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30. September 2016Stéphane Cuennet
Philippe Schär
TEC21

Verletzliche Stützbauwerke

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Aufgrund der vielfältigen Topografie des schweizerischen Verkehrsnetzes sind Stützbauwerke eine wichtige Kategorie der Kunstbauten. Die Datenbank KUBA­DB[1] erfasst etwa 2500 solcher Bauwerke mit einer Gesamtfläche von 600 000 m², die dem Nationalstrassennetz zuzuordnen sind. Der Unterhalt dieser Infrastruktur spielt für das Bundesamt für Strassen (Astra) eine wichtige Rolle.

Die zuständigen Astra-Filialen untersuchen diese Stützbauwerke des Nationalstrassennetzes mindestens alle fünf Jahre visuell und mit einfachen Mitteln im Rahmen der Hauptinspektionen. Die vom Astra in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass ein Augenschein der Stützmauern den Anschein vermitteln kann, alles sei in Ordnung, obwohl möglicherweise bereits ein heimtückischer Schädigungsprozess eingesetzt hat.

Eine langfristige, latente Bedrohung

Was die verankerten Bauwerke anbelangt, so brachte eine von 2003 bis 2007 auf der A9 zwischen Lausanne-Vennes und Villeneuve durchgeführte Studie beunruhigende Schäden an gewissen Boden- und Felsankern ans Licht. Wegen der verwendeten Ankergeneration besteht für die unter Spannung stehenden Litzen ein erhebliches Korrosionsrisiko, namentlich in der Nähe des Ankerkopfs. Diese Art von Schäden kann letztlich einen partiellen oder vollständigen Bruch des Bauwerks zur Folge haben. Die Ergebnisse dieser Studie haben das Astra veranlasst, eine Methode der Gefahrenanalyse für seine Objekte zu definieren[2].

Bei unverankerten Stützmauern trat das Problem erstmals bei Untersuchungen der Rückseite von Winkelstützmauern entlang der Nationalstrasse A5 zwischen La Neuveville und Biel im Juli 2007 zutage. So ergaben Stichproben eine erhebliche Korrosion der Hauptbiegebewehrung, vor allem am Mauerfuss. Das Astra löste Sofortmassnahmen aus, um die Sicherheit der unterhalb der Stützmauern verkehrenden SBB sowie der Nationalstrassenbenutzer oberhalb der Mauern zu gewährleisten. Ab 2008 führte man ähnliche Untersuchungen an den Stützmauern entlang der Nationalstrasse A9 zwischen Vennes und Villeneuve durch. Dabei stellte man die gleiche Art von spezifischen und häufig auftretenden Schäden fest.

Solche Korrosionsstellen sind nicht einheitlich entlang von Stützbauwerken verteilt, daher bleibt ausreichend Zeit, um die risikobehafteten Bauwerke zu analysieren und gegebenenfalls Massnahmen zu ergreifen. Allerdings schreitet der Schädigungsprozess unerbittlich voran und stellt eine latente Bedrohung dar. Es gilt somit, die betroffenen Bauwerke rasch ausfindig zu machen, um künftig nicht allzu umfangreichen Schäden gegenüberzustehen.

Im Gegensatz zum Brückenbau ist die Dokumentation der ausgeführten Stützbauwerke im Allgemeinen lückenhaft, sowohl bezüglich der geotechnischen Grundlagen als auch hinsichtlich der statischen Berechnungen und der Pläne der ausgeführten Werke. Da die Problemstellen oft nur schwer zugänglich sind, ist es ausserdem schwierig, vollständige Informationen über die statisch relevanten Elemente zu erhalten. Deshalb werden der Unterhalt des Werks und die Beurteilung des vorhandenen Sicherheitsniveaus deutlich anspruchsvoller.

Präventive Strategien

Als vorrangiges Ziel ergreift das Astra Massnahmen, damit es nicht zu einem Schadenfall kommt. Das Bundesamt hat bereits 2010 auf der Grundlage der oben beschriebenen Befunde sowie einer Analyse der Risiken und Prioritäten gezielte Interventionsmassnahmen im Umfang von etwa 150 Millionen Franken getroffen. Diese Massnahmen verteilten sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren und wurden von der Astra-­Filiale Estavayer-le-Lac gesteuert. Sie bezweckten die dauerhafte Verfügbarkeit der A5 und A9 sowie die ­Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Während der zahlreichen Verstärkungsmassnahmen wurden spezifische Aspekte der Planung und Realisierung im Detail ausgearbeitet, geprüft und harmonisiert (vgl. «Präventiv verstärkt»). Gleichzeitig wurde zwischen 2012 und 2014 eine Pilotstudie mit klar definierten Untersuchungszielen durchgeführt. Schliesslich kristallisierten sich drei zentrale Forschungsthemen heraus (vgl. Kasten unten).

Parallel dazu führt das Astra Kontrollen über den Bestand aus und vervollständigt seine Inventare, aktualisiert die Datenbank KUBA-DB und setzt Prioritäten für die baulichen Massnahmen innerhalb der Stützbauwerke nach seinem übergeordnetern Risikomanagementkonzept. Zustandserfassungen und Interventionen erfolgen im Einklang mit den allgemeinen Zielen und den Vorgaben, wie sie in den projektspezi­fischen Nutzungsvereinbarungen definiert sind.


Anmerkungen:
[01] KUBA-DB ist eine Software, die der Erfassung von Kunstbauten und Tunnels, von deren Zustand und Erhaltungsdaten sowie der Erfassung von Dokumenten und Beteiligten dient.
[02] Richtlinie Astra 12005 «Boden- und Felsanker», Ausgabe 2007

TEC21, Fr., 2016.09.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|40 Stützmauern: die Erblast der Boomjahre

Mit Leichtigkeit verbessern

Am Chillon-Viadukt bei Montreux erfolgte mit 2400 m³ die weltweit bisher grösste Instandsetzung mit UHFB. Die Projektbeteiligten berichten über die Materialwahl und ihre Erkenntnisse bei Planung und Ausführung.

Am Chillon-Viadukt bei Montreux erfolgte mit 2400 m³ die weltweit bisher grösste Instandsetzung mit UHFB. Die Projektbeteiligten berichten über die Materialwahl und ihre Erkenntnisse bei Planung und Ausführung.

Die Fahrbahnplatte des 1969 eröffneten Viadukts der Autobahn A9 sollte ursprünglich mit herkömmlichen Baustoffen instandgesetzt werden. Doch bei den 2012 ausgeführten Hochdruckwasserstrahlarbeiten wurden Anzeichen einer Alkali-Aggregat-Reaktion[1] (AAR) im Beton entdeckt, sodass das Bundesamt für Strassen (Astra) sein Erhaltungskonzept revidieren musste.

Der Schadensmechanismus der AAR befindet sich noch im Anfangsstadium und war im Vorfeld nicht visuell erkennbar. Die fortschreitende AAR wird jedoch über die Jahre zu einer Abnahme der Druck- und Zugfestigkeit sowie des Elastizitätsmoduls des Betons führen. Die Prüfergebnisse des Chillon-Viadukts ergaben, dass der vorliegende Beton eine gegenüber anderen Bau­werken hohe Reaktivität aufweist. Die für den Beton verwendete Gesteinskörnung aus der Rhonemündung am Genfersee zeichnet sich durch lange Inkubations- und Latenzzeiten aus, die mehrere Jahrzehnte umfassen.

Der Beton der Fahrbahnplatte entspricht heute einer Druckfestigkeitsklasse C60/75. Die Tragsicherheit der am stärksten querkraftbeanspruchten Bereiche der Fahrbahnplatten ist somit gerade noch erfüllt. Es ist aber zu erwarten, dass die Betondruckfestigkeit infolge der AAR in 30 Jahren nur noch der Klasse C40/50 entsprechen wird. Laboruntersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Latenzzeit der AAR erreicht ist und somit die Gefahr einer beschleunigten Schadensentwicklung besteht. Die UHFB-Lösung setzt sich durch Aufgrund dieser Erkenntnisse standen drei Erhaltungsmassnahmen zur Diskussion: Als Erstes sollte die Tragfähigkeit der Fahrbahnplatte in Querrichtung durch eine herkömmliche Stahlbetonverstärkung erhöht werden. Das Eigengewicht hätte aber derart zugenommen, dass die Tragfähigkeit des Bauwerks in Längsrichtung deutlich überschritten worden wäre; ausserdem wären zusätzliche unwirtschaftliche Verstärkungsmassnahmen ausgelöst worden. Die zweite Variante sah das Aufkleben von Kohlenstofffaserlamellen auf der Ober- und Unterseite der Fahrbahnplatte vor. Auch diese Lösung war unbefriedigend, denn die Lamellen hätten zwar das Biegeverhalten der Platten verbessert, aber nicht den Querkraftwiderstand.

Mit der dritten Variante konnte man die Schwächen der ersten beiden vermeiden: Eine 40 mm dicke Schicht aus schlaff bewehrtem Ultrahochleistungs-Faserbeton (UHFB, vgl. «Stahl und Beton effizienter kombiniert», S. 20) bildet mit der bestehenden Fahrbahnplatte aus Beton einen monolithischen Verbundquerschnitt, der die Tragfähigkeit hinsichtlich Biegung, Querkraft und Ermüdung deutlich erhöht. Diese Schicht wirkt zugleich als Abdichtung gegenüber einem weiteren Wassereintritt in den Beton, womit sich die Schadensentwicklung durch AAR begrenzen lässt. Auch die vergleichsweise geringen Kosten, die kürzere Bauzeit und die vorhandene, noch intakte Oberfläche der Fahrbahnplatte sprachen für diese Lösung.

Versuche und Bemessung

Anhand von Bruchversuchen an Prüfkörpern im Labor konnte der Tragwiderstand des Verbundquerschnitts nachgewiesen werden. Die Versuche wurden unter der Leitung von Professor Daia Zwicky an der HTA Freiburg durchgeführt. Diese Erkenntnisse wurden mithilfe einer Finite-Element-Tragwerksanalyse überprüft. Das Tragverhalten in Längsrichtung wurde anhand von Stabwerkmodellen untersucht. Der bestehende Beton wurde mit einer reduzierten Festigkeitsklasse C40/50 und der UHFB mit einer Zugfestigkeit von mehr als 7 N/mm2 und einer Verfestigungsdehnung von über 2 ‰ berücksichtigt.[2]

Die UHFB-Schicht erhöht die Fahrbahnplattenstärke von 180 auf 220 mm. Dank dieser Schicht konnte aber zugleich eine reduzierte Belagsdicke von 85 mm anstatt der bestehenden 100 mm realisiert werden, womit sich die ständigen Lasten nur geringfügig erhöhten. Die Längsfugen zwischen den vier Einbauetappen wurden gezielt dort positioniert, wo der UHFB auf Biegedruck beansprucht wird (Abb. ganz oben).

Die UHFB-Schicht wurde in Querrichtung schlaff bewehrt (ø 12 mm alle 100 mm), um die Fahrbahnplatte in dieser Richtung tragfähiger auszubilden. Im Bereich der Pfeiler erwies sich der Biegetragwiderstand in Längsrichtung als knapp ungenügend. Eine erhöhte UHFB-Schichtstärke von 50 mm über 25 % der Feldlänge sowie zusätzliche Längsbewehrung genügten aber, um auch diesen Nachweis zu erfüllen.

Flüssig oder fest? – Thixotrop

Die UHFB-Variante stellte hohe Anforderungen an die Ausführung. In den letzten zehn Jahren sind in der Schweiz über 25 Projekte mit UHFB-Verstärkungen von Brückenplatten und Gebäudedecken umgesetzt worden. Bisher wurden jedoch relativ kleine Volumen von maximal 110 m³ realisiert, die manuell eingebracht wurden. Pro Viadukt wird hier auf einer Fläche bis 25 400 m² rund 1200 m³ UHFB gegossen. Auf dem ersten Viadukt erfolgte dieser Einbau zwischen dem 25. Juli und dem 3. September 2014. Diese kurze Zeitspanne wurde durch den maschinellen Einbau des UHFB ermöglicht. Der Unternehmer entwickelte dafür drei unterschiedlich thixotrope[3] UHFB-Rezepturen, die auf die spezifischen Bedingungen wie Einbautemperatur, Längs- und Quergefälle abgestimmt waren: Der Frisch-UHFB konnte sowohl einwandfrei eingebaut werden als auch Oberflächengefällen bis zu 7 % standhalten.

Eigenentwickelte Einbaumaschinen

Der UHFB musste in weniger als sechs Wochen eingebaut werden, was einer durchschnittlichen Leistung von 40 m³ pro Tag entspricht. Aus logistischen Gründen installierte das Unternehmen eine UHFB-Mischanlage direkt vor dem Viadukt. Somit konnten die Verarbeitbarkeit, die Produktionsleistung sowie der Transport des UHFB auf die Witterungsverhältnisse abgestimmt werden. Der Unternehmer entwickelte die Einbaumaschine ausgehend vom Fahrgestell eines Fertigers, der für den Bau der Betonplatten am Flughafen Zürich im Einsatz war (Abb. oben S. 26).

Die Nachbehandlung dauerte fünf Tage und erfolgte unmittelbar nach dem Einbau des UHFB mit einer Kunststofffolie als Abdeckung. Obwohl UHFB wasserdicht ist, wurde die gesamte Oberfläche mit ­Polymerbitumen-Dichtungsbahnen (PBD) abgedeckt, damit die Haftung des Gussasphalts auf dem UHFB und eine sichere Abdichtung der UHFB-Arbeitsfugen garantiert werden konnten.

Eine effiziente neue Technologie

Der sorgfältigen Vorbereitung und dem Engagement aller am Projekt Beteiligten ist es zu verdanken, dass die Verstärkung der Fahrbahnplatte des ersten Chillon-Viadukts mithilfe einer bewehrten UHFB-Schicht in der gesetzten kurzen Frist und ohne nennenswerte Schwierigkeiten erfolgreich ausgeführt werden konnte. Diese in diesem Umfang erstmalige Anwendung bestätigt, dass sich UHFB für die Verstärkung und ­Verbesserung von Tragwerken aus Stahlbeton eignet. Die Kosten der UHFB-Arbeiten beliefen sich auf ca. 230 Fr./m2 Fahrbahnoberfläche, was angesichts der vielfältigen Anforderungen wirtschaftlich ist. Durch die vergleichsweise sanfte Intervention mit UHFB bleiben auch die kulturellen Werte der als Denkmalobjekt inventarisierten Chillon-Viadukte erhalten.


[Hartmut Mühlberg (Dipl. Ing. REG A) ist Projektleiter bei Monod-Piguet   Associés Ingénieurs Conseils AG in Lausanne.
Stéphane Cuennet (Dipl. Ing. FH) ist Fachspezialist für Kunstbauten der Astra-Zentrale in Ittigen.
Eugen Brühwiler (Prof. Dr. dipl. Ing. ETH/SIA/IVBH) ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Erhaltung, Konstruktion und Sicherheit von Bauwerken an der ETH Lausanne (EPFL).
Bernard Houriet (Dr. Ing. ETH/SIA) ist Projektleiter und Teilhaber des Büros GVH in Tramelan.
Frédéric Boudry (Dipl. Ing. ETS) ist Bauleiter bei der Firma Walo Bertschinger in Eclépens.
Blaise Fleury (Dipl. Ing. ETH/SIA) ist Bauherrenberater für UHFB bei OPAN Concept in Neuenburg.]

Artikel in originaler Sprache und Länge: vgl. «2400 m³ de BFUP sur un pont autoroutier», TRACéS 19/2014.


Anmerkungen:
[01] Die Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) ist ein über Jahrzehnte ablaufender chemisch-physikalischer Prozess im Beton. Die alkalische Porenlösung reagiert mit Bestandteilen der Gesteinskörnung, wobei es zu einer Volumenzunahme und zur Rissbildung kommt. Das Thema ist im Merkblatt SIA 2042 normativ behandelt.
[02] Merkblatt SIA 2052 «Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) – Baustoffe, Bemessung und Ausführung», Schlussfassung vor der Publikation, November 2014.
[03] Eigenschaft bestimmter kolloidaler Mischungen, sich bei mechanischer Einwirkung zu verflüssigen. Die Thixotropie von Frisch-UHFB wird durch die Beigabe bestimmter Zusatzmittel erhalten.

TEC21, Fr., 2014.11.21



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2014|47 Ultrahochleistungs-Faserbeton in der Praxis

Presseschau 12

30. September 2016Stéphane Cuennet
Philippe Schär
TEC21

Verletzliche Stützbauwerke

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Um den Zustand vorhandener Stützmauern zu erfassen, entwickelt das Bundesamt für Strassen seine Methoden laufend weiter. Pilotprojekte ­förderten dabei brisante Erkenntnisse zur Schadenentwicklung zutage.

Aufgrund der vielfältigen Topografie des schweizerischen Verkehrsnetzes sind Stützbauwerke eine wichtige Kategorie der Kunstbauten. Die Datenbank KUBA­DB[1] erfasst etwa 2500 solcher Bauwerke mit einer Gesamtfläche von 600 000 m², die dem Nationalstrassennetz zuzuordnen sind. Der Unterhalt dieser Infrastruktur spielt für das Bundesamt für Strassen (Astra) eine wichtige Rolle.

Die zuständigen Astra-Filialen untersuchen diese Stützbauwerke des Nationalstrassennetzes mindestens alle fünf Jahre visuell und mit einfachen Mitteln im Rahmen der Hauptinspektionen. Die vom Astra in den letzten Jahren gesammelten Erfahrungen haben jedoch gezeigt, dass ein Augenschein der Stützmauern den Anschein vermitteln kann, alles sei in Ordnung, obwohl möglicherweise bereits ein heimtückischer Schädigungsprozess eingesetzt hat.

Eine langfristige, latente Bedrohung

Was die verankerten Bauwerke anbelangt, so brachte eine von 2003 bis 2007 auf der A9 zwischen Lausanne-Vennes und Villeneuve durchgeführte Studie beunruhigende Schäden an gewissen Boden- und Felsankern ans Licht. Wegen der verwendeten Ankergeneration besteht für die unter Spannung stehenden Litzen ein erhebliches Korrosionsrisiko, namentlich in der Nähe des Ankerkopfs. Diese Art von Schäden kann letztlich einen partiellen oder vollständigen Bruch des Bauwerks zur Folge haben. Die Ergebnisse dieser Studie haben das Astra veranlasst, eine Methode der Gefahrenanalyse für seine Objekte zu definieren[2].

Bei unverankerten Stützmauern trat das Problem erstmals bei Untersuchungen der Rückseite von Winkelstützmauern entlang der Nationalstrasse A5 zwischen La Neuveville und Biel im Juli 2007 zutage. So ergaben Stichproben eine erhebliche Korrosion der Hauptbiegebewehrung, vor allem am Mauerfuss. Das Astra löste Sofortmassnahmen aus, um die Sicherheit der unterhalb der Stützmauern verkehrenden SBB sowie der Nationalstrassenbenutzer oberhalb der Mauern zu gewährleisten. Ab 2008 führte man ähnliche Untersuchungen an den Stützmauern entlang der Nationalstrasse A9 zwischen Vennes und Villeneuve durch. Dabei stellte man die gleiche Art von spezifischen und häufig auftretenden Schäden fest.

Solche Korrosionsstellen sind nicht einheitlich entlang von Stützbauwerken verteilt, daher bleibt ausreichend Zeit, um die risikobehafteten Bauwerke zu analysieren und gegebenenfalls Massnahmen zu ergreifen. Allerdings schreitet der Schädigungsprozess unerbittlich voran und stellt eine latente Bedrohung dar. Es gilt somit, die betroffenen Bauwerke rasch ausfindig zu machen, um künftig nicht allzu umfangreichen Schäden gegenüberzustehen.

Im Gegensatz zum Brückenbau ist die Dokumentation der ausgeführten Stützbauwerke im Allgemeinen lückenhaft, sowohl bezüglich der geotechnischen Grundlagen als auch hinsichtlich der statischen Berechnungen und der Pläne der ausgeführten Werke. Da die Problemstellen oft nur schwer zugänglich sind, ist es ausserdem schwierig, vollständige Informationen über die statisch relevanten Elemente zu erhalten. Deshalb werden der Unterhalt des Werks und die Beurteilung des vorhandenen Sicherheitsniveaus deutlich anspruchsvoller.

Präventive Strategien

Als vorrangiges Ziel ergreift das Astra Massnahmen, damit es nicht zu einem Schadenfall kommt. Das Bundesamt hat bereits 2010 auf der Grundlage der oben beschriebenen Befunde sowie einer Analyse der Risiken und Prioritäten gezielte Interventionsmassnahmen im Umfang von etwa 150 Millionen Franken getroffen. Diese Massnahmen verteilten sich auf einen Zeitraum von fünf Jahren und wurden von der Astra-­Filiale Estavayer-le-Lac gesteuert. Sie bezweckten die dauerhafte Verfügbarkeit der A5 und A9 sowie die ­Sicherheit der Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer.

Während der zahlreichen Verstärkungsmassnahmen wurden spezifische Aspekte der Planung und Realisierung im Detail ausgearbeitet, geprüft und harmonisiert (vgl. «Präventiv verstärkt»). Gleichzeitig wurde zwischen 2012 und 2014 eine Pilotstudie mit klar definierten Untersuchungszielen durchgeführt. Schliesslich kristallisierten sich drei zentrale Forschungsthemen heraus (vgl. Kasten unten).

Parallel dazu führt das Astra Kontrollen über den Bestand aus und vervollständigt seine Inventare, aktualisiert die Datenbank KUBA-DB und setzt Prioritäten für die baulichen Massnahmen innerhalb der Stützbauwerke nach seinem übergeordnetern Risikomanagementkonzept. Zustandserfassungen und Interventionen erfolgen im Einklang mit den allgemeinen Zielen und den Vorgaben, wie sie in den projektspezi­fischen Nutzungsvereinbarungen definiert sind.


Anmerkungen:
[01] KUBA-DB ist eine Software, die der Erfassung von Kunstbauten und Tunnels, von deren Zustand und Erhaltungsdaten sowie der Erfassung von Dokumenten und Beteiligten dient.
[02] Richtlinie Astra 12005 «Boden- und Felsanker», Ausgabe 2007

TEC21, Fr., 2016.09.30



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2016|40 Stützmauern: die Erblast der Boomjahre

Mit Leichtigkeit verbessern

Am Chillon-Viadukt bei Montreux erfolgte mit 2400 m³ die weltweit bisher grösste Instandsetzung mit UHFB. Die Projektbeteiligten berichten über die Materialwahl und ihre Erkenntnisse bei Planung und Ausführung.

Am Chillon-Viadukt bei Montreux erfolgte mit 2400 m³ die weltweit bisher grösste Instandsetzung mit UHFB. Die Projektbeteiligten berichten über die Materialwahl und ihre Erkenntnisse bei Planung und Ausführung.

Die Fahrbahnplatte des 1969 eröffneten Viadukts der Autobahn A9 sollte ursprünglich mit herkömmlichen Baustoffen instandgesetzt werden. Doch bei den 2012 ausgeführten Hochdruckwasserstrahlarbeiten wurden Anzeichen einer Alkali-Aggregat-Reaktion[1] (AAR) im Beton entdeckt, sodass das Bundesamt für Strassen (Astra) sein Erhaltungskonzept revidieren musste.

Der Schadensmechanismus der AAR befindet sich noch im Anfangsstadium und war im Vorfeld nicht visuell erkennbar. Die fortschreitende AAR wird jedoch über die Jahre zu einer Abnahme der Druck- und Zugfestigkeit sowie des Elastizitätsmoduls des Betons führen. Die Prüfergebnisse des Chillon-Viadukts ergaben, dass der vorliegende Beton eine gegenüber anderen Bau­werken hohe Reaktivität aufweist. Die für den Beton verwendete Gesteinskörnung aus der Rhonemündung am Genfersee zeichnet sich durch lange Inkubations- und Latenzzeiten aus, die mehrere Jahrzehnte umfassen.

Der Beton der Fahrbahnplatte entspricht heute einer Druckfestigkeitsklasse C60/75. Die Tragsicherheit der am stärksten querkraftbeanspruchten Bereiche der Fahrbahnplatten ist somit gerade noch erfüllt. Es ist aber zu erwarten, dass die Betondruckfestigkeit infolge der AAR in 30 Jahren nur noch der Klasse C40/50 entsprechen wird. Laboruntersuchungen haben zudem gezeigt, dass die Latenzzeit der AAR erreicht ist und somit die Gefahr einer beschleunigten Schadensentwicklung besteht. Die UHFB-Lösung setzt sich durch Aufgrund dieser Erkenntnisse standen drei Erhaltungsmassnahmen zur Diskussion: Als Erstes sollte die Tragfähigkeit der Fahrbahnplatte in Querrichtung durch eine herkömmliche Stahlbetonverstärkung erhöht werden. Das Eigengewicht hätte aber derart zugenommen, dass die Tragfähigkeit des Bauwerks in Längsrichtung deutlich überschritten worden wäre; ausserdem wären zusätzliche unwirtschaftliche Verstärkungsmassnahmen ausgelöst worden. Die zweite Variante sah das Aufkleben von Kohlenstofffaserlamellen auf der Ober- und Unterseite der Fahrbahnplatte vor. Auch diese Lösung war unbefriedigend, denn die Lamellen hätten zwar das Biegeverhalten der Platten verbessert, aber nicht den Querkraftwiderstand.

Mit der dritten Variante konnte man die Schwächen der ersten beiden vermeiden: Eine 40 mm dicke Schicht aus schlaff bewehrtem Ultrahochleistungs-Faserbeton (UHFB, vgl. «Stahl und Beton effizienter kombiniert», S. 20) bildet mit der bestehenden Fahrbahnplatte aus Beton einen monolithischen Verbundquerschnitt, der die Tragfähigkeit hinsichtlich Biegung, Querkraft und Ermüdung deutlich erhöht. Diese Schicht wirkt zugleich als Abdichtung gegenüber einem weiteren Wassereintritt in den Beton, womit sich die Schadensentwicklung durch AAR begrenzen lässt. Auch die vergleichsweise geringen Kosten, die kürzere Bauzeit und die vorhandene, noch intakte Oberfläche der Fahrbahnplatte sprachen für diese Lösung.

Versuche und Bemessung

Anhand von Bruchversuchen an Prüfkörpern im Labor konnte der Tragwiderstand des Verbundquerschnitts nachgewiesen werden. Die Versuche wurden unter der Leitung von Professor Daia Zwicky an der HTA Freiburg durchgeführt. Diese Erkenntnisse wurden mithilfe einer Finite-Element-Tragwerksanalyse überprüft. Das Tragverhalten in Längsrichtung wurde anhand von Stabwerkmodellen untersucht. Der bestehende Beton wurde mit einer reduzierten Festigkeitsklasse C40/50 und der UHFB mit einer Zugfestigkeit von mehr als 7 N/mm2 und einer Verfestigungsdehnung von über 2 ‰ berücksichtigt.[2]

Die UHFB-Schicht erhöht die Fahrbahnplattenstärke von 180 auf 220 mm. Dank dieser Schicht konnte aber zugleich eine reduzierte Belagsdicke von 85 mm anstatt der bestehenden 100 mm realisiert werden, womit sich die ständigen Lasten nur geringfügig erhöhten. Die Längsfugen zwischen den vier Einbauetappen wurden gezielt dort positioniert, wo der UHFB auf Biegedruck beansprucht wird (Abb. ganz oben).

Die UHFB-Schicht wurde in Querrichtung schlaff bewehrt (ø 12 mm alle 100 mm), um die Fahrbahnplatte in dieser Richtung tragfähiger auszubilden. Im Bereich der Pfeiler erwies sich der Biegetragwiderstand in Längsrichtung als knapp ungenügend. Eine erhöhte UHFB-Schichtstärke von 50 mm über 25 % der Feldlänge sowie zusätzliche Längsbewehrung genügten aber, um auch diesen Nachweis zu erfüllen.

Flüssig oder fest? – Thixotrop

Die UHFB-Variante stellte hohe Anforderungen an die Ausführung. In den letzten zehn Jahren sind in der Schweiz über 25 Projekte mit UHFB-Verstärkungen von Brückenplatten und Gebäudedecken umgesetzt worden. Bisher wurden jedoch relativ kleine Volumen von maximal 110 m³ realisiert, die manuell eingebracht wurden. Pro Viadukt wird hier auf einer Fläche bis 25 400 m² rund 1200 m³ UHFB gegossen. Auf dem ersten Viadukt erfolgte dieser Einbau zwischen dem 25. Juli und dem 3. September 2014. Diese kurze Zeitspanne wurde durch den maschinellen Einbau des UHFB ermöglicht. Der Unternehmer entwickelte dafür drei unterschiedlich thixotrope[3] UHFB-Rezepturen, die auf die spezifischen Bedingungen wie Einbautemperatur, Längs- und Quergefälle abgestimmt waren: Der Frisch-UHFB konnte sowohl einwandfrei eingebaut werden als auch Oberflächengefällen bis zu 7 % standhalten.

Eigenentwickelte Einbaumaschinen

Der UHFB musste in weniger als sechs Wochen eingebaut werden, was einer durchschnittlichen Leistung von 40 m³ pro Tag entspricht. Aus logistischen Gründen installierte das Unternehmen eine UHFB-Mischanlage direkt vor dem Viadukt. Somit konnten die Verarbeitbarkeit, die Produktionsleistung sowie der Transport des UHFB auf die Witterungsverhältnisse abgestimmt werden. Der Unternehmer entwickelte die Einbaumaschine ausgehend vom Fahrgestell eines Fertigers, der für den Bau der Betonplatten am Flughafen Zürich im Einsatz war (Abb. oben S. 26).

Die Nachbehandlung dauerte fünf Tage und erfolgte unmittelbar nach dem Einbau des UHFB mit einer Kunststofffolie als Abdeckung. Obwohl UHFB wasserdicht ist, wurde die gesamte Oberfläche mit ­Polymerbitumen-Dichtungsbahnen (PBD) abgedeckt, damit die Haftung des Gussasphalts auf dem UHFB und eine sichere Abdichtung der UHFB-Arbeitsfugen garantiert werden konnten.

Eine effiziente neue Technologie

Der sorgfältigen Vorbereitung und dem Engagement aller am Projekt Beteiligten ist es zu verdanken, dass die Verstärkung der Fahrbahnplatte des ersten Chillon-Viadukts mithilfe einer bewehrten UHFB-Schicht in der gesetzten kurzen Frist und ohne nennenswerte Schwierigkeiten erfolgreich ausgeführt werden konnte. Diese in diesem Umfang erstmalige Anwendung bestätigt, dass sich UHFB für die Verstärkung und ­Verbesserung von Tragwerken aus Stahlbeton eignet. Die Kosten der UHFB-Arbeiten beliefen sich auf ca. 230 Fr./m2 Fahrbahnoberfläche, was angesichts der vielfältigen Anforderungen wirtschaftlich ist. Durch die vergleichsweise sanfte Intervention mit UHFB bleiben auch die kulturellen Werte der als Denkmalobjekt inventarisierten Chillon-Viadukte erhalten.


[Hartmut Mühlberg (Dipl. Ing. REG A) ist Projektleiter bei Monod-Piguet   Associés Ingénieurs Conseils AG in Lausanne.
Stéphane Cuennet (Dipl. Ing. FH) ist Fachspezialist für Kunstbauten der Astra-Zentrale in Ittigen.
Eugen Brühwiler (Prof. Dr. dipl. Ing. ETH/SIA/IVBH) ist Professor und Inhaber des Lehrstuhls für Erhaltung, Konstruktion und Sicherheit von Bauwerken an der ETH Lausanne (EPFL).
Bernard Houriet (Dr. Ing. ETH/SIA) ist Projektleiter und Teilhaber des Büros GVH in Tramelan.
Frédéric Boudry (Dipl. Ing. ETS) ist Bauleiter bei der Firma Walo Bertschinger in Eclépens.
Blaise Fleury (Dipl. Ing. ETH/SIA) ist Bauherrenberater für UHFB bei OPAN Concept in Neuenburg.]

Artikel in originaler Sprache und Länge: vgl. «2400 m³ de BFUP sur un pont autoroutier», TRACéS 19/2014.


Anmerkungen:
[01] Die Alkali-Aggregat-Reaktion (AAR) ist ein über Jahrzehnte ablaufender chemisch-physikalischer Prozess im Beton. Die alkalische Porenlösung reagiert mit Bestandteilen der Gesteinskörnung, wobei es zu einer Volumenzunahme und zur Rissbildung kommt. Das Thema ist im Merkblatt SIA 2042 normativ behandelt.
[02] Merkblatt SIA 2052 «Ultra-Hochleistungs-Faserbeton (UHFB) – Baustoffe, Bemessung und Ausführung», Schlussfassung vor der Publikation, November 2014.
[03] Eigenschaft bestimmter kolloidaler Mischungen, sich bei mechanischer Einwirkung zu verflüssigen. Die Thixotropie von Frisch-UHFB wird durch die Beigabe bestimmter Zusatzmittel erhalten.

TEC21, Fr., 2014.11.21



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