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01. Juni 2008Elisabeth Plessen
db

Mahnmal für die Opfer des 11. März

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Auch vier Jahre nach den Attentaten von Madrid, bei denen am Morgen des 11. März 2004 – drei Tage vor den Parlamentswahlen – in Vorstadtzügen mit dem Ziel Atocha-Bahnhof und im Bahnhof selbst Bomben explodierten und 191 Tote und fast zweittausend Verletzte forderten, sind viele Fragen offen geblieben. Schnell wurde von damaliger Regierungsseite die ETA als verantwortlich ausgemacht und eine Al-Quaida-Beteiligung negiert. Auch wenn den verantwortlich Handelnden längst der Prozess gemacht wurde, und eine Verwicklung Letzterer nachgewiesen wurde, konnten viele Ungereimtheiten – nicht nur über die Tatmotive, sondern auch im Agieren der politisch Verantwortlichen und der ermittelnden Behörden nicht ausgeräumt werden. Ein Nährboden für Verschwörungstheorien und Skepsis.

Der Wettbewerb

Ungewöhnlich schnell, nicht ganz zwei Monate nach dem Anschlag, schrieben das Verkehrsministerium, die staatliche Eisenbahngesellschaft und die Stadtverwaltung gemeinsam einen internationalen, offenen Ideenwettbewerb für Stadtplaner, Architekten, Bildhauer und weitere Bildende Künstler aus. Auf dem Verkehrsrondell vor der großen Eingangsrotunde des von Rafael Moneo 1992 umgebauten Bahnhofs sollte ein Mahnmal für die Opfer entstehen. Gedacht hatten die Auslober bei der Wahl der Ortes und der Formulierung der Anforderungen wohl an eine monumentale Plastik. Durchsetzen in der Konkurrenz aus fast dreihundert Einsendungen konnte sich aber der eher konzepthafte Beitrag eines Teams fünf junger madrilenischer Architekten und Architekturstudenten, FAM Arquitectos, die eine ganz andere Lösung präsentierten. Ihr Entwurf erweiterte das im Stadtraum platzierte Zeichen, eine aus der Verkehrsinsel blockhaft herausbrechende, gläserne, amorphe »Lichtwolke«, um eine darunter liegende Halle in der Ladenzeile der Bahnhofspassage. So schufen sie einen abgeschlossenen Ort, der neben der Erinnerung auch ein ruhiges Gedenken ermöglicht. Die aus Glassteinen aufgetürmte, elf Meter hohe Lichtwolke sollte im Inneren eine weitere leichte Lichtblase umfangen – bedruckt mit den Namen der Opfer – und den in Kobaltblau gehaltenen Raum beleuchten. Immaterialität und Licht waren die Elemente, mit denen sie dem Geschehen und dem Andenken gerecht werden wollten; baubar war die Idee in der dargestellten Form (noch) nicht.

Das nicht Baubare bauen

Es war eine mutige Entscheidung der Verantwortlichen, diesen nicht nur weit über das geplante Budget, sondern auch mit erheblichen baulichen Eingriffen verbundenen Entwurf zu prämieren und das junge Team FAM Arquitectos, das Akronym steht für Fascinante Aroma a Manzana – übersetzt, »der fazinierende Duft des Apfels« – mit der Überarbeitung und Realisierung zu betrauen. Neben konstruktiven Fragen galt es auch behördliche Hürden zu nehmen, denn der Vorschlag beinhaltete auch, den in städtischem Besitz befindlichen oberirdischen Platz mit der im Eigentum der staatlichen Bahn gelegenen unterirdischen Ladenzeile zu verbinden. Aber das waren die geringeren Schwierigkeiten, galt es doch die Herausforderung zu bewältigen, eine »transparente Konstruktion ohne Struktur« zu entwickeln.

Schwieriger noch als die Recherche nach einem Glas – ursprünglich als massive quadratische Blöcke geplant –, das sowohl über konstruktive Eigenschaften verfügt als auch den thermischen Beanspruchungen gewachsen ist, gestaltete sich die Suche nach einem Tragwerksplaner. An diesem Punkt drohte das Projekt zu scheitern, »nicht machbar« lautete die Aussage aus den angefragten spanischen Büros.

Angesichts dieser vielfältigen Probleme nicht aufgegeben zu haben, ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung des jungen Architektenteams. Über einen ihrer Lehrer traten sie mit Mike Schlaich, der ihnen aus Vorträgen an ihrer Hochschule bekannt war, in Kontakt. Ein mehrtägiger Workshop im Stuttgarter Ingenieurbüro schuf dann erste Entscheidungsgrundlagen für die weitere Planung und die Zusammenarbeit.

Der im Wettbewerb noch zweigeschossige unterirdische »Gedenkraum« wurde im Laufe der Überarbeitung eingeschossig, die äußere Wolke zu einer leicht verzogenen elliptischen Säule aus Glasziegeln, deren Höhe von elf Metern eine sehr bildhafte Referenz an das Datum des 11. März ist.

Zwischen der den Innenraum abdichtenden Folie und dem Glasturm ist auf Deckenhöhe ein Leuchtenkranz angebracht, der die gläserne Skulptur nachts in ein wechselndes Lichtfeld hüllt. Dann tritt die amorphe Wolke, deutlicher als bei Tag, fast wie eine Projektion hervor.

Diese innere Wolke besteht aus einer ETFE-Folie, die durch Überdruck ihre Form erhält und mit einem Befestigungspunkt von den Glasträgern der Decke hängt. Gegen eine Beschriftung mit den Namen der Opfer hatten sich einige Angehörige ausgesprochen. Stattdessen ist auf ihr eine Auswahl der Botschaften zu lesen, die Passanten in vielen Sprachen in den Tagen nach dem Attentat auf Zetteln oder den Bahnhofsmauern hinterlassen hatten. Von der in ihnen zum Ausdruck kommenden kollektiven Trauer und dem Entsetzen wird der Besucher umfangen, wenn er aus dem geschäftigen Treiben der Bahnhofspassage in den 500 Quadratmeter großen, intensiv blauen Gedenkraum tritt und unter dem Lichtkreis der gläsernen Säule steht. Zwei Luftschleusen, je eine als Ein- und eine als Ausgang, sorgen für den konstanten Überdruck in dem fast kapellenhaft anmutenden »Gewölbe«. Hinter der ersten Schleuse sind auf einer hinterleuchteten gläsernen Platte in der Wand die Namen der Opfer eingeschrieben – allerdings nicht aller. Zwei Familien haben die Nennung ihrer Angehörigen untersagt, wollten sich nicht an diesem Ort der öffentlichen Trauer wiederfinden.

Eine Bank im Eingangsbereich stellt die einzige Möblierung des Raumes dar. Wandpaneele, Akrylharzboden mit eingelassenen Glassplittern und die sich zur Lichtsäule hin leicht wölbende Decke sind rundum im selben Blauton gehalten. So ist alle Aufmerksamkeit auf die je nach Jahres- und Tageszeit gleißend helle, graue oder angeleuchtete Säule fokussiert. Die Glasfassade zur Bahnhofspassage ist wie durch Druckwellen deformiert, was sowohl von außen als auch von innen zu verzerrt-verschliffenen Blicken führt. Damit soll, ¬einem Traumbild ähnlich, der Raum aus der Zeit gehoben werden.

Gebaute Transparenz

Diffus transparent, unbestimmt sakral und bei aller Inszenierung schlicht, so lässt sich die Wirkung des Mahnmals am besten beschreiben. Keine Monumentalität – die in den Himmel aufsteigenden Trauerbotschaften sind der zentrale Inhalt. Die Idee ist so klar und bildhaft, dass sie sich dem Besucher unmittelbar erschließt. Es ist sicher die Mischung aus dem Vertrauen auf die große Kraft von Symbolen und einfachen Gesten, die ihm seine Kraft verleiht – immer in der Gefahr, die Bilderwelt überzustrapazieren; eine Gratwanderung. Aber der Balanceakt ist gelungen. Auch über ein Jahr nach der Eröffnung der Gedenkstätte finden noch Hunderte von Besuchern täglich ihren Weg in den Gedenkraum.

Mittlerweile ist die Außenhaut der Folie mit einem leichten gelblich-grauen Staub überzogen, da die Säule selbst ein offenes System ist, mit Luftdüsen am Boden, durch die kalte Luft in den Zwischenraum geblasen wird, und Auslässen im Kranz des Glaskörpers. So wird viel der »Nachhaltigkeit« des Mahnmals auch davon abhängen, wie gut es gewartet werden wird, um seine Wirkung langfristig erhalten zu können.

db, So., 2008.06.01



verknüpfte Bauwerke
Denkmal für die Terroropfer von Atocha



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|06 Balthasar-Neumann-Preis 2008

02. März 2008Elisabeth Plessen
db

Vom Fügen und Feilen

Architekt: Peter Zumthor
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke
Fotos: Helene Binet, Walter Mair

Bauherr: Erzbistum Köln, Generalvikariat, Hauptabteilung Finanzen/Bau/Recht www.kolumba.de
Architekt: Peter Zumthor, Haldenstein, CH
Projektleitung: Rainer Weitschies, Atelier Zumthor
Bauleitung: Atelier Peter Zumthor mit Architekt Wolfram Stein, Köln
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli, Haldenstein, CH, mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke, Köln
Rohbau: E. Heitkamp GmbH, Niederlassung Köln
Heizung/Klima/Geothermie: Ingenieurbüro Gerhard Kahlert, Haltern
Elektro/Sanitär: Ingenieurgesellschaft Hilger mbH, Aachen
Bauphysik: Ferdinand Stadlin Bautechnologie, Buchs, CH
Baukosten: 43,4 Mio. Euro
Bauzeit: 2003–2007 (Eröffnung im September)

Architekt: Peter Zumthor
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke
Fotos: Helene Binet, Walter Mair

Bauherr: Erzbistum Köln, Generalvikariat, Hauptabteilung Finanzen/Bau/Recht www.kolumba.de
Architekt: Peter Zumthor, Haldenstein, CH
Projektleitung: Rainer Weitschies, Atelier Zumthor
Bauleitung: Atelier Peter Zumthor mit Architekt Wolfram Stein, Köln
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli, Haldenstein, CH, mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke, Köln
Rohbau: E. Heitkamp GmbH, Niederlassung Köln
Heizung/Klima/Geothermie: Ingenieurbüro Gerhard Kahlert, Haltern
Elektro/Sanitär: Ingenieurgesellschaft Hilger mbH, Aachen
Bauphysik: Ferdinand Stadlin Bautechnologie, Buchs, CH
Baukosten: 43,4 Mio. Euro
Bauzeit: 2003–2007 (Eröffnung im September)

»Vielleicht«, sagt Peter Zumthor über seine Architektur, »sollte man lieber nicht von Stil sprechen, sondern von einer bestimmten Herangehensweise, von einer spezifischen Gewissenhaftigkeit bei der Lösung der Aufgaben.« [1]. Mit dieser Gewissenhaftigkeit hat Zumthor 1997 den Wettbewerb für das Diözesanmuseum für sich entschieden. Dessen schwierige Aufgabe lautete, für die zu groß gewordene Sammlung des erzbischöflichen Kunstmuseums auf dem Ruinenfeld der ehemaligen Pfarrkirche St. Kolumba ein neues Haus zu errichten. Dabei stellten sowohl das geschichtsträchtige Grundstück als auch der Anspruch der Museumsleitung, mit dem Neubau auf der Grundlage eines erweiterten Kunstbegriffes eine zukünftige Form musealen Selbstverständnisses zu realisieren, eine Herausforderung dar.Die spätgotische Emporenbasilika St. Kolumba, einst größte Pfarrkirche Kölns, war im Krieg bis auf wenige Grundmauern zerstört worden. Inmitten der Trümmer hatte sich damals in einem Pfeiler eine spätgotische Madonna erhalten, die für die Kölner zum Symbol des Neubeginns wurde. Ihr erbaute Gottfried Böhm die 1950 geweihte Kapelle »Madonna in den Trümmern«, einen kleinen einschiffigen Bau, auf den ehemaligen Turmmauern, dem er einen lichtdurchfluteten oktogonalen Chor mit einem Zeltdach anschloss. Einige Jahre später ergänzte er sie um eine Sakramentskapelle. Bei archäologischen Grabungen um das Oktogon in den siebziger Jahren wurden dann neben römischen Siedlungsresten auch Fragmente eines aus karolingischer Zeit datierten, einschiffigen Vorgängerbaus, der in den folgenden Jahrhunderten mehrfach erweitert und schließlich durch die fünfschiffige Basilika ersetzt worden war, freigelegt.Die Kapelle, so die Wettbewerbsvorgabe, sollte erhalten und in den Neubau integriert werden, die Bodendenkmale des Grabungsfeldes mit einem Witterungsschutz versehen werden. Zumthor entwickelte das neue Gebäude konsequent auf den Mauerfundamenten der alten Pfarrkirche, übernahm deren Grundriss, überbaute damit auch die zur Kolumbastraße gehende Front der Böhmkapelle und schloss daran nahtlos im Winkel einen Nordflügel an. Lediglich die aufgehenden Mauern der alten Sakristei, in der die bei den Ausgrabungen zu Tage gekommenen Gebeine beigesetzt sind, ließ er unangetastet. In das Grabungsfeld stellte er 14 schlanke, zwölf Meter hohe Betonstützen ein, die den Verlauf des ehemaligen, leicht trapezförmig verschobenen Mittelschiffs nachzeichnen, und lagerte auf diesen sowie weiteren im alten Mauerwerk platzierten Stützen die die Kapelle und Ruinenstätte überfangende Mörteldecke auf. Darauf ordnete er den Großteil der Ausstellungsräume an. Im unterkellerten Nordflügel brachte er die Depots unter.

Blockhafte Kleinteiligkeit

Der Neubau beansprucht und dominiert den Stadtraum entlang der Kolumba- und Brückenstraße mit seinem Volumen, tritt aber gleichzeitig durch seine homogene Materialwahl in das Straßenbild zurück. Um Neues und Altes miteinander zu verbinden, entschied sich Zumthor für einen schmalen, hellen, eigens in Dänemark gefertigten Ziegel in einem warmen Weißgrauton, der mit breiten Lagerfugen gesetzt wurde und mit dem mittelalterlichen Bestand aus Ziegeln, Tuff und Basalten korrespondiert. Dieser erlaubte sowohl den behutsamen Anschluss an die Bestandsmauern als auch das großflächige, durchlässige, doppelschalige »Filtermauerwerk«, mit dem er das Grabungsfeld umfing, um dessen Außenklima zu erhalten. Glatt hochgemauert umhüllt der kleinteilige Stein das blockhafte dreigeschossige Gebäudevolumen, aus dem sich drei Türme erheben und das aus der Ferne ein wenig wie eine Trutzburg anmutet. Der flächigen Fassade wie vorgehängt, sind in den oberen Geschossen fünf große Fensteröffnungen angeordnet.

Steg zur Umkehr und gefangene Madonna

War das Foyer des im Nordflügel gelegenen Eingangs im Wettbewerbsentwurf noch als eine sich zur Straße öffnende Halle ausgewiesen, hat es sich im Laufe der vielen Überarbeitungen ins Gebäude zurückgezogen. Man betritt das Museum durch eine fast schaufensterartige Öffnung vor einer zurückgesetzten Wand, entlang der der Weg ins Innere führt und ist nach der Materialhomogenität des Äußeren fast ein wenig überwältigt von der Vielfalt der Innenausstattung; den großflächigen Muschelkalkplatten des Bodens, den unterschiedlichen Hölzern – ein Tresen aus Eukalyptusholz, Bücherregale in Roseneiche, eine in Birnbaum ausgekleidete Garderobe. Vom Foyer öffnet sich der Blick in den von einer rötlichen Stampfbetonwand eingefassten, mit Bäumen bepflanzten Gartenhof. Aus dem Foyer kann man durch einen schweren ledernen Vorhang in das Dämmerlicht des 900 Quadratmeter großen, hinter dem von außen rätselhaften Filtermauerwerk verborgenen Ausgrabungsbereich treten. Entlang eines gezackt über das Gelände gelegten roten Stegs aus Padoukholz wird der Besucher vorbei an den Ruinen und Böhms Kapelle durch die halbdunkle, von flirrend einfallendem Tageslicht und einigen Hängeleuchten erhellte Halle in die offene Sakristei geleitet, wo Richard Serras Skulptur »The Drowned and the Saved« über die Gebeine wacht. Der Weg führt zurück über den Steg – und vielleicht erst beim zweiten Durchqueren und aus dieser Perspektive erschließt sich der Raum ein wenig, erahnt man eine Ordnung in der Stellung der Betonstützen und erkennt den Aufbau des zweischaligen Mauerwerks mit seinen ausfachenden Stahlrahmen. Es scheint, als sei die Sogwirkung des intensiv roten Steges gezielt darauf angelegt, nach einem ersten, schnellen Durchqueren den Besucher zum Perspektivenwechsel aufzufordern. Dass mit dem Ruinen auch die Marienkapelle »eingehaust« wurde, hat nicht nur bei Böhm anfänglich Entrüstung hervorgerufen, sondern viele Kölner, die sie als einen Ruhepunkt im Einkaufserleben der nahe gelegenen Hohestraße sehen, in Unmut versetzt. Ihr Verschwinden aus dem Stadtbild schmerzt sie dabei ebenso wie die Erfahrung, dass die nun über einen tiefen Einschnitt in der Fassade von der Brückenstraße aus zugängliche Kapelle ihre lichte Leichtigkeit verloren hat, der Fensterzyklus der tanzenden Engel von Ludwig Gries künftig nur durch gleichmäßiges, nachträglich installiertes Licht aus der halbdunklen Halle angeleuchtet werden wird. Doch lässt sich dies als konsequente Umsetzung des Weiterbauens sehen. Ebenso wie die früheren Ausgrabungsstufen ist auch die Marienkapelle Zeitzeugnis einer anderen Epoche. So ist es folgerichtig, dass sie wie alle anderen Bauphasen auch, eingehüllt wird vom Mauerwerksverband.

Ausblicke, Kabinette, Türme und Dialoge

Die Ausstellungsräume für die sehr divergente Sammlung aus sakraler Kunst der Jahrhunderte und weltlicher beginnen kleinteilig im fensterlosen ersten Obergeschoss des Nordflügels, zu dem ein schmaler Treppenschacht hinaufführt. Der fugenlose helle Terrazzoboden ist gegen die mit einem warmen graubeigen Lehmputz versehenen Wände einen Spalt breit abgesetzt, die Mörteldecken korrespondieren mit ihnen in einem leicht gelblichen Grau. Rebecca Horns »Blindenstab«, Warhol und mittelalterlicher Schmerzensmann sollen hier – möglichst gemeinsam, so der Kuratorenwunsch – mit dem Betrachter in den Dialog treten. Erklärende Tafeln sucht man vergebens, ein kleines, am Eingang erhältliches Heftchen weist in allen Ausstellungsräumen die Kunstwerke aus. Gegen eine »Plakatierung« der Wände mit Informationen hatte sich Zumthor vehement ausgesprochen, man kann ihm nur zustimmen, denn von deren samtig-erdiger Glätte hätten sie sich zu prominent abgesetzt.Ein niedriges Kabinett, das um eine vier Zentimeter hohe Stufe versetzt, gleichsam aus der Wand ausgehöhlt zu sein scheint – so nahtlos und farblich angeglichen gehen Mörtelboden, Wand und Decke hier ineinander über – bildet eine Art Ouvertüre des im zweiten Obergeschoss bestimmenden Themas von Platz, »Kabinett-Häusern« und Türmen. Am Ende der Raumfolge, direkt über Böhms Kapellenhalle gelegen, verschließen schwere schwarze Samtportieren den Blick in das ebenfalls mit schwarzem Samt ausgekleidete Armarium, aus dessen Dunkel der fast aufdringlich angestrahlte Kirchenschatz sein Geheimnis preisgibt. Der Weg ins Licht des zweiten Obergeschosses führt über eine Himmelsleiter, über die der weißgraue Terrazzobelag, von den Wänden abgesetzt, fugenlos hinaufzugleiten scheint. An ihrem Ende öffnet sich erstmals ein raumhohes Fenster und gibt den Blick auf den Dom frei. Im eigentlichen Ausstellungsbereich über dem Gräberfeld zeichnet der Terrazzo platzartig den Verlauf des darunter liegenden Stützenrasters nach. An seinen abgesetzten Kanten gehen, einzelnen Häuserfluchten ähnlich, die Wände der Kabinette auf. Zwischen deren Fluchten öffnen sich zwei helle seitliche Plätze, die über breite, geschosshohe Fenster belichtet werden und – fast in Weiterführung des innen wahrnehmbaren Stadtthemas – Blicke auf Köln rahmen. Und an Bilderrahmen erinnern sie mit ihrer der Fassade vorgehängten Konstruktion auch von außen. Spätestens hier kann der Betrachter sich der fast aufdrängenden mehrschichtigen Lesbarkeit des Gebäudes nicht mehr entziehen. Im Verhältnis zur Raumhöhe sehr niedrige Einschnitte in die Wände führen in drei dunkel gehaltenene Eingangskabinette, an die sich helle, turmartige Räume anschließen. Hier fällt Licht aus hoch liegenden satinierten Seitenfenstern ein und unterstützt so die Sogwirkung des Raumes. Sucht man in diesem komplexen Gefüge nach Schwachpunkten, wird man im Lesesaal fündig, der vom Boden über die Wände bis hin zur Decke mit Mahagoni-Holzpaneelen in großflächiger Maserung ausgekleidet, und damit so dominant auf sich selbst und den geschosshoch gerahmten Blick auf die Stadt konzentriert ist, dass die von Zumthor speziell für diesen Raum entworfenen Sitzmöbel mit ihren fast expressionistischen Rundungen als das »Wenige zuviel« seine Ruhe stören.Inmitten dieser spannungsreichen, dabei in sich ruhenden Räumen tritt sakrale Kunst vieler Jahrhunderte mit moderner weltlicher Kunst in den Dialog und lädt den Besucher ein, daran teilzuhaben. Um diesem Platz zu geben, haben sich die Kuratoren auf zurückhaltend wenige Exponate ihrer Sammlung beschränkt und bauen darauf, dass ihr Konzept der Gegenüberstellung dem Besucher ein intensives Erleben ermöglicht und ihn wiederkommen lässt, um immer neue Gespräche in – so das Versprechen am Eröffnungstag – häufig wechselnden »Kunstgruppierungen« zu führen.Eine gelegentlich an Kolumba geäußerte Kritik lautet, Zumthor habe ein Gefäß geschaffen, in dem profane Kunst in ihrer Gegenüberstellung mit sakraler eine dieser immanente, höhere Bedeutungsebene erhalte. Damit stellt man aber eher die Mündigkeit der Besucher in Frage und überschätzt selbst die Fähigkeiten eines Peter Zumthor; deutet seine Errungenschaft in Scheitern um. Denn die Bauaufgabe lautete, einen Raum zu schaffen, der spirituelles Erleben erlaube; für den Rest ist der Betrachter verantwortlich.Fast zehn Jahre Planungs- und Bauzeit und runde 43 Millionen Euro statt der ursprünglich veranschlagten 36 Millionen hat diese gewissenhafte Lösung der Aufgabe gekostet, davon wurden fünf Millionen aus den Geldern der Denkmalpflege finanziert.

Wiederholungen und Interpretationen

Eine eindeutige Einordnung des Gebäudes fällt schwer. Es ist im eigentlichen Sinne archaisch in seiner Wirkung. Mit einer fast archetypisch zu nennenden Bilder- und Erlebniswelt spricht es tief verwurzelte Wahrnehmungsebenen an, während es formal ureigentlich in der Moderne verwurzelt ist. Es »lebt« von der verfremdenden Wiederholung bekannter Motive (Höhle, Marktplatz, Turm, Schatzkammer, Himmelsleiter) ebenso wie von der gleich- und regelmäßigen Anordnung der Materialien. Dabei lädt es zu einem Spurenlesen nach Motiven früherer Zumthor-Bauten ein. Die Schichtung der Ziegel erinnert in ihrer kantigen Abgeschlossenheit an die Therme von Vals, wo die schmalen Natursteinplatten den Eindruck der Massivität hervorrufen. Genau wie dort wird diese Masse gerade dort erlebbar, wo Zumthor die Öffnungen in die Tiefe der Wand setzt, in Vals bei den Panoramafenstern, in Köln im Eingangsbereich und dem Foyer zum Gartenhof. Der fugenlose Terrazzoboden – im Kunsthaus Bregenz dunkel – verbindet die »öffentlichen« Bereiche der Ausstellung über die Geschosse hinweg. Das Treppenhaus selbst wirkt wie ein direktes Zitat des Bregenzer – und ist doch in der Wiederholung ganz anders. Heller Terrazzo und Lehmputz vermitteln eine weiche Klarheit des Raumes, dem im Bregenzer Treppenaufgang die puristisch-klare Scharfkantigkeit des Betons entgegensteht. Und noch ein – augenzwinkerndes (?) Zitat lässt sich ausmachen: Die halbhohe Stampfbetonwand des Hofes, die den Beton der Wachendorfer Bruder Klaus Kapelle »zitiert«, hier aber statt bergender Hülle zum trennenden farbigen Kontrastelement wird und sich dabei gleichzeitig auch als Zitat der frühen römischen Siedlungen an diesem Ort lesen lässt.Die »ahnungsschwingende« Mehrdeutbarkeit, verbunden mit einer sehr klaren Formensprache, macht die Qualität von Kolumba aus. In ihr zeigt sich der lange Entwurfsprozess, das Ringen um die Selbstverständlichkeit der Form. Damit lädt das Gebäude zu einer vielschichtigen Interpretierbarkeit ein. Und ein wenig liegt darin auch seine Gefahr. »Auratisch« ist eines der Attribute, das in diesem Zusammenhang häufig genannt wurde. Zumthor selbst hat es einmal anders ausgedrückt: »Von Bauwerken, die an ihrem Ort eine besondere Präsenz entwickeln, habe ich oft den Eindruck, sie stünden unter einer inneren Spannung, die über den Ort hinausweist. Sie begründen ihren konkreten Ort, indem sie von der Welt zeugen. Das aus der Welt kommende ist in ihnen eine Verbindung eingegangen mit dem Lokalen.« [2].

Tragwerk
Die Konstruktion des gesamten Gebäudes beruht auf einem Stahltragwerk in Verbindung mit massivem Mauerwerk. Die Sicherung der Ruine und die aufwendige Gründung im archäologischen Bestand sowie das Aufmauern auf den Mauerresten der fünfschiffigen Pfarrkirche stellten eine besondere Herausforderung dar. Die 14 das obere Ausstellungsgeschoss tragenden Stützen mussten im Grabungsfeld platziert werden, ohne die Grabungsbefunde zu gefährden. In die Strebepfeiler der ehemaligen Pfarrkirche konnten weitere Stützen eingebracht und im Erdreich verankert werden. Diese tragen durch ein Fächerwerk gleichzeitig das aufgehende Filtermauerwerk ab.


Mauerwerk
Das offene Filtermauerwerk über dem Grabungsfeld schützt die Ruinen vor direktem Außeneinfluss, ohne sie vom Außenklima abzuschirmen. So können sowohl sie als auch die Bodendenkmale in einem kontrollierten Umfeld konserviert werden. Das zweischalige Mauerwerk wurde in einem festen Verbund mit den Hintermauerziegeln ausgeführt. Die Vorsatzschale aus dem sogenannten Kolumba-Stein ist zwar selbsttragend, ihre Biegesteifigkeit erhält sie jedoch nur im Verbund.

Energiekonzept:
Die Klimatisierung des Gebäudes basiert auf einem Zusammenspiel von Bauteilaktivierung und einer Geothermieanlage. Die in Massivbauweise errichteten Ziegelwände mit einer Dicke von 60 Zentimetern sowie die Betondecken sind von einem Leitungssystem durchzogen, das ganzjährig Wasser mit einer durchschnittlichen Temperatur von 18 bis 20 Grad durch die Wände und Böden transportiert. Die träge Masse wird dadurch gleichmäßig temperiert, so dass der Energiebedarf für die Heizung und Kühlung aufgrund der gleichen Bauteil- und Raumtemperatur minimiert werden konnte. Dazu wurden 16 Bohrungen in eine Tiefe von 70 Metern ausgeführt, um die dort herrschende Wassertemperatur im Winter zu Beheizung, im Sommer zu Kühlung des Gebäudes heranzuziehen. Die Zuluft wird aus dem Raum des Grabungsfeldes angesaugt und strömt über die Leuchtenauslässe in der Mörteldecke herein, die Abluft wird über die Fuge im Bodenrand großflächig abgesaugt.

db, So., 2008.03.02



verknüpfte Bauwerke
Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln



verknüpfte Zeitschriften
db 2008|03 Mono ohne -tonie

09. Juni 2006Elisabeth Plessen
db

Gedenkstätte „Station Z“

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und...

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und...

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und Konstruktion bezieht, die Konstruktion wird integraler Bestandteil der Architektur, die in ihrer Schlichtheit und Einfachheit wiederum völlig die Konstruktion bedingt. Das Dach wird von einem Fachwerkträgerrost gebildet, der durch die von den ebenfalls als Fachwerk ausgebildeten Wänden als Rahmen eingespannt wird. Die Konstruktion von Dach und Wand wird außerdem mit Gitterrosten belegt und mit PTFE-Folie bespannt, was Dach und Wand nach innen und außen gleich erscheinen lässt. Was entsteht, ist eine überraschende, aber angemessene Lösung für ein schwieriges Thema.

Einführung

Wie schwierig bis heute die komplexe Aufarbeitung dieses von vielen historischen Schichten überlagerten Ortes ist, belegte erst vor einigen Wochen der Streit, den die Ansprache des brandenburgischen Innenministers anlässlich des 61. Befreiungstages des Lagers Sachsenhausen hervorrief. Dieser hatte in seiner Rede nicht nur an die KZ-Opfer, sondern auch an die nach 1945 hier Internierten erinnert, was den Vorwurf der Gleichsetzung von Tätern und Opfern nach sich zog und eine erregte Debatte darüber, ob und wie die Verbrechen des NS-Regimes mit dem Unrecht durch die sowjetischen Besatzer verglichen werden könnten. Auch die Frage danach, wie viel und welche Architektur ein Ort des Grauens benötigt oder verträgt, stellt sich an historisch-authentischer Stelle in ganz anderer Weise als bei der Diskussion um eine Architektur des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas. Die jüngere Vergangenheit des Lagers als nationaler DDR-Gedenkstätte des Sieges des Antifaschismus über den Faschismus, in dessen Nachfolge sich das SED-Regime legitimierte, hatte zu einer baulichen Überformung und Inszenierung des Lagers geführt, die einem würdigen Gedenken der Opfer keinen Raum ließ. In der Ableitung dieses Legitimationsanspruches hatte auch die Erinnerung an die rassenideologisch begründete Vernichtung der Juden keinen Platz.

Geschichte

Die heutige Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen besteht aus einem Teil des von der SS ab 1936 in Oranienburg nahe der damaligen Reichshauptstadt Berlin als Modell- und Musterlager errichteten Konzentrationslagers. Rund um das eigentliche,dreieckförmig angelegte Lager, das nur zehn Prozent der Anlage ausmachte, waren Wohn- und Verwaltungsbauten, Fuhrparkeinrichtungen sowie Werkstätten untergebracht. An das von einer hohen Mauer umfasste Lagerdreieck schloss hinter der Mauer der so genannte Industriehof an. Hier lag, neben Werkstatt- und Fertigungshallen, der von der SS zynisch als „Station Z“ - Endstation - bezeichnete Gebäudekomplex. Die 1942 erbaute Vernichtungsanlage in Form eines einseitig verkürzten „U“ bestand aus einem ins Erdreich eingegrabenen, vorgelagerten Erschießungsgraben für Einzel- und Massenhinrichtungen mit direktem Zugang zum Leichenkeller sowie oberhalb gelegenen Untersuchungsräumen, einem Raum mit installierter Genickschussanlage, der Gaskammer und vier Krematoriumsöfen.

Nach der Befreiung 1945 übernahm der sowjetische Geheimdienst das Lager, in dem neben Funktionären des NS-Regimes bald auch politisch Missliebige interniert wurden. Bis auf das Krematorium und die „Station Z“ wurden dabei alle Einrichtungen weitergenutzt. Es wurde 1950 von der Kasernierten Volkspolizei übernommen, die 1952/53 die „Station Z“ sprengte, um hier einen nie realisierten Schießgarten zu errichten. Auf Initiative ehemaliger Häftlinge entschloss sich das SED-Regime 1961, das zentrale Lager in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Dabei wurden unter anderem in zentraler Achse ein das Lager überragender Obelisk errichtet, die Mauer zum Industriehof entfernt und die Überreste der „Station Z“ mit einer monumentalen Betonkonstruktion überdacht. Teile außerhalb dieses Bereiches wurden weiterhin von der NVA genutzt. Einen Ort des respektvollen Gedenkens der Opfer gab es in dieser Vermischung aus Dramaturgie und Geschichtsnegierung nicht. Erst nach der Wiedervereinigung im Zuge der Neukonzeption der Gedenkstätte wurde die „Station Z“ als zentraler Gedenkort für die Opfer des KZ Sachsenhausen definiert. Den 1998 ausgeschriebenen Wettbewerb für eine Gesamtneukonzeption gewannen HG Merz Architekten.

Gedenkstätte „Station Z“

Entlang der mit einzelnen frei stehenden Betonscheiben wieder - aber doch nicht ganz - geschlossenen Mauer führt der Weg aus dem Lager heute in den Bereich der „Station Z“. An den Scheiben angebrachte Schautafeln lassen Einzelschicksale und Massenmord im Lager lebendig werden. Mit diesen bedrückenden Bildern im Kopf tritt der Besucher zwischen den Scheiben in die Leere des Industriehofes. Schotterflächen zeichnen die Umrisse ehemaliger Baracken nach, eingefasste, bodenbündig bepflanzte Flächen weisen Massengräber mit der Asche der hier Verbrannten aus. Dieser Bereich ist Friedhof, Ort des Schreckens und der Erinnerung zugleich - und solche benötigt Weite. Hinter dem noch authentisch erhaltenen Erschießungsgraben schwebt, die Ruinen der gesprengten Station überspannend und nur an wenigen Punkten den Boden berührend, scharfkantig ein weißer Kubus von 37 x 39 Metern Kantenlänge. Nur die Nähte der umspannenden Membran lassen seine Materialität erahnen. Ein tiefer Einschnitt an der Stirnseite bildet den niedrigen Eingang. Der direkte Blick ins Innere ist „versperrt“ von einer frei stehenden Betontafel mit einem Zitat des polnischen Schriftstellers und ehemaligen Häftlings Andrzej Szczypiorski. Schwebend, kompakt und leicht zugleich; die Körperlichkeit der hüllenden Schicht ist auf den ersten Blick nicht fassbar. Die niedrige Raumhöhe von 2,50 Metern begrenzt, konturiert und definiert sehr präsent den Raum. Die Architektur bildet und lässt Platz, erscheint selbstverständlich und wirft gleichzeitig Fragen nach ihrer Konstruktion auf. Eine eindeutige Zuordnung von Architektur und Tragwerk ist nicht möglich.

Ganz pragmatisch sollten eigentlich die als Bodendenkmale verbliebenen Ruinen der ehemaligen „Station Z“ langfristig vor Witterung und Verfall geschützt werden und gleichzeitig an dieser historisch-authentischen Stelle der zielgerichteten Vernichtung ein Raum der Erinnerung und des stillen Gedenkens entstehen. Würdevoll und gleichzeitig funktional sollte er sein. Mit ihrer Lösung einer fast ab-strakt über dem ehemaligen Gebäude schwebenden Membrankonstruktion haben HG Merz Architekten und die beteiligten Planer es geschafft, eine zeitlose Hülle zu entwickeln, die sich jeder architektonischen Deutung und symbolisch überfrachteten Geste entzieht.

Dach und Wand wirken als Einheit. Ausgespart wurde nur eine 22 x 10 Meter große Öffnung über der ehemaligen Hoffläche. Ein Stahlfachwerkträgerrost-Tragwerk bildet eine fast durchgehend gleich erscheinende Fläche, in der die unterschiedlichen Maße der primären Tragkonstruktion (Decke 1,30 m, Wand 1,15 m) zu einem Ganzen verschmelzen. Durch Unterdruck wird die Membran an den mit Gitterrosten ausgefachten Oberflächen scharfkantig angepresst. Im Inneren, dem überdachten Bereich, der nur mit Tageslicht natürlich beleuchtet wird, zeichnet sich die Konstruktion je nach Lichteinfall ab. Wie viel Ingenieurleistung erforderlich waren, um die Selbstverständlichkeit dieser Erscheinung zu entwickeln, lässt sich nur erahnen. Aber genau darin liegt ihre Qualität. Entstanden ist ein Bauwerk, das sich sprachlich schwer fassen lässt und vor Ort erlebt werden will. Und auch wenn es etwas ist, das man einer Konstruktion vielleicht nicht als Eigenschaft zusprechen würde, sie macht dankbar, dankbar für die abgeschirmte Ruhe, in der die Gedenkstätte erlebt werden kann.

db, Fr., 2006.06.09



verknüpfte Bauwerke
Gedenkstätte Sachsenhausen „Station Z“



verknüpfte Zeitschriften
db 2006|06 Balthasar-Neumann-Preis

Publikationen

Presseschau 12

01. Juni 2008Elisabeth Plessen
db

Mahnmal für die Opfer des 11. März

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Jury-Begründung: Das Projekt überzeugt aufgrund seiner Vielschichtigkeit sowohl auf inhaltlicher als auch konstruktiver Ebene. Dadurch wurde im Stadtbild ein sehr präsenter Ort kollektiven Erinnerns geschaffen, der gleichzeitig wie dematerialisiert wirkt. Die konsequente Materialwahl der Glasblöcke, für die eine innovative Klebeverbindung entwickelt wurde, und der ETFE-Folie lassen bei Tag einen fast sakralen Raum des Gedenkens entstehen, der nachts zu einem Signet im Stadtbild wird.

Auch vier Jahre nach den Attentaten von Madrid, bei denen am Morgen des 11. März 2004 – drei Tage vor den Parlamentswahlen – in Vorstadtzügen mit dem Ziel Atocha-Bahnhof und im Bahnhof selbst Bomben explodierten und 191 Tote und fast zweittausend Verletzte forderten, sind viele Fragen offen geblieben. Schnell wurde von damaliger Regierungsseite die ETA als verantwortlich ausgemacht und eine Al-Quaida-Beteiligung negiert. Auch wenn den verantwortlich Handelnden längst der Prozess gemacht wurde, und eine Verwicklung Letzterer nachgewiesen wurde, konnten viele Ungereimtheiten – nicht nur über die Tatmotive, sondern auch im Agieren der politisch Verantwortlichen und der ermittelnden Behörden nicht ausgeräumt werden. Ein Nährboden für Verschwörungstheorien und Skepsis.

Der Wettbewerb

Ungewöhnlich schnell, nicht ganz zwei Monate nach dem Anschlag, schrieben das Verkehrsministerium, die staatliche Eisenbahngesellschaft und die Stadtverwaltung gemeinsam einen internationalen, offenen Ideenwettbewerb für Stadtplaner, Architekten, Bildhauer und weitere Bildende Künstler aus. Auf dem Verkehrsrondell vor der großen Eingangsrotunde des von Rafael Moneo 1992 umgebauten Bahnhofs sollte ein Mahnmal für die Opfer entstehen. Gedacht hatten die Auslober bei der Wahl der Ortes und der Formulierung der Anforderungen wohl an eine monumentale Plastik. Durchsetzen in der Konkurrenz aus fast dreihundert Einsendungen konnte sich aber der eher konzepthafte Beitrag eines Teams fünf junger madrilenischer Architekten und Architekturstudenten, FAM Arquitectos, die eine ganz andere Lösung präsentierten. Ihr Entwurf erweiterte das im Stadtraum platzierte Zeichen, eine aus der Verkehrsinsel blockhaft herausbrechende, gläserne, amorphe »Lichtwolke«, um eine darunter liegende Halle in der Ladenzeile der Bahnhofspassage. So schufen sie einen abgeschlossenen Ort, der neben der Erinnerung auch ein ruhiges Gedenken ermöglicht. Die aus Glassteinen aufgetürmte, elf Meter hohe Lichtwolke sollte im Inneren eine weitere leichte Lichtblase umfangen – bedruckt mit den Namen der Opfer – und den in Kobaltblau gehaltenen Raum beleuchten. Immaterialität und Licht waren die Elemente, mit denen sie dem Geschehen und dem Andenken gerecht werden wollten; baubar war die Idee in der dargestellten Form (noch) nicht.

Das nicht Baubare bauen

Es war eine mutige Entscheidung der Verantwortlichen, diesen nicht nur weit über das geplante Budget, sondern auch mit erheblichen baulichen Eingriffen verbundenen Entwurf zu prämieren und das junge Team FAM Arquitectos, das Akronym steht für Fascinante Aroma a Manzana – übersetzt, »der fazinierende Duft des Apfels« – mit der Überarbeitung und Realisierung zu betrauen. Neben konstruktiven Fragen galt es auch behördliche Hürden zu nehmen, denn der Vorschlag beinhaltete auch, den in städtischem Besitz befindlichen oberirdischen Platz mit der im Eigentum der staatlichen Bahn gelegenen unterirdischen Ladenzeile zu verbinden. Aber das waren die geringeren Schwierigkeiten, galt es doch die Herausforderung zu bewältigen, eine »transparente Konstruktion ohne Struktur« zu entwickeln.

Schwieriger noch als die Recherche nach einem Glas – ursprünglich als massive quadratische Blöcke geplant –, das sowohl über konstruktive Eigenschaften verfügt als auch den thermischen Beanspruchungen gewachsen ist, gestaltete sich die Suche nach einem Tragwerksplaner. An diesem Punkt drohte das Projekt zu scheitern, »nicht machbar« lautete die Aussage aus den angefragten spanischen Büros.

Angesichts dieser vielfältigen Probleme nicht aufgegeben zu haben, ist eine nicht hoch genug einzuschätzende Leistung des jungen Architektenteams. Über einen ihrer Lehrer traten sie mit Mike Schlaich, der ihnen aus Vorträgen an ihrer Hochschule bekannt war, in Kontakt. Ein mehrtägiger Workshop im Stuttgarter Ingenieurbüro schuf dann erste Entscheidungsgrundlagen für die weitere Planung und die Zusammenarbeit.

Der im Wettbewerb noch zweigeschossige unterirdische »Gedenkraum« wurde im Laufe der Überarbeitung eingeschossig, die äußere Wolke zu einer leicht verzogenen elliptischen Säule aus Glasziegeln, deren Höhe von elf Metern eine sehr bildhafte Referenz an das Datum des 11. März ist.

Zwischen der den Innenraum abdichtenden Folie und dem Glasturm ist auf Deckenhöhe ein Leuchtenkranz angebracht, der die gläserne Skulptur nachts in ein wechselndes Lichtfeld hüllt. Dann tritt die amorphe Wolke, deutlicher als bei Tag, fast wie eine Projektion hervor.

Diese innere Wolke besteht aus einer ETFE-Folie, die durch Überdruck ihre Form erhält und mit einem Befestigungspunkt von den Glasträgern der Decke hängt. Gegen eine Beschriftung mit den Namen der Opfer hatten sich einige Angehörige ausgesprochen. Stattdessen ist auf ihr eine Auswahl der Botschaften zu lesen, die Passanten in vielen Sprachen in den Tagen nach dem Attentat auf Zetteln oder den Bahnhofsmauern hinterlassen hatten. Von der in ihnen zum Ausdruck kommenden kollektiven Trauer und dem Entsetzen wird der Besucher umfangen, wenn er aus dem geschäftigen Treiben der Bahnhofspassage in den 500 Quadratmeter großen, intensiv blauen Gedenkraum tritt und unter dem Lichtkreis der gläsernen Säule steht. Zwei Luftschleusen, je eine als Ein- und eine als Ausgang, sorgen für den konstanten Überdruck in dem fast kapellenhaft anmutenden »Gewölbe«. Hinter der ersten Schleuse sind auf einer hinterleuchteten gläsernen Platte in der Wand die Namen der Opfer eingeschrieben – allerdings nicht aller. Zwei Familien haben die Nennung ihrer Angehörigen untersagt, wollten sich nicht an diesem Ort der öffentlichen Trauer wiederfinden.

Eine Bank im Eingangsbereich stellt die einzige Möblierung des Raumes dar. Wandpaneele, Akrylharzboden mit eingelassenen Glassplittern und die sich zur Lichtsäule hin leicht wölbende Decke sind rundum im selben Blauton gehalten. So ist alle Aufmerksamkeit auf die je nach Jahres- und Tageszeit gleißend helle, graue oder angeleuchtete Säule fokussiert. Die Glasfassade zur Bahnhofspassage ist wie durch Druckwellen deformiert, was sowohl von außen als auch von innen zu verzerrt-verschliffenen Blicken führt. Damit soll, ¬einem Traumbild ähnlich, der Raum aus der Zeit gehoben werden.

Gebaute Transparenz

Diffus transparent, unbestimmt sakral und bei aller Inszenierung schlicht, so lässt sich die Wirkung des Mahnmals am besten beschreiben. Keine Monumentalität – die in den Himmel aufsteigenden Trauerbotschaften sind der zentrale Inhalt. Die Idee ist so klar und bildhaft, dass sie sich dem Besucher unmittelbar erschließt. Es ist sicher die Mischung aus dem Vertrauen auf die große Kraft von Symbolen und einfachen Gesten, die ihm seine Kraft verleiht – immer in der Gefahr, die Bilderwelt überzustrapazieren; eine Gratwanderung. Aber der Balanceakt ist gelungen. Auch über ein Jahr nach der Eröffnung der Gedenkstätte finden noch Hunderte von Besuchern täglich ihren Weg in den Gedenkraum.

Mittlerweile ist die Außenhaut der Folie mit einem leichten gelblich-grauen Staub überzogen, da die Säule selbst ein offenes System ist, mit Luftdüsen am Boden, durch die kalte Luft in den Zwischenraum geblasen wird, und Auslässen im Kranz des Glaskörpers. So wird viel der »Nachhaltigkeit« des Mahnmals auch davon abhängen, wie gut es gewartet werden wird, um seine Wirkung langfristig erhalten zu können.

db, So., 2008.06.01



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Denkmal für die Terroropfer von Atocha



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db 2008|06 Balthasar-Neumann-Preis 2008

02. März 2008Elisabeth Plessen
db

Vom Fügen und Feilen

Architekt: Peter Zumthor
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke
Fotos: Helene Binet, Walter Mair

Bauherr: Erzbistum Köln, Generalvikariat, Hauptabteilung Finanzen/Bau/Recht www.kolumba.de
Architekt: Peter Zumthor, Haldenstein, CH
Projektleitung: Rainer Weitschies, Atelier Zumthor
Bauleitung: Atelier Peter Zumthor mit Architekt Wolfram Stein, Köln
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli, Haldenstein, CH, mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke, Köln
Rohbau: E. Heitkamp GmbH, Niederlassung Köln
Heizung/Klima/Geothermie: Ingenieurbüro Gerhard Kahlert, Haltern
Elektro/Sanitär: Ingenieurgesellschaft Hilger mbH, Aachen
Bauphysik: Ferdinand Stadlin Bautechnologie, Buchs, CH
Baukosten: 43,4 Mio. Euro
Bauzeit: 2003–2007 (Eröffnung im September)

Architekt: Peter Zumthor
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke
Fotos: Helene Binet, Walter Mair

Bauherr: Erzbistum Köln, Generalvikariat, Hauptabteilung Finanzen/Bau/Recht www.kolumba.de
Architekt: Peter Zumthor, Haldenstein, CH
Projektleitung: Rainer Weitschies, Atelier Zumthor
Bauleitung: Atelier Peter Zumthor mit Architekt Wolfram Stein, Köln
Tragwerksplanung: Ingenieurbüro Jürg Buchli, Haldenstein, CH, mit Ingenieurbüro Dr. Ottmar Schwab – Reiner Lemke, Köln
Rohbau: E. Heitkamp GmbH, Niederlassung Köln
Heizung/Klima/Geothermie: Ingenieurbüro Gerhard Kahlert, Haltern
Elektro/Sanitär: Ingenieurgesellschaft Hilger mbH, Aachen
Bauphysik: Ferdinand Stadlin Bautechnologie, Buchs, CH
Baukosten: 43,4 Mio. Euro
Bauzeit: 2003–2007 (Eröffnung im September)

»Vielleicht«, sagt Peter Zumthor über seine Architektur, »sollte man lieber nicht von Stil sprechen, sondern von einer bestimmten Herangehensweise, von einer spezifischen Gewissenhaftigkeit bei der Lösung der Aufgaben.« [1]. Mit dieser Gewissenhaftigkeit hat Zumthor 1997 den Wettbewerb für das Diözesanmuseum für sich entschieden. Dessen schwierige Aufgabe lautete, für die zu groß gewordene Sammlung des erzbischöflichen Kunstmuseums auf dem Ruinenfeld der ehemaligen Pfarrkirche St. Kolumba ein neues Haus zu errichten. Dabei stellten sowohl das geschichtsträchtige Grundstück als auch der Anspruch der Museumsleitung, mit dem Neubau auf der Grundlage eines erweiterten Kunstbegriffes eine zukünftige Form musealen Selbstverständnisses zu realisieren, eine Herausforderung dar.Die spätgotische Emporenbasilika St. Kolumba, einst größte Pfarrkirche Kölns, war im Krieg bis auf wenige Grundmauern zerstört worden. Inmitten der Trümmer hatte sich damals in einem Pfeiler eine spätgotische Madonna erhalten, die für die Kölner zum Symbol des Neubeginns wurde. Ihr erbaute Gottfried Böhm die 1950 geweihte Kapelle »Madonna in den Trümmern«, einen kleinen einschiffigen Bau, auf den ehemaligen Turmmauern, dem er einen lichtdurchfluteten oktogonalen Chor mit einem Zeltdach anschloss. Einige Jahre später ergänzte er sie um eine Sakramentskapelle. Bei archäologischen Grabungen um das Oktogon in den siebziger Jahren wurden dann neben römischen Siedlungsresten auch Fragmente eines aus karolingischer Zeit datierten, einschiffigen Vorgängerbaus, der in den folgenden Jahrhunderten mehrfach erweitert und schließlich durch die fünfschiffige Basilika ersetzt worden war, freigelegt.Die Kapelle, so die Wettbewerbsvorgabe, sollte erhalten und in den Neubau integriert werden, die Bodendenkmale des Grabungsfeldes mit einem Witterungsschutz versehen werden. Zumthor entwickelte das neue Gebäude konsequent auf den Mauerfundamenten der alten Pfarrkirche, übernahm deren Grundriss, überbaute damit auch die zur Kolumbastraße gehende Front der Böhmkapelle und schloss daran nahtlos im Winkel einen Nordflügel an. Lediglich die aufgehenden Mauern der alten Sakristei, in der die bei den Ausgrabungen zu Tage gekommenen Gebeine beigesetzt sind, ließ er unangetastet. In das Grabungsfeld stellte er 14 schlanke, zwölf Meter hohe Betonstützen ein, die den Verlauf des ehemaligen, leicht trapezförmig verschobenen Mittelschiffs nachzeichnen, und lagerte auf diesen sowie weiteren im alten Mauerwerk platzierten Stützen die die Kapelle und Ruinenstätte überfangende Mörteldecke auf. Darauf ordnete er den Großteil der Ausstellungsräume an. Im unterkellerten Nordflügel brachte er die Depots unter.

Blockhafte Kleinteiligkeit

Der Neubau beansprucht und dominiert den Stadtraum entlang der Kolumba- und Brückenstraße mit seinem Volumen, tritt aber gleichzeitig durch seine homogene Materialwahl in das Straßenbild zurück. Um Neues und Altes miteinander zu verbinden, entschied sich Zumthor für einen schmalen, hellen, eigens in Dänemark gefertigten Ziegel in einem warmen Weißgrauton, der mit breiten Lagerfugen gesetzt wurde und mit dem mittelalterlichen Bestand aus Ziegeln, Tuff und Basalten korrespondiert. Dieser erlaubte sowohl den behutsamen Anschluss an die Bestandsmauern als auch das großflächige, durchlässige, doppelschalige »Filtermauerwerk«, mit dem er das Grabungsfeld umfing, um dessen Außenklima zu erhalten. Glatt hochgemauert umhüllt der kleinteilige Stein das blockhafte dreigeschossige Gebäudevolumen, aus dem sich drei Türme erheben und das aus der Ferne ein wenig wie eine Trutzburg anmutet. Der flächigen Fassade wie vorgehängt, sind in den oberen Geschossen fünf große Fensteröffnungen angeordnet.

Steg zur Umkehr und gefangene Madonna

War das Foyer des im Nordflügel gelegenen Eingangs im Wettbewerbsentwurf noch als eine sich zur Straße öffnende Halle ausgewiesen, hat es sich im Laufe der vielen Überarbeitungen ins Gebäude zurückgezogen. Man betritt das Museum durch eine fast schaufensterartige Öffnung vor einer zurückgesetzten Wand, entlang der der Weg ins Innere führt und ist nach der Materialhomogenität des Äußeren fast ein wenig überwältigt von der Vielfalt der Innenausstattung; den großflächigen Muschelkalkplatten des Bodens, den unterschiedlichen Hölzern – ein Tresen aus Eukalyptusholz, Bücherregale in Roseneiche, eine in Birnbaum ausgekleidete Garderobe. Vom Foyer öffnet sich der Blick in den von einer rötlichen Stampfbetonwand eingefassten, mit Bäumen bepflanzten Gartenhof. Aus dem Foyer kann man durch einen schweren ledernen Vorhang in das Dämmerlicht des 900 Quadratmeter großen, hinter dem von außen rätselhaften Filtermauerwerk verborgenen Ausgrabungsbereich treten. Entlang eines gezackt über das Gelände gelegten roten Stegs aus Padoukholz wird der Besucher vorbei an den Ruinen und Böhms Kapelle durch die halbdunkle, von flirrend einfallendem Tageslicht und einigen Hängeleuchten erhellte Halle in die offene Sakristei geleitet, wo Richard Serras Skulptur »The Drowned and the Saved« über die Gebeine wacht. Der Weg führt zurück über den Steg – und vielleicht erst beim zweiten Durchqueren und aus dieser Perspektive erschließt sich der Raum ein wenig, erahnt man eine Ordnung in der Stellung der Betonstützen und erkennt den Aufbau des zweischaligen Mauerwerks mit seinen ausfachenden Stahlrahmen. Es scheint, als sei die Sogwirkung des intensiv roten Steges gezielt darauf angelegt, nach einem ersten, schnellen Durchqueren den Besucher zum Perspektivenwechsel aufzufordern. Dass mit dem Ruinen auch die Marienkapelle »eingehaust« wurde, hat nicht nur bei Böhm anfänglich Entrüstung hervorgerufen, sondern viele Kölner, die sie als einen Ruhepunkt im Einkaufserleben der nahe gelegenen Hohestraße sehen, in Unmut versetzt. Ihr Verschwinden aus dem Stadtbild schmerzt sie dabei ebenso wie die Erfahrung, dass die nun über einen tiefen Einschnitt in der Fassade von der Brückenstraße aus zugängliche Kapelle ihre lichte Leichtigkeit verloren hat, der Fensterzyklus der tanzenden Engel von Ludwig Gries künftig nur durch gleichmäßiges, nachträglich installiertes Licht aus der halbdunklen Halle angeleuchtet werden wird. Doch lässt sich dies als konsequente Umsetzung des Weiterbauens sehen. Ebenso wie die früheren Ausgrabungsstufen ist auch die Marienkapelle Zeitzeugnis einer anderen Epoche. So ist es folgerichtig, dass sie wie alle anderen Bauphasen auch, eingehüllt wird vom Mauerwerksverband.

Ausblicke, Kabinette, Türme und Dialoge

Die Ausstellungsräume für die sehr divergente Sammlung aus sakraler Kunst der Jahrhunderte und weltlicher beginnen kleinteilig im fensterlosen ersten Obergeschoss des Nordflügels, zu dem ein schmaler Treppenschacht hinaufführt. Der fugenlose helle Terrazzoboden ist gegen die mit einem warmen graubeigen Lehmputz versehenen Wände einen Spalt breit abgesetzt, die Mörteldecken korrespondieren mit ihnen in einem leicht gelblichen Grau. Rebecca Horns »Blindenstab«, Warhol und mittelalterlicher Schmerzensmann sollen hier – möglichst gemeinsam, so der Kuratorenwunsch – mit dem Betrachter in den Dialog treten. Erklärende Tafeln sucht man vergebens, ein kleines, am Eingang erhältliches Heftchen weist in allen Ausstellungsräumen die Kunstwerke aus. Gegen eine »Plakatierung« der Wände mit Informationen hatte sich Zumthor vehement ausgesprochen, man kann ihm nur zustimmen, denn von deren samtig-erdiger Glätte hätten sie sich zu prominent abgesetzt.Ein niedriges Kabinett, das um eine vier Zentimeter hohe Stufe versetzt, gleichsam aus der Wand ausgehöhlt zu sein scheint – so nahtlos und farblich angeglichen gehen Mörtelboden, Wand und Decke hier ineinander über – bildet eine Art Ouvertüre des im zweiten Obergeschoss bestimmenden Themas von Platz, »Kabinett-Häusern« und Türmen. Am Ende der Raumfolge, direkt über Böhms Kapellenhalle gelegen, verschließen schwere schwarze Samtportieren den Blick in das ebenfalls mit schwarzem Samt ausgekleidete Armarium, aus dessen Dunkel der fast aufdringlich angestrahlte Kirchenschatz sein Geheimnis preisgibt. Der Weg ins Licht des zweiten Obergeschosses führt über eine Himmelsleiter, über die der weißgraue Terrazzobelag, von den Wänden abgesetzt, fugenlos hinaufzugleiten scheint. An ihrem Ende öffnet sich erstmals ein raumhohes Fenster und gibt den Blick auf den Dom frei. Im eigentlichen Ausstellungsbereich über dem Gräberfeld zeichnet der Terrazzo platzartig den Verlauf des darunter liegenden Stützenrasters nach. An seinen abgesetzten Kanten gehen, einzelnen Häuserfluchten ähnlich, die Wände der Kabinette auf. Zwischen deren Fluchten öffnen sich zwei helle seitliche Plätze, die über breite, geschosshohe Fenster belichtet werden und – fast in Weiterführung des innen wahrnehmbaren Stadtthemas – Blicke auf Köln rahmen. Und an Bilderrahmen erinnern sie mit ihrer der Fassade vorgehängten Konstruktion auch von außen. Spätestens hier kann der Betrachter sich der fast aufdrängenden mehrschichtigen Lesbarkeit des Gebäudes nicht mehr entziehen. Im Verhältnis zur Raumhöhe sehr niedrige Einschnitte in die Wände führen in drei dunkel gehaltenene Eingangskabinette, an die sich helle, turmartige Räume anschließen. Hier fällt Licht aus hoch liegenden satinierten Seitenfenstern ein und unterstützt so die Sogwirkung des Raumes. Sucht man in diesem komplexen Gefüge nach Schwachpunkten, wird man im Lesesaal fündig, der vom Boden über die Wände bis hin zur Decke mit Mahagoni-Holzpaneelen in großflächiger Maserung ausgekleidet, und damit so dominant auf sich selbst und den geschosshoch gerahmten Blick auf die Stadt konzentriert ist, dass die von Zumthor speziell für diesen Raum entworfenen Sitzmöbel mit ihren fast expressionistischen Rundungen als das »Wenige zuviel« seine Ruhe stören.Inmitten dieser spannungsreichen, dabei in sich ruhenden Räumen tritt sakrale Kunst vieler Jahrhunderte mit moderner weltlicher Kunst in den Dialog und lädt den Besucher ein, daran teilzuhaben. Um diesem Platz zu geben, haben sich die Kuratoren auf zurückhaltend wenige Exponate ihrer Sammlung beschränkt und bauen darauf, dass ihr Konzept der Gegenüberstellung dem Besucher ein intensives Erleben ermöglicht und ihn wiederkommen lässt, um immer neue Gespräche in – so das Versprechen am Eröffnungstag – häufig wechselnden »Kunstgruppierungen« zu führen.Eine gelegentlich an Kolumba geäußerte Kritik lautet, Zumthor habe ein Gefäß geschaffen, in dem profane Kunst in ihrer Gegenüberstellung mit sakraler eine dieser immanente, höhere Bedeutungsebene erhalte. Damit stellt man aber eher die Mündigkeit der Besucher in Frage und überschätzt selbst die Fähigkeiten eines Peter Zumthor; deutet seine Errungenschaft in Scheitern um. Denn die Bauaufgabe lautete, einen Raum zu schaffen, der spirituelles Erleben erlaube; für den Rest ist der Betrachter verantwortlich.Fast zehn Jahre Planungs- und Bauzeit und runde 43 Millionen Euro statt der ursprünglich veranschlagten 36 Millionen hat diese gewissenhafte Lösung der Aufgabe gekostet, davon wurden fünf Millionen aus den Geldern der Denkmalpflege finanziert.

Wiederholungen und Interpretationen

Eine eindeutige Einordnung des Gebäudes fällt schwer. Es ist im eigentlichen Sinne archaisch in seiner Wirkung. Mit einer fast archetypisch zu nennenden Bilder- und Erlebniswelt spricht es tief verwurzelte Wahrnehmungsebenen an, während es formal ureigentlich in der Moderne verwurzelt ist. Es »lebt« von der verfremdenden Wiederholung bekannter Motive (Höhle, Marktplatz, Turm, Schatzkammer, Himmelsleiter) ebenso wie von der gleich- und regelmäßigen Anordnung der Materialien. Dabei lädt es zu einem Spurenlesen nach Motiven früherer Zumthor-Bauten ein. Die Schichtung der Ziegel erinnert in ihrer kantigen Abgeschlossenheit an die Therme von Vals, wo die schmalen Natursteinplatten den Eindruck der Massivität hervorrufen. Genau wie dort wird diese Masse gerade dort erlebbar, wo Zumthor die Öffnungen in die Tiefe der Wand setzt, in Vals bei den Panoramafenstern, in Köln im Eingangsbereich und dem Foyer zum Gartenhof. Der fugenlose Terrazzoboden – im Kunsthaus Bregenz dunkel – verbindet die »öffentlichen« Bereiche der Ausstellung über die Geschosse hinweg. Das Treppenhaus selbst wirkt wie ein direktes Zitat des Bregenzer – und ist doch in der Wiederholung ganz anders. Heller Terrazzo und Lehmputz vermitteln eine weiche Klarheit des Raumes, dem im Bregenzer Treppenaufgang die puristisch-klare Scharfkantigkeit des Betons entgegensteht. Und noch ein – augenzwinkerndes (?) Zitat lässt sich ausmachen: Die halbhohe Stampfbetonwand des Hofes, die den Beton der Wachendorfer Bruder Klaus Kapelle »zitiert«, hier aber statt bergender Hülle zum trennenden farbigen Kontrastelement wird und sich dabei gleichzeitig auch als Zitat der frühen römischen Siedlungen an diesem Ort lesen lässt.Die »ahnungsschwingende« Mehrdeutbarkeit, verbunden mit einer sehr klaren Formensprache, macht die Qualität von Kolumba aus. In ihr zeigt sich der lange Entwurfsprozess, das Ringen um die Selbstverständlichkeit der Form. Damit lädt das Gebäude zu einer vielschichtigen Interpretierbarkeit ein. Und ein wenig liegt darin auch seine Gefahr. »Auratisch« ist eines der Attribute, das in diesem Zusammenhang häufig genannt wurde. Zumthor selbst hat es einmal anders ausgedrückt: »Von Bauwerken, die an ihrem Ort eine besondere Präsenz entwickeln, habe ich oft den Eindruck, sie stünden unter einer inneren Spannung, die über den Ort hinausweist. Sie begründen ihren konkreten Ort, indem sie von der Welt zeugen. Das aus der Welt kommende ist in ihnen eine Verbindung eingegangen mit dem Lokalen.« [2].

Tragwerk
Die Konstruktion des gesamten Gebäudes beruht auf einem Stahltragwerk in Verbindung mit massivem Mauerwerk. Die Sicherung der Ruine und die aufwendige Gründung im archäologischen Bestand sowie das Aufmauern auf den Mauerresten der fünfschiffigen Pfarrkirche stellten eine besondere Herausforderung dar. Die 14 das obere Ausstellungsgeschoss tragenden Stützen mussten im Grabungsfeld platziert werden, ohne die Grabungsbefunde zu gefährden. In die Strebepfeiler der ehemaligen Pfarrkirche konnten weitere Stützen eingebracht und im Erdreich verankert werden. Diese tragen durch ein Fächerwerk gleichzeitig das aufgehende Filtermauerwerk ab.


Mauerwerk
Das offene Filtermauerwerk über dem Grabungsfeld schützt die Ruinen vor direktem Außeneinfluss, ohne sie vom Außenklima abzuschirmen. So können sowohl sie als auch die Bodendenkmale in einem kontrollierten Umfeld konserviert werden. Das zweischalige Mauerwerk wurde in einem festen Verbund mit den Hintermauerziegeln ausgeführt. Die Vorsatzschale aus dem sogenannten Kolumba-Stein ist zwar selbsttragend, ihre Biegesteifigkeit erhält sie jedoch nur im Verbund.

Energiekonzept:
Die Klimatisierung des Gebäudes basiert auf einem Zusammenspiel von Bauteilaktivierung und einer Geothermieanlage. Die in Massivbauweise errichteten Ziegelwände mit einer Dicke von 60 Zentimetern sowie die Betondecken sind von einem Leitungssystem durchzogen, das ganzjährig Wasser mit einer durchschnittlichen Temperatur von 18 bis 20 Grad durch die Wände und Böden transportiert. Die träge Masse wird dadurch gleichmäßig temperiert, so dass der Energiebedarf für die Heizung und Kühlung aufgrund der gleichen Bauteil- und Raumtemperatur minimiert werden konnte. Dazu wurden 16 Bohrungen in eine Tiefe von 70 Metern ausgeführt, um die dort herrschende Wassertemperatur im Winter zu Beheizung, im Sommer zu Kühlung des Gebäudes heranzuziehen. Die Zuluft wird aus dem Raum des Grabungsfeldes angesaugt und strömt über die Leuchtenauslässe in der Mörteldecke herein, die Abluft wird über die Fuge im Bodenrand großflächig abgesaugt.

db, So., 2008.03.02



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Kolumba - Kunstmuseum des Erzbistums Köln



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db 2008|03 Mono ohne -tonie

09. Juni 2006Elisabeth Plessen
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Gedenkstätte „Station Z“

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und...

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und...

Jurybegründung: Hier ist ein Gebäude entstanden, das seine spezielle Wirkung aus der Aufhebung des vermeintlichen Gegensatzes zwischen Architektur und Konstruktion bezieht, die Konstruktion wird integraler Bestandteil der Architektur, die in ihrer Schlichtheit und Einfachheit wiederum völlig die Konstruktion bedingt. Das Dach wird von einem Fachwerkträgerrost gebildet, der durch die von den ebenfalls als Fachwerk ausgebildeten Wänden als Rahmen eingespannt wird. Die Konstruktion von Dach und Wand wird außerdem mit Gitterrosten belegt und mit PTFE-Folie bespannt, was Dach und Wand nach innen und außen gleich erscheinen lässt. Was entsteht, ist eine überraschende, aber angemessene Lösung für ein schwieriges Thema.

Einführung

Wie schwierig bis heute die komplexe Aufarbeitung dieses von vielen historischen Schichten überlagerten Ortes ist, belegte erst vor einigen Wochen der Streit, den die Ansprache des brandenburgischen Innenministers anlässlich des 61. Befreiungstages des Lagers Sachsenhausen hervorrief. Dieser hatte in seiner Rede nicht nur an die KZ-Opfer, sondern auch an die nach 1945 hier Internierten erinnert, was den Vorwurf der Gleichsetzung von Tätern und Opfern nach sich zog und eine erregte Debatte darüber, ob und wie die Verbrechen des NS-Regimes mit dem Unrecht durch die sowjetischen Besatzer verglichen werden könnten. Auch die Frage danach, wie viel und welche Architektur ein Ort des Grauens benötigt oder verträgt, stellt sich an historisch-authentischer Stelle in ganz anderer Weise als bei der Diskussion um eine Architektur des Mahnmals für die ermordeten Juden Europas. Die jüngere Vergangenheit des Lagers als nationaler DDR-Gedenkstätte des Sieges des Antifaschismus über den Faschismus, in dessen Nachfolge sich das SED-Regime legitimierte, hatte zu einer baulichen Überformung und Inszenierung des Lagers geführt, die einem würdigen Gedenken der Opfer keinen Raum ließ. In der Ableitung dieses Legitimationsanspruches hatte auch die Erinnerung an die rassenideologisch begründete Vernichtung der Juden keinen Platz.

Geschichte

Die heutige Gedenkstätte und Museum Sachsenhausen besteht aus einem Teil des von der SS ab 1936 in Oranienburg nahe der damaligen Reichshauptstadt Berlin als Modell- und Musterlager errichteten Konzentrationslagers. Rund um das eigentliche,dreieckförmig angelegte Lager, das nur zehn Prozent der Anlage ausmachte, waren Wohn- und Verwaltungsbauten, Fuhrparkeinrichtungen sowie Werkstätten untergebracht. An das von einer hohen Mauer umfasste Lagerdreieck schloss hinter der Mauer der so genannte Industriehof an. Hier lag, neben Werkstatt- und Fertigungshallen, der von der SS zynisch als „Station Z“ - Endstation - bezeichnete Gebäudekomplex. Die 1942 erbaute Vernichtungsanlage in Form eines einseitig verkürzten „U“ bestand aus einem ins Erdreich eingegrabenen, vorgelagerten Erschießungsgraben für Einzel- und Massenhinrichtungen mit direktem Zugang zum Leichenkeller sowie oberhalb gelegenen Untersuchungsräumen, einem Raum mit installierter Genickschussanlage, der Gaskammer und vier Krematoriumsöfen.

Nach der Befreiung 1945 übernahm der sowjetische Geheimdienst das Lager, in dem neben Funktionären des NS-Regimes bald auch politisch Missliebige interniert wurden. Bis auf das Krematorium und die „Station Z“ wurden dabei alle Einrichtungen weitergenutzt. Es wurde 1950 von der Kasernierten Volkspolizei übernommen, die 1952/53 die „Station Z“ sprengte, um hier einen nie realisierten Schießgarten zu errichten. Auf Initiative ehemaliger Häftlinge entschloss sich das SED-Regime 1961, das zentrale Lager in eine Gedenkstätte umzuwandeln. Dabei wurden unter anderem in zentraler Achse ein das Lager überragender Obelisk errichtet, die Mauer zum Industriehof entfernt und die Überreste der „Station Z“ mit einer monumentalen Betonkonstruktion überdacht. Teile außerhalb dieses Bereiches wurden weiterhin von der NVA genutzt. Einen Ort des respektvollen Gedenkens der Opfer gab es in dieser Vermischung aus Dramaturgie und Geschichtsnegierung nicht. Erst nach der Wiedervereinigung im Zuge der Neukonzeption der Gedenkstätte wurde die „Station Z“ als zentraler Gedenkort für die Opfer des KZ Sachsenhausen definiert. Den 1998 ausgeschriebenen Wettbewerb für eine Gesamtneukonzeption gewannen HG Merz Architekten.

Gedenkstätte „Station Z“

Entlang der mit einzelnen frei stehenden Betonscheiben wieder - aber doch nicht ganz - geschlossenen Mauer führt der Weg aus dem Lager heute in den Bereich der „Station Z“. An den Scheiben angebrachte Schautafeln lassen Einzelschicksale und Massenmord im Lager lebendig werden. Mit diesen bedrückenden Bildern im Kopf tritt der Besucher zwischen den Scheiben in die Leere des Industriehofes. Schotterflächen zeichnen die Umrisse ehemaliger Baracken nach, eingefasste, bodenbündig bepflanzte Flächen weisen Massengräber mit der Asche der hier Verbrannten aus. Dieser Bereich ist Friedhof, Ort des Schreckens und der Erinnerung zugleich - und solche benötigt Weite. Hinter dem noch authentisch erhaltenen Erschießungsgraben schwebt, die Ruinen der gesprengten Station überspannend und nur an wenigen Punkten den Boden berührend, scharfkantig ein weißer Kubus von 37 x 39 Metern Kantenlänge. Nur die Nähte der umspannenden Membran lassen seine Materialität erahnen. Ein tiefer Einschnitt an der Stirnseite bildet den niedrigen Eingang. Der direkte Blick ins Innere ist „versperrt“ von einer frei stehenden Betontafel mit einem Zitat des polnischen Schriftstellers und ehemaligen Häftlings Andrzej Szczypiorski. Schwebend, kompakt und leicht zugleich; die Körperlichkeit der hüllenden Schicht ist auf den ersten Blick nicht fassbar. Die niedrige Raumhöhe von 2,50 Metern begrenzt, konturiert und definiert sehr präsent den Raum. Die Architektur bildet und lässt Platz, erscheint selbstverständlich und wirft gleichzeitig Fragen nach ihrer Konstruktion auf. Eine eindeutige Zuordnung von Architektur und Tragwerk ist nicht möglich.

Ganz pragmatisch sollten eigentlich die als Bodendenkmale verbliebenen Ruinen der ehemaligen „Station Z“ langfristig vor Witterung und Verfall geschützt werden und gleichzeitig an dieser historisch-authentischen Stelle der zielgerichteten Vernichtung ein Raum der Erinnerung und des stillen Gedenkens entstehen. Würdevoll und gleichzeitig funktional sollte er sein. Mit ihrer Lösung einer fast ab-strakt über dem ehemaligen Gebäude schwebenden Membrankonstruktion haben HG Merz Architekten und die beteiligten Planer es geschafft, eine zeitlose Hülle zu entwickeln, die sich jeder architektonischen Deutung und symbolisch überfrachteten Geste entzieht.

Dach und Wand wirken als Einheit. Ausgespart wurde nur eine 22 x 10 Meter große Öffnung über der ehemaligen Hoffläche. Ein Stahlfachwerkträgerrost-Tragwerk bildet eine fast durchgehend gleich erscheinende Fläche, in der die unterschiedlichen Maße der primären Tragkonstruktion (Decke 1,30 m, Wand 1,15 m) zu einem Ganzen verschmelzen. Durch Unterdruck wird die Membran an den mit Gitterrosten ausgefachten Oberflächen scharfkantig angepresst. Im Inneren, dem überdachten Bereich, der nur mit Tageslicht natürlich beleuchtet wird, zeichnet sich die Konstruktion je nach Lichteinfall ab. Wie viel Ingenieurleistung erforderlich waren, um die Selbstverständlichkeit dieser Erscheinung zu entwickeln, lässt sich nur erahnen. Aber genau darin liegt ihre Qualität. Entstanden ist ein Bauwerk, das sich sprachlich schwer fassen lässt und vor Ort erlebt werden will. Und auch wenn es etwas ist, das man einer Konstruktion vielleicht nicht als Eigenschaft zusprechen würde, sie macht dankbar, dankbar für die abgeschirmte Ruhe, in der die Gedenkstätte erlebt werden kann.

db, Fr., 2006.06.09



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Gedenkstätte Sachsenhausen „Station Z“



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