Pläne

Details

Adresse
Hill 1, 7093 Jois, Österreich
Mitarbeit Architektur
Matthias Raiger (PL), Klaus Rösel, San-Hwan-Lu, Eduard Begusch; Bauleitung: Josef Krailer, Purbach
Bauherrschaft
Leopold Hillinger, Leo Hillinger
Tragwerksplanung
Peter Schedl
Fotografie
Rupert Steiner
Planung
2001 - 2003
Ausführung
2003 - 2004

Publikationen

Presseschau

22. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

Fertigteilkeller mit Blickkanone

(SUBTITLE) Das Weingut Leo Hillinger im burgenländischen Jois von gerner°gerner plus

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch....

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch....

Scheitern als Chance. Die burgenländische Gemeinde Jois am Nordende des Neusiedler Sees rutschte Anfang der achtziger Jahre in ein tiefes Schuldenloch. Die Errichtung eines Yachthafens und der Kanalbau brachten Jois erst an den Rande des Ruins und dann in die Schlagzeilen. Der schlechte Ruf klebte zäh an der Gemeinde. Auch als man gegen Ende der Neunziger aus dem Gröbsten raus war, wurde die Erinnerung an den Fast-Bankrott mit jedem Schlagloch auf der Joiser Hauptstraße wieder wachgerüttelt.

In dieser Zeit kam das Architektenpaar Gerda und Andreas Gerner zusammen mit einer bauwilligen Familie das erste Mal nach Jois. Für eine Umgebung, die aussieht, wie die 1:1-Version einer Modellbahnanlage, auf der jemand wahllos ein paar putzige Häuschen verstreut hat, entwickelten gerner°gerner plus einen Mini-Wolkenbügel. Das schlauchförmige Haus stemmt sich in den Himmel und reckt die Fenster, um Seeblick zu bekommen. Das verstieß gegen sämtliche Baubestimmungen, aber der Bürgermeister sah darin ein Chance, Jois positive Presse zu bringen, und peitschte das Vorhaben durch alle Instanzen.

Der Erfolg gab ihm Recht. Für das Wohnhaus „suedsee“ bekamen die Architekten 2002 einen Metallbaupreis und ernteten viel Lob.

Für Leo Hillinger, Joiser Winzerssohn mit Dressman-Allüren und angeborenem Sinn für Marketing, war das ein Coup ganz nach seinem Geschmack. Die Aufteilung seines Betriebs in vier Produktionsstandorte störte ihn seit längerem, und da keiner davon die nötigen Erweiterungsflächen bot, beauftragte er gerner°gerner plus mit dem Entwurf für ein neues, großes Weingut am nördlichen Ortsrand von Jois, mitten in den Weingärten.

Selbst ein Betriebsgebäude war in dem geschützen Landschaftraum schwer zu rechtfertigen. Aber zumindest in der Anfangsphase packte der architekturbegeisterte Bürgermeister noch einmal mit an. Für die Architekten begann der Weg durch die Instanzen.

Mittlerweile, so ist zu hören, bereuen die burgenländischen Landesbehörden die zahlreichen Ausnahmegenehmigungen. Nicht weil der Bau die Erwartungen verfehlt hat, sondern wegen der Schlangen von ebenfalls Bauwilligen, die einen Präzedenzfall wittern.

Ein großer Teil, etwa zwei Drittel, sind in den Weinhügel vergraben. Die Produktions- und Lagerhalle wurde im „Tagebau“ unter die Oberfläche versenkt und bildet den langen Schenkel eines „L“. Am einen Ende der lang gestreckten Halle führt eine Rampe in den Weinberg hinauf, über die die Anlieferung der Trauben erfolgt. An der gegenüberliegenden Seite fügten die Architekten eine Box an, die sich als Sichtkanone über den Weingarten erhebt. Die Landschaft des sanften, zum See hin auslaufenden Tals erscheint hier, im Verkaufs-, Verkostungs- und Seminarbereich, wie eine fast unwirklich liebliche Fototapete. In den Blick zum Seeufer hingegen, gerahmt durch eine weiteres Fenster, schiebt sich im Vordergrund der Joiser Einfamilienhaushügel. Der See schimmert am Horizont wie die Luftspiegelung auf einer heißen Asphaltstraße.

Der monitorhafte Verkaufsraum ist teilweise in den Hang gegraben. Vorne ragt er einige Meter über den kleinen Parkplatz, gehalten von zwei schrägen Stützen. Dass die konstruktive Herausforderung dieser Geste plausibel abgearbeitet und auch dargestellt wird - sonst ein Markenzeichen von gerner°gerner plus - lässt sich hier nicht sagen. Ganz im Gegensatz zur Produktionshalle, wo Fertigteile den Rhythmus vorgeben, sollte die Empfangsbox clean und cool sein, mit makellosen Wänden, ohne störende Stützen. Aber so sehr dieser Baukörper zur dramatischen Geste ansetzt, so wenig „Fleisch“ hat die Architektur an dieser Stelle.

Nichts gegen coole Kisten und cleane Innenräume, die hier sehr schlüssig gelöst sind, mit lederbespannten Paravents, in denen alle den Blick störenden Einbauten verschwinden. Das Unbehagen entsteht auf der haptischen und strukturellen Ebene. Eine Außenhaut aus Thermoputz, die beim Dagegenklopfen ihren tragenden Betonkern verleugnet, zählt zu den unangenehmsten aller Baumaterialien und war ursprünglich auch nicht vorgesehen. Der Bau(herr) muss sich die Frage gefallen lassen, wieso sein Weingut sich so anfühlt wie die Einfamilienhäuser in der Umgebung.

Die strukturellen Einwände gehen in einen Bereich, der möglicherweise nur für Architekten plausibel ist. Aber dennoch: Warum kann ein Bau, der in seinen „technischen“ Bereichen wie ein Baukasten aus Fertigteilen zusammengesteckt ist, diese Sprache nicht auch dort verwenden, wo er ans Tageslicht tritt? Noch dazu, weil die Ausnahmesituation, dass es ein Gebäude an dieser Stelle gar nicht geben dürfte, die Latte sehr hoch legt. Ein technischerer Zugang, für den gerner°gerner plus als Architekten sogar prädestiniert gewesen wären, hätte den Bau plausibler und „organischer“ erscheinen lassen und das Eingangsgebäude davor bewahrt, seine starken Seiten nur im Innenraum auszuspielen. Bei aller Kritik: Dort ist die Verbindung zweier grundverschiedener Bauweisen sehr geglückt.

08. Mai 2004Ursula Graf
Spectrum

Mit Blick aufs Barrique

Immer mehr Winzer stellen nicht nur an ihre Weine höchste Ansprüche, sondern auch an die Produktionsstätten. Und unter Architekten ist die Bauaufgabe Weingut inzwischen so prestigeträchtig wie einst das Museum.

Immer mehr Winzer stellen nicht nur an ihre Weine höchste Ansprüche, sondern auch an die Produktionsstätten. Und unter Architekten ist die Bauaufgabe Weingut inzwischen so prestigeträchtig wie einst das Museum.

Wollte man heute ein Ranking der beliebtesten Bauaufgaben unter Architekten durchführen, würden Weingüter den rar werdenden Bauten für die Kunst den ersten Platz streitig machen. Mit dem zu Recht medial „gehypten“ Dominus-Weingut von Herzog & de Meuron (1998) ist das Bauen für die Kunst des Kelterns gewissermaßen in den Rang von Museumsbauten aufgestiegen.

Auch in Österreich zeichnet sich in den letzten Jahren auf Grund der florierenden Weinwirtschaft, aber auch gestützt durch landwirtschaftliche Förderprogramme der Europäischen Union, in diesem Sektor eine erfreuliche Entwicklung ab. Sieht man von der Weinerlebniswelt des „Loisiums“ von Steven Holl einmal ab, wo der Name des Architekten eine ganze Region touristisch aufwerten soll, so entwickelte sich schon im Vorfeld dieses Großereignisses eine äußerst spezifische, funktionalistische Architektur, die den enormen Qualitätsanspruch der Winzer an den Wein demonstriert. Diese Entwicklung wird von jungen Bauherren und jungen Architekten gleichermaßen geprägt. Ganz ohne historisierende Reminiszenzen, aber mit großer Sensibilität wurde das größtenteils intakte bauliche Erbe - in Kellergassen oder Innenhöfen innerhalb des Ortsverbandes - instand gesetzt und erweitert, mit umfassenden Neubauten ist man auf Grünland ausgewichen.

Innerhalb kürzester Zeit wurden beziehungsweise werden nun zwei neu errichtete Weingüter der interessierten Öffentlichkeit vorgestellt: das Anfang April eröffnete Südtiroler Weingut Manincor von Walter Angonese, Rainer Köberl und Silvia Boday und das nordburgenländische Weingut Hillinger von gerner°gerner plus, das Mitte Mai eröffnet wird. Beide Bauten führen exemplarisch eine mustergültige Einbettung in äußerst reizvolle Landschaften vor Augen.

Das Weingut Michael Graf Gŏess-Enzenbergs liegt nicht nur inmitten von Hügeln voller Rebhänge direkt an der Südtiroler Weinstraße mit Blick auf den Kalterer See, sondern schließt auch an das historische Anwesen des Gutshofes Manincor von 1608 an. Gŏess-Enzenberg erkannte das Potenzial der Lage, machte das Anwesen zu seinem Wohnsitz und beauftragte den aus Kaltern gebürtigen Architekten Walter Angonese, der im Umgang mit historischer Substanz (zum Beispiel Festung Kufstein-Josefsburg) eine Philosophie des „Weiterbauens“ entwickelte, mit dem Bau des Weinguts. Angoneses dialektische Betrachtungsweise von „verklärter Geschichte und geliebter Landschaft“ und zeitgenössischer Architektur nicht als Selbstbefriedigung abstrakter Zugänge, sondern im Kontext mit ihrer lebensweltlichen Umgebung zeitigte einen Bau, der Selbstverständnis ausstrahlt und eins ist mit seinem komplexen Umfeld. Traditionspflege in Form äußerster Zurückhaltung und Understatement zeichnen diesen unterirdischen dreigeschoßigen Bau mit einer bebauten Fläche von 3000 Quadrat- und einem Bauvolumen von 30.000 Kubikmetern aus. Der äußerst introvertierte Baukörper ist fast ausschließlich durch seine Innenräume und an den wenigen Rändern, wo einzelne Bauteile (Einfahrten und Verkostung) aus dem Erdreich ragen, erfahrbar. Die Überschüttung und Wiederbepflanzung mit Weinreben geht über eine landschaftskosmetische Dimension hinaus - sie isoliert, befeuchtet und schafft ein stabiles Kellerklima. Das Jahrtausende alte Thema Weinkeller wurde unter Ausnutzung des geophysikalischen Potenzials und auf ausgereiften önologischen Erfahrungen basierend „weitergespielt“.

Nichts stört hier die Ruhe der Weinwerdung. Der Kellereingang in Form eines enormen Betontrichters lässt zwar den vor Ort gegossenen Betonbau erahnen, gibt aber selbst bei geöffneten Kellertüren zwei raumhohe Stahlschiebetüren von 7 mal 12 Metern das Kellergeheimnis nicht preis. Dieses „riesige Maul“ (Rainer Köberl) - 550 Quadratmeter, gutteils unter freiem Himmel, mit einem schützenden, 13 Meter auskragenden Dach - wirkt wie eine demokratische Geste, die sorgsam den offenen Raumin einen Platz überführt.

Wie man trotz strengster Landschaftsschutzverordnung den Baukörper in die Weinberge integriert, ohne dabei auf dessen Wirkung und Erscheinungskraft nach außen zu verzichten, führen Gerda und Andreas Gerner meisterhaft vor. Am Ortsrand von Jois, inmitten der Weinhügel, liegt Leo Hillingers neues Weingut mit atemberaubenden Ausblicken auf den Neusiedler See, das Leithagebirge und die umliegenden Weingärten. Für den innovativen Winzer hat die Architektur ganz offensichtlich einen über den funktionalen Bedarf hinausgehenden Mehrwert. Ihm gefiel das preisgekrönte und viel publizierte Haus „sued.see“ (2001) von gerner°gerner plus, und er beauftragte daraufhin das Architektenduo mit dem Neubau seines Weinguts.

Gerda und Andreas Gerner verstünden es hervorragend, ihr sogenanntes abstraktes Ideal von konstruktiver Modernität auf die handfesten Bedürfnisse ihrer Bauherren abzustimmen, hält Otto Kapfinger fest, der weiters ihren ideologisch ungebundenen Avantgardismus hervorhebt. Der im Büro Helmut Richters geschulte Gerner sucht zudem industrielle Methoden im gegebenen Rahmen auszureizen. Ein Großteil des ungleichschenkeligen, L-förmigen Baukörpers mit einer Nutzfläche von 1500 Quadratmetern wurde aus Betonfertigteilen errichtet. Nur die Fundierungsarbeiten, die Hangstützmauern und die stark auskragenden Bauteile sind im Ortbetonverfahren hergestellt. Die Weinproduktion befindet sich im langen, im Erdreich versenkten Schenkel, der parallel zum Hang verläuft. Dieser eingegrabene Bauteil wird durch acht schräg gekappte und dadurch streng nach Norden orientierte Pyramidenstümpfe direkt belichtet. Im Inneren ergibt sich eine dramatische, sakral anmutende Lichtregie.

Der rechtwinkelig anschließende kürzere Gebäudeschenkel kragt als flache Stahlbetonschachtel auf V-förmigen Spritzbetonstützen aus dem Hang und beherbergt Verkostung und Verkauf. Hier öffnet sich das Bauwerk und lässt die weit ausgebreitete Landschaft über die zur Gänze verglaste Vorderfront wirken. Die Leichtigkeit und Durchlässigkeit des Gebäudes wird durch einen voll isolierverglasten Klimagang offenbar, der dem Besucher das Erlebnis ermöglicht, über eine Fertigbetonbrücke das Barrique-Lager im Untergeschoß einzusehen. Der extravertierte Bau setzt in allen Bereichen auf Transparenz: Nicht nur das Fasslager, sondern auch die Produktion ist einsehbar, und das flache Land um die Lange Lacke scheint sich im Gebäude breit zu machen.



verknüpfte Bauwerke
Weingut Manincor

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