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18. September 2004Walter Zschokke
Spectrum

Wie viel Raum braucht ein Werk?

Das Glanzstück ist die Decke: Im Rhythmus einer Sinuskurve hebt und senkt sie sich. Und bestimmt so den Raum wie die ersten Takte einen Walzer. Friedrich Kurrents Ausstellungshalle für die Werke Maria Biljan-Bilgers.

Das Glanzstück ist die Decke: Im Rhythmus einer Sinuskurve hebt und senkt sie sich. Und bestimmt so den Raum wie die ersten Takte einen Walzer. Friedrich Kurrents Ausstellungshalle für die Werke Maria Biljan-Bilgers.

Entlang der Straße, die nach Westen aus dem niederösterreichischen Dorf Sommerein strebt, reihen sich die Weinkeller. Das knappe Dutzend in die Böschung hineingebauter Stirnfassaden wird angeführt von einem Gebäude mit breiter, im Mittelteil steil aufragender Giebelmauer, in dessen Kern sich eine vermutlich spätmittelalterliche Kapelle verbirgt, an die, längst säkularisiert, zu beiden Seiten angebaut wurde. Sie markiert die Grenze des Wohngebiets. Das von Mauern eingefasste Geviert könnte vor Jahrhunderten ein Friedhof gewesen sein, aber so genau weiß man das nicht. Dahinter, im Süden, liegt ein aufgelassener Steinbruch, in dem Leithakalk gebrochen wurde.

Seit den 1970er-Jahren dienten Gebäude und Garten der bildenden Künstlerin Maria Biljan-Bilger (1912 bis 1997), die für ihre bildhauerischen Arbeiten den Leithakalk schätzte, als Atelier und Sommerwohnort. Vor etwas mehr als zehn Jahren konnte ein rückwärtig anschließender, trapezförmiger Grundstücksstreifen dazuerworben werden, mit dem Ziel, darauf eine Ausstellungshalle für Werke aus dem Besitz der Künstlerin sowie verstreute, vom Zeitgeist verschmähte und mit Glück gerettete Arbeiten zu errichten. Er war mit Abraum des Steinbruchs angefüllt, so dass sich erst später herausstellte, dass sich eine verbliebene Felskante diagonal durch das Grundstück zieht. Architekt Friedrich Kurrent, Lebenspartner der Künstlerin und Spiritus Rector des Unternehmens, begann 1994 mit der Planung. Ein Verein der Freunde wurde gebildet, und endlich flossen Fördergelder vom Land Niederösterreich, vom Bund, und auch die Gemeinde trug das Ihre dazu bei, so dass am 1. Mai dieses Jahres eröffnet werden konnte.

Das Grundstück ist bloß 36 Meter lang, die Ostseite, wo der Eingang von einer Stichgasse her erfolgt, misst 20 Meter, die kontinuierlich auf 13 Meter im Westen schrumpfen. Der erste Plan sah vor, darauf flächenfüllend eine zweischiffige Halle zu errichten, was von dem zum Vorschein gekommenen Fels durchkreuzt wurde. Nun ist sie um ein Drittel kürzer und im hinteren Teil etwas eingeschränkt, dafür ist die Präsenz der Felskante ein Gewinn für die Raumstimmung in der Halle.

Als ordnendes Element wirkt die Natursteinmauer im Süden, die in einem Rhythmus von sechs Metern jeweils durch einen Mauerpfeiler verstärkt ist. Das Baumaterial stammt von einem abgebrochenen Gasthaus im Dorf. Zwischen den Pfeilern ziehen sich Steinbänke, die bei Sonnenschein zum Sitzen einladen. Die Krone der Mauer onduliert nun zwei Wellen lang in einer Sinusschwingung, deren Amplitude unmerklich abnimmt. Genau genommen, verebbt sie im Schnittpunkt der nach etwa 150 Metern sich schneidenden Geraden der beiden Grenzlinien. Doch davon merkt der Besucher im Innenraum wenig, meint er doch, in den um einige Grade vom orthogonalen Netz abweichenden Ecken rechte Winkel zu erkennen; und der unmerklich zusammenlaufende Raum wirkt vom Eingang her kürzer, in der Gegenrichtung länger. In Hinblick auf den imaginären Schnittpunkt irgendwo am Ende der Kellerzeile denkt man an den tröstenden Vers Christian Morgensterns, dass sich selbst Parallelen in der Unendlichkeit treffen werden.

Friedrich Kurrent hat die Illusion freilich noch etwas zugespitzt, indem auch der Boden leicht ansteigt, so dass die Stirnseiten des südlichen Hallenschiffs vorn und hinten ähnliche Proportionen aufweisen und man ohne Grundriss zuerst einmal gar nichts merkt von dieser besonderen räumlichen Spannung, aber nichtsdestotrotz davon gefangen genommen wird. Das nördliche Hallenschiff verengt sich nun im Rhythmus der Stützen, weil die Felskante sich breit macht und am Ende auch in den Raum drängt.

Obwohl man beim Eingangstor zu ebener Erde den Raum betreten hat, kommt nun ein Gefühl des Sich-unter-der-Erde-Befindens auf, eine spezifische Geborgenheit, wie sie höhlenartigen Räumen eigen ist. Eine Pforte führt zuhinterst wieder ins Freie, man findet sich in einem allseitig mehr als kopfhoch eingefassten Außenraum wieder: auf der Südseite begrenzt durch die weitergeführte Natursteinmauer, im Norden umfasst von der ausbuchtenden Felskante. Den Raum beherrscht eine blockhafte Skulptur aus römischem Travertin. Drei Stufen in einem schmalen Durchlass leiten über zum Freiraum hinter der Ausstellungshalle, wo jene Reliefmauer steht, die Maria Biljan-Bilger für das längst abgebrochene Ausflugsrestaurant „Bellevue“ (1959 bis 1963) der Architekten Traude und Wolfgang Windbrechtinger schuf, sowie Kinderhäuser aus Steinzeug aus dem Kinderbad Hietzing, die in dieser Umgebung gut zur Geltung kommen.

Aber das Glanzstück des die Sachzwänge subtil überspielenden Entwurfs für das Bauwerk ist die Hallendecke. Während der Längsträger, der die beiden ungleichen Hallenschiffe zoniert, auf drei Rundstützen aus Stahlbeton horizontal verläuft, hebt und senkt sich die Decke an den Seiten im Rhythmus von Sinuskurven, so dass sich flache Gewölbe mit gebauchten Flächen abwechseln. Diese wenigen Schwingungen bestimmen den Raum wie die ersten Takte einen nachfolgenden Walzer. Erzeugt werden sie, wie dies bei Regelflächen so üblich ist, durch Geraden, deren Lage durch die gegenläufigen Sinuskurven der Seitenmauerkronen und die Gerade des Hauptträgers in der Mitte vorgegeben werden. Konstruktiv umgesetzt sind sie mit armierten Trägern aus Ziegeln und Beton, wie sie bei Tonhohlkörperdecken verwendet werden. Allerdings sind sie hier fugenlos nebeneinander verlegt, wobei die längstmögliche Spannweite gerade ausreichte. Der Versatz der Träger ergibt ein feines Stufenmuster, das an der Decke aufscheint und verschwindet, entsprechend dem Kurvenschwung der Flächen. Ein armierter Überbeton verbindet die Einzelelemente statisch zur Platte.

Mit dieser Decke gewinnt die Halle jene Besonderheit, die sie zum architektonischen Raum, zur Ausstellungshalle für die Steinzeug-Figuren von Maria Biljan-Bilger werden lässt. Hohes Seitenlicht, das durch breite Öffnungen unter den Wölbungen eindringt, betont deren Plastizität und erweckt sie zum Leben. Vertikale Lamellen aus Stahlblech regeln den Lichteinfall und halten Wind und Wetter ab. Quadratische Ausblicksfenster zielen auf die Felsformationen des verlassenen Steinbruchs und halten die Erinnerung lebendig, wo man sich befindet. Ihre Kraft bezieht die Halle neben der räumlichen Qualität aus dem ,Infinito' des bewusst im Rohbau angehaltenen Bauverlaufs.

Friedrich Kurrent, dem Wenigbauer und wichtigen Lehrer, ist damit ein Hauptwerk gelungen. Und ich wiederhole eine Überlegung zur Ausstellungshalle „La Congiunta“ in Giornico, Schweiz, von Peter Merkli, die er für Werke von Hans Josephson errichtete: „Wie viel Raum braucht ein Kunstwerk? Vielleicht so viel, als es Kraft enthält, dass es Menschen dazu bewegt, diesen Raum zu schaffen.“

Die Ausstellungshalle ist von April bis Oktober samstags und sonntags von 10 bis 12 und 14 bis 18 Uhr geöffnet.

09. Mai 2004Oliver Elser
Der Standard

„Ich hatte zwei Lehrer: Maria und Loos“

Ein Schatzhaus für die Geliebte: Friedrich Kurrents Kunsthalle in Sommerein

Ein Schatzhaus für die Geliebte: Friedrich Kurrents Kunsthalle in Sommerein

Sie war 19 Jahre älter als er. Kennen gelernt haben die beiden sich 1958 und fuhren noch im selben Jahr zusammen nach Sardinien. Maria Biljan-Bilger hatte gerade ihr dreißig Meter langes Wandrelief für Roland Rainers Wiener Stadthalle fertig gestellt und sich bereits mit zahlreichen Ausstellungen, darunter die Biennalen von Venedig und Sao Paulo, einen Namen gemacht. Sie zählte zu den Gründungsmitgliedern des Art-Club, der legendären Geburtsstätte der österreichischen Nachkriegsmoderne im Keller von Adolf Loos' Kärntnerbar. Der Ort war eher Zufall als Programm, denn das kulturelle Kurzzeitgedächtnis hatte den Namen Loos gelöscht. Ihn wiederzuentdecken, daran sollte der junge Architekt Friedrich Kurrent später einen nicht geringen Anteil haben, der eine Kirche gebaut und einen Auftrag für eine zweite in der Tasche hatte, als er 1958 bei der Innenarchitektin Anna-Lülja Praun auf die Künstlerin Biljan-Bilger trifft, da war er sechsundzwanzig.

Kurrent ließ sich einen Bart wachsen und packte die mit jeder großen Liebe verbundene Chance, dem Leben einen neuen Horizont zu geben. „Die Erotik, die in einem Moment alle hundertausend Teilaspekte zusammenfaßt, ist eine heiße, lebensspendende Blüte. (...) Erst dadurch wurde ich zum Mensch“, schreibt Kurrent in seinem autobiografischen Werkkatalog „Einige Häuser, Kirchen und dergleichen“ (Verlag Anton Pustet 2001, � 35,50) über die Begegnung.

Ohnehin vielseitig interessiert und keine Gelegenheit versäumend, aus dem engen Korsett des Bauens und Denkens der Nachkriegsjahre auszubrechen, führte ihn Maria Biljan-Bilger in ihre Welt archaischer Formen, die sie in Keramikskulpturen und Wandteppichen bearbeitete. Ornamente, das wusste auch Loos, waren nur dann ein Verbrechen, wenn sie ihre kulturellen Wurzeln verloren haben. Die Nachkriegsjahre boten für eine mythisch durchtränkte Kunst ein günstiges Klima. Im ideologiegeschüttelten Europa sehnten sich nicht wenige danach, unter den brüchig gewordenen Zivilisationsschichten ein neues Fundament zu finden. Es war andererseits aber eine recht überschaubare Gemeinde, die Maria Biljan-Bilgers Arbeiten zu schätzen wusste. Vom Kunsthandel hielt sie sich fern, arbeitete lieber mit Architekten zusammen und leitete von 1970 bis 1987 das Bildhauersymposion in St. Margarethen.

Nur wenige Jahrzehnte nach der Entstehung waren etliche Werke bereits akut bedroht. Die Sandsteinwand am Ausflugslokal „Bellevue“ des Architektenpaars Windbrechtinger, die Skulpturen im Kinderfreibad Floridsdorf, Pflanztröge aus dem Einkaufszentrum Hietzing - einiges konnte gerettet werden, aber wohin?

So entstand in den letzten Lebensjahren der Plan, in Sommerein ein Refugium geretteter und nie verkaufter Kunst zu errichten. Ab 1962 hatte sich das Paar dort in einer alten Kapelle am Rand eines aufgelassenen Steinbruchs ein Sommerhaus eingerichtet, später erweiterte die Gemeinde das Grundstück im Tausch für neue Kirchenfenster. 1997 verstarb Maria Biljan-Bilger im Alter von fünfundachtzig Jahren, da standen bereits die Bruchsteinmauern. Sieben Jahre später, am 1. Mai, ihrem Todestag, wurde die Halle mit einem Architektenvolksfest eröffnet.

Zunächst finanzierte Kurrent den Bau aus eigenen Mitteln, später gründete sich aus dem Freundeskreis ein Verein, der Spenden, Fördergelder und Preisnachlässe der Baufirmen einsammelte und weiterhin aktive Mitglieder sucht (maria-biljan-bilger.at).

Am Wochenende ist zwischen Mai und Oktober (10-12 und 14-18 Uhr) die Halle nun geöffnet. Auch in den restlichen Monaten ist das Gelände begehbar. Der Steinbruch wurde von der Gemeinde in eine Grünfläche verwandelt, die Felswände blieben roh und ungesichert.

Kurrents Halle nimmt die Rauheit ihrer Umgebung auf. Mit den Steinen eines Abbruchhauses mauerte sich ein Trupp türkischer Bauarbeiter, der sonst an der Hainburger Stadtmauer tätig ist, exakt an den Grenzen des Grundstücks entlang. Niemand sonst aus der an Steinbrüchen reichen Umgebung des Leithagebirges war dazu noch in der Lage. Mit der geschwungenen Dachkonstruktion antwortet der Bau auf die Gewölbe der Weinkeller in unmittelbarer Nachbarschaft. Die Halle sei eigentlich ein „Unterstand“, meinte der Filmtheoretiker Peter Kubelka bei der Eröffnung. Keine Wärmedämmung, rostige Lamellen statt Fenstern, mehr ein Werk- als ein Ausstellungsraum, kraftvoll wie die Kunst Maria Biljan-Bilgers.

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