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20. März 2009J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Vielschichtige Lösungen

Mit dem Pentorama in Amriswil und dem Gemeindezentrum in Affoltern am Albis sind Müller Sigrist Architekten bekannt geworden. Nun arbeiten sie an der Wohnsiedlung Kalkbreite in Zürich.

Mit dem Pentorama in Amriswil und dem Gemeindezentrum in Affoltern am Albis sind Müller Sigrist Architekten bekannt geworden. Nun arbeiten sie an der Wohnsiedlung Kalkbreite in Zürich.

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verknüpfte Akteure
Müller Sigrist

27. Juni 2008J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Verborgene Qualitäten

Das in Zürich tätige Büro Plan B Architekten hat sich mit der Erweiterung des Schulhauses Dorf in Rehetobel einen Namen gemacht. Derzeit arbeitet es an weiteren Schulen in Biel und in Teufen.

Das in Zürich tätige Büro Plan B Architekten hat sich mit der Erweiterung des Schulhauses Dorf in Rehetobel einen Namen gemacht. Derzeit arbeitet es an weiteren Schulen in Biel und in Teufen.

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02. März 2007J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Von Typologien und Bildern

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue...

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue...

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue Tramwartehallen auf dem Bürkli-, dem Parade- und dem Bahnhofsplatz aufzeigen - ein Gesamtkonzept also, wie es Planer so gerne verwirklicht sehen. Als Einzige der Teilnehmer schlugen HuggenBerger vor, am Paradeplatz den 1928 von Stadtbaumeister Hermann Herter realisierten Bau nicht abzureissen, sondern zu sanieren. Die Stadt nahm die Idee auf, rückte von ihrem Abbruchvorhaben ab, und so entstanden unterschiedliche Lösungen auf den verschiedenen Plätzen.

Bauen im Kontext

Hinter dem Büronamen HuggenBerger Architekten stehen Adrian Berger, Lukas Huggenberger und Erika Fries, die seit dem Jahr 2000 ein eigenes Büro mit inzwischen zehn Mitarbeitern führen und mit konzeptuell durchdachten Projekten auf sich aufmerksam machen. Das Bauen im Kontext ist ihr vielleicht wichtigstes Anliegen, das sie immer wieder neu definieren und das nicht von einer übergeordneten Regelhaftigkeit determiniert wird. Das brachte ihnen bei der Tramwartehalle Kritik ein, weil sie den Altbau weiterbauten, gleichsam schärften und die historische «Modernität» in baulichen Bildern ergänzten. So sind die dynamischen Fensterrundungen im Geist der zwanziger Jahre weitergedacht. Die architektonischen Elemente bekamen ein präzis detailliertes, aber immer auf den Altbau bezogenes Eigenleben. Das Dogma, dass man einen Altbau nur klar erkennbar durch Anbauten ergänzen darf, lassen die Architekten, die alle erst Mitte dreissig sind, nicht gelten - auch wenn ihnen vorgeworfen wurde, «dass man nicht mehr weiss, was alt und was neu ist».

Das kann einem beim jüngsten Projekt von HuggenBerger, einem vielbeachteten Wohnhaus an der Zurlindenstrasse in Zürich, kaum passieren (NZZ 30. 9. 06). Aber auch hier haben die Architekten es verstanden, einen Altbau mit einem Neubau auf bemerkenswerte Weise ineinander zu verschleifen. Das Haus liegt nahe beim Idaplatz in einem Quartier, das von einer bürgerlichen Blockrandbebauung geprägt ist. Blöcke, die - typisch für Zürich - nicht geschlossen, sondern zumeist an einer Seite durchbrochen sind, um innen liegende Bauten zu erschliessen. Auf diese Weise ergeben sich Innenhöfe und Durchgänge, deren Typologie vom neuen Haus wie selbstverständlich aufgenommen wird. Das Kopfgebäude schliesst eine Baulücke an der Zurlindenstrasse und erzeugt mit starker formaler Geste eine das Quartier prägende Architektur. Das wird erreicht mit dynamischen Balkonschlitzen und einer gestaffelten Kubatur, die bildhaft an die Architektur der klassischen Moderne erinnern. Mit den versetzten Fenstern aber, mit deren breiten Laibungen und mit der eleganten Textur aus schwarz glasierten Keramikkacheln ist das Haus eindeutig in der Gegenwart verankert.

Auch wenn das Haus aus dem herkömmlichen Raster fällt, gliedert es sich in Grösse und Bauvolumen städtebaulich nahtlos ein. Mit ornamentalen Fenster- und Balkongeländern, der vertikalen Wandstruktur und der Gesamtvolumetrie wird der Bezug zur gründerzeitlichen Umgebung hergestellt, so dass eine subtile Zeitcollage den eigenwilligen Ausdruck des Hauses bestimmt. Von aussen nicht ablesbar ist die Verbindung zum hofseitig anschliessenden Gebäude: Die Wohnungen der unteren vier Geschosse ziehen sich durch beide Häuser. Ein solches Unterfangen kann mitunter zu fragwürdigen Resultaten führen. Doch bei diesem Stadthaus schafft die Verzahnung von Alt und Neu sinnvolle Lebensräume.

Kristalliner Kubus

Interessante Räume mit differenzierten Geometrien entwickeln HuggenBerger aus der jeweiligen von der Form oder dem Kontext bestimmten Situation. Gleichzeitig beschäftigen sich die Architekten (ähnlich wie andere Vertreter der jüngern Generation) mit fliessenden Räumen, nicht orthogonalen Zimmern und vielschichtigen Volumen - eine Entwicklung, in der man die vielbeschworene Abwendung von der Kiste erkennen kann. Dass das jedoch keineswegs willkürlich ist, zeigt das Schulhaus Mitte, welches sie 2005 in Uetikon am See realisierten. Hier setzten sie einen kristallinen Kubus ins Zentrum der bestehenden Schulanlage und gaben so dem Quartier eine sinnfällige Mitte. Die vorgehängten Fassadenelemente aus Zement und Marmor verleihen dem Schulhaus einen eleganten Charakter, der mit der nach aussen durch die grossen Fenster sichtbaren, gerasterten Tragstruktur der Decken fast schon das Bild eines Industriegebäudes vermittelt. Das Ganze erhält dann dank den ornamentalen Fenstergittern eine geradezu klassizistische Attitüde. Diesen unbeschwerten Umgang mit Bildern und Typologien beherrschen Lukas Huggenberger, Adrian Berger und Erika Fries souverän, was bei einem relativ jungen Team erstaunt. Es gelingt ihnen, bleibende Werte zu schaffen, die das derzeitige Architekturschaffen in der Schweiz nachhaltig beleben.

[ HuggenBerger Architekten stellen ihre Arbeiten am 14. März um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.03.02

01. September 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Subtile Eingriffe

Bauten und Projekte von BDE Architekten aus Winterthur

Bauten und Projekte von BDE Architekten aus Winterthur

Bei Schulhaus-Wettbewerben kann der Architektennachwuchs seine Fähigkeiten wie selten sonst beweisen. Junge Architekturbüros erzielen deshalb ihre ersten Erfolge oftmals im Schulhausbau. Obwohl die Ausschreibungen zumeist die vorschriftsmässige Zuordnung rechtwinkliger Schulräume entlang von erschliessenden Korridoren fordern, werden immer wieder kreative Lösungen gefunden. Es erstaunt daher nicht, dass sich im Schulbau die Tendenzen der neuen Schweizer Architektur besonders gut ablesen lassen.

Kontextbezogenes Entwerfen

Mit einem Schulhausprojekt wurden auch die Winterthurer Architekten Philipp Brunnschweiler, Matthias Denzler und Oliver Erb bekannt. Bei der Erweiterung der Primarschule in Elsau handelte es sich um die erste grössere Arbeit, mit der sie ihre Bürogemeinschaft starteten. Die formale Kraft der aussen liegenden, aus rautenförmigen Betonstützen bestehenden Tragstruktur verleiht der mehrfach erweiterten Schule eine eigene architektonische Identität. Das scherengitterartige Tragsystem ermöglicht eine freie Raumaufteilung im Inneren und erweist sich zugleich als kritische Reflexion der vorhergehenden Anbauten. Denn wie viele Schulbauten entstand auch das Primarschulhaus Elsau in Etappen. Der Kernbau von 1930 wurde 1950, 1980 und 2004 erweitert. Bemerkenswert ist dabei, wie unterschiedlich in den jeweiligen Epochen die immer gleiche Bauaufgabe angegangen wurde - und dies bei kaum veränderten Vorschriften.

Brunnschweiler, Denzler und Erb versuchten gar nicht erst, darauf mit einer analogen Sprache zu antworten. Vielmehr nahmen sie die Geschossaufteilung und die Betonrahmenstruktur der letzten Erweiterung auf, indem sie diese mit «bewegten» Stützen gekonnt konterkarierten. So entstand eine prägnante Form, die das Dogma der Rechtwinkligkeit und der Trennung von Stütze und Wand ins Wanken brachte. Man spürt bei BDE Architekten das starke Interesse am kontextbezogenen Entwurf. Dabei geht es ihnen um das ständige Suchen nach einem tragfähigen Thema. Das Konzept wird ständig neu hinterfragt, was den Entwurfsprozess sehr aufwendig macht. Zwar ist ihnen ein starker formaler Ausdruck wichtig, aber die Form darf nicht zum Selbstzweck werden. Dennoch meint Philipp Brunnschweiler lakonisch: «Lieber an der Ausstattung sparen als an der Fassade!»

Unterschiedliche Massstäbe

Dass BDE Architekten ihr Credo vom kontextbezogenen Entwurf auch im grösseren Massstab umsetzen können, zeigt ihre Wettbewerbsarbeit für das Archareal in Winterthur, mit der sie und Amadeus Dorsch, der mittlerweile zum Kernteam zählt, den ersten Preis erzielten. Unweit des Winterthurer Bahnhofs soll im Wildbachquartier ein städtisches Geviert komplett überbaut werden. Immer häufiger werden in mittleren Städten unterschiedliche Nutzungen zu grossen Überbauungen zusammengefasst, was einhergeht mit dem Wandel kleinstädtischer, mit Solitären bebauter Gebiete in grossstädtisch verdichtete Anlagen. BDE Architekten nutzten diese städtebauliche Ausgangslage und entwickelten einen kompakten Baukörper, bei dem sie die Vorteile der Blockrandbebauung herausarbeiteten. Der zum Aussenraum geschlossene Block nimmt mit seiner prismatischen Dachlandschaft Bezug zu den umgebenden Firsthöhen und ordnet sich perfekt in das vorhandene Gefüge ein. Zur Technikumstrasse hin nimmt sich das Gebäude zurück, um dem grossen Volumen Raum zu geben, einen Platz zu schaffen und die städtische Dichte durch öffentlichen Raum aufzulösen.

Um das vielfältige, sich aus Verkaufsgeschäften, Büros und Wohnungen zusammensetzende Raumprogramm unterzubringen, sehen die Architekten statt eines grossen Innenhofes sieben Licht- und Wohnhöfe vor, die mit unterschiedlichen Geometrien dem Volumen die Schwere nehmen und es zugleich vertikal und horizontal strukturieren. Während sich die Verkaufs- und Dienstleistungsflächen in den unteren Geschossen ineinander verschleifen, wird das Gebäude nach oben durch die Gartenhöfe der Wohnungen lichter und offener. Mit seinen begrünten Höfen und der vielfältigen Nutzung hätte das Projekt einen interessanten Beitrag zum innerstädtischen Wohnen leisten können. Nun soll aber - auf Wunsch des Investors - anstelle der ursprünglich geplanten Stadtwohnungen eine Altersresidenz verwirklicht werden. Es dürfte sich bald zeigen, ob dies die richtige Nutzung ist. Denn im nächsten Jahr soll mit dem Bau begonnen werden.

Tektonische Collage

Bereits fertig gestellt ist das Pfarrhaus in Steinhausen bei Zug, mit welchem BDE Architekten souverän zeigten, wie man auf einen uneinheitlichen Ort architektonisch angemessen reagieren kann. Es galt, das neben der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden katholischen St.-Matthias-Kirche gelegene Pfarrhaus umzubauen und zu erweitern. Flankiert wird die Anlage von einem zur Einkaufszone degradierten Dorfplatz mit gesichtslosen Gebäuden aus den siebziger Jahren, die unter anderem Rathaus, Gemeindeamt und Post beherbergen. Vergeblich versuchte 1981 Ernst Gisel, den Raum mit dem brutalistischen Sichtbetonkonglomerat von Kirchgemeindehaus und Bibliothek zu schliessen. Nun konnten Brunnschweiler, Denzler und Erb mit der Erweiterung des bestehenden Pfarrhauses eine selbständige Architektur schaffen, die das heterogene Ensemble ergänzt.

Sie entwickelten eine einheitliche Fassadenstruktur, die den Innenhof mit den Wohnungen und dem Pfarramt zu einem ein- und zweigeschossigen Bau verschmilzt und eine introvertierte innere Raumstruktur vermuten lässt. Grosse, grün eingefärbte Betonplatten, die mit Andeerer Granit versehen sind, weisen auf einen eigenwilligen Umgang mit den Materialien hin. Dank unterschiedlichsten Fenstergrössen werden die Fassaden zu einer tektonischen Collage, die sehr geschickt die plumpe und grob detaillierte Architektursprache der siebziger Jahre aufnimmt, diese dann aber in ihr Gegenteil verkehrt und so zu einem geradezu künstlerischen Objekt mutieren lässt. Dadurch wird an diesem formal aufgeregten Ort das neue Pfarrhaus zu einem architektonischen Ruhepol, der - reduziert und abstrahiert - erst auf den zweiten Blick seine Qualität vermittelt. Es ist zu hoffen, dass Brunnschweiler, Denzler und Erb bald mit weiteren ähnlich subtilen Eingriffen aufwarten können.

[ BDE Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 13. September, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.09.01



verknüpfte Akteure
BDE Architekten

05. Mai 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Bildhafte Form einer substanziellen Baukunst

Die Projekte von Sollberger und Bögli aus Biel wirken immer wieder neu. Dieser Überraschungseffekt wird durch eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen erzielt.

Die Projekte von Sollberger und Bögli aus Biel wirken immer wieder neu. Dieser Überraschungseffekt wird durch eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen erzielt.

Der Umbau des jüdischen Gemeindezentrums (ICZ) in Zürich bedeutet Ivo Sollberger und Lukas Bögli viel. Zwar haben die beiden Bieler Architekten schon einige Arbeiten realisiert, aber ein grosser Auftrag in Zürich wäre ihrer Karriere zweifellos förderlich. Den Studienwettbewerb zu diesem Projekt konnten sie vor kurzem für sich entscheiden. Die Aufgabe bestand darin, die räumliche Situation des Zentrums zu klären und zu ergänzen. Nach ihrem Entwurf soll im Innenhof der Blockrandbebauung ein grosser Mehrzwecksaal entstehen. Dieser wird über ein vorgelagertes, quer gestelltes Foyer mit dem Restaurant und verschiedenen Gruppenräumen verbunden. Ein bepflanzter Hof dient als grüne Lunge der neuen Anlage und lässt erweiterte Nutzungen des Zentrums zu. Bedruckte Glas- und Holzflächen, denen auch eine akustische Funktion zukommen wird, geben dem grossen Saal eine einzigartige, ausdrucksstarke Prägung.
Innovative Lösungen

Für eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen sind Sollberger und Bögli bekannt. «Als Schüler von Herzog & de Meuron wurden wir geradezu dahin gedrängt», meint Ivo Sollberger. Bevor die beiden im Jahr 2000 ihr eigenes Büro in Biel eröffneten, waren sie fünf Jahre lang bei Herzog & de Meuron tätig und arbeiteten unter anderem an den Projekten des St.-Jakob-Stadions in Basel, der HypoVereinsbank in München und des Ricola-Verwaltungspavillons in Laufen mit. Die lange Tätigkeit in dieser Kaderschmiede drückt sich in ihren Entwürfen aus. Diese zeichnen sich durch eine grosse Präzision in der bildhaften Durchdringung der Aufgabenstellung, durch den künstlerischen Drang, das Unmögliche möglich zu machen, und durch eine überzeugende Schärfe in der materialgerechten Detaillierung aus.

Die Entwürfe von Sollberger und Bögli sind immer Spannungsfelder zwischen einer Idee und deren materialgerechter Umsetzung. Dies veranschaulichte schon eines ihrer ersten Projekte: ein Bibliotheksanbau an ein Wohnhaus in Laufen. Anstelle des ehemaligen Aussensitzplatzes sollte ein Lesebereich mit Ausblick in die Landschaft realisiert werden. Entstanden ist ein stumpfwinklig geknickter, introvertierter Raum, an dessen Ende sich ein raumhohes Kastenfenster öffnet. Clou des Anbaus ist die innere Längsseite, die aus einem Glaskasten besteht, der mit dünnem Tannenholz furniert ist. Die schmalen, durchscheinenden Furnierplatten wirken bildhaft und metaphorisch zugleich. Sie erinnern an alte, aufrechtstehende Bücher, bei denen sich die Seiten teilweise geöffnet haben. Gleichzeitig dringt durch die dünnen, papiernen Furniere diffuses Licht nach innen und erzeugt so eine geheimnisvolle Atmosphäre. Ein mutiger Einsatz des Materials - denn es ist kaum vorherzusagen, wie sich dieses auf Dauer verhalten wird. «Da braucht es einen Bauherrn, der die Sache mitträgt», meint Sollberger lakonisch.

Wie wichtig die Rückendeckung des Bauherrn ist, mussten die Architekten bei ihrem kurz vor der Realisierung stehenden Einfamilienhaus in Muri bei Bern feststellen. Der geplante Neubau kommt am Rande eines Parks zwischen zwei denkmalgeschützten klassizistischen Wohnhäusern zu stehen. Das Projekt nimmt die Typologie des freistehenden Einfamilienhauses auf, ohne sich jedoch in Form und Proportion der existierenden Bebauung anzupassen. Vielmehr stellt es Sehgewohnheiten auf den Kopf, denn das quadratische Obergeschoss mit seiner geschlossenen Fassade scheint schwer auf einem amorphen Glaskörper aufzuliegen. Im «organischen» Erdgeschoss sind Wohn- und Arbeitsbereiche sowie die Küche in einem fliessenden Raumkontinuum angeordnet. Das orthogonale Obergeschoss bietet Platz für die Schlafräume.

In Absprache mit der Denkmalpflege wurde das Haus von der Baulinie leicht zurückgenommen. Mit Annexbauten für Bibliothek, Pergola und Garagen konnte das gesamte Bauvolumen geringer gehalten werden als jenes der bestehenden Gebäude. Zugleich schirmen sie den Neubau vom umliegenden Park ab. Obwohl sich der Neubau gut in bestehende Bausubstanz einfügen wird, dürfte er mit seiner gekurvten Glashaut und den Fensterschlitzen im Obergeschoss kompromisslos zeitgenössisch wirken. Deswegen wohl hagelte es Einsprachen von den Nachbarn. Die meisten Verfahren sind nun aber geklärt, so dass man hoffen darf, dass dieser ungewöhnliche Bau realisiert werden kann.

Verfremdung durch Materialien

Ganz anders verhielt es sich bei einem spektakulären Dachaufbau von Sollberger und Bögli. Die Stadt Biel war von diesem derart begeistert, dass sie gerne noch weitere realisiert gesehen hätte. Der silberne Bau befindet sich auf dem Dach eines ehemaligen Fabrikationsgebäudes, in dem heute Gewerbe- und Dienstleistungsfirmen arbeiten. Um für eine Werbeagentur mehr Nutzfläche zu schaffen, entwickelten Sollberger und Bögli einen containerartigen Aluminiumkörper, der wie ein ephemeres Objekt das Dach bekrönt. Steigt man aus dem unteren Büroraum die Wendeltreppe hinauf, so eröffnet sich einem eine beinahe irreale Welt, welche die kreative Gedankenwelt der Agentur symbolisieren soll. Während die weissen Räume einen weiten Blick auf Stadt und Jura bieten, erzeugt das von den Architekten eigens für Präsentationen angefertigte Mobiliar eine ambitionierte Atmosphäre.

Die architektonischen Hauptanliegen von Sollberger und Bögli sind das bildhafte Arbeiten und der Versuch, Stimmungen durch umgedeutete Materialien auszudrücken. Ob Aluminiumplatten mit aufgedrucktem Reifenmuster für die Autolaborhalle einer Ingenieurschule, ein mit Alabaster gefülltes Stahlnetz für das Alpinarium in Galtür oder die mit gewellten Streckelementen aus Cortenstahl versehene Fabrikhalle in Bern, immer sind es verfremdet eingesetzte Materialien, die auf eine intensive Wahrnehmung der Architektur zielen. Hier wird deutlich, dass in der Architektur am Ende alles auf eine Substanz gewordene Aussage hinausläuft.

[ Sollberger Bögli Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 10. Mai, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.05.05

03. März 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Gezielte Transformationen

Die Autonomie der Architektur ist dem jungen Badener Büro Ken Architekten wichtig. Das zeigt ihr vielbeachteter Kindergarten in Dietikon ebenso wie ihr neustes Einfamilienhaus in Möriken.

Die Autonomie der Architektur ist dem jungen Badener Büro Ken Architekten wichtig. Das zeigt ihr vielbeachteter Kindergarten in Dietikon ebenso wie ihr neustes Einfamilienhaus in Möriken.

Ken Architekten sind Claudia Hofer, Jürg Kaiser, Lorenz Peter und Martin Schwager. Ken ist kein Kürzel, sondern ein Begriff aus der japanischen Architektur. Er bezeichnet das absolute Mass sowie dessen Regulativ, welches das Kleine zum Grossen ins Verhältnis setzt. Mit dieser Maxime arbeitet das Architekturbüro, das vor zehn Jahren gegründet wurde und seitdem die Bauszene von Baden aus nachhaltig belebt. «Vielleicht ist es ein bisschen leichter, aus der Provinz zu operieren», meint Martin Schwager, «zumindest ist der Diskurs hier direkter.» Provinziell sind die Entwürfe von Ken Architekten nicht. Sie sind urban gedacht, setzen sich mit der gestellten Aufgabe auseinander und bewahren die Autonomie der Architektur, ohne sich allzu sehr in Analogien oder Vorgaben des Ortes zu verstricken. Das zeigte schon ihr erster realisierter genossenschaftlicher Wohnbau, der sich mit grossen Glasflächen zum Limmatufer in Ennetbaden öffnet und auf der Rückseite mit einer schroffen Betonwand nichts als Architektur ist. Aus diesem inneren Dialog entwickeln Ken Architekten ihre Projekte. Immer entwerfen sie kollektiv, denn «Projekte werden im gemeinsamen Prozess widerstandsfähiger». Der Teamgedanke wird bei ihnen gross geschrieben, denn «zusammen sind wir besser als allein». Nur so können sie «dem Drang, Ideen zu produzieren», gerecht werden.

Klare Interventionen

Diese Ideen zeigen sich beim Umbau und bei der Aufstockung von zwei Mehrfamilienhäusern in Wettingen eindrücklich. Hier galt es, Bauten aus den siebziger Jahren aufzuwerten. Dabei wurde einem Wohnblock durch klare, einfache Eingriffe ein derart zeitgemässer Ausdruck verliehen, dass man ihn fast für einen Neubau halten könnte. Dank einer Erhöhung der Ausnutzung konnte ein zusätzliches Attikageschoss realisiert werden. Die asymmetrische Aufstockung bricht die Axialität der Gebäude und stärkt deren Plastizität. Die neuen Farben Weiss und Anthrazit unterstützen die Lesbarkeit des Konzepts der ineinander greifenden Volumen. Die Überbauung verleiht nun dem Strassengeviert eine neue Identität.

Während sich die ältere Architektengeneration - als Reaktion auf die Spätfolgen der Moderne - mitunter allzu sehr an die Paradigmen von Typologie und Analogie des Ortes klammert, haben Ken Architekten sich von diesen Zwängen befreit und kommen so zu naheliegenden, freieren Lösungen. Für die Vielzahl von Sanierungen, die in Wohnsiedlungen aus den siebziger und achtziger Jahren noch anstehen, kann der Ansatz von Ken Architekten einen kostengünstigen und architektonisch adäquaten Weg weisen.

Ganz anders, aber nicht weniger pragmatisch gingen Ken Architekten bei ihrem Kindergarten- Projekt in Dietikon vor, über das in jüngster Zeit häufiger geschrieben wurde. Die beiden an eine militärische Festungsmauer gebauten Kindergärten zeigen einen differenzierten Umgang mit einem kontroversen Erbe. Die Mauer in Dietikon gehört zu den vielen Befestigungsanlagen, die im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz gebaut wurden. Der Debatte um Erhalt oder Abbruch der Mauer setzten Ken Architekten dadurch ein Ende, dass sie diese zum Fixpunkt der beiden Kindergartenhäuser machten. Die trennende und abweisende Geste der auf einer Seite geböschten Mauer wurde wie selbstverständlich in die Kindergärten, deren Dächer einfach auf der Mauer aufliegen, integriert. Durch die Transparenz der verglasten Seitenwände und der Hofbildung von alter Mauer und Freifläche bildet das Ensemble ein geborgenes Geviert, das diesem einst wehrhaften Ort etwas Spielerisches verleiht.

Offenes und geschlossenes Volumen

Eine ähnlich gezielte Transformation ist auch der jüngste, gerade fertig gestellte Bau von Ken Architekten. Aus der einfachen Aufgabe eines Einfamilienhauses liessen die Architekten einen architektonischen Markstein entstehen, der eine einfache, fast selbstverständliche Variante der Villa suburbana darstellt. Am Rande von Möriken errichteten sie einen Betonbau, der sich einerseits über die umgebende Landschaft definiert, sich aber von dieser beinahe hermetisch abschirmt. Die fast vollständig geschlossene Betonschale ist nur an zwei gegenüberliegenden Ecken geöffnet und legt einen diagonalen Lichteinschnitt durch das Haus. Die mit Acryllasur und metallenen Pigmenten versehene Oberfläche verstärkt noch den skulpturalen Charakter des erratischen Blocks. Alle Räume der beiden Geschosse sind so gelegt, dass sie durch die Ecköffnung belichtet werden, nur das geschlossene Bad erhält sein Licht mittels Oberlichtbändern.

Durch diesen Effekt entsteht eine scharfkantige, prismatische Form, die an eine aufgeschnittene Schachtel erinnert. Andererseits ergeben sich durch den harten Gegensatz von offenem und geschlossenem Volumen eindringliche Raumformationen im Inneren. Der Landschaftsarchitekt Klaus Müller ergänzte den architektonischen Gedanken des Hauses mit einem schwarz eingefärbten und sandgestrahlten Betonraster, der das kubische Haus in die umgebende Natur sinnfällig einbettet und zugleich die Unendlichkeit des Dialoges suggeriert.

Bei den vielfältigen Projekten, die Ken Architekten bearbeitet haben, überzeugt die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie durchdachte Lösungen hervorbringen und präzise Erscheinungsformen generieren. So entwickelten sie für die beiden Fotoausstellungen «Miroslav Tichy» und «The Art of the Archive», die 2005 im Kunsthaus Zürich in einem Raum gezeigt wurden, einen kabinettartig fliessenden Raumkörper von starker Präsenz. Man darf also auf die weiteren Projekte von Ken Architekten gespannt sein.

[ Ken Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 8. März, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.03.03

04. November 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Expressive Eingriffe

Neue Arbeiten von Christ & Gantenbein aus Basel

Neue Arbeiten von Christ & Gantenbein aus Basel

Mit dem ersten Preis für die Erweiterung des Zürcher Landesmuseums 2002 wurden Emanuel Christ und Christoph Gantenbein aus Basel in der Architektenszene bekannt. Ihre Umklammerung der 1898 von Gustav Gull entworfenen Schlossarchitektur sorgte für Applaus, aber auch für heftige Kritik (NZZ 6. 9. 02). Ihr von spitz- und stumpfwinkligen Anbauten sowie schrägen Dachlandschaften geprägtes Projekt setzte sich erst gar nicht lange mit der vorhandenen Bausubstanz auseinander, sondern stellte eine zeitgemässe, expressive Formensprache bewusst gegen die axialsymmetrische und rechtwinklige Geometrie des Landesmuseums. Christ & Gantenbein nahmen die Ausschreibung beim Wort und versuchten das Museum in eine zeitgemässe Ausstellungswelt umzuinterpretieren.

Eine ähnliche architektonische Haltung zeigten Christ & Gantenbein bei dem Anbau eines Wohnhauses in Arlesheim bei Basel, der 2002 - also zeitgleich mit dem Projekt des Landesmuseums - entstanden ist. Auch bei dieser Aufgabe fanden die Architekten eine eigene, die Ästhetik des Bestehenden konterkarierende Sprache. Zunächst wirkt der Anbau wie ein Provisorium, und erst bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der eternitartige Ausdruck von einer durchgehenden Betonfassade erzeugt wird, deren Schalungselemente aus Welleternit bestanden. Die beinahe textile Aussenhaut besteht also aus einer tragenden Betonhülle und evoziert gleichsam ein Stein gewordenes Gartenhaus. Das Bauen mit Bildern ist ein Credo der Architekten, die - wie es Christ formuliert - «aus Vorbildern eine neue Welt montieren». Auch räumlich ist der Anbau zu einem Vexierbild geworden, das zusammen mit dem Altbau die Innenräume neu definiert. Aus dem rechtwinkligen Altbau mit seinen engen Begrenzungen tritt man nun in einen raumgreifenden Wohnbereich, der zweimal abknickt, mit seinen spitzen und stumpfen Winkeln einen ganz anderen Raumeindruck vermittelt und so den neuen Bau auch innen wirksam werden lässt.

Bauen mit Bildern

Bei den Arbeiten von Christ & Gantenbein ist die Tendenz zu spüren, sich von modernistisch geprägten Entwurfsstrategien zu befreien und von rationalistischen Strukturen zu freieren Formen zu gelangen. Das Dogma der Rechtwinkligkeit weicht einem stärkern Bezug von Innen- und Aussenraum, und zugleich hat das Kontextuelle gegenüber dem Objekthaften Vorrang. Die «Schweizer Kiste» scheint endgültig ausgespielt zu haben; die sich durchdringenden, eingefärbten Betonkuben mit eingezogenen Loggien, die das scharfkantige Fassadenbild nicht stören, weichen anderen Bildern und Geometrien. Statt traditionell aufgereihte Räume sieht man vermehrt ausgeklügelte Raumfolgen, die sich eher an den gewandelten Bedürfnissen der Bewohner orientieren als an starken Aussenformen. Das lässt sich auch an dem jüngsten Wettbewerbserfolg des Basler Teams für die Neubebauung Volta Mitte ablesen. Unweit des neuen Novartis-Campus in Basel entsteht eine ergänzende Blockrandbebauung, nachdem die Nordtangente in der Verlängerung der Dreirosenbrücke unter die Erde verlegt werden konnte. Auch bei diesem Projekt verstanden es Christ & Gantenbein, die Jury mit einer geschickten Differenzierung zwischen einer ruhigen und geschlossenen Strassenfassade und einer aufgefalteten Hoffassade, die eine geradezu expressive Vielfalt von Wohnungsgrundrissen generiert, zu überzeugen. Durch die mehrfach geknickten Fassaden entstehen unterschiedliche Raumtiefen, die wiederum ganz verschiedene Wohnungstypen hervorbringen, ein Vorteil auch für den beteiligten Investor, der so besser dem vielfältigen Wohnungsmarkt entgegenkommen kann. Im Hof können so individuelle Gartenräume gestaltet und abgegrenzt werden, wodurch Nutzungsvielfalt generiert wird, ohne dass sich die Nachbarn gegenseitig stören. Auch der Lichteinfall ist durch die Abschrägungen der Fassade grösser, für den nach Norden liegenden Hof ein nicht zu unterschätzender Gewinn. Die Wohnungen haben immer einen zentralen Wohnessraum mit Balkon, der von den Schlaf- und Nassräumen flankiert wird. Dieses klare Prinzip erhält seine ungeheure Vielfalt erst durch die differenzierten Geometrien, deren Knickungen und Winkel 18 verschiedene Wohntypen generieren.

Konsequent und selbstbewusst

Zurzeit arbeiten Christ & Gantenbein an dem Konzept für die Kannenfeldwerkstätten in Basel. Trotz vielen Wettbewerbserfolgen stehen grössere Realisierungen bisher noch aus. Bei ihrem Erweiterungsprojekt für das Zürcher Landesmuseum führte die typologische Unbefangenheit, mit der sich Christ & Gantenbein dem Altbau näherten, beim Zürcher Heimatschutz und bei der Gesellschaft für Schweizerische Gartenkultur erwartungsgemäss zu heftigen Rekursen (NZZ 9. 2. 05). Die entwerferische Haltung von Christ & Gantenbein ist konsequent und selbstbewusst und versteckt sich hier nicht hinter dem Gullschen Historismus. Die Kontroverse wäre vielleicht nicht entstanden, wenn sich der Raumbedarf des Landesmuseums in verständlichen Grenzen gehalten hätte und damit auch das Ausmass des Anbaus. Nun müssen die Architekten für den Expansionsdrang der Museumsverantwortlichen den Kopf hinhalten. Diesen ist es bis heute nicht gelungen, überzeugende Argumente dafür zu liefern, warum das nicht eben kleine Volumen des Landesmuseums um das Doppelte erweitert werden muss. Es fragt sich, ob ein Grossteil der Bestände aus den Depots geholt und ein gewaltiges Ausstellungsprogramm gefahren werden muss, das andere Häuser in Zürich programmatisch und finanziell konkurrenzieren würde. Aber das ist eine andere Geschichte . . .

[ Christ & Gantenbein stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 9. November, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.11.04

02. September 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Behutsame Eingriffe

Das durchdachte Weiterbauen an städtebaulichen Situationen kennzeichnet die Arbeit von Marc Loeliger und Barbara Strub. In ihren Projekten versuchen die beiden Architekten, Stimmungen und Bilder aufzuspüren und baukünstlerisch umzusetzen.

Das durchdachte Weiterbauen an städtebaulichen Situationen kennzeichnet die Arbeit von Marc Loeliger und Barbara Strub. In ihren Projekten versuchen die beiden Architekten, Stimmungen und Bilder aufzuspüren und baukünstlerisch umzusetzen.

Angefangen hatte es mit dem Werkhof des Elektrizitätswerks in Altdorf: Barbara Strub, Regula Harder und Jürg Spreyermann hatten 1994 den Wettbewerb für dieses 16-Millionen- Franken-Projekt gewonnen. Es ging dabei um die Integration eines Werkhofes mit Bürogebäude in eine vornehmlich aus alten Patrizierhäusern bestehende Umgebung. Die Architekten übernahmen mit der strassenseitigen Anbindung der Bauten das alte Bebauungsmuster. Bei der einheitlichen Materialisierung der drei neuen Gebäude mit Flachdächern, Industrieglas (Profilit) und transparenter Skelettkonstruktion setzten sie jedoch auf ein konsequent modernes Erscheinungsbild. So entstand in Altdorf aus der neuen Interpretation eines städtebaulichen Musters ein markantes Ensemble, das den Ort sinnfällig definiert und zugleich vom Mut der Bauherrschaft zeugt, einem jungen, noch unerfahrenen Team die Realisierung der Neubauten zu überlassen. Im Jahr 1999 gründete Barbara Strub, die bei Hans Kollhoff diplomiert und einige Jahre bei Bétrix Consolascio Architekten gearbeitet hatte, zusammen mit Marc Loeliger das Büro Loeliger Strub Architektur. Ihr Partner hatte zuvor im Büro Meili Peter an der Holzfachschule in Biel mitgearbeitet und war vor der Bürogründung zudem Projektleiter der Therme in Vals von Peter Zumthor.

Weiterbauen am Bestand

Um die Themen des Weiterbauens einer bereits existierenden Struktur ging es - unter anderen Vorzeichen als in Altdorf - auch beim Haus zur Stiege in Bürglen in der Innerschweiz. Dort galt es, das Stallgebäude eines am Rande des historischen Dorfkerns gelegenen Bauernhauses aus dem 17. Jahrhundert durch einen Neubau zu ersetzen. Loeliger und Strub waren von der klaren Setzung des Stalls zum talseitig orientierten Hauptbau sowie von dessen räumlichen Qualitäten derart angetan, dass sie ihn gleichsam im Geiste weiter bauten. Deshalb liessen sie den Bruchsteinsockel des alten Stalls stehen und setzten das neue Gebäude, welches nun fast das gleiche Volumen wie der Vorgängerbau einnimmt, wie ein Möbel auf die alte Mauer, so dass die Verbindung von altem Fundament und neuem Holzbau offensichtlich blieb und dessen alte Form weiter bestehen blieb und zugleich überhöht wurde. Dieses Prinzip führten sie in der Materialisierung fort: Anstelle des alten Strickbaus entstand ein Holzständerbau mit einer Verkleidung aus rohen Fichtenbrettern, die mit der konstruktiven Schicht zu einer Einheit verflochten ist.

Konventionen auf ihren Gehalt hin zu befragen und zeitgemäss weiterzudenken, ohne sie zu verneinen, ist einer der architektonischen Ansätze von Loeliger und Strub; ein anderer ist die Beschäftigung mit gegensätzlichen Raumtypen. So bauten sie ein Einfamilienhaus in Zollikon, dessen Kern zwei schmale, gegenläufige Treppen enthält. Durch diese kleine Veränderung wird die horizontale Raumaufteilung gesprengt, und die Zimmer werden ohne Korridore direkt erschlossen. Dieses System erlaubt es, die Stockwerke auch ganz unterschiedlich aufzuteilen, wenn sich die Lebenssituation der Bewohner ändert. Die Geschosse können getrennt voneinander bewohnt werden. Sie lassen sich - je nach Stellung der Türflügel - in fliessende Bereiche verwandeln oder als traditionelle Kammern nutzen.

Für die im letzten Jahr in Zürich durchgeführte Studie einer städtebaulichen Erneuerung des Areals beim Bürkliplatz schlugen Loeliger und Strub ein einfaches, verblüffend logisches Projekt vor: Gleichsam als Résumé der vielen Eingriffe und Planungen an diesem Uferbereich, die von der Seeaufschüttung bis zu ehrgeizigen Neubauprojekten reichen, schlugen sie eine Aussichtsplattform vor, die wie ein grosser Ponton weit in den See hinausreichen sollte. Dabei wurde das Geviert zwischen Börsen-, Bahnhof- und Fraumünsterstrasse städtebaulich von ihnen «weitergedacht», ohne die bestehende Quai- und Brückenanlage zu tangieren. Da Holz als Baumaterial vorgeschrieben war, schlugen sie die Konstruktion vormontierter, zu grossen Kastenelementen verbundener Fachwerkträger vor, die wiederum mit Holz verschalt und auf Pfähle im See gesetzt werden sollten. Diese einfache und preiswerte Lösung sollte einerseits an Bootsanleger, anderseits an die hier einst gefundenen Pfahlbauten erinnern. Unterhalb der Plattform sahen sie ein Restaurant mit Panoramablick auf See und Berge vor: ein minimalistisches Projekt, aus dem bestimmt ein spannendes Bauwerk geworden wäre.

Eindeutige Formulierungen

Zurzeit arbeiten Loeliger und Strub an mehreren öffentlichen Projekten. Beim Wettbewerb zur Erweiterung des Schweizerischen Landesmuseums kamen sie in die zweite Runde, bei der bevorstehenden Sanierung der Hochhäuser Hardau in Zürich können sie ein neues Farbkonzept der Markisen umsetzen, und 2006 beginnen sie mit dem Umbau des städtischen Altersheims Kalchbühl. Eine interessante Wohnanlage planten sie ausserdem für die Stähelimatte in Zürich Seebach. Doch das Wettbewerbsprojekt erreichte 2003 nur den zweiten Preis. Für den langgezogenen, viergeschossigen Baukörper, der den Abschluss einer Randsiedlung mit Blick ins Grüne hätte bilden sollen, entwickelten sie eine prägnant modulierte Form. Tiefe Einschnitte und grosse Fenster hätten allen Wohnungen den Bezug zur umgebenden Landschaft ermöglicht. Zugleich hätte sich durch die Repetition der Raumtypen eine sehr wirtschaftliche Bauweise des Gebäudes gegeben.

Es sind behutsame Eingriffe in den Stadtkörper, mit denen Barbara Strub und Marc Loeliger Bilder und Stimmungen architektonisch zu formulieren und reduziert umzusetzen suchen. In ihrem Schaffen ist dabei eine Tendenz zu spüren, sich von gängigen Entwurfsstrategien zu lösen und zu handwerklicher Authentizität und freieren Geometrien zu gelangen. Das Kontextuelle und das Objekthafte halten sich jedoch in ihren Bauten und Projekten immer in einer angemessenen Balance.

[ Marc Loeliger und Barbara Strub stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 14. September, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.09.02

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Presseschau 12

20. März 2009J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Vielschichtige Lösungen

Mit dem Pentorama in Amriswil und dem Gemeindezentrum in Affoltern am Albis sind Müller Sigrist Architekten bekannt geworden. Nun arbeiten sie an der Wohnsiedlung Kalkbreite in Zürich.

Mit dem Pentorama in Amriswil und dem Gemeindezentrum in Affoltern am Albis sind Müller Sigrist Architekten bekannt geworden. Nun arbeiten sie an der Wohnsiedlung Kalkbreite in Zürich.

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Müller Sigrist

27. Juni 2008J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Verborgene Qualitäten

Das in Zürich tätige Büro Plan B Architekten hat sich mit der Erweiterung des Schulhauses Dorf in Rehetobel einen Namen gemacht. Derzeit arbeitet es an weiteren Schulen in Biel und in Teufen.

Das in Zürich tätige Büro Plan B Architekten hat sich mit der Erweiterung des Schulhauses Dorf in Rehetobel einen Namen gemacht. Derzeit arbeitet es an weiteren Schulen in Biel und in Teufen.

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02. März 2007J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Von Typologien und Bildern

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue...

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue...

Bekannt wurden HuggenBerger Architekten mit der Sanierung der Tramhaltestelle Paradeplatz in Zürich. Der Wettbewerb sollte zunächst eine Lösung für neue Tramwartehallen auf dem Bürkli-, dem Parade- und dem Bahnhofsplatz aufzeigen - ein Gesamtkonzept also, wie es Planer so gerne verwirklicht sehen. Als Einzige der Teilnehmer schlugen HuggenBerger vor, am Paradeplatz den 1928 von Stadtbaumeister Hermann Herter realisierten Bau nicht abzureissen, sondern zu sanieren. Die Stadt nahm die Idee auf, rückte von ihrem Abbruchvorhaben ab, und so entstanden unterschiedliche Lösungen auf den verschiedenen Plätzen.

Bauen im Kontext

Hinter dem Büronamen HuggenBerger Architekten stehen Adrian Berger, Lukas Huggenberger und Erika Fries, die seit dem Jahr 2000 ein eigenes Büro mit inzwischen zehn Mitarbeitern führen und mit konzeptuell durchdachten Projekten auf sich aufmerksam machen. Das Bauen im Kontext ist ihr vielleicht wichtigstes Anliegen, das sie immer wieder neu definieren und das nicht von einer übergeordneten Regelhaftigkeit determiniert wird. Das brachte ihnen bei der Tramwartehalle Kritik ein, weil sie den Altbau weiterbauten, gleichsam schärften und die historische «Modernität» in baulichen Bildern ergänzten. So sind die dynamischen Fensterrundungen im Geist der zwanziger Jahre weitergedacht. Die architektonischen Elemente bekamen ein präzis detailliertes, aber immer auf den Altbau bezogenes Eigenleben. Das Dogma, dass man einen Altbau nur klar erkennbar durch Anbauten ergänzen darf, lassen die Architekten, die alle erst Mitte dreissig sind, nicht gelten - auch wenn ihnen vorgeworfen wurde, «dass man nicht mehr weiss, was alt und was neu ist».

Das kann einem beim jüngsten Projekt von HuggenBerger, einem vielbeachteten Wohnhaus an der Zurlindenstrasse in Zürich, kaum passieren (NZZ 30. 9. 06). Aber auch hier haben die Architekten es verstanden, einen Altbau mit einem Neubau auf bemerkenswerte Weise ineinander zu verschleifen. Das Haus liegt nahe beim Idaplatz in einem Quartier, das von einer bürgerlichen Blockrandbebauung geprägt ist. Blöcke, die - typisch für Zürich - nicht geschlossen, sondern zumeist an einer Seite durchbrochen sind, um innen liegende Bauten zu erschliessen. Auf diese Weise ergeben sich Innenhöfe und Durchgänge, deren Typologie vom neuen Haus wie selbstverständlich aufgenommen wird. Das Kopfgebäude schliesst eine Baulücke an der Zurlindenstrasse und erzeugt mit starker formaler Geste eine das Quartier prägende Architektur. Das wird erreicht mit dynamischen Balkonschlitzen und einer gestaffelten Kubatur, die bildhaft an die Architektur der klassischen Moderne erinnern. Mit den versetzten Fenstern aber, mit deren breiten Laibungen und mit der eleganten Textur aus schwarz glasierten Keramikkacheln ist das Haus eindeutig in der Gegenwart verankert.

Auch wenn das Haus aus dem herkömmlichen Raster fällt, gliedert es sich in Grösse und Bauvolumen städtebaulich nahtlos ein. Mit ornamentalen Fenster- und Balkongeländern, der vertikalen Wandstruktur und der Gesamtvolumetrie wird der Bezug zur gründerzeitlichen Umgebung hergestellt, so dass eine subtile Zeitcollage den eigenwilligen Ausdruck des Hauses bestimmt. Von aussen nicht ablesbar ist die Verbindung zum hofseitig anschliessenden Gebäude: Die Wohnungen der unteren vier Geschosse ziehen sich durch beide Häuser. Ein solches Unterfangen kann mitunter zu fragwürdigen Resultaten führen. Doch bei diesem Stadthaus schafft die Verzahnung von Alt und Neu sinnvolle Lebensräume.

Kristalliner Kubus

Interessante Räume mit differenzierten Geometrien entwickeln HuggenBerger aus der jeweiligen von der Form oder dem Kontext bestimmten Situation. Gleichzeitig beschäftigen sich die Architekten (ähnlich wie andere Vertreter der jüngern Generation) mit fliessenden Räumen, nicht orthogonalen Zimmern und vielschichtigen Volumen - eine Entwicklung, in der man die vielbeschworene Abwendung von der Kiste erkennen kann. Dass das jedoch keineswegs willkürlich ist, zeigt das Schulhaus Mitte, welches sie 2005 in Uetikon am See realisierten. Hier setzten sie einen kristallinen Kubus ins Zentrum der bestehenden Schulanlage und gaben so dem Quartier eine sinnfällige Mitte. Die vorgehängten Fassadenelemente aus Zement und Marmor verleihen dem Schulhaus einen eleganten Charakter, der mit der nach aussen durch die grossen Fenster sichtbaren, gerasterten Tragstruktur der Decken fast schon das Bild eines Industriegebäudes vermittelt. Das Ganze erhält dann dank den ornamentalen Fenstergittern eine geradezu klassizistische Attitüde. Diesen unbeschwerten Umgang mit Bildern und Typologien beherrschen Lukas Huggenberger, Adrian Berger und Erika Fries souverän, was bei einem relativ jungen Team erstaunt. Es gelingt ihnen, bleibende Werte zu schaffen, die das derzeitige Architekturschaffen in der Schweiz nachhaltig beleben.

[ HuggenBerger Architekten stellen ihre Arbeiten am 14. März um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2007.03.02

01. September 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Subtile Eingriffe

Bauten und Projekte von BDE Architekten aus Winterthur

Bauten und Projekte von BDE Architekten aus Winterthur

Bei Schulhaus-Wettbewerben kann der Architektennachwuchs seine Fähigkeiten wie selten sonst beweisen. Junge Architekturbüros erzielen deshalb ihre ersten Erfolge oftmals im Schulhausbau. Obwohl die Ausschreibungen zumeist die vorschriftsmässige Zuordnung rechtwinkliger Schulräume entlang von erschliessenden Korridoren fordern, werden immer wieder kreative Lösungen gefunden. Es erstaunt daher nicht, dass sich im Schulbau die Tendenzen der neuen Schweizer Architektur besonders gut ablesen lassen.

Kontextbezogenes Entwerfen

Mit einem Schulhausprojekt wurden auch die Winterthurer Architekten Philipp Brunnschweiler, Matthias Denzler und Oliver Erb bekannt. Bei der Erweiterung der Primarschule in Elsau handelte es sich um die erste grössere Arbeit, mit der sie ihre Bürogemeinschaft starteten. Die formale Kraft der aussen liegenden, aus rautenförmigen Betonstützen bestehenden Tragstruktur verleiht der mehrfach erweiterten Schule eine eigene architektonische Identität. Das scherengitterartige Tragsystem ermöglicht eine freie Raumaufteilung im Inneren und erweist sich zugleich als kritische Reflexion der vorhergehenden Anbauten. Denn wie viele Schulbauten entstand auch das Primarschulhaus Elsau in Etappen. Der Kernbau von 1930 wurde 1950, 1980 und 2004 erweitert. Bemerkenswert ist dabei, wie unterschiedlich in den jeweiligen Epochen die immer gleiche Bauaufgabe angegangen wurde - und dies bei kaum veränderten Vorschriften.

Brunnschweiler, Denzler und Erb versuchten gar nicht erst, darauf mit einer analogen Sprache zu antworten. Vielmehr nahmen sie die Geschossaufteilung und die Betonrahmenstruktur der letzten Erweiterung auf, indem sie diese mit «bewegten» Stützen gekonnt konterkarierten. So entstand eine prägnante Form, die das Dogma der Rechtwinkligkeit und der Trennung von Stütze und Wand ins Wanken brachte. Man spürt bei BDE Architekten das starke Interesse am kontextbezogenen Entwurf. Dabei geht es ihnen um das ständige Suchen nach einem tragfähigen Thema. Das Konzept wird ständig neu hinterfragt, was den Entwurfsprozess sehr aufwendig macht. Zwar ist ihnen ein starker formaler Ausdruck wichtig, aber die Form darf nicht zum Selbstzweck werden. Dennoch meint Philipp Brunnschweiler lakonisch: «Lieber an der Ausstattung sparen als an der Fassade!»

Unterschiedliche Massstäbe

Dass BDE Architekten ihr Credo vom kontextbezogenen Entwurf auch im grösseren Massstab umsetzen können, zeigt ihre Wettbewerbsarbeit für das Archareal in Winterthur, mit der sie und Amadeus Dorsch, der mittlerweile zum Kernteam zählt, den ersten Preis erzielten. Unweit des Winterthurer Bahnhofs soll im Wildbachquartier ein städtisches Geviert komplett überbaut werden. Immer häufiger werden in mittleren Städten unterschiedliche Nutzungen zu grossen Überbauungen zusammengefasst, was einhergeht mit dem Wandel kleinstädtischer, mit Solitären bebauter Gebiete in grossstädtisch verdichtete Anlagen. BDE Architekten nutzten diese städtebauliche Ausgangslage und entwickelten einen kompakten Baukörper, bei dem sie die Vorteile der Blockrandbebauung herausarbeiteten. Der zum Aussenraum geschlossene Block nimmt mit seiner prismatischen Dachlandschaft Bezug zu den umgebenden Firsthöhen und ordnet sich perfekt in das vorhandene Gefüge ein. Zur Technikumstrasse hin nimmt sich das Gebäude zurück, um dem grossen Volumen Raum zu geben, einen Platz zu schaffen und die städtische Dichte durch öffentlichen Raum aufzulösen.

Um das vielfältige, sich aus Verkaufsgeschäften, Büros und Wohnungen zusammensetzende Raumprogramm unterzubringen, sehen die Architekten statt eines grossen Innenhofes sieben Licht- und Wohnhöfe vor, die mit unterschiedlichen Geometrien dem Volumen die Schwere nehmen und es zugleich vertikal und horizontal strukturieren. Während sich die Verkaufs- und Dienstleistungsflächen in den unteren Geschossen ineinander verschleifen, wird das Gebäude nach oben durch die Gartenhöfe der Wohnungen lichter und offener. Mit seinen begrünten Höfen und der vielfältigen Nutzung hätte das Projekt einen interessanten Beitrag zum innerstädtischen Wohnen leisten können. Nun soll aber - auf Wunsch des Investors - anstelle der ursprünglich geplanten Stadtwohnungen eine Altersresidenz verwirklicht werden. Es dürfte sich bald zeigen, ob dies die richtige Nutzung ist. Denn im nächsten Jahr soll mit dem Bau begonnen werden.

Tektonische Collage

Bereits fertig gestellt ist das Pfarrhaus in Steinhausen bei Zug, mit welchem BDE Architekten souverän zeigten, wie man auf einen uneinheitlichen Ort architektonisch angemessen reagieren kann. Es galt, das neben der auf das 12. Jahrhundert zurückgehenden katholischen St.-Matthias-Kirche gelegene Pfarrhaus umzubauen und zu erweitern. Flankiert wird die Anlage von einem zur Einkaufszone degradierten Dorfplatz mit gesichtslosen Gebäuden aus den siebziger Jahren, die unter anderem Rathaus, Gemeindeamt und Post beherbergen. Vergeblich versuchte 1981 Ernst Gisel, den Raum mit dem brutalistischen Sichtbetonkonglomerat von Kirchgemeindehaus und Bibliothek zu schliessen. Nun konnten Brunnschweiler, Denzler und Erb mit der Erweiterung des bestehenden Pfarrhauses eine selbständige Architektur schaffen, die das heterogene Ensemble ergänzt.

Sie entwickelten eine einheitliche Fassadenstruktur, die den Innenhof mit den Wohnungen und dem Pfarramt zu einem ein- und zweigeschossigen Bau verschmilzt und eine introvertierte innere Raumstruktur vermuten lässt. Grosse, grün eingefärbte Betonplatten, die mit Andeerer Granit versehen sind, weisen auf einen eigenwilligen Umgang mit den Materialien hin. Dank unterschiedlichsten Fenstergrössen werden die Fassaden zu einer tektonischen Collage, die sehr geschickt die plumpe und grob detaillierte Architektursprache der siebziger Jahre aufnimmt, diese dann aber in ihr Gegenteil verkehrt und so zu einem geradezu künstlerischen Objekt mutieren lässt. Dadurch wird an diesem formal aufgeregten Ort das neue Pfarrhaus zu einem architektonischen Ruhepol, der - reduziert und abstrahiert - erst auf den zweiten Blick seine Qualität vermittelt. Es ist zu hoffen, dass Brunnschweiler, Denzler und Erb bald mit weiteren ähnlich subtilen Eingriffen aufwarten können.

[ BDE Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 13. September, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.09.01



verknüpfte Akteure
BDE Architekten

05. Mai 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Bildhafte Form einer substanziellen Baukunst

Die Projekte von Sollberger und Bögli aus Biel wirken immer wieder neu. Dieser Überraschungseffekt wird durch eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen erzielt.

Die Projekte von Sollberger und Bögli aus Biel wirken immer wieder neu. Dieser Überraschungseffekt wird durch eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen erzielt.

Der Umbau des jüdischen Gemeindezentrums (ICZ) in Zürich bedeutet Ivo Sollberger und Lukas Bögli viel. Zwar haben die beiden Bieler Architekten schon einige Arbeiten realisiert, aber ein grosser Auftrag in Zürich wäre ihrer Karriere zweifellos förderlich. Den Studienwettbewerb zu diesem Projekt konnten sie vor kurzem für sich entscheiden. Die Aufgabe bestand darin, die räumliche Situation des Zentrums zu klären und zu ergänzen. Nach ihrem Entwurf soll im Innenhof der Blockrandbebauung ein grosser Mehrzwecksaal entstehen. Dieser wird über ein vorgelagertes, quer gestelltes Foyer mit dem Restaurant und verschiedenen Gruppenräumen verbunden. Ein bepflanzter Hof dient als grüne Lunge der neuen Anlage und lässt erweiterte Nutzungen des Zentrums zu. Bedruckte Glas- und Holzflächen, denen auch eine akustische Funktion zukommen wird, geben dem grossen Saal eine einzigartige, ausdrucksstarke Prägung.
Innovative Lösungen

Für eigenwilligen Materialeinsatz und ungewöhnliche Fassadenlösungen sind Sollberger und Bögli bekannt. «Als Schüler von Herzog & de Meuron wurden wir geradezu dahin gedrängt», meint Ivo Sollberger. Bevor die beiden im Jahr 2000 ihr eigenes Büro in Biel eröffneten, waren sie fünf Jahre lang bei Herzog & de Meuron tätig und arbeiteten unter anderem an den Projekten des St.-Jakob-Stadions in Basel, der HypoVereinsbank in München und des Ricola-Verwaltungspavillons in Laufen mit. Die lange Tätigkeit in dieser Kaderschmiede drückt sich in ihren Entwürfen aus. Diese zeichnen sich durch eine grosse Präzision in der bildhaften Durchdringung der Aufgabenstellung, durch den künstlerischen Drang, das Unmögliche möglich zu machen, und durch eine überzeugende Schärfe in der materialgerechten Detaillierung aus.

Die Entwürfe von Sollberger und Bögli sind immer Spannungsfelder zwischen einer Idee und deren materialgerechter Umsetzung. Dies veranschaulichte schon eines ihrer ersten Projekte: ein Bibliotheksanbau an ein Wohnhaus in Laufen. Anstelle des ehemaligen Aussensitzplatzes sollte ein Lesebereich mit Ausblick in die Landschaft realisiert werden. Entstanden ist ein stumpfwinklig geknickter, introvertierter Raum, an dessen Ende sich ein raumhohes Kastenfenster öffnet. Clou des Anbaus ist die innere Längsseite, die aus einem Glaskasten besteht, der mit dünnem Tannenholz furniert ist. Die schmalen, durchscheinenden Furnierplatten wirken bildhaft und metaphorisch zugleich. Sie erinnern an alte, aufrechtstehende Bücher, bei denen sich die Seiten teilweise geöffnet haben. Gleichzeitig dringt durch die dünnen, papiernen Furniere diffuses Licht nach innen und erzeugt so eine geheimnisvolle Atmosphäre. Ein mutiger Einsatz des Materials - denn es ist kaum vorherzusagen, wie sich dieses auf Dauer verhalten wird. «Da braucht es einen Bauherrn, der die Sache mitträgt», meint Sollberger lakonisch.

Wie wichtig die Rückendeckung des Bauherrn ist, mussten die Architekten bei ihrem kurz vor der Realisierung stehenden Einfamilienhaus in Muri bei Bern feststellen. Der geplante Neubau kommt am Rande eines Parks zwischen zwei denkmalgeschützten klassizistischen Wohnhäusern zu stehen. Das Projekt nimmt die Typologie des freistehenden Einfamilienhauses auf, ohne sich jedoch in Form und Proportion der existierenden Bebauung anzupassen. Vielmehr stellt es Sehgewohnheiten auf den Kopf, denn das quadratische Obergeschoss mit seiner geschlossenen Fassade scheint schwer auf einem amorphen Glaskörper aufzuliegen. Im «organischen» Erdgeschoss sind Wohn- und Arbeitsbereiche sowie die Küche in einem fliessenden Raumkontinuum angeordnet. Das orthogonale Obergeschoss bietet Platz für die Schlafräume.

In Absprache mit der Denkmalpflege wurde das Haus von der Baulinie leicht zurückgenommen. Mit Annexbauten für Bibliothek, Pergola und Garagen konnte das gesamte Bauvolumen geringer gehalten werden als jenes der bestehenden Gebäude. Zugleich schirmen sie den Neubau vom umliegenden Park ab. Obwohl sich der Neubau gut in bestehende Bausubstanz einfügen wird, dürfte er mit seiner gekurvten Glashaut und den Fensterschlitzen im Obergeschoss kompromisslos zeitgenössisch wirken. Deswegen wohl hagelte es Einsprachen von den Nachbarn. Die meisten Verfahren sind nun aber geklärt, so dass man hoffen darf, dass dieser ungewöhnliche Bau realisiert werden kann.

Verfremdung durch Materialien

Ganz anders verhielt es sich bei einem spektakulären Dachaufbau von Sollberger und Bögli. Die Stadt Biel war von diesem derart begeistert, dass sie gerne noch weitere realisiert gesehen hätte. Der silberne Bau befindet sich auf dem Dach eines ehemaligen Fabrikationsgebäudes, in dem heute Gewerbe- und Dienstleistungsfirmen arbeiten. Um für eine Werbeagentur mehr Nutzfläche zu schaffen, entwickelten Sollberger und Bögli einen containerartigen Aluminiumkörper, der wie ein ephemeres Objekt das Dach bekrönt. Steigt man aus dem unteren Büroraum die Wendeltreppe hinauf, so eröffnet sich einem eine beinahe irreale Welt, welche die kreative Gedankenwelt der Agentur symbolisieren soll. Während die weissen Räume einen weiten Blick auf Stadt und Jura bieten, erzeugt das von den Architekten eigens für Präsentationen angefertigte Mobiliar eine ambitionierte Atmosphäre.

Die architektonischen Hauptanliegen von Sollberger und Bögli sind das bildhafte Arbeiten und der Versuch, Stimmungen durch umgedeutete Materialien auszudrücken. Ob Aluminiumplatten mit aufgedrucktem Reifenmuster für die Autolaborhalle einer Ingenieurschule, ein mit Alabaster gefülltes Stahlnetz für das Alpinarium in Galtür oder die mit gewellten Streckelementen aus Cortenstahl versehene Fabrikhalle in Bern, immer sind es verfremdet eingesetzte Materialien, die auf eine intensive Wahrnehmung der Architektur zielen. Hier wird deutlich, dass in der Architektur am Ende alles auf eine Substanz gewordene Aussage hinausläuft.

[ Sollberger Bögli Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 10. Mai, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.05.05

03. März 2006J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Gezielte Transformationen

Die Autonomie der Architektur ist dem jungen Badener Büro Ken Architekten wichtig. Das zeigt ihr vielbeachteter Kindergarten in Dietikon ebenso wie ihr neustes Einfamilienhaus in Möriken.

Die Autonomie der Architektur ist dem jungen Badener Büro Ken Architekten wichtig. Das zeigt ihr vielbeachteter Kindergarten in Dietikon ebenso wie ihr neustes Einfamilienhaus in Möriken.

Ken Architekten sind Claudia Hofer, Jürg Kaiser, Lorenz Peter und Martin Schwager. Ken ist kein Kürzel, sondern ein Begriff aus der japanischen Architektur. Er bezeichnet das absolute Mass sowie dessen Regulativ, welches das Kleine zum Grossen ins Verhältnis setzt. Mit dieser Maxime arbeitet das Architekturbüro, das vor zehn Jahren gegründet wurde und seitdem die Bauszene von Baden aus nachhaltig belebt. «Vielleicht ist es ein bisschen leichter, aus der Provinz zu operieren», meint Martin Schwager, «zumindest ist der Diskurs hier direkter.» Provinziell sind die Entwürfe von Ken Architekten nicht. Sie sind urban gedacht, setzen sich mit der gestellten Aufgabe auseinander und bewahren die Autonomie der Architektur, ohne sich allzu sehr in Analogien oder Vorgaben des Ortes zu verstricken. Das zeigte schon ihr erster realisierter genossenschaftlicher Wohnbau, der sich mit grossen Glasflächen zum Limmatufer in Ennetbaden öffnet und auf der Rückseite mit einer schroffen Betonwand nichts als Architektur ist. Aus diesem inneren Dialog entwickeln Ken Architekten ihre Projekte. Immer entwerfen sie kollektiv, denn «Projekte werden im gemeinsamen Prozess widerstandsfähiger». Der Teamgedanke wird bei ihnen gross geschrieben, denn «zusammen sind wir besser als allein». Nur so können sie «dem Drang, Ideen zu produzieren», gerecht werden.

Klare Interventionen

Diese Ideen zeigen sich beim Umbau und bei der Aufstockung von zwei Mehrfamilienhäusern in Wettingen eindrücklich. Hier galt es, Bauten aus den siebziger Jahren aufzuwerten. Dabei wurde einem Wohnblock durch klare, einfache Eingriffe ein derart zeitgemässer Ausdruck verliehen, dass man ihn fast für einen Neubau halten könnte. Dank einer Erhöhung der Ausnutzung konnte ein zusätzliches Attikageschoss realisiert werden. Die asymmetrische Aufstockung bricht die Axialität der Gebäude und stärkt deren Plastizität. Die neuen Farben Weiss und Anthrazit unterstützen die Lesbarkeit des Konzepts der ineinander greifenden Volumen. Die Überbauung verleiht nun dem Strassengeviert eine neue Identität.

Während sich die ältere Architektengeneration - als Reaktion auf die Spätfolgen der Moderne - mitunter allzu sehr an die Paradigmen von Typologie und Analogie des Ortes klammert, haben Ken Architekten sich von diesen Zwängen befreit und kommen so zu naheliegenden, freieren Lösungen. Für die Vielzahl von Sanierungen, die in Wohnsiedlungen aus den siebziger und achtziger Jahren noch anstehen, kann der Ansatz von Ken Architekten einen kostengünstigen und architektonisch adäquaten Weg weisen.

Ganz anders, aber nicht weniger pragmatisch gingen Ken Architekten bei ihrem Kindergarten- Projekt in Dietikon vor, über das in jüngster Zeit häufiger geschrieben wurde. Die beiden an eine militärische Festungsmauer gebauten Kindergärten zeigen einen differenzierten Umgang mit einem kontroversen Erbe. Die Mauer in Dietikon gehört zu den vielen Befestigungsanlagen, die im Zweiten Weltkrieg in der Schweiz gebaut wurden. Der Debatte um Erhalt oder Abbruch der Mauer setzten Ken Architekten dadurch ein Ende, dass sie diese zum Fixpunkt der beiden Kindergartenhäuser machten. Die trennende und abweisende Geste der auf einer Seite geböschten Mauer wurde wie selbstverständlich in die Kindergärten, deren Dächer einfach auf der Mauer aufliegen, integriert. Durch die Transparenz der verglasten Seitenwände und der Hofbildung von alter Mauer und Freifläche bildet das Ensemble ein geborgenes Geviert, das diesem einst wehrhaften Ort etwas Spielerisches verleiht.

Offenes und geschlossenes Volumen

Eine ähnlich gezielte Transformation ist auch der jüngste, gerade fertig gestellte Bau von Ken Architekten. Aus der einfachen Aufgabe eines Einfamilienhauses liessen die Architekten einen architektonischen Markstein entstehen, der eine einfache, fast selbstverständliche Variante der Villa suburbana darstellt. Am Rande von Möriken errichteten sie einen Betonbau, der sich einerseits über die umgebende Landschaft definiert, sich aber von dieser beinahe hermetisch abschirmt. Die fast vollständig geschlossene Betonschale ist nur an zwei gegenüberliegenden Ecken geöffnet und legt einen diagonalen Lichteinschnitt durch das Haus. Die mit Acryllasur und metallenen Pigmenten versehene Oberfläche verstärkt noch den skulpturalen Charakter des erratischen Blocks. Alle Räume der beiden Geschosse sind so gelegt, dass sie durch die Ecköffnung belichtet werden, nur das geschlossene Bad erhält sein Licht mittels Oberlichtbändern.

Durch diesen Effekt entsteht eine scharfkantige, prismatische Form, die an eine aufgeschnittene Schachtel erinnert. Andererseits ergeben sich durch den harten Gegensatz von offenem und geschlossenem Volumen eindringliche Raumformationen im Inneren. Der Landschaftsarchitekt Klaus Müller ergänzte den architektonischen Gedanken des Hauses mit einem schwarz eingefärbten und sandgestrahlten Betonraster, der das kubische Haus in die umgebende Natur sinnfällig einbettet und zugleich die Unendlichkeit des Dialoges suggeriert.

Bei den vielfältigen Projekten, die Ken Architekten bearbeitet haben, überzeugt die scheinbare Leichtigkeit, mit der sie durchdachte Lösungen hervorbringen und präzise Erscheinungsformen generieren. So entwickelten sie für die beiden Fotoausstellungen «Miroslav Tichy» und «The Art of the Archive», die 2005 im Kunsthaus Zürich in einem Raum gezeigt wurden, einen kabinettartig fliessenden Raumkörper von starker Präsenz. Man darf also auf die weiteren Projekte von Ken Architekten gespannt sein.

[ Ken Architekten stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 8. März, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2006.03.03

04. November 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Expressive Eingriffe

Neue Arbeiten von Christ & Gantenbein aus Basel

Neue Arbeiten von Christ & Gantenbein aus Basel

Mit dem ersten Preis für die Erweiterung des Zürcher Landesmuseums 2002 wurden Emanuel Christ und Christoph Gantenbein aus Basel in der Architektenszene bekannt. Ihre Umklammerung der 1898 von Gustav Gull entworfenen Schlossarchitektur sorgte für Applaus, aber auch für heftige Kritik (NZZ 6. 9. 02). Ihr von spitz- und stumpfwinkligen Anbauten sowie schrägen Dachlandschaften geprägtes Projekt setzte sich erst gar nicht lange mit der vorhandenen Bausubstanz auseinander, sondern stellte eine zeitgemässe, expressive Formensprache bewusst gegen die axialsymmetrische und rechtwinklige Geometrie des Landesmuseums. Christ & Gantenbein nahmen die Ausschreibung beim Wort und versuchten das Museum in eine zeitgemässe Ausstellungswelt umzuinterpretieren.

Eine ähnliche architektonische Haltung zeigten Christ & Gantenbein bei dem Anbau eines Wohnhauses in Arlesheim bei Basel, der 2002 - also zeitgleich mit dem Projekt des Landesmuseums - entstanden ist. Auch bei dieser Aufgabe fanden die Architekten eine eigene, die Ästhetik des Bestehenden konterkarierende Sprache. Zunächst wirkt der Anbau wie ein Provisorium, und erst bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass der eternitartige Ausdruck von einer durchgehenden Betonfassade erzeugt wird, deren Schalungselemente aus Welleternit bestanden. Die beinahe textile Aussenhaut besteht also aus einer tragenden Betonhülle und evoziert gleichsam ein Stein gewordenes Gartenhaus. Das Bauen mit Bildern ist ein Credo der Architekten, die - wie es Christ formuliert - «aus Vorbildern eine neue Welt montieren». Auch räumlich ist der Anbau zu einem Vexierbild geworden, das zusammen mit dem Altbau die Innenräume neu definiert. Aus dem rechtwinkligen Altbau mit seinen engen Begrenzungen tritt man nun in einen raumgreifenden Wohnbereich, der zweimal abknickt, mit seinen spitzen und stumpfen Winkeln einen ganz anderen Raumeindruck vermittelt und so den neuen Bau auch innen wirksam werden lässt.

Bauen mit Bildern

Bei den Arbeiten von Christ & Gantenbein ist die Tendenz zu spüren, sich von modernistisch geprägten Entwurfsstrategien zu befreien und von rationalistischen Strukturen zu freieren Formen zu gelangen. Das Dogma der Rechtwinkligkeit weicht einem stärkern Bezug von Innen- und Aussenraum, und zugleich hat das Kontextuelle gegenüber dem Objekthaften Vorrang. Die «Schweizer Kiste» scheint endgültig ausgespielt zu haben; die sich durchdringenden, eingefärbten Betonkuben mit eingezogenen Loggien, die das scharfkantige Fassadenbild nicht stören, weichen anderen Bildern und Geometrien. Statt traditionell aufgereihte Räume sieht man vermehrt ausgeklügelte Raumfolgen, die sich eher an den gewandelten Bedürfnissen der Bewohner orientieren als an starken Aussenformen. Das lässt sich auch an dem jüngsten Wettbewerbserfolg des Basler Teams für die Neubebauung Volta Mitte ablesen. Unweit des neuen Novartis-Campus in Basel entsteht eine ergänzende Blockrandbebauung, nachdem die Nordtangente in der Verlängerung der Dreirosenbrücke unter die Erde verlegt werden konnte. Auch bei diesem Projekt verstanden es Christ & Gantenbein, die Jury mit einer geschickten Differenzierung zwischen einer ruhigen und geschlossenen Strassenfassade und einer aufgefalteten Hoffassade, die eine geradezu expressive Vielfalt von Wohnungsgrundrissen generiert, zu überzeugen. Durch die mehrfach geknickten Fassaden entstehen unterschiedliche Raumtiefen, die wiederum ganz verschiedene Wohnungstypen hervorbringen, ein Vorteil auch für den beteiligten Investor, der so besser dem vielfältigen Wohnungsmarkt entgegenkommen kann. Im Hof können so individuelle Gartenräume gestaltet und abgegrenzt werden, wodurch Nutzungsvielfalt generiert wird, ohne dass sich die Nachbarn gegenseitig stören. Auch der Lichteinfall ist durch die Abschrägungen der Fassade grösser, für den nach Norden liegenden Hof ein nicht zu unterschätzender Gewinn. Die Wohnungen haben immer einen zentralen Wohnessraum mit Balkon, der von den Schlaf- und Nassräumen flankiert wird. Dieses klare Prinzip erhält seine ungeheure Vielfalt erst durch die differenzierten Geometrien, deren Knickungen und Winkel 18 verschiedene Wohntypen generieren.

Konsequent und selbstbewusst

Zurzeit arbeiten Christ & Gantenbein an dem Konzept für die Kannenfeldwerkstätten in Basel. Trotz vielen Wettbewerbserfolgen stehen grössere Realisierungen bisher noch aus. Bei ihrem Erweiterungsprojekt für das Zürcher Landesmuseum führte die typologische Unbefangenheit, mit der sich Christ & Gantenbein dem Altbau näherten, beim Zürcher Heimatschutz und bei der Gesellschaft für Schweizerische Gartenkultur erwartungsgemäss zu heftigen Rekursen (NZZ 9. 2. 05). Die entwerferische Haltung von Christ & Gantenbein ist konsequent und selbstbewusst und versteckt sich hier nicht hinter dem Gullschen Historismus. Die Kontroverse wäre vielleicht nicht entstanden, wenn sich der Raumbedarf des Landesmuseums in verständlichen Grenzen gehalten hätte und damit auch das Ausmass des Anbaus. Nun müssen die Architekten für den Expansionsdrang der Museumsverantwortlichen den Kopf hinhalten. Diesen ist es bis heute nicht gelungen, überzeugende Argumente dafür zu liefern, warum das nicht eben kleine Volumen des Landesmuseums um das Doppelte erweitert werden muss. Es fragt sich, ob ein Grossteil der Bestände aus den Depots geholt und ein gewaltiges Ausstellungsprogramm gefahren werden muss, das andere Häuser in Zürich programmatisch und finanziell konkurrenzieren würde. Aber das ist eine andere Geschichte . . .

[ Christ & Gantenbein stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 9. November, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.11.04

02. September 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Behutsame Eingriffe

Das durchdachte Weiterbauen an städtebaulichen Situationen kennzeichnet die Arbeit von Marc Loeliger und Barbara Strub. In ihren Projekten versuchen die beiden Architekten, Stimmungen und Bilder aufzuspüren und baukünstlerisch umzusetzen.

Das durchdachte Weiterbauen an städtebaulichen Situationen kennzeichnet die Arbeit von Marc Loeliger und Barbara Strub. In ihren Projekten versuchen die beiden Architekten, Stimmungen und Bilder aufzuspüren und baukünstlerisch umzusetzen.

Angefangen hatte es mit dem Werkhof des Elektrizitätswerks in Altdorf: Barbara Strub, Regula Harder und Jürg Spreyermann hatten 1994 den Wettbewerb für dieses 16-Millionen- Franken-Projekt gewonnen. Es ging dabei um die Integration eines Werkhofes mit Bürogebäude in eine vornehmlich aus alten Patrizierhäusern bestehende Umgebung. Die Architekten übernahmen mit der strassenseitigen Anbindung der Bauten das alte Bebauungsmuster. Bei der einheitlichen Materialisierung der drei neuen Gebäude mit Flachdächern, Industrieglas (Profilit) und transparenter Skelettkonstruktion setzten sie jedoch auf ein konsequent modernes Erscheinungsbild. So entstand in Altdorf aus der neuen Interpretation eines städtebaulichen Musters ein markantes Ensemble, das den Ort sinnfällig definiert und zugleich vom Mut der Bauherrschaft zeugt, einem jungen, noch unerfahrenen Team die Realisierung der Neubauten zu überlassen. Im Jahr 1999 gründete Barbara Strub, die bei Hans Kollhoff diplomiert und einige Jahre bei Bétrix Consolascio Architekten gearbeitet hatte, zusammen mit Marc Loeliger das Büro Loeliger Strub Architektur. Ihr Partner hatte zuvor im Büro Meili Peter an der Holzfachschule in Biel mitgearbeitet und war vor der Bürogründung zudem Projektleiter der Therme in Vals von Peter Zumthor.

Weiterbauen am Bestand

Um die Themen des Weiterbauens einer bereits existierenden Struktur ging es - unter anderen Vorzeichen als in Altdorf - auch beim Haus zur Stiege in Bürglen in der Innerschweiz. Dort galt es, das Stallgebäude eines am Rande des historischen Dorfkerns gelegenen Bauernhauses aus dem 17. Jahrhundert durch einen Neubau zu ersetzen. Loeliger und Strub waren von der klaren Setzung des Stalls zum talseitig orientierten Hauptbau sowie von dessen räumlichen Qualitäten derart angetan, dass sie ihn gleichsam im Geiste weiter bauten. Deshalb liessen sie den Bruchsteinsockel des alten Stalls stehen und setzten das neue Gebäude, welches nun fast das gleiche Volumen wie der Vorgängerbau einnimmt, wie ein Möbel auf die alte Mauer, so dass die Verbindung von altem Fundament und neuem Holzbau offensichtlich blieb und dessen alte Form weiter bestehen blieb und zugleich überhöht wurde. Dieses Prinzip führten sie in der Materialisierung fort: Anstelle des alten Strickbaus entstand ein Holzständerbau mit einer Verkleidung aus rohen Fichtenbrettern, die mit der konstruktiven Schicht zu einer Einheit verflochten ist.

Konventionen auf ihren Gehalt hin zu befragen und zeitgemäss weiterzudenken, ohne sie zu verneinen, ist einer der architektonischen Ansätze von Loeliger und Strub; ein anderer ist die Beschäftigung mit gegensätzlichen Raumtypen. So bauten sie ein Einfamilienhaus in Zollikon, dessen Kern zwei schmale, gegenläufige Treppen enthält. Durch diese kleine Veränderung wird die horizontale Raumaufteilung gesprengt, und die Zimmer werden ohne Korridore direkt erschlossen. Dieses System erlaubt es, die Stockwerke auch ganz unterschiedlich aufzuteilen, wenn sich die Lebenssituation der Bewohner ändert. Die Geschosse können getrennt voneinander bewohnt werden. Sie lassen sich - je nach Stellung der Türflügel - in fliessende Bereiche verwandeln oder als traditionelle Kammern nutzen.

Für die im letzten Jahr in Zürich durchgeführte Studie einer städtebaulichen Erneuerung des Areals beim Bürkliplatz schlugen Loeliger und Strub ein einfaches, verblüffend logisches Projekt vor: Gleichsam als Résumé der vielen Eingriffe und Planungen an diesem Uferbereich, die von der Seeaufschüttung bis zu ehrgeizigen Neubauprojekten reichen, schlugen sie eine Aussichtsplattform vor, die wie ein grosser Ponton weit in den See hinausreichen sollte. Dabei wurde das Geviert zwischen Börsen-, Bahnhof- und Fraumünsterstrasse städtebaulich von ihnen «weitergedacht», ohne die bestehende Quai- und Brückenanlage zu tangieren. Da Holz als Baumaterial vorgeschrieben war, schlugen sie die Konstruktion vormontierter, zu grossen Kastenelementen verbundener Fachwerkträger vor, die wiederum mit Holz verschalt und auf Pfähle im See gesetzt werden sollten. Diese einfache und preiswerte Lösung sollte einerseits an Bootsanleger, anderseits an die hier einst gefundenen Pfahlbauten erinnern. Unterhalb der Plattform sahen sie ein Restaurant mit Panoramablick auf See und Berge vor: ein minimalistisches Projekt, aus dem bestimmt ein spannendes Bauwerk geworden wäre.

Eindeutige Formulierungen

Zurzeit arbeiten Loeliger und Strub an mehreren öffentlichen Projekten. Beim Wettbewerb zur Erweiterung des Schweizerischen Landesmuseums kamen sie in die zweite Runde, bei der bevorstehenden Sanierung der Hochhäuser Hardau in Zürich können sie ein neues Farbkonzept der Markisen umsetzen, und 2006 beginnen sie mit dem Umbau des städtischen Altersheims Kalchbühl. Eine interessante Wohnanlage planten sie ausserdem für die Stähelimatte in Zürich Seebach. Doch das Wettbewerbsprojekt erreichte 2003 nur den zweiten Preis. Für den langgezogenen, viergeschossigen Baukörper, der den Abschluss einer Randsiedlung mit Blick ins Grüne hätte bilden sollen, entwickelten sie eine prägnant modulierte Form. Tiefe Einschnitte und grosse Fenster hätten allen Wohnungen den Bezug zur umgebenden Landschaft ermöglicht. Zugleich hätte sich durch die Repetition der Raumtypen eine sehr wirtschaftliche Bauweise des Gebäudes gegeben.

Es sind behutsame Eingriffe in den Stadtkörper, mit denen Barbara Strub und Marc Loeliger Bilder und Stimmungen architektonisch zu formulieren und reduziert umzusetzen suchen. In ihrem Schaffen ist dabei eine Tendenz zu spüren, sich von gängigen Entwurfsstrategien zu lösen und zu handwerklicher Authentizität und freieren Geometrien zu gelangen. Das Kontextuelle und das Objekthafte halten sich jedoch in ihren Bauten und Projekten immer in einer angemessenen Balance.

[ Marc Loeliger und Barbara Strub stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 14. September, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.09.02

01. April 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Konzeptionelle Strategien

Hinter dem altgriechischen Begriff für «neuen Raum», Novaron, verbirgt sich eine Gruppe junger Architekten um den «front man» Jesko Hutter, der schon seit...

Hinter dem altgriechischen Begriff für «neuen Raum», Novaron, verbirgt sich eine Gruppe junger Architekten um den «front man» Jesko Hutter, der schon seit...

Hinter dem altgriechischen Begriff für «neuen Raum», Novaron, verbirgt sich eine Gruppe junger Architekten um den «front man» Jesko Hutter, der schon seit einiger Zeit mit unkonventionellen Bauten und einer klaren Formensprache architektonische Präsenz im St. Galler Rheintal und in Vorarlberg markiert. Zusammen mit Hanspeter Eicher und Martin Gepp operiert Hutter von Diepoldsau aus. Die drei Architekten, die zurzeit mit zwanzig Mitarbeitern an vierzig Projekten arbeiten, haben seit der Bürogründung 1993 nahezu einhundert Bauten realisiert. Ein ungewöhnlicher Erfolgsausweis für Architekten um die vierzig. Ein Blick auf die ebenso spektakulären wie überzeugenden Arbeiten räumt schnell alle Zweifel an deren Qualität aus der Welt.

Bauen für den Zeitgeist

Vor vier Jahren fusionierte das Büro Eicher Hutter mit der Tochterfirma Novaron und machte den Firmennamen zum Programm. Die Entwicklung neuer Räume, ihre Visualisierung und Realisierung stehen im Zentrum des Arbeitsprozesses, der einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen ebenso umfasst wie experimentelle Materialwahl, hohe ästhetische Ansprüche und eine klare Formensprache. Ziel von Novaron ist es, den entstehenden Bedürfnissen einer sich im Umbruch befindenden Gesellschaft durch grösstmögliche Flexibilität zu genügen. Wie das zu verstehen ist, lässt sich an dem Cube-Hotel-System ablesen, das Novaron zusammen mit der Mountain Entertainment Company entwickelt hat. «The Cube 1» wurde 2004 mit 156 Zimmern und 646 Betten im Kärntner Nassfeld eröffnet. Das Cube-System wendet sich gezielt an die junge Generation der Skate- und Snowboardfahrer, bei denen Design und Lifestyle eine grosse Rolle spielen.

Das Hotel besteht aus zwei nahezu identisch aufgebauten quadratischen Blöcken, die im Untergeschoss über eine grosse Diskothek miteinander verbunden sind. Die Fassaden des Skelettbaus sind mit durchscheinenden Polycarbon-Platten verkleidet und verleihen so dem Haus eine trendige Corporate Identity. Das Innere bietet mit seiner farbigen, aber minimalistischen Ausstattung ein eher städtisches Ambiente, das sich dezidiert von jeder alpenländischen Scheinidylle absetzt. Die Zimmer der viergeschossigen Bauten sind um ein zentrales Atrium angeordnet und über Rampen erschlossen, so dass sie von den Skatern gleichsam rollend verlassen werden können. Im Erdgeschoss befinden sich Restaurant, Bar, Lounge und Rezeption; ein übersichtliches Raumgefüge, das eine spartanische und dennoch zeitgemässe Atmosphäre vermittelt. Mit offenem Kamin, Videowänden und Plüschmöbeln im Gemeinschaftsbereich, mit Sauna, Dampfbad und Eisgrotte im Keller und mit kargen Einzel- oder Mehrbettzimmern, aber auch mit Computerplätzen und geplanten Kooperationen mit Musiksendern wie MTV wird hier die Fun-Generation touristisch angesprochen. Die Stärke des Konzeptes liegt in der Eindeutigkeit der architektonischen Sprache, mit der Novaron den neuen Hoteltypus entwickelt hat, der zwischen Jugendherberge und Sporthotel oszilliert. Häuser mit diesem Lebens- und Feriengefühl will die Entertainment Company an zehn Standorten in Österreich, Deutschland, Frankreich und der Schweiz in den nächsten Jahren umsetzen.

Die Stärke von Novaron liegt in der konzeptionellen Ausrichtung und Arbeitsweise des Büros. Wichtiger als der Entwurf ist für Hutter zunächst die Entwicklung eines tragenden Konzeptes. Das fängt mit einer klaren Bürostruktur und eindeutiger Aufgabenteilung an: Hutter ist allein für den Entwurf zuständig, während Eicher die Kostenkontrolle und Terminplanung organisiert und Gepp für Marketing und Projektabwicklung verantwortlich zeichnet. So werden ganze Projektentwicklungen angeboten, die weit über die klassische Arbeit eines Architekturbüros hinausgehen und bei denen Novaron selbst als Generalunternehmer auftritt. Auf den Erfahrungen aufbauend, die sie beim Cube-Hotel gesammelt haben, arbeiten die Architekten von Novaron gerade an einem Konzept für ein neues Stadthotel, dessen Prototyp demnächst an der Zürcher Langstrasse entstehen soll. Mit kleinen, einfachen Zimmern, aber grösseren Aufenthalts-, Wellness- und Kommunikationsbereichen werden gezielt junge Stadttouristen angesprochen, die das Reise- und Hotelerlebnis dem individuellen Komfort vorziehen. Dabei plant das Novaron-Team auch ganze Einrichtungsmodule selbst, wie es sie auch für andere Projekte entwickelt hat von «Swiss Fiber», einem Möbelsystem aus Fiberglas, bis hin zu einer kompletten Kücheneinrichtung aus Beton.

Flexible Wohnbauten

Bekannt geworden aber ist Novaron zunächst mit zahlreichen Einfamilienhäusern in der Ostschweiz und in Vorarlberg, bei denen gezielt mit Materialien, Räumen und Wohnformen experimentiert wurde. So sind immer wieder sehr spezielle Bauten entstanden. Das «Haus 1» in Dornbirn von 1993 wurde beispielsweise zum Vorbild für die späteren Loftbauten. Dabei entstand ein System, das es den Eigentümern ermöglicht, ihren Wohnraum langfristig flexibel und weitgehend nach eigenen Vorstellungen einzuteilen. Sogar den Aufbau der Fassade können sie mitbestimmen und festlegen, wo innerhalb eines Rasters Fensteröffnungen, Aussenwände und Milchglaselemente liegen sollten. Gerade fertiggestellt wurden die Mehrfamilienhäuser «Loftpark» in Altstätten. Hier entstand im idyllischen Park der Villa Hitz eine moderne Wohnanlage, bei welcher die Erstellung von kostengünstigem und grosszügigem Wohnraum im Zentrum stand. Die raumhoch befensterten Häuser präsentieren sich mit ihren hinterlüfteten Stahlblechfassaden als ein typisches Novaron-Projekt: Zwar bieten die Häuser modernste Infrastruktur mit guter Schalldämmung und veränderbaren Zimmereinteilungen, verwirren aber gezielt durch ästhetische Zäsuren. Die patinierten Stahlplatten nehmen den Alterungsprozess vorweg und inszenieren Industrieästhetik als bewohnbare Konzeptkunst - ein sinnfälliges Bild für die innovative Arbeitsweise von Novaron.

[ Novaron Eicher Hutter Gepp stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 13. April, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.04.01



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04. Februar 2005J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Räume von atmosphärischer Dichte

Architektur ist immer auch inszenierter Raum. Mehr als andere Schweizer Architekten haben sich Barbara Holzer und Tristan Kobler diese Maxime für ihre...

Architektur ist immer auch inszenierter Raum. Mehr als andere Schweizer Architekten haben sich Barbara Holzer und Tristan Kobler diese Maxime für ihre...

Architektur ist immer auch inszenierter Raum. Mehr als andere Schweizer Architekten haben sich Barbara Holzer und Tristan Kobler diese Maxime für ihre Arbeiten zu eigen gemacht. Das erstaunt nicht, denn beide haben sich intensiv mit der Gestaltung und Konzeption von Ausstellungen beschäftigt. Im Jahr 2004 legten sie ihre vormaligen Büros - d-case (Holzer) und Morphing Systems (Kobler) - zusammen und führen nun ein gemeinsames Unternehmen in Zürich. Doch schon früher realisierten sie Projekte zusammen: etwa für die Expo 02, an der sie für die architektonische Gesamtplanung der Arteplage in Yverdon, aber auch für die Ausstellungen «Biopolis» in Neuenburg, «sWish» in Biel und «Heimatfabrik» in Murten verantwortlich waren.

Erfahrung als Ausstellungsgestalter sammelte Tristan Kobler im Museum für Gestaltung in Zürich. Barbara Holzer hingegen ist seit zehn Jahren für Daniel Libeskind tätig. Zurzeit betreut sie dessen Freizeit- und Einkaufszentrum Westside in Bern. Das sind gute Voraussetzungen, um frischen Wind in die Schweizer Architekturszene zu bringen. Denn allzu lange schon orientieren sich die Jungen am Vorbild der orthogonalen Lochfassade. Holzer und Kobler versuchen stattdessen auf die veränderten Anforderungen, die heute an das Bauen gestellt werden, zu antworten. Dabei interessiert sie die Komplexität der sich rasant verändernden räumlichen, gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse, die nach neuen Orientierungen verlangt, ganz besonders. Obwohl beide an der ETH Zürich ausgebildet wurden, ist ihre Arbeitsweise weder funktionalistisch noch rein rational. Vielmehr geht es Holzer und Kobler um Atmosphären und Stimmungen, die durch Räume erzeugt werden können, und damit letztlich um die Wirkung der Architektur auf die Menschen.

Zurzeit planen Holzer und Kobler das Freizeit- und Erlebniscenter «EbiSquare» in Ebikon, das zwischen 2007 und 2010 gebaut werden soll. Im «EbiSquare» sollen Wirklichkeit und Virtualität zu einem suggestiven Ganzen vereint werden. Die grosse Halle konzipierten sie als mehrfach gewundenes, sich kreuzendes Möbiusband. In einem neuen Typus szenischer Architektur sollen hier nicht nur Landschaften der Schweiz dargestellt, sondern auch Ausstellungen, Freizeiteinrichtungen und Kaufhäuser zu einem zukunftsweisenden öffentlichen Raum verschmolzen werden. Aber auch mit alltäglicheren Aufgaben wie Umnutzungen oder Revitalisierungen befassen sie sich. So geht es beim Umbau einer ehemaligen Salamifabrik in Dietikon sowohl um die Erhaltung als auch um die Ergänzung des aus verschiedenen Epochen stammenden Baubestandes. Ein siebenstöckiger Hochbau und vier Wohnhäuser sollen einen städtischen Platz eingrenzen und eine Spange zwischen dem Industrieareal und dem Stadtzentrum bilden. Besonders die Wohnbauten dürften mit ihren ungewohnten Geometrien und ihrer zeichenhaften Formensprache den Ort atmosphärisch verändern.

Mit dem der Vollendung entgegengehenden Umbau von zwei Geschäftshäusern an der Eichstrasse im Zürcher Stadtteil Binz wollen Holzer und Kobler dem städtebaulichen Kontext neue Identitäten vermitteln. In dem ehemaligen Globus-Hauptsitz aus den fünfziger Jahren entstehen neben Büros auch 29 unkonventionelle Wohnungen, die man gut unter dem Zauberwort «Loft» vermarkten könnte. Schon die Fassaden weisen mit ihren grossen, dreiflügeligen französischen Fensterkästen auf die vormalige Gewerbenutzung hin. Asymmetrisch angeordnet, treten sie in einen Dialog mit den horizontalen Bandfenstern und konterkarieren so die Fünfziger-Jahre-Ästhetik.

Mit viel Geschick haben Holzer und Kobler die Zwei- bis Vierzimmerwohnungen in den alten Raster eingefügt, so dass sich diese mit unterschiedlichen Grundrissen um die beiden Innenhöfe gruppieren. Die Binnenstruktur führt zu vielfältigen räumlichen Kontakten zwischen den jeweils von zwei Seiten her belichteten Wohnungen. Mit den bald langgestreckten, bald kompakten, immer aber offenen Grundrissen entstehen städtisch anmutende, stimmungsvolle Lebensräume. Innovative Licht- und klare Farbinszenierungen ergänzen das Wohnkonzept und nehmen besonders in den Treppenhäusern den Dialog mit der alten Bausubstanz auf. Atmosphärische Lösungen für spezielle Orte zu realisieren, das ist Holzer und Kobler mit diesem Projekt eindrücklich gelungen.

Im Architekturforum Zürich stellen Holzer und Kobler ihre Arbeiten am Mittwoch, 16. Februar, um 18.30 Uhr vor.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.02.04

05. November 2004J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Befreite Geometrien

Bauten und Projekte von «sab architekten» aus Basel

Bauten und Projekte von «sab architekten» aus Basel

Das Büro «sab architekten», dessen Kürzel für Städtebau, Architektur und Bauen steht, wurde 1997 von Markus Kägi, Andreas Reuter, Dominique Salathé und Thomas Schnabel in Basel gegründet. Zunächst bearbeiteten die Architekten zahlreiche Wettbewerbe, Studienaufträge und kleinere Projekte im Raum Basel. Daneben konnten sie für die Expo-Arteplage in Murten das «Panorama 2000» in Jean Nouvels Monolithen realisieren. Zurzeit beschäftigen sie sich mit dem Breite-Zentrum, einer Quartierüberbauung mit unterschiedlicher Nutzungsstruktur in Basel, und mit der Heilpädagogischen Schule in Liestal, die beide 2005 realisiert werden sollen. Zweifellos sind die Projekte von «sab architekten», die mehrheitlich an der ETH Zürich studiert haben, von der rationalen Sprache der Deutschschweizer Szene beeinflusst. Zugleich haben sie aber «Lust auf mehr Grosszügigkeit». Und in der Tat scheinen ihre Projekte von freieren Geometrien geprägt zu sein, das Dogma der Rechtwinkligkeit einem stärkern Bezug von Innen- und Aussenraum zu weichen und das Kontextuelle gegenüber dem Objekthaften Vorrang zu haben.

Die Schule als Dorf

Das lässt sich besonders an ihrem ersten grösseren Werk nachvollziehen, das vor wenigen Wochen im freiburgischen La Tour-de-Trême eingeweiht wurde. Die Schulanlage mit Dreifachsporthalle und Theater nennt sich «Cycle d'orientation de la Gruyère». Sie öffnet sich am Dorfrand zur Landschaft und zum spektakulären Alpenpanorama. Hier werden 800 Sekundarschüler unterrichtet. Mit der Sporthalle und dem vielfältig verwendbaren Theaterraum ist die Anlage aber auch ein wichtiger Ort für die Dorfgemeinschaft. Dies war für das junge Architektenteam, das sich hier nicht an einem urbanen Kontext oder an einer bereits bestehenden Anlage orientieren musste, Herausforderung und Verpflichtung zugleich. So wählten «sab architekten» die Mikrostruktur eines aufeinander bezogenen Gebäudegevierts, das - an einen Stadtplatz erinnernd - den westlichen Abschluss der Siedlungsstruktur markiert. Das umfassende Raumprogramm wurde den Funktionen entsprechend auf drei eigenständige Baukörper verteilt. Das langgestreckte, grosszügig befensterte Schulgebäude, dessen Unterrichtsräume den Blick auf die Landschaft freigeben, bildet das Rückgrat der Anlage und schirmt diese zur Quartierstrasse ab. Zugleich bestimmt es den Erschliessungsweg durch die Gesamtanlage und den zentralen Platz des Pausenhofes zwischen den Gebäuden.

Die Schulzimmer im dreigeschossigen Gebäude sind parallel zum mittigen Korridor angeordnet. An den Kopfenden liegen spezielle Räume wie Computerzimmer und Bibliothek. Die drei vertikalen Erschliessungsbereiche sind zu Aufenthaltszonen erweitert. Im Erdgeschoss verschmelzen sie zu einer grossen Eingangshalle, die für Ausstellungen oder schulinterne Aktivitäten genutzt werden kann. Durch ein zweimaliges Abknicken des gestreckten Gebäudes im Bereich der Aufenthaltszonen wird die blockhafte Typologie geschickt aufgeweicht, wodurch differenziertere Raumstrukturen entstehen. Die Klassenzimmer vermitteln mit den grossen, dreigeteilten Schiebefenstern nicht nur den Bezug zur Landschaft und zu den Nachbarbauten von Sporthalle und Theater. Mit der modernen Ausstattung, der Farbgebung und der Möblierung balancieren sie pädagogisch geschickt zwischen Lernort und Gemeinschaftsraum. Dies zeigt sich auch im Ersatz der klassischen Wandtafel durch den zeitgemässen Beamer.

Nach Nordosten hin wird das Areal durch die Dreifachturnhalle begrenzt, die zugleich die räumliche Verbindung zwischen dem Sportplatz und dem zentralen Pausenplatz herstellt. Wie heute üblich ist die hohe Halle zur Hälfte im Boden versenkt, wodurch sie sich diskret in die Topographie der Gesamtanlage einfügt. Mit viel Tageslicht, einer seitlichen Tribüne und der raumgreifenden Betonrahmenstruktur bildet sie das funktionalistische Pendant zu den übrigen Bauten. Die Verglasung des zum Platz hin orientierten Eingangsbereiches stellt die volumetrische Beziehung zu den übrigen Bauten her, wodurch der Aussenraum zu einem eigentlichen Forum wird.

Ort der Öffentlichkeit

Der dritte Solitär im Ensemble, das sich mit seinen gediegen wirkenden Fassaden aus sandgestrahltem, beige eingefärbtem und mit Kies aus Jurakalk versetztem Beton als Einheit zu erkennen gibt, ist das Theater. Sein Restaurant dient als Mensa für die Schüler, kann aber auch mit dem Foyer des Theaters für Abendanlässe gekoppelt werden. Das Theater hat entsprechend seinen differenzierten Funktionen das aufwendigste Bauvolumen. Der 700 Personen fassende Zuschauersaal bestimmt mit seiner nach akustischen Gesichtspunkten gewölbten Decke die auffällig geknickte Form des Daches, die im Bühnenturm ihren Kontrapunkt findet. Hier klingen Analogien zum Turm von La Tour-de-Trême an, und gleichzeitig wird die öffentliche Funktion sinnfällig dargestellt. - Immerhin 70 Millionen Franken hat sich die kleine Gemeinde La Tour-de-Trême ihr neues Schulhaus mit Sporthalle und Theater kosten lassen - ein stolzer Preis, der durch die attraktive Gebäudegruppe der jungen Architekten mehr als gerechtfertigt wird.

In einem Vortrag stellen «sab architekten» ihre Arbeit am 10. November um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.11.05



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04. Juni 2004J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Der Weg ist das Ziel

Das Prozesshafte bestimmt die Arbeit der Berner Architekten Stefan Gauer, Corinne Itten und Daniel Messerli. Nachdem sie sich mit ihrem Konzept für die neuen Regionalbahnhöfe der SBB ein Langzeitprojekt gesichert hatten, konnten sie jüngst ein Einzelwerk, den transparenten Medienpavillon in Riehen bei Basel, vollenden.

Das Prozesshafte bestimmt die Arbeit der Berner Architekten Stefan Gauer, Corinne Itten und Daniel Messerli. Nachdem sie sich mit ihrem Konzept für die neuen Regionalbahnhöfe der SBB ein Langzeitprojekt gesichert hatten, konnten sie jüngst ein Einzelwerk, den transparenten Medienpavillon in Riehen bei Basel, vollenden.

Fast jeder kennt den Monolithen der Expo 02 in Murten, aber kaum jemand weiss, dass es Stefan Gauer, Corinne Itten und Daniel Messerli - kurz GIM Architekten - waren, die Jean Nouvel begeistern konnten, sich an der Expo zu beteiligen. Mit ihm zusammen hatten sie daraufhin die architektonische Gesamtleitung der Arteplage Murten inne. Von GIM Architekten stammte die Idee, die Ausstellung über ganz Murten auszudehnen und nicht nur auf einen Ort zu beschränken - mit dem Resultat, dass die kleine Stadt für viele Besucher das poetischste Ambiente der Expo bot. Im Rückblick auf ihr damaliges Engagement meint Messerli lakonisch: «Es ist etwas ganz Besonderes, ein im weitesten Sinne ‹politisches Projekt› zu realisieren. Keiner weiss genau Bescheid, aber alle mischen sich ein . . .»

Modulare Systeme

Projekte, die stark im öffentlichen Interesse stehen, sind dem Team vertraut. Jüngst wurden ihre ersten, aus einem Wettbewerb hervorgegangenen Regionalbahnhöfe realisiert, von denen dereinst mehr als 600 die Schweiz überziehen sollen. Mit dem «Facelifting Regionalverkehr» wollen die SBB den Regionalbahnhöfen ein modernes Gesicht, eine Corporate Identity verleihen und zugleich Geld sparen. GIM Architekten entwickelten das modulare Bausystem «RV05», das aus weitgehend vorgefertigten Bauteilen besteht und vom jeweiligen Architekten vor Ort den Bedürfnissen unterschiedlichster Stationen angepasst werden kann. Zu den wiederkehrenden Elementen gehören das schwebende Betondach, das einen Eindruck von der Dynamik des Reisens sowie einen Hauch funktionaler Modernität à la Mies van der Rohe vermittelt, und die paraventartigen, in Blau und Rot, den Farben der SBB, gehaltenen Wände. Die blauen Elemente dienen als Informationsträger mit Nottelefon und Billettautomat, die roten hingegen als Werbeflächen.

Darüber hinaus gibt es weitere von GIM entworfene Elemente wie Warteräume, Veloständer, Sitzbänke oder Informationswände. Als Zeichen mit Fernwirkung dient ein sechs oder acht Meter hoher, indirekt angestrahlter «Railbeam», der eine räumliche Lichtsituation schafft. Der erste «RV05»-Bahnhof wurde zeitgleich mit der Expo im nahe bei Murten gelegenen Muntelier-Löwenberg als Prototyp realisiert. Mittlerweile gibt es weitere Stationen. Im Jahr 2008, wenn alle Bahnhöfe realisiert sind, wird es sich zeigen, ob die neue Corporate Identity die vielfältige Identität der alten Bahnhöfe zu ersetzen vermag.

Prozesshaftes Arbeiten

Gauer, Itten und Messerli möchten aber nicht auf Bahnhofarchitektur festgelegt werden. Zu vielfältig sind die seit der Gründung ihres Büros 1992 in Bern realisierten Arbeiten. Im Zentrum steht dabei für die drei Partner, die sich an der ETH Zürich kennen lernten, das Prozesshafte. Sie betonen denn auch, der Weg zum Ergebnis sei das Wichtigste. Deswegen lieben sie komplexe Aufgaben, «bei denen man am Anfang gar nicht weiss, wo man ankommen wird». Solche Aufträge waren die Arteplage in Murten und die Regionalbahnhöfe. Aber auch bei den konventionelleren Arbeiten von GIM Architekten sind der ganzheitliche Ansatz und der kommunikative Aspekt der Architektur immer ablesbar. Etwa bei der Wohnanlage «Trilogie» in Muri-Gümligen, die sie zurzeit realisieren. Experimentiert wird hier mit einem Modell, bei welchem Wohnraum, Atelier und Dienstleistungsbereiche im gleichen Gebäude integriert sind. Räume können hier für eine bestimmte Nutzung temporär hinzugemietet werden. Gleichzeitig lösen sich die Wohnungen von den herkömmlichen Funktionstrennungen und bieten flexiblen, gut proportionierten Raum, der von Singles, Familien und Wohngemeinschaften genutzt werden, aber auch als Atelier dienen kann. Dabei werden die Häuser der Nutzung entsprechend gestaltet. Die klaren horizontalen Betonstrukturen der Stockwerkseinteilung und die fast vollständig verglasten Fassaden sprechen ein zeitloses Formenvokabular, das sich typologisch genau zwischen Wohn- und Bürohäusern bewegt.

Um neue Inhalte und die richtige Form im Sinne einer Corporate Identity geht es auch beim Technologiepark, den GIM Architekten gegenwärtig in Estavayer-le-Lac am Neuenburgersee planen. Hier soll auf insgesamt 90 000 Quadratmetern ein Zentrum für Hochtechnologie entstehen. Dafür entwarfen sie ein Gesamtschema unterschiedlicher Gebäude inmitten eines Grünraums - auf den ersten Blick durchaus mit einer Computer-Platine vergleichbar. Dank rationalisierten Bauverfahren können Firmen in kürzester Zeit die benötigten Flächen beziehen. Durch zentrale Infrastrukturen und eine flexible Erschliessung wird die Attraktivität des Standortes garantiert. Im Rahmen des Masterplanes soll das Gelände mit Gebäuden für Life Sciences, Elektronik, Materialforschung und Logistik bebaut werden. Es handelt sich also um ein futuristisches Projekt, bei dem die formalen und konstruktiven Ergebnisse erst im Planungsprozess erzielt werden. Dass die Projekte schliesslich in ihrer präzisen Einheitlichkeit dennoch aussehen, als seien sie von Beginn an genauso geplant worden, verdankt sich der teamorientierten Kreativität der Partner.

Architektur und Landschaft

Auch kleine Arbeiten können sich während des Planungsprozesses stark verändern. Beim kürzlich fertig gestellten Vortrags- und Medienpavillon in Riehen bei Basel, den J. Rudolf Geigy als Begegnungsstätte der Esther Foundation errichten liess, wünschte der Bauherr zunächst einen architektonischen Bezug zur 1896 inmitten einer herrlichen Parkanlage erbauten Villa. Während der Planung konnten die Architekten ihn jedoch vom Konzept einer eigenständigen, kontrastierenden Architektur überzeugen. So steht nun der Pavillon mit seiner zeitlosen Transparenz viel entschiedener für das Programm eines Ortes, an dem über Nachhaltigkeit diskutiert wird, als es zunächst geplant gewesen war. Besucher werden über Wasserflächen in den Pavillon geführt. Für den Bezug zur Landschaft steht eine Quarzitsteinmauer, die in den Glaskörper des Pavillons übergeht und somit Natur, Raum und Architektur physisch und metaphorisch verbindet. Die Fassaden sind nicht nur Hüllen, die den Raum abschliessen. Vielmehr definieren sie den Raum mit Einschnitten, Ausweitungen und Einzügen. Die Umgebung des Parkes spiegelt sich bald auf den opaken Gläsern, bald wird sie durch gezielt eingesetzte Öffnungen ins Innere geholt. Da zudem die Fenster grosser Fassadenteile versenkbar sind, verstärkt sich die Einbindung des Aussenraumes noch. Im Inneren akzentuieren natürliche und künstliche Lichtquellen die Abfolge von Vortragssaal, Schulungsräumen und Foyers. Kurz: Der Pavillon steht ganz im Sinne der Architekten «für Ruhe und Begegnung und unterstreicht dabei mit seiner unaufdringlichen und zeitlosen Schlichtheit die Schönheit des Ortes».


[ Stefan Gauer, Corinne Itten und Daniel Messerli stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 9. Juni, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.06.04

06. Februar 2004J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Zwischen Vision und Realität

Bauten und Projekte von Piet und Wim Eckert aus Zürich

Bauten und Projekte von Piet und Wim Eckert aus Zürich

Bekannt geworden sind Piet und Wim Eckert mit ihren jüngst vollendeten Wohninseln in Kilchberg. Zuvor waren sie schon in anderen Zürcher Seegemeinden tätig, realisierten aber auch den Prototyp für ein Stahlhaus in Frick. Ausserdem konnten sie im Jahre 2003 den Wettbewerb für das neue WTO-Gebäude in Genf für sich entscheiden.

Im vergangenen Jahr gewannen die Zürcher Architekten Piet und Wim Eckert den spektakulären Wettbewerb für das neue Gebäude der World Trade Organization (WTO) in Genf, an dem sich insgesamt 149 Teams aus 28 Ländern beteiligt hatten. Das Siegerprojekt von Eckert und Eckert Architekten, das eine sinnfällige Verbindung von Architektur und Landschaft eingeht, zeichnet sich durch scharfkantige Glaskuben und transparente Rahmenfassaden aus. Entgegen Schweizer Wettbewerbsrecht favorisierte die Bauherrschaft nachträglich allerdings den zweiten Preisträger, so dass die Realisierung des Entwurfs der beiden jungen Schweizer Architekten belgischer Abstammung mittlerweile ungewiss ist.


Urbanistische Ansätze

Über die Architektenszene hinaus bekannt geworden sind e2a, wie sich Eckert und Eckert Architekten mit modischem Kürzel nennen, durch ihren Beitrag «Nouvelle DestiNation» auf der Arteplage der Expo 02 in Biel: Für das Thema «Der Staat zum Mitdenken» entwickelten sie ein amorphes Luftzelt, das durch eine aufblasbare Haut sein Volumen verändern konnte. Je nach Besucherandrang nahm der Pavillon eine pralle, die Räume verengende Form an oder eine rektanguläre Struktur mit erweiterten Gängen. Schon dieses Projekt zeigte das Bestreben von Piet und Wim Eckert, gegebene Strukturen zu überdenken und in interdisziplinären Arbeitsschritten mit einem programmatischen, stark urbanistisch geprägten Ansatz zu verschmelzen. Ihr Interesse an urbaner Architektur wurde nicht zuletzt durch ihre Tätigkeit bei Rem Koolhaas in den Jahren 1995 bis 1997 geprägt. Seither beschäftigen sie sich - anders als die meisten ihrer Kollegen hierzulande - weniger mit historischen Typologien, Oberflächenbehandlungen oder Materialien als vielmehr mit städtischen Lösungsstrategien, die sich aus regionalen und globalen Anforderungen ergeben. Das klingt kompliziert, aber letztlich geht es heute in der Architekturdebatte mehr denn je darum, vom Mythos der Visionen zu einem wirklichen Erkennen und Durchdringen einer immer komplexer werdenden Gegenwart vorzustossen. Vor diesem Hintergrund ist auch eines ihrer ersten Projekte entstanden: der Prototyp eines Stahlhauses in Frick, von dem drei Einheiten zwischen 1997 und 2002 gebaut wurden. Um das Fünfzimmerhaus für eher günstige 600 000 Franken realisieren zu können, wurde es in einer vorfabrizierten Stahlkonstruktion erstellt. Der aufgefächerte Grundriss erinnert in seiner mäandrierenden Raumfolge an ein Atriumhaus der sechziger Jahre. Das introvertierte Gebäude benötigt nicht viel Umschwung und eignet sich somit für die Serienbauweise in Vorortgemeinden.

Neben einigen Villen in Zürcher Seegemeinden sind die beiden jüngst fertig gestellten Wohninseln in einem Park am Broelberg in Kilchberg (NZZ 12. 12. 03) der bisher wichtigste von e2a ausgeführte Auftrag. Zusammen mit den ersten beiden Wohninseln von Gigon Guyer bildet die Gesamtanlage nun eine lockere Bebauung in einem weitläufig um eine Villa aus den sechziger Jahren angelegten Park. Die an englische Gärten erinnernde Naturgestaltung sollte auf Wunsch der Besitzer erhalten bleiben. Von den Landschaftsarchitekten Vogt und Partner wurde dieses Konzept mit neuen Wegführungen, modulierten Erdformationen, punktuellen Bepflanzungen und der Inszenierung des bereits vorhandenen Teiches weitergeführt.

Die beiden Wohninseln von e2a umfassen sieben bzw. acht Wohneinheiten, die ein U-förmiges Gesamtvolumen bilden. Innenliegende Eingänge und sich nach aussen zur Landschaft hin öffnende Terrassen sichern den Bewohnern der in der Art von Reihenhäusern angeordneten Anlage zwar viel Privatheit. Es entstehen aber zugleich weiträumige, kaum benutzte Erschliessungsflächen. Die luxuriösen Wohnungen sind über vier Ebenen organisiert, wobei im Aussenraum nur zwei Geschosse in Erscheinung treten, da das Sockelgeschoss mit den Garagen und den Kellern im Boden liegt und das vierte Geschoss als einheitlicher Terrassenraum ausgebildet ist. Das ebenerdige Hauptgeschoss teilt sich in ein Entrée mit dahinter liegenden Ess- und Wohnbereichen. Die Küche kann mit einer Glasschiebewand vom übrigen Raum abgetrennt werden. Im hinteren Bereich von Küche und Wohnzimmer befinden sich Oberlichter, die je nach Tageszeit und Wetter unterschiedliche Raumstimmungen erzeugen. Im darüber liegenden Schlafgeschoss können die vier um zwei zentrale Badezimmer angeordneten Räume je nach Bedarf der Mieter gekoppelt und nicht nur als Schlafräume, sondern auch als Büros oder Spielzimmer genutzt werden. Ein grosszügiges Attikageschoss bietet - im Gegensatz zum kollektiven Parkbereich - individuell nutzbare Dachgärten mit Blick auf die Landschaft.


Skulpturale Formen

Das konstruktive Prinzip, die Materialisierung und die Farbgebung der Häuser spiegeln das architektonische Prinzip wider und bilden eine funktionsbezogene Einheit. Ist das Sockelgeschoss ein geschlossener Stahlbetonkörper mit den eingestellten Wohneinheiten, so erscheint das darüber liegende Wohngeschoss als Gefüge von vertikalen Wand- und Glasscheiben. Durch die Vorsprünge des Schlafgeschosses ist dieser Aufbau ablesbar. Er steigert wirkungsvoll die Volumenwirkung der einzelnen Geschosse und nimmt dem Gebäude zugleich die Schwere, weil nur ein Geschoss als geschlossener Körper formuliert ist. Das Schlafgeschoss prägt letztlich das architektonische Bild der Anlage. Mit dunkelrot pigmentiertem Sichtbeton verbindet es die einzelnen Wohnungen und stellt zugleich die optische und formale Anbindung an die bereits vorhandene Bebauung des Broelbergs her. Wie bei den Wohninseln von Gigon Guyer sind auch hier die Fenster das prägende Element der Fassade. Sie liegen zurückgesetzt in der Wand, wobei sich Sturz und Brüstung zu den rahmenlosen Öffnungen neigen. Dadurch erhalten die Wände eine reliefartige Wirkung, die den Gebäuden je nach Lichteinfall einen sich verändernden skulpturalen Ausdruck verleiht.

Piet und Wim Eckert haben mit ihrem durchdachten architektonischen Konzept den Broelberg um eine gediegene und zeitgemässe Architektur erweitert. Schöner lässt sich vor den Toren Zürichs kaum wohnen. Allerdings bleibt dieses Privileg nur finanzkräftigen Mietern vorbehalten. Bleibt zu hoffen, dass Eckert und Eckert ihre komplexen Strukturen bald einmal in einem grösseren und urbaneren Kontext umsetzen können.


[Piet und Wim Eckert stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 11. Februar, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.02.06

02. Mai 2003J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Offene und komplexe Geometrien

Im Jahre 1995 gründeten Yves Stump und Hans Schibli in Basel ein eigenes Architekturbüro und durften gleich drei Wettbewerbserfolge verzeichnen. Vor kurzem konnten nun die von ihnen realisierte Schweizerische Schule für Blindenführhunde in Allschwil und der erste Teil eines Sonderschulheims in Riehen eingeweiht werden.

Im Jahre 1995 gründeten Yves Stump und Hans Schibli in Basel ein eigenes Architekturbüro und durften gleich drei Wettbewerbserfolge verzeichnen. Vor kurzem konnten nun die von ihnen realisierte Schweizerische Schule für Blindenführhunde in Allschwil und der erste Teil eines Sonderschulheims in Riehen eingeweiht werden.

Eine ungewöhnlichere Bauaufgabe als der Neubau der Schweizerischen Schule für Blindenführhunde ist kaum vorstellbar. Typologische Vorgaben gibt es hierfür nicht, denn das gerade in Allschwil bei Basel fertig gestellte Schulgebäude ist wohl einzigartig in Europa. Während auszubildende Hunde sonst eher in Waldnähe in notdürftigen Verschlägen untergebracht sind, konnte hier dank den Mitteln der gleichnamigen Stiftung sowohl architektonisch als auch betriebstechnisch eine hochkomplexe Anlage geschaffen werden. Denn die Ausbildung von Blindenhunden ist eine anspruchsvolle Sache, die viel Ausdauer und Einfühlungsvermögen benötigt. Die Architekten Yves Stump und Hans Schibli entwickelten hierfür eine dynamische und aussagefähige Architektur, die der Anlage eine ganz eigene Identität verleiht. Parallel zum Hang der weiten Wiesen- und Waldlandschaft legten sie eine lange «Funktionsachse», von der die einzelnen Hundetrakte abzweigen. Jeweils zwölf Boxen umschliessen einen Hof für den Auslauf.
Häuser als Lebensräume

Der Eingangsbereich der Anlage ist durch das doppelgeschossige Kopfgebäude definiert, in welchem der Verwaltungs- und der Ausbildungsbereich zusammengelegt und räumlich klar vom Bereich der Hunde getrennt sind. Am Anfang der internen Funktionsachse liegen die Garagen; hierher kehren jeweils die Hunde von ihren «Lehrgängen» in der Stadt zurück. Am Ende der Achse - hinter den Bereichen zur Fütterung und zur Reinigung der Hunde sowie den Boxen - liegen die grösseren Kojen für die Welpen und der Welpengarten. Die Anlage erinnert zunächst an eine Pavillonschule oder an ein gediegenes Hundehotel. Alles ist blitzsauber. Freundliche Hunde begrüssen den Besucher, ausschliesslich Labradore, weil diese sich charakterlich für die Aufgabe am besten eignen. Alles ist auf eine hundegerechte Haltung ausgerichtet. So wurden etwa die Türen der Boxen mit Fenstern versehen, weil die Tiere viel ruhiger sind, wenn sie Besucher und Personal sehen können. Zu den beigefarbenen Betonwänden kontrastiert das Flachdach, das in der hügeligen Landschaft bewusst als fünfte Fassade eingesetzt wird, gezielt mit türkisfarbenem Glasbruch und grünlich reflektierenden Oberlichtern.

Mit dem Gebäude für die Blindenhunde veranschaulichten Stump & Schibli auf eindrückliche Weise ihren architektonischen Ansatz, der darauf beruht, komplexe Strukturen in eine einfache, alltagstaugliche, aber dennoch komplexe Sprache zu übersetzen. Im Jahre 1995, als sie ihr gemeinsames Büro in Basel gründeten, konnten sie gleich in drei Wettbewerben erste Preise erzielen. Es handelte sich dabei um die bereits erwähnte Schule für Blindenhunde, um die Wohnsiedlung an der Brohegasse und um das Sonderschulheim «Zur Hoffnung» in Riehen, das ebenfalls vor kurzem fertig gestellt werden konnte. «Uns gefallen Gebäude, die so aussehen, als wären sie schon immer da gewesen», resümiert Yves Stump die eigene Arbeit, und mit dem Sonderschulheim ist ihnen ein solches Gebäude beispielhaft gelungen. Wie selbstverständlich gliedern sich die drei neuen Bauvolumen in die grosszügige Parklandschaft ein und bilden mit den bestehenden Patrizierhäusern ein gediegenes Architekturensemble.

Das vom Grossvater C. G. Jungs gegründete Sonderschulheim hat seit 1914 seinen Sitz an der Mohrhalde in Riehen. 1995 wurde der Wettbewerb für die dringend gewordene räumliche Erweiterung ausgeschrieben, deren erste Etappe vor wenigen Monaten bezogen werden konnte und deren zweiter Teil in einem Jahr fertiggestellt werden soll. Bereits vollendet sind zwei Wohnhäuser für je vier Wohngruppen und ein Betriebsgebäude mit Aula, Cafeteria, Büros und Sitzungszimmern. Zurzeit im Bau ist ein Schulhaus mit Turnhalle, Therapiegebäude und Hallenbad. In enger Zusammenarbeit mit der Heimleitung sind Lebensräume für Behinderte entstanden, die mit der gängigen Vorstellung eines Heims kaum etwas gemeinsam haben. Von aussen sehen die Häuser eher wie gediegene Villen aus. Dunkler Klinker verleiht den Kubaturen eine schützende, beinahe textil anmutende Hülle.

Das Leben der Behinderten in einem Haus und nicht in einem Heim ist hier Programm. Die Bauten nutzen geschickt das abfallende, für Behinderte nicht gerade ideale Terrain, so dass jede Wohnung einen Zugang nach aussen hat. Diese weite Öffnung zum Aussenraum erinnert an Ferienhäuser und erlaubt den Behinderten den ständigen Kontakt mit der Natur, der ein wichtiger Teil der Therapie ist. Direkt um die zentralen Versorgungskerne sind die Zimmer mit Wohn- und Spielflächen angeordnet. Durch das Vermeiden langer Korridore konnte ein familienähnliches Ambiente geschaffen werden. Die bodenlangen, zweigeteilten Fenster bieten zusammen mit einer tiefen, innenliegenden Nische Raum zur individuellen Gestaltung, der auch von aussen identifizierbar ist und der den Kindern Orientierung und Zugehörigkeit vermittelt. Es sind solche Kleinigkeiten, die grosse Auswirkungen auf die Bewohner haben und deren Benachteiligungen kompensieren können.
Verdichten des Entwurfsprozesses

Mit dem Sonderschulheim ist es den Architekten gelungen, die soziale Integration der zum Teil schwerbehinderten Kinder in unser modernes Leben anschaulich umzusetzen. Darüber hinaus ist es ein gutes Beispiel für die diskursive Zusammenarbeit zwischen Heimleitung und Architekten. Der moderne, zeitgemässe Ausdruck der Architektur verweist zunächst auf die «Normalität» der Bewohner. Zugleich zeigen die durchdachten Details und Funktionszusammenhänge, dass das behindertengerechte Wohnen den Entwurf in jeder Phase bestimmte. Schon durch das architektonische Konzept der Trennung von Wohn-, Schul- und Tätigkeitsbereichen ergibt sich für die Behinderten ein intensiveres Erleben des Tagesablaufes. Dieses Verdichten des Entwurfsprozesses zeichnet die Arbeiten von Stump & Schibli aus. Auf ein heterogenes Umfeld mit angemessener Konfrontation und mit mehrfacher Lesbarkeit auf das Vorhandene zu reagieren, darin sehen sie eine grosse Herausforderung. Dabei ziehen sie die alltägliche Architektur anonymer Bauten den exakt definierten Leitbildern vor. Ihre bisherigen Projekte zeigen eindrücklich, dass auf diesem Wege klare und nachhaltige Architekturen entstehen, deren Kraft sich erst bei näherer Betrachtung vollständig erschliesst.


[ Yves Stump und Hans Schibli stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am Mittwoch, 7. Mai, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 17 vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.05.02

07. März 2003J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Kollektive Strategien

Das Zürcher Büro „pool Architekten“

Das Zürcher Büro „pool Architekten“

Von „pool Architekten“ hat man in Fachkreisen schon gehört, und dennoch weiss kaum einer, wer sich in diesem Pool befindet. Der Name ist Programm, denn es geht um eine partnerschaftlich organisierte Architektengruppe, bei der nicht der Einzelne im Vordergrund steht. Im Jahre 1994 hatten sich einige Architekten zusammengefunden, um über Baukunst und Städtebau zu diskutieren. 1996 wurde aus diesem „Debattierklub“ eine Architektengemeinschaft, die 1998 in der Gründung der „pool Architekten“ Genossenschaft mündete, der als Partner Dieter Bachmann, Raphael Frei, Mathias Heinz, Philipp Hirtler, David Leuthold, Andreas Sonderegger, Mischa Spoerri und Matthias Stocker angehören. Die gegenwärtig 18 Mitglieder von „pool Architekten“, die das gesamte Spektrum des Berufsbildes abdecken, sind zwischen 35 und 40 Jahre alt. Sie bringen die unterschiedlichsten Berufserfahrungen mit, haben aber fast alle an der ETH Zürich studiert. Grossen Wert legen sie darauf, dass genossenschaftlich für sie gemeinschaftlich heisst: Jeder ist seinen Erfahrungen und Leistungen entsprechend an den Projekten beteiligt, ohne die oftmals anonyme Hauptarbeit leisten zu müssen, für die dann ein Chef die Lorbeeren erntet. So können „pool Architekten“ eine beachtliche Zahl von Wettbewerbsbeteiligungen vorweisen. In Zürich machten sie bei fast allen grösseren Ausschreibungen mit - etwa beim Maag-Areal oder beim Landesmuseum. Gross ist aber auch die Liste der Prämierungen: Jeweils den ersten Preis erhielten sie für den Ideenwettbewerb des Brüggli-Areals in Romanshorn, die Zentrumsplanung Kriens, den Studienauftrag Furenmatte in Grindelwald und die Wohnüberbauung in Leimbach.
Der erste grosse Achtungserfolg des ehemaligen Debattierklubs war 1998 der dritte Preis im Wettbewerb für das Musée d'Ethnographie in Genf. Den ersten Auftrag erhielten sie daraufhin in Zürich mit der Funktionsentflechtung von zwei einander gegenüberliegenden Schulhäusern in Altstetten. Die von den Gebrüdern Pfister 1909 erbaute Schule Altstetterstrasse wird von „pool Architekten“ weitgehend in den ursprünglichen Zustand zurückgeführt, während die 1945 von Jacques Schader errichtete und in den sechziger Jahren erweiterte Schule an der Eugen-Huber-Strasse für Sehbehinderte umgebaut wurde. Beide Schulhäuser sind als Schutzobjekte von kommunaler Bedeutung auch für die Architekten zu einem Lernort spezifischer Prägung geworden: Trotz umfassenden Sanierungsmassnahmen versuchten sie ihre Interventionen behutsam der bestehenden Gebäudestruktur unterzuordnen. Farben, Materialien und klare Lichtführung wurden zur besseren Orientierung der Kinder gestaltet.

Innerstädtische Eingriffe und das Schaffen neuer Identitäten an der Peripherie, die städtebaulich durchdacht sein müssen, interessieren „pool Architekten“ besonders. Dazu hatten sie in den letzten Jahren mehrmals Gelegenheit: vom Umbau der Bibliothek der Sammlung Oskar Reinhart in Winterthur und der Büros der Fraumünsterpost in Zürich über die Umgestaltung des Asian Take-Away in Oerlikon, des Cafés Plüsch in Wiedikon und der Bodenseefähre „Meersburg“ bis hin zu Veränderungen von Ein- und Mehrfamilienhäusern. „Unterschiedliche Entwurfsparameter führen zu unterschiedlichen Lösungen“, heisst es denn auch bei „pool Architekten“, die sich nicht auf eine Architektursprache oder auf spezielle Aufgaben festlegen wollen.

Nun können „pool Architekten“ ihr erstes wirklich grosses Projekt realisieren: zwei Wohnblöcke in Leimbach. Die beiden amorphen Baukörper stehen gestaffelt am Fuss des Üetlibergs im Sihltal und fassen mit ihrer Baumasse in bewusster typologischer Anlehnung an Grossformen der sechziger Jahre die umgebenden Streusiedlungen zu neuer Einheit zusammen. Zwei Genossenschaften planen hier 116 grosszügige Wohnungen, darunter 31 Maisonettes mit Sicht auf Zürichsee und Alpen. Das Credo von „pool Architekten“, neue Identitäten in der Agglomeration zu schaffen, wird in diesem ehrgeizigen Vorhaben paradigmatisch umgesetzt. Die schrägen Dachlinien der siebengeschossigen Volumen zeichnen den Geländeverlauf nach und nehmen den Bauten optisch die Schwere. Durch die Vorsprünge von Fassaden und Geschossebenen, aber auch durch das dreispännige Erschliessungssystem entstehen ebenso unterschiedliche wie ungewöhnliche, in der jüngeren Schweizer Architektur nicht eben häufig anzutreffende Grundrisstypen, die eine Planung von innen nach aussen sowie eine Analogie zum Wohnbau der sechziger Jahre zeigen. Die sich teilweise überlagernden Wohnungen haben Balkone oder Dach- bzw. Gartenterrassen und sind auf drei Seiten zur Landschaft ausgerichtet.

Mit Grossformen, aber auch mit versetzten Räumen, die sich aus der Funktion oder der Topographie ergeben, verweisen die Arbeiten von „pool Architekten“ auf das geistige Umfeld von Berliner Architekten wie Hans Scharoun. Auch bei ihrem jüngsten Projekt, einem Einfamilienhaus am See in Altendorf, finden sich gebrochene Geometrien sowie stumpf- und spitzwinklige Räume, die sich aus komplizierten, aber durchdachten Funktionszusammenhängen ergeben. Es geht ihnen aber nicht in erster Linie um die Form. Vielmehr wenden sie sich gegen selbstreferenzielle Bauten und fordern stattdessen deren gesellschaftliche Verankerung.


[ „pool Architekten“ stellen sich im Rahmen eines Vortrags am 12."März um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.03.07

01. November 2002J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Räume machen Schule

Die Bauten von Marco Graber und Thomas Pulver

Die Bauten von Marco Graber und Thomas Pulver

Im August wurde er fertig gestellt, der Erweiterungsbau des Primarschulhauses Bachtobel in Zürich. Schon im Vorfeld hatte er auf Grund neuer Planungsprämissen des Zürcher Hochbauamtes für Furore gesorgt. Endlich sollten die Kenntnisse moderner Unterrichtsmethoden und die Bedürfnisse der Kinder in Planung und Architektur stärker berücksichtigt werden. Neben pädagogischen Vorgaben wurde bei der Jurierung auch kindgerechtes Bauen gewichtet. Zur Ausführung bestimmt wurde der Entwurf von Marco Graber und Thomas Pulver, der sowohl den pädagogischen Leitbildern entsprach als auch architektonisch überzeugte. Den alten Gegensatz zwischen guter Architektur - deren Definition immer das Privileg der Avantgarde ist - und den Bedürfnissen zeitspezifischer Nutzung mögen Graber und Pulver nicht gelten lassen. Während andere Projekte zu sehr auf die autonome Wirkung kubischer Formen oder die Analogien zum alten Schulhaus von Albert Heinrich Steiner setzten, schafften Graber und Pulver durch die Verschleifung unterschiedlicher Geometrien einen differenzierten Baukörper, der zugleich individuierte Raumfolgen zulässt und vom traditionellen Schema der an einem Flur aufgereihten Klassenzimmer abweicht.

Um der Turnhalle das mächtige Volumen zu nehmen, wurde sie halb in den Boden versenkt. Zugleich reflektiert sie die Fluchtlinie der angrenzenden Tennisplätze. Bei der Verbindung zu den Klassenräumen knickt das Gebäude leicht, wodurch der Bezug zum Schulgarten hergestellt wird. Wie von selbst entsteht so ein grosser, trichterförmiger Pausenraum, der gleichsam organisch den Bewegungsabläufen der Kinder folgt: Der Korridor etwa ist dort am breitesten, wo die zu Beginn der Pause nach draussen stürmenden Schüler zusammenlaufen. Er ist aber auch Aufenthaltsraum und ein Ort zum Spielen und Verweilen. Er ist Zugang zu den Klassenräumen, Verteiler für die Aufgänge zu den oberen Schulräumen und zugleich Treppenhaus für den Eingang der Turnhalle - ein komplexer Knotenpunkt also, der auch räumlich formuliert ist und dem Schulhaus nicht zuletzt dadurch die spezifische Note gibt.

Mehr als fünf Schulhauswettbewerbe konnten Graber und Pulver für sich entscheiden, so dass sie mittlerweile als Experten auf diesem Gebiet gehandelt werden. Erste Erfahrungen brachte das Gebäude der Lehrwerkstätten in Bern Felsenau (NZZ 3. 8. 01). Ähnlich wie im Schulhaus Bachtobel nutzten Graber und Pulver auch hier den Erschliessungsbereich, um räumlich komplexe Strukturen wirksam werden zu lassen. Der verglaste Windfang führt den Blick durch das grosse gegenüberliegende Fenster zu den Dächern der Werkhallen; hier wird sofort die Struktur des Gebäudes offenbar, eine wirkliche Erschliessung auch im übertragenen Sinn.

Dass Graber und Pulver auch ganz anderes können, haben sie nicht zuletzt mit ihrem Pavillon der Expo agricole in Murten bewiesen. Im Gegensatz zu vielen anderen Expo-Bauten betonte die Halle bewusst ihren ephemeren Charakter - allein schon durch die fast ausschliessliche Verwendung von rezyklierbaren Holzelementen. Auf den sich kreuzenden vertikalen Holzstützen liegen sechs Fachwerkträger auf. Sie tragen das rautenförmige Sparrennetz, auf dem das transparente Dach aus Scobalit montiert ist. Mit einem einfachen Vorhang aus glasfaserverstärktem Stoff kann die dreiseitig offene Halle vor der Witterung geschützt werden. So erinnert die einfache Halle an einen grossen Korb oder aber an einen überdimensionalen Gartenzaun. Allerdings vermieden sie handwerkliche Präzision, wie Schweizer Architekten sie sonst so gerne wiederbeleben. Die Balken liegen einfach aufeinander, werden durch Metallspangen gehalten und sind nicht verzapft oder verfugt. Das verstärkt die plastische Wirkung der Details.

Diese scheinbare Leichtigkeit zeichnet die Bauten von Marco Graber und Thomas Pulver aus. Im Gegensatz zur «Schweizer Kiste», bei der oftmals die starke Form auf Kosten räumlicher Komplexität geht, ist bei ihnen die autonome Form ohne spezielle Räume kaum denkbar. Vielleicht liegt das an den Lehrjahren in Spanien, in denen Graber und Pulver eine grössere Unbefangenheit im Umgang mit Architektur lernten. Nach der Ausbildung an der ETH in den achtziger Jahren, in denen es einen «ungeheuren Zwang zur Begründung» gegeben habe, sei das dringend nötig gewesen, meint Thomas Pulver. Ihre Architektur lebt nicht von konstruktiver Wahrheit und nicht von orthogonalen, entwerferisch leicht kontrollierbaren Räumen. Ihre Bauten irritieren, thematisieren Widersprüche, mischen sich in ihre Umgebung konzeptuell ein und sind somit ein wichtiger und konstruktiver Beitrag zum derzeitigen Architekturgeschehen.


[ Graber und Pulver stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 6. November, um 18 Uhr 30 im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.11.01

06. September 2002J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Vom Umgang mit Formen

Zur Architektur von Sandra Giraudi und Felix Wettstein

Zur Architektur von Sandra Giraudi und Felix Wettstein

Die in den siebziger Jahren „Tendenza“ genannte Tessiner Schule ist international bekannt. Längst sind deren Protagonisten - Mario Botta, Aurelio Galfetti, Luigi Snozzi und Livio Vacchini - anerkannte Meister, und jüngere Baukünstler wie Raffaele Cavadini, Michele Arnaboldi oder Roberto Briccola setzen die Tradition fort. „Eigentlich ist es hier für Nachwuchsarchitekten im Moment leichter als in der Deutschschweiz“, meint Felix Wettstein: „Hier sind die Leitfiguren bereits fünfzehn Jahre älter und wollen nicht mehr alles selbst bauen.“ Sandra Giraudi und Felix Wettstein haben 1995 ihr gemeinsames Büro in Lugano gegründet und mit dem Labor- und Informatikgebäude der Universität Lugano soeben ihr erstes grösseres Projekt fertiggestellt.


Ein Laborgebäude in Lugano

Der Campus der neuen Tessiner Universität wurde von Aurelio Galfetti städtebaulich geplant und von ihm sowie einigen jüngeren Tessiner Architekten - Michele Christen, Giraudi & Wettstein, Martini & Fioretti, Giorgio und Michele Tognola - mit einzelnen Gebäuden bestückt (NZZ 2."8."02). Um das Rückgrat des Geländes, ein zwischen 1905 und 1909 errichtetes ehemaliges Spital, gruppieren sich nach der ursprünglichen Idee von Peter Zumthor nicht einzelne Fakultätsgebäude, sondern Bauten für Bibliothek, Hörsäle und Labors sowie die Aula. Mit dem Laborgebäude konnten Giraudi & Wettstein den höchsten Bau des Campus errichten, einen sechsgeschossigen Quader.

Die Luganeser Architekten entwarfen das Gebäude in bester Schweizer Manier: klare Setzung, Eindeutigkeit in Raum und Struktur und wenige, gezielt verwendete Materialien. Konträr zum konventionellen Bürohaus, bei welchem Erschliessungen und Nebenräume im Gebäudekern liegen, befindet sich die Vertikalerschliessung an den Eckpunkten des Gebäudes, und die Wege zu den Arbeitsplätzen der Studenten liegen direkt an der gläsernen Fassade. Pro Geschoss gibt es so einen stützenfreien Raum mit Sichtbezug zur Campusanlage und zur Stadt. Die Arbeitskojen sind durch halbhohe Wände aus Birkenholz getrennt.

Es blieb die Frage des Sonnenschutzes, der die Transparenz nicht beeinträchtigen sollte. Das bei der durchgehenden Glashülle und dem südlichen Klima wichtige Thema haben Giraudi & Wettstein mit einem Clou gelöst, der Schule machen könnte. Um die Glashaut nicht ständig mit Storen zu verdecken, wie es sonst üblich ist, wurde eine Art Gardine montiert, die geschossweise dem Sonnenlauf folgt. An Regentagen bleibt sie an der Ausgangsposition im Norden stehen. Das klingt zwar einfach, der Lamellenvorhang bedurfte aber einer ausgeklügelten Konstruktion, die eigens entwickelt werden musste. Mit Sonnenenergie angetriebene Motoren ziehen den Vorhang auf Schienen. Um die Ecken muss er eine erweiterte Schlaufe fahren, was dem Gebäude die signifikanten „Ohren“ verleiht - ein Lehrstück in Sachen „form follows function“.

Dass die Architekten mit Formen umzugehen wissen, zeigte schon das erste Gebäude, die 1995 am Fusse der Denti della Vecchia errichtete Casa Di Paola. Die Blickachsen gaben den Ausschlag, die Wände zu spreizen, die Räume zu öffnen und vom orthogonalen Entwurfsschema abzuweichen. So entstanden differenzierte Raumbezüge und ein skulpturaler Baukörper, der zudem durch die glatten Wände und den rauen Beton im Inneren die Konvention des Alltäglichen in Frage stellt.


Gefaltete Dachlandschaft in Basel

Ob ihnen das auch bei ihrem bisher grössten Projekt gelingt, wird sich im Herbst 2003 zeigen: Dann wird die Passerelle beim Basler SBB-Bahnhof eingeweiht. Überraschend hatten Giraudi & Wettstein 1996 zusammen mit den spanischen Architekten Antonio Cruz und Antonio Ortiz den Wettbewerb für die neue Perronerschliessung gewonnen. Der Geniestreich liegt auch hier in der Verbindung der freien Form der Perrondächer mit grösstmöglicher Nutzung. Schliesslich handelt es sich in Basel um weit mehr als um eine Fussgängerbrücke; der neue Querriegel über den Geleisen dient nicht nur der Erschliessung der Perrons, er wird auch den jenseits der Gleisanlage gelegenen Stadtteil Gundeldingen besser ans Zentrum anbinden. Zudem wird die Passerelle mit ihren Läden und Dienstleistungsangeboten die alte, kleine und räumlich unbefriedigende Bahnhofhalle in ihrer Funktion ergänzen, ohne deren städtebauliche Situierung zu verändern. Der Bau stellt für Giraudi & Wettstein eine grosse Herausforderung dar, doch die Zusammenarbeit mit dem im Bahnhofsbau erfahrenen Büro Cruz & Ortiz ist sehr gut, wie Luganeser Architekten betonen.

Der Längsriegel besticht schon auf den ersten Blick durch die unregelmässig gefaltete Dachlandschaft, die zwar auf genauester Kenntnis der Perrondächer des SBB-Bahnhofs und des französischen Bahnhofs beruht, die aber zugleich eine freie und starke Form darstellt, die das Stadtbild künftig prägen wird. Das traditionelle Perrondach wird also uminterpretiert in eine räumlich differenzierte „Scheibe“, die zwei Bahnhofs- und Stadtteile verklammert. In der Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen Funktion und Form liegt ein wichtiges Moment des Schaffens von Giraudi & Wettstein. Bei ihnen scheinen räumliche und ästhetische Kriterien einen gleich hohen Stellenwert zu besitzen. Dies kündigt nach Jahren des Primats der Detaillösungen und der Fixierung auf das Material nicht nur für das Tessin eine ernst zu nehmende Tendenzwende an.

[ Giraudi & Wettstein stellen ihre Arbeiten am Mittwoch, 11."September, um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.09.06

03. Mai 2002J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Herausschälen von Grundprinzipien

Junge Schweizer Architekten - zum Schaffen von Christian Kerez

Junge Schweizer Architekten - zum Schaffen von Christian Kerez

Ebenso ungewöhnlich wie seine Laufbahn ist seine Architektur: Nach dem ETH-Studium bei Fabio Reinhard - aus dessen eigenwilliger Kaderschmiede viele erfolgreiche junge Schweizer Architekten stammen - bildete sich der 1962 geborene Christian Kerez zunächst autodidaktisch zum Architekturphotographen weiter. «Der Photograph ist der Komplize des Architekten», meint Kerez. Daneben sieht er in der Architekturphotographie eine der besten Möglichkeiten, sich auf der Ebene des Bildhaften mit Architektur auseinanderzusetzen. Von ihm stammt denn auch ein in Fachkreisen vielbeachtetes Buch über Kraftwerke des Kantons Graubünden. Nach mehreren Jahren als Photograph wandte sich Kerez 1992 wieder der Architektur zu und arbeitete bei Rudolf Fontana in Domat-Ems. Dort entwarf er sein erstes kleines Gebäude, die Kapelle bei Oberrealta, mit der er seine programmatische Entwurfsauffassung veranschaulichte.


Reduktion auf das Grundsätzliche

Die auf dem Scheitelpunkt eines Hochplateaus gelegene Kapelle erinnert mit ihren vier quadratischen Wänden und dem schrägen Dach an ein Gotteshaus und ist zugleich eine Art Urhütte. Schnell wird jedoch klar, dass dem Bau traditionelle Merkmale fehlen: Er hat keine Tür, dafür eine türgleiche Öffnung, er hat keine Fenster, aber einen metaphorischen Lichtschlitz, er hat kein richtiges Dach, weil er aus einem einzigen Betonblock besteht und somit weniger ein Haus als vielmehr die Skulptur eines Hauses ist.

Nachdem Kerez 1993 in Zürich ein eigenes Büro eröffnet hatte, entwarf er zusammen mit Meinrad Morger und Heinrich Degelo das Kunstmuseum Liechtenstein, das Ende 2000 eröffnet werden konnte (NZZ 11. 11. 00). Dieser Bau zeigt das Bestreben, den architektonischen Gehalt eines Gebäudes auf ein grundsätzliches Thema zu reduzieren und auf elementare Art die Definition des Raumes herauszuarbeiten. Das Museum präsentiert sich als erratischer Block, dessen dunkle Haut kaum etwas von seinem Inneren freigibt. Bis auf das Äusserste reduziert, sorgt das Gebäude für Irritation, aber auch für Identität und vielschichtige Konnotationen. Keine Applikation und keine Fuge lenkt vom Wesentlichen ab. Die raffinierte Materialisierung nobilitiert den Bau zu einem Kunstschrein. Vielschichtigkeit, verbunden mit inhaltlicher Mehrfachcodierung, die jedoch immer auf den Kern des Gedankens und damit zum Gebäude selbst zurückführt, macht seither die Eindringlichkeit von Kerez' Architektur aus.

Zurzeit arbeitet Christian Kerez an zwei Projekten: einem Mehrfamilienhaus am Zürichberg und einem dreigeschossigen Schulhausneubau in Eschenbach im Kanton St. Gallen. Bei diesem sind die Schulzimmer nicht an einem Flur aufgereiht und über die Geschosse gleich verteilt, vielmehr versuchte Kerez eine volumenhafte Gesamtgestaltung zu erreichen und dennoch kostengerecht zu bauen. Die drei Geschosse sind durch zwei durchgehende Treppenhäuser verbunden. Sie vereinen die drei Pausenhallen zu einem Gesamtraum und bilden zugleich die Tragstruktur der Geschossplatten. Die Pausenhallen werden von Fensterbändern belichtet, die zugleich Raumabschluss der angrenzenden Schulzimmer sind. Alle Raumschichten werden horizontal und vertikal miteinander verbunden und erzeugen so ungewöhnliche Beziehungen und Wahrnehmungen der Volumen. Da die Fassadenstützen aussteifend wirken müssen, sind sie schräg gestellt, umspannen das Schulhaus wie ein gestelztes Gitternetz und geben dem Gebäude auch optisch Halt.

Das Bearbeiten grundsätzlicher architektonischer Themen interessiert Kerez ebenso wie die elementaren Strukturen der Architektur, denen er sich in langen Arbeitsprozessen durch immer neue Modellstudien annähert. So hat die Schule in Eschenbach anders als die meisten Schulhäuser keinen repetitiven Grundriss. Vielmehr ist das Gebäude als skulpturale Einheit gedacht. Es erzielt diese Körperlichkeit aber nicht - wie heute oftmals zu sehen - durch schnell zur Beliebigkeit erstarrte Gleichförmigkeit. Für Kerez ist der Entwurf ein Prozess der Freilegung, des Herausschälens architektonischer Grundprinzipien, die bei den differenzierten Funktionszuweisungen gegenwärtiger Architektur kaum noch erkennbar sind. Dadurch wirken seine Projekte oftmals wie Prototypen, die allerdings nicht nach der Entstehung weiter verfeinert werden. Vielmehr steht der Prototyp am Ende eines immer weiter reduzierten und auf das Elementare zurückgeführten Grundgedankens. Dabei grenzt sich Kerez heute klar vom Schweizer Minimalismus ab: Ihn interessiert nicht die formale Reduktion, sondern die Reduktion auf ein grundsätzliches Thema des Entwurfs. Das klingt kompliziert, führt aber immer zu Entwürfen von einer einfachen und selbstverständlichen Vielschichtigkeit.


Durchblicke und Bezüge

Nach solcher Komplexität strebte Kerez auch bei dem Entwurf seines Zürcher Mehrfamilienhauses, das zurzeit realisiert wird. Mit durchgängig aufgeglasten Wänden und horizontalen Geschossscheiben scheint es Grundthemen der klassischen Moderne aufzunehmen und weiterzuentwickeln. Die Räume der Wohnungen sind nicht durch Wände begrenzt. Vielmehr gliedern Raumscheiben, die zugleich die Tragstruktur des Hauses bilden, den fliessenden Grundriss. Dadurch entstehen überraschende Durchblicke und Bezüge, die der Nutzer als räumliches Kontinuum erlebt und die sich zugleich aus der statischen Logik des Hauses erklären. Es entstehen weite Räume, die sich in den Glasfenstern auflösen und so das Wohnen um eine Dimension erweitern. Bleibt nur zu hoffen, dass die künftigen Bewohner dem Konzept folgen. Dazu meint Kerez lakonisch: «Es gibt kein Abenteuer mit einem sicheren Ausgang.»


[Christian Kerez stellt im Rahmen eines Vortrags seine Arbeiten am 15. Mai um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.05.03

01. März 2002J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Gebrauchswert und Formdisziplin

Der Zürcher Architekt Marc Ryf machte Anfang der neunziger Jahre mit der «Chilefeld»-Schule in Obfelden und jüngst wieder mit einer Schulhauserweiterung in Kreuzlingen von sich reden, bei der die Benutzerfreundlichkeit ebenso wichtig ist wie Stimmung und Atmosphäre. Zurzeit arbeitet er an zwei Projekten für den Zürcher Zoo.

Der Zürcher Architekt Marc Ryf machte Anfang der neunziger Jahre mit der «Chilefeld»-Schule in Obfelden und jüngst wieder mit einer Schulhauserweiterung in Kreuzlingen von sich reden, bei der die Benutzerfreundlichkeit ebenso wichtig ist wie Stimmung und Atmosphäre. Zurzeit arbeitet er an zwei Projekten für den Zürcher Zoo.

Berichtet man von der jungen Schweizer Architektur, so ist man schnell beim Schulhausbau. Es scheint, als bilde dieser fast das einzige Betätigungsfeld, auf dem sich Berufseinsteiger profilieren können. In allen Kantonen werden öffentliche Schulen umgebaut, erweitert oder neu projektiert, und es ist erklärtes Ziel der Behörden, junge Architekten bei den Ausschreibungen zu berücksichtigen. Für den Zürcher Architekten Marc Ryf war es die Erweiterung der Schulanlage «Chilefeld» in Obfelden, bei deren Realisierung er erste Erfahrungen sammeln konnte. Die kompakten Pavillons, die er zwischen 1991 und 1993 in Zusammenarbeit mit Remo Sciessere errichtete, vermitteln in ihrer präzisen Nüchternheit noch heute das wohlüberlegte Credo des Architekten: Primär für ihn ist die gute Benutzbarkeit der Bauten und deren ganz eigene Stimmung und Ausstrahlung.

Seit Jahren arbeitet Ryf an seinem bisher grössten Projekt, der Erweiterung der Kantonsschule Kreuzlingen, deren Wettbewerb er 1992 gegen 56 Teilnehmer für sich entscheiden konnte (NZZ 6. 10. 00). Die komplexe Aufgabenstellung verlangte ein zweckmässiges Gesamtkonzept für die bestehende heterogene Anlage, deren bauliche und schulbetriebliche Situation unbefriedigend war. Der neoklassizistische Kernbau von 1882 war durch Anbauten von 1940 und 1970 zu einem architektonischen Hybriden geworden. Mit logischer Konsequenz stellte Ryf den drei Zeitschichten eine eigenständige vierte gegenüber. Die terrassierten Volumen seines Erweiterungsbaus fügen als zweigeschossige rechtwinklige Klammer die verschiedenen Teile geschickt zu einem räumlich nachvollziehbaren Ensemble. Wie selbstverständlich gruppieren sich die verschiedenen Bauten um den zentralen Pausenhof, legen die bauhistorische Entwicklung der Schule frei und vermitteln den Schülern einen Hauch von universitärer Campusatmosphäre.


Architektur im Kontext

Die architektonische Gliederung offenbart sich in der klaren Nutzungsstrategie: Der alte Kernbau wird renoviert und erhält seine Grundstruktur zurück. Auch das Gebäude aus den siebziger Jahren blieb in der Struktur erhalten, bekam aber ein neues Farbkonzept, während die ehemalige Turnhalle - einst am Rande, nun im Zentrum des Komplexes gelegen - mit Cafeteria, Mehrzweckhalle und Lehrerzimmer neu die Gemeinschaftsfunktionen aufnimmt. Der Neubau schliesslich beherbergt die technisch anspruchsvollen Räume für Naturwissenschaften, Musik und Bibliothek.

Das von Fachleuten und Lehrern einhellig begrüsste Konzept von Marc Ryf wurde 1995 von den Stimmbürgern abgelehnt. Erst das überarbeitete Projekt, das nahezu fünfeinhalb Millionen Franken billiger, aber bis auf ein geringfügig reduziertes Raumprogramm (eine statt zwei Turnhallen) mit dem ersten Entwurf fast identisch war, wurde in der zweiten Abstimmung 1997 angenommen. Auch wenn der verkürzte Turnhallentrakt das Geviert nicht mehr vollständig schliesst, blieb der Grundgedanke erhalten. Im Jahre 2000 konnte der Neubau und im Jahr darauf der erneuerte Trakt aus den siebziger Jahren bezogen werden. Im kommenden Sommer wird mit der Renovation des ältesten Gebäudes die Erweiterung der Kantonsschule abgeschlossen sein.

«Der Neubau überzeugt durch seine klare, zurückhaltende Gestaltung», lobte der Kantonsbaumeister. Für die Schülerzeitung der «Kanti» ist er im «angesagten Bunkerstil gehalten». Beide Feststellungen sind richtig. Sie belegen, dass die Architektur vor Fachleuten und Laien gleichermassen bestehen kann. Gemeint sind die ruhigen Volumen des Neubaus, die mit klaren Fassaden der vielschichtigen Gesamtanlage das Rückgrat liefern. Die Bekleidung besteht nur aus einem Material, durchgefärbten, faserarmierten Feinbetonplatten, die mit den alternierenden, zweigeschossigen Fenstereinteilungen an der Seite zum Pausenplatz ihre Form erhalten. Die Fensterbänder werden von schmalen, vertikalen Öffnungen mit weit vorkragenden, trichterförmigen Brüstungen unterbrochen. Sie bleiben offen, wenn bei starkem Lichteinfall die übrigen Fenster mit Storen verdunkelt werden. Die tiefen Brüstungen werfen Schatten und erzeugen die signifikante Reliefwirkung der Fassade.

Marc Ryfs Architekturen wirken optisch ausgewogen, städtebaulich sicher placiert und zeugen von einer souveränen Verknüpfung komplexer räumlicher Strukturen. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Ryf die Entwürfe immer wieder am gebauten Modell überprüft. Es gibt keine virtuellen 3-D-Simulationen, dafür immer neue Modelle, an denen veränderte Raumsituationen geklärt werden. Dadurch entsteht ein simultaner Entwurfsprozess, bei dem der Plan zum Modell wird und das Modell zum Entwurf. So scheint es fast folgerichtig, dass Ryf und seine Mitarbeiter möglichst unterschiedliche Projekte bearbeiten und sich trotz dem Erfolg mit Schulbauten nicht gerne auf eine Gattung festlegen lassen. Schliesslich reichen die Arbeiten und Studien von der Innenrenovation der Kirche St. Jakob über Ausstellungsbauten im Helmhaus und eine Leitbildplanung für die Dolderbahn (alle in Zürich) bis hin zu einem Fischzuchtbetrieb in Aserbeidschan.


Bauen für den Zoo

Zurzeit ist Ryf vor allem mit zwei Projekten für den Zürcher Zoo beschäftigt. Im Rahmen der völligen Neugestaltung des Zoos unter der Gesamtplanung der Landschaftsarchitekten Vetsch, Nipkow und Partner ist Ryf für die architektonische Bearbeitung der neuen Himalaja-Anlage zuständig. Im Gegensatz zur früheren Tierhaltung in engen Gehegen und Ställen sollen nun weniger Tierarten in ihnen entsprechenden Landschaften so frei wie möglich leben, während die Besucher auf vorgeschriebenen Wegen den Lebensraum der Tiere gesamtheitlich erfahren können. Gab es früher noch imposante Zooarchitekturen, in denen die Tiere eher die Staffage waren, werden sie heute auch in ihrem Umfeld wahrgenommen. Diese Strategie erfordert vom Architekten intensive Planungsarbeit im Team mit Zoofachleuten und Landschaftsgestaltern. So entwarf Ryf neben künstlichen Felsen, die im Inneren mit der nötigen Technik ausgestattet sind, Unterstände und Gehege für Tiere aus ortstypischen Materialien. Dabei ist es eine Gratwanderung, damit aus einer guten Idee nicht ein Disneyland wird. Hier kann gerade Architektur, die sich auf ihren funktionalen Gehalt besinnt, relativierend einwirken.

Ganz anders ist Ryfs Kinderzoo-Projekt, hier wird die Welt der Kinder auf jene der Tiere treffen. In bunten Farben sollen Pavillons und Gehege für Spiel- und Lernbereiche wechseln, in denen Kinder den direkten Kontakt zu den meist einheimischen Tieren aufnehmen können. So wie der neue Zürcher Zoo heute Lebensräume für Tiere wirklich ernst nimmt, so wird der Kinderzoo (neu: Zoorama) ein architektonisches Konzept präsentieren, das nur aus den Bedürfnissen der Kinder heraus entwickelt wurde.


[ Marc Ryf stellt im Rahmen eines Vortrags seine Arbeiten am 6. März um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.03.01

03. Dezember 1999J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Hybride Räume

Die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Ende 1994 der Wettbewerb für die Erweiterungsbauten des Armeeausbildungszentrums in Luzern entschieden war: Ausgerechnet...

Die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Ende 1994 der Wettbewerb für die Erweiterungsbauten des Armeeausbildungszentrums in Luzern entschieden war: Ausgerechnet...

Die Fachwelt staunte nicht schlecht, als Ende 1994 der Wettbewerb für die Erweiterungsbauten des Armeeausbildungszentrums in Luzern entschieden war: Ausgerechnet zwei Frauen, die beiden Schwestern Christine und Evelyn Enzmann, sollten ein Gebäude für das Militär bauen. Inzwischen hat das Team - mittlerweile um Philipp Fischer ergänzt - das gläserne Haus und mit ihm seine Idee des geschlossenen Quaders realisiert. Als «Symbol der selbstverständlichen Notwendigkeit» lobte das Preisgericht vor fünf Jahren die minimalistisch präzise Sprache des Entwurfs. Für diese Aufgabe auf der Luzerner Allmend waren zwei Prämissen bestimmend: Einerseits die von der Pferderennbahn, einem Stadion und einer Messehalle gesäumte Parklandschaft mit ihrem alten Baumbestand und dem Blick auf den Pilatus, andererseits die denkmalgeschützte Kaserne, die Armin Meili in den dreissiger Jahren als kantigen Sichtbetonbau mit modernistischer Selbstverständlichkeit an den Waldrand stellte.

Umsetzung des Reduit-Prinzips

Mit der Armeereform 1995 wurde beschlossen, die Kaderschulung in einem neuen Armeeausbildungszentrum auf dem Areal der alten Kaserne in Luzern zusammenzufassen. Der Wettbewerb zeigte ein heterogenes Bild von Gebäude- und Raumzuordnungen - Symbol und Ausdruck einer Militärtypologie scheint es heute nicht mehr zu geben. Enzmann & Fischer verfolgten mit ihrer Strategie einer Verbindung eines minimalen Ausdrucks mit einer überaus komplexen Raumstruktur im Gebäudeinnern vielleicht eine ironische Umsetzung des Reduit-Prinzips. Zugleich tritt der Neubau in einen Dialog mit dem Bestehenden. Die an der Westseite des mittlerweile sanierten Altbaus gelegene Erweiterung führt dessen Situierung fort. Aus der Achse geschoben, formen die beiden Gebäude nun ein Ensemble, das die Schichtung des Geländes durch den alten Baumbestand widerspiegelt. Während der Altbau mit horizontalen Fensterreihen, scharfkantigen skulpturalen Bauteilen und Sichtbeton militärische Härte und Disziplin vermittelt, verbindet die diaphane Glashaut des Neubaus die neutrale Rasterfassade mit den grossen, vorkragenden Panoramafenstern, mit denen sich die Architektur zur Landschaft öffnet.

Mit Bronze gefasstes Strukturglas bildet den Abschluss der konventionell hinterlüfteten Fassade. Es reagiert auf unterschiedliche Lichteinwirkung. Je nach Wetterlage erscheint der kristalline Quader in einem anderen Farbton, was ihm eine überraschend expressive Wirkung verleiht. Dort wo die inneren Kastenfenster der Nutzräume liegen, lässt sich die äussere Haut mittels Wendeflügeln öffnen, wodurch an der Fassade ein zusätzlicher formaler Raster entsteht. Für die vielfältige Nutzung des fünfgeschossigen Gebäudes entwickelten die Architekten ein ebenso komplexes wie ungewöhnliches Raumsystem. Im Erdgeschoss befinden sich Restaurant- und Speisesäle für teils interne und teils öffentliche Nutzung. Die recht einfache Erschliessung mündet in eine steile Treppe, die in den ersten Stock und erst hier ist die weite, querliegende Eingangshalle führt, deren Panoramafenster den Blick auf die Landschaft freigibt. Um den weiten Raum stützenfrei zu halten, ist der Raumabschluss mit einer vorgespannten Flachdecke versehen. Zugleich nimmt die Scheibenkonstruktion des Innenhofes die vertikalen und horizontalen Kräfte auf.

Hybride Räume

Mit der erst nach einer Drehung erreichbaren Eingangshalle scheint sich eine Wiederbelebung des Raumplanes von Adolf Loos anzukündigen. Und in der Tat bilden die Freiräume und Höfe ein eigenes, übergeordnetes System, das sich horizontal und vertikal durch das ganze Gebäude zieht und eine eigene, tektonische Spannung erzeugt. Dieses selbständige Raumgefüge, das sich je nach Stockwerk mit einem grossen Panoramafenster durch eine andere Aussenwand öffnet, gibt dem gesamten Bauvolumen einen eigentümlichen Reiz. Jede Etage scheint eine andere Raumstruktur zu besitzen, es gibt Galerien, Durchblicke von einem Geschoss zum anderen und unterschiedliche Verbindungen der Niveaus.

Die komplexe Raumstruktur verleiht dem Haus seinen individuellen Charakter, durch den es sich von herkömmlichen, als einfache Zweibünder angelegten Verwaltungsgebäuden unterscheidet. Diese hybriden Räume, die an Formationen von Rem Koolhaas erinnern, finden sich seit einiger Zeit bei jüngeren Schweizer Architekten. Sie resultieren aus einer Systematik, bei der das Gebäude zumeist durch die Erschliessungs- oder Zirkulationsräume gleichsam aufgeschnitten wird. Mit verschiedenen, auch vertikalen Achsen können so Raumbezüge durch das ganze Gebäude entwickelt werden. Diese Entwurfspraxis wurde erstmals im Gemeindehaus von Müller und Truniger in Jona auch baulich realisiert.

Obwohl sie die grösste Fläche einnehmen, wirken die Nutzräume durch diese Inszenierung zunächst wie eine räumliche Nebensache. Finden sich die gastronomischen Einrichtungen im Erdgeschoss, so sind die grossen Vortragssäle, die Aula und das Foyer im ersten Stock untergebracht. Das zweite Obergeschoss nimmt neben den Schlafräumen der Rekruten auch Verwaltungseinheiten auf, während die oberen Stockwerke den Büro- und Wohnräumen des Lehrkörpers vorbehalten sind. Besprechungs- und Sitzungszimmer befinden sich an den Innenseiten mit Sichtverbindung zum grossen, durch alle Geschosse durchgehenden Lichthof.

Souveränes Raumkonzept

Der Neubau von Enzmann & Fischer überzeugt durch sein souveränes Raumkonzept ebenso wie durch die gezielte Materialisierung. Bei der Farbgebung der schlichten Betonwände in den öffentlichen Bereichen hätte der eine oder andere Akzent sicher gutgetan. Hier müssen deshalb die Installationen der Künstlerin Silvie Defraoui Kontrapunkte setzen. Überzeugend ist der Dialog mit dem Altbau ausgefallen. Dessen skulpturale Baumasse mit den nüchternen Innenräumen wird nun durch einen Zweckbau mit neutraler Fassade ergänzt, dessen vielschichtige, diskursive und offene Struktur im Inneren zu finden ist - keine schlechte Voraussetzung für eine Militärakademie. Am 10. Dezember wird der Luzerner Neubau eröffnet. Er markierte für das Büro Enzmann & Fischer, das bereits mit mehreren Wettbewerbserfolgen auf sich aufmerksam machte, den fulminanten Start in die Baupraxis. Die Ausführung eines weiteren Projektes, des Kirchgemeindehauses in Adliswil, für das sie vor einem Jahr mit dem ersten Preis ausgezeichnet wurden, hängt noch von einer Abstimmung ab. Vielleicht lassen sich die Stimmberechtigten nun überzeugen, dass ihr Geld für einen Neubau von Enzmann & Fischer gut angelegt ist.

[ Enzmann & Fischer stellen ihre Arbeiten am 8. Dezember um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich am Neumarkt 15 vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.12.03



verknüpfte Bauwerke
Armeeausbildungszentrum

01. Oktober 1999J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Starke Körper präzise gesetzt

Wenn zwei Architektinnen kurz nach dem Studium einen Wettbewerb für ein grösseres öffentliches Gebäude gewinnen, ist das an sich schon ungewöhnlich. Um...

Wenn zwei Architektinnen kurz nach dem Studium einen Wettbewerb für ein grösseres öffentliches Gebäude gewinnen, ist das an sich schon ungewöhnlich. Um...

Wenn zwei Architektinnen kurz nach dem Studium einen Wettbewerb für ein grösseres öffentliches Gebäude gewinnen, ist das an sich schon ungewöhnlich. Um so bemerkenswerter, wenn es sich dabei um die Erweiterung einer Hochschule handelt, die mit ihrer technischen Ausrichtung noch immer männlich dominiert ist. Gemeint ist die Hochschule in Rapperswil, die zwischen 1991 und 1999 von Ingrid Burgdorf und Barbara Burren mit zwei separaten Gebäuden um fast das Doppelte ihrer ursprünglichen Grösse erweitert wurde. Die bestimmende Frage war für die Architektinnen zunächst, wie sie auf die bestehenden Gebäude und die Umgebung reagieren sollten. Da ist die Lage der Hochschule nahe beim Bahnhof Rapperswil mit Blick auf das Schloss und die Altstadt. Auf der anderen Seite besteht ein direkter Seeanstoss. Die schilfbewachsene Uferlandschaft erforderte eine behutsame Integration der neuen Volumen. Dazu kamen die Gebäude von Paul Tittel, deren Stahl-Glas-Architektur das rationale Raster einer Mies-van-der-Rohe-Begeisterung auslebt. Burgdorf und Burren entwarfen zwei prismatische Baukörper, die formal auf die bestehenden Bauten reagieren, aber weder mit diesen noch untereinander verbunden sind.

Die Beharrlichkeit der Architektinnen hat sich gelohnt. Die Gebäude bilden eine sinnvolle Einheit und bleiben zugleich autonome Solitäre, die sich vom übrigen klar absetzen und nicht von überdachter Wegearchitektur oder verbindenden Annexen hierarchisiert werden. Beide Gebäude sind so placiert, dass sie in einer L-Form zum diagonal verlaufenden Gleiskörper stehen und zugleich die orthogonale Anordnung der bestehenden Gebäude weiterführen. Das Foyergebäude öffnet sich mit der Bibliotheksseite zur Stadt und zum Schloss, wodurch sehr schöne und helle Arbeitsplätze entstanden sind. Zum See nimmt die Gebäudehöhe ab. Das neue Schulgebäude ist zweigeschossig und versetzt angeordnet, damit der Blick vom neuen Foyergebäude nicht beeinträchtigt wird. So mäandrieren die Pavillons harmonisch in der Landschaft und sind doch präzise gesetzt.

Der neue Gebäudekomplex tritt in einen dialektischen Dialog mit dem alten: beides sind Skelettbauten. Weist der Altbau ein modulares Raster auf, aus dem sich die horizontale und vertikale Struktur ergibt, «entflechten» Burgdorf und Burren die Rasterstruktur der Neubauten. Die alternierenden, vertikalen Fensterbänder erscheinen unregelmässig, die Geschosse sind verschieden hoch, und die unterschiedlich geschnittenen Brüstungsverkleidungen versagen sich dem Raster.

Die nähere Betrachtung der beiden neuen Gebäude - das eine beherbergt Bibliothek und Hörsäle, das andere Büro- und Seminarräume - lässt das Bemühen der Architektinnen spüren, ein Gleichgewicht zu finden zwischen dem am Ort Vorhandenen und dem, was ihn in Zukunft prägen soll. Es ging aber auch darum, Assoziationen an vertraute Strukturen zu vermitteln und zugleich eine neue Wirklichkeit zu schaffen. Das ist nicht wenig, doch das Engagement der jungen Architektinnen entschädigt den Auslober für das Unbehagen über deren relative Unerfahrenheit. Er profitiert von der präzisen Planungsarbeit und der überaus sorgfältigen Detaillierung, die mittlerweile zu einem Markenzeichen der jungen Deutschschweizer Architektur geworden ist.

Trotz ganz unterschiedlichen Innenraumaufteilungen sind die Gebäude aussen nahezu identisch. Klassische curtain-wall-Fassaden und vertikale Glasbänder, die von Storen rundum geschlossen werden können, bestimmen das Bild. Nur vor den innenliegenden Stützen wurde auf Storen verzichtet, so bleibt das konstruktive Raster immer sichtbar. Die bronzenen Rahmen nobilitieren das schlichte Gewand. Besonderer Clou sind die vertikalen Glasstreifen zwischen Wand und Storenführungen. Sie dienen nicht nur zur Aussteifung, sondern auch zur Vermeidung der optischen Schwere, die durch die additive Häufung der Storen sonst entstanden wäre. Zudem halten sie die curtain-wall «faltenfrei». Einzige horizontale Zäsuren sind die vorgezogenen Dachüberstände sowie Brüstungs- und Geschossdeckenbänder.

So einheitlich sich die neuen Gebäude von aussen präsentieren, so unterschiedlich ist die Raumeinteilung im Inneren. Sinnfällig steht das Foyergebäude im Mittelpunkt der Gesamtanlage. Während der offene Foyercharakter das Gebäude mit Aufenthaltsräumen und Gängen entlang der Fassade dominiert, verdichten sich die Räume zur Mitte hin. In diesem zentralen Körper befinden sich unten die Hörsäle und darüber die Bibliothek, die mittels Sheddächern belichtet wird. Die Hörsäle haben demzufolge kein Tageslicht; der Konzentration während der Vorlesung im geschlossenen Raum folgt die Pause im vollständig nach aussen sich öffnenden Foyer. Bei der Auswahl von Materialien und Farben wurde auf Einfachheit und Gediegenheit geachtet. Die Stützen sind aus einfachem Schleuderbeton; durch die dunkelgraue Einfärbung und die gerundeten Ecken wirken sie doppelt geadelt. Die einfachen Neonröhren auf den Säulen verleihen dem Raum am Abend den Eindruck einer minimalistischen Inszenierung. Auch der geschliffene Hartbetonboden bekommt durch einen gelblichen Lehmton Terrazzoqualität - bei der Hälfte des Preises. Alle Farben sind dezent grau und schwarz gehalten.

Im neuen Ausbildungsgebäude sind die Volumen ganz anders festgelegt: Die geschlossenen Räume liegen an den Aussenseiten, während der Kern offen angelegt ist. Dadurch ergibt sich für diesen dem See zugewandten Pavillon ein mit dem Aussenraum in Beziehung tretender Dialog. Der asymmetrisch gesetzte Eingang geht über in eine zentrale zweigeschossige Halle, die das Gebäude vertikal in zwei Bereiche gliedert. Hinter der Halle kann das Gebäude aber auch gleich wieder verlassen werden: Es schliesst sich der Gartenhof an, ein Raum zum Feiern oder Verweilen mit Zugang zum See. Durch die vier schlanken, hohen Stützen, die das innere Stützenraster fortsetzen, erhält dieser innenliegende Aussenraum ungewöhnliche Proportionen, die an die Bauten von Erik Gunnar Asplund erinnern.

Die Erweiterungsbauten der Hochschule Rapperswil sind ein beachtlicher Einstieg von Ingrid Burgdorf und Barbara Burren. Die Bausumme von rund 50 Millionen Franken, davon 30 Millionen Gebäudekosten, sind gut angelegt. Die Pavillons vermitteln jene Campus-Atmosphäre, die in Rapperswil bisher fehlte.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.10.01



verknüpfte Bauwerke
Fachhochschule - Erweiterung

07. Mai 1999J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Präzise Interventionen

Seit einiger Zeit gibt es im Kreis 5 in Zürich ein Kino, das sich zu einem Quartiertreff entwickelt hat: das «Riff-Raff». Es wurde von Astrid Staufer und...

Seit einiger Zeit gibt es im Kreis 5 in Zürich ein Kino, das sich zu einem Quartiertreff entwickelt hat: das «Riff-Raff». Es wurde von Astrid Staufer und...

Seit einiger Zeit gibt es im Kreis 5 in Zürich ein Kino, das sich zu einem Quartiertreff entwickelt hat: das «Riff-Raff». Es wurde von Astrid Staufer und Thomas Hasler in Arbeitsgemeinschaft mit Marcel Meili und Markus Peter realisiert. Das Bauprogramm lautete lakonisch «Kino mit zwei Sälen und Bar». Die Architekten haben Filmvorführung und Kommunikation - beides im Kino zentrale Begriffe - zum Thema ihres Entwurfes gemacht. Zwischen den beiden Vorführräumen befindet sich ein dunkel gehaltener Raum, der zugleich Bar, Foyer und Kassenraum ist. Clou des Kinos sind aber die sichtbaren Projektionsstrahlen über den Köpfen der Barbesucher. Damit wird das Vorführen des Filmes selbst zum Ereignis, die Besucher sind bereits mitten im Geschehen, bevor für sie das Kinoerlebnis beginnt.

Das Neuüberdenken von bekannten Theorien und Phänomenen ist für Astrid Staufer und Thomas Hasler Herausforderung und Verpflichtung zugleich, die nicht nur ihre Mitarbeit beim «Riff- Raff» bestimmte. Nach dem Studium an der ETH Zürich eröffneten sie 1993 ein Büro in Frauenfeld. Das Herausarbeiten geschichtlicher Zusammenhänge war Teil ihrer umfangreichen Forschungsarbeiten: Astrid Staufer beschäftigte sich mit dem Werk des Mailänder Architekten Luigi Caccia Dominioni, während Hasler eine Dissertation über Rudolf Schwarz verfasste, die demnächst veröffentlicht wird. Eine eher praktische Auseinandersetzung mit den Geschichten des Bauens bedeuteten ihre ersten Projekte, die fast ausnahmslos Um- und Anbauten von Wohnhäusern waren. Und vielleicht gerade weil sie sich intensiv mit der historischen Struktur des Vorhandenen beschäftigten, gab es immer wieder Unstimmigkeiten und Auseinandersetzungen mit den Beschützern des architektonischen Erbes. «Die Denkmalpflege denkt einfach zu sehr in Bildern», meint Hasler: «Viel wichtiger ist es aber, die Hierarchie der Wertigkeiten erst einmal festzulegen.» Gemeint ist damit die Struktur eines historischen Gebäudes, der konstruktive oder räumliche Aufbau, der oftmals die geschichtlichen Bezüge treffender widerspiegelt als das Äussere.

Eine Standpunktklärung versuchten Staufer und Hasler mit ihrem Wettbewerbsbeitrag für den Umbau der römisch-katholischen Pfarrkirche von Jona, die mit ihrem spätgotischen Chor, einem Langhaus aus dem 19. Jahrhundert und einem Anbau von 1936 als schützenswert eingestuft ist. Sicherlich nicht unbeeinflusst durch die Beschäftigung mit dem Kirchenbaumeister Rudolf Schwarz versuchte Hasler, den historischen Schichten eine präzise Interpretation von heutigem Kirchenbau dialoghaft gegenüberzustellen. Er entwarf einen beinahe eigenständigen Zentralraum mit dem Altar in der Mitte und einer narthexartigen räumlichen Anbindung an das Langhaus. Mittels einer gestaffelten Oberlichtzone sollte dieser Raum eine sakrale Lichtstimmung erhalten. Mit dem Eingriff bezog er klar Position, indem er wertete und die schützenswerten Schichten hervorhob. Der Entwurf hätte von den Kirchgängern eine Befragung ihrer Gewohnheiten verlangt, zugleich hätte er aber auch einen beachtenswerten Beitrag zum heutigen Kirchenbau geliefert. Doch die Denkmalpflege lehnte den Vorschlag entschieden ab. - Mit der Schule in Illighausen (bei Kreuzlingen) ist nun ein erster grösserer Neubau von Staufer und Hasler fertiggestellt. Es handelt sich dabei um ein zweigeschossiges Primarschulhaus mit Mehrzwecksaal.

Die Architekten ordneten die Räume in einer gestreckten L-Form, die einen Schulhof eingrenzt. Über diesen wird der Bezug zur angrenzenden Kirche mit Friedhof hergestellt, so dass beide Bauten ein Ensemble bilden. In bewusstem Gegensatz zur steinernen Kirche wurde das Landschulhaus mit einer vorfabrizierten Tragkonstruktion aus Holz errichtet. Auch die Aussenverkleidung aus kleinteiligen, graugrünen Titanzinkschindeln stellt eher einen Bezug zu den benachbarten Wohnhäusern als zur Kirche her. So entsteht ein Dialog zwischen dem harten, tektonischen Material der Kirche und der weichen und kleinteiligen Bekleidung der Schule. Während die äussere Schicht als Verkleidung der Tragstruktur fungiert, wird diese im Inneren bei den aussenliegenden Wänden sichtbar. Ist hier das Holz naturbelassen, so sind die innen liegenden Wände stark farbig gestaltet. Sowohl in den Schulräumen als auch in den Erschliessungszonen ist die Struktur des Gebäudes sichtbar, und von aussen wird durch das Setzen der Fenster das Verhältnis von Tragstruktur und Füllungen thematisiert.

Diese konsequente innere Logik zieht sich durch die Arbeiten von Staufer und Hasler. Zurzeit überarbeiten sie die Pläne für den Neubau der Kantonsschule Wil, für die sie den ersten Preis gewonnen haben. Auch hier schlagen sie einen Holzbau vor, der die Bindung des Tragwerkes an das Material sinnvoll thematisiert. Mit einem geschlossenen, aus einfachen Geometrien zusammengesetzten Körper, der rechtwinklig einen Innenhof umgibt, wird dem disparaten Umfeld durch eine präzise Intervention eine starke Prägung verliehen. Bleibt zu hoffen, dass Staufer und Hasler trotz langwierigem Planungsprozess auch mit diesem Gebäude ihre Entwurfsidee sinnfällig umsetzen können.

J. Christoph Bürkle


Astrid Staufer und Thomas Hasler stellen im Rahmen eines Vortrags ihre Arbeiten am 19. Mai um 18.30 Uhr im Architekturforum Zürich vor.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.05.07

05. März 1999J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Permanenz im Provisorischen

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern,...

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern,...

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern, wie ein Widerhaken aus der Landschaft. Der Ort hatte nichts Spezifisches, kein für den Entwurf ausschlaggebendes Moment. Aber Rothen reizen gerade solche Aufgaben, die zu einfachen Lösungen führen. Das Haus in Uhwiesen sollte zunächst einmal sich selbst thematisieren und zugleich seine Angemessenheit am Ort widerspiegeln. So wurde es zum scharfgeschnittenen, monolithischen Block, der wie selbstverständlich in den Hang gesetzt scheint. Die Langseite verläuft parallel zum Hang und die Dachneigung entspricht jener des Hangs. Drei Seiten des Hauses sind fast ganz geschlossen, bilden eine massive Klammer, während sich die vierte Seite zur Landschaft öffnet. Hier liegt der Wohnraum, der über eine Empore mit den Schlafräumen im oberen Geschoss verbunden ist. Das grosse Dach verleiht dem eher kleinen Haus Grosszügigkeit und verbindet die verschiedenen Raumvolumen. Die Verkleidung aus Zementsteinen bildet eine durchgehende Schale, gibt dem Haus ein spezifisches Äusseres und verweist auf die Tradition einfacher Materialien im ländlichen Bauen.

Das Besondere aus dem Einfachen herauszuarbeiten ist für Rothen Herausforderung und Anliegen zugleich. Der aus Winterthur stammende Architekt hat nach einer Lehre als Hochbauzeichner eine Ausbildung am Technikum Winterthur und ein Architekturstudium an der ETH absolviert. Anschliessend war er Assistent von Mario Campi. Damit ist er gleichermassen für die Praxis wie für den theoretischen Entwurfsdiskurs gewappnet. Beides scheint ihm gleich wichtig, um seine Vorstellung von Architektur erfolgversprechend umzusetzen. Eine erste grössere Aufgabe war die Wohnüberbauung an der Weinbergstrasse, deren markantes Erscheinungsbild er mit «Homogenität aussen und kontrollierter Heterogenität im Inneren» beschreibt. Die ruhigen, fast klassisch gerasterten Bauten nehmen die Proportionen der umliegenden Häuser auf und formulieren zugleich städtisches, zeitgemässes Wohnen. Die Grundrisse sind variabel angelegt und können sich veränderten Nutzungsbedürfnissen anpassen. Einzelne Räume sind verschiedenen Wohnungen zuteilbar. Zugleich haben die Eigentümer die Möglichkeit, den Wohnungsgrundriss selbst zu bestimmen - für Rothen ein Versuch, auf die sich schnell verändernden Nutzungen von Bauten architektonisch zu reagieren.

Über die Definition des Dauerhaften und des Provisorischen nachzudenken und in einer schnell sich verändernden Zeit zu adäquaten Lösungen zu kommen, ist für Rothen ein wichtiges Thema. Heute gilt es auch für Provisorien (von der Notunterkunft über die Schule bis zum Verwaltungsbau) einen angemessenen architektonischen Ausdruck zu finden, der auf längerfristige Bedürfnisse antworten kann wie beispielsweise der Anbau des Winterthurer Museums von Gigon & Guyer.

Rothen wehrt sich gegen Globalisierungstendenzen in der Architektur ebenso wie gegen rezeptives Entwerfen oder das allzu direkte Umsetzen von Analogien. Bei seinen Projekten werden die Themen konsequent aus der jeweiligen Aufgabe entwickelt und auf die Bedeutung für den Ort fokussiert. So sucht er sich mit Vorliebe spezielle - um nicht zu sagen schwierige - Aufgaben und baut gerne Einfamilienhäuser. Eine solche Aufgabe war die Siedlung Zelgli in Winterthur, deren Sanierung und Erweiterung auf Grund der Klarheit und Eindeutigkeit viel Anerkennung erfuhr. Die Siedlung besteht aus parallelen Zeilen - sechs mit je acht und zwei mit je sechs Reiheneinfamilienhäusern. Die Anlage zeigt mit ihren Satteldächern und Einrichtungsdetails im Heimatstil sowohl formal als auch bezüglich der klar strukturierten Aussenräume einen sehr geschlossenen, eigenständigen Charakter. Gefordert war eine räumliche Erweiterung der Wohneinheiten: Rothen entschloss sich, das historisch geprägte Erscheinungsbild nicht nur zu bewahren, sondern es sogar zu steigern.

An die Eingangsseite fügte er eine drei Meter tiefe Raumschicht, welche das Bestehende sinnfällig ergänzt und dessen Gliederung aufnimmt. Mit Flachdach und vorfabrizierten Bauelementen ist dieser Anbau völlig eigenständig und bildet mit dem Alten doch eine Einheit. Historische und neue Schichten überlagern sich und treten in einen eigenwilligen Dialog. Die Fensterrahmen im Altbau blieben erhalten, die ehemaligen Aussenfenster im Obergeschoss sind weiterhin Lichtöffnungen und erklären ebenso wie die ehemalige Haustür den ursprünglichen Zustand. Rothens Siedlungserweiterung basiert auf einem einfachen und konsequenten Verfahren, das zudem sehr kostenrelevant ist. Bemerkenswert ist, dass Rothen seine eigene Entwurfstätigkeit ganz in den Dienst der Siedlung stellte und nicht formal zusätzlich hervorhob. Die entwerferische Auseinandersetzung mit alter Substanz - ob es sich nun um ein Baudenkmal oder um ein eher alltägliches Gebäude handelt - ist ein Anliegen von Rothen. Diese Bauaufgabe wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, zumal in Winterthur, wo die Umnutzung obsolet gewordener Industrieareale neue städtebauliche Funktionszusammenhänge und Typologien erzeugen wird.

Zurzeit realisiert Rothen fünf Reihenhäuser an der Rütihofstrasse in Winterthur. Sie bilden einen kubisch gestaffelten Baukörper, der sich durch eine einfache Grundform mit variablen Grundrisseinteilungen der Schlafzimmer im ersten Stock auszeichnet. Clou der Häuser sind die eingezogen Terrassen auf der Wohnebene, die alle ganz verschiedene Grössen und Formen aufweisen. So konnten von den Käufern ganz unterschiedliche Wohnraumtypen gewählt werden, die letztlich durch die Terrasse und den Aussenraum definiert werden. Andererseits werden die Terrassen zu integralen Wohnräumen, die vollständig abgeschirmt sind und präzise auf ein gleichsam städtisches, gemeinschaftliches und individuelles Wohnen reagieren. Die Häuser wurden bereits während der Projektierung verkauft; zumindest in Winterthur ist bereits bekannt, dass von Beat Rothen zwar ungewöhnliche, aber besondere Lösungen zu erwarten sind.

[Beat Rothen stellt im Rahmen eines Vortrags seine Arbeiten am 10. März um 18 Uhr im Architekturforum Zürich vor.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.03.05

05. März 1999J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Permanenz im Provisorischen

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern,...

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern,...

Aufgefallen ist Beat Rothen mit jenem Haus, das wie ein Keil in der Landschaft sitzt. An einem Hang in Uhwiesen ragt es, umgeben von Einfamilienhäusern, wie ein Widerhaken aus der Landschaft. Der Ort hatte nichts Spezifisches, kein für den Entwurf ausschlaggebendes Moment. Aber Rothen reizen gerade solche Aufgaben, die zu einfachen Lösungen führen. Das Haus in Uhwiesen sollte zunächst einmal sich selbst thematisieren und zugleich seine Angemessenheit am Ort widerspiegeln. So wurde es zum scharfgeschnittenen, monolithischen Block, der wie selbstverständlich in den Hang gesetzt scheint. Die Langseite verläuft parallel zum Hang und die Dachneigung entspricht jener des Hangs. Drei Seiten des Hauses sind fast ganz geschlossen, bilden eine massive Klammer, während sich die vierte Seite zur Landschaft öffnet. Hier liegt der Wohnraum, der über eine Empore mit den Schlafräumen im oberen Geschoss verbunden ist. Das grosse Dach verleiht dem eher kleinen Haus Grosszügigkeit und verbindet die verschiedenen Raumvolumen. Die Verkleidung aus Zementsteinen bildet eine durchgehende Schale, gibt dem Haus ein spezifisches Äusseres und verweist auf die Tradition einfacher Materialien im ländlichen Bauen.

Das Besondere aus dem Einfachen herauszuarbeiten ist für Rothen Herausforderung und Anliegen zugleich. Der aus Winterthur stammende Architekt hat nach einer Lehre als Hochbauzeichner eine Ausbildung am Technikum Winterthur und ein Architekturstudium an der ETH absolviert. Anschliessend war er Assistent von Mario Campi. Damit ist er gleichermassen für die Praxis wie für den theoretischen Entwurfsdiskurs gewappnet. Beides scheint ihm gleich wichtig, um seine Vorstellung von Architektur erfolgversprechend umzusetzen. Eine erste grössere Aufgabe war die Wohnüberbauung an der Weinbergstrasse, deren markantes Erscheinungsbild er mit «Homogenität aussen und kontrollierter Heterogenität im Inneren» beschreibt. Die ruhigen, fast klassisch gerasterten Bauten nehmen die Proportionen der umliegenden Häuser auf und formulieren zugleich städtisches, zeitgemässes Wohnen. Die Grundrisse sind variabel angelegt und können sich veränderten Nutzungsbedürfnissen anpassen. Einzelne Räume sind verschiedenen Wohnungen zuteilbar. Zugleich haben die Eigentümer die Möglichkeit, den Wohnungsgrundriss selbst zu bestimmen – für Rothen ein Versuch, auf die sich schnell verändernden Nutzungen von Bauten architektonisch zu reagieren.

Über die Definition des Dauerhaften und des Provisorischen nachzudenken und in einer schnell sich verändernden Zeit zu adäquaten Lösungen zu kommen, ist für Rothen ein wichtiges Thema. Heute gilt es auch für Provisorien (von der Notunterkunft über die Schule bis zum Verwaltungsbau) einen angemessenen architektonischen Ausdruck zu finden, der auf längerfristige Bedürfnisse antworten kann wie beispielsweise der Anbau des Winterthurer Museums von Gigon & Guyer.
Rothen wehrt sich gegen Globalisierungstendenzen in der Architektur ebenso wie gegen rezeptives Entwerfen oder das allzu direkte Umsetzen von Analogien. Bei seinen Projekten werden die Themen konsequent aus der jeweiligen Aufgabe entwickelt und auf die Bedeutung für den Ort fokussiert. So sucht er sich mit Vorliebe spezielle – um nicht zu sagen schwierige – Aufgaben und baut gerne Einfamilienhäuser. Eine solche Aufgabe war die Siedlung Zelgli in Winterthur, deren Sanierung und Erweiterung auf Grund der Klarheit und Eindeutigkeit viel Anerkennung erfuhr. Die Siedlung besteht aus parallelen Zeilen – sechs mit je acht und zwei mit je sechs Reiheneinfamilienhäusern. Die Anlage zeigt mit ihren Satteldächern und Einrichtungsdetails im Heimatstil sowohl formal als auch bezüglich der klar strukturierten Aussenräume einen sehr geschlossenen, eigenständigen Charakter. Gefordert war eine räumliche Erweiterung der Wohneinheiten: Rothen entschloss sich, das historisch geprägte Erscheinungsbild nicht nur zu bewahren, sondern es sogar zu steigern.

An die Eingangsseite fügte er eine drei Meter tiefe Raumschicht, welche das Bestehende sinnfällig ergänzt und dessen Gliederung aufnimmt. Mit Flachdach und vorfabrizierten Bauelementen ist dieser Anbau völlig eigenständig und bildet mit dem Alten doch eine Einheit. Historische und neue Schichten überlagern sich und treten in einen eigenwilligen Dialog. Die Fensterrahmen im Altbau blieben erhalten, die ehemaligen Aussenfenster im Obergeschoss sind weiterhin Lichtöffnungen und erklären ebenso wie die ehemalige Haustür den ursprünglichen Zustand. Rothens Siedlungserweiterung basiert auf einem einfachen und konsequenten Verfahren, das zudem sehr kostenrelevant ist. Bemerkenswert ist, dass Rothen seine eigene Entwurfstätigkeit ganz in den Dienst der Siedlung stellte und nicht formal zusätzlich hervorhob. Die entwerferische Auseinandersetzung mit alter Substanz – ob es sich nun um ein Baudenkmal oder um ein eher alltägliches Gebäude handelt – ist ein Anliegen von Rothen. Diese Bauaufgabe wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, zumal in Winterthur, wo die Umnutzung obsolet gewordener Industrieareale neue städtebauliche Funktionszusammenhänge und Typologien erzeugen wird.

Zurzeit realisiert Rothen fünf Reihenhäuser an der Rütihofstrasse in Winterthur. Sie bilden einen kubisch gestaffelten Baukörper, der sich durch eine einfache Grundform mit variablen Grundrisseinteilungen der Schlafzimmer im ersten Stock auszeichnet. Clou der Häuser sind die eingezogen Terrassen auf der Wohnebene, die alle ganz verschiedene Grössen und Formen aufweisen. So konnten von den Käufern ganz unterschiedliche Wohnraumtypen gewählt werden, die letztlich durch die Terrasse und den Aussenraum definiert werden. Andererseits werden die Terrassen zu integralen Wohnräumen, die vollständig abgeschirmt sind und präzise auf ein gleichsam städtisches, gemeinschaftliches und individuelles Wohnen reagieren. Die Häuser wurden bereits während der Projektierung verkauft; zumindest in Winterthur ist bereits bekannt, dass von Beat Rothen zwar ungewöhnliche, aber besondere Lösungen zu erwarten sind.

[ Beat Rothen stellt im Rahmen eines Vortrags seine Arbeiten am 10. März um 18 Uhr im Architekturforum Zürich vor. ]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.03.05

07. November 1997J. Christoph Bürkle
Neue Zürcher Zeitung

Industrielle Varietät und intersubjektive Form

Zum Werk von Ursula Stücheli und Beat Mathys

Zum Werk von Ursula Stücheli und Beat Mathys

Es gibt Stimmen, die die architektonische Entwicklung der Stadt Bern in den letzten Jahren als festgefahren und provinziell bezeichnen. Zugleich gibt es aber auch Ansätze bei jungen Architekten, aus dieser Situation und der anhaltenden Baukrise eine Tugend zu machen. Ursula Stücheli und Beat Mathys haben ihr Büro in Bern, stehen in kritischer Distanz zu ihrer Stadt, in der sie aber auch eine besondere Qualität ausmachen, die sich im städtischen Wohnen ausdrückt und aus der heraus sie ihre Arbeiten entwickeln. Ausgebildet an der ETH in Zürich, wo sie konzeptionelles Denken und die «Kultur des Details» lernten, wenden sie sich nun eher ab von einer «Form des Akademismus», die zu sehr in Formalismen erstarrt. Transformationen nennen sie denn auch programmatisch ihre Arbeiten, mit denen sie versuchen, zu anderen Raumbildungen zu gelangen, Wohn- und Lebensbedürfnisse zu hinterfragen, um mit neuen Produktionsmethoden darauf reagieren zu können. Hochgesteckte Ziele fürwahr, die sich jedoch an ihrer Arbeit überprüfen lassen, wenngleich bis jetzt erst in Ansätzen. 1997 erhielten sie für ein stapelbares Minimalhaus ein eidgenössisches Stipendium. Die experimentelle Holzkiste, ihre Vorstellung von räumlichem Minimalismus, kann fürs Wohnen, Arbeiten oder als Ferienhaus einzeln oder seriell eingesetzt werden. Aus wenigen Elementen zusammengesetzt, ist sie gleichsam als Urzelle des Wohnens formuliert und kann gestapelt gar zu einem mehrstöckigen Hochhaus mutieren.

Die erste grössere Arbeit von Stücheli und Mathys sind zwei Atelierbauten der Siedlung Baumgarten Ost, die sie in Arbeitsgemeinschaft mit Thomas Hostettler und Peter Flückiger entwickelt haben. Der harten Betonästhetik der bestehenden Siedlung, die - inspiriert vom Atelier 5 - von der Architektengruppe Aarplan realisiert wurde, stellten sie zwei blau gestrichene Holzkisten entgegen.

Diese gleichsam auf Betonfüssen schwebenden Holzbauten haben neun Räume mit ganz unterschiedlicher Nutzung. So entstanden zunächst rasterlos einteilbare Grundrisse, die auf Grund der Holzrahmenelemente festgelegt wurden. Die ästhetische Umsetzung dieser heute gebräuchlichen Konstruktionsart war eines der entwerferischen Hauptanliegen der Architekten. Die Hülle wurde als informelles Band, einem Strichcode ähnlich, ohne spezifische Ausrichtung um die Baukörper gezogen. Sie ist bewusst Zäsur zwischen der Betonschallschutzmauer und dem formal dominierenden Balkonsystem der Siedlung. Die Oberlichter ermöglichten einen hohen Anteil an geschlossenenWänden, wodurch die Kosten gesenkt werden konnten. So entstanden geschlossene Ateliercontainer, deren Hermetik durch die grossen blauen Holztafeln und die bodenlangen Schiebetüren noch verstärkt wird.

Die mit einfachem Kiefernholz ausgekleideten Innenräume wirken mit ihren Oberlichtern beinahe wie meditative Kapseln in der offen gestalteten Siedlung. Es ging den Architekten letztlich darum, «einfachste und kostengünstige Holzkisten zu bauen, die die inneren Kräfte ihrer Produktionsbedingungen ästhetisch darstellen. Die Räume sind in ihrer Stimmung non-figurativ undnatural-ornamental.» Aus der inneren Aufteilung, die die kollektiven Bedürfnisse der Benutzer widerspiegelt, und der konsequenten Gestaltung der äusseren Hülle entstand eine erste «industrielle Varietät», die durch den vorfabrizierten Holzrahmenbau strukturiert ist.

Stücheli und Mathys interessieren sich für Herstellungstechniken und -bedingungen aus anderen medialen Bereichen, die sie in Architektur zu transformieren suchen: Strichcodes statt Rasterfassade, irregulärer Rhythmus statt Gleichton, Ein- und Ausblendung statt Durchgängigkeit. Dabei gilt ihre spezielle Aufmerksamkeit der Auseinandersetzung mit dem Raum. In ersten Umbauten beschäftigten sie sich mit den Grundbedürfnissen der elementaren Raumnutzung und versuchten zugleich, den Raum als autonomes architektonisches Kraftfeld zu behandeln. Inspirationsquelle ist einerseits Adolf Loos und dessen konsequenter Raumplan, zugleich aber auch die abstrakte Raumintensivierung der Minimal art. Allerdings rücken sie heute von der sich verselbständigenden Ästhetik des Minimalismus wieder ab.

Sie versuchen mit reduziertem Material und gezieltem Lichteinsatz die räumliche Wirkung zu steigern und die Loslösung von der Aussenwelt, die Kapselwirkung des Kerns im Gegensatz zur umgebenden Hülle zu formulieren. Eine Studie in dieser Richtung ist das Modulhotel Diogenes, das als Studie für die Expo 2001 entworfen wurde. Die Minimalcontainer bestehen aus einem Raum mit Nasszelle und sind mit acht mal drei Metern auf grösstmögliche Vielfalt der Nutzung ausgelegt. Als mobile Serienhäuser können sie per Bahn oder Lastwagen transportiert und als Notunterkünfte, Ateliers oder Wohnungen für das Existenzminimum eingesetzt werden. Diese stapelbaren Einheiten werden vielleicht demnächst als erste Snowboard-Hotels zu sehen sein. Zwar hat das Projekt seine Wurzeln unverkennbar in den sechziger Jahren. Dank der Technik der computergesteuerten Lignamatik ist esaber auch heute interessant.

Stücheli und Mathys entwickelten in Bern eine «Wahrnehmungsschärfe für Randphänomene». Sie wollen ästhetische Phänomene, die sie aus den heutigen Kommunikationsstrukturen ablesen, auf ihre Architekturen und Transformationen übertragen. So verstehen sie die Module des Diogenes-Projekts als digitale Einheiten: «Der Optimismus der sechziger Jahre ist weg. Trotzdem oder gerade deswegen entwerfen wir Minimal-Utopien.» Im Kräftefluss zwischen gesellschaftspolitischen Veränderungen und selbstreferentieller Architektur sehen sie eine Möglichkeit der Auflösung festgefahrener
Wahrnehmungen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1997.11.07

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