein Abstieg, unter anderem, weil sich das Gebiet auf Grund seiner steilen Kare nie wirklich zu einem grossen Skigebiet ausbauen liess. Die kostspielige Rettung der zwischenzeitlich privatisierten, dann wieder städtischen Anlagen kam von Seiten einer Public-Privat-Partnership. Deren Partner, die Stadt und die Firma Strabag AG, spielten nach einer weitgehend verdeckt durchgeführten Ausschreibung im Jahr 2004 die Trumpfkarte Zaha Hadid aus. Zwar regte sich anfangs Widerstand gegen das Projekt; unter anderem wehrte sich eine Bürgerinitiative gegen die Ausmusterung der alten Hungerburgbahn, deren Innbrücke und Viadukt nun zwar unter Denkmalschutz, aber ungenutzt stehen. Doch schliesslich einigte man sich in der Hoffnung, das visuelle Spektakel der Neubauten, die näher an die Altstadt gerückte Talstation, die neue Trassenführung und die höhere Transportleistungen würden die Bahn wieder rentabel machen.

Eigens entwickeltes Fahrzeug

Anfangs wurde eine grosse Umbaulösung bis zum Hafelekar erwogen; sie wurde jedoch zugunsten der oben beschriebenen denkmalgerechten Sanierung der Sektion II und III wieder aufgegeben. Für Sektion I sollten jedoch alle Register des Neuen gezogen werden. Die Einstiegsstelle liegt nun in fussläufiger Nähe zur Altstadt, zur Hofburg und somit zu den Zentren des Tourismus; schade, dass sie sich in einer seltsam anmutenden Konstellation an das bestehende Kongresshaus drängt. Von hier bis zur nächsten neuen Haltestelle, der nach einer anliegenden Gaststätte benannten Station Löwenhaus, wird die neue Hungerburgbahn als U-Bahn geführt. Danach quert sie mit freier Sicht den Inn. Zu diesem Zweck wurde eine Schrägseilbrücke entworfen, die weit weniger elegant ist als das hundertjährigeVorgängermodell: Zwei gekippte Pylonen tragen den Fahrtrog der Bahn, wobei die Konstruktion den Anschein erweckt, als hätte sie anstelle der periodisch pendelnden Fahrzeuge ungeheure Frequenzen zu bewältigen (Bild 7). In wechselweise ober- und unterirdischer Fahrt erreicht der Fahrgast die Haltestelle Alpenzoo, mit der eine Anbindung an den beliebten Tierpark gelingt. Die Fahrt zur Bergstation Hungerburg (Bilder 5 und 6) hinauf bietet gute Sicht auf die sich immer mehr entfernende Talsohle. Oben öffnet sich eine bemerkenswerte Aussicht, wenige Schritte weiter befindet sich die Talstation der weiterführenden Baumann-Bahn. Bezogen auf das Fahrvergnügen liegt der Neuigkeitswert der Hungerburgbahn im mehrmaligen Auf- und Abtauchen, in der Dramatisierung des kinematischen Erlebens, das jeden Bergbahnfahrenden begleitet. Für diese wechselvolle Trassenführung wurde ein Fahrzeug eigens entwickelt, das als U-Bahn losfährt und sich später in die Schräglage einer Standseilbahn neigt. Fünf in ein Rahmenwerk eingehängte Gondeln transportieren die Fahrgäste immer bequem in vertikaler Stellung (Bild 8).

Virtuos, aber wenig sensibel

Die vier Stationsbauten sprechen eine einheitliche und zusammenhängende Formensprache, die je nach Bauplatz und Höhenlage variiert – ein Anspruch, den bereits die alten Baumann’schen Bahnbauten einlösen. Die intendierte architektonische Anpassung gelingt Zaha Hadid indes nur bedingt. Zwar winden und verdrehen sich die amöbenförmigen Dächer, verkörpern Hadids «seamless fluidity» und zitieren aus dem Formenschatz von Gletschereisflächen. Doch sie sind weit mehr mit ihrer eigenen Virtuosität als mit dem tatsächlichen Umfeld beschäftigt.

Die Stationen weisen einen sauber ausgeführten Stahlbetonunterbau auf. Bei der Tal- und der Bergstation ist er in die Erde versenkt, beim Alpenzoo dagegen als spektakulärer Adlerhorst aufgerichtet, auf dem die fliessenden Formen der eisblau schimmernden Glasdächer aufbauen. Souverän geht Hadid mit dem grafischen System und seinen Möglichkeiten um; oft lässt sie dabei konkrete Nutzungsanforderungen bewusst ausser Acht, um sich genug Freiheit für völlig neue Raumkonzeptionen zu bewahren. Doch das Grid, welches das Koordinatensystem dieser freien Formen beschreibt, bildet sich auch als Stossfugen der Glasscheiben ab – und lässt mehr an Hürden denn an Grenzüberschreitungen denken. Bei der Eröffnung der Bahn waren die Unzulänglichkeiten in der Ausführung der Glashaut nicht zu übersehen; perfekt im Rechner generiert ist noch nicht perfekt gebaut. Gleichwohl herrscht in Innsbruck Schulterklopfen allerorten: Man spricht zwar noch nicht von einem «Zaha-Effekt», aber die Bemühungen, mit grossen Namen aus der ehemaligen Olympiastadt eine Architekturstadt zu machen, sind auf gutem Wege.



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|13 Seilbahnen

24. Januar 2008Eva Maria Froschauer
Bauwelt

Die neue Hungerburgbahn in Innsbruck

Der Berghang auf der Nordseite von Innsbruck – heute nur noch „Nordpark“ genannt und damit vermarktungstechnisch zum einmaligen Naherholungsareal stilisiert...

Der Berghang auf der Nordseite von Innsbruck – heute nur noch „Nordpark“ genannt und damit vermarktungstechnisch zum einmaligen Naherholungsareal stilisiert – muss die modernen Tiroler Baukünstler der 20er Jahre mächtig gereizt haben. Früh wurde hier, in unmittelbarer Stadtnähe, eine Seilbahn geplant. Der Architekt Franz Baumann realisierte die Hochbauten im oberen Streckenabschnitt von der Hungerburg bis zum Hafelekar 1927/28. In der jünge­ren Vergangenheit war die Bergbahn von wirtschaftlichen Schwierigkeiten gezeichnet, ehe, durch eine „Public Privat Partnership“ gerettet, die Lösung mit Zaha Hadid zum Zuge kam (Heft 4.05). Kaum anders als beim ersten Bau von Hadid in Innsbruck, der Skischanze am Bergisel (Heft 46.02), böte sich auch bei der neuen Hungerburgbahn ein ganzes Bündel aus Histörchen und Hinweisen auf Begehrlichkeiten und Zwist an, das berichtenswert wäre. Viele der Querelen aus dem Vorfeld sind verdrängt; die Eröffnungsshow im vergangenen Dezember war fulminant; über die kolportierten rund 50 Millionen Euro Baukosten, seien sie auch zwischen Privat und Öffentlich verteilt, schweigt man sich aus; die Innsbrucker Bürgermeisterin gilt nun als noch durchsetzungsstärker, wittert sie Renommierprojekte. Vollständigen Artikel anssehen



verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2008|05 Erweiterungen

18. Dezember 2007Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Glasskulpturen im Gebirge

(SUBTITLE) Die neue Hungerburgbahn von Zaha Hadid in Innsbruck

Nach der Skisprungschanze auf dem Bergisel hat Zaha Hadid mit den Bauten der neu trassierten Hungerburgbahn soeben ihr zweites Projekt in Innsbruck realisiert. Die skulpturalen Glasdächer erinnern an die Gletscherwelt, aber auch an die Dynamik der Verkehrsströme.

Nach der Skisprungschanze auf dem Bergisel hat Zaha Hadid mit den Bauten der neu trassierten Hungerburgbahn soeben ihr zweites Projekt in Innsbruck realisiert. Die skulpturalen Glasdächer erinnern an die Gletscherwelt, aber auch an die Dynamik der Verkehrsströme.

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15. Dezember 2007Wojciech Czaja
Der Standard

Gletscher mit den Händen bauen

Es geht alles, wenn man nur daran glaubt. Mit diesem Glauben schlägt sich die britische Architektin Zaha Hadid seit Jahren durch die Männerdomäne. Jüngstes Beispiel: die Hungerburgbahn in Innsbruck. Ein Ausflug.

Es geht alles, wenn man nur daran glaubt. Mit diesem Glauben schlägt sich die britische Architektin Zaha Hadid seit Jahren durch die Männerdomäne. Jüngstes Beispiel: die Hungerburgbahn in Innsbruck. Ein Ausflug.

Gegner hat sie immer schon gehabt. Als die Feuerwehrstation in Weil am Rhein in ein Designmuseum umgewandelt wurde, lachte sich die Welt ins Fäustchen. Für die geplante Nutzung erwies sich das Gebäude als gänzlich untauglich. Die Kurvenradien waren zu schmal bemessen, in der Eile des brennenden Gefechts schafften es die Feuerwehrleute nicht, ohne zu reversieren aus dem Feuerwehrhaus herauszufahren. Doch Hadid weiß darauf zu antworten: „Die Feuerwehrstation ist später zum Vitra-Museum umgebaut worden, weil es viele neugierige Besucher gegeben hat, die von dieser Architektur angezogen wurden.“

Eines muss man der mächtigen Dame aus London lassen: Zaha Hadid ließ sich niemals unterkriegen. „Wenn ich mich je durch die internationale Meinung über meine Arbeit hätte beeinflussen lassen, hätte ich die Arbeit schon vor zwanzig Jahren hingeschmissen“, sagt sie heute, spielt mit ihrem wuchtigen Silberring, klackert mit den hochhackigen Stilettos am Boden, „wenn man Fantasie will, dann muss man sie auch ausreizen.“ Punktum.

Hadids jüngster Wurf ist die Hungerburgbahn in Innsbruck. Die Seilbahnstationen wirken wie Botschafter aus einer fernen Architekturzukunft. Als hätte man den Glasgebilden Leben eingehaucht, ruhen sie auf einem massiven Sockel aus Sichtbeton und sind im Begriff, jeden Moment ihre innewohnenden Kräfte zusammenzuballen und schwungvoll abzuheben. Warum die Glasdächer so sind, wie sie sind? „Wir haben uns bewusst für diese elastische Formensprache entschieden, damit wir uns den jeweiligen Bedingungen vor Ort besser anpassen können“, erklärt Thomas Vietzke, Projektleiter im Büro von Zaha Hadid, „schließlich darf man nicht außer Acht lassen, dass sich die Stationen gegen die unterschiedlichen städtebaulichen Einflüsse behaupten müssen.“

Fließende Eislandschaften

Die etwas leichtfüßigere Erklärung lieferte Hadid bei der Eröffnung vor zwei Wochen höchstpersönlich: „Die Architektur scheint zu fließen. Wir haben die Stahlkonstruktion unsichtbar belassen, damit der Eindruck einer fließenden Eis- und Gletscherlandschaft entsteht. Schließlich sind wir hier mitten in den Alpen.“ Das mit der Gletscherlandschaft sei selbstverständlich nicht buchstäblich gemeint, obwohl Architekten immer schon versucht hätten, die Natur zu imitieren. „In diesem Projekt war es jedoch technisch möglich. Wir sind der Form von fließendem Eis sehr nahe gekommen.“

Wiewohl, die smoothen Gletscher haben riesige Schrammen davongetragen. Das ist schade, denn gerade große High-End-Architektur wie diese braucht Fingerspitzengefühl und Raffinesse bis ins kleinste Detail. Im Fall der Hungerburgbahn hat Hadid jedoch einmal mehr bewiesen, dass ihre Architektur den Gesetzen des technisch Machbaren um Lichtjahre voraus ist. Mit offenen Mündern marschieren die wackeren Skifahrer, Snowboarder und wochenendfröhlichen Pensionisten durch die Stationen und recken den Kopf nach oben. „Isch guat, die Hadid.“ Aber da: ein ausgestreckter Zeigefinger mitten auf eine ordinäre Glasfuge, wo zwei Glasscheiben windschief aneinander vorbeisausen, anstatt bündig in einer Fläche zu liegen: „Isch nit guat.“

„Mit derartiger Architektur umzugehen, ist nicht leicht“, gesteht sich Christian Schleich ein. Er ist Projektleiter im Innsbrucker Planungsbüro Malojer, das die Generalplanung Hochbau innehatte und dafür sorgte, die kühnen Schwünge Hadids in die Realität zu übersetzen. Keine leichte Aufgabe. „Das Schwierigste war, dass wir in unserer Anbotsphase noch nicht wussten, dass wir mit Zaha Hadid zusammenarbeiten würden.“ Die Kosten von 35 Millionen Euro (Gesamtbetrag Hochbau, Tiefbau und Seilbahntechnik) mussten dennoch eingehalten werden - da wurde seitens der Auftraggeber Strabag, Stadt Innsbruck, Land Tirol und Tourismusverband Innsbruck-Igls freilich kein Auge zugedrückt.

Man musste tricksen. Die Produktion der 1200 Glasscheiben, die in Summe mit 2,18 Millionen Euro zu Buche schlägt, wurde aus finanziellen Gründen kurzerhand nach China ausgelagert. „Es blieb uns nichts anderes übrig, doch im Nachhinein stellte sich die Zusammenarbeit mit China als Problem heraus“, so Schleich, „die Qualität entspricht ganz einfach nicht unseren Vorgaben. Ein Drittel der Gläser wurde von uns bemängelt.“ Zu kurz, zu breit, zu flach, zu ungenau.

Montiert wurden die 300 bemängelten Scheiben dennoch. Schließlich musste man der Urheberin Zaha Hadid, die die neuen Stationen bei der Eröffnung zum ersten Mal gesehen hat, den rund 80 aus aller Welt angereisten Journalisten und den zigtausenden Besuchern ein hübsches Bild bieten. Ob, wie und wann die mangelhaften Glasscheiben im Laufe der kommenden Monate ausgetauscht werden, steht nach Auskunft des Büros Malojer noch offen.

„Wir haben gesehen, dass die Firmen und sogar einzelne Leute bei ihrer Arbeit an die Grenzen des Machbaren stoßen“, sagt Christian Schleich. Der Stand der Technik sei noch nicht so weit. „Aber scheinbar ist genau das ein Indiz für zeitgenössische und innovative Architektur. Andernfalls gäbe es keinen Fortschritt.“

Das ist ganz im Sinne Hadids: „Ich persönlich glaube sehr stark an Entwicklungen und Erfindungen“, erklärt die Architektin in einem Interview, „doch das größte Problem ist, dass die anderen nicht daran glauben. Sie können sich einfach nicht vorstellen, dass man Fantasie mit den eigenen Händen machen kann.“

Erstes PPP im Seilbahnbau

Und was sagt Hans Peter Haselsteiner, Mitinitiator des ersten Public Private Partnerships im Bereich Seilbahnbau? Immerhin hat der Strabag-Chef stolze 13,5 Millionen Euro in das Gesamtprojekt Hungerburgbahn und Nordkettenbahn investiert und wird nun für die Dauer von 30 Jahren die Einnahmen kassieren. „Es ist ein Projekt, von dem ich hoffe, dass es auch die kritischen Stimmen in Innsbruck überzeugen wird. Wer das erste Mal mit der Hungerburgbahn fährt, oben aussteigt und dann die skulpturale Architektur sieht, der muss - wenn er nicht blind ist oder ein Vorurteil hat - wohl anerkennen: Das ist etwas, worauf die Menschen in dieser Stadt stolz sein können.“

Fingerdickes Silikon in den Fugen, schiefe Gläser und eine verpatzter Auftrag nach China - das ist die eine Seite des Projekts. Doch der kritische Blick des Architekturkenners wird nicht von Dauer sein. Viel wichtiger ist, dass Innsbruck mit der Hungerburgbahn einen weiteren Schritt in Richtung Alpenmetropole gesetzt hat. Nach dem Rathaus (Dominique Perrault), dem in Bau befindlichen Kaufhaus Tyrol (David Chipperfield), der Sprungschanze am Bergisel (ebenfalls Zaha Hadid mit Malojer) und etlichen verheißungsvollen Projekten aus der Feder lokaler Architekten setzt Innsbruck einmal mehr auf die Architekturkarte.

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