Pläne

Details

Adresse
Missindorfstraße 10, 1140 Wien, Österreich
Mitarbeit Architektur
Regina Gschwendtner, Christoph Mörkl
Bauherrschaft
Verein für integrative Lebensgestaltung
Bauphysik
Walter Prause
Haustechnik
BPS
Fotografie
Hertha Hurnaus
Maßnahme
Erweiterung
Funktion
Wohnbauten
Planung
1998
Ausführung
1999 - 2000

Preise und Auszeichnungen

Publikationen

Presseschau

08. September 2001Judith Eiblmayr
Spectrum

Was sich daheim alles abspielt

Nicht nur das satte Orange der Fassade verbindet den Tochter- mit dem Mutterbau. „Miss Sargfabrik“ von BKK-3 hat sich inzwischen ebenso wie die „Missis“ als Synonym für gelungenen sozialen Wohnbau etabliert. Weiterer Nachwuchs dringend erwünscht!

Nicht nur das satte Orange der Fassade verbindet den Tochter- mit dem Mutterbau. „Miss Sargfabrik“ von BKK-3 hat sich inzwischen ebenso wie die „Missis“ als Synonym für gelungenen sozialen Wohnbau etabliert. Weiterer Nachwuchs dringend erwünscht!

Leben im Industriedenkmal ist in Wien zur Zeit ein hochaktuelles Thema. Allerdings befürchtet die Betriebsgesellschaft eines solchen Projekts offensichtlich die mangelnde Identifikation ihrer Zielgruppe mit dem historischen Ort und kreiert ein zeitgemäßes Branding, um die Kundschaft nicht mit architektonischen Altlasten zu verschrecken. Und so wird zum Beispiel durch einen semantischen Kunstgriff aus den plumpen Gasometern eine schicke Vorstadt, denn: „G-town ist eine junge Stadt“.

An einer anderen Stelle in Wien, in Penzing, hatte man mit dem Verweis auf die ehemalige industrielle Nutzung des Orts offensichtlich weniger Probleme gehabt, wodurch sich die eher skurril anmutende Bezeichnung „Sargfabrik“ als Synonym für ein gelungenes soziales Wohnbauprojekt etablieren konnte.

Eine Gruppe unzufriedener Wohnungssuchender war Anfang der 1990er Jahre angetreten, um mit Hilfe der Architekten und Architektinnen des Baukünstlerkollektivs BKK-2 (Ch. Lammerhuber, A. Linemayr, F. Sumnitsch, F. Wallnöfer, J. Winter und E. Wurster) eine neue Art der Wohnform auf dem Wiener Wohnungsmarkt zu plazieren. Man gründete den „Verein für integrative Lebensgestaltung“ und wollte das leerstehende Fabriksgebäude im dicht verbauten Gebiet zu einem Wohnbau umfunktionieren. Die Bausubstanz war allerdings zu schlecht, und so wurde 1996 ein Neubau in sattem Orange fertiggestellt, der sich nicht nur durch diese Farbgebung exzentrisch zeigt, sondern der auch in seinem sozial ausgerichteten Raumprogramm links der Mitte anzusiedeln ist: In bester Tradition des Wiener kommunalen Wohnbaus der Zwischenkriegszeit wurden nebst Wohnungen gemeinschaftlich zu nutzende Zusatzeinrichtungen wie Kindergarten, Hallenbad, Veranstaltungssaal und Café errichtet, deren Betrieb gemeinsam und durch Vermietung finanziert wird. Gleichzeitig wollte man durch diese Infrastruktur ein neues kulturelles Zentrum schaffen und sich trotz unangepaßter Architektur im Grätzel integrieren. Die Intention: eine Belebung des Viertels, ging auf.

Um eine höhere Dichte zu erreichen, die Förderungsmittel für die Gemeinschaftseinrichtungen voll ausschöpfen und möglichst billig bauen zu können, wurde das Gebäude als Wohnheim deklariert, in dem die Wohnungen wie Heimplätze vergeben werden. Ein Kollektivprojekt, das 1996 wegen seiner außergewöhnlichen Architektur mit dem Bauherrnpreis der Zentralvereinigung der Architekten und mit dem Adolf-Loos-Preis ausgezeichnet wurde.
Der gute Ruf der „Sargfabrik“ und die hohe Wohnzufriedenheit bewirkten eine starke Nachfrage nach freien Wohnungen im Verband, sodaß schon bald über eine Erweiterung in unmittelbarer Nachbarschaft nachgedacht wurde. Dies auch aus der Erkenntnis heraus, daß die Gemeinschaftseinrichtungen durch mehr Nutzer und Nutzerinnen jeden einzelnen billiger kommen würden. So wurde an der nächsten Ecke ein Grundstück angekauft und von (mittlerweile) BKK-3, den Architekten Johann Winter und Franz Sumnitsch, ein Ableger geplant, der sich gebauterweise zu einem stattlichen Fräulein auswuchs: „Miss Sargfabrik“ - weil in der Missindorfstraße gelegen - wurde in ihrer Konzeption insofern modifiziert, als sämtliche Erfahrungen der Bewohner und Bewohnerinnen des ersten Bauteils analysiert wurden und in die Planung einflossen. Bei der Beibehaltung der Farbe Orange für die Fassade, die auch bereits als Trademark fungiert, war man sich einig. Leicht verändert wurde hingegen die bauliche Struktur; „Missis“ wurde abgeschlankt, sprich, die Wohnungen wurden kleiner, um besser leistbar zu sein, und die Dichte weiter erhöht, indem das ausgeklügelte Split-level-System, das die Schlafräume extrem niedrig und die Wohnräume möglichst hoch werden läßt, gegenüber dem Altbau noch verfeinert wurde.

Der Niveauausgleich innerhalb der Wohnungen erfolgte dort, wo die Mieter dies wollten, über Rampen neben den Gehstufen, wodurch ein offener Übergang mit höchst dynamischem Charakter geschaffen wurde. Durch eine Überbauung der Rampen kann jedoch bei Bedarf zusätzlich nutzbarer (Stau-)Raum geschaffen werden. Vorwiegend geprägt wird die Raumdynamik allerdings durch die geknickten Wohnungstrennwände, die die Kleinheit der Wohneinheiten durch die Perspektivwirkung kaschieren. Diese Wohnungen sind im besten Sinne schräg und weichen entschieden vom gängigen Grundrißtypus ab. Ausgeglichen wird die geringe Wohnfläche durch die Einbettung in eine auch im architektonischen Sinne soziale Struktur: Alle Wohnungen werden wohnzimmerseitig, wo auch der Eingang in die Wohnungen liegt, von einem süd- beziehungsweise ostseitigen, L-förmigen Laubengang erschlossen, der gleichzeitig als private Loggia dient. Diese Laubengänge, an deren beiden Enden die Stiegenhäuser situiert sind und die in den gemeinschaftlich genutzten Innenhof orientiert sind, können als die kommunizierenden Gefäße des Systems betrachtet werden, denn hier kriegt man alles mit, was sich daheim im Heim abspielt. Man sieht, wer kommt und geht, wer zu Hause ist und wer mittels heruntergelassener Jalousie seine Intimsphäre gewahrt haben möchte - dies stellt eine Art der sozialen Kontrolle dar, die man wollen muß.

Begünstigt sind dabei die Wohnungen im Dachgeschoß, die nicht nur über mehr Privatheit, sondern auch über einen herrlichen Fernblick verfügen. Auf Straßenniveau liegen nebst dem Haupteingang und der Garage (drei Pkw-Stellplätze sind für das Wohnheim genug, und selbst die sind durch eine Unzahl eingestellter Fahrräder alternativ zweckentfremdet) fünf Maisonetten, die durch jeweils eigene Eingänge direkt von der Gasse ideal als „Homeoffices“ genutzt werden können. Der Innenhof wurde auf die Ebene des Souterrains abgesenkt, wodurch ein vollwertiges, natürlich belichtetes Geschoß gewonnen wurde. Hier sind Bäume gepflanzt, plätschert das Wasser in einem Brunnen und ergibt sich für die Maisonetten eine ebenerdige Erweiterung in den Außenraum.

Die Kollektivräume der Hausgemeinschaft hingegen sind nicht als Nebenräume im Souterrain angelegt, sondern liegen vom Laubengang aus begehbar zentral im Gebäude auf zwei Ebenen, ineinander verschachtelt und teilweise mit Sichtverbindung untereinander: eine Küche mit Eßplatz, die für größere Einladungen oder Feste benutzt werden kann, die Waschküche, ein Raum für mögliches Teleworking und das erweiterte Wohnzimmer für alle, eine Bibliothek. Diese verfügt auf beiden Ebenen über einen Zugang, wobei sich der Raum bei Benutzung des unteren Eingangs über eine extrem steile, gewendelte Rampe erschließt, die seitens der Baubehörde nur deshalb genehmigt wurde, weil sie als „Bergskulptur“ (Benutzung auf eigene Gefahr) gewidmet wurde. Lediglich der Discoraum für die Jugendlichen ist im Keller untergebracht und auch separat von der Gasse aus zugänglich. Ins Hallenbad, in den Kindergarten oder ins Café spazieren die Mieter und Mieterinnen eine Gasse weiter in die „alte Sargfabrik“.

Dem von seiten des „Vereins für integrative Lebensgestaltung“ selbstauferlegten sozialen Anspruch wird dieses gelungene Integrationsprojekt nicht nur dadurch gerecht, daß auch Behindertenwohnungen und eine betreute Wohngemeinschaft für Kinder und Jugendliche Platz fanden, sondern er zeigt sich logischerweise in der Bewohnerstruktur. Alleinerziehende Mütter, geschiedene Männer sind jene, die auf eine erschwingliche, funktionierende soziale Infrastruktur angewiesen sind, um nicht häuslich zu vereinsamen. Die Nachfrage seitens der Frauen war so hoch, daß sogar ein Inserat aufgegeben werden mußte - „Miss sucht Männer!“ -, um eine bessere Durchmischung zu erreichen. 10 Prozent der Wohnungen werden mit befristeten Verträgen vergeben, damit ein gewisses Flexibilitätspotential gewahrt wird und neue Interessenten die Chance erhalten, in die „Sargfabrik“ einzuziehen. Die Fluktuation ist jedoch wesentlich geringer als erwünscht, wer einmal hier wohnt, möchte nicht mehr ausziehen. Durch das genossenschaftliche Prinzip hat sich eine Hausgemeinschaft gebildet, die die Verantwortung für die Pflege des Ganzen übernommen hat und dadurch offensichtlich für jeden einzelnen eine höhere Lebensqualität erzeugt als bei einer individualisierten Wohnform.

In Zeiten wie diesen, wo auch im sozialen Wohnbau die Gewinnmaximierung des Bauträgers im Vordergrund steht - siehe „G-town“ -, sind intelligente Projekte, wo die Architekten einen „sozialen Funktionalismus“ mit spannenden Formen und charmanten Details kombinieren, eine wahre Wohltat. Der Einsatz von Wohnbauförderungsgeldern erfolgt dieserart in optimaler Weise und schließt, wie die ungebremste Nachfrage von Bewerbern und Berwerberinnen zeigt, eine Lücke auf dem Wohnungsmarkt. Kollektive Wohnprojekte gab es schon viele, aber dieses scheint in ganz unwienerischer Art auch gut zu funktionieren. Der Bedarf an Projekten wie Mutter und Tochter Sargfabrik ist gegeben, hoffentlich sind die Architekten des Vereinslebens noch nicht müde und betreiben weiterhin eine geordnete „Familienplanung“.

01. September 2001Gert Walden
Neue Zürcher Zeitung

Koketter Bau im Gründerzeitquartier

(SUBTITLE) Die «Miss Sargfabrik» sorgt für ein neues Wiener Wohngefühl

Orange leuchtet sie im grauen Gründerzeitviertel: Ein wenig konservativ, ein wenig kokett, wie sie halt so sind, die Wiener Mäderln, steht die «Miss Sargfabrik»...

Orange leuchtet sie im grauen Gründerzeitviertel: Ein wenig konservativ, ein wenig kokett, wie sie halt so sind, die Wiener Mäderln, steht die «Miss Sargfabrik»...

Orange leuchtet sie im grauen Gründerzeitviertel: Ein wenig konservativ, ein wenig kokett, wie sie halt so sind, die Wiener Mäderln, steht die «Miss Sargfabrik» an der Strassenkreuzung Missindorfgasse/Fenzlgasse und macht allein schon durch die Farbe auf sich aufmerksam. Den Namen hat sie von ihrer Vorgängerin, der ersten «Sargfabrik», geerbt, die tatsächlich auf dem ehemaligen Areal einer Produktionsfirma für letzte Ruhestätten errichtet worden ist. Der Name steht aber auch für ein Wohnkonzept, das vom Architektenteam BKK-3 (Franz Sumnitsch und Johann Winter) nach der «Sargfabrik» (1996) weiterentwickelt wurde. So ist denn die «Miss Sargfabrik» trotz ihrer leicht morbiden Namensgebung - ein bisserl Schmäh muss sein - das ambitionierte Ergebnis der architektonischen Recherche von BKK-3 und des Engagements des Bauträgers, des Vereins für integrative Lebensgestaltung.


Zelt und Höhle

Mit der Idee, eine Nische der Wiener Wohnbauförderung zu nutzen, konnten die üblichen Auflagen betreffend Zimmeranordnung und Parkplatzverpflichtung umgangen werden. Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich - ob es der Lady passt oder nicht - schlichtweg ein Wohnheim, das per definitionem nicht den biederen Förderungs- und Grundrissbestimmungen unterliegt. Für die Architekten eröffnete dieses Ausblenden der kommunal bestimmten Wohnrituale die Möglichkeit, ihre «Miss Sargfabrik» unkonventionell einzukleiden: nach aussen hin und im Inneren, wo sich die wahren Werte der Lady entfalten können. Sumnitsch und Winter konzentrierten sich auf das Erfahrbarmachen des Wohnraums: Keine Raumskulptur mit schäbigen Grundrissen, wie die Gasometer-Kreationen von Coop Himmelblau, wurde hier intendiert. Vielmehr wurde bis in die kleinste der 39 Wohnungen das Erlebnis des Dreidimensionalen in den Vordergrund gerückt.

Bei den Garçonnièren, sie machen die Hälfte der Wohnungen aus, half dabei der Trick mit dem Knick. Anstelle der gewöhnlichen platten Trennwände sind in den Kleinstwohnungen mit rund 40 Quadratmetern die Wandscheiben zackig ausgefallen, während die Raumhöhen von den Entrées an den Laubengängen bis zur Strassenfront differieren. Auf diese Weise entstehen zwei Varianten der Behausung. Die extrovertierte, welche sich zum Freien hin öffnet, und die introvertierte mit mehr Platz im Wohnungszentrum. «Zelt und Höhle» - diese beiden archetypischen Spielarten des Wohnens, wie sie Gottfried Semper beschrieben hat, werden hier zeitgemäss formuliert. Rampen und flache Stiegen zeigen auf jeden Fall den Niveauunterschied an, wobei mit der durchgehenden Höhe an der Längsseite des Objekts eine ziemlich stereotype Strassenfront an der Fenzlgasse entsteht.

Bei den grösseren Wohnungen (70 bis 120 Quadratmeter) konnten die Architekten noch mehr an der Vielfalt der Wohnebenen feilen. Mit dem klassischen Split-Level lässt sich da schon einiges machen. Da ist Platz für Kleinarchitekturen - wie etwa eine Kanzel im Küchenbereich - als witzige, aber praktisch adaptierte Zitate der herrschaftlichen Baukunst im Wohnheim. Da wird auch die schwierige Ecksituation souverän gemeistert. Die schrägen Bodenflächen werden konsequent von den ansteigenden Fensterrahmungen begleitet, um in die Längsfront überzugleiten. An der Schmalseite des Hauses lüftet die «‹Miss Sargfabrik› dann ihr Rockerl». Hier wird die Strassenfront zur Schauseite des Inneren, aufgeschlitzt eröffnet sich die strukturelle Gliederung, um die Fassade letztlich in ein Emblem für innovatives Wohnen zu verwandeln. Wie überhaupt die Arbeit von BKK-3 mit äusserster Konsequenz die Kombination von individuellem Wohnnutzen und gemeinsamem Zusammenleben in das Räumliche einer skulpturalen Architektur transponiert.


Orange Bauskulptur

Die «Miss Sargfabrik» ist nämlich nicht nur kokett und konservativ, sie verfügt auch über einige Tugenden, die sie im Kontext der Wiener Architekturszene zur Ausnahmeerscheinung machen. Dazu zählen primär die Gemeinschaftseinrichtungen. Nicht wie üblich irgendwo im Keller versteckt, bilden sie - der Karl-Marx-Hof lässt grüssen - den Mittelpunkt des Hauses. Die Bibliothek, die Computerstationen und die Küche spielen gemeinsam den integrativen Part im Leben der «Miss Sargfabrik». Darüber hinaus ist die Architektur bis ins Detail hinein instrumentiert, um Räumlichkeit und Kommunikation miteinander in Einklang zu bringen. Die Laubengänge etwa, sonst ungeliebte Passagen des Transitorischen, sind ausreichend gross dimensioniert, um auch tatsächlich Platz anzubieten für Gespräche im halböffentlichen Raum. Sie erschliessen aber auch hier wieder mit den Öffnungen in den Brüstungen und Decken die Höhen und Tiefen der Lady und ihrer leicht morbiden gründerzeitlichen Umgebung.

Das orange Kleid der «Miss Sargfabrik» tut da einfach gut. Bei strahlendem Sonnenschein wirkt es überraschend zurückhaltend, in den grauen Wiener Wintermonaten erzeugt das Kolorit positive Grundstimmungen. Generell generiert die Architektur also eine Atmosphäre, die über die Gegenwart hinaus auf eine mögliche optimistische Zukunft des Wohnens verweist. Wie sehr dieser kräftige Farbtupfer in der Wiener Wohnlandschaft auch in der Szene anerkannt wird, zeigte auch kürzlich die Würdigung durch den 7. Architekturpreis der Vereinigung der österreichischen Zementindustrie an.

02. Dezember 2000Gert Walden
Der Standard

Besser als der Karl-Marx-Hof

Die neue „Miss Sargfabrik“ in Penzing bietet Begleiteinrichtungen zum Wohnen

Die neue „Miss Sargfabrik“ in Penzing bietet Begleiteinrichtungen zum Wohnen

Wien - Nach der Änderung der Wohnbauförderung sind sie in Wien schon lange aus den Großanlagen verschwunden: Begleiteinrichtungen zum Wohnen, die mehr bieten als nur den Kinderspielplatz mit der obligaten Sandkiste, wo sich Menschen außerhalb ihrer vier Wände ohne Konsumzwang treffen können.

Aber es wäre nicht Wien, wenn es nicht auch die Ausnahme gäbe. Und die heißt ganz cool: „Miss Sargfabrik“ in der Penzinger Missindorfstraße. Das ist die (bessere) Zweitauflage der „Sargfabrik“, die der „Verein für integrative Wohnformen“ ins Leben gerufen hat, als Wohnheim betreibt und damit Geld für diese Begleiteinrichtungen hat.

Dort im Bau der Architektengruppe Bkk-3 (Johann Winter, Franz Sumnitsch) gibt es, wie einstmals im Karl-Marx-Hof, eine Bibliothek und den Waschsalon.


Fast ein Café

Und weil seit den heroischen Tagen des „Roten Wien“ schon einige Zeit vergangen ist, finden sich ergänzend zum klassischen Angebot in der neuen orangefarbenen „Miss Sargfabrik“ auch Computerterminals. Doch damit hat die flotte "Miss nicht alle ihre Qualitäten ausgespielt. Die Architekten haben ein minzegrünes Ambiente geschaffen, das eigentlich einem klassischen Wiener Kaffeehaus nahe kommt.

Hier sind die Menschen nicht zu Hause und doch nicht an der frischen Luft, außerdem kommen sie in den Genuss einer Architektur mit schrägen Rampen, flachen Stiegen und witzigen Durchblicken - seltenes Beispiel für eine Baukunst, die funktional und gleichzeitig expressiv ist.

27. September 2000Gert Walden
Der Standard

Der Trick mit dem Knick

„Miss Sargfabrik“ - die bessere Art, in Wien günstig zu wohnen

„Miss Sargfabrik“ - die bessere Art, in Wien günstig zu wohnen

Wien - Im Gegensatz zur Bundesregierung halten gute Architekten ihre Versprechen. Vor einem Jahr noch war die Wohnheimanlage „Miss Sargfabrik“ in Wien-Penzing das innovativste Wohnbauprojekt dieser Stadt. Nun wissen alle gelernten Architekturverständigen, dass zwischen Planung und Ausführung der leidvolle Weg der Kompromisse und Abstriche gegenüber Genossenschaften und Generalplanern liegt.

Nicht so beim Projekt der Architektenteams BKK-3 (Johann Winter, Franz Sumnitsch), das vom „Verein für integrative Lebensgestaltung“ getragen wird: „Miss Sargfabrik“ hat sich ihren jugendlichen Charme und ihre architektonische Qualität bewahrt.

Das Konzept der Architekten beruht auf einer seltenen Mischung von ökonomischer Intelligenz und architektonischer Konsequenz. Selbst beim schwierigen Typus der Gar¸conni`eren entstanden Raumsituationen, die Enge und Weite, Höhe und Tiefe der Dreidimensionalität ausspielen. Hier ist nichts mehr von der Tristesse der üblichen Wiener Wohnbauschachteln zu spüren, die ihre Benutzer auf Papa-Mamma-Bubi-Mädi-Grundrisse verteilen. Dafür sorgt auch ein wenig die orange Fassadenfarbe im grauen Gründerzeitviertel.

Das volle 3D-Erlebnis wird durch eine sinnvolle, wie einfache Idee erreicht. Die Wände zwischen den Wohnungen sind geknickt, sodass jeweils zwei unterschiedliche Raumkonfigurationen entstehen: eine mit erweiterter Wohnungsmitte, eine andere „extrovertierte“ mit größerer Öffnung zur Fassade hin. Dazu kommen noch die unterschiedlichen Raumhöhen in den einzelnen Wohnungen, sodass auch schräge Ebenen eingezogen werden können. Bei den größeren Wohnungen erhöht sich noch der räumliche Reichtum. Da gibt es auch Galerien und zwei Wohngeschoße. Aber eines verbindet alle 38 Einheiten, die von einem Clubraum, einer Bibliothek und einem Waschsalon begleitet werden.

Die Leute vom BKK-3 haben keine selbstgefälligen Kunstwerke geschaffen, sondern funktional sinnvolle Behausungen, die gleichzeitig wertvolle Architektur sind. Die architektonische „Funktionalismus“ lässt sich auch an der Fassade der Eingangsseite ablesen: Die abgetreppten Decken sind wie in einem Scherenschnitt von außen sichtbar. Von ihrer Idee sind die Baukünstler selbst überzeugt: sie haben ihr Atelier in der „Miss Sargfabrik“.

20. September 2000Sabine Oppolzer
ORF.at

Traum in Orange

Die Miss Sargfabrik in der Missindorfstraße setzt auf integratives Wohnen, außerdem wurden die Erfahrungen der Bewohner der Sargfabrik Nr. 1 in der Planung berücksichtigt.

Die Miss Sargfabrik in der Missindorfstraße setzt auf integratives Wohnen, außerdem wurden die Erfahrungen der Bewohner der Sargfabrik Nr. 1 in der Planung berücksichtigt.

Die Sargfabrik Nr. 2 ist ein einheitlicher Baukörper in frischem Orange. Die Trennung zwischen Fassade und Dach ist aufgehoben, der Putz reicht bis an den Horizont. Aufgrund der durchgängigen Fensterbänder scheint die Fassade des viergeschoßigen Baus wie quergestreift. Rein optisch ähnelt dieser wieder von den BKK-3 Architekten Johann Winter und Franz Sumnitsch entworfene Erweiterungsbau dem ersten Projekt, „weil wir“, so der Projektleiter Rainer Tietel, „zeigen wollten, dass so ein Projekt der Mitbestimmung kein Unikat sein muss, sondern weitergehen kann.“

Schräge Decken

Auf dem Teil der Fassade, der auf die Missindorfstraße geht, spiegelt sich durch die geknickten Fensterbänder das Innenleben des Gebäudes: die Bewegung der schrägen Geschoßdecken. Denn das Raumerlebnis der Atelierwohnungen ist durch Deckenschrägen geprägt. Die Deckenschräge des einen Stockwerks entspricht jeweils der Fußbodenschräge der nächsten Etage. Auch die Trennwende zwischen den einzelnen Wohnungen weisen Knicke auf. Keine Wohnung gleicht der anderen.

Nur eines haben alle Wohnungen gemeinsam. Durch die unorthodoxe Raumaufteilung und die Fenster, die sich jeweils über die gesamte Außenfront ziehen, wirken sie größer als sie sind

Konzipiert wurde der Erweiterungsbau der Miss Sargfabrik als Einheit mit der alten Sargfabrik. Die Bewohner ließen ihre Erfahrungen in mehreren Feed-Back-Runden einfließen. So erzählt eine Bewohnerin, dass vor allem die Zweigeschoßigkeit ein heiß diskutiertes Thema war. „Wir wollten keine zweigeschoßigen Wohnungen mehr, weil wir alle älter werden und es ja auch Wohnbedürfnisse gibt, die mit Stiegen nicht gut vereinbar sind.“

So wurden in der 2. Sargfabrik in erster Linie kleinere Wohneinheiten für Studenten und Alleinerzieher geschaffen. Erst als zwei Geschoße restlos vergeben waren, wurde mit den zukünftigen Bewohnern die konkrete Planung ihrer Wohnungen, genannt Boxen, begonnen.

Für den Architekten Johann Winter ist eine solche architektonische Qualität neben den drei Dimensionen im Raum nur durch eine vierte Dimension möglich. Und die heißt: soziale Kompetenz

In der alten Sargfabrik gibt es daher ein Badehaus, einen Kindergarten, einen Veranstaltungssaal und ein Café-Restaurant. Erweitert wurde dieses Angebot jetzt durch diesen multifunktionalen Gemeinschaftsraum, der eine Küche genauso beinhaltet wie einen Waschsalon oder Telearbeitsplätze und sich über drei Etagen erstreckt.

Finanziert wurde das gesamte Projekt aus den Mitteln der Wohnbauförderug, auch wenn es sich um ein Wohnheim neuen Typs handelt, deren Bauträger der Verein für integrative Lebensgestaltung ist. So gibt es hier drei behindertengerechte Wohnungen, einen Clubraum für Jugendliche, Wohneinheiten für Studenten und für Flüchtlinge aus Bosnien. Einziehen wird auch die sozialpädagogische Wohngemeinschaft „Heim 2000“ mit Kindern, die derzeit in Heimen untergebracht sind. Durch diese Klassifizierung als Wohnheim wird die Sargfabrik für Gemeinschaftseinrichtungen mit plus 20% gefördert.

12. Mai 1999Gert Walden
Der Standard

„Miss Sargfabrik“

(SUBTITLE) Wohnbau mit verschiedenen Ebenen

Der erste Bauteil auf dem Areal der alten Penzinger Sargfabrik war ein Erfolg. Nun zeigen Johann Winter und Franz Sumnitsch im Folgeprojekt, daß das Konzept gegen die geförderte Wohnbau-Tristesse noch besser werden kann.

Der erste Bauteil auf dem Areal der alten Penzinger Sargfabrik war ein Erfolg. Nun zeigen Johann Winter und Franz Sumnitsch im Folgeprojekt, daß das Konzept gegen die geförderte Wohnbau-Tristesse noch besser werden kann.

Wien - Wer von den öden Wiener Wohnbaukisten der vergangenen Jahre genug hatte, übersiedelte in die Penzinger „Sargfabrik“. Der Erfolg des Projekts, das vom Verein für integrative Lebensgestaltung getragen und vom Baukünstlerkollektiv geplant wurde, findet nun eine Fortsetzung - unter dem Marketingtitel „Miss Sargfabrik“.

Die Architekten Johann Winter und Franz Sumnitsch sowie der Verein haben in mehrfacher Hinsicht dazugelernt. Zunächst einmal wurden im neuen Bauabschnitt an der Missindorfstraße der Anteil der Gar¸conni`eren auf die Hälfte der insgesamt 40 geförderten Wohneinheiten erhöht.

Neu aber auch in der planerischen Konsequenz des ersten Teils der „Sargfabrik“ ist die räumliche Organisation besonders im Bereich der Kleinwohnungen. Die Gar¸conni`ere als Synonym für eine minimale Wohnschachtel gilt in der „Miss Sargfabrik“ nicht. Winter und Sumnitsch haben es geschafft, daß auch die Kleinwohnungen zwischen 35 und 50 Quadratmeter ein 3D-Erlebnis bieten.


Folgenreicher Knick

Die Idee ist so einfach, wie sinnvoll. Statt der üblichen, platten Trennwände haben die Mauern zwischen den Gar¸conni`eren einen Knick. Auf diese Weise entstehen zwei unterschiedliche Raumkonfigurationen: es gibt da die introvertierte Variante, die eine erweiterte Wohnungsmitte umfaßt und eine extrovertierte Konstellation, wo die Öffnung zu den Fassaden hin dominiert. Außerdem ist durch die unterschiedlichen Raumhöhen innerhalb der Wohnungen das Einziehen einer schrägen Ebene möglich geworden, sodaß auch innerhalb der Gar¸conni`eren Enge und Weite in der Vertikalen spürbar sind. „Höhle oder Zelt“ - beide archetypischen Spielarten der Behausung nach Gottfried Semper sind also möglich, und sie wurden auch von den „Wohnungswerbern“ angenommen, was übrigens beim Ansuchen um Wohnbauförderung durchaus nützlich war, weil bereits auf Vorvermietungen hingewiesen werden konnte.

Bei den größeren Einheiten zwischen 70 und 120 Quadratmeter ist das Wohnen auf verschiedenen Ebenen noch ausgefeilter. Sogar drei Triplexwohnungen mit Option auf einen eigenen Arbeitsraum sind vorgesehen. Die Wohnungsstruktur ist nicht nur im Inneren wahrnehmbar, an der Schmalseite der Fassade läßt sich der Schnitt durch die Wohnungen ablesen. Struktur und Funktionsgliederung wurden damit zum Emblem für das Bauvorhaben.


Leben in Gemeinschaft

„Integratives Wohnen“ bedeutet aber in der „Miss Sargfabrik“ auch: ein Clubraum für Jugendliche, Platz für Teleworker, eine Gemeinschaftsküche und Bar, sowie Bibliothek und ein kleiner Waschsalon. Für diese wichtigen Einrichtungen sind immerhin rund 260 Quadratmeter Flächen vorgesehen, während die Wohnnutzfläche 2850 Quadratmeter ausmacht. Die künftigen Bewohner werden am 1. Mai 2000 einziehen.

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