Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nazi-Architekturen kommt spät. Den Auftakt dazu gab die Volkstheaterposse rund um ein vermeintliches „Führerzimmer“.
Die öffentliche Debatte über den Umgang mit Nazi-Architekturen kommt spät. Den Auftakt dazu gab die Volkstheaterposse rund um ein vermeintliches „Führerzimmer“.
Die Nation hatte jüngst wieder einmal Gelegenheit, ihre Souveränität im Umgang mit der eigenen Vergangenheit anhand eines Schaustücks zu überprüfen. Ort der Inszenierung war das Volkstheater, als Hauptdarsteller agierte dessen neuer Direktor Michael Schottenberg, der Inhalt des Stückes befasste sich zumalen mit der Requisite:
Nicht ohne die Scheinwerfer der Öffentlichkeit sorgfältig auf sein Haus gelenkt zu haben, ließ der Volkstheaterdirektor im vermeintlich heiligen Zorn die schlichten hölzernen Verkleidungen eines neben der Direktion gelegenen Zimmers abreißen. Der Grund: Die Räumlichkeit stand im Geruche, seinerzeit im Jahr 1938 in der Erwartung des „Führers“ besonders sorgfältig ausgestattet worden zu sein.
Für seinen kleinen Akt der Denkmalschändung, verkündete der erzürnte Direktor öffentlich, sei er auch bereit, „eine Woche Gefängnis“ auf sich zu nehmen - denn das gesamte Volkstheater (1888/89 erbaut, 1938 sowie 1981 generalsaniert), und somit auch das „Führerzimmer“, steht unter Denkmalschutz.
In dem darauf folgenden Theaterwirbel fiel es offenbar vielen schwer, zwischen Schaustück und Realität zu unterscheiden, die Debatte war an Unsachlichkeit kaum zu überbieten, im Schaum der moralischen Aufwallungen verlor selbst die Politik in Person von Planungsstadtrat Rudolf Schicker die Weitsicht. Er verkündete, Schottenbergs Entscheidung, Bundesgesetze zu missachten, in diesem Fall zu begrüßen, ja zu unterstützen.
Zwischen den Fronten stand - und steht immer noch - das Bundesdenkmalamt. Das hatte sich vom Stadtrat unterschwellig braune Ten- Fortsetzung auf Seite A 2
Aufragend, aufregend!
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denzen vorwerfen lassen müssen. Schließlich sei hier ein Nazi-Relikt eben wegen seiner Provenienz unter Schutz gestellt worden, und eine Diskussion müsse jetzt endlich her.
Dass diese Debatte in den Reihen der etwas kühler und durchaus sorgfältiger agierenden Denkmalpfleger- und Architektenschaft seit Jahrzehnten geführt wird, und zwar international, scheint den Akteuren der Volkstheaterposse entgangen zu sein. Denn die Kriterien für die Unterschutzstellung von Objekten und Gebäuden sind klar definiert und im ersten Paragrafen des im Jahr 1999 novellierten Denkmalschutzgesetzes nachzulesen: Objekte werden aus „künstlerischen und/oder kulturellen“, aber eben auch aus „geschichtlichen Gründen“ unter Denkmalschutz gestellt.
Da der Nationalsozialismus unleugbar Teil der österreichischen Geschichte ist, sind auch Architekturen und Artefakte aus ebendieser, immer noch so gerne aus dem öffentlichen Bewusstsein verscheuchten Zeit mit exakt diesen Kriterien zu bewerten. Die Generalkonservatorin des Denkmalamtes, Eva-Maria Höhle, erklärt: „Wenn Objekte aus der NS-Zeit unter Schutz gestellt werden, dann nicht zuletzt deshalb, weil damit Denkanstöße für die Zukunft erhalten werden.“ (Siehe Interview unten)
Tatsächlich arbeitet das Denkmalamt laut Höhle bereits seit knapp zwei Jahren an der österreichweiten Erfassung von NS-Architektur. Höhle: „Wir hatten vor, nach der genauen Erfassung und Analyse ein Kolloquium zu diesem Thema zu machen, weil wir auch die Zeithistoriker einbinden wollten. Im Anschluss hatten wir vorgesehen, diese Problematik öffentlich ins Bewusstsein zu rücken. Letzteres ist jetzt wohl nicht mehr notwendig.“
Und noch eine weitere Tatsache wird öffentlich akzeptiert werden müssen: Spätestens seit Helmut Weihsmanns umfassender NS-Architekturanalyse Bauen unterm Hakenkreuz (erschienen 1998) ist auf vielen und sehr klein bedruckten Seiten nachzulesen, dass sich die Bautätigkeit des Dritten Reichs in der „Ostmark“ beileibe nicht auf die Errichtung der „Hermann Göring Werke“ in Linz, der Flaktürme in Wien oder die Konzeption von Autobahnen quer durch das Land beschränkte.
Tatsächlich ist ganz Österreich mit einer Vielzahl von Wohnanlagen, Industrie- und Verkehrsbauten aus dieser Epoche bestückt - und selbstverständlich hat das Bundesdenkmalamt den öffentlichen Auftrag, die markantesten, qualitätsvollsten und ihre Entstehungszeit am besten dokumentierenden Objekte zu analysieren und gegebenenfalls als Zeugen der Vergangenheit zu konservieren. Höhle: „Denkmale, egal welcher Epoche, sind immer aus der Geschichte in unsere Gegenwart ragende Dokumente mit einer direkten Mitteilungskraft, wie sie kein anderes Medium hat.“ Wer das nicht wahrhaben will, müsste halb Österreich wegreißen, müsste sofort die Salzburger Festung schleifen, alle Burgruinen vernichten und auch den Erhaltungswert der Hofburg überdenken.
In Deutschland hat man die Debatte über die NS-Architektur jedenfalls längst geführt, erste Unterschutzstellungen erfolgten bereits in den 70er-Jahren, und auch vor markanten Eingriffen in die großformatigen Nazi-Machtarchitekturen schreckte man nach ausführlichen, sich durchaus über Jahrzehnte hinziehenden Diskussionen nicht zurück. Günther Domenigs Dokumentationszentrum in der unvollendet gebliebenen Kongresshalle des gewaltigsten und architektonisch gewalttätigsten NS-Architekturrelikt, dem Nürnberger Parteitagsgebäude, steht hier exemplarisch für einen klugen und durchaus auch symbolträchtigen Umgang mit dieser noch jungen, „in unsere Gegenwart ragenden“ Vergangenheit: Der Grazer Architekt ließ das Gebäude unverändert, er schoss lediglich einen Pfahl zeitgenössischer Substanz durch das massive alte Gemäuer, riss es auf und legte in genau diese Wunde die Dokumente der NS-Vergangenheit.
Das Wiener „Führerzimmer“ hat Hitler übrigens nie betreten. Es ist laut Höhle nicht unwahrscheinlich, dass für die Ausstattung immerhin Josef Hoffmann verantwortlich war. Und der war, so Friedrich Achleitner, mit ziemlicher Sicherheit kein Nazi - wie übrigens viele andere Architekten auch, die damals ihrem Beruf nachgingen.
Der Standard, Sa., 2005.11.05
Helmut Weihsmanns Enzyklopädie der NS-Architektur ist aktueller denn je.
Helmut Weihsmanns Enzyklopädie der NS-Architektur ist aktueller denn je.
Das bereits 1998 erschienene Buch Bauen unterm Hakenkreuz. Architektur des Untergangs stellt die derzeit wohl aufwändigste und am besten recherchierte Analyse nationalsozialistischer Architektur in Deutschland und Österreich dar.
Der Autor Helmut Weihsmann, geboren 1950 in Wien, ist Architekt, Architekturhistoriker und Journalist. Für das fast 1200 Seiten starke Nachschlagewerk recherchierte er drei Jahre, über die NS-Architekturforschung stellt er im Vorwort fest: „Die bislang praktizierte Überbetonung großer, repräsentativer Bauprojekte verengte den Blick zu sehr auf einige wenige Persönlichkeiten und Zentren der Bautätigkeit während der NS-Herrschaft und versperrte damit bestimmte Sichtweisen sowie profunde kausale Zusammenhänge in der Bauwirtschaft und Baupolitik.“
Weihsmanns Kapitel über Österreich dokumentiert, dass ab 1938 auch hier zu Lande wesentlich mehr gebaut wurde, als man annehmen möchte. Der Autor listet alle Objekte geografisch geordnet auf und stellt diesen Listen jeweils kurze Analysen der Städte, der Betriebe, der Bautypen, der geplanten, aber auch der nicht realisierten Bauvorhaben sowie der handelnden Personen voran.
Bauen unterm Hakenkreuz ist ein akribisches Werk, das auch Architekturfachleute überraschen dürfte und die ideale Basis für die Erhebung von Nazi-Bauten in Österreich darstellt.
Der Standard, Sa., 2005.11.05
Friedrich Achleitner über Qualitäten und Fragwürdigkeiten nationalsozialistischer Architektur
Friedrich Achleitner über Qualitäten und Fragwürdigkeiten nationalsozialistischer Architektur
der Standard: Kann man den Begriff „NS-Architektur“ prinzipiell auf Gebäude aus den Jahren von 1938 bis 1945 reduzieren?
Friedrich Achleitner: Sicher nicht. Für mich ist die nationalsozialistische Architektur ein Phänomen des Historismus des 19. Jahrhunderts: Man bediente sich historischer Formen und adaptierte diese für die eigenen politischen Zwecke. Damit kann architektonische Qualität erzeugt und gleichzeitig missbraucht werden. Architektur kann man nicht nur inhaltlich und ideologisch bewerteten. Es gibt immer auch einen autonomen Kern, in dem die Qualität des Gebauten einfach ein Faktor ist. Es gibt etwa genauso grausliche klassizistische Gebäude wie feine, kultivierte und hochinteressante. Das Urteil spricht meist erst die Geschichte.
Welche Bauaufgaben lassen sich in der NS-Zeit unterscheiden und über welche architektonischen Qualitäten verfügen sie?
Achleitner: Es gibt drei Bereiche: Wohnbau, Industriebau und Parteibauten. Der NS-Wohnbau hat die Ideen von Heimatschutz- und Gartenstadtbewegung fortgesetzt, die sich ab der Jahrhundertwende entwickelt hatten, was allerdings nicht mit dem „Heimatstil“ verwechselt werden sollte. Dabei handelte es sich um eine kritische, durchaus positive Auseinandersetzung mit dem Geist des Liberalismus und der Industrialisierung (Gründerzeit), und das war eigentlich eine moderne Bewegung, die sich der bürgerlichen (biedermeierlichen) Baukultur annahm. Die Nazis haben sie später vereinnahmt und für ihre Ziele missbraucht. Das Ergebnis sind etwa die Werkssiedlungen der „Hermann-Göring-Werke“ oder die „Südtiroler-Siedlungen“, heute noch brauchbare und von den Bewohnern geschätzte Wohnanlagen. Die Qualitäten liegen in der Schaffung von Wohnidyllen und in der Betonung des Handwerklichen im Bauen. Sie sind also auch als zynische Kaschierungen der damaligen politischen Wirklichkeit zu verstehen.
Die „modernste“ Architektursprache zeigt jedoch der NS-Industriebau.
Achleitner: Viele Architekten, die keine Nazis waren, sind auf diesem Gebiet gewissermaßen untergetaucht, um „anständigen“ modernen Industriebau zu machen. Dort konnten sie ihre funktionalistischen Träume verwirklichen. Es gab ja auf diesem Gebiet auch die fortschrittlichsten Entwicklungen, was etwa Standardisierung und Bautechnologie angeht. Wenn Leute heute behaupten, „nicht alles war schlecht unterm Hitler“, dann sind auch solche Phänomene damit gemeint. Dass dahinter eine aggressive Rüstungsindustrie und Weltherrschaftsfantasien standen, vergisst man natürlich.
Die meistbeachteten Nazi-Architekturen sind die politischen Machtbauten. Wie beurteilen Sie
deren Qualität?
Achleitner: Dazu gibt es nicht viel zu sagen. Architekten wie Albert Speer haben diese Machtarchitekturen mit den Mitteln des Klassizismus ins Maßstablose gesteigert und im Detail vergröbert.
Wie soll man heute mit solchen Relikten umgehen?
Achleitner: Günther Domenig hat in Nürnberg gezeigt, wie man zu solchen Monstern architektonisch Stellung nehmen kann, ohne ihre Erbärmlichkeit zu vernichten. Hier verhindert ihre Erhaltung eine falsche Mythenbildung. Ich meine, man sollte der Geschichte ins Auge schauen. Ihre Vernichtung ist jedenfalls die archaischste, die primitivste und auch die gefährlichste Form, damit umzugehen, weil dadurch falsche Mythen entstehen.
Wie man mit architektonischen Zeitzeugen umgeht, hängt natürlich auch von der Wertigkeit der Gebäude ab. Es ist ein Unterschied, ob man die Flaktürme abreißt oder die Ausstattung eines Zimmers wegräumt. Gebäude sind historische Quellen. Als Objekte gehören sie einfach zu unserer Geschichte. Und die beste Information ist immer noch das Sichtbare.
Der Standard, Sa., 2005.11.05
Eva-Maria Höhle, Generalkonservatorin des Bundesdenkmalamts, über die Unterschutzstellung von NS-Objekten
Eva-Maria Höhle, Generalkonservatorin des Bundesdenkmalamts, über die Unterschutzstellung von NS-Objekten
Volkstheaterdirektor Michael Schottenberg ließ die Holztäfelungen des 1938 eingerichteten Hitlerzimmers abmontieren, obwohl er damit bewusst gegen Auflagen des Denkmalamtes verstieß. Warum hatte das Denkmalamt kein Einsehen? Der Raum war ohnedies nicht zugänglich.
Eva-Maria Höhle: Die öffentliche Zugänglichkeit ist kein Kriterium für den Denkmalschutz. Denken Sie an private Schlösser, Bauerhäuser, Klöster! Das Volkstheater steht mit allen späteren Veränderungen unter Denkmalschutz. Man nennt so etwas den „gewachsenen Zustand“. Also inklusive des Hitlerzimmers, auch wenn dieses im Denkmalschutzbescheid nicht expressis verbis erwähnt ist. Bei der Generalsanierung 1981 gelangte man mit der damaligen Theaterleitung zur Auffassung, dass das Hitlerzimmer als Jahresring des Hauses zu erhalten ist.
Der Wiener SP-Planungsstadtrat Rudolf Schicker stellte sich hinter Schottenberg: „Ein Zimmer, das zu Hitlers Ehre errichtet wurde, aus genau diesem Grund als erhaltenswert einzustufen ist skurril und gefährlich.“ Das grenze an „Revisionismus“. Es sei auch Aufgabe des Denkmalamtes, die politische Dimension zu sehen.
Höhle: Wir sehen sehr wohl diese politische Dimension! Jedes Objekt ist ein Zeugnis seiner Zeit. Wir erhalten auch die Hofburg - und zwar nicht, weil wir glühende Monarchisten wären. Man muss sich zu seiner Geschichte bekennen. Bauwerke aus einer Zeit, die man eigentlich nicht gerne in Erinnerung hat, haben daher umso mehr Bedeutung. Wenn Objekte aus der NS-Zeit unter Schutz gestellt werden, dann nicht zuletzt deshalb, weil damit auch Denkanstöße für die Zukunft erhalten werden. Schottenberg hat mit dem Abriss dieses Zimmers genau das Gegenteil dessen getan, was er erklärtermaßen tun wollte, denn er verhindert mit der Vernichtung die Erinnerung für die Zukunft. Lenin-Denkmäler wurden vom Sockel gekippt, die Berliner Mauer wurde geschleift. Das passiert als spontane Reaktion und darf nicht verwechselt werden mit Maßnahmen, die Jahrzehnte später gesetzt werden sollen im Sinne einer Geschichtskorrektur. Denn dann gehören die Objekte bereits zur Geschichte dazu. Dieser Unterschied dürfte Schottenberg nicht klar sein.
Schicker führt als weiteres „bedenkliches“ Beispiel das Wartehäuschen vor dem Hotel Bristol an, das unlängst mit der Begründung, es sei das erste öffentliche Gebäude nach der Machtergreifung, unter Schutz gestellt wurde.
Höhle: Das ist nicht korrekt. Es wurde unter Schutz gestellt, weil es sich um ein architektonisch charakteristisches Objekt aus der Zwischenkriegszeit handelt. Die Begründung hat rein gar nichts mit der NS-Zeit zu tun. Ein Foto beweist, dass es das Häuschen bereits 1928 gab.
Das Denkmalamt sprach sich gegen eine Aufstockung des Flakturms im Augarten aus, der als Datenspeicher verwendet werden soll. Das Bildungsministerium als übergeordnete Dienststelle billigt das Vorhaben. Sind Sie enttäuscht?
Höhle: Es ist noch keine endgültige Entscheidung gefallen. Denn es fehlt z. B. die Baubewilligung. Ich halte die Flaktürme für wesentliche Monumente der NS-Zeit. Es geht uns darum, die Identität der Bauwerke als Mahnmale zu erhalten. Zubauten können zu einer sehr starken Identitätsänderung dieser Objekte führen.
Der Standard, Sa., 2005.11.05
Der Umgang mit den sechs Wiener Flaktürmen sorgt schon seit den 60er-Jahren für Diskussionen
Der Umgang mit den sechs Wiener Flaktürmen sorgt schon seit den 60er-Jahren für Diskussionen
Ab 1942 wurden in Wien, weil Hitler das Stadtzentrum als „eines der wertvollsten in Deutschland“ erachtete, in Windeseile sechs „Fliegerabwehrtürme der Deutschen Wehrmacht“ errichtet. Friedrich Tamms, bis 1940 Autobahnarchitekt, hatte diese groben Klötze zuerst für Hamburg und Berlin konstruiert: zehn, elf Stockwerke hoch und Eisenbeton pur, bis zu drei Meter dicke Außenmauern, fensterlos kahl. Bei allen führt rund zehn Meter unter dem Plateau eine Galerie mit weit ausgreifenden Erkern, verniedlichend „Schwalbennester“ genannt, rundum, die herabzustürzen und den Betrachter zu begraben drohen.
Zusammen gehören jeweils ein quaderförmiger Feuerleitturm, auf dem die „Nürnberger Riesen“, das Pendant zum Radar, installiert waren, und ein Geschützturm. Jener besonders plumpe im Arenbergpark, so groß wie der Arc de Triomphe in Paris, ist noch der Prototyp. Die anderen beiden in der Stiftskaserne und im Augarten sind 16-eckig, fast rund. Die Türme verfügten, wie Tamms 1965 schrieb, „über Eigenbrunnen, eigene Kraftwerke und waren gegen Kampfgase sowie Sprengstoffe vollkommen abgeschirmt. Sie waren in jeder Weise gegenüber der damaligen Waffentechnik autark.“ Und damit die letzten Burgen des Abendlandes: In ihnen befanden sich Schutzräume für die Bevölkerung, Krankenhäuser, Lagerhallen. Sie waren vollklimatisiert, bis ins letzte Detail durchdacht.
Auch ihre Standorte hatte Tamms nicht dem Zufall überlassen: Die trigonometrische Anordnung umschließt die Altstadt innerhalb des Rings. Zudem achtete er auf städtebauliche Gegebenheiten: Der Geschützturm in der Stiftskaserne bildet den Abschluss des streng symmetrisch angelegten Kaiserforums. Otto-Wagner-Schüler Hans Mayr beispielsweise hatte 1902 für diesen markanten Punkt auf dem Spittelberg eine Kathedrale entworfen. Und auch Tamms, der die Flaktürme euphemistisch „Schieß-Dome“ nannte, hatte Ähnliches im Sinn: Nach dem Endsieg sollte der Zweckbau in den Kreis der „Totenburgen“ eingegliedert werden, die Wilhelm Kreis, Generalbaurat für die Gestaltung deutscher Kriegerfriedhöfe, ersann. Entlang der äußersten Kante der Plattform wäre der Turm mit schwarzem Marmor ummantelt worden. „Die Steine werden reden, wenn auch die Menschen längst verstummt sind“, schrieb Tamms in der NS-Zeit. Aber auch der nackte Stahlbeton redet. Über Schrecken, Hunger und Tod.
Den Geschützturm im Arenbergpark nutzt MAK-Chef Peter Noever, der ihn gerne zum „Contemporary Art Tower“ ausbauen würde, als Depot und Ausstellungshalle, jener in der Stiftskaserne dient dem Bundesheer als Datenzentrale, die dazugehörige Leitstelle im Esterházypark beherbergt ein Aquarium. Die drei weiteren, desolat und geplündert, stehen leer.
Seit Jahrzehnten überlegt man, was zu machen sei mit den „grässlichen Ungetümen einer fürchterlichen Zeit“. Immer wieder meldeten sich Sprengmeister, die vorgaben, die Flaktürme atomisieren zu können, ohne die Umgebung mit in die Luft zu jagen, und eine Schweizer Firma bot an, den Beton mit Laserkanonen zu zerschneiden. 1976 wollte Christo den Esterházy-Turm „einpacken“, denn es reizte ihn, „die schwere und massive Struktur zum Verschwinden zu bringen“. Er meinte, für Wien wäre es sehr nett, bliebe der Turm möglichst lange verpackt. Den gegenteiligen Weg wählte Lawrence Weiner: Sein Schriftzug „Smashed to Pieces (In the Still of the Night)“ aus dem Jahr 1991 nimmt direkt Bezug. Erst nach Interventionen wurde der Kommentar in diesem Frühjahr restauriert.
Neben Künstlern (aber auch Malern und Anstreichern) waren es vor allem Architekten, die sich mit den Kolossen beschäftigten und sie, wie manch Teilnehmer des Wettbewerbes „Skyscraper für Wien“ (1986), als Sockel verwenden wollten: Hans Hollein setzte Anfang der 60er-Jahre spielerisch Büro-Würfel auf, zuletzt (ab 1997) plante Wilhelm Holzbauer für Arcotel ein Luxushotel als Bekrönung des Esterházy-Turms. Die zwingendste Idee hatten 1964 Johannes Spalt/Friedrich Kurrent für ein „Wien der Zukunft“: Sie wollten das Zentrum durch riesige Aufbauten optisch fixieren (ähnlich den radialen Wolkentürmen für Moskau).
Doch für die meisten waren die Türme zwar markante, aber hässliche Klötze. Also wurde in den Köpfen eifrig ummantelt, umbaut und seitlich von der Plattform abgehängt. Verdrängung ist schließlich des Österreichers liebstes Spiel. Entstanden wären um die Betonkerne Stadthotels, Geschäftszentren, Studentenhäuser für Musikbeflissene. Carl Auböck zum Beispiel schlug 1971 für den Flakturm Esterházypark eine Parkgarage samt Erholungszentrum und Hubschrauberlandeplatz vor. Ummantelungen werden aber seit jeher von Architekturkritikern missbilligt. Bereits 1962 wehrte sich Friedrich Achleitner vehement gegen ein 400-Gar¸connieren-Projekt, das unter dem Deckmantel der Stadtverschönerung präsentiert worden war.
Auch die unterschiedlichsten Nutzungen wurden überlegt: als Standort für den Versuchsreaktor der Atomenergiegesellschaft, für eine Champignonzucht, als Museen (Haus der Geschichte, Holocaust-Museum), als Kommunikationszentren und Discotheken. 1987 vereinigte die Architektin Dietlind Erschen all die archivierten Ideen zu einem Konzept (Kulturzentrum, Fitnesscenter mit Sauna, Hallenbad und Turnsälen, Forschungszentrum, Museum für Zeitgeschichte und ein Notspital). Viele weitere Vorschläge brachte 2003 ein Wettbewerb der Kronen Zeitung: Die Leser schlugen Spielkasinos, Planetarien, Seilbahnstationen, Sprungschanzen vor. Nichts wurde realisiert.
Seit 2002 will die Firma DCV den aufgrund einer Explosion nach dem Krieg ramponierten Geschützturm im Augarten als Datenspeicher verwenden. Eine Baugenehmigung gibt es noch nicht. Zum Glück. Denn, wie schon Johannes Spalt 1987 sagte: „Die Flaktürme sollen so erhalten bleiben, wie sie sind, selbst wenn sie keinem Zweck dienen, sie sind einfach schön und imponierend, sie sind Denkmale.“
Der Standard, Sa., 2005.11.05
Über den Umgang der deutschen Nachbarn mit der Nazi-Architektur
Über den Umgang der deutschen Nachbarn mit der Nazi-Architektur
Deutschland trägt schwer an den steinernen Zeugen seiner monströsen Vergangenheit. Der Umgang mit der Nazi-Architektur war unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg oft von der Not diktiert, in jedem Fall aber von Pragmatismus bestimmt - und das nicht nur durch die Deutschen: In das klobige Reichsluftfahrtministerium, Hermann Görings Machtzentrale in der Berliner Wilhelmstraße, zog die Sowjetische Militäradministration (SMAD), in die 1940 errichtete Reichsbank die SED. Hitlers Feriendomizil am Obersalzberg wurde Urlaubsort für US-Soldaten. Die „Große Straße“ der Aufmärsche des Nürnberger Reichsparteitagsgeländes diente der US-Army als Flugpiste, eine SS-Kaserne wurde bis zu ihrem Abzug 1992 in Merrell-Barracks umgewidmet. Teile des elf Quadratkilometer großen Geländes wurden von den Vereinten Nationen als Flüchtlingslager genutzt, andere von der Stadt Nürnberg in ein Neubaugebiet verwandelt, um die Wohnungsnot zu lindern: In diesem Stadtteil Langwasser leben heute 35.000 Menschen.
Das ehemalige Reichsluftfahrtministerium diente als Tagungsort des Deutschen Volksrates vom 7. Oktober 1949, der die DDR-Verfassung in Kraft setzte und damit die deutsche Teilung vollzog, später als DDR-Haus der Ministerien. Nach der Wende zogen verschiedene Bundesbehörden hinter die Natursteinfassaden, darunter die Treuhandanstalt. Nach der Ermordung des Treuhand-Präsidenten Detlev Rohwedder durch die RAF erhielt das Haus am 1. April 1992 auch dessen Namen. Mit der Verlagerung des Regierungssitzes von Bonn nach Berlin zog 1999 das Bundesministerium für Finanzen in das Detlev-Rohwedder-Haus.
Und die Vergangenheit? „Das Bundesministerium der Finanzen hat die historische Herausforderung angenommen, die mit diesem Gebäude verbunden ist“, heißt es in einer hauseigenen Broschüre: „Allein die Weiternutzung des Gebäudes bietet die Chance, die eigene Geschichte als Mahnung und Erinnerung für die nächsten Generationen lebendig zu erhalten.“ In der Eingangshalle erinnert - spät, aber doch! - eine Gedenkstätte an Mitglieder der Widerstandsgruppe Rote Kapelle, die hier tätig waren und die 1942 hingerichtet wurden.
Man könne nicht jede Kaserne zum Mahnmal machen, warf der Nürnberger Oberbürgermeister Peter Schönlein seinerzeit in die Debatte um die SS-Kaserne ein. Doch bis zu welchem Punkt ist eine „Banalisierung des Größenwahns durch alltägliche Nutzung“ (Hermann Glaser) statthaft, wo der doch einer Massenvernichtungsmaschinerie zu Diensten war und oft genug das Blut von Zwangsarbeitern an ihm klebt?
Inwieweit bemäntelt die eloquente Formel nur Verdrängung? So verschieden wie die Trägerschaft der Bauten durch die jeweilige Gemeinde, den Bund oder das Bundesland war auch der Umgang mit der Vergangenheit. Das Berliner Olympiastadion oder das Haus der Kunst in München glauben, ohne Bezug auf die Vergangenheit auszukommen. „Es musste erst einen Generationswechsel geben, um in der Aufarbeitung der Vergangenheit auch eine Chance zu sehen“, meint der Historiker Carlo Jahn, der sich als Initiator eines Vereins seit den 70er-Jahren für ein Informationszentrum Reichsparteitagsgelände in Nürnberg einsetzte. Erst 1985 wurde in der Zeppelintribüne eine provisorische Ausstellung „Faszination und Gewalt“ eröffnet. Hinweistafeln gab es anfangs nicht. Das Budget betrug ganze 80.000 D-Mark. Zur Restaurierung der Räume stand fast eine halbe Million zur Verfügung. Die Stadt war unter Zugzwang, seit die Gebäude 1973 unter Denkmalschutz gestellt worden waren.
Im Jahr 1999 wurde auf dem Obersalzberg ein Dokumentationszentrum eröffnet. Mit dem Fall der Mauer sei erstmals ein gesamtdeutsches Geschichtsverständnis möglich geworden, meint Hans-Christian Täubrich, Leiter des Dokumentationszentrums Reichsparteitagsgelände. Das am 4. November 2001 von Bundespräsident Rau eingeweihte Zentrum erwies sich für Nürnberg als Attraktion und Publikumsmagnet: 750.000 Besucher sahen seither die Dauerausstellung „Faszination und Gewalt“.
Der Standard, Sa., 2005.11.05