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18. Juli 2009Jan Marot
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Schwere Elemente, leichte Räume

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Man könnte sich fragen: Wo braucht man schon zwei Schwimmbecken? Die Antwort: genau dort, wo sich im Hintergrund Ausläufer der ausgedörrten Sierra Guadarrama erheben und der Blick über die im Norden Madrids gelegene Villenlandschaft schweift. Ein Granitklotz, der als Haus-Topping fungiert, ist hier Blickfang und gleichzeitig Wegweiser durch den Nobelnordrand der unter der Julihitze ächzenden iberischen Millionenmetropole.

Hier steht das 2005 geplante und 2008 in nur sieben Tagen umgesetzte Hemeroscopium House des spanischen Architekten Antón García Abril. Der Gravitation jenes erwähnten verhältnismäßig kompakten 20-Tonnen-Gegengewicht-Klotzes sei gedankt: So „schwebt“ die fast ebenso schwere Pool-Rinne im ersten Stock des eigentlich bescheidenen Stadtrandhäuschens. Das andere erfrischende Nass liegt, konservativ-klassisch darunter in den Boden versetzt, am grünen Kunstrasen - aus Gründen der Wasserknappheit. Alles dreht sich um den „Mutterbalken“, wo auch noch etwas Stahl, „den man entfernen könnte“, langsam vor sich hin korrodiert.

Konzept und Umsetzung war für den Perfektionisten Abril schlichtweg „Frucht des Bedürfnisses, mit schweren Elementen leichte Räume zu gestalten“. 25 Tonnen bringen die etwas anderen Fertigteile auf die Waage. Sie sind unter anderem Aquädukttrassen, sprich: industriell gefertigte Massenware, die sonst Spanien feuchthaltende Lebensadern markieren.

Bei Abril hingegen gestalten jene Elemente seinen Lebens(t)raum - eines dient als massige und doch federleicht wirkende 50 Tonnen wiegende Pool-Rinne. „Hüpfen wir doch rein“, so die Abkühlung versprechende Einladung der Hausherren. Doch nicht die Schwimmbecken, sondern der Raum ist für Abril „der wahre Luxus“.

Hemeroscopium, der kryptisch-antik anmutenden Name des Avantgarde-Design-Hauses, ist just der mystisch-irreale Ort, an dem sich die alten Griechen den kuscheligen Schlafplatz der Sonne erdachten, ein Ort, der nur „im Gefühl“ existiere und Horizonte öffne, wobei Abrils gleichnamiger Vater auch ein Musikstück mit selbigem Titel komponierte.

Das Hemeroscopium House hat 400 Quadratmeter Grundfläche. „Die Errichtung war wirklich günstig“, sagt Abril. Rund 400.000 Euro kosteten Konstruktionsmaterial, Installationen und der High-Speed-Aufbau. Bereits hier wurde „viel Energie gespart“. Innen ist es ebenso schlicht gehalten, wie die äußere Form vermuten lässt. Wasseraffin, wie Abril ist, dürfen auch Badewannen - die zweite im Schlafzimmer - nicht fehlen. Beide Pools dienen nicht nur der Statik oder gar dem Hedonismus. Bei Hitzeüberschuss sind sie Ausgleich für die solarthermische Anlage, die, am Dach installiert, knapp 50 Quadratmeter misst. Fotovoltaikpaneele sollen folgen, sagt Abril: „Eine Investition, die sich auf Zeit definitiv rechnen wird.“

Angenehme Windströme

Ein Spezialglas isoliert an den 200 Hitzetagen, laut Erbauer, ideal. Wenn Madrids Klimaanlagen die Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt dieser Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht in den Innenbereich reflektieren. „Energietechnisch verhält es sich gut“, sagt Abril. Statistisch gesehen stehen im Jahr nur sechs Tage ins Haus, an denen die Thermometer um den Gefrierpunkt pendeln, also halten sich auch Heizkosten im Rahmen.

„Am Abend entwickelt sich eine angenehme Windströmung, die den Sitzbereich im Freien kühlt“, erklärt der Architekt, der sich auch an der arabischen Baukultur orientierte. Wie bei alten maurischen Herrenhäusern umragt das Anwesen eine mehr als zwei Meter hohe Betonmauer. Zudem inspirierte Abril der Einsatz von Wasser - als „Sinnesgenuss, visuell, auditiv, taktil.“

Einigen der betuchten Nachbarn stieß die protzige Wasserextravaganz übel auf. „Sie hassen es“, sagt Abril verschmitzt. Einer klagte den Architekten aufgrund einer Regelung des Madrider Baurechts, die vorschreibt, „dass Schwimmbecken im Erdboden eingesetzt sein müssen“. Abril erhielt einen Anruf der Stadtverwaltung, in der man „nicht wusste, was man machen sollte“. Doch der Schwebepool ist glücklicherweise „essenziell für die Statik des Hauses“ - und darf somit bleiben.

Wäre es nach seinen Eltern gegangen, hätte Antón García Abril einen anderen Lebensweg einschlagen sollen. Seinen ersten Abschluss machte er an einer Musikhochschule. Vielleicht baut er deswegen heute auch Gebäude für Musik - etwa das Berklee-College für Musik mit dem SGAE-Konzerthaus in Valencias Tower of Music. Akustik ist eine seiner Spezialisierungen.

Abril ist als Architekt darauf bedacht, sein geistiges Eigentum zu schützen. „Es ist einfacher, von den Minimalisten zu kopieren“, sagt er. Aber wer abkupfere, suche meist „einfache Wege“. Das sei in seinem Werk nicht der Fall. Das Hemeroscopium House ist eine komplizierte Komposition, es verlangte zum Beispiel über ein Jahr dauernde Ingenieursberechnungen.

Abril sieht sich von Mies van der Rohe inspiriert: klare Formen, viel Glas und ein Toque-Stahl. Freier Raum, gekoppelt an das Verneinen der Form an sich. Einzig an die Schwerkraft glaubt Abril. Das in diesem Sinn ideale Material Stein - 2005 gewann Abril in Verona den Stone-Architects-Award - hat es ihm von jeher angetan. So ist das Central Office der SGAE in Santiago de Compostela (es wurde 2008 fertiggestellt), zumindest was die Fassade betrifft, eine moderne Stonehenge-Replik.

Sein Madrider Haus „ist ein Gegensatz zu Rem Kohlhaas“, sagt der von Starallüren weitgehend verschont Gebliebene. Doch auch „Starallüren“ sind für den Spanier per se nichts Negatives: Sie würden der Architektur auf lange Sicht nur helfen, ist der Preisträger des Architectural Digest Awards 2008 überzeugt. Über die Architekten laufen die medialen Diskurse. Immerhin sei die Architektur jene Kunstform, die den Alltag der Menschen am stärksten beeinflusse. Aber viele Architekten würden heute gar nicht mehr bauen, sondern nur noch zeichnen. Antón García Abril will für eine neue Architektur kämpfen: „Die jungen Architekten haben oft großartige Ideen, während man den Stars jede Dummheit erlaubt.“

Antón García Abril wurde 1969 in Madrid als Sohn des gleichnamigen Komponisten geboren. Der Architekt ist Kritiker und Universitätsprofessor an der Madrider ETSA. 2000 eröffnete er sein Ensamble-Studio, baute den spanischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig (2000) und erhielt 2008 den Architectural Digest Award. Aktuellstes Projekt ist das ABC-Center in Bogotá, wofür er den Rice Architectural Design Alliance Prize für Nachwuchsarchitekten gewann.

Wenn die Klimaanlagen Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt der Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht nach innen reflektieren.

20. April 2007Kaye Geipel
Bauwelt

Brückenträger als Art brut

Die Villa in Las Rozas ist ein zurzeit noch unvollendetes Konzept. Wie sein Pendant in Benahavis unterscheidet sich auch dieser Bau in fast jeder Hinsicht...

Die Villa in Las Rozas ist ein zurzeit noch unvollendetes Konzept. Wie sein Pendant in Benahavis unterscheidet sich auch dieser Bau in fast jeder Hinsicht...

Die Villa in Las Rozas ist ein zurzeit noch unvollendetes Konzept. Wie sein Pendant in Benahavis unterscheidet sich auch dieser Bau in fast jeder Hinsicht von den Nachbarvillen. Das Arrangement von Stahl- und Betonträgern erweckt schon im Rohbau den Eindruck von Schwere, als würde hier der Schacht in ein Bergwerk geöffnet. Die geschosshohen Träger wurden während der letzten Sommerferien angeliefert und in zwei Ta­gen aufeinander fixiert. Die Nachbarn waren erstaunt. Solche Bauteile hätten sie sich vor ihrem Wohnzimmerfenster nicht träumen lassen.

Das künftige Zweifamilienhaus hebt sich von dem Haus in Martemar dadurch ab, dass es die plastische Qualitäten der einzelnen Träger noch entschiedener in den Vordergrund rückt. Es gibt kein paralleles Nebeneinander, sondern eine spiralförmige Schichtung: Zum Tal hin, über der Einliegerwohnung, spannt ein Doppel-T-Träger aus Stahlbeton; die Straßenfassade bildet ein gekippter U-Träger, zur rechten Grundstücksseite folgt wieder ein Stahlbetonträger, die Gartenfas­sa­­de formt ein Vierendeelträger, darüber liegen ein Fach­werk­trä­ger aus Stahl und ein Doppel-T aus Beton, die übereck fest mitein­- ander verbunden sind. Da es an dieser Ecke keine Stüt­ze gibt, benötigen sie einen Schlussstein, einen 19 Tonnen schwe­ren Granitblock, der die Konstruktion am Kippen hindert. Dieser Schlussstein ist fraglos ein Zitat auf Cecil Balmonds Konstruktion der Villa von OMA in Bordeaux. Die Stahlträger wiegen ca. 12 Tonnen, die Stahlbetonträger bringen es auf 60 Tonnen.

Die spiralförmige Anordnung der unterschiedlichen Träger antwortet auf die Hanglage. Durch das Emporschrauben der Konstruktion erhebt sich die Villa über ihre Nachbarn, jeder Stahlträger formt für sich eine anders gestaltete Fassade. Die einzelnen Plateaus orientieren sich zum Tal nach Südwesten und im Nordwesten auf die Gebirgszüge der Sierra de Gredos, der Sierra de Guadarrama und der Somosierra, die Madrid in einem Halbkreis flankieren.
Die eigentliche Wohnfläche unter diesem Materialgebir­-ge wirkt im Gegensatz zur Konstruktion bescheiden. Es gibt links einen langen, seitlich geschlossenen Wohnraum, und im rechten Winkel dazu entlang der Rückfassade die Küchenzeile und den Essbereich. Eine schmale Stahltreppe führt von hier zum Schlafgeschoss. Ein Großteil der Dachflächen liegt als überdeckte Loggia im Freien. Durch Verrücken der Glasfassaden lassen sich diese für eine spätere Ausdehnung der Wohnfläche nutzen. Der im Obergeschoss in den Straßenraum auskragende U-Träger erhält an beiden Seiten einen gläsernen Verschluss und wird so zu einem schmalen Schwimmbecken.

Ob seiner heterogenen Anordnung überdimensionierter Tragelemente reizt das Haus in Las Rozas mehr noch zum Widerspruch als die Villa in Martemar. Die Fachwerkfassaden aus Stahl lassen sich noch als Anspielung auf die Eisenkonstruktionen des 19. Jahrhunderts lesen. Dort aber, wo die Stahlbeton­träger als rohe Wände eingesetzt werden, scheint die Referenz nurmehr in den simplen Konstruktionen heutiger Einkaufszentren zu bestehen. Antón García Abril geht es um die skulpturale Qualität der banalen Elemente. Die Skulpturen Eduardo Chillidas sind ein Vorbild. Aber er zielt mit seinen monumentalen Entwürfen auch auf die Provokation des common sense. Wenn sich die Infrastruktur eines ganzen Landes, sichtbar in großen Autobahnbrücken, Industriehallen und Shopping Malls, aus solchen Tragwerkselementen zusammensetzt, dann müsste es gelingen, sie auch zu luxuriösen Wohnhäusern zusammenzufügen.



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Bauwelt 2007|15-16 Villen

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