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Presseschau

23. März 2007Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Minimalistische Schatztruhe

(SUBTITLE) Das neue Jüdische Museum von Wandel Hoefer Lorch in München

Am St.-Jakobs-Platz in München konnte am Donnerstag das neue Jüdische Museum eröffnet werden. Mit kleinen, aber ehrgeizigen Ausstellungen will das Haus zu einem Ort des Dialogs werden.

Am St.-Jakobs-Platz in München konnte am Donnerstag das neue Jüdische Museum eröffnet werden. Mit kleinen, aber ehrgeizigen Ausstellungen will das Haus zu einem Ort des Dialogs werden.

Als hässlicher Hinterhof mitten in Münchens Altstadt, an dem die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs nur notdürftig behoben schienen, war einem der St.-Jakobs-Platz in Erinnerung. Doch nun hat sich das Aussehen der einst windigen Freifläche grundlegend gewandelt. Zwei skulpturale Solitäre und eine Hofrandbebauung geben dem Ort neuen Halt und setzen architektonische, gesellschaftliche und politische Zeichen. Der neue Baukomplex, der als das eindrücklichste jüdische Zentrum in Europa gilt, ist aus einem Wettbewerb hervorgegangen, den die Saarbrücker Architekten Wandel Hoefer Lorch vor sechs Jahren für sich entscheiden konnten. Das städtebaulich präzise Ensemble umfasst neben Synagoge und Gemeindehaus ein von der Stadt München finanziertes und betriebenes Jüdisches Museum.

Städtebauliche Präzision

Wie schon bei ihrer Dresdner Synagoge befolgten die Architekten auch bei dem bereits im vergangenen November geweihten Münchner Sakralbau (NZZ 10. 11. 06) die Ende der achtziger Jahre von Salomon Korn geforderte Vereinigung von Stiftszelt und Tempel, indem sie dem schweren Sockel aus grob behauenem Travertin eine gläserne, durch ein Geflecht von bronzenen Davidsternen strukturierte Laterne aufsetzten. Ausgehend von diesem Symbolismus, der auf die zwischen Provisorium und Dauer schwankende jüdische Existenz hinweisen will, ist Wandel Hoefer Lorch erneut ein Gotteshaus von grosser physischer Präsenz und spiritueller Ausstrahlung gelungen. Im Innern vermag es den synagogalen Widerspruch von Langhaus und Zentralbau aufzulösen, während es mit seinem Äusseren als neues Münchner Wahrzeichen in Erscheinung tritt.

Der Synagoge ordnen sich die anderen Gebäude unter. Die abgestufte Kubatur des Gemeindehauses ergänzt das fragmentierte Stadtgewebe diskret. Auch das Museum gibt sich zurückhaltend - und nimmt doch eine urbanistische Schlüsselstellung ein. Mit seinem verglasten Erdgeschoss und dem darüber schwebenden Kubus aus poliertem Travertin bildet es die formale Antithese zur Synagoge. Erinnerungen an den Münchner Bau der Sammlung Goetz von Herzog & de Meuron kommen auf. Die Ähnlichkeiten sind aber rein äusserlich, denn das Jüdische Museum gehorcht einer anderen Logik.

Das helle Foyer wirkt mit seiner Fachbuchhandlung und der Café-Bar einladend und gibt Blicke frei auf die Umgebung. Man fühlt sich gut hier, wohl gerade weil alles so einfach und unspektakulär ist. Neben der Kasse geht es hinab ins Untergeschoss, wo in einem knapp 300 Quadratmeter grossen Saal die Dauerausstellung gezeigt wird. Sie muss fast ohne Meisterstücke jüdischen Kunsthandwerks auskommen, gewährt jedoch einen interessanten Einblick in die Geschichte der Juden in München. Zurück im Foyer, kann man über eine Treppenkaskade, die bald an die Alte Pinakothek, bald an Libeskinds Jüdisches Museum erinnert, hinaufsteigen zu zwei übereinanderliegenden, fensterlosen Räumen, die in ihren Abmessungen exakt der Eingangshalle entsprechen. Hier finden in den nächsten zwölf Monaten acht Wechselausstellungen zu verschiedenen «Formen des Sammelns von Judaica und des Sammelns durch Juden» statt. Im unteren Saal werden derzeit 26 wertvolle jüdische Kultgegenstände und Handschriften aus dem einstigen Besitz der Wittelsbacher gezeigt, die im Bayerischen Nationalmuseum und in der Bayerischen Staatsbibliothek die Nazizeit überstanden: vom goldenen Hochzeitsring mit gotischem Miniaturhaus, der seit 1598 in der Schatzkammer der Residenz aufbewahrt wird, bis zum ersten in Deutschland geschriebenen jüdischen Bibelkommentar.

Die Sammlung Pringsheim

Der obere Ausstellungsraum ist Thomas Manns jüdischen Schwiegereltern gewidmet. Im Stadtpalais an der Arcisstrasse, in welchem der Schriftsteller einst «nichts als Kultur» spürte, hüteten die Pringsheims hochbedeutende Majoliken und Goldschmiedearbeiten der Renaissance, einen den Musiksaal schmückenden Wandfries von Hans Thoma sowie mehrere Lenbach-Porträts von Familienmitgliedern. Nachdem der 83-jährige Alfred Pringsheim 1933 sein Haus zu einem Spottpreis an die Nazis hatte abtreten müssen, ging er bald auch seiner Sammlung verlustig. Die kostbarsten Stücke musste er 1939 den Berliner Museen schenken, den Rest in London versteigern.

Nun bietet eine kleine, vom Wiener Architekten Martin Kohlbauer suggestiv inszenierte Schau anhand von 32 Leihgaben aus europäischen Museen und dem Thomas-Mann-Archiv in Zürich die Gelegenheit, sich ein Bild von der Kunstleidenschaft der Pringsheims zu machen. Die Folgeveranstaltungen dürften es schwer haben, das Niveau der Eröffnungsausstellungen zu halten. Gleichwohl stehen die Chancen gut, dass sich dieses heitere Haus als Ort der Reflexion und des Dialogs wird etablieren können.

[ Die Pringsheim-Ausstellung dauert bis zum 10. Juni, die Wittelsbacher-Schau bis zum 24. Juni. Kataloge je Euro 12.-. Die nächstfolgenden Ausstellungen beleuchten die jüdische Volkskunst in Bayern (ab 26. Juni) und die «Volkskunst-Mode» der Wallachs (ab 10. Juli). Der Museumskatalog kostet Euro 12.95. ]

10. November 2006Ulf Meyer
Neue Zürcher Zeitung

Eine Festung aus Stein und Glas

(SUBTITLE) Einweihung von Münchens aufsehenerregender neuer Synagoge

Auf kaum einem anderen Gebiet hat die deutsche Architektur in den letzten Jahren ähnlich innovative Leistungen hervorgebracht wie auf jenem des Synagogenbaus....

Auf kaum einem anderen Gebiet hat die deutsche Architektur in den letzten Jahren ähnlich innovative Leistungen hervorgebracht wie auf jenem des Synagogenbaus....

Auf kaum einem anderen Gebiet hat die deutsche Architektur in den letzten Jahren ähnlich innovative Leistungen hervorgebracht wie auf jenem des Synagogenbaus. Denn nachdem die Mitgliederzahl der jüdischen Gemeinden Deutschlands dank der Zuwanderung aus Osten in jüngster Zeit stark angewachsen war, entstanden allenthalben Neubauten, darunter die architektonisch bedeutenden Gemeindezentren von Duisburg und Dresden. Gestern nun konnte, auf den Tag genau 68 Jahre nachdem Deutschlands Synagogen brannten, in München ein weiteres jüdisches Gotteshaus eingeweiht werden. Sein Vorgängerbau allerdings, die prächtige neuromanische Synagoge neben der Frauenkirche, war auf Befehl Hitlers schon am 7. Juni 1938, also fünf Monate vor der Reichspogromnacht, abgerissen worden.

Die neue Münchner Synagoge am Jakobs- Platz ist ein Meisterwerk zeitgenössischer Sakralarchitektur. Sie stellt zusammen mit dem noch nicht eröffneten Museum und dem Gemeindehaus das grösste Bauvorhaben einer jüdischen Gemeinde seit langem in Europa dar. Der Synagogenbau selbst besteht aus zwei aufeinandergestellten minimalistischen Kuben, von denen der untere, fensterlose mit Naturstein verkleidet ist und den Tempel Salomons in Jerusalem symbolisiert. Er bildet den Sockel für den Glasquader, der den Gebetsraum beleuchtet und zugleich den Blick der Gläubigen hinauf zum Himmel richtet. Die stählerne Stützkonstruktion der gläsernen Hülle besteht aus einem Dreiecksmuster, das Davidsterne bildet. Das sensible Spiel von Licht und Schatten verleiht dem Raum eine einzigartige Atmosphäre. Nachts schimmert der Glaskörper von innen her in goldenem Licht und schreibt sich in die Silhouette der Stadt ein wie einst die 1887 geweihte Münchner Hauptsynagoge an der Herzog-Max-Strasse.

Die archaisch abstrakten Kuben wirken skulptural und massiv, sinnlich und einfach zugleich. Ihre ganze Wirkung werden sie aber erst entfalten, wenn am 22. März 2007 auch das Jüdische Museum eingeweiht wird, welches das gestalterische Thema des geschlossenen Steinblocks variiert. Der dritte Neubau am Jakobs-Platz ist das Gemeindehaus der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern. Bibliothek, Sporthalle, Volkshochschule, Rabbinat, Kindergarten, Schule, Verwaltung und ein koscheres Restaurant gruppieren sich hier um einen begrünten Innenhof. Die drei Teile des Ensembles fügen sich in den kleinteiligen Massstab des Jakobs-Platzes ein, setzen durch ihre Schrägstellung und ihre Form aber dennoch städtebauliche Akzente.

Das neue Gotteshaus gleicht entfernt der neuen Synagoge in Dresden. Dies ist kein Zufall, denn beide Sakralbauten wurden vom Architekturbüro Wandel Hoefer Lorch aus Saarbrücken entworfen. Der Münchner Neubau soll den spirituellen Bedürfnissen der in den letzten Jahren auf 9000 Mitglieder angewachsenen Gemeinde ebenso dienen wie der alltäglichen Gemeinde- und Bildungsarbeit. Mit ihm kehrt jüdisches Leben wieder in das Herz Münchens zurück.

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