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Presseschau

01. September 2008Klaus Englert
TEC21

Kunst elektrisiert

Madrid erlebt momentan einen regelrechten Museumsboom. Manche beschwören schon ein neues «siglo de oro», ein neues Goldenes Zeitalter, herauf, denn im Herzen Madrids wird derzeit eine Kunstmeile vollendet, die alles Dagewesene in Spanien in den Schatten stellt.

Madrid erlebt momentan einen regelrechten Museumsboom. Manche beschwören schon ein neues «siglo de oro», ein neues Goldenes Zeitalter, herauf, denn im Herzen Madrids wird derzeit eine Kunstmeile vollendet, die alles Dagewesene in Spanien in den Schatten stellt.

Entlang dem Paseo del Prado, der von der prachtvollen Plaza Cibeles im Norden bis zum Bahnhof Atocha im Süden führt, befinden sich in kurzer Entfernung die drei wichtigsten Kunstsammlungen Madrids: Museo Thyssen-Bornemisza mit den Sammlungen von Heinrich und Carmen Thyssen-Bornemisza, Museo Nacional del Prado mit den königlichen Sammlungen und Museo Nacional Centro de Arte Reina Sofía mit Werken aus dem 20. Jahrhundert. Die Museumsmeile «Paseo del Arte» umfasst die Erweiterung dieser grossen Kunstsammlungen sowie die Errichtung der gerade fertiggestellten Kunsthalle Caixa Forum der renommierten katalanischen Stiftung La Caixa. Damit ist das ambitionierte Projekt «Paseo del Arte» noch nicht abgeschlossen, denn Prado-Direktor Miguel Zugaza möchte sein Museum durch Hinzunahme des angrenzenden Museo del Ejército (Heeresmuseum) und des Casón del Buen Retiro zum «Campus del Museo del Prado» vereinen, um zusätzliche Ausstellungsflächen und ein Forschungszentrum zu erhalten. Zu guter Letzt kommt noch die städtebauliche Umgestaltung des Paseo del Prado durch den Portugiesen Alvaro Siza hinzu.

Der Umbau der drei namhaften staatlichen Museen am Paseo del Prado konnte im Herbst 2007 mit dem von Rafael Moneo gestalteten Erweiterungsbau des Museo del Prado beendet werden. Im Februar folgte schliesslich die private Kunsthalle der Stiftung La Caixa. Lange mussten die Madrider auf das mit viel Vorschusslorbeeren bedachte Caixa Forum des Basler Teams Herzog & de Meuron warten. Doch nun braucht man nur die Strasse zu überqueren, um vom Prado zur neuen Kunsthalle zu gelangen. Auch der erweiterte Musentempel Museo Thyssen-Bornemisza und das Museo Reina Sofía mit Jean Nouvels aufsehenerregendem Anbau befinden sich in unmittelbarer Nähe.

Herzog & de Meuron stellten sich der anspruchsvollen Aufgabe, die denkmalgeschützten Umfassungsmauern eines Elektrizitätswerks, der «Central Eléctrica del Mediodía» von 1899, nahezu komplett in den Museumsneubau zu integrieren. Arata Isozaki hatte es etwas einfacher, als er sechs Jahre zuvor für die Caixa Forum-Kunsthalle in Barcelona den Ziegelbau der 1911 von Josep Puig i Cadafalch errichteten modernistischen Tuchfabrik lediglich um einen abgesenkten Eingangsbereich erweiterte. Herzog & de Meuron akzentuierten nicht nur die spannungsvollen Beziehungen zwischen Alt- und Neubau, sie erklärten das neue Museum schlechthin zum «Magneten» für ganz Madrid. Gemessen an der moderaten Formensprache des «klassizistischen» Prado-Annexes gingen die Schweizer Baumeister ein grösseres Wagnis ein. Sie wollten beweisen, wie radikal zeitgenössisches und fantasievolles Bauen in einem traditionellen städtischen Umfeld möglich ist. Nun, der Nachweis ist ihnen zweifellos geglückt.

Gebirgsmassiv

Gegenüber des Königlichen Botanischen Gartens gelegen, ragt das Caixa Forum aus dem leicht ansteigenden Wohnviertel wie ein Gebirgsmassiv empor. Der neue Baukörper wurde auf die bestehende Ziegelfassade des Elektrizitätswerks aufgestockt, während man den Granitsockel des Altbaus abriss. Die hochgezogene Fassade versteht Jacques Herzog als «zerklüftete Landschaft», geprägt von Schrägen und Einbuchtungen. Dabei orientiert sich das Rot der gusseisernen Fassadenplatten an den Dachziegeln der angrenzenden Wohnbauten. Diese Platten gehören zur architektonischen Attraktion des Museums: Sie besitzen alle ein engmaschiges Perforationsraster, ausserdem unregelmässig geformte Einschnitte. Diese Module schirmen das aufgepfropfte Gehäuse wie eine Aussenhaut ab. Herzog & de Meuron interessieren sich seit mehreren Jahren für diese hybriden Konstruktionselemente, die sie wegen ihrer textilen und dekorativen Eigenschaften schätzen. Auch in der im Bau befindlichen «Ciudad del Flamenco» von Jérez de la Frontera kommen diese Elemente, die an die Fassadenstruktur der Moschee von Córdoba (784–987 n. Chr.) erinnern, zum Einsatz. Die «porösen» Platten des Caixa Forum funktionieren gleichzeitig als Fassade und Fensteröffnung: Sie schliessen ab, leiten aber zugleich gedämpftes Licht in die Museumsräume, in denen sie für ein angenehmes Clair-obscur sorgen.

Pilzdach

Auch konstruktionstechnisch hebt sich der hochkomplexe Baukörper von allen anderen Museumsprojekten auf dem Paseo del Arte deutlich ab (siehe «Dreibein, Korsett und Regenschirme», S. 24 ff.). Harry Gugger, Partner von Herzog & de Meuron, erklärte dazu: «Anfangs dachte niemand an die enormen Schwierigkeiten, die das Projekt mit sich brachte. Zunächst galt es, das Gebäude abzustützen, erst danach konnte der Granitsockel des Altbaus entfernt werden.» Das gesamte Gebäude lastet in den Untergeschossen auf drei mächtigen Pfeilern, die aus dem Fundament ragen. Doch davon bemerkt der Besucher nichts. Er nimmt nur den verkleideten Betonkern wahr, einen mächtigen Stängel, über dem sich das Gebäude wie ein Pilzdach wölbt. Dieser prismatisch geformte Eingangsbereich mit öffentlichem Platz unter dem schützenden Dach mutet wie expressionistische Filmarchitektur an. Die in den zwei Untergeschossen untergebrachten Säle, an deren Wände perforierte Aluminiumplatten angebracht wurden, sind allesamt stützenlos. Ebenso die Ausstellungssäle in der zweiten und dritten Etage. In den fünf oberen Geschossen, die sich über dem buchstäblich aufgelösten Sockelgeschoss erheben, demonstrieren die Basler, wie man Räume sinnlich gestaltet: Im Restaurant hängen tropfenförmige Lampen aus der Werkstatt von Herzog & de Meuron. Die Treppenhausspirale mit ihren elegant geschwungenen Ecken erstrahlt in blendendem Weiss. Und im Foyer überrascht der ruppige Charme eines von Neonröhren, Stahlboden und unverdeckten Ablüftungsrohren geprägten Industrie-Ambientes. Das Direktorenzimmer mag zunächst klaustrophobische Ängste wecken, bis man die Fensterschlitze unterhalb der Decke entdeckt.

Seit Langem gehört es zum Arbeitsprinzip von Herzog & de Meuron, mit bildenden Künstlern und Fotografen zusammenzuarbeiten. Diesmal luden sie den französischen Gartenkünstler Patrick Blanc ein, auf dem öffentlichen Vorplatz, der früher von einer Tankstelle verstellt war, landschaftsarchitektonische Akzente zu setzen. Blanc gestaltete die Brandmauer eines den Platz einfassenden Gebäudes als lebendige Pflanzenwand. An dieser quer zur Kunsthalle emporragenden Wand wachsen 15 000 Pflanzen von 250 verschiedenen Arten, aufgehängt an einem metallischen Gewebe, das gleichzeitig als Bewässerungssystem dient. Gegenüber dem Botanischen Garten zweifellos ein unwiderstehlicher Blickfang für die Passanten am Paseo del Prado.

Das Caixa Forum wird sich als machtvolle Konkurrenz zum benachbarten Museo Reina Sofía entwickeln. Beide Institutionen haben sich in Spanien als führende Museen für die Kunst des 20. Jahrhunderts etabliert, allerdings liegt der Sammlungsschwerpunkt des Caixa Forum mehr auf der Gegenwartskunst, beginnend mit den Nachkriegsströmungen um Joseph Beuys, Bruce Nauman, Bill Viola, Anselm Kiefer, Gerhard Richter und Georg Baselitz. Ähnlich wie das Museo Reina Sofía, das seit Kurzem der experimentierfreudige Manuel Borja Villel leitet, wird man nicht nur auf Ausstellungen setzen, sondern auf Konzertreihen, Debatten und ungewohnte Veranstaltungsformen. Die Rivalität der beiden Institutionen am Paseo del Prado dürfte sich als befruchtend erweisen.



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tec21 2008|36 Transformiert

31. Oktober 2007Markus Jakob
Neue Zürcher Zeitung

Der Würfel findet Gefallen

(SUBTITLE) Das Museo del Prado in Madrid ist von Rafael Moneo altmeisterlich à jour gebracht worden

Vom 19. ins 21. und wieder zurück ins 19. Jahrhundert: Unter dem Titel «El siglo XIX en el Prado» eröffnet das Madrider Museum heute seine neuen Ausstellungssäle – Teil der überfälligen, von Rafael Moneo diskret verwirklichten Modernisierung der grossen spanischen Pinakothek.

Vom 19. ins 21. und wieder zurück ins 19. Jahrhundert: Unter dem Titel «El siglo XIX en el Prado» eröffnet das Madrider Museum heute seine neuen Ausstellungssäle – Teil der überfälligen, von Rafael Moneo diskret verwirklichten Modernisierung der grossen spanischen Pinakothek.

Dem Purismus des klassizistischen Baus, der seit 1819 das Museo del Prado beherbergt, hatten diverse An- und Umbauten schon länger zugesetzt, vor allem auf seiner Rückseite. An der Frage, wie das Museum dort weiterwachsen könnte, biss sich 1995 denn auch die halbe Weltelite der Architektur die Zähne aus. Ein Fiasko, denn nach Ansicht der Jury setzte keines der annähernd 500 zum Wettbewerb eingereichten Projekte die an sich umstrittenen Prämissen überzeugend um. Aus der Barrage mit zehn Teilnehmern ging drei Jahre später Rafael Moneo, mittlerweile mit dem Pritzker-Preis geadelt, als Sieger hervor: von der Staatsräson selbst, so schien es, als Garant architektonischer Vernunft erkoren.

Das intensive Museum

Wie schwer sich Spanien mit seinem «kulturellen Flaggschiff» tut, erwies sich, als auch Moneos zurückhaltender, der Selbstauslöschung zuneigender und bis zum Verdacht der Willfährigkeit des Architekten modifizierter Entwurf zu scheitern drohte. Für einmal waren sich die Politiker einig geworden, und selbst die katholische Kirche hatte den Parkplatz, auf den sie als Einnahmequelle zunächst nicht verzichten zu können glaubte, zur Überbauung freigegeben: Da erwachte jäh die Liebe der Anwohner zu einer Ruine, der vorher wohl kaum jemand einen Blick gegönnt hatte.

Der seit Jahrzehnten zerfallende barocke Kreuzgang der Jerónimos-Kirche, etwas erhöht auf der Rückseite des «Edificio de Villanueva» gelegen (wie der Prado nun bildungsbürgerlich und trotz den teilweise stümperhaften Eingriffen in Villanuevas schmale Raumsequenz gern genannt wird), bot sich als einziges von diesem aus direkt erschliessbares Grundstück für einen Neubau an. Bizarrerweise ist nun gerade dieser Kreuzgang der exquisiteste (und zweifellos geheimnisvollste) Teil einer Erweiterung, deren Charme sonst hauptsächlich in ihrer Diskretion liegt. Die granitenen Arkaden, im obersten Geschoss des noch unlängst als «Cubo de Moneo» verschmähten Ziegelsteinwürfels rekonstruiert und von diesem ummantelt, scheinen, durch die Glasüberdachung in Zenitallicht getaucht, das durch einen quadratischen, seinerseits hinterleuchteten Schacht in die beiden darunterliegenden Ausstellungsgeschosse fällt, zugleich aus sich selbst zu leuchten.

Späte Modernisierung

An die karge Noblesse von Moneos Innenräumen reicht das Äussere des Baus nicht heran. Die Gliederung der Ziegelsteinfassaden, zweifellos endlos auf die Umgebung abgestimmt, wirkt eben deshalb eher zaghaft. Selbst der ungewöhnliche Portikus, der – nach oben versetzt – dem Altbau buchstäblich die Stirn bietet, gibt diesem Haus kein Gesicht. Darunter bleibt das von der Künstlerin Cristina Iglesias gestaltete Bronzeportal ein schöner, trotz seinen mächtigen Dimensionen anekdotischer Fremdkörper.

Offensichtlich hat sich hier der Architekt nicht selbst ein Denkmal zu setzen versucht, sondern sich ganz den Erfordernissen eines Museums untergeordnet, das seine Modernisierung spät – später als die meisten andern Pinakotheken von Weltbedeutung – in Angriff genommen hat. So spät – und durch teilweise absurde Querelen weiter verzögert –, dass der Prado schon wieder zum Vorreiter werden könnte. Dürfte doch die Zeit der architektonischen Sensationshascherei gerade im Museumsbau allmählich abgelaufen sein, um wieder unprätentiösere und der Sache, nämlich der Kunst, umso besser dienende Räume entstehen zu lassen.

Die zu 70 Prozent ausländischen Besucher mochten mitunter über die Rumpelkammer Prado murren. Antiquiert von der Kasse bis zu den Kartenständern, bot ihnen jedoch kein anderes Museum Meisterwerke der Kunst in so hoher Konzentration. Und so soll es bleiben. Die Nutzfläche ist um 50 Prozent gewachsen, die Sammlung im Altbau aber wird praktisch unverändert präsentiert. Die neuen Säle sind Sonderausstellungen vorbehalten; der Moneo-Würfel nimmt ausserdem ein Auditorium, Werkstätten und andere Technikräume auf. Das Zwischenglied erstreckt sich, verborgen unter einem Buchsbaumgarten, als Raumkontinuum vom Vestibül über den Museumsshop bis zur Cafeteria: ein spitzwinkliges Dreieck, durch einen separaten seitlichen Eingang zugänglich und wie versenkt zwischen dem höher liegenden Jerónimos und dem Altbau, an den es sich schmiegt und in dessen Zentrum die «Sala de las Musas» nun als eigentlicher Verteiler fungiert. Hier und nur hier hat Moneo in den Villanueva-Bau eingegriffen, um dem Prado seinen natürlichen Haupteingang, die «Puerta de Velázquez», zurückzugeben. Nun können die Besucher zwar nicht mehr gleich nach dem Security-Check achtlos an Mantegnas «Hinschied der Muttergottes» vorbeischlendern (oder auch nicht), sondern werden in dem pompejirot stuckierten Saal vom Halbkreis von acht marmornen römischen Musen empfangen. Das wirkt, als möchte der Prado eher nach innen expandieren, die Intensität möglicher Kunsterfahrung jedenfalls nicht ganz verloren geben, und dafür laut seinem Direktor Miguel Zugaza gern auf Filialen in Abu Dhabi oder Las Vegas verzichten.

Zugaza, alles andere als ein Schwarmgeist, hat den Prado auf Kurs gebracht. Bevor er 2001 seine Leitung übernahm, hatte sich das Direktorenkarussell fast im Jahresrhythmus gedreht. Nun, da die umfänglichste Erweiterung des Museums seit seiner Gründung vollbracht ist – 152 Millionen Euro die Kosten –, gibt sich die Eröffnungsausstellung betont introvertiert.

Ein Prado aus dem Prado

Die spanische Kunst des 19. Jahrhunderts, das so turbulent verlief und schliesslich den Niedergang des Landes besiegelte, war bisher nicht der Stolz der Sammlung. Die Mehrzahl der 3000 Werke aus den entsprechenden Beständen wurde an Provinzmuseen ausgeliehen. Einige wenige mochten beiläufige Blicke in der Nachbarschaft von Picassos «Guernica» erhaschen, als das berühmte, 1981 aus New York an das demokratische Spanien zurückgegebene Bild seltsamerweise zunächst im «Casón del Buen Retiro» präsentiert wurde, einer seit Jahren geschlossenen Dépendance des Museums. Sie soll demnächst als Studienzentrum des Museo del Prado neu eröffnet werden.

Nun haben die Prado-Kuratoren knapp hundert Gemälde aus jener Epoche gefiltert – alle perfekt, ohne die anderswo beliebten Grellheiten restauriert –, ergänzt durch einige Skulpturen, und das Ergebnis lautet: Spaniens 19. Jahrhundert war auch in bildnerischer Hinsicht eine fortlaufende Kalamität.

Gerade die lange verpönte, da ideologisch befrachtete Historienmalerei jedoch hat einige herzzerreissende Ikonen hinterlassen: Gisberts «Füsilierung von Torrijos», Morenos «Carlos de Viana», «Juana la Loca» hier gar in zwei grossartigen Versionen. Der ganze Wahnsinn der spanischen Geschichte wurde von Malern, deren Namen im Lande selbst kaum jemand kennt, in diese Gesichter, diese Gesten gestanzt. Es wird aber auch klar: Zwischen Goya und Sorolla (den chronologischen Polen der Ausstellung) brachte Spanien keinen wirklichen Ausnahmekünstler hervor.

Madrazo, dominierende Figur der Jahrhundertmitte, war ein begnadeter Porträtist. Zur Kunstgeschichte trug er eher nichts bei. Allen akademischen Ballast warf nur Mariano Fortuny ab, dessen halluzinogene Miniaturen hier ihre Umgebung – die von Rafael Moneo neu geschaffenen Räume – genauso vergessen lassen wie ein 6 mal 4 Meter messender Historienschinken. Das spricht für Moneos Räume.

10. Juli 2002Markus Jakob
Neue Zürcher Zeitung

Prado-Posse, nächster Akt

Endlich hatten sie angefangen, die Bauarbeiten für die Erweiterung des Madrider Museo del Prado nach dem Entwurf von Rafael Moneo, da verfügte letzte Woche...

Endlich hatten sie angefangen, die Bauarbeiten für die Erweiterung des Madrider Museo del Prado nach dem Entwurf von Rafael Moneo, da verfügte letzte Woche...

Endlich hatten sie angefangen, die Bauarbeiten für die Erweiterung des Madrider Museo del Prado nach dem Entwurf von Rafael Moneo, da verfügte letzte Woche der Oberste Gerichtshof einen vorläufigen Baustopp. Grund: die Klage eines Nachbarschaftsvereins, der sich seit Jahren gegen die Integrierung des verlotterten Kreuzgangs der Kirche San Jerónimo in einen geplanten und im Volksmund als «Moneo-Würfel» bekannten Annexbau wehrt. Ironischerweise fiel der richterliche Entscheid erst, als die Ruine bereits Stein für Stein abgetragen worden war, um künftig als glasüberdachter Lesesaal wieder zu erstehen. Um aber die Sache noch vertrackter zu machen, bürdeten die Leuchten der Rechtsprechung dem klagenden Verein, bevor das Urteil rechtskräftig wird, eine Kaution in der Höhe von 1,25 Millionen Euro für die eventuellen finanziellen Konsequenzen des Baustopps auf. Prompt wurde denn auch ein Spendenkonto eingerichtet.

Die Justizschnurre passt in die Kette von Tollheiten, in die sich das ehrwürdige Museum seit Jahren verwickelt sieht, sowohl was seine bauliche als auch seine administrative Modernisierung betrifft. Sie schreibt sich aber auch ein in die nicht mehr zu übersehende Tendenz, neue Architektur zum Rechtsfall zu machen. Zwei weitere spanische Beispiele dafür: In Madrid vereitelte ein Richter die Realisierung des siegreichen Wettbewerbsprojekts für das Museum, das künftig die Königlichen Sammlungen beherbergen soll, und liess einen neuen Wettbewerb ausschreiben. Und in Sagunt wurde eine seit fast zehn Jahren schwelende Gerichtsfehde - wie im Fall des Prado - zugunsten der Ruinenromantik entschieden (NZZ 5. 7. 02). Der von Giorgio Grassi und Manuel Portaceli vorgenommene Eingriff am römischen Theater, so rigoros er römische Baukunst zeitgenössisch interpretierte, muss demnach rückgängig gemacht werden.

09. Juli 2002ORF.at

Alt gegen neu

Die Leitung des Prado rechnet damit, dass die Bürger-Initiative nicht die geforderte Bürgschafts-Summe auftreiben kann und damit die Arbeiten fortgesetzt werden können.

Die Leitung des Prado rechnet damit, dass die Bürger-Initiative nicht die geforderte Bürgschafts-Summe auftreiben kann und damit die Arbeiten fortgesetzt werden können.

Der Oberste Gerichtshof Spaniens hat die Erweiterung des Prado-Museums in Madrid gestoppt und damit eines der größten Prestige-Projekte der spanischen Kulturpolitik einstweilen auf Eis gelegt. Die Richter gaben nach Presseberichten vom Samstag der Klage von Anwohnern statt, die sich gegen die Pläne des Star-Architekten Rafael Moneo wehren, die Klosterruine der angrenzenden Sankt-Hieronymus-Kirche in das Vorhaben einzubeziehen.

Die Kläger müssen jedoch eine Bürgschaft von 1,25 Millionen Euro hinterlegen, damit die durch die Verzögerung der Bauarbeiten entstehenden Kosten abgedeckt sind. Das Kloster aus dem 17. Jahrhundert ist bereits Stein für Stein abgetragen worden. Es soll nach den Plänen Moneos unter einem Licht durchfluteten Kubus wieder aufgebaut werden und dann neue Räume des Prado beherbergen.


Bürger-Initiative gegen Projekt

Die von den Anwohnern gegründete Bürgerinitiative will dies verhindern und fordert stattdessen die Restaurierung des Klosters in seiner ursprünglichen Form. Für die geforderte Bürgschaft wollen sie um Spenden werben.

Die um 16.000 Quadratmeter geplante Erweiterung soll rund 50 Millionen Euro kosten. Sie ist notwendig, weil Spaniens wichtigste Pinakothek aus allen Nähten platzt. Bislang kann nur ein Bruchteil der 10.000 Kunstwerke gezeigt werden. Die restlichen sind in Lagerräumen eingemottet. Ministerpräsident Jose Maria Aznar hat sich persönlich für den Ausbau des Prado stark gemacht.


Erweiterung 2001 genehmigt

Vor rund einem Jahr genehmigte die spanische Regierung die Bauarbeiten für das Vorhaben nach den Plänen des spanischen Star-Architekten. Moneo (63) hatte den Ideenwettbewerb für das Projekt vor drei Jahren gewonnen. Zu seinen Werken zählen u.a. der Madrider Atocha-Bahnhof mit seinem tropischen Palmengarten und der Umbau des Thyssen-Bornemisza-Museums der spanischen Hauptstadt.


Frischer Wind durch Erneuerung

Im März des Vorjahres beschloss der Stiftungsausschuss, die Verwaltung und Finanzierung des staatlichen Museums von Grund auf zu reformieren. Damit soll der Prado, eines der bedeutendsten Kunstmuseen der Welt, einen neuen rechtlichen Status mit einer größeren Eigenständigkeit erhalten, erklärte damals Stiftungspräsident Eduardo Serra.

Die Führung des Museums solle flexibler, effektiver und moderner werden, so Serra. Die Prado-Stiftung zog mit diesen Beschlüssen die Konsequenzen aus einem Bericht der Boston Consulting Group. Dieses hatte dem Prado bescheinigt, im Vergleich zum Louvre in Paris oder zur National Gallery in London ein Museum mit einem niedrigen Budget und einem geringen Quantum an Aktivitäten zu sein.

15. Juni 2001Markus Jakob
Neue Zürcher Zeitung

Unternehmen Prado

Ein „Juwel“ wird neu geschliffen

Ein „Juwel“ wird neu geschliffen

Der Prado steht vor der tiefgreifendsten Reform seiner fast zweihundertjährigen Geschichte. Während der Architekt Rafael Moneo die bauliche Erweiterung in Angriff nimmt, plant der neue Vorsitzende des Stiftungsrats, Eduardo Serra, die Modernisierung der Verwaltung und ein marktwirtschaftlich orientiertes Finanzierungsmodell.

Eduardo Serra empfängt, Zigarre in der Linken, im Madrider Chefbüro der UBS. Die Schweizer Bankiers haben ihn letzten Herbst auf diesen Posten berufen, kurz nach seiner überraschenden Ernennung zum Präsidenten des Stiftungsrates des Prado-Museums. Serra bewältigt nun beide Aufgaben nebeneinander. Davor hatte er als Verteidigungsminister die Professionalisierung der spanischen Armee in die Wege geleitet. Bloss, was hat die «Mili» mit einer Gemäldesammlung, noch dazu einer so bedeutenden wie dem Prado, zu tun?

«Das müssen Sie schon Präsident Aznar fragen.» Denn es war der Regierungschef persönlich, der in dem parteiunabhängigen Serra den geeigneten Mann sah, um die verkrusteten Strukturen des Museums aufzubrechen und ein neues Verwaltungs- und Finanzierungsmodell durchzusetzen. Welche Qualifikationen bringt der Ex-Verteidigungsminister aber dafür mit, ausser seinem marktwirtschaftlichen Credo und seinen unzweifelhaften, bei Unternehmen wie Peugeot España und dem Mobilfunkkonzern Airtel unter Beweis gestellten Führungsfähigkeiten? «Ich bin, wie ja übrigens auch Präsident Aznar, der Kultur sehr zugetan», äussert er in jenem schulmeisterlichen Tonfall, der nachgerade ein Erkennungszeichen der spanischen Rechten ist. Von Kunst jedoch, fügt er unumwunden hinzu, verstehe er nichts. Sollte denn Kunst etwas mit der Verwaltung eines Museums zu tun haben? Immerhin, erklärt er weiter, gehörte zu seinem Ministerportefeuille die geplante Verlegung des Heeresmuseums - Museo del Ejército (NZZ 12. 2. 00) - von Madrid nach Toledo. Das dadurch frei werdende Gebäude wird nun übrigens, nebst weiteren Dépendancen in der unmittelbaren Umgebung, auch in die Prado-Erweiterungspläne einbezogen.


Chefsache

Dass der Prado einer starken Hand bedurfte, bezweifelte nach den Turbulenzen der vergangenen Jahre im Grunde niemand. Mochte die Anekdote auch noch bemüht werden, als es 1996 letztmals in den Velázquez-Saal hineinregnete: Man kann heute nicht mehr alle Übel darauf zurückführen, dass einst die napoleonischen Truppen das Prado-Dach zu Bleikugeln umgossen. Platzprobleme, Pilzbefall von im Keller deponierten Werken, mangelnde Sicherheitsvorkehren, Gerüchte um angeblich falsche Goyas, mysteriöse Preisexplosionen bei Schenkungen, die von der Steuer absetzbar sind, und ein generell als zu tief erachtetes Aktivitätsniveau: Die Mängelliste ist lang. In konservatorischer Hinsicht ist immerhin die im Vergleich zu andern Museen sehr zurückhaltende Arbeit der Restauratoren hoch zu schätzen. Aber allein zwischen 1991 und 1996 hat der Kunsttempel vier Direktoren verschlissen. Der Kunsthistoriker Fernando Checa, der sich seither auf diesem Posten hält, ist nun durch Serra faktisch entmachtet worden. Als dieser seine Strategie für das Museum den Medien präsentierte, sass der nominelle Direktor nicht etwa neben ihm auf dem Podium, sondern im Publikum.

Der Maler Ramón Gaya, der das Museo del Prado ein «umgekehrtes Irrenhaus» genannt hat - «ein Irrenhaus der Vernunft, der Stille, der Gewissheit» -, bezog sich gewiss nicht auf dessen Verwaltung. Eher meinte er die Sammlung, vielleicht auch die altertümliche, trotz jährlich 1,8 Millionen Besuchern durchaus klassische Museumsstimmung. Nun aber übernimmt die Macht in diesem Irrenhaus der Stille und der Gewissheit ein Mann, der darin schlicht ein «Juwel» sieht - «das Kronjuwel» -, das es schleunigst neu und marktgerecht zu schleifen gilt. «Als Patriot», so Serra, könne er es nicht mehr mit ansehen, wie einige an ihren Sitzen klebende Kustoden das Haus als ihr Privatrevier mit lebenslänglicher staatlicher Vollversorgung betrachteten.

Da kann man nur leer schlucken, denn er hat zweifellos Recht: Die in seinem Auftrag von der Boston Consulting Group erstellte Analyse stellt fest, dass vergleichbare Museen wie der Louvre und das Metropolitan ein Mehrfaches an Öffentlichkeitsarbeit leisten, im Klartext: spektakuläre und besucherintensive Temporärausstellungen ausrichten, wie sie der Prado kaum je geboten hat. Das Budget reicht dafür schlicht nicht aus. Es soll daher bis ins Jahr 2005 verdreifacht werden, auf ungefähr 70 Millionen Franken jährlich, inklusive eines Ankaufsetats von 15 Millionen. Sponsoring, Merchandising und Eintrittsgelder (wobei mittelfristig mit einer Verdoppelung des Eintrittspreises zu rechnen ist) sollen künftig über 30 Millionen Franken jährlich generieren. Auch der Staat wird freilich zur Kasse gebeten: Sein Anteil an der Finanzierung soll zwar von 67 Prozent (europäischer Durchschnitt heute: 62 Prozent) auf 50 Prozent sinken, in absoluten Zahlen wird er sich aber mehr als verdoppeln.

Die Consulting-Firma entwarf, abgesehen von der kategorisch geforderten Umsatzsteigerung - mehr Personal, mehr Besucher, mehr Budget, mehr Aktivitäten -, flüchtig auch verschiedene Szenarien für einen neuen rechtlichen Status des Museums, mit den Extremen «reiner Staatsbetrieb» und «Totalprivatisierung». Empfohlen wird eine öffentlichrechtliche Institution mit Teilautonomie. Völlig neu geregelt wird die interne Verwaltung: Ein Generaldirektor - de facto jetzt Eduardo Serra - fungiert als Schlüsselfigur zwischen der ständigen Aufsichtskommission und dem Stiftungsrat einerseits, andererseits den bislang zwei, neu vier Direktoren: künstlerische Leitung, interne Verwaltung, Drittmittelbeschaffung (englisch «Development») und Öffentlichkeitsarbeit.


Gegenstimmen

Die spanische Öffentlichkeit hat auf die geplante Kommerzialisierung ihres kulturellen Flaggschiffs bisher nicht reagiert. Auch intern ist der Widerstand gering, obwohl künftig zweifellos in einem kompetitiveren Umfeld gearbeitet werden wird. Fast 300 zusätzliche Arbeitsplätze zu den 400 bestehenden wiegen indessen schwerer als die Möglichkeit einiger Entlassungen. Kritische Stimmen lassen sich aber auch sonst kaum vernehmen. Er könnte wohl eine solche sein, meint etwa einer der Ex-Direktoren des Museums, ziehe es jedoch vor, sich nicht öffentlich zu dem Thema zu äussern. Der Kurzangebundene war seinerzeit ironischerweise wegen eines Vergehens entlassen worden, das jetzt im Prado gerade zur Norm werden soll: der kommerziellen Nutzung der Säle für Fremdzwecke.

Die oppositionellen Sozialisten hatten zwar die Form gerügt, in der Serra auf präsidiales Geheiss ernannt worden war; verletzte sie doch gröblich nicht nur das Statut des Stiftungsrats, sondern überhaupt alle demokratischen Spielregeln. Aber da mit Kulturpolitik keine Wähler zu gewinnen sind, begnügte man sich mit einer nachträglichen Entschuldigung der Regierung, ohne an der Tatsache zu rütteln, dass Serra heute eine Stellung einnimmt, die ihm rechtens nicht zusteht. Joaquín Leguina, der Kultursprecher des PSOE, will nun abwarten, bis das seines Erachtens unnötige neue «Prado-Gesetz» vors Parlament kommt, um seine Vorbehalte gegen eine Teilprivatisierung präziser zu formulieren. «Da braucht man sich nichts vorzumachen. Aus reiner Wohltätigkeit engagiert sich kein Grossunternehmen für Kunst. Was zur einen Seite hereinkommt, geht via Steuererleichterungen auf der andern wieder raus.»

Laut Serra steht der Stiftungsrat einmütig hinter seinem Projekt. Möglicherweise beruht dieser Konsens aber darauf, dass über entscheidende Fragen gar nicht abgestimmt wird. Dies versichert jedenfalls ein Mitglied des Stiftungsrats, das - obwohl es sich die Mühe nahm, der NZZ gegenüber schriftlich Stellung zu nehmen - nicht namentlich genannt werden möchte. Ist das der Stand der Meinungsfreiheit im heutigen Spanien? Gerade das «scheinbare» Fehlen einer Opposition im Fall Prado zeige die rigorose Kontrolle über die Medien auf, die Spaniens Rechte erlangt habe. Kein Museum sei je auf so unverschämte Weise von einer Regierung als Propagandainstrument missbraucht worden. Das von Serra verfolgte Modell gehe weit über alles hinaus, was in Sachen Sponsoring bislang an Europas Pinakotheken toleriert worden sei. Private Geldgeber neigen nun einmal zum Spektakulum. Sie können kurzfristige Projekte durchführen, sichern jedoch keine Häuser und erlauben keine langfristigen Planungen.

Natürlich liegt in Spanien das Guggenheim-Beispiel nahe. Auch in Bilbao lässt sich ja der Staat das amerikanische Modell des kulturellen Erlebnisparks einiges kosten. «Ob das Museum seine Sache gut oder schlecht macht, muss», so Serra, «das Publikum entscheiden.» Einschaltquoten also auch für den Prado? Den Kürzern ziehen wird, obwohl man sich in Madrid dann «die besten Fachleute» leisten kann, voraussichtlich die Kunstwissenschaft - und wohl auch jenes Publikum, für das der Prado bisher so etwas wie «ein Irrenhaus der Vernunft, der Stille und der Gewissheit» war.

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