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30. September 2016Stéphane Cuennet
Philippe Schär
TEC21

Verletzliche Stützbauwerke

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Aufgrund der vielfältigen Topografie des schweizerischen Verkehrsnetzes sind Stützbauwerke eine wichtige Kategorie der Kunstbauten. Die Datenbank KUBA­DB[1] erfasst etwa 2500 solcher Bauwerke mit einer Gesamtfläche von 600 000 m², die dem Nationalstrassennetz zuzuordnen sind. Der Unterhalt dieser Infrastruktur spielt für das Bundesamt für Strassen (Astra) eine wichtige Rolle.

Die zuständigen Astra-Filialen untersuchen diese Stützbauwerke des Nationalstrassennetzes mindestens alle fünf Jahre visuell und mit einfachen Mitteln im Rahmen der Hauptinspektionen. Die vom Astra in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass ein Augenschein der Stützmauern den Anschein vermitteln kann, alles sei in Ordnung, obwohl möglicherweise bereits ein heimtückischer Schädigungsprozess eingesetzt hat.

Eine langfristige, latente Bedrohung

Was die verankerten Bauwerke anbelangt, so brachte eine von 2003 bis 2007 auf der A9 zwischen Lausanne-Vennes und Villeneuve durchgeführte Studie beunruhigende Schäden an gewissen Boden- und Felsankern ans Licht. Wegen der verwendeten Ankergeneration besteht für die unter Spannung stehenden Litzen ein erhebliches Korrosionsrisiko, namentlich in der Nähe des Ankerkopfs. Diese Art von Schäden kann letztlich einen partiellen oder vollständigen Bruch des Bauwerks zur Folge haben. Die Ergebnisse dieser Studie haben das Astra veranlasst, eine Methode der Gefahrenanalyse für seine Objekte zu definieren[2].

Bei unverankerten Stützmauern trat das Problem erstmals bei Untersuchungen der Rückseite von Winkelstützmauern entlang der Nationalstrasse A5 zwischen La Neuveville und Biel im Juli 2007 zutage. So ergaben Stichproben eine erhebliche Korrosion der Hauptbiegebewehrung, vor allem am Mauerfuss. Das Astra löste Sofortmassnahmen aus, um die Sicherheit der unterhalb der Stützmauern verkehrenden SBB sowie der Nationalstrassenbenutzer oberhalb der Mauern zu gewährleisten. Ab 2008 führte man ähnliche Untersuchungen an den Stützmauern entlang der Nationalstrasse A9 zwischen Vennes und Villeneuve durch. Dabei stellte man die gleiche Art von spezifischen und häufig auftretenden Schäden fest.

Solche Korrosionsstellen sind nicht einheitlich entlang von Stützbauwerken verteilt, daher bleibt ausreichend Zeit, um die risikobehafteten Bauwerke zu analysieren und gegebenenfalls Massnahmen zu ergreifen. Allerdings schreitet der Schädigungsprozess unerbittlich voran und stellt eine latente Bedrohung dar. Es gilt somit, die betroffenen Bauwerke rasch ausfindig zu machen, um künftig nicht allzu umfangreichen Schäden gegenüberzustehen.

Im Gegensatz zum Brückenbau ist die Dokumentation der ausgeführten Stützbauwerke im Allgemeinen lückenhaft, sowohl bezüglich der geotechnischen Grundlagen als auch hinsichtlich der statischen Berechnungen und der Pläne der ausgeführten Werke. Da die Problemstellen oft nur schwer zugänglich sind, ist es ausserdem schwierig, vollständige Informationen über die statisch relevanten Elemente zu erhalten. Deshalb werden der Unterhalt des Werks und die Beurteilung des vorhandenen Sicherheitsniveaus deutlich anspruchsvoller.

Präventive Strategien

Als vorrangiges Ziel ergreift das Astra Massnahmen, damit es nicht zu einem Schadenfall kommt. Das Bundesamt hat bereits 2010 auf der Grundlage der oben beschriebenen Befunde sowie einer Analyse der Risiken und Prioritäten gezielte Interventionsmassnahmen im Umfang von etwa 150 Millionen Franken getroffen. Diese Massnahmen verteilten sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren und wurden von der Astra-­Filiale Estavayer-le-Lac gesteuert. Sie bezweckten die dauerhafte Verfügbarkeit der A5 und A9 sowie die ­Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Während der zahlreichen Verstärkungsmassnahmen wurden spezifische Aspekte der Planung und Realisierung im Detail ausgearbeitet, geprüft und harmonisiert (vgl. «Präventiv verstärkt»). Gleichzeitig wurde zwischen 2012 und 2014 eine Pilotstudie mit klar definierten Untersuchungszielen durchgeführt. Schliesslich kristallisierten sich drei zentrale Forschungsthemen heraus (vgl. Kasten unten).

Parallel dazu führt das Astra Kontrollen über den Bestand aus und vervollständigt seine Inventare, aktualisiert die Datenbank KUBA-DB und setzt Prioritäten für die baulichen Massnahmen innerhalb der Stützbauwerke nach seinem übergeordnetern Risikomanagementkonzept. Zustandserfassungen und Interventionen erfolgen im Einklang mit den allgemeinen Zielen und den Vorgaben, wie sie in den projektspezi­fischen Nutzungsvereinbarungen definiert sind.


Anmerkungen:
[01] KUBA-DB ist eine Software, die der Erfassung von Kunstbauten und Tunnels, von deren Zustand und Erhaltungsdaten sowie der Erfassung von Dokumenten und Beteiligten dient.
[02] Richtlinie Astra 12005 «Boden- und Felsanker», Ausgabe 2007

TEC21, Fr., 2016.09.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|40 Stützmauern: die Erblast der Boomjahre

Präventiv verstärkt

Die baulichen Massnahmen an der A9 und A5 gelten als Fallbeispiele für die präventive Strategie des Astra im Umgang mit Stützbauwerken. Die Konstruktionsprinzipien werden bei künftigen Projekten angewendet.

Die baulichen Massnahmen an der A9 und A5 gelten als Fallbeispiele für die präventive Strategie des Astra im Umgang mit Stützbauwerken. Die Konstruktionsprinzipien werden bei künftigen Projekten angewendet.

Als Pilotobjekte für ein mustergültiges Verstärkungsverfahren boten sich die Stützbauwerke der A9 zwischen Lau­sanne-Vennes und Villeneuve sowie der A5 zwischen La Neuveville und Biel an. Zwischen 2010 und 2015 wurde ihr offenkundig schlechter Zustand mittels unterschiedlicher baulicher Massnahmen aufgehoben:

Bei Nagelwänden gewährleisten neue permanente Spannanker und Bauteile wie Wände, Longarinen oder Platten den neuen Kraftabtrag. Die Planenden definierten mittels Risikoanalysen, Untersuchungen am Objekt und ergänzender statischer Überprüfungen die erforderliche Ankerkraft, die auf der bestehenden Wand aufgebracht werden sollte. Ergänzend dazu führten sie ein Überwachungssystem ein, das auf Mess- und Kontrollankern basiert und geotechnische Instrumente beinhaltet – etwa Neigungsmesser, Dehnungssensoren oder Piezometer.

Für Winkelstützmauern kamen drei Verstärkungsmethoden der bestehenden Wand infrage: Sie wurden in eine Schwergewichtsmauer umgebaut durch den Einbau eines Gewichtskörpers auf der Wand­rückseite, oder es wurde eine neue Nagelwand mit gespannten Anker oder eine Winkelstützmauer davor betoniert. Für jede bestehende Stützmauer wurde eine Kosten-Nutzen-Analyse nach vorgegebenen Kriterien durchgeführt, um die wirtschaftlichste der drei Lösungen zu eruieren.

Die Nutzungsdauer der neuen Bauwerke beträgt 100 Jahre, während die verstärkten, bestehenden Bauwerke 60 Jahre aufweisen. Bei den Nagelwänden besteht die Möglichkeit, die Massnahmen gegebenenfalls in 25 Jahren zu ergänzen. Die neuen Bauwerke sind mono­lithisch und ohne Dilatationsfugen konzipiert und somit auch statisch unbestimmt und dauerhaft. Aus der In­standsetzung der Stützbauwerke konnten Lehren bezüglich des Betons, der Anker und der Drainagesysteme gezogen werden.

Rezepturen mit reduziertem Zementgehalt

Für das Beanspruchungsniveau, dem eine Stützmauer ausgesetzt ist, ist ein Beton der Druckfestigkeitsklasse C25/30 oder C30/37 ausreichend. Einerseits ­erlaubt die tiefere Druckfestigkeit eine reduzierte Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite. Andererseits erfordert der hohe Frost-Tausalz-Widerstand des Betons (Expositionsklasse XF4) einen entsprechend hohen Zementanteil, was zwei Auswirkungen hat: Der effektive Tragwiderstand wird deutlich höher als bei der gewünschten Betonklasse (Überfestigkeit von bis zu vier Klassen), und der Beton schwindet stärker. Diese Effekte führen dazu, dass die Mindestbewehrung erhöht werden muss, was höhere Kosten und einen grösseren Rohstoffverbrauch verursacht.

Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit den Betonlieferanten Rezepturen entwickelt, deren Zementgehalt reduziert ist, die CEM II/A-L und Flugasche enthalten, einen w/z-Wert von etwa 0,45 aufweisen und denen Luftporenbildner zugesetzt werden, ohne jedoch die spezifischen Eigenschaften des Betons zu beeinträchtigen. Die Überfestigkeit wird somit um zwei Klassen abgestuft und die Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite reduziert.

Die Betonarten der bestehenden Stützwände der A9 wurden je nach Zusammensetzung, festgestellten Schäden und Alkali-Aggregat-Reaktion-(AAR)-Risiko in fünf Kategorien eingeteilt. Die mechanischen Eigenschaften des Betons ändern sich im Zug einer AAR-Entwicklung (Reduktion der Festigkeitswerte und des Elastizitätsmoduls, Restquellmass). Diese wurde zwar mittels Laborergebnissen prognostiziert, jedoch lassen sich die so gewonnenen Ergebnisse nicht im gewünschten Mass auf die Bauwerke anwenden.

Wenn möglich, sollten alter und neuer Beton nicht kraftschlüssig miteinander verbunden werden. Das neue Material kann dann ungehindert schwinden, und die verbleibende Ausdehnung des alten Betons wird nicht auf den neuen übertragen. Bei den Varianten ohne gespannten Anker dürfen Polymerbitumen (PBD) als Trennschicht eingesetzt werden. Bei der Planung wurde eine angemessene Mindestbewehrung ermittelt und die Details der Ankernischen sorgfältig erarbeitet. Bei den verankerten Bauwerken tragen auch die charakteristischen Konstuktionsdetails zur Dauerhaftigkeit der Bauwerke bei. Versuchsanker wurden bei jedem verankerten Bauwerk eingesetzt, um die Trag­fähigheit der Ankerwand – insbesondere im Bereich von Sandsteinschichten – zu bewerten. In einigen Fällen mussten die Ankerbereiche zuvor abgedichtet werden.

Neuer Aufgabenbereich

Bestehende Stützmauern instandzusetzen und zu verstärken gehört zu den neuen Aufgabenbereichen der Bauingenieure. Im Rahmen dieser Projekte wurden entsprechend neue Entscheidungsvorgänge und kon­struktive Details ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage stehen nun kohärente ­Methoden zur Verfügung, um Stützbauwerke zu überprüfen und ihre Verstärkung durch bauliche Massnahmen zu planen.

TEC21, Fr., 2016.09.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|40 Stützmauern: die Erblast der Boomjahre

Presseschau 12

30. September 2016Stéphane Cuennet
Philippe Schär
TEC21

Verletzliche Stützbauwerke

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Aufgrund der vielfältigen Topografie des schweizerischen Verkehrsnetzes sind Stützbauwerke eine wichtige Kategorie der Kunstbauten. Die Datenbank KUBA­DB[1] erfasst etwa 2500 solcher Bauwerke mit einer Gesamtfläche von 600 000 m², die dem Nationalstrassennetz zuzuordnen sind. Der Unterhalt dieser Infrastruktur spielt für das Bundesamt für Strassen (Astra) eine wichtige Rolle.

Die zuständigen Astra-Filialen untersuchen diese Stützbauwerke des Nationalstrassennetzes mindestens alle fünf Jahre visuell und mit einfachen Mitteln im Rahmen der Hauptinspektionen. Die vom Astra in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass ein Augenschein der Stützmauern den Anschein vermitteln kann, alles sei in Ordnung, obwohl möglicherweise bereits ein heimtückischer Schädigungsprozess eingesetzt hat.

Eine langfristige, latente Bedrohung

Was die verankerten Bauwerke anbelangt, so brachte eine von 2003 bis 2007 auf der A9 zwischen Lausanne-Vennes und Villeneuve durchgeführte Studie beunruhigende Schäden an gewissen Boden- und Felsankern ans Licht. Wegen der verwendeten Ankergeneration besteht für die unter Spannung stehenden Litzen ein erhebliches Korrosionsrisiko, namentlich in der Nähe des Ankerkopfs. Diese Art von Schäden kann letztlich einen partiellen oder vollständigen Bruch des Bauwerks zur Folge haben. Die Ergebnisse dieser Studie haben das Astra veranlasst, eine Methode der Gefahrenanalyse für seine Objekte zu definieren[2].

Bei unverankerten Stützmauern trat das Problem erstmals bei Untersuchungen der Rückseite von Winkelstützmauern entlang der Nationalstrasse A5 zwischen La Neuveville und Biel im Juli 2007 zutage. So ergaben Stichproben eine erhebliche Korrosion der Hauptbiegebewehrung, vor allem am Mauerfuss. Das Astra löste Sofortmassnahmen aus, um die Sicherheit der unterhalb der Stützmauern verkehrenden SBB sowie der Nationalstrassenbenutzer oberhalb der Mauern zu gewährleisten. Ab 2008 führte man ähnliche Untersuchungen an den Stützmauern entlang der Nationalstrasse A9 zwischen Vennes und Villeneuve durch. Dabei stellte man die gleiche Art von spezifischen und häufig auftretenden Schäden fest.

Solche Korrosionsstellen sind nicht einheitlich entlang von Stützbauwerken verteilt, daher bleibt ausreichend Zeit, um die risikobehafteten Bauwerke zu analysieren und gegebenenfalls Massnahmen zu ergreifen. Allerdings schreitet der Schädigungsprozess unerbittlich voran und stellt eine latente Bedrohung dar. Es gilt somit, die betroffenen Bauwerke rasch ausfindig zu machen, um künftig nicht allzu umfangreichen Schäden gegenüberzustehen.

Im Gegensatz zum Brückenbau ist die Dokumentation der ausgeführten Stützbauwerke im Allgemeinen lückenhaft, sowohl bezüglich der geotechnischen Grundlagen als auch hinsichtlich der statischen Berechnungen und der Pläne der ausgeführten Werke. Da die Problemstellen oft nur schwer zugänglich sind, ist es ausserdem schwierig, vollständige Informationen über die statisch relevanten Elemente zu erhalten. Deshalb werden der Unterhalt des Werks und die Beurteilung des vorhandenen Sicherheitsniveaus deutlich anspruchsvoller.

Präventive Strategien

Als vorrangiges Ziel ergreift das Astra Massnahmen, damit es nicht zu einem Schadenfall kommt. Das Bundesamt hat bereits 2010 auf der Grundlage der oben beschriebenen Befunde sowie einer Analyse der Risiken und Prioritäten gezielte Interventionsmassnahmen im Umfang von etwa 150 Millionen Franken getroffen. Diese Massnahmen verteilten sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren und wurden von der Astra-­Filiale Estavayer-le-Lac gesteuert. Sie bezweckten die dauerhafte Verfügbarkeit der A5 und A9 sowie die ­Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Während der zahlreichen Verstärkungsmassnahmen wurden spezifische Aspekte der Planung und Realisierung im Detail ausgearbeitet, geprüft und harmonisiert (vgl. «Präventiv verstärkt»). Gleichzeitig wurde zwischen 2012 und 2014 eine Pilotstudie mit klar definierten Untersuchungszielen durchgeführt. Schliesslich kristallisierten sich drei zentrale Forschungsthemen heraus (vgl. Kasten unten).

Parallel dazu führt das Astra Kontrollen über den Bestand aus und vervollständigt seine Inventare, aktualisiert die Datenbank KUBA-DB und setzt Prioritäten für die baulichen Massnahmen innerhalb der Stützbauwerke nach seinem übergeordnetern Risikomanagementkonzept. Zustandserfassungen und Interventionen erfolgen im Einklang mit den allgemeinen Zielen und den Vorgaben, wie sie in den projektspezi­fischen Nutzungsvereinbarungen definiert sind.


Anmerkungen:
[01] KUBA-DB ist eine Software, die der Erfassung von Kunstbauten und Tunnels, von deren Zustand und Erhaltungsdaten sowie der Erfassung von Dokumenten und Beteiligten dient.
[02] Richtlinie Astra 12005 «Boden- und Felsanker», Ausgabe 2007

TEC21, Fr., 2016.09.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|40 Stützmauern: die Erblast der Boomjahre

Präventiv verstärkt

Die baulichen Massnahmen an der A9 und A5 gelten als Fallbeispiele für die präventive Strategie des Astra im Umgang mit Stützbauwerken. Die Konstruktionsprinzipien werden bei künftigen Projekten angewendet.

Die baulichen Massnahmen an der A9 und A5 gelten als Fallbeispiele für die präventive Strategie des Astra im Umgang mit Stützbauwerken. Die Konstruktionsprinzipien werden bei künftigen Projekten angewendet.

Als Pilotobjekte für ein mustergültiges Verstärkungsverfahren boten sich die Stützbauwerke der A9 zwischen Lau­sanne-Vennes und Villeneuve sowie der A5 zwischen La Neuveville und Biel an. Zwischen 2010 und 2015 wurde ihr offenkundig schlechter Zustand mittels unterschiedlicher baulicher Massnahmen aufgehoben:

Bei Nagelwänden gewährleisten neue permanente Spannanker und Bauteile wie Wände, Longarinen oder Platten den neuen Kraftabtrag. Die Planenden definierten mittels Risikoanalysen, Untersuchungen am Objekt und ergänzender statischer Überprüfungen die erforderliche Ankerkraft, die auf der bestehenden Wand aufgebracht werden sollte. Ergänzend dazu führten sie ein Überwachungssystem ein, das auf Mess- und Kontrollankern basiert und geotechnische Instrumente beinhaltet – etwa Neigungsmesser, Dehnungssensoren oder Piezometer.

Für Winkelstützmauern kamen drei Verstärkungsmethoden der bestehenden Wand infrage: Sie wurden in eine Schwergewichtsmauer umgebaut durch den Einbau eines Gewichtskörpers auf der Wand­rückseite, oder es wurde eine neue Nagelwand mit gespannten Anker oder eine Winkelstützmauer davor betoniert. Für jede bestehende Stützmauer wurde eine Kosten-Nutzen-Analyse nach vorgegebenen Kriterien durchgeführt, um die wirtschaftlichste der drei Lösungen zu eruieren.

Die Nutzungsdauer der neuen Bauwerke beträgt 100 Jahre, während die verstärkten, bestehenden Bauwerke 60 Jahre aufweisen. Bei den Nagelwänden besteht die Möglichkeit, die Massnahmen gegebenenfalls in 25 Jahren zu ergänzen. Die neuen Bauwerke sind mono­lithisch und ohne Dilatationsfugen konzipiert und somit auch statisch unbestimmt und dauerhaft. Aus der In­standsetzung der Stützbauwerke konnten Lehren bezüglich des Betons, der Anker und der Drainagesysteme gezogen werden.

Rezepturen mit reduziertem Zementgehalt

Für das Beanspruchungsniveau, dem eine Stützmauer ausgesetzt ist, ist ein Beton der Druckfestigkeitsklasse C25/30 oder C30/37 ausreichend. Einerseits ­erlaubt die tiefere Druckfestigkeit eine reduzierte Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite. Andererseits erfordert der hohe Frost-Tausalz-Widerstand des Betons (Expositionsklasse XF4) einen entsprechend hohen Zementanteil, was zwei Auswirkungen hat: Der effektive Tragwiderstand wird deutlich höher als bei der gewünschten Betonklasse (Überfestigkeit von bis zu vier Klassen), und der Beton schwindet stärker. Diese Effekte führen dazu, dass die Mindestbewehrung erhöht werden muss, was höhere Kosten und einen grösseren Rohstoffverbrauch verursacht.

Deshalb wurden in Zusammenarbeit mit den Betonlieferanten Rezepturen entwickelt, deren Zementgehalt reduziert ist, die CEM II/A-L und Flugasche enthalten, einen w/z-Wert von etwa 0,45 aufweisen und denen Luftporenbildner zugesetzt werden, ohne jedoch die spezifischen Eigenschaften des Betons zu beeinträchtigen. Die Überfestigkeit wird somit um zwei Klassen abgestuft und die Mindestbewehrung zur Begrenzung der Rissbreite reduziert.

Die Betonarten der bestehenden Stützwände der A9 wurden je nach Zusammensetzung, festgestellten Schäden und Alkali-Aggregat-Reaktion-(AAR)-Risiko in fünf Kategorien eingeteilt. Die mechanischen Eigenschaften des Betons ändern sich im Zug einer AAR-Entwicklung (Reduktion der Festigkeitswerte und des Elastizitätsmoduls, Restquellmass). Diese wurde zwar mittels Laborergebnissen prognostiziert, jedoch lassen sich die so gewonnenen Ergebnisse nicht im gewünschten Mass auf die Bauwerke anwenden.

Wenn möglich, sollten alter und neuer Beton nicht kraftschlüssig miteinander verbunden werden. Das neue Material kann dann ungehindert schwinden, und die verbleibende Ausdehnung des alten Betons wird nicht auf den neuen übertragen. Bei den Varianten ohne gespannten Anker dürfen Polymerbitumen (PBD) als Trennschicht eingesetzt werden. Bei der Planung wurde eine angemessene Mindestbewehrung ermittelt und die Details der Ankernischen sorgfältig erarbeitet. Bei den verankerten Bauwerken tragen auch die charakteristischen Konstuktionsdetails zur Dauerhaftigkeit der Bauwerke bei. Versuchsanker wurden bei jedem verankerten Bauwerk eingesetzt, um die Trag­fähigheit der Ankerwand – insbesondere im Bereich von Sandsteinschichten – zu bewerten. In einigen Fällen mussten die Ankerbereiche zuvor abgedichtet werden.

Neuer Aufgabenbereich

Bestehende Stützmauern instandzusetzen und zu verstärken gehört zu den neuen Aufgabenbereichen der Bauingenieure. Im Rahmen dieser Projekte wurden entsprechend neue Entscheidungsvorgänge und kon­struktive Details ausgearbeitet. Auf dieser Grundlage stehen nun kohärente ­Methoden zur Verfügung, um Stützbauwerke zu überprüfen und ihre Verstärkung durch bauliche Massnahmen zu planen.

TEC21, Fr., 2016.09.30



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