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Presseschau

03. März 2012Wojciech Czaja
Der Standard

„Dass ich dich wiederseh!“

Zwei Jahre lang wurde die Villa Tugendhat saniert und restauriert. Am Mittwoch wurde das wohl berühmteste Einfamilienhaus der Moderne wiedereröffnet.

Zwei Jahre lang wurde die Villa Tugendhat saniert und restauriert. Am Mittwoch wurde das wohl berühmteste Einfamilienhaus der Moderne wiedereröffnet.

Es riecht nach Linoleum und frischem Lack. Die Türklinken sind poliert und funkeln, als hätte man sie gerade erst ausgepackt. Und die Badewannenarmaturen aus Chrom und Keramik, ein Entwurf des Bauhaus-Architekten Walter Gropius, sprühen vor einer derart zeitlosen Eleganz, dass man sich sofort die Kleider vom Leib reißen und ein Bad in der Geschichte dieses Hauses nehmen will.

Am Mittwoch wurde die Villa Tugendhat, eines der Schlüsselwerke des deutschen Architekten Ludwig Mies van der Rohe, errichtet in den Jahren 1928 bis 1930, wiedereröffnet. Nach zweijähriger Bauphase befindet sich das Juwel der Moderne, von dem aus man einen fantastischen Ausblick auf die Brünner Altstadt hat, endlich wieder in einem herzeigbaren Zustand. Insgesamt wurden rund 174 Millionen Kronen (knapp sieben Millionen Euro) in die Sanierung und Restaurierung investiert. Den Großteil davon steuerte die EU bei.

Der Architekt hätte sich ob dieses Bildes wohl köstlich amüsiert: „High Heels verboten“, hieß es auf der Einladungskarte. Journalisten und Fotografen kamen aus ganz Europa angereist, schlüpften daraufhin in hellblaue Überzieher und rutschten mit ihren raschelnden Plastikschuhen im Watschelgang über den frisch verlegten Gummiboden. Die Geräuschkulisse war spektakulär. Lediglich den Ehrengästen auf dem Podium, allen voran dem Brünner Bürgermeister Roman Onderka sowie den beiden Töchtern des Bauherrenehepaares, Daniela Hammer-Tugendhat und Ruth Guggenheim-Tugendhat, war es vergönnt, etwas festlicher aufzutreten. „Natürlich wird hier nie wieder der Zustand eines bewohnten und belebten Hauses einkehren“, sagte Daniela Hammer-Tugendhat, die heute als Kunsthistorikerin in Wien lebt. „Aber es ist gelungen, jenen Charakter wiederherzustellen, der das Haus zu dem macht, was es ist. Und das freut mich sehr, denn das ist in seiner Schönheit und meditativen Atmosphäre, wie ich sie sonst nur aus Kirchen kenne, einer der überwältigendsten Innenräume der Moderne.“ Ein Besuch vor Ort sei unumgänglich, erklärte die Tochter des Hauses. Allein anhand von Fotos und Grundrissen könne man sich von diesem Raum keinen Eindruck machen. Man müsse ihn in der eigenen Bewegung erleben, man müsse ihn physisch erkunden.

„Ein absolutes Highlight“

„Ich bin mit dem Resultat sehr zufrieden“, bestätigte auch Ana Tostões, Präsidentin von Docomomo International, die sich mit der Dokumentation und dem Erhalt von Bauwerken der Moderne beschäftigt. „Der Zustand des Hauses war eine Katastrophe, die Substanz war ziemlich zerstört, und das Projekt war extrem kompliziert. Aber man kann den Wissenschaftern und dem tschechischen Planungs- und Ausführungsteam nur gratulieren. Was diese Leute daraus gemacht haben, ist ein absolutes Highlight historischer Bestandssanierung.“

Rückblende. Noch vor wenigen Jahren drohte die Villa Tugendhat abzurutschen. Die Fundamente hatten dem Hangwasser nachgegeben, die Risse im Putz und in den seitlichen Außenwänden waren nicht zu übersehen. Hinzu kamen Beton- und Steinoberflächen, die im Laufe der Zeit durch den Eintritt von Wasser und anschließende Eisbildung regelrecht abgesprengt wurden. Das Mauerwerk war durchfeuchtet, die Anschlüsse zwischen Stahlbauteilen und Beton waren völlig korrodiert. Auch der Umstand, dass das Gebäude 1995 zum Nationalen Kulturdenkmal und 2001 zum Unesco-Weltkulturerbe ernannt wurde, konnte daran nichts ändern.

„Es ist erstaunlich, dass die Villa Tugendhat selbst in diesem ruinösen Zustand eine unglaubliche architektonische Qualität hatte“, erinnert sich Ivo Hammer, Gebäuderestaurator und Vorsitzender des Tugendhat House International Expert Committee (Thicom). „Aber der Zeitpunkt war längst überfällig. Wir mussten dringend etwas tun.“

Die ersten Gespräche mit der Stadt Brünn seien nicht besonders zufriedenstellend verlaufen, erinnert sich Hammer. „Am Anfang meinte der Finanzstadtrat, dass nur ein bestimmtes Sanierungsbudget zur Verfügung stehe und dass man auf jeden Fall damit auskommen müsse. Aber darauf wollten wir uns nicht einlassen. Entweder man macht es ordentlich, oder man lässt es gleich bleiben.“ Nach längerem Tauziehen fiel die Entscheidung zugunsten der umfassenden Sanierung - allerdings mit einem Wermutstropfen: „Leider wurde das Komitee erst nominiert, nachdem die Bauarbeiten schon längst im Gange waren“, so Hammer. „Aber immer noch besser zu spät als gar nicht.“

Wo ist die Ebenholzwand?

Ein Expertenbeirat aus acht ausländischen und sieben tschechischen Denkmalpflegerinnen und Kunsthistorikern beurteilte den Zustand des Hauses, dokumentierte jedes einzelne Detail, stöberte in Archiven nach Originalplänen und alten Fotografien, forschte in schriftlichen Aufzeichnungen zwischen Mies van der Rohe und dem Brünner Textilindustriellen Fritz Tugendhat sowie seiner Frau Grete, suchte nach alten Materialien in der ganzen Stadt, stöberte die berühmte gebogene Wohnzimmerwand aus Makassar-Ebenholz im Keller des ehemaligen Brünner Gestapo-Sitzes aus, ließ Möbeln nach alter handwerklicher Tradition rekonstruieren und experimentierte mit unterschiedlichen mineralischen Putzen, Spachtelmassen und Injektionen fürs Mauerwerk.

„Schauen Sie sich nur diese Wände aus Stuccolustro an“, sagt Ivo Hammer, als er nach der Pressekonferenz einsam und allein im alten Herrenzimmer steht und mit der Hand nachdenklich über die neu verputzte Wand streicht. „Wir haben ziemlich lang mit unterschiedlichen Sanden aus der Gegend geforscht, bis wir endlich eine ganz feine Körnung gefunden haben, mit der der Innenputz dann genauso schön matt und samtig geworden ist, wie wir das wollten.“ Die Holzoberflächen - Fingerzeig in Richtung Kastenwand - habe er sogar eigenhändig von alten Lackschichten befreit. Ein sogenannter pneumatischer Mikromeißel half dem Restaurator dabei.

Open-Air-Salon auf Knopfdruck

Freilich, all die Anstrengungen der letzten 24 Monate wird kaum ein Besucher dieses Hauses je wieder nachvollziehen können, geschweige denn mit bloßem Auge erkennen. Die Summe der vielen kleinen Miniaturen, die die Thicom in Zusammenarbeit mit dem Generalplaner Unistav a.s. mit großer Detailliebe kreierte, schlägt sich jedoch in einem perfekten, vielleicht sogar zu perfekten Gesamteindruck nieder.

Alles an diesem seinerzeit teuersten Einfamilienhaus der Welt funktioniert wie am ersten Tag. Die Gegensprechanlage ist wieder in Betrieb, die Klimaanlage bläst einwandfrei kühle Frischluft in die Aufenthaltsräume, der Speisenlift fährt fröhlich auf und ab, und die riesige Glasfassade im Wohnzimmer lässt sich auf Knopfdruck im Boden versenken. Innerhalb einer Viertelminute sitzt man in einem Open-Air- Salon der Moderne. Berauschend.

„Meine Eltern haben das Haus 1938 fluchtartig verlassen“, sagte Daniela Hammer-Tugendhat bei der Pressekonferenz. „Und ich erinnere mich, wie ich mit meiner Mutter das erste Mal nach der Emigration zur Internationalen Konferenz 1969 ins Haus hineingekommen bin. Das war für sie sehr emotionalisierend und aufregend.“ Sie sei zur berühmten sieben Zentimeter dicken durchscheinenden Onyxwand gegangen und habe sie gestreichelt wie man sonst nur einen Menschen streicheln kann. Mit einem tiefen Seufzer habe sie daraufhin gesagt: „Dass ich dich wiederseh!“ Letzten Mittwoch schlossen sich die Fachleute und Ehrengäste dieser Meinung an.

Die Villa Tugendhat befindet sich heute in Besitz der Stadt Brünn. Sie wird vom Museum der Stadt Brünn betrieben und ist ab sofort wieder öffentlich zugänglich.

25. Februar 2012Spectrum

Mies und Onyx in Brünn

Es war kein „Ausstellungswohnen“ in jenem Haus, wie es oftmals kolportiert wurde, sondern die Formulierung eines Ideals: des modernen Wohnens. Die Villa Tugendhat in Brünn nach ihrer Rekonstruktion.

Es war kein „Ausstellungswohnen“ in jenem Haus, wie es oftmals kolportiert wurde, sondern die Formulierung eines Ideals: des modernen Wohnens. Die Villa Tugendhat in Brünn nach ihrer Rekonstruktion.

Der diskrete Charme der Brünner Bourgeoisie, sozusagen. Von der Straße sieht die Villa Tugendhat wie eine Tankstelle aus. Schon wegen der großen Garagenschiebetür. Es wird berichtet, dass hier immer wieder Menschen vorkommen, die herumirren auf der Suche nach dem berühmten Architekturdenkmal, obwohl sie an ihm gerade ein paar Mal vorbeigegangen sind. Achtlos für das Unauffällige, so sind wir eben. Wir sehen nur, was wir wissen. Von der Villa Tugendhat, die in den Hang direkt auf die Straße anschließend gebaut wurde, wird ja fast ausschließlich die Gartenseite auf Fotos abgebildet. Die ist tatsächlich monumental.

Unmittelbar bevor das Wohnhaus fertig war, im Dezember 1930, dachten die Anrainer in dem eher kleinbürgerlichen Wohnviertel ?erná pole, ob nun da, wo einst die Gartenlaube stand, der Fabrikant Alfred Löw-Beer nicht eine neue Textilfabrik errichten lässt, so ungewöhnlich erschien der Neubau. Ungewöhnlich sogar in einer Stadt, in der um 1930 die funktionalistische Architektur so alltäglich war wie etwa der Jugendstil in Wien um 1910. Funktionalismus war die Staatsbaukunst der neuen Tschechoslowakei: unverkennbar zweckmäßig, zukunftsorientiert, zumeist elegant, wiewohl ein wenig zu ernst. Mittlerweile hat sich der Fachbegriff „Brünner Funktionalismus“ auch international eingebürgert.

Die Menschen von Schwarze Felder, wie die Gegend auf Deutsch hieß, konnten sich nicht vorstellen, die Tochter einer der reichsten Familien der Stadt könnte in so etwas wohnen. Genial. Diese Diskretion. Diese öffentliche Zurückhaltung, fast Unsichtbarkeit. Innen war es ganz anders. Einer der ausländischen Kritiker, der französische marxistische Architekt Roger Ginsberger, befand 1931, das Haus sei „unmoralischer Luxus“. Angeben wollten Grete und Fritz Tugendhat nicht, weder mit Luxus noch mit Modernität. Sie galten ohnehin als links. „Wir stellten uns ein viel kleineres und bescheideneres Haus vor“, schrieben sie. Dann aber, scheint es, sind sie dem Furor des Bauens erlegen, einem Furor miesis, sozusagen, dem Charme des Architekten. Es wird berichtet, Ludwig Mies van der Rohe konnte kaum jemand widerstehen, wenn er, der eher als schweigsam galt, über seine Architekturvorstellungen zu reden begann. Man kann auch sagen, das Haus Tugendhat ist so passiert - und das ist gut so. Nachdem es öffentlich zugänglich gemacht wurde, in den 1990er-Jahren, ist es der attraktivste Anziehungspunkt der Stadt. Andere sehenswerte funktionalistische Bauten profitieren von der Popularität erheblich.

So passiert auch deshalb, weil Mies gleichzeitig am Ausstellungspavillon für Barcelona arbeitete, der als das radikalste gebaute Manifest der Moderne gilt. Das Haus sei geeignet bloß zum „Ausstellungswohnen“, vermuteten Kritiker, die es meist nur in schwarz-weißen Zeitschriftenfotos betreten hatten. Das Gegenteil traf zu, das sieht man nun nach der geradezu lustvoll peniblen Rekonstruktion besonders deutlich. Mies und das Ehepaar Tugendhat formulierten das Ideal des modernen Wohnens.
Volkstümliches Mausoleum

Erst jetzt, nach der tollen Renovierung, nach der totalen Als-ob-Wiederherstellung, stimmt das böse Wort vom Ausstellungswohnen. Alles ist so, wie es einst gewesen sein könnte, denn fast alles musste neu angeschafft werden, penibel präzise nach den vorhandenen und erforschten Vorlagen. Die Villa Tugendhat ist ein volkstümliches Mausoleum des großbürgerlichen Charmes geworden.

Als ob das Haus Tugendhat durch eine wunderbare Zeitmaschine in die Zeit zwischen dem Winter 1930, als die Tugendhats eingezogen waren, und Sommer 1938, als sie ihr Haus auf der Flucht vor den Nazis verlassen mussten, versetzt und die Familie nun nur kurz anderswohin gegangen wäre, so sieht es hier jetzt aus. Eine im Grunde zeitlose Inszenierung. Es sieht aus und riecht wohl auch genau so wie in den ersten Tagen nach der Fertigstellung im Dezember 1930. Alles ist neu oder wie neu, glänzend, alles perfekt, präzise Handwerker- und Technikerarbeit nach präziser wissenschaftlicher Grundlagenforschung. Beraten und überwacht von einer Gruppe ausländischer Experten unter dem Ehrenvorsitz von Daniela Hammer-Tugendhat, der Tochter von Grete und Fritz Tugendhat, selbst eine renommierte Kunsthistorikerin in Wien und die wohl beste Kennerin des Hauses. Geld gab es ausreichend für all die Notwendigkeiten, Wünsche, Sonderwünsche und Sonderanfertigungen, 180 Millionen Kronen, über sieben Millionen Euro, da konnte nichts schiefgehen. So viel ist es auch nicht, wenn man bedenkt, dass schwierige Fundierungsreparaturen erforderlich waren, weil das Haus auf dem Hang zu rutschen begann.

Die ideale Restaurierung ist zur Reinszenierung eines Ideals geworden. Man geht durch und staunt über all die glänzenden Leistungen. Manchmal denkt man sich, ob weniger nicht mehr gewesen wäre. Ob man auf die eine oder andere Anschaffung doch nicht hätte verzichten können, auf das nachgebaute Kinderbett im Schlafzimmer etwa oder den Oldtimer Tatra 57 in der Garage. Ob dann nicht jene Aspekte besser zu sehen wären, die architekturgeschichtlich wirklich wichtig sind, aber zu unauffällig, um in der geballten Wucht der lebensnahen, mitunter allzu nah gehenden Authentizität zu bestehen. Das Problem kennen wir bereits aus der Villa Müller von Adolf Loos in Prag, wo die Reinszenierung des neubürgerlichen Wohnideals vor rund zehn Jahren auf die Art der Bis-zum-letzten-Detail-Authentizität durchgeführt wurde. Mustergültig nun auch für die Villa Tugendhat und erkenntnisreich für alle weiteren Fälle, wo immer sie auftreten. Man nennt diese Moderne ja nicht ohne Grund Internationaler Stil.

Andererseits freut man sich als sogenannter Kenner fast kleinheimlich, es so vorzufinden. Tatsächlich gilt besonders in jenen Fällen, in denen es um derart ultimative Immobilien der klassischen Moderne geht wie das Looshaus in Wien, die Villa Müller in Prag, die Villa Tugendhat in Brünn oder das Haus Wittgenstein in Wien, wenn man A sagt, muss man auch B und auch C sagen und so weiter. Das Problem der in ihrer Gesamtheit dringend renovierungsbedürftigen Moderne ist leicht zu illustrieren: In einem barocken Ambiente stört ein neuer Schalter, ein neuer Radiator, selbst ein Möbelstück aus einem Kaufhaus kaum. In einem funktionalistischen wirken derartige Einbringungen verheerend. Klassische Moderne zu reparieren ist ein Fluch. Hinein!

Von der Straße sieht man nur das Obergeschoß. Da sind die fünf Schlafzimmer und zwei Badezimmer. Dazwischen befindet sich der Haupteingang, hinter ihm das Foyer. Man steigt über die Travertin-Stiege runter und betritt den Wohnbereich, 237 Quadratmeter groß, der berühmte, weil der erste „freie Grundriss“ in einem Wohnhaus, „fließende Raum“, auch ein Architekturerstling, zu dem die Möglichkeit gehört, das Innen und das Außen zu vermischen, indem die ganze vordere Wand, die aus zwei Glasscheiben besteht, versenkt werden kann - sodass man im Wohnzimmer an der frischen Luft sitzen kann, mit einem Ausblick auf die Altstadt. Die beiden neuen versenkbaren Glasscheiben wurden in Belgien in einem Spezialverfahren hergestellt und aufs Feinste geschliffen. So eine Glasoberfläche sieht man kaum mehr. Das Berühmteste, die Onyxwand, das wohl bekannteste Baudetail in der Geschichte der modernen Architektur, ist das „Herzstück des Hauses“. Es wird berichtet, Mies ließ in den Marmorsteinbrüchen im marokkanischen Atlasgebirge nach einem geeigneten Stück dieses Halbedelsteins suchen und bestimmte und überwachte selbst den richtigen Schnitt, damit die Maserungen des honiggüldenen transluziden Gesteins am eindrucksvollsten leuchten. Diese frei stehende Wand ist ein Altar, gar kein Zweifel. Eine Ikone und Ikonostase zugleich. Sie verleiht dem Wohnzimmer die Atmosphäre eines heiligen Ortes. Es wird berichtet, dass, als Mies sah, wie an einem Spätwintertag die Sonnenstrahlen durch die sieben Zentimeter dicke Wand durchdrangen und sie rot zum Leuchten brachten, er selbst überrascht und glücklich gewesen sei, weil er diese Schönheit fand und zur Geltung bringen konnte. Denn Ludwig Mies van der Rohe war auf seine Weise religiös. Ein Demiurg. Ein Priester des Bauens. Er las gern Thomas von Aquin und Augustinus und zitierte sie immer wieder. „Das Schöne ist der Glanz des Wahren.“ Auch der meistzitierte Satz von Mies, „Weniger ist mehr“, entspricht seiner eigenwilligen, mitunter metaphysischen Architekturscholastik.
Die Onyxwand gibt es immer noch

Der knappe Satz ist ein Dogma und die Onyxwand im Haus Tugendhat dessen architektonischer Ausdruck. Nichts belegt so eindeutig wie diese Wand, wie sehr Mies missverstanden wurde und wird, wie die banale Umkehrung seines Predigtwortes in „Weniger ist fad“ durch die Erfinder der Postmoderne. Das wahrlich Unbegreifliche an der wunderbaren Onyxwand ist aber, dass es sie noch immer gibt. Dass sie unverrückt und unbeschädigt geblieben ist, dass sie noch immer genau dort und so steht, wo und wie sie Ludwig Mies van der Rohe irgendwann im Herbst 1930 aufstellen ließ. Das Einzige wohl, was in dem Haus nicht zerstört, verändert, ersetzt und repariert werden musste, ist diese Wand.

Jene Menschen, die das Museum Villa Tugendhat besuchen wollen, sollen versuchen, einen Termin an einem späten Nachmittag, im Frühjahr oder im Herbst, wenn die Sonne besonders tief unterzugehen pflegt, zu buchen. Vielleicht werden sie Glück haben und erleben, was Transzendenz ist, und wie sie aussieht. Oculus non vidit, nec auris audivit. Architekt ist Baumeister mit Latein, pflegte Adolf Loos, der in Brünn als Sohn eines Steinmetzes geboren wurde, über sich zu sagen. Für Ludwig Mies van der Rohe, gebürtig aus Aachen, auch Sohn eines Steinmetzes, trifft es genauso zu.
Wer nach dem Besuch der Villa hungrig werden sollte, hungrig auch nach weiterem hervorragend renovierten Brünner Funktionalismus, der geht etwa zehn Minuten geradeaus ostwärts ins Café Era. Es wurde 1929 von Josef Kranz errichtet und gilt als ein hervorragendes Beispiel für den Einfluss des holländischen De Stijl in der Tschechoslowakei. Das Essen ist ausgezeichnet. Wer nicht genug vom Onyx hat, der geht auf einen Kaffee in das Café Onyx in der Altstadt, 2004 von Raw Architekten eingerichtet. Sie waren für die neuen Gestaltungen in der Villa Tugendhat zuständig. Das Café ist ein hervorragendes Beispiel für den Brünner Neofunktionalismus und den Mies-van-der-Rohe-Adolf-Loos-Kult in Brünn. Weniger Mies. Mehr Loos. Viel Onyx.

23. März 2010Patricia Grzonka
Neue Zürcher Zeitung

Sensibilisierung für immaterielle Effekte

(SUBTITLE) Die legendäre Villa Tugendhat von Ludwig Mies van der Rohe in Brünn wird restauriert

Nach mehreren Anläufen steht Ludwig Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn vor der Restaurierung. Daniela Hammer-Tugendhat, Kunsthistorikerin und Tochter der ehemaligen Besitzer Grete und Fritz Tugendhat, erläutert zusammen mit dem Restaurator Ivo Hammer die Erneuerungspläne.

Nach mehreren Anläufen steht Ludwig Mies van der Rohes Villa Tugendhat in Brünn vor der Restaurierung. Daniela Hammer-Tugendhat, Kunsthistorikerin und Tochter der ehemaligen Besitzer Grete und Fritz Tugendhat, erläutert zusammen mit dem Restaurator Ivo Hammer die Erneuerungspläne.

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18. März 2004Der Standard

Warnung vor Zerstörung der Villa Tugendhat

Architekturzentrum Wien protestiert in offenem Brief an den Oberbürgermeister von Brünn

Architekturzentrum Wien protestiert in offenem Brief an den Oberbürgermeister von Brünn

Das Architekturzentrum Wien (Az W) und der Architekturhistoriker Stephan Templ machen in einem offenen Brief an den Oberbürgermeister von Brünn auf die ihrer Meinung nach „akute Gefährdung“ der berühmten Villa Tugendhat des Architekten Mies van der Rohe aufmerksam. Dieser Schlüsselbau der Moderne befindet sich auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes und steht im Eigentum der Stadt Brünn. ArchitektInnen, ArchitekturhistorikerInnen, Kulturschaffende und Institutionen sind laut Az W zur Unterstützung aufgerufen.

„Mit Bestürzung verfolgen wir den für die Sanierung des Gebäudes ausgeschriebenen Wettbewerb, der vorwiegend wirtschaftliche Interessen verfolgt und den Erhalt dieser unschätzbaren Architektur gefährdet“, heißt es in dem Offenen Brief, der die Qualifikationen der derzeit erstgereihten Firma in Frage stellt. Dies lasse befürchten, „dass die Villa Tugendhat der Zerstörung preisgegeben wird und nicht nur die Stadt Brünn sondern die Weltgeschichte der Architektur ein bedeutendes Baudenkmal unwiederbringlich verliert.“

Das der APA vorliegende Schreiben schließt mit einem Appell, „alle notwendigen Schritte für den Erhalt der Villa Tugendhat zu setzen, die Auftragsvergabe in Kenntnis aller Fakten zu überdenken und die notwendige Renovierung in die Hände von erfahrenen Architekten und Experten für den Denkmalschutz der Moderne zu geben.“

18. März 2004ORF.at

Architekturzentrum sieht Brünner Villa Tugendhat in Gefahr

Das Architekturzentrum Wien (Az W) und der Architekturhistoriker Stephan Templ machen in einem offenen Brief an den Bürgermeister von Brünn (Brno) auf die ihrer Meinung nach „akute Gefährdung“ der berühmten Villa Tugendhat des Architekten Mies van der Rohe aufmerksam.

Das Architekturzentrum Wien (Az W) und der Architekturhistoriker Stephan Templ machen in einem offenen Brief an den Bürgermeister von Brünn (Brno) auf die ihrer Meinung nach „akute Gefährdung“ der berühmten Villa Tugendhat des Architekten Mies van der Rohe aufmerksam.

Dieser Schlüsselbau der Moderne befindet sich auf der Liste des UNESCO-Weltkulturerbes und steht im Eigentum der Stadt Brünn. Architekten, Architekturhistoriker, Kulturschaffende und Institutionen sind laut Az W zur Unterstützung aufgerufen.


Kritik an erstgereihter Firma

„Mit Bestürzung verfolgen wir den für die Sanierung des Gebäudes ausgeschriebenen Wettbewerb, der vorwiegend wirtschaftliche Interessen verfolgt und den Erhalt dieser unschätzbaren Architektur gefährdet“, heißt es in dem Brief, der die Qualifikationen der derzeit erstgereihten Firma in Frage stellt.

Das lasse befürchten, „dass die Villa Tugendhat der Zerstörung preisgegeben wird und nicht nur die Stadt Brünn, sondern die Weltgeschichte der Architektur ein bedeutendes Baudenkmal unwiederbringlich verliert“.

06. Februar 2002ORF.at

Der Lack ist ab

Das Museum für Angewandte Kunst möchte sich an der Rettung der Villa Tugendhat beteiligen.

Das Museum für Angewandte Kunst möchte sich an der Rettung der Villa Tugendhat beteiligen.

Stolz, weiß, modern. So präsentiert sich die 1929 von Ludwig Mies van der Rohe geplante und im Jahr darauf fertig gestellte Villa Tugendhat in Brünn. Von Ferne. „Da blättert alles ab, ob das der Lack, oder die Fassade ist. Selbst Wasser kommt durchs Dach“, zählt Pavel Liska die Mängelliste des einstigen Baujuwels auf.

Der Regensburger Museumsdirektor und Mitbegründer der Stiftung Tugenhat, bekennt, dass die Probleme noch nicht gravierend sind, „aber das hat sich angesammelt, das gilt es zu beheben und wenn man um die Bedeutung der Villa weiß, müsste man sich beeilen“. Immerhin gibt es neben den oberflächlichen Beschädigungen auch Probleme mit der Statik.


Weltkulturerbe

Im Dezember 2001 hat die UNESCO die Villa Tugendhat zum Weltkulturerbe erklärt. Das Einfamilienhaus setzte neue architektonische Maßstäbe, die noch heute der aktuellen Vorstellung modernen Wohnens entsprechen.

Die Stadt Brünn als Eigentümer hatte jahrelang die zur Erhaltung notwendigen finanziellen Mittel verweigert. Nun haben sich die Verantwortlichen dazu bereit erklärt, eine beträchtliche Summe zur vollständigen Rekonstruktion der Villa bereitzustellen.


Was kommt?

Nach der Renovierung soll der Bau zwar der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, jedoch unter erschwerten Bedingungen. Dadurch bestehe die Gefahr, dass dieses Haus von unschätzbarem architektonischen und kulturellen Wert zu einem kommerziellen Mausoleum verkommt, befürchtet man im MAK. „Es wird auch darauf ankommen, zu dokumentieren was man wie macht“, spielt Liska auf die unsachgemäßen Renovierungen der 80er Jahre an, die zum Teil für den momentanen schlechten Zustand des Gebäudes verantwortlich sind.


Offenes Haus

Peter Noever, der Direktor des Wiener Museums für Angewandte Kunst, beschwört den Geist des Gebäudes und seines Architekten. „Wenn man ihn richtig versteht, verschließt sich der Geist der Moderne nicht einer Neudefinition“, weist Noever die von ihm präferierte Richtung. Darin trifft er sich mit der Kunsthistorikern Daniela Hammer-Tugendhat. Die Tochter der ehemaligen Hausbesitzer, die vor den Nationalsozialisten fliehen mussten, wünscht sich ein Architekturzentrum für Symposien und Workshops. „Es müsste aber auch gewährleistet werden, dass das Gebäude zur einfachen Besichtung zugänglich ist“, so die Schwester des bekannten Ethik-Professors Ernst Tugendhat.


Alles ist offen

Ob die Stadt Brünn an einer internationalen Zusammenarbeit in Bezug auf die Villa Tugendhat interessiert ist, scheint nicht ganz klar. Ebenso wenig wie die Frage ob sich die Aufnahme in die UNESCO-Liste auch auf die Qualität der Renovierung und die anschließende Nutzung auswirken wird. Peter Noever und sein MAK hat jedenfalls Erfahrung im Umgang mit Bausubstanz der Moderne, betreut sein Haus doch seit einigen Jahren das Schindler-Haus in Los Angeles.

06. Februar 2002ORF.at

Widersprüchlicher Geist der Moderne

Ab dem Frühjahr 2000 sollte ein Expertenteam mit den Vorarbeiten zu einer umfassenden Restaurierung des Hauses beginnen. Passiert ist bislang noch nichts.

Ab dem Frühjahr 2000 sollte ein Expertenteam mit den Vorarbeiten zu einer umfassenden Restaurierung des Hauses beginnen. Passiert ist bislang noch nichts.

Das Haus, das vom Brünner Textilindustriellen Fritz Tugendhat und seiner Frau Grete bei Ludwig Mies van der Rohe in Auftrag gegebenen wurde, steht heute im Eigentum der Stadt Brünn. „Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren“, begründete Grete Tugendhat später die Architektenwahl.


Kurzes Glück

„Es war der seltene Fall einer völligen Übereinstimmung zwischen Bauherrn und dem Architekten“, betonte die Tochter des Bauherrn, die in Wien lebende Kunsthistorikerin Daniela Hammer-Tugendhat. Das Glücke währte jedoch kurz. Nur wenige Jahre nach dem Einzug musste die Familie vor den Nazis flüchten

Formale Neuerungen

Der Bauhaus-Architekt schuf eine Stahlskelettkonstruktion, die im Wohnbau ein Novum darstellte. Der formenstrenge dreigeschoßige Hangbau gilt als radikales Bekenntnis zur Formensprache der Moderne, ein wichtiger Ansatzpunkt war die „Bewohnbarkeit“. Auch wenn zeitgenössische Kritiker Zweifel daran äußerten ob seine Bewohner in dem nicht durch Trennwände zergliederten Hauptgeschoß ihr Glück finden könnten.

Dieser für die damalige Zeit revolutionäre Wohnbereich bildet den räumlichen Schwerpunkt des Hauses und umfasst mit Wintergarten eine Fläche von rund 280 Quadratmetern. Mit einer Onyx- und einer makassar-furnierten Holzwand sowie ausgeklügelter Möbelaufstellung erzielte er einen „Raum im Raum“-Effekt. Große, zum Teil versenkbare Glasfenster geben den Blick in den Garten frei.


Gesellschaftliche Altlasten

Der Mies-Forscher Wolf Tegethoff hat allerdings darauf hingewiesen, dass entgegen seinem modernistischen Gepräge das Gebäude durchaus den Geist des 19. Jahrhunderts atmet. Das Wartefoyer für Besucher, Abgrenzung der Wirtschaftsräume oder der Trakt für die Bediensteten setzten einen Zustand fort, „der noch weitgehend den großbürgerlichen Idealen und Umgangsformen des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist“, so Tegethoff.

Die Kosten des mit 1250 Quadratmetern Nutzfläche riesigen Hauses waren ebenfalls feudal. Allein um den Preis der Onyxwand hätte man damals ein ganzes Einfamilienhaus errichten können.

22. Mai 1999Gabriele Reiterer
Spectrum

„Gipfel des Snobismus“

Sie zählt zu den Meisterleistungen der Klassischen Moderne: die in den Jahren 1928 bis 1930 von Mies van der Rohe erbaute Brünner Villa Tugendhat. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm dokumentiert Ihre Baugeschichte und die Kontroversen, die sie auslöste

Sie zählt zu den Meisterleistungen der Klassischen Moderne: die in den Jahren 1928 bis 1930 von Mies van der Rohe erbaute Brünner Villa Tugendhat. Eine Ausstellung im Wiener Ringturm dokumentiert Ihre Baugeschichte und die Kontroversen, die sie auslöste

Ich habe mir immer ein geräumiges, modernes Haus mit klaren einfachen Formen gewünscht. Und mein Mann war geradezu entsetzt von Zimmern, die bis an die Decke mit Figürchen und Zierdecken vollgestopft waren“, so Grete Tugendhat über den Wunsch nach einer Architektur, die sich vom gründerzeitlichen Erbe verabschieden sollte.

Im Brünner Schwarzfeldviertel, einer gehobenen bürgerlichen Wohngegend, hatten Grete Löw Beers Eltern dem jungen Paar zur Hochzeit eine Parzelle zum Geschenk gemacht. 1928 fanden die ersten Gespräche mit Mies van der Rohe statt. Ende des Jahres legte Mies bereits die ersten und in ihren Zügen wesentlichen Entwürfe vor. Obwohl es während des weiteren immer wieder zu Modifikationen kam, dürfte in den Grundfragen große Übereinstimmung zwischen Auftraggebern und Architekt geherrscht haben.

Die ungewöhnlichste und innovativste Entwurfsentscheidung war jene zugunsten einer Stahlskelettkonstruktion: Es waren damit weniger tragende Teile nötig, die Mauerstärken konnten reduziert werden, und freiere Grundrißlösungen wurden möglich. Die Stahlkonstruktion ermöglichte in der Folge den riesigen lichten Wohnraum mit seinen Glasfronten.

Der zweieinhalbgeschoßige Bau befindet sich an stark abschüssigem Gelände und liegt quergestreckt in den Hang eingepaßt. Während die Villa zur Straßenseite hin nahezu hermetisch abgeschlossen anmutet, öffnet sie sich südseitig mit unvergleichlicher Aussicht auf die Stadt. Im Souterrainsockel befinden sich die Wirtschafts- und Wartungsräume des Hauses. In der dreiteiligen zweiten Ebene, dem Hauptwohngeschoß, dominiert der 280 Quadratmeter große Wohnraum. Empfangsraum, Arbeitsraum mit Bibliothek und Sitzecke, Wohnzimmer und Eßbereich gehen frei ineinander über; Arbeitsbereich und vorderer Wohnbereich sind von einer freistehenden Wand aus Onyxplatten getrennt. Im zweiten Teil befinden sich Küche und Diensträume, der dritte Teil beherbergt Personalzimmer, die über einen eigenen Zugang von außen verfügen. Im Obergeschoß mit Eingang von der Straße lagen die privaten Wohnräume der Eltern und Kinder.

Die technische Ausstattung der Villa war auf dem höchsten und neuesten Stand der Zeit: Zentralheizung, wobei die verglaste Südfront des Wohnbereichs über eine eigene, zusätzliche Heizanlage verfügte, die im Sommer als Kühlsystem Verwendung fand; ein Teil der riesigen Fenster konnte hydraulisch in den Boden versenkt werden; ein Lichtschranken mit Photozelle schloß die Verbindungstür zwischen Straße und Terrasse im Obergeschoß automatisch. Während das obere Geschoß konventioneller gehalten ist, evoziert das offene Konzept im Hauptgeschoß ein freies Raumerlebnis; im riesigen Wohnbereich ersetzt das Raumkontinuum die traditionelle Aneinanderreihung von räumlichen Funktionsbereichen.

Eine wesentliche Rolle der Raumteilung und -gliederung kommt dabei den freistehenden Wandelementen zu: der halbrunden Wand aus kostbarem Makassar-Ebenholz, die der Abgrenzung des Eßbereichs diente, und der teuren Onyx-Wand, deren Preis allein in etwa dem Wert eines Einfamilienhaus entsprach.

Die gesamte Innenausstattung plante Mies van der Rohe selbst; zum Teil in enger Zusammenarbeit mit der Innenarchitektin Lilly Reich. Ein Großteil der Möbel wurde vom Architekten eigens für die Villa Tugendhat entworfen. Die Inneneinrichtung der Villa Tugendhat ist wesentlicher Bestandteil der Planung, durch ihre raumgliedernde Rolle besitzt sie im Gesamtkonzept einen integrierenden Anteil.

Die lokale Architekturszene begegnete dem Bau, der 1930 bezugsfertig war – gelinde ausgedrückt –, mit Zurückhaltung. Brünn hatte sich zu jener Zeit neben Prag zu einem bedeutenden Zentrum moderner Architektur entwickelt. Hier bauten und lehrten Bohuslav Fuchs , Jiri Kroha, Arnošt Wiesner und andere. Bereits ab der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre entstand hier eine Architektur, die sich programmatisch mit der sozialen Frage, dem Wohnproblem der unteren sozialen Schichten auseinandersetzte.

Der kühl-elegante Solitär, dessen Baupreis angeblich so hoch war wie der von dreißig kleinen Einfamilienhäusern, bekannte sich radikal und eindeutig zur Formensprache der Moderne, sprengte jedoch zugleich fremdkörperartig die strukturelle örtliche Architekturentwicklung. Die Kritik am Bau kam von der Architekturavantgarde selbst. Karel Teige, wortgewaltiger Avantgardist und Schlüsselfigur der Bewegung, nannte den Bau ein Exempel für die verfehlte Richtung in der modernen Architektur, einen „Gipfel des modernen Snobismus“.

Das deutsche Echo gestaltete sich anfangs eher zurückhaltend. Walter Riezler besprach den Bau 1931 in der Werkbundzeitschrift „Die Form“. Er hob vor allem die Verwirklichung neuer Ideen hervor, die nicht nur in Zweckmäßigkeit resultiere, sondern „Geistigkeit“ evoziere. Justus Bier schließlich stellte in der darauffolgenden Ausgabe die Frage nach der „Bewohnbarkeit“ des Hauses. Er stellte zwar fest, „daß man sich in diesen Räumen dem Eindruck einer besonderen Geistigkeit sehr hohen Grades nicht entziehen kann“, zweifelte aber daran, „ob die Bewohner die großartige Pathetik dieser Räume dauernd ertragen werden, ohne innerlich zu rebellieren“.

Fritz und Grete Tugendhat reagierten umgehend auf die Kritik und verteidigten das Konzept. Ein Satz in Riezlers Kritik brachte schließlich genau jenes Moment zutage, das Bruno Reichlin die „Ambivalenz“ der Villa Tugendhat nennt. Denn bei aller Modernität übersteigt das Haus mit einer Gesamtnutzfläche von 1250 Quadratmetern die Ansprüche an ein Einfamilienhaus bei weitem.

Anlage und Struktur sind offensichtlich an einer Wohnform und einem gesellschaftlichem Kodex der vergangenen Zeit orientiert. Wolf Tegethoff hat in seinen Studien über die Villa Tugendhat auf deren repräsentative Ausrichtung hingewiesen. So diente etwa die Eingangshalle in ihrer Funktion als Wartefoyer für Besucher noch gesellschaftlich-zeremoniellen Gepflogenheiten des 19. Jahrhunderts. Die Villa verfügte über einen beträchtlichen Personalstab, der auch großteils im Haus wohnte.

Die Abgrenzung der Wirtschaftsräume vom Aufenthaltsbereich der Bewohner in einem eigenen Trakt bedeutete ebenfalls eine Reminiszenz an vergangene Wohnformen. So „bleibt die Tatsache bestehen, daß der Gesamtorganismus des Hauses einen Zustand perpetuiert, der noch weitgehend den großbürgerlichen Idealen und Umgangsformen des 19. Jahrhunderts verpflichtet ist“.

Die repräsentativen Funktionen wurden jedoch von der Familie Tugendhat nur mehr eingeschränkt wahrgenommen. Das Leben im Haus war insgesamt eher privat ausgerichtet, Fritz und Grete Tugendhat wahrten die gesellschaftlichen Codes ihrer Herkunft nur mehr in bedingtem Ausmaß. Im Spannungsfeld zwischen großbürgerlicher Wohnkultur und deren Negierung angesiedelt, steht die Villa Tugendhat gewissermaßen zwischen den Zeiten.

Der Familie Tugendhat verblieben nur wenige Jahre in ihrem Haus. 1938 emigrierte sie in die Schweiz, später nach Venezuela. Einen Teil der beweglichen Ausstattung nahm sie mit. Als „jüdisches Eigentum“, deren Besitzer zudem das Land verlassen hatten, galt die Villa den nationalsozialistischen Besetzern als herrenlos und ging automatisch in Staatsbesitz über. Bereits in den frühen vierziger Jahren war der Großteil des zurückgelassenen Inventars verschwunden.

Während des Krieges waren im Haus Konstruktionsbüros der Flugzeugbauer Messerschmidt untergebracht, nach 1945 nahm es die Rote Armee in Beschlag, der es zum Teil als Pferdestall diente. Nach dem Krieg richtete sich in der Villa eine private Rhythmikschule ein. Aus ihr wurde in der kommunistischen Tschechoslowakei 1962 die Abteilung für Heilgymnastik der Brünner Kinderklinik. Ein Jahr später erklärte die staatliche Behörde für Denkmalschutz die Villa zum Kulturdenkmal. Der Entscheidung waren jahrelange Bemühungen um eine Nutzungsänderung vorangegangen.

Trotz anfänglicher Pläne, das Haus einer kulturellen Nutzung zuzuführen, fand die Villa schließlich ab 1986 als hochrangiger Tagungsort und Repräsentationssitz der Stadt Brünn Verwendung. Die vorangegangene „Renovierung“ist heute heftigst umstritten. Durch keineswegs notwendige Erneuerungsmaßnahmen, vor allem in Bad und Küche, wurde originale Substanz teilweise vernichtet. Die Verwendung von unsachgemäßen Materialien zog zum Teil grobe Folgeschäden am gesamten Bau nach sich. Diese sind jetzt unter anderem Gegenstand einer grundlegenden Vorabklärung für das weitere Vorgehen.

Am 1. Juli 1994 wurde die Villa Tugendhat als Museum eröffnet. Aufgrund wesentlicher Baumängel wird jetzt eine weitere Instandsetzung – diesmal in Zusammenarbeit mit einer internationalen Expertenkommission, dem international anerkannten Wert des Hauses Rechnung tragend – durchgeführt.


Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Architektur im Ringturm“ist von 26. Mai bis 16. Juli (Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr)die umfassende Dokumentation „Das Haus Tugendhat. Ludwig Mies van der Rohe – Brünn 1930“ zu sehen [ Wien 1, Schottenring 30 ].

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