2015
Yona Friedman
The Dilution of Architecture
Hrsg: Nader Seraj
Autor: Yona Friedman, Manuel Orazi
Verlag: Park Books
2015
Hrsg: Nader Seraj
«Future City» - eine Ausstellung in der Barbican Art Gallery London
«Future City» - eine Ausstellung in der Barbican Art Gallery London
Mit seinen drei schlanken Hochhäusern stellt der Barbican Estate, zwischen Smithfield Market und Liverpool Street Station gelegen, ein das Stadtbild der britischen Kapitale prägendes Gebäudeensemble dar. Von der städtischen Struktur ringsum separiert, wurde der 24 Hektaren grosse, zwischen 1959 und 1979 errichtete Megakomplex lange als städtebauliche Verfehlung angesehen. Inzwischen sind die Apartments privatisiert und gelten - nicht zuletzt wegen der Nähe zum Finanzdistrikt der City - als überaus attraktiv.
Weil der Barbican Estate gleichermassen Vision, Scheitern und Rehabilitierung der Spätmoderne offenbart, ist das in das Ensemble integrierte Kulturzentrum mit seiner Art Gallery ein idealer Veranstaltungsort für die Ausstellung «Future City: Experiment and Utopia in Architecture 1956-2006». Titel und Zeitspanne kündigen ein ambitioniertes Projekt an, und in der Tat sind der grosse Ausstellungsraum und das Galeriegeschoss prall gefüllt mit Modellen und Plänen, Skizzen und Publikationen, Videomonitoren und Texttafeln. Auf der oberen Ebene finden sich die Utopien der fünfziger bis siebziger Jahre, unten wird die Entwicklung vom Dekonstruktivismus bis zur Gegenwart thematisiert; die Besucher durchwandern insgesamt 16 Stationen.
Megastruktur und digitales Entwerfen
Das Ausstellungsdesign stammt vom Londoner Büro Foreign Office Architects (FOA), das durch das Fährschiffterminal in Yokohama bekannt wurde und derzeit das neue Music Centre für die BBC in der White City im Westen der Hauptstadt realisiert. Der Charakter der Schau oszilliert zwischen dem Labyrinthischen und dem Provisorischen: Zu den verschiedenen Einbauten in die Ausstellungssäle auf dem oberen Niveau treten wandfüllende Grossfotos und Textplakate, während die lichte Halle im Zentrum durch eine Vielzahl von Sockeln und Podesten beherrscht wird, die mit Pfeilen und vorgeblichen Orientierungshilfen überzogen sind. Dabei bezieht sich FOA auf Guy Debords «Guide psychogéographique de Paris» von 1957, einen fragmentierten Stadtplan, der die Psychogeographie der individuellen Stadtwahrnehmung zum Thema machte.
Mit Debord und den seit einigen Jahren den architektonisch-urbanistischen Diskurs erneut befruchtenden Künstlern der Situationistischen Internationale beginnt die Schau: «New Babylon» ist der gleichnamigen Siedlungsvision von Constant Nieuwenhuys gewidmet; dazu treten die gleichzeitig entwickelten Raumstrukturen von Yona Friedman. Kapselartige präfabrizierte Strukturen, die 1967 in Moshe Safdies «Habitat» für die Weltausstellung in Montreal kulminierten, zeigt die Abteilung «New Urban Habitat»: Darunter finden sich das «House of the Future» von Alison und Peter Smithson (1956), der «Living Pod» des Archigram-Mitglieds David Greene (1967) oder parasitäre, beliebig zu placierende Raumzellen von Chanéac (1968). Vorbei an den organisch-skulpturalen Projekten von André Bloc oder Pierre Székely, den aufblasbaren Körpern von Peter Cook, Coop Himmelb(l)au und Haus-Rucker-Co gelangt man zu den metabolistischen Visionen für die Überbauung der Tokio Bay, zu Megastrukturen von Hans Hollein und Walter Pichler sowie zu den endlosen Rasterstrukturen, mit denen die italienische Gruppe Superstudio Kritik am hypertrophen Rationalismus der Moderne übte.
Madelon Vriesendorps Illustrationen für «Delirious New York» und die als Abschlussarbeit an der Architectural Association angefertigte London-Studie «Exodus, or the Voluntary Prisoners of Architecture» stehen exemplarisch für die frühen Arbeiten von Rem Koolhaas. In diesen setzte sich der Holländer mit dem Mythos der Metropolen auseinander, wobei er die von Superstudio und anderen Gruppen artikulierte Kritik an der Moderne in komplexere Strategien überführte.
Die chronologisch-thematische Präsentation weicht auf der unteren Ebene einem Nebeneinander verschiedener Positionen, wobei im Groben auch hier die zeitliche Abfolge bewahrt bleibt. Zunächst sind eine Reihe von Modellen jener Architekten zu sehen, die seit der Ausstellung im New Yorker Museum of Modern Art als Dekonstruktivisten bezeichnet wurden: Bernard Tschumis Pariser «Parc de la Villette», Peter Eisenmans «Guardiola House» oder Daniel Libeskinds «Berlin City Edge».
Unter dem Begriff «Non-Standard Architecture» werden die Arbeiten von jüngeren Vertretern computergestützten Entwerfens zusammengefasst - darunter NOX, dECOi, KOL/MAC Studio und Objectile. Die meisten dieser digitalen Visionen sind, sofern es sich um Werke grösseren Massstabs handelt, unrealisiert geblieben. Im Bereich «Contemporary Process» hingegen werden neuste Bauten und Projekte präsentiert, in denen Pragmatismus und Vision auf je eigene Art zusammengefunden haben: das Faltwerk des Fährenterminals von Yokohama, der Wolkenbügel für das chinesische Staatsfernsehen in Peking (Office for Metropolitan Architecture und Rem Koolhaas), das «Blur Building» für die Schweizer Expo 02 in Yverdon von Diller & Scofidio.
Grandiose Modelle
Für die Besucher, die mit der visionären Architektur der letzten 50 Jahre vertraut sind, birgt die Ausstellung wenig Überraschungen - neue Perspektiven oder neue Bewertungen werden hier nicht angeboten. Anders als der anspruchsvolle Titel «Future City» vermuten lässt, handelt es sich aber auch nicht um eine speziell für diesen Zweck zusammengestellte Ausstellung, sondern eigentlich um die Sammlung des in Orléans beheimateten FRAC (Fonds Régional d'Art Contemporain du Centre), die durch Leihgaben aus dem Centre Pompidou, dem Nederlands Architectuur Instituut Rotterdam sowie von diversen Architekturbüros ergänzt wurde. Seit 1991 hat der FRAC eine erstaunliche Sammlung von Architekturmodellen und Architekturzeichnungen zusammengetragen. Mögen auch manche Objekte in der Schau nicht so recht zum Titel passen, so entschädigt die Vielfalt der unterschiedlichen Arbeiten für thematische Schwächen. Und die grandiosen Originalmodelle machen den Besuch selbst dann zum Erlebnis, wenn man die Mehrzahl der Projekte (aus der Literatur) zu kennen glaubt.
[ Bis 17. September. Katalog: Future City - Experiment and Utopia in Architecture 1956-2006. Hrsg. Jane Alison. Barbican Art Gallery, London 2006. 326 S., £ 29.95. ]
Von Yona Friedman über Archigram bis hin zu Rem Koolhaas reicht die Spannweite architektonischer Zeichnungen, die derzeit im New Yorker Museum of Modern Art in Queens zu sehen sind. Die Visionen aus den sechziger und siebziger Jahren setzten sich kritisch mit dem Funktionalismusverständnis der Spätmoderne auseinander.
Von Yona Friedman über Archigram bis hin zu Rem Koolhaas reicht die Spannweite architektonischer Zeichnungen, die derzeit im New Yorker Museum of Modern Art in Queens zu sehen sind. Die Visionen aus den sechziger und siebziger Jahren setzten sich kritisch mit dem Funktionalismusverständnis der Spätmoderne auseinander.
«Visionary Architecture» hiess eine Ausstellung des New Yorker Museum of Modern Art, die im Jahr 1960 aktuelle Beispiele utopischen Entwerfens versammelte: Buckminster Fullers «Dome over Manhattan» wurde ebenso ausgestellt wie Projekte der japanischen Metabolisten und Paolo Soleris frühe Versuche einer Vereinigung von Architektur und Ökologie zur «Arcology». Mit der nun in der von Michael Maltzan hergerichteten temporären Dépendance MoMA QNS in Queens veranstalteten Schau knüpft Kurator Terence Riley gleichsam zeitlich an die frühere Ausstellung an. Gezeigt wird unter dem Titel «The Changing of the Avant-Garde» mit 173 Architekturzeichnungen fast der Gesamtbestand der Howard Gilman Collection, die vor zwei Jahren in den Besitz des Museums überging.
Flexibilität als Programm
Der Aufbau der Sammlung war das massgebliche Verdienst des belgischen Kurators Pierre Apraxine, dem es 1976 gelang, den Papierfabrikanten Howard Gilman für dieses Gebiet zu interessieren. Stand in jener Zeit die Minimal Art bei Unternehmern hoch im Kurs, so betraten Apraxine und Gilman Neuland: Das Sammeln von Architekturentwürfen durch Privatpersonen war damals noch ungewöhnlich. Diese Situation bedeutete Chance und Nachteil zugleich - mangels Konkurrenz liessen sich mitunter Spitzenwerke erwerben. Gewisse Architekten aber (etwa James Stirling) lehnten Verkäufe prinzipiell ab. Innerhalb von vier Jahren war der Aufbau der Kollektion weitgehend abgeschlossen, nur einige wenige Arbeiten wurden später hinzugefügt. Auch diese indes stammen aus den sechziger und siebziger Jahren. Das Jahr 1980 bildet folglich die zeitliche Obergrenze des Sammlungsbestands.
Als Prolog in Sammlung und Ausstellung fungieren sechs Entwurfsblätter für das «Dymaxion House» von Buckminster Fuller. Die Idee des 1927-29 in verschiedenen Varianten konzipierten Hauses beruhte auf einer flexiblen hexagonalen Struktur, die maximale Effizienz bei minimalem Energieaufwand bieten sollte. Eine genuin amerikanische Traditionslinie bildet mithin die eine historische Wurzel, nicht die Visionen der russischen Konstruktivisten, nicht die Architektur der deutschen Expressionisten, nicht die städtebaulichen Vorstellungen Le Corbusiers. Mit «The Megastructure» ist - zumindest im Katalog - der erste der beiden Hauptteile der Ausstellung überschrieben, der mit hervorragenden Arbeiten die massgeblichen Utopien der Jahre um 1960 dokumentiert: Yona Friedmans «Ville spatiale», das Konzept einer gitterartigen Stadtüberbauung, das für Tunis und Paris näher ausgearbeitet wurde; Arata Isozakis «Joint Core System» für den Tokioter Stadtteil Shinjuku; das von Cedric Price für den Theatermann John Littlewood entwickelte, durch stählerne Türme und Brücken gegliederte Projekt eines als «Fun Palace» apostrophierten Kulturzentrums in London; und schliesslich die berühmten Visionen der Gruppe Archigram wie die «Plug-In-City» von Peter Cook oder die «Walking City» von Ron Herron.
Hatte schon das «Team X» in England einige Jahre zuvor Kritik an einer sich auf ein rein mechanisches Verständnis der Stadt beschränkenden CIAM-Moderne geäussert, so gingen Archigram und die Verfechter der Megastrukturen einen Schritt weiter, indem sie flexible Elemente in die Architektur aufnahmen oder - wie Ron Herron - Gebäude selbst in Bewegung zu setzen versuchten; Fumihiko Maki definierte die Megastruktur als «stable structure containing mobile parts». Festzuhalten bleibt indes, dass die Idee grenzenlosen Fortschritts und die zuweilen naive Technikgläubigkeit von Archigram den kritisierten Positionen stärker ähnelte, als den Protagonisten bewusst war. So wie man den Jugendstil im Rückblick als letzte Transformation des Historismus verstehen kann, stellte Archigram die letzte Verwandlung der Spätmoderne dar.
Kritik an der Spätmoderne
Dies wurde in dem durch gesellschaftliche Umwälzungsprozesse bestimmten Klima der späten sechziger Jahre deutlich, als nicht nur Theoretiker wie der für die Karriere von Archigram bedeutsame Reyner Banham auf Distanz gingen, sondern Architektenkollegen - besonders in Italien - neue Wege einschlugen. Ettore Sottsass' Serie «The Planet as Festival» (1972/73) zeigt eine von den Insignien der kapitalistischen Konsumgesellschaft bereinigte futuristische Landschaft, in der Herrons zerstörte «Walking City» neben eingestürzten Wolkenkratzern und Schiffswracks von einer überwundenen Ära zeugt. Ein ähnlich kritisches Potenzial weist der als negative Utopie zu verstehende «Monumento continuo» der Florentiner Gruppe Superstudio auf, eine gerasterte weisse Struktur, welche die gesamte Erde überziehen sollte. Mal überspannt sie Küstenlandschaften, mal legt sie sich in Kreuzform über den See von Sankt Moritz und führt mit ihrer monolithischen Idealgeometrie den Planungswahn des Strukturalismus ad absurdum.
Eine Gruppe von Zeichnungen für Aldo Rossis Friedhof San Cataldo in Modena bildet einen Schwerpunkt im zweiten Teil der Ausstellung, der mit dem Titel «Postmodern Roots» versehen ist. In der Tat wurzelt der Versuch, durch Auseinandersetzung mit archetypischen Bauformen der Vergangenheit nach Jahren der Planungseuphorie zu neuer Selbstvergewisserung zu gelangen, in einer Schwellensituation der Jahre nach 1968. Aus dieser Warte heraus rücken später divergente Positionen nahe aneinander: Rossis Interesse an elementaren Bauformen, die typologischen Untersuchungen von Raimund Abraham und Léon Krier, John Hejduks «Wall House» (das, ursprünglich für einen Standort in Connecticut geplant, postum 2001 in Groningen realisiert wurde), die ersten Hausentwürfe von Peter Eisenman und schliesslich Rem Koolhaas' Zeichnungen für das grandiose Buch «Delirious New York». In «The City of the Captive Globe» stehen berühmte utopische Architekturen aufgereiht über dem Blockraster von Manhattan, darunter El Lissitzkys Lenintribüne, Le Corbusiers Kreuzhochhäuser des Plan Voisin und Wallace Harrisons «Trylon and Perisphere» der New Yorker Weltausstellung von 1939 - ein Schwanengesang auf die Visionen der Moderne.
Damit bildet die Kritik an der Spätmoderne den gemeinsamen Nenner der in der Howard Gilman Collection versammelten Arbeiten. Der Zeithorizont endet mit der Latenzphase der Postmoderne, also in einer Zeit, in der diese noch kritisches, zumeist individualistisches Suchen bedeutete. Die Erstarrung in Formalismus und Traditionalismus bleibt somit ausgeklammert. Den Abschluss der Ausstellung bildet noch einmal Cedric Price, der als einziger Architekt einen Auftrag von Gilman erhielt. «Generator» lautete das zwischen 1978 und 1980 verfolgte Projekt eines Kulturzentrums auf der White Oak Plantation des Konzerns in Florida. Es blieb unrealisiert, hat aber einen Niederschlag gefunden in etwa 100 Skizzen und Entwürfen.
[Bis 6. Januar. Katalog: The Changing of the Avant-Garde. Visionary Architectural Drawings from the Howard Gilman Collection. Hrsg. MoMA, New York 2002; 192 S., $ 30.-.]
Zwei Ausstellungen in New York
Zwei Ausstellungen in New York
Der «Fonds Régional d'Art Contemporain du Centre» (FRAC) mit Sitz in Orléans wurde 1991 gegründet und ist ausser für seine Sammlung auch für die seit 1999 stattfindende Veranstaltung «ArchiLab» bekannt. Nun werden die Aktivitäten von «ArchiLab» im Storefront for Art and Architecture dem New Yorker Publikum vorgestellt. Gleichzeitig zeigt der Thread Waxing Space am Broadway Modelle und Zeichnungen aus der Sammlung des FRAC. Die Galerie befasste sich schon anlässlich der Archigram-Ausstellung von 1997 mit den visionären Stadtideen der sechziger Jahre. Nun erinnern Modelle und Zeichnungen von Peter Cook und Archigram, Yona Friedman, Constant, Pascal Häusermann, Guy Rottier, Claude Parent / Paul Virilio und Pierre Székely an die Zeiten, als die vielfältigen Bewegungen der Architekturszene sich tief in einen politischen und sozialen Diskurs stürzten und zu dessen Erläuterung erstaunliche Modelle bauten. Der in Genf lebende Architekt Pascal Häusermann brachte an dem die Ausstellung begleitenden Symposium ein, dass Urbanismus heute nicht in den Köpfen der Planer, sondern in den Metropolen der Dritten Welt entstehe. Frédéric Migayrou, der Gründer und ehemalige Direktor der FRAC, betonte hingegen, dass zeitgenössische Stars wie Tschumi und Koolhaas aus den visionären Arbeiten von Architekten wie Superstudio und Archigram nicht nur einzelne Inspirationen zögen, sondern gesamthaft schöpften.
[Die Ausstellungen im Thread Waxing Space, 476 Broadway, und im Storefront for Art and Architecture, 97 Kenmare Street, dauern bis zum 21. März. Unter www.frac-centre.asso.fr finden sich Informationen zum FRAC. ]
Einen Überblick über die Architektur, das Design und die Kunst Frankreichs aus den letzten vierzig Jahre zu geben, ist Ziel einer Ausstellung im Guggenheim Museum SoHo in New York. Die Kuratoren verzichten auf eine strikte Trennung der Gattungen und stellen die Frage nach dem Umgang mit dem Raum ins Zentrum ihrer Überlegungen.
Einen Überblick über die Architektur, das Design und die Kunst Frankreichs aus den letzten vierzig Jahre zu geben, ist Ziel einer Ausstellung im Guggenheim Museum SoHo in New York. Die Kuratoren verzichten auf eine strikte Trennung der Gattungen und stellen die Frage nach dem Umgang mit dem Raum ins Zentrum ihrer Überlegungen.
Es war keineswegs zufällig, dass Renzo Piano und Richard Rogers im Jahr 1970 – in einer Phase umfassender Veränderungen der französischen Gesellschaft – den Wettbewerb für das Centre Pompidou gewannen. Die Kulturmaschine, welche die Architekten an den Rand des Marais-Viertels stellten, sagte einem elitären Bildungsverständnis den Kampf an und schaffte zugleich doppelten Freiraum: in konzeptioneller Hinsicht, weil die Neutralität des Inneren eine Vielfalt unterschiedlicher Nutzungen zulässt, aber auch im urbanistischen Sinne, da das aufragende Volumen eine vorgelagerte Leerfläche schafft, die als Bühne, ja als Agora im Zentrum von Paris dient.
Anschauliche Präsentation
Nicht ohne Grund wurde die derzeit im Guggenheim Museum SoHo in New York präsentierte Ausstellung unter dem Titel «Premises. Invested Spaces in visual arts, architecture & design from France 1958–1998» massgeblich vom Team des zurzeit auf Grund einer Generalsanierung geschlossenen Centre Pompidou vorbereitet. Die umfangreiche, von Bernard Blistène, Alison M. Gingeras und Alain Guiheux kuratierte Schau sucht die Kategorien Raum und Ort als theoretisches Instrumentarium für einen Tour d'horizon durch die vergangenen vierzig Jahre französischer Kunst- und Architekturentwicklung fruchtbar zu machen. Der Titel ist geschickt gewählt, oszilliert er doch dank seiner Ambiguität zwischen den Bedeutungen Ort/Raum und Gedanke/Prämisse, umfasst also einen theoretisch-programmatischen ebenso wie einen architektonisch-pragmatischen Zugriff. Bildende Kunst – vornehmlich in Form von Installationen, die zum Teil eigens für die Ausstellung angefertigt wurden – und Bauten werden in New York vielfältig zueinander in Beziehung gesetzt; hinzu treten Videopräsentationen und Arbeiten aus dem Bereich Design. Die Kuratoren haben ihre Schau in zehn Abteilungen gegliedert, die alternierend der Kunst und Architektur gewidmet sind; so werden Nähen provoziert und zugleich Zäsuren akzentuiert. Anstelle einer chronologischen Ordnung entschied man sich für diachrone Schnitte durch das in Überfülle präsentierte Material.
Transluzente Gazevorhänge trennen die Architekturbereiche von den übrigen Abteilungen. Dabei dient der weisse Stoff zugleich als Folie für omnipräsente Diaprojektionen, die – neben einer Vielzahl von Architekturmodellen aus der Sammlung des Musée national d'art moderne – die Anschaulichkeit der Ausstellung garantieren. Unter dem Schlagwort «Form versus relation» beginnt die Ausstellung mit der Kritik am CIAM und am Formalismus des späten Le Corbusier, wie sie von Peter und Alison Smithson vorgetragen und in den Entwürfen von Candilis/Josic/Woods sowie im futuristischen Konzept der Ville spatiale von Yona Friedman aufgenommen wurde. Gegenübergestellt finden sich zeitgenössische Arbeiten von Künstlern, deren Arbeiten ebenfalls die strikte Abgrenzung von privater und öffentlicher Sphäre in Frage stellen: die Plakatabrisse von Raymond Hains, eine Rauminstallation von Daniel Spoerri und ein von Arman devastiertes Interieur. Es folgt – unter dem Titel «Sites of memory» – die Auseinandersetzung mit der individuellen und kollektiven Erinnerung (Jean Dubuffet, Louise Bourgeois, Christian Boltanski) und im Bereich «Enclosures» die Thematik des repressiven Raums.
In diesem Kontext lassen sich die Raumzellen von Absalon und die Käfiginstallationen von Jean-Marc Bustamante durchaus in Verbindung bringen mit den Versuchen von Architekten wie Jean Renaudie, Lucien Kroll und Christian de Portzamparc, durch partizipatorisches Bauen oder Adaption ortsspezifischer Elemente neue Standards für den Massenwohnungsbau zu setzen. «The fabrication of architecture» behandelt die Liaison von Architektur und industrieller Ästhetik, für die Bauten von Jean Prouvé, Piano und Nouvel als paradigmatisch gelten können, «Fragment versus container» kontrastiert geschlossene und offene Form: Frédéric Borels zerklüftete Häusergruppe in der Pariser Rue Oberkampf zum einen, Dominique Perraults Berliner Velodrom zum anderen. Gerade in der jüngeren, durch die Medienwirklichkeit geprägten Zeit aber scheinen sich die bisher konstitutiven Oppositionen von privat und öffentlich oder offen und geschlossen zu verschleifen. In den Bauten und Projekten von Bernard Tschumi und Rem Koolhaas oder auch dem in Ausführung befindlichen Metafort Media Research Center in Aubervilliers von Finn Geipel und Nicolas Michelin zeigt sich ein neues Verständnis von Architektur. Collagen und Brüche werden bewusst in Kauf genommen; es handelt sich um synthetische Projekte, die heterogene Raumkonzepte miteinander verbinden.
Anregung zum Denken
Zweifellos ist der Versuch spannend, die zumeist getrennten Bereiche Architektur und Kunst gemeinsam zu fokussieren. Allerdings lässt sich kaum verhehlen, dass es der von den Kuratoren vorgegebenen Systematik an Trennschärfe mangelt. So wirkt die Zuordnung der Objekte zu den einzelnen Ausstellungsbereichen bisweilen eher beliebig; eine andere Gruppierung der Exponate könnte vermutlich kaum weniger Plausibilität beanspruchen. Auch wenn manches nebulös bleibt, muss man doch anerkennen, dass es den Ausstellungsmachern gelungen ist, zwei getrennte Kunstgattungen zueinander in Beziehung zu setzen. Ob es anlässlich von Konfrontation und Reibung zum Funkenschlag kommt, bleibt dem Empfinden des Betrachters überlassen. Zu denken aber gibt die Schau allemal. Und das ist in Zeiten, da Kunstausstellungen dem ästhetischen Solipsismus huldigen und Architekturpräsentationen sich in geistlosen Werkdokumentationen erschöpfen, nicht wenig. (Bis 10. Januar)
[Katalog: Premises. Invested Spaces in Visual Arts, Architecture & Design from France: 1958–1998. The Solomon R. Guggenheim Foundation, New York 1998. 544 S., $ 45.–.]
2015
Hrsg: Nader Seraj
Friedmans Arbeiten umfassen städteplanerische Modelle, theoretische Texte, Film, Animationsfilm. Bedeutende Ausstellungen umfassen mehrere Kunstbiennalen (u.a. Shanghai, Venedig) und die documenta 11 2002 in Kassel, wo Zeichnungen und Modelle zu sehen waren.
1958 veröffentlichte er das Manifest „L'Architecture Mobile“, das zugleich als Gründungsdokument der „Groupe d'étude d'architecture mobile (GEAM)“ anzusehen ist, und entwickelte Raumstadtkonzepte wie „La Ville Spatiale“. Die Ideen dieser Manifeste waren visionär und seiner Zeit weit voraus; die Megastrukturen über bestehende Städte, in denen die Bewohner der Zukunft ihre Lebensumwelt flexibel gestalten sollten, beschäftigten Generationen von Architekten und Stadtplanern. Zusammen mit Ionel Schein, Walter Jonas und anderen gründete er 1965 die „Groupe International d'Architecture Prospective (GIAP)“.