26. April 2009 - Architekturzentrum Wien
Nachdem Peter Androsch im Frühjahr 2008 mit der Ruheraum-Idee an Roland Gnaiger (Ordinarius für Architektur an der Kunstuniversität Linz) herangetreten war, widmeten sich Studierende diesem Thema im Rahmen einer Semesterarbeit. Richard Steger, Tobias Hagleitner und Gunar Wilhelm bildeten eine Arbeitsgemeinschaft für Entwurf und Ausführung des Projekts, das sich auf eine zurückhaltende Transformation des Bestands konzentrierte. Der „Ruhepol“, dessen Bezeichnung sich an den ebenfalls aus einem Studentenprojekt entwickelten Biopunschstand „Wärmepol“ anlehnt, wurde in enger Zusammenarbeit mit Hörstadt (Klemens Pilsl) und dem Hauseigentümer, der SPÖ–Tochter Stiftung L36, umgesetzt.
Der 1909 errichtete Gebäudekomplex kann auf eine bewegte Geschichte verweisen: Im Zugangshof erinnern Informationstafeln eher beiläufig an die Februarkämpfe des Jahres 1934, die hier im damaligen „Hotel Schiff“ ihren Anfang nahmen. Das Gebäude beherbergte neben der Landeszentrale der SPÖ auch das legendäre Central-Kino, das dem innerstädtischen Kinosterben bis 2006 standhielt und in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen gefeiert hätte. Mit dem „Ruhepol“ bot sich nun eine Gelegenheit zur sanften Wiederbelebung des Bestands. Der Raum, dessen Wesenszweck ausschließlich darin besteht, Ruhe zu geben, wird hervorragend angenommen, selbst Berufstätige der Umgebung nutzen ihn in der Pause gelegentlich für ein kleines Mittagsschläfchen.
Ein Sidestep von der belebten Landstraße – und schon ist es ruhig. Geräuschabsorbierender Noppenschaum an den Pfeilern des Vordertrakts sorgen schon im Durchgang zum „Ruhepol“ für ein akustisches Schwellenerlebnis. Im Foyer, wo man von freundlichen Anti-Beschallungsaktivisten empfangen und über die Hausordnung informiert wird (bitte Handy lautlos schalten und Schuhe ausziehen), wurde die Einrichtung des Kinobetriebs aus den 1980er Jahren entfernt. Die freigelegte Gebäudestruktur – zum Teil Originalausstattung aus dem Errichtungsjahr – erhält mit einem schilfgrünen Anstrich ein homogenes Erscheinungsbild. Ein heller „Vorhangkokon“ umfängt den mit Leinensitzkissen und Sperrholztischchen ausgestatteten Lesebereich, an dessen Teebar man sich selbst bedienen kann.
Der eigentliche Ruheraum befindet sich im ehemaligen Kinosaal. Statt der seitlichen Ausgänge zum Foyer wurde der Logengang des ursprünglichen Kinobaus als Zugangsebene reaktiviert. Als akustische Puffer dienen die beiden Rundräume in den rückseitigen Ecken des Gebäudes, die mit ihrer Einkleidung aus hellem Noppenschaum den Luxus der Ruhe spürbar machen. Im Saal selbst sorgen Kiefersperrholzplatten, die wie ein loser Vorhang vor den Bestandswänden hängen, für eine ruhige alltagsferne Grundstimmung. Ein Tageslichtstrahl fällt durch eine Deckenöffnung in den gedämpft erhellten Raum. Der ebenfalls mit Sperrholzplatten ausgekleidete Boden ist zu einer Sitz- und Liegelandschaft gestuft/geböscht, Anhäufungen von Leinenkissen laden zum Hinsetzen ein. Da keine der Gestaltungsmaßnahmen den (ruhesuchenden) Gast als formale Setzung bedrängt, sondern vom provisorischen Freilegen der Substanz eher der Impuls der Lockerung ausgeht, fällt es nicht schwer, sich entspannt zurückzulehnen und in aller Ruhe zu verweilen. Mit einem in der Nähe des Ausgangs platzierten Hörrohr kann man sich schließlich der Intensität des Straßenlärms vergewissern, ehe man sich ihm wieder aussetzt. (Text: Gabriele Kaiser)