Pläne

Details

Adresse
Alberried 14, 6890 Lustenau, Österreich
Architektur
Roland Gnaiger
Mitarbeit Architektur
Gerhard Gruber, Elisabeth Höck
Bauherrschaft
Annemarie Vetter, Hubert Vetter
örtliche Bauaufsicht
Lothar Huber
Planung
1992 - 1994
Ausführung
1995 - 1996

Publikationen

Kooperationen

Presseschau

15. Dezember 2001Renate Breuß
zuschnitt

Was das Holz hält

Eine langgestreckte, introvertierte U-Form aus drei Baukörpern umfasst zwei große Höfe, welche von einer Durchfahrt getrennt werden: den Wohnhof im westlichen Bereich sowie den Viehhof im Osten mit offenen Ställen und Melkturm.

Eine langgestreckte, introvertierte U-Form aus drei Baukörpern umfasst zwei große Höfe, welche von einer Durchfahrt getrennt werden: den Wohnhof im westlichen Bereich sowie den Viehhof im Osten mit offenen Ställen und Melkturm.

Landwirtschaftliche Bauten sind in Vorarlberg traditionell in Holz ausgeführt. Ein Bauernhof aus Beton und Stahl: eine Faust aufs Auge, meint Hubert Vetter, der organisch-biologischen Landbau am mehrfach ausgezeichneten Vetterhof in Lustenau betreibt.

Gemeinsam mit seiner Frau Annemarie hat er vor zehn Jahren das Konzept eines Neubaus in Angriff genommen und - offen für moderne Architektur - mit Roland Gnaiger seinen Architekten gefunden. Noch heute habe er ein gutes Verhältnis zu seinem Planer, welcher im Sinne des bäuerlichen Selbstverständnisses die Grenze des Architekteneinflusses deutlich früher gezogen sah. In einem Gespräch mit Renate Breuß erzählt der Bauherr nach fünf Jahren Nutzung von seinen Erfahrungen mit nicht oberflächenbehandelten Baustoffen.

»Holz ist für mich ein lebendiger Baustoff, der warm ist und der mir ein heimeliges Gefühl gibt. In Holz kann ich selbst reparieren und als nachwachsender Rohstoff ist Holz für mich verfügbar. Von den Häusern im Bregenzerwald wissen wir, dass das unbehandelte Holz langsam altert, dabei grau und schwarz wird - und trotzdem hält.

»Mit Farbe behandeltes Holz kam für mich nicht in Frage, ich habe das auf unserem elterlichen Hof einmal erfahren. Man musste etwas tun und da hat eine Firma dieses »Zeugs« darauf gestrichen und gespritzt. Da dachte ich mir, das ist doch ein Kitsch und das Holz erstickt darunter. Der alte Stadel, der unbehandelt blieb, hat wesentlich besser als der Wohnteil gehalten. Seither war das für mich kein Thema mehr. Auch der Planer hat uns geraten, das Holz nicht zu behandeln.«

»Unsere Außenfassade ist mit Lärchenbrettern verschalt. Als wir für die spätere Anbringung der Solaranlage einige Bretter wegnehmen mussten, waren diese nach eineinhalb Jahren schon glashart, richtig ausgebrannt. Wichtig ist, dass die Bretter sägerau sind und nicht gehobelt. Zudem wollte ich keinen Maler anstellen: der wäre bei 1.400 m² Außenwand viel beschäftigt. Die Sorge, dass alles schwarz und grau wird, kann ich nicht teilen. Mich stört das nicht, ob das jetzt schwarz oder grau oder weiß ist - halten muss es und wohl fühlen müssen wir uns.«

»Im Innenbereich haben wir - außer in den Verarbeitungsräumen - nur unbehandelte Holzböden. Breite, rohe Lärchenbretter, links gehobelt. Die Wahl der Böden hat uns lange beschäftigt. Einerseits ist es ein großer Kostenfaktor und andererseits gehen bei uns viele Leute in Straßenschuhen ein und aus. Versiegelt, geölt oder gewachst, das waren die anfänglichen Perspektiven. Nach dem Besuch einer Baulehrschau haben wir uns für den rohen Boden entschieden, da dieser nach einem verregneten Messetag als einziger keine »schwarze Autobahn« aufwies. Trotz größter Skepsis hat der hiesige Bodenleger den Boden so gemacht und uns Risse und Spalten, durch welche das Geld durchfalle, prophezeit.«

»Heute wissen wir - wie mir auch viele Fachleute bestätigen - dass die Kombination dieser Holzböden mit den lehmverputzten Wänden ideal ist. Der Lehm nimmt genügend Feuchtigkeit auf und gibt diese wieder ab, dadurch entstehen keine Risse. Zudem fühlt sich der Boden immer warm an, im Vergleich dazu ist ein versiegelter Boden kalt. Das durch den Verzicht auf Schleifen und Ölen eingesparte Geld haben wir in eine Putzmaschine investiert, mit der der Boden lediglich nass aufgewischt wird. Mit dem Älterwerden wird er immer schöner.«

»Direktverkauf und Seminarbetrieb bringen viele Leute in unser Haus. Einmal erzählte mir eine Frau von allergieartigen Beschwerden, die sie in jedem neuen Haus habe, hier jedoch nicht. Sie wollte wissen, was hier drinnen anders als in anderen Neubauten sei. Ich sagte: Was anders ist, kann ich nicht sagen. Ich weiß nur, dass nichts herinnen ist, was nicht herein gehört.«



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 04 Holzaltern

30. Juni 1997Roland Gnaiger
zolltexte

Der Vetterhof

Der Vetterhof im Ried zwischen Dornbirn und Lustenau stellt einen Versuch dar, ein ganzheitlich orientiertes Bewirtschaftungsmodell mit einer an vielfältigste Bedürfnisse angepaßten Architektur zu verbinden.

Der Vetterhof im Ried zwischen Dornbirn und Lustenau stellt einen Versuch dar, ein ganzheitlich orientiertes Bewirtschaftungsmodell mit einer an vielfältigste Bedürfnisse angepaßten Architektur zu verbinden.

Ein Bauernhof ist für einen Architekten eine höchst seltene Aufgabe. Bauernhöfe waren seit jeher ein Ergebnis einer gesellschaftlichen Gesamtleistung, Resultat einer Summe von Einflüssen wie Traditionen, den Erbauern und Handwerkern, politischen Interventionen und ganz besonders von wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Als solcher war der Bauernhof nachhaltigster Kulturträger, Zentrum einer Kultur, die nicht neben dem Alltag entstand, sondern völlig von ihm durchdrungen war.

Mit der industriellen Revolution versank bäuerliches Bauen in der Bedeutungs- und Kulturlosigkeit, blieb aber weiterhin Ausdruck der inzwischen geän derten wirtschaftlichen Bedeutung und sozialen Stellung der Landwirtschaft.

Aussiedlung

Die Familie Vetter wurde während der letzten Jahre von den Folgen der Suburbanisierung im Ortsgebiet von Lustenau zunehmend eingeschränkt. Dies war um so schlimmer, als sich der Hof – entgegen dem Trend und im Glauben an eine Zukunft der Landwirtschaft - in einer Offensive befand, wenn auch mit anderen Zielen und Mitteln: Biologisch wirtschaftend, selbstbestimmt, verbunden mit den Konsumentlnnen und vernetzt mit bedeutenden Alternativbewegungen der Gegenwart. Somit sollte an einer anderen Stelle neu gebaut, das Wohnen und Arbeiten neu organisiert und dorthin verlegt werden, wo die Anbaufläche ohnehin schon war: in die Riedlandschaft zwischen Dornbirn und Lustenau. Der Neubau sollte einerseits den Erfahrungsschatz der Familie Vetter umsetzen und andererseits auf die gänzlich geänderten politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch den EU-Beitritt Österreichs reagieren.

Bauplatz und Bauform

Hart an der Grenze zum Naturschutzgebiet Alberried ist diese Gegend baulich ohne Ansatzpunkte, wenig strukturiert, ausgesetzt und eher unwirtlich. Weder Pflanzen noch Bauten setzen dem Wind und dem Lärm von Autobahn und Schnellstraße entscheidenden Widerstand entgegen. Derartig exponiert entstand das Bedürfnis nach Schutz.

Dies war der erste Grund für die Anlage des Hofs als echten Hof, als Bauform, die an den Seiten schirmartig zwei Höfe umschließt. Introversion und Schutz für Mensch und Tier unter Schaffung eines tauglichen Mikroklimabereichs. Der zweite Grund der Hofform lag in der Bauaufgabe. Das Programm war derart umfangreich, daß es sich nicht linear organisieren ließ. Alles sollte radial um ein Zentrum herum angeordnet werden, so daß die Wege von keinem Punkt aus zu weit sind.

Der dritte Grund für die gewählte Bauform lag in den Beispielen der Gegend und den Gegebenheiten der Landschaft. Betont horizontal, breit gelagert und gleichförmig strukturiert wie die Umgebung selbst sollte auch der Vetterhof sein. So ehrlich wie ein altes Bauernhaus sollte er aber auch die heutigen Betriebsbedingungen zum Ausdruck bringen.

Das Bauprogramm

Der Grundriß wie auch der Gesamtentwurf des Vetterhofes bleibt all jenen unverständlich, die diesen am Beispiel herkömmlicher Bauernhäuser messen. Die Aufgaben und Zielsetzungen sind andere als in der konventionellen Landwirtschaft.

Im Vetterhof vereinigt sind Funktionen wie Wohnen, Viehhaltung, Lagerung, Produktverarbeitung und -veredelung, Verkauf, Gemeinschaftsfunktionen sowie Ausbildung. Ungewöhnlich sind nicht diese Einzelelemente, sondern deren Zusammenfassung zu einem komplexen Ganzen.

Die Ziele und ihre Umsetzung

Wirtschaftliche Vielfalt und Selbstvermarktung: Verarbeitet und vermarktet werden: Milch, Fleisch, Getreide und Nüsse in roher und veredelter Form.
Die Landwirtschaft als Arbeits- und Erlebnisfeld: Konsum, Weiterbildung sowie Schauen und Mitarbeiten am Hof.
Arbeits-, Wohn- und Bildungsgemeinschaft: Gemeinschaftsteil, vier getrennte Wohneinheiten.
Tierfreundliche Haltung: Neueste hygienische und tiermedizinische Erkenntnisse, windgeschützter Stall, Laufhof.
Optimierte Wirtschaftsabläufe: Übersichtlichkeit, klare Funktionsbeziehungen und gezielte Mechanisierung, zwei Hauptachsen-. Längsachse des Futtertisches mit der Kranbahn zur Lagerung und Verteilung des Futters, zweite Arbeitsachse der quergelegten Hofdurchfahrt.
Räume der Muße und des Rückzugs: Nahe der Wohn- und Gemeinschaftsbereiche gibt es Angebote zur Ruhe und Entspannung:
Westorientierter Eingangsbereich gegen die Abendsonne, Innenhof mit Brunnen, ostwärts gerichtete Laube im Obergeschoß und einer dem Eßraum im Süden vorgelagerte Loggia.
Kreislauffunktionen und Bauökologie: Weitestgehend geschlossene Kreisläufe: Biomassenheizung mit solarer Unterstützung, Trennung von Trink und Brauchwasser, Wassererwärmung mittels Sonnenkollektoren, Trennung Schwarz-/Grauwasser, Pflanzenkläranlage, Heutrocknung mittels solarer Lufttrocknung.

Grundriß und Funktionen

Der längsorientierte U-förinige Grundriß wird durch die querlaufende Durchfahrt in zwei Höfe getrennt: den quadratischen Wohnhof und den rechteckigen Viehhof. Unter dem gemeinsamen Dach liegen mehrere eigenständige Baukörper.

An der Nordseite, gleich beim Eingang, liegt das „Lager- und Wirtschaftshaus“ mit Verkaufsraum, Kühlräumen sowie Räumen für die Milch- und Fleischverarbeitung. Im Geschoß darüber liegen Büro und Trockenlager für die Getreidesorten. Im Westen liegt der zweite Bauteil, das „Gemeinschafts- und Wohnhaus“. Ober dem Erdgeschoß liegen zwei Wohnungen mit je ca. 75M2 Nutzfläche und eigener Kleinküche.

Südlich des Wohnhofes liegt das Jechnik- und Gerätehaus". Der vorgelagerte Erschließungsgang verbindet den Wirtschaftshof mit dem Wohnteil. An der Ecke zur Hofdurchfahrt liegen Werkzeugund Geräteraum mit Bezug zu den angrenzenden Gewächshäusern und Anbauflächen. Im Obergeschoß befinden sich Gäste- und PraktikantInnenzimmer.

An seiner vierten Seite wird der Wohnhof von Biomasselager, Heizraum und Leergutlager geschlossen.

Der Viehhof wird von drei Baukörpern begrenzt. An der Nordseite liegt der Futtertisch begleitet vom Gemüserüstraum, einem Boxenstallbereich und einer Futterrüstnische. Dem Futtertisch gegenüber liegt im Süden des Laufhofes der offene Freilaufstall mit dem darüberliegenden Strohlager. Im Osten mündet der Laufhof in den Misthof. Im Westen wird der Viehhof von einer zylindrischen Melkkammer geschlossen.

05. April 1997Walter Chramosta
Spectrum

Kompetenzzentrum für Kühe

Einer Lustenauer Landwirtschaft räumt Roland Gnaiger weitreichende Raumoptionen ein: Der Hof ist nicht bloß Produktionsstätte und Lebensmitte, sondern auch alternativer Handelsplatz für ökologische Ware und Information.

Einer Lustenauer Landwirtschaft räumt Roland Gnaiger weitreichende Raumoptionen ein: Der Hof ist nicht bloß Produktionsstätte und Lebensmitte, sondern auch alternativer Handelsplatz für ökologische Ware und Information.

Zwischen Feldkirch und Bregenz gehen die meisten Ortschaften längst in einer lockeren Bandstadt auf. Die suburbane Siedlungsemulsion des Vorarlberger Unterlandes kann einerseits als raumplanerisch irreversible Verlustzone gesehen werden, mit Feldern und Naturschutzgebieten als letzten Resten der alten Riedlandschaft. Andererseits ist sie auch als Initialstadium eines zukünftigen Agglomerationsmodells deutbar, in dem Land und Stadt nicht mehr Anfangs- und Endzustände zivilisatorischen Strebens sind, sondern eine stabile Koexistenz unter Wahrung bestehender Kompetenzen und Infrastrukturen, aber auch unter Ausschöpfung aller neuen Techniken eingehen.

Andrea Branzi, über Italien hinaus wirksamer Architekt und Vordenker, hält auf der Suche nach einer intelligenten Raumorganisation der Zukunft ein „Modell schwacher Urbanisation“ unter dem Namen „Agronica“ für sinnvoll, um ein komplementäres Gefüge von Ruralem und Urbanem zu erreichen. In der abgestimmten Ergänzung von Bauer und Städter liegt die Chance, Traditionen der agrarischen Landnahme zu sichern und die Stadt als alleinigen Träger des Fortschritts abzulösen. Städtische Nutzungen diffundieren in das Land und machen es zu einem neuen Ganzen - der die Region erfassenden „Megastadt“.

In Lustenau gibt es ein unabhängig von dieser Vision entstandenes, aber für die Durchdringung der Sphären symptomatisches Exempel: den Aussiedlerhof der alteingesessenen Familie Vetter im weitläufigen Ried, keine 15 Fahrminuten vom Zentrum Dornbirns, in Hörweite der Autobahn. Annemarie und Hubert Vetter wirtschaften seit langem organisch-biologisch, ihre Produkte sind bekannt, allein das gebaute Umfeld schränkte ihre Dynamik so sehr ein, daß sie sich zur Errichtung eines neuen Hofes außerhalb der Stadt entschlossen.

Der Bauer ist ein offensiver Zeitgenosse mit Durchblick im Förderdschungel der Europäischen Union und mit politischem Engagement in der ökologisch orientierten Verkaufsgenossenschaft „Ernte - für das Leben“. Die Bäuerin ist Mutter von sechs Kindern und ein Ruhepol im ununterbrochen laufenden Getriebe der Familie beziehungsweise des nun mit 30 Hektar relativ guten Weide- und Ackerlandes nahversorgten Unternehmens.

Ein solcher Betrieb sollte dann die besten Ertragschancen haben, wenn er natürliche Produkte herstellt, diese frischen Erträge möglichst selbst veredelt und ab Hof verkauft. Der Zwischenhandel ist ausgeschaltet, der Kunde muß die Lebensmittel direkt beim Hersteller oder seinen bäuerlichen Vertriebspartnern abholen. Die Güte der Ware ist hoch, die Preise liegen höher als in den Supermärkten, sind aber dem Gebotenen angemessen. Dieses Preisniveau ist Voraussetzung für die Umsetzung des Konzepts der neuen, in ökologischen Kreisläufen und nicht in mengenmaximierten Ernteerträgen denkenden Landwirtschaft.

Als weitere reale Marktchance zeigt sich das Bedürfnis des bodenentwöhnten Stadtmenschen, mit dem „Griff in die Erde“ Naturverbundenheit zurückzugewinnen. Der Bauernhof ist nicht nur ein Ort des Handels mit Lebensmitteln, sondern auch mit theoretischem Wissen, praktischen Fähigkeiten und erholsamen Erlebnissen. Der Transfer wird dann funktionieren, wenn hochprofessionelle Einsichten vermittelt werden, das rurale Differenzerlebnis für temporäre Stadtaussteiger zum Genuß wird. Der Bauernhof ist Kompetenzzentrum für Mensch, Tier, Pflanze.

Der Übergang von Information und Ware muß getrennt ablaufen, um effizient zu sein. Beim Kauf der wohlschmeckenden Karotten, für die die Familie Vetter über die Landesgrenzen hinaus bekannt ist, wird man nicht die Grundlagen des Gemüseanbaus erwerben können, also zudem ein einschlägiges Seminar aus dem Kursprogramm über den organisch-biologischen Landbau buchen müssen. In der Vetterschen Vision ist der Bauernhof ein gestalteter Lebensraum für Mensch und Tier, aber auch ein Vermittlungsraum für Wort und Ware, ein Kompetenzzentrum für den zeitgemäßen Landgebrauch in der Stadt.

Die Erkenntnis, daß eine fortschrittliche unternehmerische Ambition einer architektonischen Entsprechung bedarf, um gut vermittelbar zu sein, hat sich in Industrie und Gewerbe bisher eher selten durchgesetzt. In der österreichischen Landwirtschaft sind seit Jahrzehnten ernsthafte gestalterische Versuche, dem Problem des Vollerwerbsbauernhofes beizukommen, mit Ausnahme der wenigen Arbeiten von Franz Riepl, unbekannt. Obwohl ein ausgeklügeltes, institutionalisiertes Beratungssystem für diese Bauaufgabe allein schon wegen der Tierhaltung existiert, erheben sich die zahlreichen Neubauten nie über das unbeholfene, auf Kaschierung abzielende Wiederholen von Bauelementen aus der längst toten, anonymen Bautradition.

Landwirtschaftsarchitektur ist bisher selbst in der Dichte der Vorarlberger Baukultur nicht realisierbar gewesen. Es ist der Familie Vetter hoch anzurechnen, daß sie sich, von der Landwirtschaftskammer gut beraten, auf die Rolle eines auf konzeptiver Ebene mitgestaltenden Bauherrn eingelassen hat. Schon die Wahl des in Bregenz arbeitenden Architekten Roland Gnaiger beweist Spürsinn für die richtige Lösung. Gnaiger, Jahrgang 1951, ist eine der profilierten Persönlichkeiten in der Vorarlberger Gegenwartsarchitektur. Nach seiner Schule in Warth (1991 bis 1992) gelingt ihm nun mit dem Vetterhof (1992 bis 1996) wieder eine weithin gültige Deutung eines vernachlässigten Bautyps.

Die spürbare Ausgesetztheit und die geringe Vorbestimmtheit des Bauplatzes lassen die von Gnaiger gewählte Großform des Dreiseithofes logisch erscheinen. Der Baukörper ist zweigeschoßig und stellt sich in der Außenansicht bei einem Grundrißmaß von 30 auf 72 Meter als lagerhaft, industriell diszipliniert, der Weite der Ebene gewachsen dar. Die holzverschalten Trakte umschließen den wind- und lärmgeschützten Hofraum, der klar strukturiert, aber ebenso betont schlicht und funktionsorientiert wirkt.

An allen Fassaden wird die Absicht des Architekten deutlich, die komplexe Überlagerung der Arbeitsvorgänge unter einer Gestalt zu subsumieren und auf jede regionalistische Anbiederung zu verzichten. Den besten bekannten Bauernhäusern, etwa denen des Bregenzer Waldes, ist der Vetterhof insofern verwandt, als er nicht mehr und nicht weniger als seine Zwecke mit hoher Effizienz räumlich umsetzt. Die manchmal rauhe Ästhetik dieses Baus beruht auf der gelungenen Raumorganisation und dem wohlkalkulierten Materialeinsatz.

Man betritt am Nordwest-Eck über eine Veranda das Verkaufslager und den Seminar- und Speisebereich. Die mit Lehm verputzten Wände machen das halböffentliche Zentrum des Hauses trotz seiner Größe und Multifunktionalität wohnlich. Im Obergeschoß liegen die Wohnungen für zwei Betreiberfamilien, die Praktikanten und die Gäste. Die überdimensionale „Stube“ des Hauses dient hier nicht mehr primär dem Bauern, sondern dem Gast und der Kommunikation mit der Außenwelt.

Im Vergleich zur innovativen Organisation und baulichen Umsetzung der Tier- und Lagerhaltung wirken die Verkaufs-, Bewirtungs- und Wohnbereiche simpel. Der nicht nur für Laien überraschendste Raum ist der nicht überdachte, aber durch die anliegenden Längstrakte windgeschützte Freilaufstall. Wer gewohnt ist, Kühe in einem warmen Stall angekettet zu sehen, wird angesichts der ganzjährig im Freien stehenden Tiere schockiert sein und sich fragen, ob das denn der letzte Stand artgerechter Tierhaltung sein kann.

Aber der gedeckte Liegebereich der Rinder, die Lauf- und Freßzonen sind präzis differenziert. Der Fortschritt bei der Ausformung der Lebensräume der Tiere, aber auch in der Rationalisierung der Futteranlieferung und der Milchgewinnung ist anzuerkennen. Der kreisrunde Turm, in den die Kühe einzeln eintreten, um maschinell in bequemer Greifhöhe des stehenden Bauern gemolken zu werden, ist das architektonische Symbol einer überzeugenden betrieblichen Reform.

Nicht zuletzt ist das Verhalten der Tiere so friedfertig, wie man es selten sieht. Den Kühen müssen die Hörner nicht mehr beschnitten werden, die Kälber kommen ohne Geburtshilfe zur Welt, selbst die Familienbeziehungen unter den Tieren sind wieder in Gelassenheit möglich.

Dieses Projekt hat für den Bauherrn und die genehmigenden Instanzen ein hohes Maß an Streß erzeugt - das Resultat wirkt befreiend. Wenn Architektur überhaupt befriedend in der Arbeits- und Konsumwelt wirken kann, dann hat sie hier in konzeptiver Eleganz und gestalterischer Schlüssigkeit einen Standard begründet, wie LandStadt-Wirtschaft künftig räumlich aufzufassen sein wird.

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