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08. Mai 2008Thomas Rottenberg
Der Standard

Mehr als nur Bauklötze

Kinder- und Jugendprogramm in ganz Österreich

Kinder- und Jugendprogramm in ganz Österreich

Wien - Die Sache mit den Bauklötzen hat schon ihre Berechtigung. Schließlich gehört das Modellhäuserbauen mit zu den wichtigsten Spielformen, mit denen Kinder ihre Umwelt erleben und verstehen lernen: Was hält? Was nicht? Was funktioniert? Und wieso fühlt sich das Meerschweinchen in dem tollen Haus, das man ihm da aus Karton und Holzstücken gebastelt hat, so überhaupt nicht wohl?

Kinder entwerfen und planen ihre Welt. Und sie hinterfragen gnadenlos alles, was ihnen vorgesetzt wird. Das kann unbequem sein. Und mühsam. Und lästig. Oder aber das Gegenteil: erfrischend, horizonterweiternd und zukunftsweisend. Die Entdeckung von Räumen mit Kinderaugen steht auch den Erwachsenen gut zu Gesicht - auch, weil es die Großen zwingt, die Welt aus einer ganz anderer Perspektive zu sehen.

Darum ist es mehr als eine reine Pflichtübung, dass die Architekturtage 2008 von einem vielfältigen Kinder- und Jugendprogramm begleitet werden. Über 40 verschiedene Veranstaltungen in allen Bundesländern - entstanden in Kooperation mit KulturKontakt Austria - bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Architektur aktiv und kreativ zu erleben und zu entdecken.

In Salzburg etwa sollen Kinder unter dem Titel „Das Wohnzimmer vor der Tür“ selbst die Qualität der Freiräume von Siedlungsanlagen untersuchen. In Innsbruck werden Kinder und Jugendliche auf eine Schnitzeljagd geschickt, bei der die Stadt mehr als bloß optisch neu entdeckt werden soll. Schließlich gibt es auch noch Alltagsgeräusche, Gerüche, Ampelphasen und die Geschwindigkeit der Stadt.

In Vorarlberg will man sich dagegen mehr auf die Ohren verlassen: Studierende des Landeskonservatoriums Feldkirch werden versuchen, bestimmten Raumsituationen Instrumente und Musikstile zuzuordnen. Aber natürlich wird auch auf haptisch Erfahrbares gesetzt: In Graz wie Linz, in Spittal/Drau wie in Niederösterreich und natürlich auch in Wien werden Kinder in Workshops mit den verschiedensten Werkstoffen ausrücken, um zu bauen. Und dann werden die Erwachsenen staunen.

Der Standard, Do., 2008.05.08

22. Oktober 2005Thomas Rottenberg
Der Standard

Holzauge wandert durch Wien

Die Stadt ist aus Stein, Glas und Stahl. Christian Fischer (Fotos) und Thomas Rottenberg (Text) gingen Holz suchen.

Die Stadt ist aus Stein, Glas und Stahl. Christian Fischer (Fotos) und Thomas Rottenberg (Text) gingen Holz suchen.

Die Kellnerin war ungehalten. Weil sie die Kinder schon zum dritten Mal heruntergestampert hatte: Wozu, seufzte sie - mehr resigniert denn sauer -, habe der Heurigenwirt wohl einen Kinderspielplatz in den hinteren Gartenbereich gestellt, wenn die Kleinen doch auf dem alten Baum im Hof herumklettern würden? Der Baum sei alt - uralt - und ein amtlich für schützenswert befundenes Naturdenkmal. Und sie wisse, referierte die Kellnerin, nicht, was wohl schlimmer wäre: Ein Kind, das sich beim Runterfallen verletzt - oder ein Stück Baum, das zu Schaden käme. Daher: „Obe vom Ba'm! Dalli!“

Natürlich gehorchten die Kinder. Und maulten: „Baumklettern“, raunzte ein Bub, „kenne ich nur aus dem Fernsehen.“ Und das einzige Holz, mit dem er in Kontakt käme, sei jenes im Wohn- und Schulbereich: Tisch, Bett, Bücherregal und Parkettboden.

Dabei stimmt das gar nicht. Aber das hat viel mit der Wahrnehmung des gewohnten Lebensumfeldes zu tun: So wie Fledermäuse den Weg vom Schlafplatz zum Jagdrevier - sonarpiepskräfteschonend - quasi „blind“ fliegen, zieht der Städter mit geschlossenen Augen seines Weges: Die Stadt ist aus Stein. Und dort, wo sie modern ist, aus Beton und Stahl. Wozu schauen?

Und so existiert schon der „Stock im Eisen“ am Stephansplatz nur für Touristenaugen. Und die Griffe an den Türen jener Geschäfte, die - egal ob Flagshipstore in der Innenstadt oder Einzelhandelsrelikte in Randlage - der Versuchung von Schiebe- und Drehtüren widerstehen konnten, sieht auch keiner mehr. Genau wie Fenster und Haustore, Geländer und Barrieren, Schanigärten und Blumenkisten. Erst wenn diese Versatzstücke von Natur in der Stadt ummaterialisiert sind, fällt der Verlust auf. Früher wurden alle Baustellen mit Holzplanken von der Außenwelt getrennt - heute wachsen metallene Bauzäune: Was auffällt, ist die Veränderung zum weniger Schönen - denn dass heute auf Kinderspielplätzen verstärkt (Rindenmulch als weiche Unterlage, Holz für Klettergerüste) Holz verwendet wird, wird - da so selbstverständlich - nicht einmal registriert.

Die Probe aufs Exempel machte da das Wiener Designer-Tischlerpaar Katja und Werner Nussbaumer. Sie holten die hölzernen Sitz- und Lehnschalen aus ausrangierten Straßenbahnen und bauten „Straßenbahnsessel“. Für zu Hause - und plötzlich fiel den Leuten auf, dass da jeder Sitz eine andere Maserung und eine andere Farbe hat. Weil kein Stück Holz dem anderen gleichen kann. Aber keiner hatte je darauf geachtet.

Denn Städter haben verlernt, Holz zu sehen - sogar wenn es in Augenhöhe über den Weg ragt: Der alte Baum des Pötzleinsdorfer Heurigen streckt seine Äste unmittelbar vor den Toiletten quer über den Hof. Und es vergeht kein Abend, ohne dass sich zumindest zwei Gäste die Stirn am Naturdenkmal anhauen. „Die Leut“, kommentiert die Kellnerin, „haben einfach verlernt zu schauen - die haben nix als Bretter vor dem Kopf.“

Der Standard, Sa., 2005.10.22

26. Mai 2004Thomas Rottenberg
Der Standard

Kahlenberg: Ruine oder Baudenkmal?

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Wien - „Das ist eine blöde Situation“, meint Leopold Wieninger. Und er wisse nicht so genau, wem er nun glauben schenken soll. Schließlich, so der Großbäcker (Bäckerei Mann), der im August 2003 das Hotel am Kahlenberg samt angrenzendem Restaurant gekauft hat, gebe es „solche und solche Experten“. Die einen, seufzt Wieninger im Gespräch mit dem STANDARD, sagen ihm, dass das Restaurant eine Ruine sei, während andere „nun auftauchen und sagen, das sei schützenswert“.

Grund für des Bäckers Klage: Nachdem der Gemeinderat Anfang Mai mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ den Abriss der Bauten am Berg genehmigte, formiert sich nun - DER STANDARD berichtete - Widerstand. Nicht gegen den Abriss des 1964 errichteten, seit Ewigkeiten leer stehenden und von der Stadt aus gut sichtbaren Hotels, sondern gegen den des daneben gele- genen Restaurants. Dieses ist im Zuge des Baus der Höhenstraße von 1934 bis 1936 von Erich Boltenstern entworfen worden - und gilt als eines der Hauptwerke des Architekten.

Doch während am desolaten Zustand des Hotels kein Zweifel besteht, sind Denkmalschützer, Architekten, Grüne und nicht zuletzt Boltensterns Söhne Erich und Sven überzeugt, dass die Substanz des Restaurants erhaltenswert ist.

„Substanz erhalten“

„Die Substanz“, erklärte Erich Boltenstern (der Sohn) vergangenen Freitag bei einer von der „Österreichischen Gesellschaft für Architektur“ (ÖGFA) und den Grünen angesetzten Besichtigung des Gebäudes, „ist erstaunlich gut erhalten.“ Das habe auch eine Begehung durch das Bundesdenkmalamt mit dem renommierten Architekten Friedrich Achleitner ergeben. Kernproblem in der öffentlichen Diskussion sei, dass „die Leute das Hotel sehen - und mit dem Restaurationsbetrieb gleichsetzen“.

Dass Letzterer heute im Inneren den Charme einer Autobahnraststätte versprüht, kann man Boltenstern nicht vorwerfen. Die Grundidee Boltensterns, erklärte ÖGFA-Guide Iris Meder, sei heute noch zu erkennen: Der Architekt hatte einen in mehrere Sektionen gegliederten Betrieb entworfen. In fünf Sälen und auf drei Terrassen - eine davon nach Heurigenmanier für Selbstversorger - sollten für bis zu 3500 Gäste aus allen Bevölkerungsschichten adäquate Bewirtungsangebote geboten werden.

Über die Jahre haben aber Formatgastronomie und Bus-und Systemtourismusphilosophien Interieur wie Ambiente einem kleinsten gemeinsamen, grausamen Nenner angepasst. „An der hohen architektonischen Qualität“, so ÖGFA-Sprecherin Judith Eiblmayr, „ändert das nichts.“

Wieningers Pläne (Architekt: Heinz Neumann) - ein Appartementhotel, ein Restaurant und eine Tourismusfachschule - seien überdies „formal nicht viel anders“ als das Original, erklärte Wiens Landeskonservatorin Barbara Neubauer schon Anfang Mai im STANDARD. Ihrer Ansicht nach könne der Boltenstern-Bau „integriert werden“.

Für den Bauherrn selbst ist das nicht so klar: Er sei, erklärt er, „für Vorschläge offen“, betone aber, dass „ich kein Mäzen bin. Großgastronomie wie in den 30er-Jahren ist heute nicht kostendeckend.“ Überdies sei das Restaurant seinen Experten zufolge „de facto eine Ruine“.

Solange er keine amtlichen Unterlagen habe, die das Gegenteil dokumentieren, werde er an seinem Projekt festhalten. „Im schlimmsten Fall passiert gar nichts - dann schaut es dort oben weiter aus wie bisher. Und das wäre die allerschlechteste Lösung.“

Der Standard, Mi., 2004.05.26



verknüpfte Bauwerke
Kahlenberg Restaurant

11. September 2001Thomas Rottenberg
Der Standard

Der Wohnpark-Planer und sein Mantra

Architekt Harry Glück predigt die Wohnzufriedenheit

Architekt Harry Glück predigt die Wohnzufriedenheit

Wien - Am Mittwoch sind es 25 Jahre. Denn am Mittwoch wird das Vierteljahrhundert der Erstbesiedlung des Wohnparkes Alt-Erlaa gefeiert.

Für den Architekten der 3181 Wohnungen großen Anlage, den Wiener Harry Glück, Anlass genug, im STANDARD-Gespräch vor allem auf jenen Aspekt des Wohnparks (und anderer Glück-Bauten) einzugehen, der seiner Meinung nach von Stadtplanern und Wohnbauern aller Städte viel zu wenig Beachtung findet: Der Wohnzufriedenheit.

Die ist nämlich in „seinen“ Wohnanlagen signifikant größer, als in anderen Wohnhausanlagen Wiens. Einzig im Einfamilienhaus mit Garten lebt es sich ebenso glücklich wie bei Glück. Das belegte 1987 eine Studie des Institutes für empirische Sozialforschung und 1999 eine Studie der Stadtplanung. Das unterstreicht eine im Februar vom Ökologieinstitut für Monika Forstingers (FP) Infrastrukturministerium durchgeführte Untersuchung: Mieter in Glück-Bauten geben deutlich öfter die Noten „Sehr gut“ und „gut“ als die anderer Großbauten.


Der Alptraum des „Citysprawling“

Die jüngste Studie bestätige zusammen mit den Ergebnissen der Volkszählung jedoch sein lange Jahre beinahe ohne Resonanz gepredigtes Mantra: Im städtischen Wohnbau gehe es „zu wenig um jene Werte, die die Bewohner dort gerne wohnen bleiben lässt.“ Dass der Traum vom Einfamilienhaus am Stadtrand in Nicht-Glück-Bauten öfter geträumt werde als in den von ihm errichteten Anlagen, trage zum Wahrwerden des Politiker-und Planer-Alptraumes „Citysprawling“ bei: Der Fachbegriff beschreibt den Trend, aus den Stadtkernen ins weniger dicht besiedelte Umland der Metropolen zu ziehen - mit allen daraus resultierenden Logistik-, Infrastruktur-, Pendler-, Umwelt- und Finanzproblemen, die die Einfamilienhäuselbauer im „Speckgürtel“ der Städte verursachen.

Zum Geburtstag seiner größten Wohnanlage, meint der Architekt, dürfe er grundsätzlich daran erinnern: „Der einzige Weg, die Stadtflucht zu bremsen, ist den Menschen Wohnungen zu bieten, die den Wunsch aufs Land zu ziehen gar nicht aufkommen lassen. Eine Binsenweisheit - aber sie wird beharrlich ignoriert.“

Der Standard, Di., 2001.09.11



verknüpfte Bauwerke
Wohnpark Alt Erlaa

Presseschau 12

08. Mai 2008Thomas Rottenberg
Der Standard

Mehr als nur Bauklötze

Kinder- und Jugendprogramm in ganz Österreich

Kinder- und Jugendprogramm in ganz Österreich

Wien - Die Sache mit den Bauklötzen hat schon ihre Berechtigung. Schließlich gehört das Modellhäuserbauen mit zu den wichtigsten Spielformen, mit denen Kinder ihre Umwelt erleben und verstehen lernen: Was hält? Was nicht? Was funktioniert? Und wieso fühlt sich das Meerschweinchen in dem tollen Haus, das man ihm da aus Karton und Holzstücken gebastelt hat, so überhaupt nicht wohl?

Kinder entwerfen und planen ihre Welt. Und sie hinterfragen gnadenlos alles, was ihnen vorgesetzt wird. Das kann unbequem sein. Und mühsam. Und lästig. Oder aber das Gegenteil: erfrischend, horizonterweiternd und zukunftsweisend. Die Entdeckung von Räumen mit Kinderaugen steht auch den Erwachsenen gut zu Gesicht - auch, weil es die Großen zwingt, die Welt aus einer ganz anderer Perspektive zu sehen.

Darum ist es mehr als eine reine Pflichtübung, dass die Architekturtage 2008 von einem vielfältigen Kinder- und Jugendprogramm begleitet werden. Über 40 verschiedene Veranstaltungen in allen Bundesländern - entstanden in Kooperation mit KulturKontakt Austria - bieten Kindern und Jugendlichen die Möglichkeit, Architektur aktiv und kreativ zu erleben und zu entdecken.

In Salzburg etwa sollen Kinder unter dem Titel „Das Wohnzimmer vor der Tür“ selbst die Qualität der Freiräume von Siedlungsanlagen untersuchen. In Innsbruck werden Kinder und Jugendliche auf eine Schnitzeljagd geschickt, bei der die Stadt mehr als bloß optisch neu entdeckt werden soll. Schließlich gibt es auch noch Alltagsgeräusche, Gerüche, Ampelphasen und die Geschwindigkeit der Stadt.

In Vorarlberg will man sich dagegen mehr auf die Ohren verlassen: Studierende des Landeskonservatoriums Feldkirch werden versuchen, bestimmten Raumsituationen Instrumente und Musikstile zuzuordnen. Aber natürlich wird auch auf haptisch Erfahrbares gesetzt: In Graz wie Linz, in Spittal/Drau wie in Niederösterreich und natürlich auch in Wien werden Kinder in Workshops mit den verschiedensten Werkstoffen ausrücken, um zu bauen. Und dann werden die Erwachsenen staunen.

Der Standard, Do., 2008.05.08

22. Oktober 2005Thomas Rottenberg
Der Standard

Holzauge wandert durch Wien

Die Stadt ist aus Stein, Glas und Stahl. Christian Fischer (Fotos) und Thomas Rottenberg (Text) gingen Holz suchen.

Die Stadt ist aus Stein, Glas und Stahl. Christian Fischer (Fotos) und Thomas Rottenberg (Text) gingen Holz suchen.

Die Kellnerin war ungehalten. Weil sie die Kinder schon zum dritten Mal heruntergestampert hatte: Wozu, seufzte sie - mehr resigniert denn sauer -, habe der Heurigenwirt wohl einen Kinderspielplatz in den hinteren Gartenbereich gestellt, wenn die Kleinen doch auf dem alten Baum im Hof herumklettern würden? Der Baum sei alt - uralt - und ein amtlich für schützenswert befundenes Naturdenkmal. Und sie wisse, referierte die Kellnerin, nicht, was wohl schlimmer wäre: Ein Kind, das sich beim Runterfallen verletzt - oder ein Stück Baum, das zu Schaden käme. Daher: „Obe vom Ba'm! Dalli!“

Natürlich gehorchten die Kinder. Und maulten: „Baumklettern“, raunzte ein Bub, „kenne ich nur aus dem Fernsehen.“ Und das einzige Holz, mit dem er in Kontakt käme, sei jenes im Wohn- und Schulbereich: Tisch, Bett, Bücherregal und Parkettboden.

Dabei stimmt das gar nicht. Aber das hat viel mit der Wahrnehmung des gewohnten Lebensumfeldes zu tun: So wie Fledermäuse den Weg vom Schlafplatz zum Jagdrevier - sonarpiepskräfteschonend - quasi „blind“ fliegen, zieht der Städter mit geschlossenen Augen seines Weges: Die Stadt ist aus Stein. Und dort, wo sie modern ist, aus Beton und Stahl. Wozu schauen?

Und so existiert schon der „Stock im Eisen“ am Stephansplatz nur für Touristenaugen. Und die Griffe an den Türen jener Geschäfte, die - egal ob Flagshipstore in der Innenstadt oder Einzelhandelsrelikte in Randlage - der Versuchung von Schiebe- und Drehtüren widerstehen konnten, sieht auch keiner mehr. Genau wie Fenster und Haustore, Geländer und Barrieren, Schanigärten und Blumenkisten. Erst wenn diese Versatzstücke von Natur in der Stadt ummaterialisiert sind, fällt der Verlust auf. Früher wurden alle Baustellen mit Holzplanken von der Außenwelt getrennt - heute wachsen metallene Bauzäune: Was auffällt, ist die Veränderung zum weniger Schönen - denn dass heute auf Kinderspielplätzen verstärkt (Rindenmulch als weiche Unterlage, Holz für Klettergerüste) Holz verwendet wird, wird - da so selbstverständlich - nicht einmal registriert.

Die Probe aufs Exempel machte da das Wiener Designer-Tischlerpaar Katja und Werner Nussbaumer. Sie holten die hölzernen Sitz- und Lehnschalen aus ausrangierten Straßenbahnen und bauten „Straßenbahnsessel“. Für zu Hause - und plötzlich fiel den Leuten auf, dass da jeder Sitz eine andere Maserung und eine andere Farbe hat. Weil kein Stück Holz dem anderen gleichen kann. Aber keiner hatte je darauf geachtet.

Denn Städter haben verlernt, Holz zu sehen - sogar wenn es in Augenhöhe über den Weg ragt: Der alte Baum des Pötzleinsdorfer Heurigen streckt seine Äste unmittelbar vor den Toiletten quer über den Hof. Und es vergeht kein Abend, ohne dass sich zumindest zwei Gäste die Stirn am Naturdenkmal anhauen. „Die Leut“, kommentiert die Kellnerin, „haben einfach verlernt zu schauen - die haben nix als Bretter vor dem Kopf.“

Der Standard, Sa., 2005.10.22

26. Mai 2004Thomas Rottenberg
Der Standard

Kahlenberg: Ruine oder Baudenkmal?

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Das Hotel am Kahlenberg ist eine Ruine. Beim daneben liegenden Restaurant gehen die Meinungen aber auseinander. Während die Söhne des Architekten Boltenstern das Gebäude retten wollen, will es der Besitzer abreißen.

Wien - „Das ist eine blöde Situation“, meint Leopold Wieninger. Und er wisse nicht so genau, wem er nun glauben schenken soll. Schließlich, so der Großbäcker (Bäckerei Mann), der im August 2003 das Hotel am Kahlenberg samt angrenzendem Restaurant gekauft hat, gebe es „solche und solche Experten“. Die einen, seufzt Wieninger im Gespräch mit dem STANDARD, sagen ihm, dass das Restaurant eine Ruine sei, während andere „nun auftauchen und sagen, das sei schützenswert“.

Grund für des Bäckers Klage: Nachdem der Gemeinderat Anfang Mai mit den Stimmen von SPÖ, ÖVP und FPÖ den Abriss der Bauten am Berg genehmigte, formiert sich nun - DER STANDARD berichtete - Widerstand. Nicht gegen den Abriss des 1964 errichteten, seit Ewigkeiten leer stehenden und von der Stadt aus gut sichtbaren Hotels, sondern gegen den des daneben gele- genen Restaurants. Dieses ist im Zuge des Baus der Höhenstraße von 1934 bis 1936 von Erich Boltenstern entworfen worden - und gilt als eines der Hauptwerke des Architekten.

Doch während am desolaten Zustand des Hotels kein Zweifel besteht, sind Denkmalschützer, Architekten, Grüne und nicht zuletzt Boltensterns Söhne Erich und Sven überzeugt, dass die Substanz des Restaurants erhaltenswert ist.

„Substanz erhalten“

„Die Substanz“, erklärte Erich Boltenstern (der Sohn) vergangenen Freitag bei einer von der „Österreichischen Gesellschaft für Architektur“ (ÖGFA) und den Grünen angesetzten Besichtigung des Gebäudes, „ist erstaunlich gut erhalten.“ Das habe auch eine Begehung durch das Bundesdenkmalamt mit dem renommierten Architekten Friedrich Achleitner ergeben. Kernproblem in der öffentlichen Diskussion sei, dass „die Leute das Hotel sehen - und mit dem Restaurationsbetrieb gleichsetzen“.

Dass Letzterer heute im Inneren den Charme einer Autobahnraststätte versprüht, kann man Boltenstern nicht vorwerfen. Die Grundidee Boltensterns, erklärte ÖGFA-Guide Iris Meder, sei heute noch zu erkennen: Der Architekt hatte einen in mehrere Sektionen gegliederten Betrieb entworfen. In fünf Sälen und auf drei Terrassen - eine davon nach Heurigenmanier für Selbstversorger - sollten für bis zu 3500 Gäste aus allen Bevölkerungsschichten adäquate Bewirtungsangebote geboten werden.

Über die Jahre haben aber Formatgastronomie und Bus-und Systemtourismusphilosophien Interieur wie Ambiente einem kleinsten gemeinsamen, grausamen Nenner angepasst. „An der hohen architektonischen Qualität“, so ÖGFA-Sprecherin Judith Eiblmayr, „ändert das nichts.“

Wieningers Pläne (Architekt: Heinz Neumann) - ein Appartementhotel, ein Restaurant und eine Tourismusfachschule - seien überdies „formal nicht viel anders“ als das Original, erklärte Wiens Landeskonservatorin Barbara Neubauer schon Anfang Mai im STANDARD. Ihrer Ansicht nach könne der Boltenstern-Bau „integriert werden“.

Für den Bauherrn selbst ist das nicht so klar: Er sei, erklärt er, „für Vorschläge offen“, betone aber, dass „ich kein Mäzen bin. Großgastronomie wie in den 30er-Jahren ist heute nicht kostendeckend.“ Überdies sei das Restaurant seinen Experten zufolge „de facto eine Ruine“.

Solange er keine amtlichen Unterlagen habe, die das Gegenteil dokumentieren, werde er an seinem Projekt festhalten. „Im schlimmsten Fall passiert gar nichts - dann schaut es dort oben weiter aus wie bisher. Und das wäre die allerschlechteste Lösung.“

Der Standard, Mi., 2004.05.26



verknüpfte Bauwerke
Kahlenberg Restaurant

11. September 2001Thomas Rottenberg
Der Standard

Der Wohnpark-Planer und sein Mantra

Architekt Harry Glück predigt die Wohnzufriedenheit

Architekt Harry Glück predigt die Wohnzufriedenheit

Wien - Am Mittwoch sind es 25 Jahre. Denn am Mittwoch wird das Vierteljahrhundert der Erstbesiedlung des Wohnparkes Alt-Erlaa gefeiert.

Für den Architekten der 3181 Wohnungen großen Anlage, den Wiener Harry Glück, Anlass genug, im STANDARD-Gespräch vor allem auf jenen Aspekt des Wohnparks (und anderer Glück-Bauten) einzugehen, der seiner Meinung nach von Stadtplanern und Wohnbauern aller Städte viel zu wenig Beachtung findet: Der Wohnzufriedenheit.

Die ist nämlich in „seinen“ Wohnanlagen signifikant größer, als in anderen Wohnhausanlagen Wiens. Einzig im Einfamilienhaus mit Garten lebt es sich ebenso glücklich wie bei Glück. Das belegte 1987 eine Studie des Institutes für empirische Sozialforschung und 1999 eine Studie der Stadtplanung. Das unterstreicht eine im Februar vom Ökologieinstitut für Monika Forstingers (FP) Infrastrukturministerium durchgeführte Untersuchung: Mieter in Glück-Bauten geben deutlich öfter die Noten „Sehr gut“ und „gut“ als die anderer Großbauten.


Der Alptraum des „Citysprawling“

Die jüngste Studie bestätige zusammen mit den Ergebnissen der Volkszählung jedoch sein lange Jahre beinahe ohne Resonanz gepredigtes Mantra: Im städtischen Wohnbau gehe es „zu wenig um jene Werte, die die Bewohner dort gerne wohnen bleiben lässt.“ Dass der Traum vom Einfamilienhaus am Stadtrand in Nicht-Glück-Bauten öfter geträumt werde als in den von ihm errichteten Anlagen, trage zum Wahrwerden des Politiker-und Planer-Alptraumes „Citysprawling“ bei: Der Fachbegriff beschreibt den Trend, aus den Stadtkernen ins weniger dicht besiedelte Umland der Metropolen zu ziehen - mit allen daraus resultierenden Logistik-, Infrastruktur-, Pendler-, Umwelt- und Finanzproblemen, die die Einfamilienhäuselbauer im „Speckgürtel“ der Städte verursachen.

Zum Geburtstag seiner größten Wohnanlage, meint der Architekt, dürfe er grundsätzlich daran erinnern: „Der einzige Weg, die Stadtflucht zu bremsen, ist den Menschen Wohnungen zu bieten, die den Wunsch aufs Land zu ziehen gar nicht aufkommen lassen. Eine Binsenweisheit - aber sie wird beharrlich ignoriert.“

Der Standard, Di., 2001.09.11



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