Details

Adresse
Bahnhof Atocha, Madrid, Spanien
Mitarbeit Tragwerksplanung
Knut Göppert, Mike Schlaich, Christoph Paech, Markus Balz, Jens Schneider
Weitere Konsulent:innen
Haustechnik: Comcal S.L.; Burgos (E)
Funktion
Sonderbauten
Fertigstellung
2007
Baukosten
6,0 Mio EUR

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Presseschau

01. Juni 2008Elisabeth Plessen
db

Mahnmal für die Opfer des 11. März

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Auch vier Jahre nach den Attentaten von Madrid, bei denen am Morgen des 11. März 2004 – drei Tage vor den Parlamentswahlen – in Vorstadtzügen mit dem Ziel Atocha-Bahnhof und im Bahnhof selbst Bomben explodierten und 191 Tote und fast zweittausend Verletzte forderten, sind viele Fragen offen geblieben. Schnell wurde von damaliger Regierungsseite die ETA als verantwortlich ausgemacht und eine Al-Quaida-Beteiligung negiert. Auch wenn den verantwortlich Handelnden längst der Prozess gemacht wurde, und eine Verwicklung Letzterer nachgewiesen wurde, konnten viele Ungereimtheiten – nicht nur über die Tatmotive, sondern auch im Agieren der politisch Verantwortlichen und der ermittelnden Behörden nicht ausgeräumt werden. Ein Nährboden für Verschwörungstheorien und Skepsis.

Der Wettbewerb

Ungewöhnlich schnell, nicht ganz zwei Monate nach dem Anschlag, schrieben das Verkehrsministerium, die staatliche Eisenbahngesellschaft und die Stadtverwaltung gemeinsam einen internationalen, offenen Ideenwettbewerb für Stadtplaner, Architekten, Bildhauer und weitere Bildende Künstler aus. Auf dem Verkehrsrondell vor der großen Eingangsrotunde des von Rafael Moneo 1992 umgebauten Bahnhofs sollte ein Mahnmal für die Opfer entstehen. Gedacht hatten die Auslober bei der Wahl der Ortes und der Formulierung der Anforderungen wohl an eine monumentale Plastik. Durchsetzen in der Konkurrenz aus fast dreihundert Einsendungen konnte sich aber der eher konzepthafte Beitrag eines Teams fünf junger madrilenischer Architekten und Architekturstudenten, FAM Arquitectos, die eine ganz andere Lösung präsentierten. Ihr Entwurf erweiterte das im Stadtraum platzierte Zeichen, eine aus der Verkehrsinsel blockhaft herausbrechende, gläserne, amorphe »Lichtwolke«, um eine darunter liegende Halle in der Ladenzeile der Bahnhofspassage. So schufen sie einen abgeschlossenen Ort, der neben der Erinnerung auch ein ruhiges Gedenken ermöglicht. Die aus Glassteinen aufgetürmte, elf Meter hohe Lichtwolke sollte im Inneren eine weitere leichte Lichtblase umfangen – bedruckt mit den Namen der Opfer – und den in Kobaltblau gehaltenen Raum beleuchten. Immaterialität und Licht waren die Elemente, mit denen sie dem Geschehen und dem Andenken gerecht werden wollten; baubar war die Idee in der dargestellten Form (noch) nicht.

Das nicht Baubare bauen

Es war eine mutige Entscheidung der Verantwortlichen, diesen nicht nur weit über das geplante Budget, sondern auch mit erheblichen baulichen Eingriffen verbundenen Entwurf zu prämieren und das junge Team FAM Arquitectos, das Akronym steht für Fascinante Aroma a Manzana – übersetzt, »der fazinierende Duft des Apfels« – mit der Überarbeitung und Realisierung zu betrauen. Neben konstruktiven Fragen galt es auch behördliche Hürden zu nehmen, denn der Vorschlag beinhaltete auch, den in städtischem Besitz befindlichen oberirdischen Platz mit der im Eigentum der staatlichen Bahn gelegenen unterirdischen Ladenzeile zu verbinden. Aber das waren die geringeren Schwierigkeiten, galt es doch die Herausforderung zu bewältigen, eine »transparente Konstruktion ohne Struktur« zu entwickeln.

Schwieriger noch als die Recherche nach einem Glas – ursprünglich als massive quadratische Blöcke geplant –, das sowohl über konstruktive Eigenschaften verfügt als auch den thermischen Beanspruchungen gewachsen ist, gestaltete sich die Suche nach einem Tragwerksplaner. An diesem Punkt drohte das Projekt zu scheitern, »nicht machbar« lautete die Aussage aus den angefragten spanischen Büros.

Angesichts dieser vielfältigen Probleme nicht aufgegeben zu haben, ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung des jungen Architektenteams. Über einen ihrer Lehrer traten sie mit Mike Schlaich, der ihnen aus Vorträgen an ihrer Hochschule bekannt war, in Kontakt. Ein mehrtägiger Workshop im Stuttgarter Ingenieurbüro schuf dann erste Entscheidungsgrundlagen für die weitere Planung und die Zusammenarbeit.

Der im Wettbewerb noch zweigeschossige unterirdische »Gedenkraum« wurde im Laufe der Überarbeitung eingeschossig, die äußere Wolke zu einer leicht verzogenen elliptischen Säule aus Glasziegeln, deren Höhe von elf Metern eine sehr bildhafte Referenz an das Datum des 11. März ist.

Zwischen der den Innenraum abdichtenden Folie und dem Glasturm ist auf Deckenhöhe ein Leuchtenkranz angebracht, der die gläserne Skulptur nachts in ein wechselndes Lichtfeld hüllt. Dann tritt die amorphe Wolke, deutlicher als bei Tag, fast wie eine Projektion hervor.

Diese innere Wolke besteht aus einer ETFE-Folie, die durch Überdruck ihre Form erhält und mit einem Befestigungspunkt von den Glasträgern der Decke hängt. Gegen eine Beschriftung mit den Namen der Opfer hatten sich einige Angehörige ausgesprochen. Stattdessen ist auf ihr eine Auswahl der Botschaften zu lesen, die Passanten in vielen Sprachen in den Tagen nach dem Attentat auf Zetteln oder den Bahnhofsmauern hinterlassen hatten. Von der in ihnen zum Ausdruck kommenden kollektiven Trauer und dem Entsetzen wird der Besucher umfangen, wenn er aus dem geschäftigen Treiben der Bahnhofspassage in den 500 Quadratmeter großen, intensiv blauen Gedenkraum tritt und unter dem Lichtkreis der gläsernen Säule steht. Zwei Luftschleusen, je eine als Ein- und eine als Ausgang, sorgen für den konstanten Überdruck in dem fast kapellenhaft anmutenden »Gewölbe«. Hinter der ersten Schleuse sind auf einer hinterleuchteten gläsernen Platte in der Wand die Namen der Opfer eingeschrieben – allerdings nicht aller. Zwei Familien haben die Nennung ihrer Angehörigen untersagt, wollten sich nicht an diesem Ort der öffentlichen Trauer wiederfinden.

Eine Bank im Eingangsbereich stellt die einzige Möblierung des Raumes dar. Wandpaneele, Akrylharzboden mit eingelassenen Glassplittern und die sich zur Lichtsäule hin leicht wölbende Decke sind rundum im selben Blauton gehalten. So ist alle Aufmerksamkeit auf die je nach Jahres- und Tageszeit gleißend helle, graue oder angeleuchtete Säule fokussiert. Die Glasfassade zur Bahnhofspassage ist wie durch Druckwellen deformiert, was sowohl von außen als auch von innen zu verzerrt-verschliffenen Blicken führt. Damit soll, ¬einem Traumbild ähnlich, der Raum aus der Zeit gehoben werden.

Gebaute Transparenz

Diffus transparent, unbestimmt sakral und bei aller Inszenierung schlicht, so lässt sich die Wirkung des Mahnmals am besten beschreiben. Keine Monumentalität – die in den Himmel aufsteigenden Trauerbotschaften sind der zentrale Inhalt. Die Idee ist so klar und bildhaft, dass sie sich dem Besucher unmittelbar erschließt. Es ist sicher die Mischung aus dem Vertrauen auf die große Kraft von Symbolen und einfachen Gesten, die ihm seine Kraft verleiht – immer in der Gefahr, die Bilderwelt überzustrapazieren; eine Gratwanderung. Aber der Balanceakt ist gelungen. Auch über ein Jahr nach der Eröffnung der Gedenkstätte finden noch Hunderte von Besuchern täglich ihren Weg in den Gedenkraum.

Mittlerweile ist die Außenhaut der Folie mit einem leichten gelblich-grauen Staub überzogen, da die Säule selbst ein offenes System ist, mit Luftdüsen am Boden, durch die kalte Luft in den Zwischenraum geblasen wird, und Auslässen im Kranz des Glaskörpers. So wird viel der »Nachhaltigkeit« des Mahnmals auch davon abhängen, wie gut es gewartet werden wird, um seine Wirkung langfristig erhalten zu können.



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|06 Balthasar-Neumann-Preis 2008

20. April 2007Kaye Geipel
Bauwelt

„... to interpenetrate without distraction“

Das Denkmal für die Opfer des Terroranschlags vom 11. März 2004 in Madrid bezieht sich in seiner Form auf eine Idee der Transparenz, die sich an die Ästhetik der Medien und deren Spiel mit Auflösung und Zersetzung anlehnt. Der Konzeption liegt eine fragwürdige These zugrunde. Trotzdem entstand ein überzeugendes Projekt.

Das Denkmal für die Opfer des Terroranschlags vom 11. März 2004 in Madrid bezieht sich in seiner Form auf eine Idee der Transparenz, die sich an die Ästhetik der Medien und deren Spiel mit Auflösung und Zersetzung anlehnt. Der Konzeption liegt eine fragwürdige These zugrunde. Trotzdem entstand ein überzeugendes Projekt.

Colin Rowe hat den zweiten Teil des großen Essays, den er 1956 mit Robert Slutzky über die Transparenz in der Moderne geschrieben hatte, später mit einem Hinweis versehen: Das helle Licht und die Landschaft von Texas seien mitentscheidend für die Ideen gewesen. Der Essay wendet sich gegen die krude Durchsichtigkeit der gläsernen Moderne und plädiert für eine mehrdeutige Definition der Transparenz. Er macht sich stark für geschichtete Gebäudehüllen, die imstande sei­­en „to interpenetrate without optical distraction“. Diese raf­finierten Eigenschaften des Rowe’schen Transparenzbegriffs sind von den Medienbildern längst eingeholt worden. Sie haben heute einen manchmal drohenden Unterton bekommen: In der filmischen Darstellung ist alles was transparent ist, meist auch grell und farbig beleuchtet, und dort wo die Räume durchsichtig werden, ist deren Zerstörung oft nicht weit. In Kinofilmen wie „Matrix“ und „Face/Off“ und in un­zähligen Fernsehserien in deren Manier fliegen Räume reihenweise in die Luft, kurz nachdem sie für den Zuschauer durchsichtig wurden. – In diesem Zusammenhang scheint die Idee eines diffus transparenten Denkmals fragwürdig zu sein.

Das Attentat in den Zügen vor dem Madrider Bahnhof Atocha geschah am 11. März 2004, drei Tage vor der Parlamentswahl, um 7 Uhr 40 früh, und forderte 191 Tote, 1824 Verletzte, davon 81 schwer. Drei Jahre nach dem Terroranschlag wurde jetzt im Beisein des spanischen Königs Juan Carlos das „monumento a las víctimas del 11-M“ in einer kurzen Zeremonie eingeweiht. Nachdem es zuvor Streit um die Instrumentalisierung der Ereignisse durch die großen Parteien gegeben hat, belies man es bei der Eröffnung bei drei Schweigeminuten. Es gab keine Reden, nur Musik. Das Denkmal, entworfen und geplant von der Architektengruppe FAM, basiert auf einem Konzept, das einen Schweigeraum vorsieht und das in seinen ephemeren Bestandteilen der filmischen Ästhetik nahesteht. Der Entwurf setzt sich zusammen aus einer überirdischen Konstruktion, die auf einer Verkehrsinsel neben dem Bahnhof platziert ist, und einem unterirdischen Gedenkraum in der Bahnhofspassage. Die Verbindung zwischen beiden erfolgt über eine von oben belichtete Öffnung. Der überirdische Teile des Denkmals besteht aus einem 11 Meter hohen, gläsernen Zylinder in Form eines Ovals, der mit seiner Höhe auf das Datum 11. März anspielt. Der direkt unter diesem Zylinder platzierte 500 Quadratmeter große Gedenkraum ist kobaltblau gestrichen. Von ihm aus kann man in das gläserne Oval hinaufschauen. Dieses Oval hat eine innere Blase aus bedruckter ETFE Folie, die durch Überdruck in eine amorphe Form gebracht wird. Auf ihr finden sich in vielen Sprachen die Trauerbotschaften, die die Passanten in den Tagen nach dem Attentat teils auf die Mauern des Bahnhofs geschrieben, teils auf Zetteln hinterlassen haben.

Als die jungen Architekten vor zweieinhalb Jahren als Sieger aus dem Wettbewerb hervorgingen, galt deren Wahl als gewagte Entscheidung. Die fünf Architekten, alle unter 30, hatten noch kein wichtiges Projekt realisiert. Der Büroname FAM, hinter dem sich der rätselhafte Begriff „faszinierender Wohlgeruch des Apfels“ verbirgt, kennzeichnete sie vor al­­lem als Szenemitglieder des Architektenportals „Freshmadrid“. „Unser Wettbewerbsbeitrag zielte auf die Darstellung einer Idee, baubar war er in dieser Form nicht“, sagt einer der Architekten, Pedro Colón, im Rückblick. Der preisgekrönte Entwurf zeigte im Straßenraum einen diffus zersprengten Lichtre­­gen. „Wir wollten ein Denkmal ohne Struktur, ohne tragen­de Stahlkonstruktion. Wir wollten nur die Addition von immaterieller Hülle, Licht und Botschaft.“

Licht aber braucht einen materiellen Träger, wenn es nicht nur nachts mittels Projektoren sichtbar gemacht wird, sondern auch im grellen Licht der Sonne bestehen soll. Als Material kamen schließlich nur Glaswände in Frage. In der zwei­jährigen Realisierungsphase besuchten die Architekten die verbliebenen Glasbläsereien am Rande Madrids. Sie brachten große mundgeblasene Vasen ins Büro, die aufeinandergestapelt aber keiner weiteren Belastung standhielten. In Tschechien fanden sie dann eine Fabrik, die in der Lage war, sehr dicke Glasblöcke herzustellen. Einen plötzlichen Temperatur­abfall, zum Beispiel wenn die Sonne die Blöcke aufgeheizt und sie dann durch plötzlichen Regen abgekühlt worden wären, hätte allerdings auch eine Wand aus solchen Brocken nicht verkraftet. Der Tragwerksplaner Mike Schlaich wurde bei der Suche nach einer „transparenten Konstruktion ohne Struktur“ beteiligt. Die Lösung fand sich schließlich in massiven Glasziegeln der Firma Schott aus Borosilicatglas, 30 Zentimeter lang, 8 Zentimeter dick und mit einer konkaven und einer konvexen Seite ausgestattet, so dass sie sich mit unterschiedlichen Radien ineinander schieben lassen.

Die Umsetzung ist gelungen. Der Glaszylinder, hinter dem die amorphe Folienhülle gerade noch sichtbar ist, macht vor allem bei Nacht jene Nahtstelle zwischen Realität und Simulation deutlich macht, in der sich das Material zugunsten einer semitransparenten Erscheinung ganz wegduckt. Sicher, dieser Glaszylinder lässt Lesarten der Trauer zu, die naive Lesart einer visuellen Beliebigkeit kann die irrisierende Zauberkugel nicht verleugnen. Im Zusammenspiel zwischen unten und oben ist das Monument trotzdem gelungen: Ohne einen Hinweis auf ihre Funktion tauchen die Vitrinen des blauen Raums in der Bahnhofspassage auf, kenntlich nur durch die Schlange der Leute, die vor den gewellten Plexiglasscheiben anstehen. Die Wartenden werden zunächst in eine Vorhalle eingelassen, vor eine Wand mit den Namen der Toten. Eine weitere Tür öffnet das dunkelblaue Souterrain um den beschriebenen Zylinder. Dieser kryptaartige Raum lässt jedem Besucher Zeit für das Lesen der Satzfragmente, er ermöglicht fragendes Schweigen und ein eigens für diesen Ort geschaffenes Ritual, das den irrisierenden Charakter an der Oberfläche konterkarriert.



verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2007|15-16 Villen

9 | 8 | 7 | 5 | 6 | 4 | 3 | 2 | 1