Details

Adresse
Josefsdorf 2, 1190 Wien, Österreich
Planung
1934
Fertigstellung
1935

Presseschau

26. Mai 2004Thomas Rottenberg
Der Standard

Kahlenberg: Ruine oder Baudenkmal?

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Wien - „Das ist eine blöde Situation“, meint Leopold Wieninger. Und er wisse nicht so genau, wem er nun glauben schenken soll. Schließlich, so der Großbäcker (Bäckerei Mann), der im August 2003 das Hotel am Kahlenberg samt angrenzendem Restaurant gekauft hat, gebe es „solche und solche Experten“. Die einen, seufzt Wieninger im Gespräch mit dem STANDARD, sagen ihm, dass das Restaurant eine Ruine sei, während andere „nun auftauchen und sagen, das sei schützenswert“.

Grund für des Bäckers Klage: Nachdem der Gemeinderat Anfang Mai mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ den Abriss der Bauten am Berg genehmigte, formiert sich nun - DER STANDARD berichtete - Widerstand. Nicht gegen den Abriss des 1964 errichteten, seit Ewigkeiten leer stehenden und von der Stadt aus gut sichtbaren Hotels, sondern gegen den des daneben gele- genen Restaurants. Dieses ist im Zuge des Baus der Höhenstraße von 1934 bis 1936 von Erich Boltenstern entworfen worden - und gilt als eines der Hauptwerke des Architekten.

Doch während am desolaten Zustand des Hotels kein Zweifel besteht, sind Denkmalschützer, Architekten, Grüne und nicht zuletzt Boltensterns Söhne Erich und Sven überzeugt, dass die Substanz des Restaurants erhaltenswert ist.

„Substanz erhalten“

„Die Substanz“, erklärte Erich Boltenstern (der Sohn) vergangenen Freitag bei einer von der „Österreichischen Gesellschaft für Architektur“ (ÖGFA) und den Grünen angesetzten Besichtigung des Gebäudes, „ist erstaunlich gut erhalten.“ Das habe auch eine Begehung durch das Bundesdenkmalamt mit dem renommierten Architekten Friedrich Achleitner ergeben. Kernproblem in der öffentlichen Diskussion sei, dass „die Leute das Hotel sehen - und mit dem Restaurationsbetrieb gleichsetzen“.

Dass Letzterer heute im Inneren den Charme einer Autobahnraststätte versprüht, kann man Boltenstern nicht vorwerfen. Die Grundidee Boltensterns, erklärte ÖGFA-Guide Iris Meder, sei heute noch zu erkennen: Der Architekt hatte einen in mehrere Sektionen gegliederten Betrieb entworfen. In fünf Sälen und auf drei Terrassen - eine davon nach Heurigenmanier für Selbstversorger - sollten für bis zu 3500 Gäste aus allen Bevölkerungsschichten adäquate Bewirtungsangebote geboten werden.

Über die Jahre haben aber Formatgastronomie und Bus-und Systemtourismusphilosophien Interieur wie Ambiente einem kleinsten gemeinsamen, grausamen Nenner angepasst. „An der hohen architektonischen Qualität“, so ÖGFA-Sprecherin Judith Eiblmayr, „ändert das nichts.“

Wieningers Pläne (Architekt: Heinz Neumann) - ein Appartementhotel, ein Restaurant und eine Tourismusfachschule - seien überdies „formal nicht viel anders“ als das Original, erklärte Wiens Landeskonservatorin Barbara Neubauer schon Anfang Mai im STANDARD. Ihrer Ansicht nach könne der Boltenstern-Bau „integriert werden“.

Für den Bauherrn selbst ist das nicht so klar: Er sei, erklärt er, „für Vorschläge offen“, betone aber, dass „ich kein Mäzen bin. Großgastronomie wie in den 30er-Jahren ist heute nicht kostendeckend.“ Überdies sei das Restaurant seinen Experten zufolge „de facto eine Ruine“.

Solange er keine amtlichen Unterlagen habe, die das Gegenteil dokumentieren, werde er an seinem Projekt festhalten. „Im schlimmsten Fall passiert gar nichts - dann schaut es dort oben weiter aus wie bisher. Und das wäre die allerschlechteste Lösung.“

11. Mai 2004Der Standard

Später Schutz für Kahlenberg-Restaurant

Neue Erkenntnisse kurz vor Abriss - Denkmalamt verhandelt mit dem Eigentümer

Neue Erkenntnisse kurz vor Abriss - Denkmalamt verhandelt mit dem Eigentümer

„Wir möchten sicher nicht das Gesamtprojekt kippen“, betont Landeskonservatorin Barbara Neubauer im STANDARD-Gespräch. Und selbstverständlich sei das Bundesdenkmalamt „lebhaft interessiert, dass am Kahlenberg endlich Verbesserungen stattfinden“. Andererseits aber hätten neueste Forschungen ergeben, dass Teile des vor sich hin bröselnden Kahlenberg-Ensembles dem Frühwerk des Wiener Architekten Erich Boltenstern zuzuordnen sind - und daher durchaus schützenswert sind.

Das Original sei „formal nicht viel anders als die aktuellen Pläne von Architekt Heinz Neumann und könnte integriert werden“, ergänzt Neubauer. Neumann sieht zwei flache Gebäudeteile vor, in die ein „Boarding House“ für internationale Gäste und einen Gastronomiebereich untergebracht werden sollen, ergänzt durch die Tourismus-Fachhochschule „Modul II“.

Vor allem die FPÖ reagierte am Montag empört: Der „Schandfleck“ sei „in keiner wie auch immer gearteten Weise schützenswert“, will FP-Klubobmann Hilmar Kabas wissen. Er fordert „daher: weg damit!“ Günter Kenesei, Planungssprecher der Wiener Grünen, spricht sich für eine Erhaltung aus, eine Symbiose aus Alt und Neu sei durchaus möglich. Kenesei schlägt dem Planungsausschuss eine Begehung vor. Davon will die SPÖ nichts wissen: Der Abbruchbescheid sei „mit großer Mehrheit beschlossen“, beharrt Ausschussvorsitzender Johann Driemer.

Neubauer will jedenfalls noch diese Woche weitere Gespräche mit dem Projektbetreiber Leopold Wieninger führen, ob und wie das historische Restaurant in den Neubau integriert werden kann.

20. März 2004Oliver Elser
Der Standard

Kein Licht am Ende der Höhenstraße

(SUBTITLE) Das Kahlenberg-Restaurant soll durch einen Neubau ersetzt werden

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand...

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand...

Straßen, die nicht nur dazu dienen, von A nach B zu gelangen, sind ein Anachronismus, aber es gibt sie noch. Eines der wenigen noch im ursprünglichen Zustand befahrbaren Beispiele ist die Wiener Höhenstraße. Ihr touristischer Wert mag in Zeiten, in denen die jährliche Flugreise zu den Glücksdrogen breiter Bevölkerungsschichten zählt, ein wenig gesunken sein. Aber die zahllosen grünen Hinweisschilder, die den Autofahrer aus dem Stadtgebiet zur Höhenstraße leiten, gibt es noch und damit ein vages Bewusstsein, das auch eine „Straße an sich“ das Ziel eines Ausflugs sein kann. Die meisten Höhenstraßenbenutzer dürfte jedoch weniger das Knattern des Kleinsteinpflasters, die Haarnadelkurven oder die Landschaftsausblicke interessieren. Ihr Ausflugsverhalten wurde von der Generation der heute Siebzig- bis Neunzigjährigen geprägt, die mit dem ersten eigenen VW-Käfer aus der Stadt flüchteten, in einem Naherholungsgebiet ein bisschen herumspazierten, um dann in einem Gasthaus eine Jause zu sich zu nehmen.

Als die Höhenstraße und ihr touristischer Ziel- und Höhepunkt, das Kahlenbergrestaurant, entstanden, in den Jahren 1935 bis 1938, war die individuelle Massenmobilität noch ein visionäres Programm. Straße und Bauwerk scheinen eher zur Nachkriegszeit zu passen, wären da nicht die ideologische Nähe zur „Autowanderbewegung“ des NS-Regimes und die Vermutung, die Höhenstraße sei ein Arbeitsbeschaffungsprojekt gewesen, was von dem Historiker Georg Rigele (Die Wiener Höhenstraße, Wien 1993) aber bestritten wird.

Während die Straße noch weitgehend intakt ist und sofort in den Status des Weltkulturerbes erhoben werden könnte, bekam das von Erich Boltenstern 1936 fertig gestellte Restaurant die ganze Wucht der gastronomischen Moden zu spüren. Die verschiedenen Speisesäle und Gastgartenbereiche für jede Einkommensschicht wurden in den vergangenen Jahrzehnten in zwei kulinarische Gruselkabinette verwandelt, gegen die jede Rosenberger-Raststätte als Architekturperle durchgehen kann. Die Karikatur eines Heurigen auf der einen und ein schauriges Schlachtfeld in Pastellfarben, Chromleisten und Granitplatten auf der anderen Seite sind aber selbst an Werktagen für die zahlreichen Besucher kein Hinderungsgrund, auf den Kahlenberg zu kommen und den Blick auf Wien zu genießen. Immerhin bekommen die meisten einen Platz in der ersten Reihe.

Das soll sich nun ändern. Wie bereits vor einigen Wochen im STANDARD berichtet wurde, hat der Wiener Großbäcker Leopold Wieninger („Der Mann, der verwöhnt.“) das Gelände gekauft und will die bestehenden Gebäude abreißen lassen. Für etwa 20 Millionen Euro sollen dort eine Hotelfachschule, ein so genanntes Boardinghaus und wieder ein Restaurant mit großer Terrasse entstehen. Die Architekten sind Eric Steiner und Heinz Neumann, die in Wien mehrere Hochhäuser (Uniqa am Schwedenplatz, Justizzentrum im City Tower am Bahnhof Wien Mitte u.a.) errichtet haben und derzeit eine Umbauung des denkmalgeschützten Westbahnhofs planen.

Der Abriss des Restaurants und eines 1964 durch den Architekten Hermann Kutschera hinzugefügten Hotels sei unumgänglich, sagt Eric Steiner, der selbst noch bei Erich Boltenstern an der Technischen Universität studiert hat. Der vom Bauherren gewünschte Funktionsmix wäre die einzige Chance zur Wiederbelebung des Kahlenbergs, könne aber nicht im Bestand untergebracht werden, dafür seien die Anforderungen zu speziell.

Dagegen ist schwer zu argumentieren, liegen doch keinerlei Machbarkeitsstudien vor, denn der private Bauherr ist dazu nicht verpflichtet. Auf Seiten der Stadt Wien scheint das Interesse am Kahlenberg nicht sehr groß zu sein, denn Wieninger konnte mit dem Grundstück auch eine bereits genehmigte Planung (Architekten: Neumann und Steiner) erwerben, die eine viel höhere Bebauungsdichte vorsah, als jetzt realisiert wird. Doch auch diese moderate, die bisherige Silhouette nur geringfügig verändernde Variante birgt - vom Verlust des Boltenstern-Baus einmal abgesehen - einige Überraschungen, die nur im direkten Vergleich mit dem Bestand und auf den Plänen sichtbar werden. Da ist zum einen der Verlust der Aussichtsplattform am Ende des lang gestreckten Ensembles. Den Rundumblick über Wien und die Donaustadt haben zukünftig nur noch die Gäste des Boardinghauses, die in die eiförmigen Frühstückskanzel auf dem Dach des Hauses gelangen. Das Privileg, die Neubausiedlungen der sechziger Jahre auf der nördlichen Donauseite ausgeblendet zu bekommen, haben nur die Besucher der Sonnenterrasse vor der freigestellten Kirche. Vor ihnen öffnet sich ein für touristische Primärinteressen bereinigter Blickkorridor. Nur werden dort nicht mehr so viele wie bisher die Aussicht genießen können. Die „demokratische“ Sitzordnung Boltensterns, der die Tische in langen Reihe entlang der Hangkante auffädelte, um die besten Plätze zu maximieren, wird sich auf den Quadratflächen von neuem Restaurant und Gastgarten nicht realisieren lassen.

Mit Boltensterns Restaurant und dem immerhin recht kühn auf die Kante gesetzten Hotel von Kutschera droht nicht nur ein unter vielen Renovierungsschichten verborgenes Gebäude verloren zu gehen, dessen Wert für die Wiener Moderne die Architekturhistorikerin Iris Meder im folgenden Interview erläutert. Abriss und Neubau würden auch das ideelle Gegengewicht der Höhenstraße zerstören. Die Zeiten, in denen bis zu 4000 Gäste am Kahlenberg bewirtschaftet werden konnten, mögen zwar vorbei sein. Aber das Prinzip, den Wienern an einer einzigartigen Stelle ein einzigartiges Speisezimmer zu bieten, das auf historischen Fotografien so aussieht, als hätte man auf's Deck eines Flugzeugträgers eine endlose Reihe von Tischen gestellt, dieses Prinzip dürfte doch auch im Zeitalter der Privatisierung von Aussichtspunkten nicht ohne Reiz sein.

DER STANDARD: Frau Meder, Sie arbeiten zur Zeit an einer Ausstellung über Erich Boltenstern (1896-1991), die im Herbst 2005 im Wienmuseum gezeigt wird. Welchen Stellenwert hat die Kahlenberg-Anlage im Werk des Architekten?

Iris Meder: Sie ist zusammen mit dem Krematorium in Graz einer der wenigen Zwischenkriegsbauten Boltensterns. Die halte ich für bedeutender als seine zahlreichen, nach 1945 entstandenen Werke wie den Ringturm, den Wiederaufbau von Börse und Oper sowie die Gebäude für die Nationalbank. Das alles ist gute Nachkriegsarchitektur, aber nichts, was international wegweisend wäre. In der Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit Judith Eibl- mayr entsteht, soll es nicht darum gehen, Boltenstern als genialen Architekten zu präsentieren. Er ist eine historisch interessante Figur: Ein Moderner, der nicht emigriert ist, aber seine Professur verloren hat. Nach 1945 wurde er einer der einflussreichsten Architekten Wiens.

Was macht dann das Kahlenberg-Restaurant so bedeutsam?

Meder: Ich würde es „reflexive Moderne“ nennen. Erich Boltenstern stand in der Tradition von Adolf Loos, Josef Frank und Oskar Strnad, die aber jeweils fast nur Einfamilienhäuser gebaut haben, in denen Moderne und Tradition zu etwas Neuem, sehr Einzigartigem verbunden werden. Das wurde seinerzeit auch international wahrgenommen. Das Kahlenberg-Restaurant ist einer der wenigen größeren Bauten dieser „Wiener Schule“.

Wäre das ein Argument, den Bau zu erhalten?

Meder: Ja, auf jeden Fall. Am Kahlenberg fehlt nur ein gastronomisches Konzept. Die Leute werden weder wegen Boltenstern, noch wegen Neumann und Steiner auf den Kahlenberg kommen.

9 | 8 | 7 | 5 | 6 | 4 | 3 | 2 | 1