Details

Adresse
Basel, Schweiz
Tragwerksplanung
Jürg Conzett
Funktion
Bildung
Planung
1996
Fertigstellung
2000

Presseschau

30. Juli 2005Walter Zschokke
Spectrum

Was ein Tragwerk vermag

Wie man auf einem ehemaligen Öltank ein Schulgebäude errichtet. Und warum es sich lohnt, wenn Architekt und Bauingenieur an einem strukturellen Strang ziehen. Das Volta-Schulhaus in Basel.

Wie man auf einem ehemaligen Öltank ein Schulgebäude errichtet. Und warum es sich lohnt, wenn Architekt und Bauingenieur an einem strukturellen Strang ziehen. Das Volta-Schulhaus in Basel.

Seit vier Jahren ist das Volta-Schulhaus im Basler St. Johann-Quartier nun in Betrieb. Es steht nahe der mittlerweile doppelstöckigen Dreirosenbrücke der Stadtautobahn über den Rhein. Auf der anderen Seite des Verkehrsbandes ist der Novartis-Campus im Entstehen; ein erster Bau von Diener, Federle und Wiederin ist soeben fertig geworden, ein weiterer, von Adolf Krischanitz, ist im Bau. Doch die Realität im Quartier beidseits der Straße, die geradeaus ins Elsass führt, ist eine andere.

Wegen des hohen Anteils an Kindern mit fremder Muttersprache werden - neben der deutschen - eben diese Sprachen unterrichtet, weil die Kinder so ein klareres Sprachgefühl entwickeln und in der Folge besser Schriftdeutsch lernen. Dies bedingte flexible Unterrichtsformen, ausreichend Gruppenräume neben den Klassenzimmern und ein neues Haus. Viel Platz gab es im Quartier allerdings nicht, sodass der Wegfall eines Teils der verpflichtenden Lagerkapazität für Schweröl des nahen Heizkraftwerks eine Chance bot. Der aus den 1960er-Jahren stammende Betonbau enthielt große Stahltanks in tiefen, wasserdichten Wannen. Nicht ganz die Hälfte stand zur Disposition. Ein Architektenwettbewerb sollte die Möglichkeiten klären.

Es gewann das Projekt der Basler Architekten Paola Maranta und Quintus Miller, das sie zusammen mit dem Bauingenieur Jürg Conzett aus Chur entwickelt hatten. Dabei ging es um die Frage, wie über der intakten Wanne ein Schulgebäude errichtet werden könnte. Als nicht eben harmlos erwiesen sich die Maße: 40 Meter Trakttiefe, 33,5 Meter Breite. Aber ebenso wenig ließen sich Punktlasten auf den Wannenboden aufsetzen. In solchen Fällen lohnt es sich für Architekten, frühzeitig mit einem Bauingenieur, der das Zeug und den Willen zum Tragwerksplaner hat, zusammenzuarbeiten.

Die Rolle des Bauingenieurs wird leider zu oft als die des „Statikers“ gesehen, der in Naviers Namen (Claude Louis Navier, 1785 bis 1836, Begründer der modernen Baustatik) eben berechnet, was ihm der Architektenentwurf vorgibt, und dabei in der Regel die Dimensionen erhöht. Sei es, weil der Architekt zu knapp geschätzt hat, sei es, weil der Statiker sich nicht plagen will. Mit einem Bauingenieur hingegen, der als Tragwerksplaner wirkt, lassen sich die Möglichkeiten viel umfassender ausloten. Vor allem aber kann das Tragwerk integraler Teil von Funktionsstruktur und Raumbildung werden.

Genau das ist im Volta-Schulhaus geschehen. In der Diskussion der Fachleute wurde ein vier Geschoße hohes räumliches Tragwerk aus Scheiben und Platten entwickelt, das die gesamten Gebäudelasten auf die Außenwände der Wanne überträgt. Das heißt: Einige der vertikalen Trennelemente aus Stahlbeton sind als Scheiben mit den ebenfalls betonierten Deckenplatten fest verbunden. Damit es jedoch nicht zu simpel werde, sah das Konzept im Binnenbereich vier Lichthöfe vor - bei der enormen Trakttiefe unumgänglich. Das betraf vor allem die Deckenplatten. Aber zwischen den einzelnen Schotten sollten die Menschen noch hin und her gehen können, die Betonscheiben mussten daher Öffnungen aufweisen. Das tun sie auch, und zwar nicht zu geizig, wie in der Plandarstellung zu erkennen ist. Drei derartige Schotten sind also über die darunter liegende Wanne gespannt, in der die Doppelturnhalle samt Garderoben und Nebenräumen Platz hat. Wer etwas tiefer in das komplexe Gebilde eindringt, stellt fest, dass unter der im Plan größeren Scheibe offenbar ein Querträger liegen muss, was auch stimmt, und bei der im Grundriss mittleren Schotte ist die große Öffnung spiegelgleich nach links gerückt, damit die Biegekräfte in den auf Druck beanspruchten Decken nicht unangenehm werden. Die zusätzlichen Öffnungen für die beiden quer liegenden Treppen und für die breiten Fenster sind dann bloß noch Kinkerlitzchen. Das Übrige ist Leichtbau.

Wir erinnern uns: Da gibt es im Obermurtal eine Holzbrücke über die Mur, die ebenso frech in der Mitte eine breite Öffnung aufweist, flankiert von zwei außermittig angeordneten Scheiben. Ja, genau die. Auch hier hieß der entwerfende Bauingenieur Jürg Conzett.

Mit ähnlichen Überlegungen, aber anderem Material und komplexer spielt es sich im Volta-Schulhaus in Basel ab. Aber was heißt das für die Architektur? Für die räumliche und die funktionale Struktur bedeutet das vorerst, dass man davon wenig merkt. Man betritt das Gebäude von der Hofseite und gelangt in eine die gesamte Breite einnehmende Querhalle.

Von dieser Aula, die bei Schlechtwetter als Pausenhalle dient, führt vom Eingang aus geradewegs eine Treppe ins erste Obergeschoß, das mit den anderen drei Obergeschoßen weit gehend deckungsgleich ist. Der Aufgang lässt sich mit einem Rollbalken schließen, da die Turnhallen am Abend und an Wochenenden Vereinen offen stehen.

In den eigentlichen Schulgeschoßen reihen sich die Zimmer und Gruppenräume wegen der Belichtung vorn und hinten an der Fassade. Den Binnenbereich teilen sich die vier alternierend gegeneinander versetzten Lichthöfe und die von ihnen mit Tageslicht versorgten Ganghallen. Zwei Treppen dienen als Vertikalverbindungen, und natürlich gibt es für Gehbehinderte einen Aufzug.

Der Stahlbeton der Scheiben und Deckenuntersichten liegt offen, die Tragstruktur wird gezeigt. Die übrigen Wände in Leichtbauweise sind in einem warmen Grauton gleicher Helligkeit gehalten, sodass der Unterschied nicht sofort auffällt. Die einzelnen Teile über die vier Geschoße zu verbinden ist anhand der Pläne einfacher als im Bauwerk selbst. Das Tragwerk ist daher keineswegs in den Vordergrund gerückt, es ist vielmehr ein integraler Teil der Architektur.

Im Gegensatz zu kammartigen Grundriss-Typologien liegt hier eine offene Gitterstruktur vor. Sie hat mehr mit einem urbanen Gefüge zu tun, das eine nicht hierarchische Struktur aufweist. Dies wäre generell für große öffentliche Gebäude und Wohnanlagen angezeigt, aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls erschöpft sich das architektonische Genießen im Volta-Schulhaus nicht an den Äußerlichkeiten.

02. März 2001Martin Tschanz
Neue Zürcher Zeitung

Eine kleine Stadt im Haus

(SUBTITLE) Das Volta-Schulhaus von Miller & Maranta in Basel

In der wenig attraktiven Umgebung einer Basler Industriezone haben Quintus Miller und Paola Maranta ein Schulhaus errichtet, das der Deutschschweizer Architektur ganz neue Wege weist. Hinter einer harten, eher unspektakulären Schale verbirgt dieses Gebäude eine fein gegliederte, fast labyrinthische Innenwelt.

In der wenig attraktiven Umgebung einer Basler Industriezone haben Quintus Miller und Paola Maranta ein Schulhaus errichtet, das der Deutschschweizer Architektur ganz neue Wege weist. Hinter einer harten, eher unspektakulären Schale verbirgt dieses Gebäude eine fein gegliederte, fast labyrinthische Innenwelt.

Das Grundstück, für das 1996 im Rahmen eines Wettbewerbes ein Schulhaus zu planen war, gab Anlass zu Bedenken. Es stand zur Verfügung, weil auf Grund neuer gesetzlicher Bestimmungen ein Teil einer staatlichen Grosstankanlage für Heizöl abgebrochen werden konnte. Ein anderer Teil aber war zu erhalten. Er bildet zusammen mit dem Brückenkopf der zweistöckigen Dreirosen-Brücke, einigen Wohn- und Gewerbebauten, einem Heizkraftwerk und den Anlagen der chemischen Industrie eine eher ungewöhnliche Umgebung für einen Schulneubau. Das Projekt von Quintus Miller und Paola Maranta überzeugte damals die Jury, weil es gerade aus dieser schwierigen Situation seine Charakteristiken und Qualitäten schöpft. Am nunmehr realisierten Bau sind diese von aussen allerdings nur teilweise erahnbar. Der Betonkubus, der unmittelbar an das geschlossene Volumen des benachbarten Lagers angebaut ist, erinnert zunächst kaum an ein Schulhaus. Mit seinen grossen Fenstern, welche die Mauern bis fast zu einem Skelett ausdünnen, lässt er eher an einen Gewerbebau denken - aber auch wegen der enormen Bautiefe von neununddreissig Metern. Er ist so hoch, wie es das Baugesetz erlaubt, und übernimmt die Grundfläche des ehemaligen Tanklagers. Das ist städtebaulich insofern sinnvoll, als sich die Umgebung längst an dieses Bauvolumen angepasst hatte, das im heterogenen Umfeld eine Art Scharnier bildete.


Labyrinthisches Raumgefüge

Der Eingang befindet sich etwas versteckt in einer hinterhofähnlichen Situation. Relativ niedrige Wohnhäuser schaffen hier eine fast schon idyllisch wirkende Kleinmassstäblichkeit, die man auf der anderen Gebäudeseite an der Voltastrasse kaum vermuten würde. Ähnlich wird man überrascht, wenn man die Eingangshalle im Parterre durchquert und über eine breite Treppe ins eigentliche Schulhaus hochsteigt. Innerhalb der harten Schale verbirgt sich hier eine fein gegliederte Innenwelt mit fast labyrinthischen Qualitäten: eine kleine Stadt im Haus. Ihr liegt eine strenge Grundstruktur zugrunde. Vier ähnlich gegliederte Raumschichten überspannen die Tiefe des Hauses. An den Aussenfassaden liegen jeweils die Klassenräume, im Innern gibt es je einen Lichthof, auf den ein Gruppenraum und ein Gemeinschaftsbereich mit Garderobe orientiert sind.

Die Komplexität entsteht dadurch, dass sich der offene Erschliessungsraum mäanderförmig um diese Höfe schlängelt, die zueinander versetzt angeordnet sind. Fenster erlauben Durchblicke quer und diagonal zu den Raumschichten, wobei durch leichte Unregelmässigkeiten in der Geometrie zusätzlicher Reichtum entsteht. Von fast jedem Standpunkt aus kann man alle vier Höfe sehen, aber man hat auch Einblick in die Gruppenräume und sieht durch diese hindurch in die Klassenzimmer. Spiegelungen in den Gläsern komplizieren die Verhältnisse zusätzlich. Die Orientierung im Haus geht aber trotzdem nie verloren. Die Form der Räume und die Materialität der massiven Betonscheiben bewirken, dass die Hierarchie der Richtungen stets klar erkennbar bleibt. Einzelne Fenster gewähren zudem einen direkten Blick nach aussen. Die Umgebung erscheint hier als Bild: distanziert.


Licht und Farbe

Für die Gemeinschaftsräume im Innern des Hauses haben die Architekten im Verlaufe der Projektierung lange mit kräftigen Farben experimentiert, die den Kontrast zur äusseren Betonschale noch verstärkt hätten. Die Arbeit an grossen Modellen zeigte allerdings, dass es bei der Komplexität der Durchblicke praktisch unmöglich gewesen wäre, die Kombinationen und Raumwirkungen der Farben zu kontrollieren. Deshalb wurde ein ganz anderes Konzept realisiert. Die nicht tragenden Wände und die Lichthöfe wurden in einem aufwendigen, vielschichtigen Verfahren mit Perlmuttfarbe gestrichen. Damit tritt weniger ein Farbton in Erscheinung als vielmehr die Farbe als Material, zumal die Struktur des Pinselstrichs sichtbar bleibt. In den Höfen wurde Goldperlmutt verwendet, so dass diese bei diffusem Licht gelblich schimmern, bei Sonnenschein aber intensiv golden aufleuchten. Die Innenwände sind auf einem mehrschichtigen Grund über Kreuz mit Gold- und Silberperlmutt gestrichen. Je nach Lichtverhältnissen schimmern sie gelblich, silbern oder auch blau oder gar lila, mit fliessenden Übergängen. Immer aber scheint sich das Licht auf den Wänden zu materialisieren. - Ein ähnlicher Bautyp wurde schon 1994 von Angélil/Graham Architekten im Wettbewerb für die Zürcher Berufsschule auf dem Schützenareal vorgeschlagen. Beim nun realisierten Volta-Schulhaus entfaltet diese Typologie aber weitere Möglichkeiten und wirkt wie massgeschneidert für die gegebene Situation. Die reiche Innenwelt entschädigt hier für die unwirtliche Umgebung. Sie kommt zudem dem pädagogischen Konzept der Schule entgegen. Es gibt hier spezielle Kurse, um der Vielfalt der kulturellen Identitäten der Kinder gerecht zu werden, und oft wird in kleinen Gruppen unterrichtet. Die Introvertiertheit des Hauses und seine Offenheit nach innen unterstützen dabei den inneren Zusammenhalt der bunt gemischten Schulgemeinschaft.


Eine dem Ort angepasste Lösung

Die Schichtung des Grundrisses wird zudem genutzt, um die Doppelturnhalle zu überspannen, die sich vom Erdgeschoss über drei Etagen nach unten entwickelt. Der Ingenieur Jürg Conzett hat dafür ein komplexes Tragsystem geschaffen, bei dem die in die Tiefe des Hauses führenden Scheiben mit den Decken räumlich zusammenwirken, so dass die grossen Spannweiten scheinbar mühelos überbrückt werden, ohne sichtbare Unterzüge oder andere Verstärkungen.

Die grosse Halle in das Tiefparterre zu legen, ist an diesem Ort sinnvoll, weil damit die bestehende Betonwanne des ehemaligen Tanklagers genutzt werden kann, inklusive der Fundamentplatte und der Stützwände. Das ist ökonomisch, und der riesige Raum trägt so die Erinnerung an die ehemalige Nutzung des Ortes in sich. In seiner Massstäblichkeit steht er in eindrücklichem Kontrast zur kleinteiligen Innenwelt der Obergeschosse. Beim Volta-Schulhaus ist die spezielle Typologie also in vielfältiger Weise passgenau angemessen: bezogen auf die städtebauliche Situation, das Profil der Schule und das Gedächtnis des Ortes. Damit entsteht nicht nur räumlich, sondern auch in der Bedeutung eine Komplexität, die dem Bau sogar innerhalb der architektonisch anspruchsvollen Basler Schulbauten der letzten Jahre eine Sonderstellung zukommen lässt.

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