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Presseschau

21. Februar 2004Isabella Marboe
Der Standard

Blutauffrischung in Wien-Favoriten

(SUBTITLE) Neue Häuser

Die Architekten Ifsits Ganahl Larch planten die wegweisende Anlage AR/WO X. Die Option des heimnahen Arbeitsplatzes ist bis dato nicht voll ausgeschöpft, aber noch immer offen.

Die Architekten Ifsits Ganahl Larch planten die wegweisende Anlage AR/WO X. Die Option des heimnahen Arbeitsplatzes ist bis dato nicht voll ausgeschöpft, aber noch immer offen.

Dichter, gründerzeitlicher Blockraster, mehrheitlich geschlossen von schmucklosen Wohnbauten der Nachkriegsdekaden, keinerlei Grün, kaum Läden, vereinzelte Industriebauten: Das Grätzel um die Fernkorngasse in Favoriten hatte eine Blutauffrischung bitter nötig. Am Block eines früheren Fabriksgeländes gibt es sie nun in Form eines hoch innovativen Komplexes namens AR/WO X.

Städtebaulich brechen die vier reizvoll gegliederten, eleganten Baukörper mit offenem Gewerbe-Sockel den starren Blockraster. Je zwei voneinander abgesetzte Riegel mit durchlässigen Querdurchgängen säumen die Sonnleithnergasse im Osten und die Fernkorngasse im Westen. Als luftig grüne Schneise mit weitläufigen Treppenanlagen, Kinderspiel- und Sitzzonen verläuft mittig der lang gestreckte Hof von der Davidgasse im Norden zur Inzersdorfer Straße im Süden. Sie liegt fast vier Meter tiefer, was dezente Tiefgaragen- und Anlieferungszufahrt ermöglicht.

Angedacht war AR/WO X als Initialprojekt und Gründerzentrum für Jungunternehmer, an den Baukörpern ist das noch ablesbar: Zwei Wohntrakten ist hofseitig eine flexibel zumietbare, vollelektronisch ausgestattete Bürostruktur vorgelagert. Jede Einheit hat Sanitärblock und Teeküche und lässt sich theoretisch von der 35-m²-Minimalvariante bis zur Geschoßkapazität von ca. 500 m² erweitern. Luftbrücken weiten sich dynamisch zum Büroentree, führen auf die Wohnungslaubengänge, schaffen der komfortablen, heimnahen Workstation die nötige Distanz.

Mit sechsstöckigen Lufträumen, ausblickreich und witterungsresistent verglast, wird die Erschließungsmitte zum großzügigen inneren Gemeinschaftsraum. Die zwei vertikal durchmischt nutzbaren Riegel markieren als Pas de deux das Nordost- und Südwest-Eck des Blocks, wo der externe Stiegenhausturm und die vorgezogene Wohnseite ein attraktives urbanes Eck artikulieren. Hier wohnt man auf einer Ebene, während der artverwandte Bruder mit Maisonetten und Innentreppe punktet. Als diagonales Gegensatzpaar komplettieren zwei geschlossene Trakte mit durchgesteckten, räumlich offenen und großzügigen, West/Ost-belichteten Wohnungen das Baukörperquartett. Verglaste, von Metallbrüstungen ruhig gerahmte, durch ausgiebige Nutzung aufgelockerte Veranden erweitern als Puffer den Innenraum, ergeben eine so elegante wie lebendige Fassade zur Fernkorn- und Sonnleithnergasse. Oben aufliegende Lofts mit Terrassen schließen drei der Baukörper zum Himmel luftig ab, wie Arkaden weiten die Säulen vor der zurückgesetzten Sockelzone das Trottoir und lassen die Baukörper schmäler erscheinen. Die ganze Anlage weist mit Sonnenkollektoren auf extensiv begrünten Dächern, Erdkoffern im Hof, verglasten Loggien und Hallen Niedrigenergiestandard auf.

Mehrere Geschoße belegte die Post mit Sortierzentrum und Büros an der Sonnleithnergasse, zum Hof öffnet sich das Postamt, weiters sind Trafik, Friseur und zwei Großmärkte eingemietet. Bodennah funktioniert die Durchmischung, die Option des heimnahen Arbeitsplatzes in der Vertikalen wurde leider weit weniger ausgeschöpft. Prinzipiell könnten zehn Minibüros pro Geschoß betrieben werden, de facto haben sich 16 Unternehmer und sechs Lokale eingenistet.

Wohnbau ist sehr innovationsresistent - es spricht für die Qualität der architektonischen Struktur, dass die konzipierten Büroeinheiten mühelos als Wohnungen zu vergeben waren. Derzeit gibt es in der von Wiener Heim, Österreichischem Siedlungswerk und Mischek betriebenen Anlage 186 Wohnungen, was sich mit dem Einzug neuer Selbstständiger zugunsten der Büros rasch ändern kann.

05. Juni 1999Gert Walden
Der Standard

AR/WO X - Formel für Büros vor der Haustür

Die geförderten Wohnungen in Wien werden immer kleiner, die steuerliche Entlastung für den Arbeitsplatz zu Hause schwindet. Einen Ausweg bietet das Projekt „AR/WO X“ in Wien-Favoriten an. Dort entsteht eine Wohnanlage im bunten Förderungsmix mit selbständigen Bürotrakten, vielfältigen Geschäftslokalen und anspruchsvoller Architektur.

Die geförderten Wohnungen in Wien werden immer kleiner, die steuerliche Entlastung für den Arbeitsplatz zu Hause schwindet. Einen Ausweg bietet das Projekt „AR/WO X“ in Wien-Favoriten an. Dort entsteht eine Wohnanlage im bunten Förderungsmix mit selbständigen Bürotrakten, vielfältigen Geschäftslokalen und anspruchsvoller Architektur.

Über Jahrzehnte hinweg hat die Gemeinde umweltschädigende Betriebsstätten aus der Stadt hinausgeekelt. Jetzt wo, viele Bezirke Gefahr laufen, sich in reine Schlafsiedlungen zu verwandeln, werden neuen Maßnahmen der Sicherung von „sauberer“ Wertschöpfung gesetzt. Unter dem Marketingtitel „AR/WO X“ ist nun ein Pilotprojekt im 10. Bezirk an der Fernkorngasse baugenehmigt, das durch die Vielschichtigkeit des Konzepts beeindruckt.

Zunächst die Finanzierung des Projekts, das vom Österreichischen Sieldungswerk und der Mischek-Gruppe getragen wird: das 350-Millionen-Schilling-Vorhaben (25,436 Mio.EURO) gewährt über alle in Wien möglichen Förderungsschienen Zugang zu den Büros und Wohnungen in Miete oder Eigentum, weil die Subventionspolitik der Bundeshauptstadt seit Hans Mayr dies in beiden Fällen möglich macht. Auch freifinanzierte Wohn- und Arbeitsstätten sind erhältlich. Die Wohnungstypen selbst sind mit den Maisonetten und Geschoßwohnungen auf rund 12.000 Quadratmeter Nutzflächen ebenfalls gemischt. Die Büros kommen auf 3.210 Quadratmeter, knapp gefolgt von den Geschäftsflächen mit 3.070 Quadratmetern.

Doch das Projekt der Architekten Hanno Ganahl, Walter Ifsits und Werner Larch ist mehr als nur eine Fortsetzung der Gewerbehof-Idee, wie sie in den 80er Jahren verfolgt wurde. Mit der Option, die Büroflächen als Gründerzentrum zu verwenden - der Erfolg ist österreichweit bestätigt - könnte auch Arbeit für die Anrainer abfallen.

Die zweite Möglichkeit besteht in der unmittelbaren, kleinteiligeren Nutzung der Arbeitsstätten für die Bewohner der neuen Anlage, die voraussichtlich 2001 fertiggestellt sein wird. Damit könnte dem Dilemma der immer kleiner werdenden geförderten Wohnungen und der schwindenden steuerlichen Entlastung begegnet werden. Denn das Büro vor der Haustür ist sicherlich die ideale Möglichkeit einer sinnvollen Trennung zwischen zu kleinen Wohn- und Arbeitsräumen.


Lüftung im Bezirk

Damit ist aber die Effizienz der Planung noch nicht vollständig beschrieben. Bauträger und Architekten bringen nicht nur eine Durchmischung der Lebenswelten in diesen monofunktionalen Bezirk. Sie durchlüften ihn in physischer und psychischer Hinsicht. Die traditionelle, hermetische Blockrandbebauung, wie sie für Favoriten typisch ist, wird mit den zwei parallelen Zeilen aufgebrochen. Die gesamte Anlage ist als Passage in mehreren Schichten nutzbar und wenn die Geschäftslokale sowie die Büros funktionieren, entsteht ein lange in Wien vermißtes multifunktionales Ambiente, das eine offene Stadt in der Stadt bildet.


In der Diagonale

Diese Idee der Interaktion wird von den Architekten in der Disposition der Flächen mit äußerster Konsequenz umgesetzt. Um den Preis einer ungünstigeren Belichtung für einen Wohntrakt ist nämlich ein Büroriegel westseitig über Stege angedockt. Die diagonale Anlage von Büros und Wohnungen sowie der Sicht-und Rufkontakt für beide Arten von Nutzflächen zum Hof hin bleibt damit gewahrt.

Die rigide Zeilenbauweise der alten Moderne wird in dieser neumodernen Architektur gezielt hinterfragt, um ein städtisches Leben mit allen seinen Facetten und einem Mittelpunkt - dem ansteigenden Hof - anzustreben. Dazu zählt auch das Erlebnis zahlreicher Bepflanzung und kleiner, überschaubarer Bereiche, welches sich von der monotonen Wahrnehmung der „Plattenseen“ und dem sozialen „Abstandsgrün“ der Bauten aus den fünfziger bis siebziger Jahre deutlich unterscheidet.

Die Wohnungen selbst sind wie die gesamte Anlage von einer planerischen Strenge, die ohne jede postmodernen Kapriolen auskommen. Knappe Schlafzimmer und großzügige Aufenthaltsräume mit durchgehenden Loggien kennzeichnen die Geschoßwohnungen, während die Maisonetten die Dreidimensionalität der eigenen vier Wände auf elementar-reduzierte Weise vermitteln.

Die Fassadenarchitektur zu den Straßen und zum Hof hin sind auf der Höhe der Zeit. Ihre Instrumentierung lebt aus subtilen rhythmischenVerschiebungen der Fensterbänder und den Andeutungen von Ecksituationen, während die horizontale Gliederung ein altes Wiener Gründerzeitthema wiederholt. Die große städtebauliche Geste ist nicht Angelegenheit der Architekten. Vielmehr wissen sie um die Vorteile unterschiedlicher Bauepochen bescheid und versuchen daraus ein Ganzes zu gewinnen.

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