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20. Mai 2017Jan Marot
Der Standard

Surfspot für das Stadtbild

Atemberaubende Aus- und Einblicke bietet das neue Museum für Kunst, Architektur und Technik in Lissabon. Der Londoner Architektin Amanda Levete gelingt es, mit dem MAAT die Ikonografie des Ortes zu verändern.

Atemberaubende Aus- und Einblicke bietet das neue Museum für Kunst, Architektur und Technik in Lissabon. Der Londoner Architektin Amanda Levete gelingt es, mit dem MAAT die Ikonografie des Ortes zu verändern.

Es steht direkt am Wasser und ist von den Wellen des Tejo-Flusses inspiriert. Auf ebendiesen wirft das Lissabonner Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia, kurz MAAT, sein überdimensionales, zwinkerndes Auge. Das von der Londoner Architektin Amanda Levete (ALA Architects) geplante Haus ist in emblematisch-prominenter Gesellschaft eingebettet. Auf der einen Seite das berühmte Seefahrer-Entdeckerdenkmal und die Brücke des 25. April, auf der anderen Seite das prächtig ornamentierte Hieronymus-Kloster im Stadtteil Belém.

Auf dem Areal eines alten Kohlekraftwerks der 1920er-Jahre schuf Levete einen 120 Meter langen und nur 14 Meter hohen Blickfang mit erstaunlichem Tiefgang. Die ursprünglich geplante Kupferschindelfassade – Sinnbild für den Auftraggeber, den portugiesischen Stromerzeuger Energias de Portugal (EDP) – hat sie verworfen. Stattdessen ist der flache, geschwungene Bau nun mit 15.000 dreidimensionalen weißen Keramikfließen überzogen. Die von EDP getragenen Gesamtbaukosten belaufen sich auf rund 20 Millionen Euro.

Mit der Hommage an die portugiesische Azulejo-Kultur erzielt Levete den visuellen Effekt, dass der Museumsbau je nach Sonnenstand und Reflexe seine Farbe ändert – grellweiß am Morgen, rosa, golden-orange bis tiefrot in der Abenddämmerung. Penibel studierte Levete dafür die vom Sonnenstand abhängigen Lichtsituationen – äußerlich wie innerlich, wo sich durch die Deckenöffnungen der Fluss auf dem Museumsboden widerspiegelt. „Das Wasser ist essenziell für den Bau“, sagt Levete zum STANDARD . Das Herz der Stirling-Preisträgerin von 1999 schlägt seit einer Reise zur Fußball-EM 2004 für Portugals Hauptstadt: „Ziel war, dass das Wasser an allen Orten des Museums präsent ist.“ Und wenn es bloß in Form der riesigen Keramikwelle ist, die sich direkt am Ufer aufbauscht und die dem benachbarten Klinkeraltbau einen subtilen Partner dazugesellt. „Unser Design zeigt Präsenz, ist aber nicht bombastisch“, betont Levete.

Erstmals öffnete das MAAT seine Pforten im vergangenen Oktober – provisorisch zur Lissabonner Architektur-Triennale. Seit letzter Woche ist das Museum nun in Vollbetrieb. Nur noch die von Levete geplante Brücke von der MAAT-Aussichtsterrasse über die Schnellbahntrasse in den Stadtteil Junqueira steht noch aus.

„Die außergewöhnliche Architektur ist ein integraler Bestandteil des MAAT“, sagt MAAT-Direktor Pedro Gadanho. Der Architekt und ehemalige Kurator des Museum of Modern Art (Moma) in New York geht aber noch weiter: „Das ist ein extrem erfolgreiches Projekt. Ich wage es, fast von einem Mini-Bilbao-Effekt zu sprechen.“ Wiewohl das MAAT viel diskreter sei als sein Vorbild.

„Zeitgenössische Architektur verursacht häufig Gefühle der Ablehnung“, weiß Gadanho. Einfach, weil man deren Formensprache nicht verstehe. Bewohnern falle es schwer, sich mit Gegenwartsströmungen zu identifizieren. Anders in Lissabon, wo sie mit dem MAAT interagieren würden: „Obwohl es von der Form radikal und futuristisch ist, vermittelt es das Gefühl, willkommen zu sein“, betont der MAAT-Direktor. Zugleich habe man an den alten Kohlehafenmolen eine Flusspromenade geschaffen: „Das Ufer hier war von der Stadt abgetrennt. Die hier neu geschaffenen Institutionen bieten Gründe, sich wieder dem Wasser zu nähern“, sagt Gadanho, der das MAAT nicht zuletzt als „Beschleuniger für diesen Prozess“ versteht. Lokal wird das Museum von der Bevölkerung gut angenommen, was sich nicht nur im Besucherandrang zeigt: „International ist das positive Feedback eine Konstante. Für ein Museum, das eben erst vor wenigen Monaten eröffnet hat, ist das etwas Schönes“, so der Direktor zufrieden: Mitte Mai zählte man mehr als 9000 Besucher, just zur Eröffnung zweier Ausstellungen, und parallel zur zweiten Auflage der vis-à-vis in der alten Seilfabrik Cordoaria zelebrierten Gegenwartskunstmesse Arco Lisboa.

Eine sanfte Rampe

Die Art und Weise, wie man das alte E-Werk und Amanda Levetes neue Welle miteinander verknüpfe, sei es gewesen, „beides in den Dialog zu stellen. Die industrielle Architektur hatte ihre Bedeutung im zeitgenössischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. Beide antworten auf die Sprache ihrer Zeit, und sie antworten in ebenjener auch einander“, so Gadanho.

Eine sanfte Rampe führt bergab ins Tiefgeschoß, wo sich eine immense Fläche eröffnet. Die 1000 Quadratmeter große Galeria Oval nimmt ein Drittel der Ausstellungsfläche in Levetes Neubau ein. Zusammen mit dem alten E-Werk stehen insgesamt 7000 Quadratmeter Schaufläche zur Verfügung. Wie Künstler indes diese atypischen, neugeschaffenen Räume, die mitunter labyrinthisch verlaufen, gut nutzen werden, stellt sie auf jeden Fall vor Herausforderungen.

„Dies zu lösen ist Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler“, sagt Gadanho, der drei der aktuell vier laufenden Ausstellungen mitkuratiert: „Seit den 1960er- und 1970er-Jahren existiert der Hang zu ortsspezifischen Arbeiten, die mit den physischen Rahmenbedingungen und dem Kontext interagieren.“ Gadanho wolle den Künstlern kein Modell aufoktroyieren, sondern einen Dialog entfachen, der auf diese Situation ortsspezifisch reagiert. „Damit schaffen wir etwas Außergewöhnliches – etwas, das nur in außergewöhnlichen Umgebungen entstehen kann.“

Einer, der sich dieser Aufgabe auf Einladung Gadanhos stellt, ist aktuell der kubanische Künstler Carlos Garaicoa: mit einer ersten MAAT-Auftragsarbeit (Ich war nie Surrealist, bis zum heutigen Tag), die dem Kubaner zwar eine „schöne Überraschung bot“, wie er erklärt, ihm zugleich aber in der Konzeption „fast den Kopf explodieren ließ“.

„Wir bewegen uns dabei weg vom Konzept der Ikonisierung eines einzigen Gebäudes zur Ikonografie eines Ortes“, weiß Levete. In puncto Ausstellungsfläche will das MAAT der „akut wandelnden Beziehung von Kunst, Museen und den Museumsbesuchern Rechnung tragen, die stets weniger didaktisch sei“. Dabei brauche es einfach Platz für Interaktion und Performance. So bietet die flexibel wandelbare, elliptische Galeria Oval ganz zeitgemäß „mehr Möglichkeiten, ihrer Kreativität ohne räumliche Enge Ausdruck zu verleihen“.

Der Standard, Sa., 2017.05.20



verknüpfte Bauwerke
MAAT

28. April 2016Jan Marot
Der Standard

Der Spa­nier mit dem Schrau­ben­zie­her

Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Al­ber­to Cor­ral hat mit „Ubu­ild“ ein Fer­tig­teils­ys­tem ent­wi­ckelt, das es selbst Heim­wer­ker-Lai­en er­laubt, ihr Ei­gen­heim mit nur ei­nem Ak­ku­schrau­ber zu bau­en. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, den Zahn der Zeit ge­trof­fen zu ha­ben. Doch wird sich die idea­li­sti­sche Idee durch­set­zen?

Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Al­ber­to Cor­ral hat mit „Ubu­ild“ ein Fer­tig­teils­ys­tem ent­wi­ckelt, das es selbst Heim­wer­ker-Lai­en er­laubt, ihr Ei­gen­heim mit nur ei­nem Ak­ku­schrau­ber zu bau­en. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, den Zahn der Zeit ge­trof­fen zu ha­ben. Doch wird sich die idea­li­sti­sche Idee durch­set­zen?

Es ist ein biss­chen wie Le­go – und er­in­nert an die Ikea-Men­ta­li­tät des „Do it your­self“. Das sind zwei der skan­di­na­vi­schen Wur­zeln des un­längst pa­ten­tier­ten Sys­tems Ubu­ild. Die vor­ge­fer­tig­ten, pass- und mil­li­me­ter­ge­nau­en Teils­tü­cke soll es selbst Lai­en er­mög­li­chen, ih­ren mo­du­la­ren Haus­ei­gen­bau in Re­kord­zeit von nur zwei bis drei Ta­gen in die Hö­he zu schrau­ben.

Der Vor­stel­lungs­kraft sind da­bei kaum Gren­zen ge­setzt, ab­ge­se­hen da­von, dass man aus Holz wohl kaum ei­nen Wol­ken­krat­zer bau­en wird kön­nen. Die Wohn­flä­chen sind va­ria­bel, auch ein, zwei, drei Stock­wer­ke pro­blem­los um­setz­bar, be­tont der Er­fin­der, Al­ber­to Cor­ral, aus dem nord­west­spa­ni­schen La Co­ru­ña mit knapp 240.000 Ein­woh­nern. Der Ar­chi­tekt, Jahr­gang 1963, ist „über­zeug­ter Idea­list“, sagt er dem Stan­dard. Er be­treibt ein klei­nes, aber fei­nes Bü­ro in der ga­li­ci­schen Haupt­stadt.

Da­mit nicht ge­nug: Das nö­ti­ge Werk­zeug be­schränkt sich – rein theo­re­tisch – auf ei­nen Schrau­ben­zie­her. Bes­ser noch: auf ei­nen po­ten­ten Ak­ku­schrau­ber. Für sei­nen Er­fin­der ist die­ser qua­si das Pen­dant zu Ike­as le­gen­dä­rem In­bus­schlüs­sel, wenng­leich ein sol­cher wei­taus we­ni­ger Bla­sen an den Hän­den und wohl auch we­ni­ger graue Haa­re be­schert.

Cor­ral hat an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le ET­SA stu­diert, ehe er ein­mal quer durch Eu­ro­pa reis­te, „um al­les an Ar­chi­tek­tur zu ver­in­ner­li­chen, was er kann“, wie er sich er­in­nert. In den Som­mer­mo­na­ten ar­beit­ete er 1986 und 1987 noch zu Stu­di­en­zei­ten im schwe­di­schen Gö­te­borg so­wie bei den Lon­do­ner ISER Ar­chi­tects, wo er Er­fah­run­gen sam­mel­te – ehe er sich selbst­stän­dig mach­te.

Das Ei­gen­bau-Ei­gen­heim sei „sein Ba­by“. Jah­re­lang ha­be er da­ran ge­grü­belt, nach­dem er in ei­ner Mö­bel­tisch­le­rei Va­ri­an­ten der per­fek­ten Ver­bin­dung von Holz­ele­men­ten sah und ei­nen Heu­re­ka-Mo­ment ver­spür­te. „Das, was im Klei­nen geht, kön­ne man ja auch im gro­ßen Maß­stab nut­zen“, dach­te er sich. Es folg­ten Geo­me­trie-Rech­nun­gen en mas­se, und suk­zes­si­ve nahm Ubu­ild ei­ne Form an.

Sym­bio­se mit der Na­tur

Da­bei bleibt Cor­ral sei­ner Phi­lo­so­phie treu – näm­lich sei­nen An­spruch an Ar­chi­tek­tur in ei­ne glo­ba­le Vi­si­on über die Be­dürf­nis­se der Ge­sell­schaft zu bet­ten und da­bei ei­ne Sym­bio­se mit Na­tur und Nach­hal­tig­keit ein­zu­ge­hen. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, mit Ubu­ild den Zahn der Zeit zu tref­fen. Das Ei­gen­heim hat in Spa­nien Tra­di­ti­on, wenng­leich mit der tie­fen Wirt­schafts­kri­se vor al­lem der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on hier­für das Bud­get und oft auch ei­ne lang­fri­sti­ge Per­spek­ti­ve feh­len.

Re­al um­ge­setzt wur­den bis­lang al­ler­dings nur we­ni­ge Pro­to­ty­pen. Doch da­für gibt es be­reits dut­zen­de un­ter­schied­li­che Ent­wür­fe – et­wa für Ar­bei­ter-Ei­gen­bau­sied­lun­gen für 1000 Men­schen in der chi­le­ni­schen Ata­ca­ma­wü­ste mit ih­ren ex­tre­men Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen von 40 Grad Cel­si­us zwi­schen Tag und Nacht oder für ein Was­ser­kraft­werk-Pro­jekt im Re­gen­wald Bo­li­viens, wo die Ar­beits­kräf­te rasch und be­quem Un­ter­kunft fin­den sol­len.

Zwei Pi­lot­häu­ser ste­hen der­zeit in der Tisch­le­rei von Ou­tei­ro de Rei, die mit der Fer­ti­gung der Ubu­ild-Ele­men­te be­auf­tragt ist. Aber auch ei­ne Un­ter­kunft für die Ret­tungs­schwim­mer an ei­nem See bei As Pon­tes hat Cor­ral be­reits in die Tat um­ge­setzt. Seit der Pa­tent­an­mel­dung und ei­nem er­schie­ne­nen Ar­ti­kel in der Lo­kal­zei­tung La Voz de Ga­li­cia gin­gen je­doch un­ent­wegt An­ru­fe In­te­res­sier­ter ein, freut er sich.

„Holz ist leicht und lang­le­big, so­fern man es rich­tig be­han­delt“, sagt Al­ber­to Cor­ral. „Noch da­zu ist es at­mungs­ak­tiv. Das ist schlicht­weg der per­fek­te Bau­stoff.“ Bei sei­nen zie­gel- und be­ton­af­fi­nen Lands­leu­ten wird es aber noch ei­ni­ges an Über­zeu­gungs­ar­beit be­dür­fen, um sie von Ubu­ild zu über­zeu­gen. Ver­bin­den doch Spa­nier mit Zie­geln Fort­schritt, wo­hin­ge­gen sie in Holz ne­ben Feu­er­ge­fahr auch Pro­ble­me mit des­sen Le­bens­dau­er und Feuch­tig­keit se­hen. „Nein! Holz über­dau­ert Jahr­hun­der­te. Doch das ist hier­zu­lan­de nur den we­nigs­ten be­kannt.“

Cor­rals Vi­si­on: Mit ei­nem güns­ti­gen klei­nen Mo­dell kön­ne sich ein jun­ges Paar ein er­stes Ei­gen­heim er­rich­ten und dies je nach Be­darf und Nach­wuchs nach und nach mo­du­lar aus­bau­en. Kom­men sie dann selbst in die Jah­re und eman­zi­pie­ren sich die Kin­der, dann wä­re bei­spiels­wei­se ein Schlaf- oder Wohn­zim­mer­mo­dul die per­fek­te Mit­gift, meint Cor­ral.

Aus­bau­fä­hi­ge Mo­del­le

Zu­dem wä­ren Ubu­ild-Häu­ser auch für Ka­ta­stro­phen­hilfs­ein­sät­ze ide­al – et­wa für Spi­tä­ler, Schu­len oder eben als Un­ter­künf­te für Be­trof­fe­ne und Hel­fer. Braucht es doch nicht ein­mal ei­nen Bau­kran. Der Clou da­bei: Die meis­ten Teils­tü­cke kön­nen al­lein ge­ho­ben wer­den. Für die schwe­ren Bal­ken rei­chen ein, zwei Per­so­nen aus. Ge­schraubt wird al­lein. Ak­tu­ell ist das spa­ni­sche Mi­li­tär, das just in La Co­ru­ña die Ba­sis der Lo­gis­ti­kein­hei­ten be­hei­ma­tet, am Sys­tem in­te­res­siert. Die möch­te Ubu­ild für ei­ne For­schungs­sta­ti­on in der An­tark­tis be­nüt­zen. Cor­ral: „Wenn ich hier­für den Zu­schlag be­kom­me, dann plat­ze ich vor stolz.“

Ge­deckt wird ein Ubu­ild-Mo­dul mit Zie­gel­schin­deln oder Blech­dach – oder ein­fach nur mit ei­ner han­dels­üb­li­chen, wit­te­rungs­fes­ten Lkw-Pla­ne aus PVC. Die Idee hat­te Cor­ral, als er in La Co­ru­ña ei­nen der vie­len Sat­tel­schlep­per­zü­ge vor­bei­fah­ren sah. Hoh­le Wand­mo­du­le und hin­ter­lüf­te­te Fass­ade­ne­le­men­te sol­len Feuch­tig­keit und Tem­pe­ra­tur ab­lei­ten. Ein­ge­schloss­ene Luft­ka­nä­le, die man je nach Wett­er­la­ge öff­nen und schlie­ßen kann, er­mög­li­chen ei­ne ge­wis­se Kon­trol­le der Raum­tem­pe­ra­tur. Und auch an Strom- und Was­ser­lei­tun­gen hat der Er­fin­der ge­dacht. Die­se las­sen sich in die Eck­pfei­ler so­wie in Wand- und Bo­den­tei­le in­te­grie­ren.

Mas­si­ve Schrau­ben, die sich in den Bo­den dre­hen, sol­len als Fun­da­ment die­nen und da­bei den Kon­takt zum Un­ter­grund auf ein Mi­ni­mum re­du­zie­ren – ei­ne „nicht­in­va­si­ve Idee“, wie Cor­ral be­tont. Die Schrau­ben, die leicht trans­por­tier­bar sind, sol­len so­gar Stark­win­den stand­hal­ten kön­nen. Ide­al wä­re dies für die Er­rich­tung von Be­hau­sun­gen in Na­tio­nal­parks oder et­wa für Sai­son­ho­tels in­mit­ten un­be­rühr­ter Na­tur.

Wer­muts­trop­fen am gan­zen Pro­jekt ist der nicht wirk­lich bil­li­ge Qua­drat­me­ter­preis. Man­gels Auf­trags­vo­lu­men ist Ubu­ild mit 400 bis 800 Eu­ro pro Qua­drat­me­ter der­zeit noch ver­gleichs­wei­se hoch be­mes­sen. Al­ber­to Cor­ral ist Op­ti­mist. „Das ist nur ei­ne Fra­ge der Mas­sen­pro­duk­ti­on. Je mehr Ubu­ild-Häu­ser er­rich­tet wer­den, de­sto nie­dri­ger wird der Preis.“

Der Standard, Do., 2016.04.28

07. November 2015Jan Marot
Der Standard

Cha­mä­leon auf der Klip­pe

Mit sei­nem im­po­san­ten Klip­pen­haus, der so­ge­nann­ten Ca­sa del Acan­ti­la­do in Sa­lo­bre­ña an Gra­na­das Cos­ta Trop­ical, sorgt das jun­ge Ar­chi­tek­ten­duo Gil­Bart­olo­mé ADW aus Ma­drid für Fu­ro­re.

Mit sei­nem im­po­san­ten Klip­pen­haus, der so­ge­nann­ten Ca­sa del Acan­ti­la­do in Sa­lo­bre­ña an Gra­na­das Cos­ta Trop­ical, sorgt das jun­ge Ar­chi­tek­ten­duo Gil­Bart­olo­mé ADW aus Ma­drid für Fu­ro­re.

Die süd­spa­ni­sche Pro­vinz Gra­na­da ist bis­lang ar­chi­tek­to­nisch in er­ster Li­nie für den Al­ham­bra-Pa­last (deutsch „Die Ro­te“) aus der ara­bi­schen Ära welt­be­kannt. Doch auch in punc­to zeit­ge­nös­si­scher Ar­chi­tek­tur be­wegt sich hier­zu­lan­de im­mer wie­der et­was – dem kri­sen­be­ding­ten Exo­dus ei­ner jun­gen Ar­chi­tek­ten­ge­ne­ra­ti­on zum Trotz. Wie ganz ak­tu­ell mit dem „Klip­pen­haus“ (spa­nisch Ca­sa del Acan­ti­la­do), das Pa­blo Gil Mar­tí­nez (geb. 1977 in Ma­drid) und Jai­me Bart­olo­mé Yl­le­ra (geb. 1978, eben­so in Ma­drid) von Gil­Bart­olo­mé ADW Ma­drid auf den Wunsch ei­nes jun­gen Ehe­paa­res als Fe­ri­en­do­mi­zil in Sa­lo­bre­ña an der Mit­tel­meer­küs­te Gra­na­das kon­zi­pier­ten.

Ein ge­wag­ter Ent­wurf, der sich im Wett­be­werb ge­gen die Kon­kur­renz durch­set­zen konn­te. Und auf der mit 42 Grad Hang­la­ge ex­trem ge­neig­ten, 725 Qua­drat­me­ter klei­nen Par­zel­le am Stadt­rand der knapp 12.000 Ein­woh­ner zäh­len­den klei­nen Ha­fen­stadt, die be­reits zur Zeit der Phö­ni­zier und Kart­ha­ger Han­dels­zen­trum war, bau­lich mit Bra­vour um­ge­setzt wur­de.

Die spa­ni­sche Ta­ges- und auch Fach­pres­se lob­te den Bau über­schwäng­lich, gar als „ei­nes der in­no­va­tivs­ten und ori­gi­nell­sten Häu­ser des Lan­des“ (El Mun­do) . Haupt­ziel des Du­etts in Sa­lo­bre­ña in­des war es von vorn­her­ein, die Kons­truk­ti­on best­mög­lich in die um­lie­gen­de Land­schaft zu in­te­grie­ren. Das Haus ist in der Tat fast un­sicht­bar, sei­ne Rück­sei­te so­wie­so, aber selbst von der en­gen, kur­ven­rei­chen Zu­fahrtss­tra­ße her kann man es kaum se­hen. So­dass Ar­chi­tek­tur­fo­to­graf Je­sús Gra­na­da gar ei­ne Droh­ne brauch­te, um es in sei­ner Ge­samt­heit ab­zu­lich­ten.

Nicht nur, dass ein be­acht­li­cher Teil rück­sei­tig oh­ne­hin voll­stän­dig un­ter der Er­de liegt. Das „Klip­pen­haus“ ver­fügt auch über ei­ne Art Tarn­kap­pe. Was dem Ar­chi­tek­ten­ge­spann nicht nur mit der or­ga­ni­schen Form, son­dern auch mit ei­nem mit ge­gen Kor­ro­si­on re­sis­ten­ten Zink­pla­ket­ten be­schupp­ten Dach vor­treff­lich ge­lang. „Un­se­re Auf­trag­ge­ber sind sehr dis­kre­te Men­schen“, be­tont Bart­olo­mé. Fast mi­me­tisch fügt sich das Klip­pen­haus in das kar­ge, stei­ni­ge und – von ver­ein­zel­ten duf­ten­de Pi­nien, Thy­mi­an und Ros­ma­rin­büsch­chen ab­ge­se­hen – kaum be­wachs­ene Ter­rain ein. Aus all den Wohn­räu­men des zweis­tö­cki­gen Ein­fa­mi­li­en­hau­ses hat man stets ei­nen Pa­no­ra­ma­blick auf das na­he Meer. In­dem sie das Haus den Berg hin­ein­bau­ten, nutz­ten die Ar­chi­tek­ten auch das im Sü­den Spa­niens weit­ver­brei­te­te Kon­zept der „Ca­sa Cue­va“, zu Deutsch Höh­len­haus, ei­ne vor al­lem um Gua­dix ex­trem po­pu­lä­re, ra­sche und über­dies kos­ten­ef­fi­zien­te Bau­wei­se.

„Ab ei­ner Tie­fe von sechs Me­tern bleibt die Tem­pe­ra­tur qua­si das ge­sam­te Jahr über kons­tant um die 20 Grad“, sagt Pa­blo Gil. Was die En­er­gie­kos­ten sig­ni­fi­kant re­du­ziert – „fast ge­gen null, was Hei­zung und Kli­ma­ti­sie­rung be­trifft“, wie Gil wei­ter er­klärt – und vor al­lem in den som­mer­li­chen Hit­ze­wel­len mit knapp 40 Grad schlicht­weg den Lu­xus ei­ner an­ge­nehm er­fri­schen­den Raum­tem­pe­ra­tur bie­tet. Die Win­ter an der vor al­lem bei spa­ni­schen Bin­nen­tou­ris­ten be­lieb­ten „tro­pi­schen Küs­te“, spa­nisch Cos­ta Trop­ical, sind oh­ne­hin äu­ßerst mild. Mit Tiefst­wer­ten knapp um die 20 Grad.

Auf zwei ge­räu­mi­gen Stock­wer­ken lässt es sich hier auf 247 Qua­drat­me­ter Wohn­raum gut sein. „Als ob man auf dem Meer le­ben wür­de“, merkt Bart­olo­mé an. Ei­ne schwe­ben­de Ter­ras­se mit in­te­grier­tem Pool und ein ge­räu­mi­ges, hel­les, eben­so mit or­ga­nisch ge­form­ten Mö­beln ein­ge­rich­te­tes Wohn­zim­mer un­ten, zwei Schlaf­zim­mer oben. Über drei Ba­de­zim­mer und ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Kü­che ver­fügt das Klip­pen­haus auch. Mit ge­well­ten For­men, sei­en es die Fens­ter, die Au­ßen­wän­de oder das Dach, aber auch bei den drei Bal­ko­nen im Ober­ge­schoß, spiel­ten die Ar­chi­tek­ten zu­dem ge­konnt, „um das Ge­fühl, ein Teil des Mee­res zu sein, zu stei­gern“.

Hier wur­de üb­ri­gens al­les von lo­ka­len Fir­men er­baut und ein­ge­rich­tet. Selbst die „Zinn­schup­pen“ für das Dach – das je nach Ta­ges­zeit und Son­nen­ein­strah­lung ei­nen Cha­mä­leo­nef­fekt wie bei ei­ner Dra­chen­haut er­zeugt – kom­men aus dem Um­land. Das ist an­sons­ten be­kannt für sei­ne Trop­en­frucht-Pro­duk­ti­on, hier rei­fen je­de Men­ge Man­gos, Pa­pay­as, Avo­ca­dos und Co an den Bäu­men. „Die Dach­schup­pen ver­mit­teln über­dies den Ein­druck der Gischt und des Schau­mes schla­gen­der Wel­len“, meint Bart­olo­mé. Al­les wur­de wohl­ge­merkt in Hand­ar­beit ge­fer­tigt.

Bau­en mit Vor­bild­wir­kung

„Im En­def­fekt kam es uns viel güns­ti­ger, auf hoch­wer­ti­ges Hand­werk lo­ka­ler Fach­kräf­te zu bau­en“, be­tont Gil, „als auf teu­re, in­dus­tri­el­le Bau­stof­fe und Mo­bi­li­ar, das aus dem Aus­land zu be­stel­len wä­re.“ Zu­dem ist das nicht nur öko­lo­gisch nach­hal­ti­ger, weiß Bart­olo­mé, son­dern „man set­ze auch ein po­li­tisch kor­rek­tes Zei­chen mit Vor­bild­wir­kung, in ei­nem Land wie Spa­nien, dass von ho­her Ar­beits­lo­sig­keit ge­prägt ist“.

Ein­fach war es je­den­falls nicht, das Haus zu er­rich­ten, vor al­lem we­gen des stei­ni­gen har­ten Un­ter­grunds und der star­ken Nei­gung. Bart­olo­mé: „Es war wie ei­ne For­schungs­ar­beit an der Uni­ver­si­tät, bei der wir wert­vol­le Er­fah­rungs­wer­te sam­meln konn­ten.“

Be­ton ist der Bau­stoff, auf den die Wahl fiel – wie in Spa­nien fast flä­chen­de­ckend Usus. Zwei Au­ßen­wän­de mit ei­nem da­zwi­schen lie­gen­den Hohl­raum. Auch für das Dach wur­de Be­ton ver­wen­det, auch we­gen die Meer­nä­he, dem ho­hen Salz­ge­halt und der per­ma­nen­ten Luft­feuch­tig­keit. Das al­les wür­de für ei­ne Fül­le an mög­li­chen, wit­te­rungs­be­ding­ten Schä­den sor­gen, die in er­ster Li­nie an den Stahl­ele­men­ten weit­ge­hend zu ver­hin­dern sind. Das Klip­pen­haus soll in den näch­sten Jahr­zehn­ten oh­ne Re­no­vie­rung aus­kom­men.

Ein wei­te­res Pro­blem, für das Bart­olo­mé und Gil ei­ne Lö­sung fin­den muss­ten, war die Bo­den­er­osi­on. An der Cos­ta Trop­ical fällt sel­ten, aber wenn, dann doch mit­un­ter hef­ti­ger Re­gen. Auch hier hel­fen die Form des Klip­pen­hau­ses und die Art und Wei­se, wie es in den Bo­den ein­ge­las­sen ist. „Zwei Wol­ken­brü­che hat das Haus schon un­be­scha­det über­stan­den“, sagt Gil: „Und es wird noch zahl­lo­sen wei­te­ren trot­zen.“

Und zu den Bau­kos­ten? „Es ist ein ver­hält­nis­mä­ßig güns­ti­ges Haus“, sagt Bart­olo­mé . Wenng­leich er auf ex­pli­zi­ten Kun­den­wunsch hin kei­ne kon­kre­ten An­ga­ben ma­chen darf: „Es ist ei­nes, das wei­taus teu­rer wirkt“, scherzt sein Part­ner Gil. Was nicht zu­letzt auch an der ra­schen Um­set­zung liegt. Fünf Mo­na­te Pla­nung und knapp ein Jahr Bau­zeit reich­ten. Dann war es be­zugs­fer­tig, das stei­le Klip­pen­haus.

Den Nach­barn, da­run­ter ein deut­sches Paar, ge­fällt es, er­zäh­len die Ar­chi­tek­ten. Und sei­tens der Stadt­ver­wal­tung stell­te man kei­ne bü­ro­kra­ti­schen Hin­der­nis­se in den Weg. Ganz im Ge­gen­teil: Man un­ter­stütz­te, wo im­mer man konn­te.

Aus­län­di­sche Er­fah­run­gen

Gil und sein Part­ner Bart­olo­mé un­ter­strei­chen im Stan­dard -Ge­spräch, dass sie „nicht der Tra­di­ti­on der spa­ni­schen Ar­chi­tek­tur ver­schrie­ben sind“, son­dern sich viel­mehr, auch dank ih­rer Aus­bil­dung und Be­rufs­er­fah­rung im Aus­land, fast nä­her den Schu­len in Lon­don oder Los An­ge­les, aber auch Trends aus Wien ver­bun­den füh­len: „All dem, was nicht ty­pisch ist hier­zu­lan­de.“

Ex­pe­ri­men­tel­le, zeit­ge­nös­si­sche Ar­chi­tek­tur sei das, was bei­de fes­selt und for­dert. Bei­de ge­ben auch als Gast­do­zen­ten Uni­ver­si­täts­kur­se, et­wa in den USA, aber auch in Eng­land. Gil stu­dier­te wie auch Bart­olo­mé an der re­nom­mier­ten Bart­lett School of Ar­chi­tec­tu­re in Lon­don, wo er ak­tu­ell auch PhD-Kan­di­dat ist und Bart­olo­mé be­reits in der Zeit des Mas­ters­tu­di­ums ken­nen­lern­te.

Bei­de, erst Mit­te 30, sind mit knapp zehn Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung zu­dem Au­to­ren in Fach­zeit­schrif­ten, ko­ope­rie­ren mit der spa­ni­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten (CSIC) und konn­ten sich auch be­reits über meh­re­re Ar­chi­tek­tur­prei­se freu­en.

Der Standard, Sa., 2015.11.07

16. April 2013Jan Marot
Der Standard

Am Ende die Einsamkeit

Die Architektin Julia Schulz-Dornburg hat Ruinen der geplatzten iberischen Immobilienblase fotografiert - Ihre Dokumente werden zurzeit in Berlin und Madrid ausgestellt

Die Architektin Julia Schulz-Dornburg hat Ruinen der geplatzten iberischen Immobilienblase fotografiert - Ihre Dokumente werden zurzeit in Berlin und Madrid ausgestellt

Ein „unvergleichbarer Meerblick“ sollte 12.000 Neoeigenheimbesitzer ins Golden Sun Beach and Golf Resort bei Pulpi unweit des südspanischen Almeria locken. Der Puerta de Horche Residencial Complex (Guadalajara) hätte Wohnraum für 3500 Menschen vor den Toren der gleichnamigen 2400-Seelen-Gemeinde bieten sollen. Doch die Träume zerschellten an der Wirklichkeit. Die Bauten stehen, ebenso wie 326 Einfamilienhäuser im Calatrava Tourist and Leisure Complex in La Mancha leer - dort, wo Don Quichotte die Windmühlen zu besiegen suchte. Selbst Luxus-Chalets an der Costa del Sol, die für 640 Sonnenhungrige gedacht waren, wurden halbfertig ihrem Verfall preisgegeben.

Für ihre Ausstellung Moderne Ruinen - Eine Topografie der Bereicherung fotografierte die in Barcelona lebende deutsche Architektin Julia Schulz-Dornburg Spaniens Bauruinen der Immobilienkrise. Die 51-jährige gebürtige Münchnerin präsentiert die Dokumente derzeit im Museum der Fundación ICO Madrid und im Berliner Architekturforum Aedes.

Die Idee dazu kam ihr, als sie auf das Projekt Gran Escala stieß. Unweit von Saragossa war eine Art Las Vegas mit 32 Kasinos, das zwei Millionen Besucher jährlich anziehen sollte, geplant. „Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Dass irgendjemand wirklich daran glaubt, ein solches Projekt könne überhaupt funktionieren“, sagt Schulz-Dornburg.

Drei Jahre arbeitete sie an ihrer Chronik des Niedergangs. Fast 10.000 Kilometer legte sie auf Recherchereisen zurück, nahm hundert Projekte in Lokalaugenschein, dokumentierte zahllose dekadente Auswüchse eines an Fanatismus grenzenden Wachstumswahns - und legte mit ihren Fotografien eine mitunter verstörend romantische Schönheit frei, wenn die Natur symbiotisch zur Reconquista der Ruinen schreitet.

Werbevideos und -broschüren der Immobilienfirmen, deren Slogans, Pläne und topografische Analysen „veranschaulichen eine Zukunft, die das Unbeschreibliche beschreibt“, sagt Schulz-Dornburg: „Ich konnte nicht glauben, dass ein auf purer Fiktion basierendes Fantasieprogramm genügt, um alle - Politiker, Anleger, Architekten, Stadtplaner, Rechtsanwälte, die Leute im Dorf - zu erfassen.“
Iberisches Immobilienwunder

Längst waren nicht nur küstennahe Landstriche betroffen. Auch das Hinterland fiel dem Hype um das „iberische Immobilienwunder“ zum Opfer. Zwischen 2000 und 2005 wurden drei Hektar pro Stunde verbaut: Das sind zirka fünf Fußballfelder. Heute haben Locationscouts, die nach Schauplätzen für Endzeitdramen suchen, die Qual der Wahl: Häuser, die nie bewohnt wurden, Flughäfen, auf denen niemals ein Flugzeug landen wird, unbefahrene Autobahnen, menschenleere Hochgeschwindigkeitszüge, verwilderte Golfplätze.

Die Ästhetikkomponenten der Krisen sind vielfältig; und nicht erst seit dem Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher ist bekannt, dass Ruinen der Moderne verzaubern.
Pränatale Ruinen

„Verfall hat immer etwas Verführerisches“, sagt Schulz-Dornburg. Etwas, das noch nicht fertig oder kaputt ist, könne man in seiner Fantasie ergänzen. "In meinem Fall sind diese Ruinen - anders als bei den Industrieruinen der Bechers - niemals eingeweiht worden. Es sind „ pränatale Ruinen“. Bevor etwas stattgefunden hat, ist schon alles kaputt."

Symbole für zwei eng aneinandergekoppelte und wohl seit Urzeiten angeborene menschliche Schwächen: die des Glaubens an die Unbesiegbarkeit des Menschen im Wettstreit mit der Natur; und die Gabe der Selbsttäuschung - bis zum Untergang. „Das Wachstum als Grundlage zur Erhaltung unsere Wohlstands oder als eine Art Philosophie hat sich ad absurdum geführt“, sagt Schulz-Dornburg. „So geht es nicht weiter.“

Bis 9. 5. im Architekturforum Aedes/Berlin; bis 9. 6. in der Fundación ICO/Madrid

Der Standard, Di., 2013.04.16

08. Mai 2010Jan Marot
Der Standard

Hasta la vista, Autobahn

Madrid setzt stadtplanerische Akzente und untertunnelt die Innenringautobahn - Über neugewonnene Freiräume der spanischen Metropole

Madrid setzt stadtplanerische Akzente und untertunnelt die Innenringautobahn - Über neugewonnene Freiräume der spanischen Metropole

„Paso a paso“ , Schritt für Schritt, wie die Spanier sagen, „pero sin pausa“ , aber pausenlos, setzt sich Europas drittgrößter Ballungsraum über eine dereinst in den 1960er-Jahren für die motorisierte Mobilität selbstauferlegte Grenze hinweg. Über Dekaden markierte ein zentrales Teilstück der inneren Stadtringautobahn M-30 eine unüberwindbare Barriere für die Stadtplanung.

Grauer Beton, beiderseits der Ufer des Río Manzanares, verdeckte auf der Höhe des Königspalastes und seiner Gärten den Blick auf die Stadt und zum vis-à-vis liegenden königlichen Jagdrevier und den reanimierten königlichen Obstgärten. Für eine Rückeroberung der Ufer taucht der Verkehr jetzt beim Stadion Vicente Calderón des diesjährigen Europa-League-Finalisten Atlético Madrid ab, um sechs Kilometer später am Knoten Süd wiederaufzutauchen. Insgesamt sind 43 Kilometer Tunnel fertiggestellt - zumeist überplattete Trassen. Geplant ist auch, alle M-30-Zubringer zu überdachen.

Das knapp vier Milliarden Euro teure Projekt lässt tatsächlich neue Lebensräume entstehen. Der Fluss, an dessen einst verwilderten Ufern das Volksfesttreiben von Francisco de Goya in La Pradera de San Isidoro auf Leinwand gebannt wurde, rückt wieder in den Mittelpunkt des Stadtlebens. Eine Vision eines „grüneren“ Madrid für das 21. Jahrhundert nimmt als M(adrid)rió Gestalt an.

Federführend für die Umsetzung des Prestigeprojekts des Langzeitbürgermeisters Alberto Ruíz Gallardón zeigte sich das Rotterdamer Architekturbüro West8 um Adriaan Geuze. Im Wettbewerb gegen Herzog & de Meuron, Toyo Ito und Dominique Perrault überlegen, setzen sie nun auf dem 120 Hektar großen Areal mit den lokalen Partnern von Mrio Arquitectos ihren Masterplan für eine neue grüne Lunge dreier Bezirke und mehr als 500.000 Menschen um. Organisch wie artifiziell mutet die Formensprache des Landschaftsarchitekten Edzo Bindels von West8 an. Die Preisträger des International Urban Landscape Award für die Umgestaltung der Hamburger Ex-militärkaserne Lettow Vorbeck (2009) waren im selben Jahr mit dem Manzanares-Uferpark unter den Nominierten für den Conde Nast Traveller Innovation and Design Award. 2007 erhielten sie den Zuschlag für die Umgestaltung des Governors Island in New York.

Geradelt oder gejoggt wird nun über der Autobahn. Diese liegt 1,5 Meter unter dem Erdreich, dem Wurzelvlies und eineinhalb Meter Beton, für Bindels „ein Pflanzentrog“ . Der Salon de Pinos darüber ist ein Skulpturengarten mit über 10.000 eigenwilligen Pinien, die für Iberiens öffentlichen Raum die essenzielle Schattenfrage klären. Angepasst an das extreme Klima Madrids, sind sie ideal wegen ihrer geringen Wurzeltiefe. Teilweise sind sie schräg gepflanzt und zum Fluss geneigt. Die an Stierhörner erinnernden knallroten Stützen bieten Halt. „Es sind die singulären Reize, die man unterstreichen muss“ , ist Bindels überzeugt: „Landschaftsarchitekten träumen von wilden Unikaten, doch in der Baumschule gibt es nur langweilige Pflänzchen.“

Für die Verknüpfung der Ufer errichtet West8 sechs Betonbrücken. „Allesamt selbsttragende Konstruktionen, teilweise nur 25 Zentimeter dick“ , sagt Projektmanager Christian Dobrick. Darunter die Puente Cascara (Schalenbrücke), die an einen Walfischmund erinnert und die Puente Oblícuo, die „Schräge“ , wo man sich aus Gründen der Kosteneffizienz der Substanz der al-ten, geschwungenen Autobahnbrücke bediente und den Salon de Pinos weiter drüberspazieren lässt. „Hier gehen nicht nur Menschen über die Brücke, sondern auch die Bäume“ , sagt Bindels.

Binnen kürzester Zeit zum Besuchermagneten avancierten die zehn Spielplätze, die behindertengerecht und für unterschiedliche Altersgruppen konzipiert wurden. „Die Kinder stellen sich sogar an. Dabei geht manchmal das iberische Temperament der Väter durch“ , sagt Dobrick. So erhielt die Stadt Madrid kürzlich den Golden Swing Award, einen Preis der den Einsatz für die jüngsten Stadtbewohner unterstreicht.

Zu den Jüngsten gesellen sich bereits auch Erholungssuchende aus den dichtbebauten Westbezirken, es zieht sie dorthin, wo eine neue Ramblas-esque-Promenade ein altes Manko der kastilischen Metropole gegenüber ihrer katalanischen Rivalin Barcelona amortisieren soll: das Fehlen eines Stadtstrandes. Also wird auch eine Playa auf dem 40 Hektar vergrößerten Parque de la Arguanzuela entstehen. Nicht dass man im Manzanares plantschen könnte. Der aufgestaute Fluss führt Wasser fernab der Qualität alpenländischer Gebirgsseen. Und obgleich Madrids Name sich vom arabischen Madschrít, „Mutter aller Gewässer“ ableitet, scherzte schon der Poet Lope de Vega (1562-1653) über den oft wenig Wasser führenden Manzanares: „Die Stadt soll entweder einen Fluss kaufen oder ihre Brücken verkaufen.“

Die Wirtschaftskrise habe den Baufortschritt nicht gebremst. Infrastrukturspritzen für Beschäftigungsimpulse in Form von Geldmitteln aus dem Plan E der Regierung werden für das Projekt aufgewandt, so Dobrick. Das schafft Arbeitsplätze. Bis zum Frühjahr 2011, pünktlich zur Kommunalwahl, soll dann das gesamte Areal oberirdisch fertiggestellt sein - und auch an den Urnen einen Stimmenbonus bringen. Denn bei aller Euphorie weiß Bindels: „Wir Architekten müssen in Legislaturperioden denken“ .

Rechnen würde sich ein solches Projekt „nicht in 15 Jahren“ , sagt er: „Das ist etwas für kommende Generationen.“ Kritik kam seitens der Umweltschützer von den Ecologistas en Acción. Man verdecke das Problem, anstatt es zu lösen. Denn im Zuge der Schaffung eines oberirdischen Paradieses soll unterirdisch die rund 300.000 Fahrzeuge pro Tag zählende Blechlawine in ihrer Kapazität um 100.000 erhöht werden.

Den Bewohnern im äußeren Südwesten, wo der Verkehr, von der A-5 kommend, die bereits untertunnelte Avenida de Portugal passiert, ging die Trassenunterführung jedoch nicht weit genug.

West8 wird sich nun der Strandpromenade von Palma de Mallorca annehmen. Ein Ein-Kilometer-Abschnitt dient, wie Dobrick sagt, „als Pilotprojekt“ . Da ein in Zeiten des Baubooms geschaffenes Küstenbetonierungsdilemma touristisch einen obsoleten Wirtschaftsweg darstellt, tut Imagepolitur not: „Regierungschef Zapatero erklärte dies zur Chefsache.“ Beim Madrider Flughafen Barajas wächst in Gestalt der Pegaso City Spaniens größter Businesspark, der aktuell auf der Expo in Schanghai präsentiert wird. So gesteht Dobrick: „Nur über Qualität kann man im Immobilienmarkt noch Akzente setzen.“

Bürgermeister Gallardón hingegen gedenkt nach seiner wahrscheinlichen Wiederwahl weiterzumachen mit dem Untertunneln. Denn Autobahnen, einst imposante Zeichen des Fortschritts, sind zu Luftverschmutzern und Dezibelquellen degradiert worden, die nicht mehr in das ergrünende Stadt- und Weltbild passen. Der Außenring M-40 (63 Kilometer) soll an starkbewohnten Abschnitten wie Zugstrecken verdeckt werden. Auch das Gros der Hochspannungsleitungen ist bereits aus der Madrileños Blickfeld verschwunden. Eben ein Schritt nach dem anderen.

Der Standard, Sa., 2010.05.08

18. Juli 2009Jan Marot
Der Standard

Schwere Elemente, leichte Räume

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Man könnte sich fragen: Wo braucht man schon zwei Schwimmbecken? Die Antwort: genau dort, wo sich im Hintergrund Ausläufer der ausgedörrten Sierra Guadarrama erheben und der Blick über die im Norden Madrids gelegene Villenlandschaft schweift. Ein Granitklotz, der als Haus-Topping fungiert, ist hier Blickfang und gleichzeitig Wegweiser durch den Nobelnordrand der unter der Julihitze ächzenden iberischen Millionenmetropole.

Hier steht das 2005 geplante und 2008 in nur sieben Tagen umgesetzte Hemeroscopium House des spanischen Architekten Antón García Abril. Der Gravitation jenes erwähnten verhältnismäßig kompakten 20-Tonnen-Gegengewicht-Klotzes sei gedankt: So „schwebt“ die fast ebenso schwere Pool-Rinne im ersten Stock des eigentlich bescheidenen Stadtrandhäuschens. Das andere erfrischende Nass liegt, konservativ-klassisch darunter in den Boden versetzt, am grünen Kunstrasen - aus Gründen der Wasserknappheit. Alles dreht sich um den „Mutterbalken“, wo auch noch etwas Stahl, „den man entfernen könnte“, langsam vor sich hin korrodiert.

Konzept und Umsetzung war für den Perfektionisten Abril schlichtweg „Frucht des Bedürfnisses, mit schweren Elementen leichte Räume zu gestalten“. 25 Tonnen bringen die etwas anderen Fertigteile auf die Waage. Sie sind unter anderem Aquädukttrassen, sprich: industriell gefertigte Massenware, die sonst Spanien feuchthaltende Lebensadern markieren.

Bei Abril hingegen gestalten jene Elemente seinen Lebens(t)raum - eines dient als massige und doch federleicht wirkende 50 Tonnen wiegende Pool-Rinne. „Hüpfen wir doch rein“, so die Abkühlung versprechende Einladung der Hausherren. Doch nicht die Schwimmbecken, sondern der Raum ist für Abril „der wahre Luxus“.

Hemeroscopium, der kryptisch-antik anmutenden Name des Avantgarde-Design-Hauses, ist just der mystisch-irreale Ort, an dem sich die alten Griechen den kuscheligen Schlafplatz der Sonne erdachten, ein Ort, der nur „im Gefühl“ existiere und Horizonte öffne, wobei Abrils gleichnamiger Vater auch ein Musikstück mit selbigem Titel komponierte.

Das Hemeroscopium House hat 400 Quadratmeter Grundfläche. „Die Errichtung war wirklich günstig“, sagt Abril. Rund 400.000 Euro kosteten Konstruktionsmaterial, Installationen und der High-Speed-Aufbau. Bereits hier wurde „viel Energie gespart“. Innen ist es ebenso schlicht gehalten, wie die äußere Form vermuten lässt. Wasseraffin, wie Abril ist, dürfen auch Badewannen - die zweite im Schlafzimmer - nicht fehlen. Beide Pools dienen nicht nur der Statik oder gar dem Hedonismus. Bei Hitzeüberschuss sind sie Ausgleich für die solarthermische Anlage, die, am Dach installiert, knapp 50 Quadratmeter misst. Fotovoltaikpaneele sollen folgen, sagt Abril: „Eine Investition, die sich auf Zeit definitiv rechnen wird.“

Angenehme Windströme

Ein Spezialglas isoliert an den 200 Hitzetagen, laut Erbauer, ideal. Wenn Madrids Klimaanlagen die Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt dieser Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht in den Innenbereich reflektieren. „Energietechnisch verhält es sich gut“, sagt Abril. Statistisch gesehen stehen im Jahr nur sechs Tage ins Haus, an denen die Thermometer um den Gefrierpunkt pendeln, also halten sich auch Heizkosten im Rahmen.

„Am Abend entwickelt sich eine angenehme Windströmung, die den Sitzbereich im Freien kühlt“, erklärt der Architekt, der sich auch an der arabischen Baukultur orientierte. Wie bei alten maurischen Herrenhäusern umragt das Anwesen eine mehr als zwei Meter hohe Betonmauer. Zudem inspirierte Abril der Einsatz von Wasser - als „Sinnesgenuss, visuell, auditiv, taktil.“

Einigen der betuchten Nachbarn stieß die protzige Wasserextravaganz übel auf. „Sie hassen es“, sagt Abril verschmitzt. Einer klagte den Architekten aufgrund einer Regelung des Madrider Baurechts, die vorschreibt, „dass Schwimmbecken im Erdboden eingesetzt sein müssen“. Abril erhielt einen Anruf der Stadtverwaltung, in der man „nicht wusste, was man machen sollte“. Doch der Schwebepool ist glücklicherweise „essenziell für die Statik des Hauses“ - und darf somit bleiben.

Wäre es nach seinen Eltern gegangen, hätte Antón García Abril einen anderen Lebensweg einschlagen sollen. Seinen ersten Abschluss machte er an einer Musikhochschule. Vielleicht baut er deswegen heute auch Gebäude für Musik - etwa das Berklee-College für Musik mit dem SGAE-Konzerthaus in Valencias Tower of Music. Akustik ist eine seiner Spezialisierungen.

Abril ist als Architekt darauf bedacht, sein geistiges Eigentum zu schützen. „Es ist einfacher, von den Minimalisten zu kopieren“, sagt er. Aber wer abkupfere, suche meist „einfache Wege“. Das sei in seinem Werk nicht der Fall. Das Hemeroscopium House ist eine komplizierte Komposition, es verlangte zum Beispiel über ein Jahr dauernde Ingenieursberechnungen.

Abril sieht sich von Mies van der Rohe inspiriert: klare Formen, viel Glas und ein Toque-Stahl. Freier Raum, gekoppelt an das Verneinen der Form an sich. Einzig an die Schwerkraft glaubt Abril. Das in diesem Sinn ideale Material Stein - 2005 gewann Abril in Verona den Stone-Architects-Award - hat es ihm von jeher angetan. So ist das Central Office der SGAE in Santiago de Compostela (es wurde 2008 fertiggestellt), zumindest was die Fassade betrifft, eine moderne Stonehenge-Replik.

Sein Madrider Haus „ist ein Gegensatz zu Rem Kohlhaas“, sagt der von Starallüren weitgehend verschont Gebliebene. Doch auch „Starallüren“ sind für den Spanier per se nichts Negatives: Sie würden der Architektur auf lange Sicht nur helfen, ist der Preisträger des Architectural Digest Awards 2008 überzeugt. Über die Architekten laufen die medialen Diskurse. Immerhin sei die Architektur jene Kunstform, die den Alltag der Menschen am stärksten beeinflusse. Aber viele Architekten würden heute gar nicht mehr bauen, sondern nur noch zeichnen. Antón García Abril will für eine neue Architektur kämpfen: „Die jungen Architekten haben oft großartige Ideen, während man den Stars jede Dummheit erlaubt.“

Antón García Abril wurde 1969 in Madrid als Sohn des gleichnamigen Komponisten geboren. Der Architekt ist Kritiker und Universitätsprofessor an der Madrider ETSA. 2000 eröffnete er sein Ensamble-Studio, baute den spanischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig (2000) und erhielt 2008 den Architectural Digest Award. Aktuellstes Projekt ist das ABC-Center in Bogotá, wofür er den Rice Architectural Design Alliance Prize für Nachwuchsarchitekten gewann.

Wenn die Klimaanlagen Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt der Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht nach innen reflektieren.

Der Standard, Sa., 2009.07.18



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Villa Hemeroscopium

Presseschau 12

20. Mai 2017Jan Marot
Der Standard

Surfspot für das Stadtbild

Atemberaubende Aus- und Einblicke bietet das neue Museum für Kunst, Architektur und Technik in Lissabon. Der Londoner Architektin Amanda Levete gelingt es, mit dem MAAT die Ikonografie des Ortes zu verändern.

Atemberaubende Aus- und Einblicke bietet das neue Museum für Kunst, Architektur und Technik in Lissabon. Der Londoner Architektin Amanda Levete gelingt es, mit dem MAAT die Ikonografie des Ortes zu verändern.

Es steht direkt am Wasser und ist von den Wellen des Tejo-Flusses inspiriert. Auf ebendiesen wirft das Lissabonner Museu de Arte, Arquitetura e Tecnologia, kurz MAAT, sein überdimensionales, zwinkerndes Auge. Das von der Londoner Architektin Amanda Levete (ALA Architects) geplante Haus ist in emblematisch-prominenter Gesellschaft eingebettet. Auf der einen Seite das berühmte Seefahrer-Entdeckerdenkmal und die Brücke des 25. April, auf der anderen Seite das prächtig ornamentierte Hieronymus-Kloster im Stadtteil Belém.

Auf dem Areal eines alten Kohlekraftwerks der 1920er-Jahre schuf Levete einen 120 Meter langen und nur 14 Meter hohen Blickfang mit erstaunlichem Tiefgang. Die ursprünglich geplante Kupferschindelfassade – Sinnbild für den Auftraggeber, den portugiesischen Stromerzeuger Energias de Portugal (EDP) – hat sie verworfen. Stattdessen ist der flache, geschwungene Bau nun mit 15.000 dreidimensionalen weißen Keramikfließen überzogen. Die von EDP getragenen Gesamtbaukosten belaufen sich auf rund 20 Millionen Euro.

Mit der Hommage an die portugiesische Azulejo-Kultur erzielt Levete den visuellen Effekt, dass der Museumsbau je nach Sonnenstand und Reflexe seine Farbe ändert – grellweiß am Morgen, rosa, golden-orange bis tiefrot in der Abenddämmerung. Penibel studierte Levete dafür die vom Sonnenstand abhängigen Lichtsituationen – äußerlich wie innerlich, wo sich durch die Deckenöffnungen der Fluss auf dem Museumsboden widerspiegelt. „Das Wasser ist essenziell für den Bau“, sagt Levete zum STANDARD . Das Herz der Stirling-Preisträgerin von 1999 schlägt seit einer Reise zur Fußball-EM 2004 für Portugals Hauptstadt: „Ziel war, dass das Wasser an allen Orten des Museums präsent ist.“ Und wenn es bloß in Form der riesigen Keramikwelle ist, die sich direkt am Ufer aufbauscht und die dem benachbarten Klinkeraltbau einen subtilen Partner dazugesellt. „Unser Design zeigt Präsenz, ist aber nicht bombastisch“, betont Levete.

Erstmals öffnete das MAAT seine Pforten im vergangenen Oktober – provisorisch zur Lissabonner Architektur-Triennale. Seit letzter Woche ist das Museum nun in Vollbetrieb. Nur noch die von Levete geplante Brücke von der MAAT-Aussichtsterrasse über die Schnellbahntrasse in den Stadtteil Junqueira steht noch aus.

„Die außergewöhnliche Architektur ist ein integraler Bestandteil des MAAT“, sagt MAAT-Direktor Pedro Gadanho. Der Architekt und ehemalige Kurator des Museum of Modern Art (Moma) in New York geht aber noch weiter: „Das ist ein extrem erfolgreiches Projekt. Ich wage es, fast von einem Mini-Bilbao-Effekt zu sprechen.“ Wiewohl das MAAT viel diskreter sei als sein Vorbild.

„Zeitgenössische Architektur verursacht häufig Gefühle der Ablehnung“, weiß Gadanho. Einfach, weil man deren Formensprache nicht verstehe. Bewohnern falle es schwer, sich mit Gegenwartsströmungen zu identifizieren. Anders in Lissabon, wo sie mit dem MAAT interagieren würden: „Obwohl es von der Form radikal und futuristisch ist, vermittelt es das Gefühl, willkommen zu sein“, betont der MAAT-Direktor. Zugleich habe man an den alten Kohlehafenmolen eine Flusspromenade geschaffen: „Das Ufer hier war von der Stadt abgetrennt. Die hier neu geschaffenen Institutionen bieten Gründe, sich wieder dem Wasser zu nähern“, sagt Gadanho, der das MAAT nicht zuletzt als „Beschleuniger für diesen Prozess“ versteht. Lokal wird das Museum von der Bevölkerung gut angenommen, was sich nicht nur im Besucherandrang zeigt: „International ist das positive Feedback eine Konstante. Für ein Museum, das eben erst vor wenigen Monaten eröffnet hat, ist das etwas Schönes“, so der Direktor zufrieden: Mitte Mai zählte man mehr als 9000 Besucher, just zur Eröffnung zweier Ausstellungen, und parallel zur zweiten Auflage der vis-à-vis in der alten Seilfabrik Cordoaria zelebrierten Gegenwartskunstmesse Arco Lisboa.

Eine sanfte Rampe

Die Art und Weise, wie man das alte E-Werk und Amanda Levetes neue Welle miteinander verknüpfe, sei es gewesen, „beides in den Dialog zu stellen. Die industrielle Architektur hatte ihre Bedeutung im zeitgenössischen Kontext des frühen 20. Jahrhunderts. Beide antworten auf die Sprache ihrer Zeit, und sie antworten in ebenjener auch einander“, so Gadanho.

Eine sanfte Rampe führt bergab ins Tiefgeschoß, wo sich eine immense Fläche eröffnet. Die 1000 Quadratmeter große Galeria Oval nimmt ein Drittel der Ausstellungsfläche in Levetes Neubau ein. Zusammen mit dem alten E-Werk stehen insgesamt 7000 Quadratmeter Schaufläche zur Verfügung. Wie Künstler indes diese atypischen, neugeschaffenen Räume, die mitunter labyrinthisch verlaufen, gut nutzen werden, stellt sie auf jeden Fall vor Herausforderungen.

„Dies zu lösen ist Aufgabe der Künstlerinnen und Künstler“, sagt Gadanho, der drei der aktuell vier laufenden Ausstellungen mitkuratiert: „Seit den 1960er- und 1970er-Jahren existiert der Hang zu ortsspezifischen Arbeiten, die mit den physischen Rahmenbedingungen und dem Kontext interagieren.“ Gadanho wolle den Künstlern kein Modell aufoktroyieren, sondern einen Dialog entfachen, der auf diese Situation ortsspezifisch reagiert. „Damit schaffen wir etwas Außergewöhnliches – etwas, das nur in außergewöhnlichen Umgebungen entstehen kann.“

Einer, der sich dieser Aufgabe auf Einladung Gadanhos stellt, ist aktuell der kubanische Künstler Carlos Garaicoa: mit einer ersten MAAT-Auftragsarbeit (Ich war nie Surrealist, bis zum heutigen Tag), die dem Kubaner zwar eine „schöne Überraschung bot“, wie er erklärt, ihm zugleich aber in der Konzeption „fast den Kopf explodieren ließ“.

„Wir bewegen uns dabei weg vom Konzept der Ikonisierung eines einzigen Gebäudes zur Ikonografie eines Ortes“, weiß Levete. In puncto Ausstellungsfläche will das MAAT der „akut wandelnden Beziehung von Kunst, Museen und den Museumsbesuchern Rechnung tragen, die stets weniger didaktisch sei“. Dabei brauche es einfach Platz für Interaktion und Performance. So bietet die flexibel wandelbare, elliptische Galeria Oval ganz zeitgemäß „mehr Möglichkeiten, ihrer Kreativität ohne räumliche Enge Ausdruck zu verleihen“.

Der Standard, Sa., 2017.05.20



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MAAT

28. April 2016Jan Marot
Der Standard

Der Spa­nier mit dem Schrau­ben­zie­her

Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Al­ber­to Cor­ral hat mit „Ubu­ild“ ein Fer­tig­teils­ys­tem ent­wi­ckelt, das es selbst Heim­wer­ker-Lai­en er­laubt, ihr Ei­gen­heim mit nur ei­nem Ak­ku­schrau­ber zu bau­en. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, den Zahn der Zeit ge­trof­fen zu ha­ben. Doch wird sich die idea­li­sti­sche Idee durch­set­zen?

Der spa­ni­sche Ar­chi­tekt Al­ber­to Cor­ral hat mit „Ubu­ild“ ein Fer­tig­teils­ys­tem ent­wi­ckelt, das es selbst Heim­wer­ker-Lai­en er­laubt, ihr Ei­gen­heim mit nur ei­nem Ak­ku­schrau­ber zu bau­en. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, den Zahn der Zeit ge­trof­fen zu ha­ben. Doch wird sich die idea­li­sti­sche Idee durch­set­zen?

Es ist ein biss­chen wie Le­go – und er­in­nert an die Ikea-Men­ta­li­tät des „Do it your­self“. Das sind zwei der skan­di­na­vi­schen Wur­zeln des un­längst pa­ten­tier­ten Sys­tems Ubu­ild. Die vor­ge­fer­tig­ten, pass- und mil­li­me­ter­ge­nau­en Teils­tü­cke soll es selbst Lai­en er­mög­li­chen, ih­ren mo­du­la­ren Haus­ei­gen­bau in Re­kord­zeit von nur zwei bis drei Ta­gen in die Hö­he zu schrau­ben.

Der Vor­stel­lungs­kraft sind da­bei kaum Gren­zen ge­setzt, ab­ge­se­hen da­von, dass man aus Holz wohl kaum ei­nen Wol­ken­krat­zer bau­en wird kön­nen. Die Wohn­flä­chen sind va­ria­bel, auch ein, zwei, drei Stock­wer­ke pro­blem­los um­setz­bar, be­tont der Er­fin­der, Al­ber­to Cor­ral, aus dem nord­west­spa­ni­schen La Co­ru­ña mit knapp 240.000 Ein­woh­nern. Der Ar­chi­tekt, Jahr­gang 1963, ist „über­zeug­ter Idea­list“, sagt er dem Stan­dard. Er be­treibt ein klei­nes, aber fei­nes Bü­ro in der ga­li­ci­schen Haupt­stadt.

Da­mit nicht ge­nug: Das nö­ti­ge Werk­zeug be­schränkt sich – rein theo­re­tisch – auf ei­nen Schrau­ben­zie­her. Bes­ser noch: auf ei­nen po­ten­ten Ak­ku­schrau­ber. Für sei­nen Er­fin­der ist die­ser qua­si das Pen­dant zu Ike­as le­gen­dä­rem In­bus­schlüs­sel, wenng­leich ein sol­cher wei­taus we­ni­ger Bla­sen an den Hän­den und wohl auch we­ni­ger graue Haa­re be­schert.

Cor­ral hat an der Tech­ni­schen Hoch­schu­le ET­SA stu­diert, ehe er ein­mal quer durch Eu­ro­pa reis­te, „um al­les an Ar­chi­tek­tur zu ver­in­ner­li­chen, was er kann“, wie er sich er­in­nert. In den Som­mer­mo­na­ten ar­beit­ete er 1986 und 1987 noch zu Stu­di­en­zei­ten im schwe­di­schen Gö­te­borg so­wie bei den Lon­do­ner ISER Ar­chi­tects, wo er Er­fah­run­gen sam­mel­te – ehe er sich selbst­stän­dig mach­te.

Das Ei­gen­bau-Ei­gen­heim sei „sein Ba­by“. Jah­re­lang ha­be er da­ran ge­grü­belt, nach­dem er in ei­ner Mö­bel­tisch­le­rei Va­ri­an­ten der per­fek­ten Ver­bin­dung von Holz­ele­men­ten sah und ei­nen Heu­re­ka-Mo­ment ver­spür­te. „Das, was im Klei­nen geht, kön­ne man ja auch im gro­ßen Maß­stab nut­zen“, dach­te er sich. Es folg­ten Geo­me­trie-Rech­nun­gen en mas­se, und suk­zes­si­ve nahm Ubu­ild ei­ne Form an.

Sym­bio­se mit der Na­tur

Da­bei bleibt Cor­ral sei­ner Phi­lo­so­phie treu – näm­lich sei­nen An­spruch an Ar­chi­tek­tur in ei­ne glo­ba­le Vi­si­on über die Be­dürf­nis­se der Ge­sell­schaft zu bet­ten und da­bei ei­ne Sym­bio­se mit Na­tur und Nach­hal­tig­keit ein­zu­ge­hen. Der Er­fin­der ist fest da­von über­zeugt, mit Ubu­ild den Zahn der Zeit zu tref­fen. Das Ei­gen­heim hat in Spa­nien Tra­di­ti­on, wenng­leich mit der tie­fen Wirt­schafts­kri­se vor al­lem der jun­gen Ge­ne­ra­ti­on hier­für das Bud­get und oft auch ei­ne lang­fri­sti­ge Per­spek­ti­ve feh­len.

Re­al um­ge­setzt wur­den bis­lang al­ler­dings nur we­ni­ge Pro­to­ty­pen. Doch da­für gibt es be­reits dut­zen­de un­ter­schied­li­che Ent­wür­fe – et­wa für Ar­bei­ter-Ei­gen­bau­sied­lun­gen für 1000 Men­schen in der chi­le­ni­schen Ata­ca­ma­wü­ste mit ih­ren ex­tre­men Tem­pe­ra­tur­schwan­kun­gen von 40 Grad Cel­si­us zwi­schen Tag und Nacht oder für ein Was­ser­kraft­werk-Pro­jekt im Re­gen­wald Bo­li­viens, wo die Ar­beits­kräf­te rasch und be­quem Un­ter­kunft fin­den sol­len.

Zwei Pi­lot­häu­ser ste­hen der­zeit in der Tisch­le­rei von Ou­tei­ro de Rei, die mit der Fer­ti­gung der Ubu­ild-Ele­men­te be­auf­tragt ist. Aber auch ei­ne Un­ter­kunft für die Ret­tungs­schwim­mer an ei­nem See bei As Pon­tes hat Cor­ral be­reits in die Tat um­ge­setzt. Seit der Pa­tent­an­mel­dung und ei­nem er­schie­ne­nen Ar­ti­kel in der Lo­kal­zei­tung La Voz de Ga­li­cia gin­gen je­doch un­ent­wegt An­ru­fe In­te­res­sier­ter ein, freut er sich.

„Holz ist leicht und lang­le­big, so­fern man es rich­tig be­han­delt“, sagt Al­ber­to Cor­ral. „Noch da­zu ist es at­mungs­ak­tiv. Das ist schlicht­weg der per­fek­te Bau­stoff.“ Bei sei­nen zie­gel- und be­ton­af­fi­nen Lands­leu­ten wird es aber noch ei­ni­ges an Über­zeu­gungs­ar­beit be­dür­fen, um sie von Ubu­ild zu über­zeu­gen. Ver­bin­den doch Spa­nier mit Zie­geln Fort­schritt, wo­hin­ge­gen sie in Holz ne­ben Feu­er­ge­fahr auch Pro­ble­me mit des­sen Le­bens­dau­er und Feuch­tig­keit se­hen. „Nein! Holz über­dau­ert Jahr­hun­der­te. Doch das ist hier­zu­lan­de nur den we­nigs­ten be­kannt.“

Cor­rals Vi­si­on: Mit ei­nem güns­ti­gen klei­nen Mo­dell kön­ne sich ein jun­ges Paar ein er­stes Ei­gen­heim er­rich­ten und dies je nach Be­darf und Nach­wuchs nach und nach mo­du­lar aus­bau­en. Kom­men sie dann selbst in die Jah­re und eman­zi­pie­ren sich die Kin­der, dann wä­re bei­spiels­wei­se ein Schlaf- oder Wohn­zim­mer­mo­dul die per­fek­te Mit­gift, meint Cor­ral.

Aus­bau­fä­hi­ge Mo­del­le

Zu­dem wä­ren Ubu­ild-Häu­ser auch für Ka­ta­stro­phen­hilfs­ein­sät­ze ide­al – et­wa für Spi­tä­ler, Schu­len oder eben als Un­ter­künf­te für Be­trof­fe­ne und Hel­fer. Braucht es doch nicht ein­mal ei­nen Bau­kran. Der Clou da­bei: Die meis­ten Teils­tü­cke kön­nen al­lein ge­ho­ben wer­den. Für die schwe­ren Bal­ken rei­chen ein, zwei Per­so­nen aus. Ge­schraubt wird al­lein. Ak­tu­ell ist das spa­ni­sche Mi­li­tär, das just in La Co­ru­ña die Ba­sis der Lo­gis­ti­kein­hei­ten be­hei­ma­tet, am Sys­tem in­te­res­siert. Die möch­te Ubu­ild für ei­ne For­schungs­sta­ti­on in der An­tark­tis be­nüt­zen. Cor­ral: „Wenn ich hier­für den Zu­schlag be­kom­me, dann plat­ze ich vor stolz.“

Ge­deckt wird ein Ubu­ild-Mo­dul mit Zie­gel­schin­deln oder Blech­dach – oder ein­fach nur mit ei­ner han­dels­üb­li­chen, wit­te­rungs­fes­ten Lkw-Pla­ne aus PVC. Die Idee hat­te Cor­ral, als er in La Co­ru­ña ei­nen der vie­len Sat­tel­schlep­per­zü­ge vor­bei­fah­ren sah. Hoh­le Wand­mo­du­le und hin­ter­lüf­te­te Fass­ade­ne­le­men­te sol­len Feuch­tig­keit und Tem­pe­ra­tur ab­lei­ten. Ein­ge­schloss­ene Luft­ka­nä­le, die man je nach Wett­er­la­ge öff­nen und schlie­ßen kann, er­mög­li­chen ei­ne ge­wis­se Kon­trol­le der Raum­tem­pe­ra­tur. Und auch an Strom- und Was­ser­lei­tun­gen hat der Er­fin­der ge­dacht. Die­se las­sen sich in die Eck­pfei­ler so­wie in Wand- und Bo­den­tei­le in­te­grie­ren.

Mas­si­ve Schrau­ben, die sich in den Bo­den dre­hen, sol­len als Fun­da­ment die­nen und da­bei den Kon­takt zum Un­ter­grund auf ein Mi­ni­mum re­du­zie­ren – ei­ne „nicht­in­va­si­ve Idee“, wie Cor­ral be­tont. Die Schrau­ben, die leicht trans­por­tier­bar sind, sol­len so­gar Stark­win­den stand­hal­ten kön­nen. Ide­al wä­re dies für die Er­rich­tung von Be­hau­sun­gen in Na­tio­nal­parks oder et­wa für Sai­son­ho­tels in­mit­ten un­be­rühr­ter Na­tur.

Wer­muts­trop­fen am gan­zen Pro­jekt ist der nicht wirk­lich bil­li­ge Qua­drat­me­ter­preis. Man­gels Auf­trags­vo­lu­men ist Ubu­ild mit 400 bis 800 Eu­ro pro Qua­drat­me­ter der­zeit noch ver­gleichs­wei­se hoch be­mes­sen. Al­ber­to Cor­ral ist Op­ti­mist. „Das ist nur ei­ne Fra­ge der Mas­sen­pro­duk­ti­on. Je mehr Ubu­ild-Häu­ser er­rich­tet wer­den, de­sto nie­dri­ger wird der Preis.“

Der Standard, Do., 2016.04.28

07. November 2015Jan Marot
Der Standard

Cha­mä­leon auf der Klip­pe

Mit sei­nem im­po­san­ten Klip­pen­haus, der so­ge­nann­ten Ca­sa del Acan­ti­la­do in Sa­lo­bre­ña an Gra­na­das Cos­ta Trop­ical, sorgt das jun­ge Ar­chi­tek­ten­duo Gil­Bart­olo­mé ADW aus Ma­drid für Fu­ro­re.

Mit sei­nem im­po­san­ten Klip­pen­haus, der so­ge­nann­ten Ca­sa del Acan­ti­la­do in Sa­lo­bre­ña an Gra­na­das Cos­ta Trop­ical, sorgt das jun­ge Ar­chi­tek­ten­duo Gil­Bart­olo­mé ADW aus Ma­drid für Fu­ro­re.

Die süd­spa­ni­sche Pro­vinz Gra­na­da ist bis­lang ar­chi­tek­to­nisch in er­ster Li­nie für den Al­ham­bra-Pa­last (deutsch „Die Ro­te“) aus der ara­bi­schen Ära welt­be­kannt. Doch auch in punc­to zeit­ge­nös­si­scher Ar­chi­tek­tur be­wegt sich hier­zu­lan­de im­mer wie­der et­was – dem kri­sen­be­ding­ten Exo­dus ei­ner jun­gen Ar­chi­tek­ten­ge­ne­ra­ti­on zum Trotz. Wie ganz ak­tu­ell mit dem „Klip­pen­haus“ (spa­nisch Ca­sa del Acan­ti­la­do), das Pa­blo Gil Mar­tí­nez (geb. 1977 in Ma­drid) und Jai­me Bart­olo­mé Yl­le­ra (geb. 1978, eben­so in Ma­drid) von Gil­Bart­olo­mé ADW Ma­drid auf den Wunsch ei­nes jun­gen Ehe­paa­res als Fe­ri­en­do­mi­zil in Sa­lo­bre­ña an der Mit­tel­meer­küs­te Gra­na­das kon­zi­pier­ten.

Ein ge­wag­ter Ent­wurf, der sich im Wett­be­werb ge­gen die Kon­kur­renz durch­set­zen konn­te. Und auf der mit 42 Grad Hang­la­ge ex­trem ge­neig­ten, 725 Qua­drat­me­ter klei­nen Par­zel­le am Stadt­rand der knapp 12.000 Ein­woh­ner zäh­len­den klei­nen Ha­fen­stadt, die be­reits zur Zeit der Phö­ni­zier und Kart­ha­ger Han­dels­zen­trum war, bau­lich mit Bra­vour um­ge­setzt wur­de.

Die spa­ni­sche Ta­ges- und auch Fach­pres­se lob­te den Bau über­schwäng­lich, gar als „ei­nes der in­no­va­tivs­ten und ori­gi­nell­sten Häu­ser des Lan­des“ (El Mun­do) . Haupt­ziel des Du­etts in Sa­lo­bre­ña in­des war es von vorn­her­ein, die Kons­truk­ti­on best­mög­lich in die um­lie­gen­de Land­schaft zu in­te­grie­ren. Das Haus ist in der Tat fast un­sicht­bar, sei­ne Rück­sei­te so­wie­so, aber selbst von der en­gen, kur­ven­rei­chen Zu­fahrtss­tra­ße her kann man es kaum se­hen. So­dass Ar­chi­tek­tur­fo­to­graf Je­sús Gra­na­da gar ei­ne Droh­ne brauch­te, um es in sei­ner Ge­samt­heit ab­zu­lich­ten.

Nicht nur, dass ein be­acht­li­cher Teil rück­sei­tig oh­ne­hin voll­stän­dig un­ter der Er­de liegt. Das „Klip­pen­haus“ ver­fügt auch über ei­ne Art Tarn­kap­pe. Was dem Ar­chi­tek­ten­ge­spann nicht nur mit der or­ga­ni­schen Form, son­dern auch mit ei­nem mit ge­gen Kor­ro­si­on re­sis­ten­ten Zink­pla­ket­ten be­schupp­ten Dach vor­treff­lich ge­lang. „Un­se­re Auf­trag­ge­ber sind sehr dis­kre­te Men­schen“, be­tont Bart­olo­mé. Fast mi­me­tisch fügt sich das Klip­pen­haus in das kar­ge, stei­ni­ge und – von ver­ein­zel­ten duf­ten­de Pi­nien, Thy­mi­an und Ros­ma­rin­büsch­chen ab­ge­se­hen – kaum be­wachs­ene Ter­rain ein. Aus all den Wohn­räu­men des zweis­tö­cki­gen Ein­fa­mi­li­en­hau­ses hat man stets ei­nen Pa­no­ra­ma­blick auf das na­he Meer. In­dem sie das Haus den Berg hin­ein­bau­ten, nutz­ten die Ar­chi­tek­ten auch das im Sü­den Spa­niens weit­ver­brei­te­te Kon­zept der „Ca­sa Cue­va“, zu Deutsch Höh­len­haus, ei­ne vor al­lem um Gua­dix ex­trem po­pu­lä­re, ra­sche und über­dies kos­ten­ef­fi­zien­te Bau­wei­se.

„Ab ei­ner Tie­fe von sechs Me­tern bleibt die Tem­pe­ra­tur qua­si das ge­sam­te Jahr über kons­tant um die 20 Grad“, sagt Pa­blo Gil. Was die En­er­gie­kos­ten sig­ni­fi­kant re­du­ziert – „fast ge­gen null, was Hei­zung und Kli­ma­ti­sie­rung be­trifft“, wie Gil wei­ter er­klärt – und vor al­lem in den som­mer­li­chen Hit­ze­wel­len mit knapp 40 Grad schlicht­weg den Lu­xus ei­ner an­ge­nehm er­fri­schen­den Raum­tem­pe­ra­tur bie­tet. Die Win­ter an der vor al­lem bei spa­ni­schen Bin­nen­tou­ris­ten be­lieb­ten „tro­pi­schen Küs­te“, spa­nisch Cos­ta Trop­ical, sind oh­ne­hin äu­ßerst mild. Mit Tiefst­wer­ten knapp um die 20 Grad.

Auf zwei ge­räu­mi­gen Stock­wer­ken lässt es sich hier auf 247 Qua­drat­me­ter Wohn­raum gut sein. „Als ob man auf dem Meer le­ben wür­de“, merkt Bart­olo­mé an. Ei­ne schwe­ben­de Ter­ras­se mit in­te­grier­tem Pool und ein ge­räu­mi­ges, hel­les, eben­so mit or­ga­nisch ge­form­ten Mö­beln ein­ge­rich­te­tes Wohn­zim­mer un­ten, zwei Schlaf­zim­mer oben. Über drei Ba­de­zim­mer und ei­ne ame­ri­ka­ni­sche Kü­che ver­fügt das Klip­pen­haus auch. Mit ge­well­ten For­men, sei­en es die Fens­ter, die Au­ßen­wän­de oder das Dach, aber auch bei den drei Bal­ko­nen im Ober­ge­schoß, spiel­ten die Ar­chi­tek­ten zu­dem ge­konnt, „um das Ge­fühl, ein Teil des Mee­res zu sein, zu stei­gern“.

Hier wur­de üb­ri­gens al­les von lo­ka­len Fir­men er­baut und ein­ge­rich­tet. Selbst die „Zinn­schup­pen“ für das Dach – das je nach Ta­ges­zeit und Son­nen­ein­strah­lung ei­nen Cha­mä­leo­nef­fekt wie bei ei­ner Dra­chen­haut er­zeugt – kom­men aus dem Um­land. Das ist an­sons­ten be­kannt für sei­ne Trop­en­frucht-Pro­duk­ti­on, hier rei­fen je­de Men­ge Man­gos, Pa­pay­as, Avo­ca­dos und Co an den Bäu­men. „Die Dach­schup­pen ver­mit­teln über­dies den Ein­druck der Gischt und des Schau­mes schla­gen­der Wel­len“, meint Bart­olo­mé. Al­les wur­de wohl­ge­merkt in Hand­ar­beit ge­fer­tigt.

Bau­en mit Vor­bild­wir­kung

„Im En­def­fekt kam es uns viel güns­ti­ger, auf hoch­wer­ti­ges Hand­werk lo­ka­ler Fach­kräf­te zu bau­en“, be­tont Gil, „als auf teu­re, in­dus­tri­el­le Bau­stof­fe und Mo­bi­li­ar, das aus dem Aus­land zu be­stel­len wä­re.“ Zu­dem ist das nicht nur öko­lo­gisch nach­hal­ti­ger, weiß Bart­olo­mé, son­dern „man set­ze auch ein po­li­tisch kor­rek­tes Zei­chen mit Vor­bild­wir­kung, in ei­nem Land wie Spa­nien, dass von ho­her Ar­beits­lo­sig­keit ge­prägt ist“.

Ein­fach war es je­den­falls nicht, das Haus zu er­rich­ten, vor al­lem we­gen des stei­ni­gen har­ten Un­ter­grunds und der star­ken Nei­gung. Bart­olo­mé: „Es war wie ei­ne For­schungs­ar­beit an der Uni­ver­si­tät, bei der wir wert­vol­le Er­fah­rungs­wer­te sam­meln konn­ten.“

Be­ton ist der Bau­stoff, auf den die Wahl fiel – wie in Spa­nien fast flä­chen­de­ckend Usus. Zwei Au­ßen­wän­de mit ei­nem da­zwi­schen lie­gen­den Hohl­raum. Auch für das Dach wur­de Be­ton ver­wen­det, auch we­gen die Meer­nä­he, dem ho­hen Salz­ge­halt und der per­ma­nen­ten Luft­feuch­tig­keit. Das al­les wür­de für ei­ne Fül­le an mög­li­chen, wit­te­rungs­be­ding­ten Schä­den sor­gen, die in er­ster Li­nie an den Stahl­ele­men­ten weit­ge­hend zu ver­hin­dern sind. Das Klip­pen­haus soll in den näch­sten Jahr­zehn­ten oh­ne Re­no­vie­rung aus­kom­men.

Ein wei­te­res Pro­blem, für das Bart­olo­mé und Gil ei­ne Lö­sung fin­den muss­ten, war die Bo­den­er­osi­on. An der Cos­ta Trop­ical fällt sel­ten, aber wenn, dann doch mit­un­ter hef­ti­ger Re­gen. Auch hier hel­fen die Form des Klip­pen­hau­ses und die Art und Wei­se, wie es in den Bo­den ein­ge­las­sen ist. „Zwei Wol­ken­brü­che hat das Haus schon un­be­scha­det über­stan­den“, sagt Gil: „Und es wird noch zahl­lo­sen wei­te­ren trot­zen.“

Und zu den Bau­kos­ten? „Es ist ein ver­hält­nis­mä­ßig güns­ti­ges Haus“, sagt Bart­olo­mé . Wenng­leich er auf ex­pli­zi­ten Kun­den­wunsch hin kei­ne kon­kre­ten An­ga­ben ma­chen darf: „Es ist ei­nes, das wei­taus teu­rer wirkt“, scherzt sein Part­ner Gil. Was nicht zu­letzt auch an der ra­schen Um­set­zung liegt. Fünf Mo­na­te Pla­nung und knapp ein Jahr Bau­zeit reich­ten. Dann war es be­zugs­fer­tig, das stei­le Klip­pen­haus.

Den Nach­barn, da­run­ter ein deut­sches Paar, ge­fällt es, er­zäh­len die Ar­chi­tek­ten. Und sei­tens der Stadt­ver­wal­tung stell­te man kei­ne bü­ro­kra­ti­schen Hin­der­nis­se in den Weg. Ganz im Ge­gen­teil: Man un­ter­stütz­te, wo im­mer man konn­te.

Aus­län­di­sche Er­fah­run­gen

Gil und sein Part­ner Bart­olo­mé un­ter­strei­chen im Stan­dard -Ge­spräch, dass sie „nicht der Tra­di­ti­on der spa­ni­schen Ar­chi­tek­tur ver­schrie­ben sind“, son­dern sich viel­mehr, auch dank ih­rer Aus­bil­dung und Be­rufs­er­fah­rung im Aus­land, fast nä­her den Schu­len in Lon­don oder Los An­ge­les, aber auch Trends aus Wien ver­bun­den füh­len: „All dem, was nicht ty­pisch ist hier­zu­lan­de.“

Ex­pe­ri­men­tel­le, zeit­ge­nös­si­sche Ar­chi­tek­tur sei das, was bei­de fes­selt und for­dert. Bei­de ge­ben auch als Gast­do­zen­ten Uni­ver­si­täts­kur­se, et­wa in den USA, aber auch in Eng­land. Gil stu­dier­te wie auch Bart­olo­mé an der re­nom­mier­ten Bart­lett School of Ar­chi­tec­tu­re in Lon­don, wo er ak­tu­ell auch PhD-Kan­di­dat ist und Bart­olo­mé be­reits in der Zeit des Mas­ters­tu­di­ums ken­nen­lern­te.

Bei­de, erst Mit­te 30, sind mit knapp zehn Jah­ren Be­rufs­er­fah­rung zu­dem Au­to­ren in Fach­zeit­schrif­ten, ko­ope­rie­ren mit der spa­ni­schen Aka­de­mie der Wis­sen­schaf­ten (CSIC) und konn­ten sich auch be­reits über meh­re­re Ar­chi­tek­tur­prei­se freu­en.

Der Standard, Sa., 2015.11.07

16. April 2013Jan Marot
Der Standard

Am Ende die Einsamkeit

Die Architektin Julia Schulz-Dornburg hat Ruinen der geplatzten iberischen Immobilienblase fotografiert - Ihre Dokumente werden zurzeit in Berlin und Madrid ausgestellt

Die Architektin Julia Schulz-Dornburg hat Ruinen der geplatzten iberischen Immobilienblase fotografiert - Ihre Dokumente werden zurzeit in Berlin und Madrid ausgestellt

Ein „unvergleichbarer Meerblick“ sollte 12.000 Neoeigenheimbesitzer ins Golden Sun Beach and Golf Resort bei Pulpi unweit des südspanischen Almeria locken. Der Puerta de Horche Residencial Complex (Guadalajara) hätte Wohnraum für 3500 Menschen vor den Toren der gleichnamigen 2400-Seelen-Gemeinde bieten sollen. Doch die Träume zerschellten an der Wirklichkeit. Die Bauten stehen, ebenso wie 326 Einfamilienhäuser im Calatrava Tourist and Leisure Complex in La Mancha leer - dort, wo Don Quichotte die Windmühlen zu besiegen suchte. Selbst Luxus-Chalets an der Costa del Sol, die für 640 Sonnenhungrige gedacht waren, wurden halbfertig ihrem Verfall preisgegeben.

Für ihre Ausstellung Moderne Ruinen - Eine Topografie der Bereicherung fotografierte die in Barcelona lebende deutsche Architektin Julia Schulz-Dornburg Spaniens Bauruinen der Immobilienkrise. Die 51-jährige gebürtige Münchnerin präsentiert die Dokumente derzeit im Museum der Fundación ICO Madrid und im Berliner Architekturforum Aedes.

Die Idee dazu kam ihr, als sie auf das Projekt Gran Escala stieß. Unweit von Saragossa war eine Art Las Vegas mit 32 Kasinos, das zwei Millionen Besucher jährlich anziehen sollte, geplant. „Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Dass irgendjemand wirklich daran glaubt, ein solches Projekt könne überhaupt funktionieren“, sagt Schulz-Dornburg.

Drei Jahre arbeitete sie an ihrer Chronik des Niedergangs. Fast 10.000 Kilometer legte sie auf Recherchereisen zurück, nahm hundert Projekte in Lokalaugenschein, dokumentierte zahllose dekadente Auswüchse eines an Fanatismus grenzenden Wachstumswahns - und legte mit ihren Fotografien eine mitunter verstörend romantische Schönheit frei, wenn die Natur symbiotisch zur Reconquista der Ruinen schreitet.

Werbevideos und -broschüren der Immobilienfirmen, deren Slogans, Pläne und topografische Analysen „veranschaulichen eine Zukunft, die das Unbeschreibliche beschreibt“, sagt Schulz-Dornburg: „Ich konnte nicht glauben, dass ein auf purer Fiktion basierendes Fantasieprogramm genügt, um alle - Politiker, Anleger, Architekten, Stadtplaner, Rechtsanwälte, die Leute im Dorf - zu erfassen.“
Iberisches Immobilienwunder

Längst waren nicht nur küstennahe Landstriche betroffen. Auch das Hinterland fiel dem Hype um das „iberische Immobilienwunder“ zum Opfer. Zwischen 2000 und 2005 wurden drei Hektar pro Stunde verbaut: Das sind zirka fünf Fußballfelder. Heute haben Locationscouts, die nach Schauplätzen für Endzeitdramen suchen, die Qual der Wahl: Häuser, die nie bewohnt wurden, Flughäfen, auf denen niemals ein Flugzeug landen wird, unbefahrene Autobahnen, menschenleere Hochgeschwindigkeitszüge, verwilderte Golfplätze.

Die Ästhetikkomponenten der Krisen sind vielfältig; und nicht erst seit dem Fotografenpaar Bernd und Hilla Becher ist bekannt, dass Ruinen der Moderne verzaubern.
Pränatale Ruinen

„Verfall hat immer etwas Verführerisches“, sagt Schulz-Dornburg. Etwas, das noch nicht fertig oder kaputt ist, könne man in seiner Fantasie ergänzen. "In meinem Fall sind diese Ruinen - anders als bei den Industrieruinen der Bechers - niemals eingeweiht worden. Es sind „ pränatale Ruinen“. Bevor etwas stattgefunden hat, ist schon alles kaputt."

Symbole für zwei eng aneinandergekoppelte und wohl seit Urzeiten angeborene menschliche Schwächen: die des Glaubens an die Unbesiegbarkeit des Menschen im Wettstreit mit der Natur; und die Gabe der Selbsttäuschung - bis zum Untergang. „Das Wachstum als Grundlage zur Erhaltung unsere Wohlstands oder als eine Art Philosophie hat sich ad absurdum geführt“, sagt Schulz-Dornburg. „So geht es nicht weiter.“

Bis 9. 5. im Architekturforum Aedes/Berlin; bis 9. 6. in der Fundación ICO/Madrid

Der Standard, Di., 2013.04.16

08. Mai 2010Jan Marot
Der Standard

Hasta la vista, Autobahn

Madrid setzt stadtplanerische Akzente und untertunnelt die Innenringautobahn - Über neugewonnene Freiräume der spanischen Metropole

Madrid setzt stadtplanerische Akzente und untertunnelt die Innenringautobahn - Über neugewonnene Freiräume der spanischen Metropole

„Paso a paso“ , Schritt für Schritt, wie die Spanier sagen, „pero sin pausa“ , aber pausenlos, setzt sich Europas drittgrößter Ballungsraum über eine dereinst in den 1960er-Jahren für die motorisierte Mobilität selbstauferlegte Grenze hinweg. Über Dekaden markierte ein zentrales Teilstück der inneren Stadtringautobahn M-30 eine unüberwindbare Barriere für die Stadtplanung.

Grauer Beton, beiderseits der Ufer des Río Manzanares, verdeckte auf der Höhe des Königspalastes und seiner Gärten den Blick auf die Stadt und zum vis-à-vis liegenden königlichen Jagdrevier und den reanimierten königlichen Obstgärten. Für eine Rückeroberung der Ufer taucht der Verkehr jetzt beim Stadion Vicente Calderón des diesjährigen Europa-League-Finalisten Atlético Madrid ab, um sechs Kilometer später am Knoten Süd wiederaufzutauchen. Insgesamt sind 43 Kilometer Tunnel fertiggestellt - zumeist überplattete Trassen. Geplant ist auch, alle M-30-Zubringer zu überdachen.

Das knapp vier Milliarden Euro teure Projekt lässt tatsächlich neue Lebensräume entstehen. Der Fluss, an dessen einst verwilderten Ufern das Volksfesttreiben von Francisco de Goya in La Pradera de San Isidoro auf Leinwand gebannt wurde, rückt wieder in den Mittelpunkt des Stadtlebens. Eine Vision eines „grüneren“ Madrid für das 21. Jahrhundert nimmt als M(adrid)rió Gestalt an.

Federführend für die Umsetzung des Prestigeprojekts des Langzeitbürgermeisters Alberto Ruíz Gallardón zeigte sich das Rotterdamer Architekturbüro West8 um Adriaan Geuze. Im Wettbewerb gegen Herzog & de Meuron, Toyo Ito und Dominique Perrault überlegen, setzen sie nun auf dem 120 Hektar großen Areal mit den lokalen Partnern von Mrio Arquitectos ihren Masterplan für eine neue grüne Lunge dreier Bezirke und mehr als 500.000 Menschen um. Organisch wie artifiziell mutet die Formensprache des Landschaftsarchitekten Edzo Bindels von West8 an. Die Preisträger des International Urban Landscape Award für die Umgestaltung der Hamburger Ex-militärkaserne Lettow Vorbeck (2009) waren im selben Jahr mit dem Manzanares-Uferpark unter den Nominierten für den Conde Nast Traveller Innovation and Design Award. 2007 erhielten sie den Zuschlag für die Umgestaltung des Governors Island in New York.

Geradelt oder gejoggt wird nun über der Autobahn. Diese liegt 1,5 Meter unter dem Erdreich, dem Wurzelvlies und eineinhalb Meter Beton, für Bindels „ein Pflanzentrog“ . Der Salon de Pinos darüber ist ein Skulpturengarten mit über 10.000 eigenwilligen Pinien, die für Iberiens öffentlichen Raum die essenzielle Schattenfrage klären. Angepasst an das extreme Klima Madrids, sind sie ideal wegen ihrer geringen Wurzeltiefe. Teilweise sind sie schräg gepflanzt und zum Fluss geneigt. Die an Stierhörner erinnernden knallroten Stützen bieten Halt. „Es sind die singulären Reize, die man unterstreichen muss“ , ist Bindels überzeugt: „Landschaftsarchitekten träumen von wilden Unikaten, doch in der Baumschule gibt es nur langweilige Pflänzchen.“

Für die Verknüpfung der Ufer errichtet West8 sechs Betonbrücken. „Allesamt selbsttragende Konstruktionen, teilweise nur 25 Zentimeter dick“ , sagt Projektmanager Christian Dobrick. Darunter die Puente Cascara (Schalenbrücke), die an einen Walfischmund erinnert und die Puente Oblícuo, die „Schräge“ , wo man sich aus Gründen der Kosteneffizienz der Substanz der al-ten, geschwungenen Autobahnbrücke bediente und den Salon de Pinos weiter drüberspazieren lässt. „Hier gehen nicht nur Menschen über die Brücke, sondern auch die Bäume“ , sagt Bindels.

Binnen kürzester Zeit zum Besuchermagneten avancierten die zehn Spielplätze, die behindertengerecht und für unterschiedliche Altersgruppen konzipiert wurden. „Die Kinder stellen sich sogar an. Dabei geht manchmal das iberische Temperament der Väter durch“ , sagt Dobrick. So erhielt die Stadt Madrid kürzlich den Golden Swing Award, einen Preis der den Einsatz für die jüngsten Stadtbewohner unterstreicht.

Zu den Jüngsten gesellen sich bereits auch Erholungssuchende aus den dichtbebauten Westbezirken, es zieht sie dorthin, wo eine neue Ramblas-esque-Promenade ein altes Manko der kastilischen Metropole gegenüber ihrer katalanischen Rivalin Barcelona amortisieren soll: das Fehlen eines Stadtstrandes. Also wird auch eine Playa auf dem 40 Hektar vergrößerten Parque de la Arguanzuela entstehen. Nicht dass man im Manzanares plantschen könnte. Der aufgestaute Fluss führt Wasser fernab der Qualität alpenländischer Gebirgsseen. Und obgleich Madrids Name sich vom arabischen Madschrít, „Mutter aller Gewässer“ ableitet, scherzte schon der Poet Lope de Vega (1562-1653) über den oft wenig Wasser führenden Manzanares: „Die Stadt soll entweder einen Fluss kaufen oder ihre Brücken verkaufen.“

Die Wirtschaftskrise habe den Baufortschritt nicht gebremst. Infrastrukturspritzen für Beschäftigungsimpulse in Form von Geldmitteln aus dem Plan E der Regierung werden für das Projekt aufgewandt, so Dobrick. Das schafft Arbeitsplätze. Bis zum Frühjahr 2011, pünktlich zur Kommunalwahl, soll dann das gesamte Areal oberirdisch fertiggestellt sein - und auch an den Urnen einen Stimmenbonus bringen. Denn bei aller Euphorie weiß Bindels: „Wir Architekten müssen in Legislaturperioden denken“ .

Rechnen würde sich ein solches Projekt „nicht in 15 Jahren“ , sagt er: „Das ist etwas für kommende Generationen.“ Kritik kam seitens der Umweltschützer von den Ecologistas en Acción. Man verdecke das Problem, anstatt es zu lösen. Denn im Zuge der Schaffung eines oberirdischen Paradieses soll unterirdisch die rund 300.000 Fahrzeuge pro Tag zählende Blechlawine in ihrer Kapazität um 100.000 erhöht werden.

Den Bewohnern im äußeren Südwesten, wo der Verkehr, von der A-5 kommend, die bereits untertunnelte Avenida de Portugal passiert, ging die Trassenunterführung jedoch nicht weit genug.

West8 wird sich nun der Strandpromenade von Palma de Mallorca annehmen. Ein Ein-Kilometer-Abschnitt dient, wie Dobrick sagt, „als Pilotprojekt“ . Da ein in Zeiten des Baubooms geschaffenes Küstenbetonierungsdilemma touristisch einen obsoleten Wirtschaftsweg darstellt, tut Imagepolitur not: „Regierungschef Zapatero erklärte dies zur Chefsache.“ Beim Madrider Flughafen Barajas wächst in Gestalt der Pegaso City Spaniens größter Businesspark, der aktuell auf der Expo in Schanghai präsentiert wird. So gesteht Dobrick: „Nur über Qualität kann man im Immobilienmarkt noch Akzente setzen.“

Bürgermeister Gallardón hingegen gedenkt nach seiner wahrscheinlichen Wiederwahl weiterzumachen mit dem Untertunneln. Denn Autobahnen, einst imposante Zeichen des Fortschritts, sind zu Luftverschmutzern und Dezibelquellen degradiert worden, die nicht mehr in das ergrünende Stadt- und Weltbild passen. Der Außenring M-40 (63 Kilometer) soll an starkbewohnten Abschnitten wie Zugstrecken verdeckt werden. Auch das Gros der Hochspannungsleitungen ist bereits aus der Madrileños Blickfeld verschwunden. Eben ein Schritt nach dem anderen.

Der Standard, Sa., 2010.05.08

18. Juli 2009Jan Marot
Der Standard

Schwere Elemente, leichte Räume

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Aus industriell gefertigter Massenware baute sich der Spanier Antón García Abril sein Traumhaus. Der Pool dient nicht dem Hedonismus, sondern der Statik.

Man könnte sich fragen: Wo braucht man schon zwei Schwimmbecken? Die Antwort: genau dort, wo sich im Hintergrund Ausläufer der ausgedörrten Sierra Guadarrama erheben und der Blick über die im Norden Madrids gelegene Villenlandschaft schweift. Ein Granitklotz, der als Haus-Topping fungiert, ist hier Blickfang und gleichzeitig Wegweiser durch den Nobelnordrand der unter der Julihitze ächzenden iberischen Millionenmetropole.

Hier steht das 2005 geplante und 2008 in nur sieben Tagen umgesetzte Hemeroscopium House des spanischen Architekten Antón García Abril. Der Gravitation jenes erwähnten verhältnismäßig kompakten 20-Tonnen-Gegengewicht-Klotzes sei gedankt: So „schwebt“ die fast ebenso schwere Pool-Rinne im ersten Stock des eigentlich bescheidenen Stadtrandhäuschens. Das andere erfrischende Nass liegt, konservativ-klassisch darunter in den Boden versetzt, am grünen Kunstrasen - aus Gründen der Wasserknappheit. Alles dreht sich um den „Mutterbalken“, wo auch noch etwas Stahl, „den man entfernen könnte“, langsam vor sich hin korrodiert.

Konzept und Umsetzung war für den Perfektionisten Abril schlichtweg „Frucht des Bedürfnisses, mit schweren Elementen leichte Räume zu gestalten“. 25 Tonnen bringen die etwas anderen Fertigteile auf die Waage. Sie sind unter anderem Aquädukttrassen, sprich: industriell gefertigte Massenware, die sonst Spanien feuchthaltende Lebensadern markieren.

Bei Abril hingegen gestalten jene Elemente seinen Lebens(t)raum - eines dient als massige und doch federleicht wirkende 50 Tonnen wiegende Pool-Rinne. „Hüpfen wir doch rein“, so die Abkühlung versprechende Einladung der Hausherren. Doch nicht die Schwimmbecken, sondern der Raum ist für Abril „der wahre Luxus“.

Hemeroscopium, der kryptisch-antik anmutenden Name des Avantgarde-Design-Hauses, ist just der mystisch-irreale Ort, an dem sich die alten Griechen den kuscheligen Schlafplatz der Sonne erdachten, ein Ort, der nur „im Gefühl“ existiere und Horizonte öffne, wobei Abrils gleichnamiger Vater auch ein Musikstück mit selbigem Titel komponierte.

Das Hemeroscopium House hat 400 Quadratmeter Grundfläche. „Die Errichtung war wirklich günstig“, sagt Abril. Rund 400.000 Euro kosteten Konstruktionsmaterial, Installationen und der High-Speed-Aufbau. Bereits hier wurde „viel Energie gespart“. Innen ist es ebenso schlicht gehalten, wie die äußere Form vermuten lässt. Wasseraffin, wie Abril ist, dürfen auch Badewannen - die zweite im Schlafzimmer - nicht fehlen. Beide Pools dienen nicht nur der Statik oder gar dem Hedonismus. Bei Hitzeüberschuss sind sie Ausgleich für die solarthermische Anlage, die, am Dach installiert, knapp 50 Quadratmeter misst. Fotovoltaikpaneele sollen folgen, sagt Abril: „Eine Investition, die sich auf Zeit definitiv rechnen wird.“

Angenehme Windströme

Ein Spezialglas isoliert an den 200 Hitzetagen, laut Erbauer, ideal. Wenn Madrids Klimaanlagen die Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt dieser Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht in den Innenbereich reflektieren. „Energietechnisch verhält es sich gut“, sagt Abril. Statistisch gesehen stehen im Jahr nur sechs Tage ins Haus, an denen die Thermometer um den Gefrierpunkt pendeln, also halten sich auch Heizkosten im Rahmen.

„Am Abend entwickelt sich eine angenehme Windströmung, die den Sitzbereich im Freien kühlt“, erklärt der Architekt, der sich auch an der arabischen Baukultur orientierte. Wie bei alten maurischen Herrenhäusern umragt das Anwesen eine mehr als zwei Meter hohe Betonmauer. Zudem inspirierte Abril der Einsatz von Wasser - als „Sinnesgenuss, visuell, auditiv, taktil.“

Einigen der betuchten Nachbarn stieß die protzige Wasserextravaganz übel auf. „Sie hassen es“, sagt Abril verschmitzt. Einer klagte den Architekten aufgrund einer Regelung des Madrider Baurechts, die vorschreibt, „dass Schwimmbecken im Erdboden eingesetzt sein müssen“. Abril erhielt einen Anruf der Stadtverwaltung, in der man „nicht wusste, was man machen sollte“. Doch der Schwebepool ist glücklicherweise „essenziell für die Statik des Hauses“ - und darf somit bleiben.

Wäre es nach seinen Eltern gegangen, hätte Antón García Abril einen anderen Lebensweg einschlagen sollen. Seinen ersten Abschluss machte er an einer Musikhochschule. Vielleicht baut er deswegen heute auch Gebäude für Musik - etwa das Berklee-College für Musik mit dem SGAE-Konzerthaus in Valencias Tower of Music. Akustik ist eine seiner Spezialisierungen.

Abril ist als Architekt darauf bedacht, sein geistiges Eigentum zu schützen. „Es ist einfacher, von den Minimalisten zu kopieren“, sagt er. Aber wer abkupfere, suche meist „einfache Wege“. Das sei in seinem Werk nicht der Fall. Das Hemeroscopium House ist eine komplizierte Komposition, es verlangte zum Beispiel über ein Jahr dauernde Ingenieursberechnungen.

Abril sieht sich von Mies van der Rohe inspiriert: klare Formen, viel Glas und ein Toque-Stahl. Freier Raum, gekoppelt an das Verneinen der Form an sich. Einzig an die Schwerkraft glaubt Abril. Das in diesem Sinn ideale Material Stein - 2005 gewann Abril in Verona den Stone-Architects-Award - hat es ihm von jeher angetan. So ist das Central Office der SGAE in Santiago de Compostela (es wurde 2008 fertiggestellt), zumindest was die Fassade betrifft, eine moderne Stonehenge-Replik.

Sein Madrider Haus „ist ein Gegensatz zu Rem Kohlhaas“, sagt der von Starallüren weitgehend verschont Gebliebene. Doch auch „Starallüren“ sind für den Spanier per se nichts Negatives: Sie würden der Architektur auf lange Sicht nur helfen, ist der Preisträger des Architectural Digest Awards 2008 überzeugt. Über die Architekten laufen die medialen Diskurse. Immerhin sei die Architektur jene Kunstform, die den Alltag der Menschen am stärksten beeinflusse. Aber viele Architekten würden heute gar nicht mehr bauen, sondern nur noch zeichnen. Antón García Abril will für eine neue Architektur kämpfen: „Die jungen Architekten haben oft großartige Ideen, während man den Stars jede Dummheit erlaubt.“

Antón García Abril wurde 1969 in Madrid als Sohn des gleichnamigen Komponisten geboren. Der Architekt ist Kritiker und Universitätsprofessor an der Madrider ETSA. 2000 eröffnete er sein Ensamble-Studio, baute den spanischen Pavillon der Architekturbiennale in Venedig (2000) und erhielt 2008 den Architectural Digest Award. Aktuellstes Projekt ist das ABC-Center in Bogotá, wofür er den Rice Architectural Design Alliance Prize für Nachwuchsarchitekten gewann.

Wenn die Klimaanlagen Stromnetze an ihre Belastungsgrenze bringen, schirmt der Bau direktes Sonnenlicht weitgehend ab, während die Wasserflächen Tageslicht nach innen reflektieren.

Der Standard, Sa., 2009.07.18



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