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15. Dezember 2021Michael Hausenblas
Der Standard

Hoffmanns Erklärungen

Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt die bisher umfassendste Retrospektive des Designers, Architekten und Geschmacksstifters Josef Hoffmann. Eine sinnlich-strenge Schau der Superlative, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt die bisher umfassendste Retrospektive des Designers, Architekten und Geschmacksstifters Josef Hoffmann. Eine sinnlich-strenge Schau der Superlative, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Hand aufs Herz. Die meisten Zeitgenossen kennen Josef Hoffman eher vom Hörensagen. Wenn überhaupt. Manch einer hat von ihm gehört als Mitbegründer der Wiener Secession oder der Wiener Werkstätte, als Freund Gustav Klimts. Als Strebender nach dem Gesamtkunstwerk, Wegbereiter der Moderne, der wie seine Konsorten Adolf Loos, Otto Wagner und andere die Welt von gestern in eine Welt von morgen führte, so unterschiedlich diese Protagonisten unter dem Deckmäntelchen der Moderne auch werken mochten. Das hat nicht nur Kaiser Franz Joseph I. wenig gefreut, denn ihre Entwürfe standen für eine Revolution, provozierten und hatten das Zeug dazu, den Staub des schwülstigen Historismus hinfortzublasen.

Doch wo fängt diese Moderne an, wo hört sie auf? Der Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, auch Gastkurator der soeben eröffneten Hoffmann-Retrospektive Fortschritt durch Schönheit im Mak, meinte einmal: „Das zentrale Thema der Moderne war, dem Individuum eine Stimme zu geben, und zwar indem man Schönheit und Lebensstil über Kunsthandwerk und Industrialisierung erstmals einer breiten Masse zugänglich gemacht hat. Geschichte und Ästhetik – das ist in der Moderne nicht nur ein elitärer Herrschaftsanspruch, sondern ein breites Mittel für den mündigen Konsumenten.“

Gebrauch ohne Schranken

Auf die Frage, wie breit dieses Mittel daherkommt und wie mündig Josef Hoffmann, dieser Geschmacks- und Identitätsstifter, seine Zeitgenossen einschätzte, gibt es nun eine ganze Menge Antworten im Wiener Museum für angewandte Kunst, das unter dem Titel Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit die bisher umfassendste Hoffmann-Retrospektive überhaupt zeigt.

Kurator und Mak-Kustode Rainald Franz sowie die Gastkuratoren Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring zeigen über 1000 Exponate, die in 20 Kapitel gegliedert sind, die sich mit dem Schaffen Hoffmanns beschäftigen, der 1870 in Brtnice, im heutigen Tschechien, geboren wurde und u. a. bei Otto Wagner und Carl Hasenauer an der Akademie der bildenden Künste studierte. Der 1956 gestorbene Hoffmann gestaltete während seines 60-jährigen Schaffens unzählige Gebrauchsgegenstände wie Möbel, Besteck, Services, Glas, Schmuck, Ausstellungsarchitekturen, Inneneinrichtungen und herausragende Bauten, darunter das zum Unesco-Welterbe zählende Palais Stoclet in Brüssel, das Sanatorium Westend in Purkersdorf, seinen Beitrag zur Werkbundsiedlung oder Österreichs Pavillon für die Biennale in Venedig aus dem Jahr 1934.

Die Mak-Schau, in der Hoffmann die Besucher mit gezwirbeltem Schnurrbart von einem Foto heruntergrüßt, hat vieles drauf. Sie ist, da kann man Mak-Direktorin Lilli Hollein nur recht geben, eine der „Superlative“. Die geometrisch gestreuten Exponate, all die Plakate, Zeichnungen und Objekte haben mannigfaltige Auftritte. Viele von ihnen sind in Vitrinen versammelt, die einen in Reih und Glied stehend erwarten. Die gelungene Atmosphäre könnte als streng mit einem kleinen Schuss Gemütlichkeit beschrieben werden, auch als sinnlich, aber strukturiert. Im Zentrum, sozusagen dem Herzstück der Ausstellung, sticht ein großer Kubus heraus, in dem eine Rekonstruktion des Boudoir für einen großen Star aus dem Jahre 1937 zu sehen ist. Der Raum besticht durch Glas, Silber, eine Chaiselongue, einen Fauteuil und spärlich rankendes Ornament. In der Tat kann man sich hier Marlene Dietrich in Erwartung eines Schäferstündchens vorstellen.

Fortschritt durch Schönheit also, durch etwas, das Hoffmann nicht länger als ein Privileg der Reichen sehen wollte. „Nichts auf der Welt kann das Kunstwerk verdrängen, und nur das kann von wertvoller Dauer sein, das nach Vollendung und ewiger Schönheit strebt“, sagte Josef Hoffmann. Nun liegt Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters, und das verändert sich im Laufe eines Jahrhunderts. Betrachtet man die Objekte heute, macht es sich also bezahlt, eine reflektierte Zeitreise zuzulassen, in jene Epoche, in der sie entstanden sind. Was die Aktualität dieser Welt von gestern betrifft, meint Designer und Architekt Gregor Eichinger, der für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnet: Josef Hoffmanns Œuvre sei ein sehr emotionales, das daher auch in der Zukunft von Bedeutung sein werde.

Und Ex-Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein sagte anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des Hauses vor sieben Jahren: „Das Thema der Moderne, als es erstmals gelungen war, neue, bürgerlichere Käuferschichten zu erschließen, ist aktueller denn je.“

„Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit“, Mak, bis 19. Juni 2022

Der Standard, Mi., 2021.12.15

21. April 2020Michael Hausenblas
Der Standard

Künstler Lois Weinberger gestorben

Der zweifache Documenta-Teilnehmer und Forscher ist in der Nacht auf Dienstag 72-jährig in Wien verstorben

Der zweifache Documenta-Teilnehmer und Forscher ist in der Nacht auf Dienstag 72-jährig in Wien verstorben

Die Natur ist schwer zu fassen, sagte Lois Weinberger. Der Mann versuchte es trotzdem. Er war ihr auf der Spur wie kein anderer Künstler. Die Natur war ihm Medium, Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld, das er zweimal auf der Documenta, auf der Biennale in Venedig und im Rahmen unzähliger Ausstellungen auf der ganzen Welt in Szene setzte, ohne ihr zu Nahe zu rücken. Kunstwelt-weltbekannt wurde er unter anderem mit seiner Installation auf der Documenta X 1997.

Weinberger bepflanzte ein stillgelegtes Eisenbahngleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also „eingewanderten“ Pflanzen, aus Süd- und Osteuropa. Damit schuf der 1947 im Tiroler Stams geborene Künstler bereits lange vor den Einwanderungswellen eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinausführt.

Die Natur ist schwer zu fassen, sagte Lois Weinberger. Der Mann versuchte es trotzdem. Er war ihr auf der Spur wie kein anderer Künstler. Die Natur war ihm Medium, Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld, das er zweimal auf der Documenta, auf der Biennale in Venedig und im Rahmen unzähliger Ausstellungen auf der ganzen Welt in Szene setzte, ohne ihr zu Nahe zu rücken. Kunstwelt-weltbekannt wurde er unter anderem mit seiner Installation auf der Documenta X 1997.

Weinberger bepflanzte ein stillgelegtes Eisenbahngleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also „eingewanderten“ Pflanzen, aus Süd- und Osteuropa. Damit schuf der 1947 im Tiroler Stams geborene Künstler bereits lange vor den Einwanderungswellen eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinausführt.

Neugier war sein immer auf Hochtouren laufender Motor, betankt mit einer in ihm wohnenden Kraft, Dinge zu sehen und einzuordnen, wie sie einzigartig war. Weinberger war ein scheuer Mensch, und doch reflektierte er seine Sichtweisen aus der Natur auf das Verhalten der Gesellschaft vom Wirtshaus bis zum Parlament. Sein politisch-poetisches Vorgehen legte sich über 35 Jahre wie ein Netz über Randzonen aller Art. Es ging ihm um die Bedeutung von Veränderungen, die weder mit Profanem wie dem „Garten Eden“ zusammenhängen, noch auf ästhetische oder örtliche Kriterien festzulegen sind. Weinberger wurde zu einem Empfänger, Sender und Wanderer auf Wegen, die neue Maßstäbe und Blickwinkel ins Bewusstsein der Betrachter seiner Arbeit pflanzte.

Damit hat er die Welt der Kunst nachhaltig verändert. Nicht wenige sahen und sehen ihn als Visionär. Was das heißt? Er erkannte Dinge, die andere nicht sahen, und sei es nur eine „illegal eingewanderte“ Pflanze, die er in ein Objekt verwandelte. Seine Sichtweise auf die Dinge, die er in Zeichnungen, Skulpturen, Kunst im öffentlichen Raum, Notizen und Fotografien übersetzte, wird bleiben. Was mehr kann sich ein Visionär wünschen?

Lois Weinberger, der auch als Schauspieler in Christian Bergers Spielfilm „Raffl“ in der Hauptrolle zu sehen war, ist in der Nacht auf Dienstag (nicht an Covid) überraschend verstorben. Er lebte mit seiner Frau Franziska Weinberger in Wien, Gars am Kamp und Innsbruck. Wer sich auch akustisch an ihn erinnern mag, soll sich einen Song von John Prine anhören, der ihm vor gut zwei Wochen ins Elysium der Visionäre vorausging. Noch vor kurzem verriet der Künstler, wie sehr er ihn mochte. Mögen die beiden eine gute Zeit haben. Wie heißt ein Song von Prine? „Caravan of Fools“. Möge es doch mehr solcher wunderbarer Narren geben. Man möge diesen pathetischen Ausflug verzeihen. Lois Weinberger hätte er gefallen. Der Tod dieses Künstlers ist schwer zu fassen. So wie die Natur.

Der Standard, Di., 2020.04.21



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Weinberger Lois

16. Dezember 2015Michael Hausenblas
Der Standard

Der ganz nor­ma­le Wohn­sinn

Das Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst in Wien (Mak) er­öff­ne­te am Diens­tag­abend ei­ne Aus­stel­lung zum Werk von Jo­sef Frank. Sie schafft es, den Be­su­cher in die Ge­dan­ken­welt des gro­ßen Ar­chi­tek­ten, De­sig­ners und Vi­sio­närs ein­tau­chen zu las­sen.

Das Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst in Wien (Mak) er­öff­ne­te am Diens­tag­abend ei­ne Aus­stel­lung zum Werk von Jo­sef Frank. Sie schafft es, den Be­su­cher in die Ge­dan­ken­welt des gro­ßen Ar­chi­tek­ten, De­sig­ners und Vi­sio­närs ein­tau­chen zu las­sen.

Der Ti­tel der Schau mag auf den er­sten Blick be­fremd­lich er­schei­nen. Aber nur auf den er­sten. Against De­sign bringt auf den Punkt, was Jo­sef Frank von vie­len an­de­ren Ent­wer­fern un­ter­schei­det und ihn un­glau­blich zeit­ge­mäß macht. Al­lein sei­ne Aus­sa­ge „Die Woh­nung ist kein Kunst­werk, des­halb hat sie nicht die Ver­pflich­tung, auf­re­gend zu wir­ken“ ver­dient mehr Be­ach­tung denn je. Der 1885 in Ba­den ge­bo­re­ne und 1967 in Stock­holm ver­stor­be­ne Frank ver­stand Woh­nen als et­was Or­ga­ni­sches, Le­ben­di­ges. Star­res war ihm ver­hasst, es ging ihm da­rum, Sen­ti­men­ta­les zu­zu­las­sen. Eben­so hat­ten Tri­via­les, Kitsch und ge­leb­te All­tags­kul­tur bei Frank kein Haus­ver­bot. Auch der Zu­fall soll­te beim Ein­rich­ten hel­fen. In all dem un­ter­schied sich Frank von dog­ma­tisch-er­zieh­eri­schen Ten­den­zen di­ver­ser Be­we­gun­gen sei­ner Zeit.

Der Ge­stal­ter ver­stand das Haus als ei­ne ab­wech­slungs­rei­che „Stadt im Klei­nen“ mit all ih­ren über­ra­schen­den E­cken und En­den. Stahl­rohr­mö­bel sah Frank als ei­ne Be­dro­hung für die Mensch­heit an, ein­far­bi­ge Flä­chen wirk­ten sei­ner Mei­nung nach be­un­ru­hi­gend auf den Be­trach­ter. Frei­lich be­scher­te ihm dies so man­che Kri­tik. Die Ver­tre­ter der Neu­en Sach­lich­keit ta­ten sich mit die­sem un­be­fan­ge­nen Zu­gang schwer – ih­re Vor­wür­fe reich­ten vom „Wie­ner Gschnas“ bis zum „Bor­dell Frank“.

Der Weg der im Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst ge­zeig­ten Ent­wür­fe führ­te über vie­le Um­we­ge. Frank ent­stamm­te ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie und stu­dier­te Ar­chi­tek­tur an der k. k. Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Wien. 1925 grün­de­te er das Wie­ner Ein­rich­tungs­un­ter­neh­men „Haus & Gar­ten“. Die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on ließ ihn be­reits 1933 nach Schwe­den aus­wan­dern. In den fol­gen­den Jah­ren ar­beit­ete er als Chef­de­sig­ner eng mit dem re­nom­mier­ten Ein­rich­tungs­haus Svenskt Tenn in Stock­holm zu­sam­men. Ins­ge­samt be­fin­den sich über 2000 Mö­bel­ent­wür­fe und 160 Tex­til­mus­ter Franks in den Ar­chi­ven des Mö­bel­hau­ses. Trotz der schwe­di­schen Staats­bür­ger­schaft leb­te Frank von 1942 bis 1946 in den USA, wo der als Pio­nier ei­ner auf­klä­re­risch ver­stand­enen Post­mo­der­ne gel­ten­de Frank an der be­kann­ten New Yor­ker New School of So­ci­al Re­se­arch un­ter­rich­te­te. Sein Wunsch, als Ar­chi­tekt zu re­üs­sie­ren und als Stadt­pla­ner en­ga­giert zu wer­den, wur­de je­doch nicht er­füllt.

Pa­ra­dies­gär­ten

Die Ma­cher der Aus­stel­lung, Mak-Kus­to­de Se­bas­ti­an Ha­cken­schmidt und Ar­chi­tekt Her­mann Czech, span­nen ei­nen wun­der­ba­ren Bo­gen von Franks Ar­chi­tek­tur­pro­jek­ten über sei­ne De­sign- und In­ter­ieu­rent­wür­fe bis hin zu theo­re­ti­schen Po­si­tio­nen. Die­se wer­den An­sät­zen an­de­rer Ge­stal­ter ge­gen­über­ge­stellt und die­nen als hilf­rei­ches Werk­zeug für die in­ter­na­tio­na­le Ein­ord­nung von Franks Be­deu­tung. Die Na­men rei­chen vom Re­nais­san­ce-Ar­chi­tek­ten Leon Bat­tis­ta Al­ber­ti, des­sen Ar­beit Frank als Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma wähl­te, über Adolf Loos und Le Cor­bu­sier bis hin zu Rem Ko­ol­haas. Franks Ar­bei­ten zeich­nen sich in die­sem Kos­mos durch ei­ne eben­so so­zi­al wie kul­tur­kri­tisch mo­ti­vier­te Zweck­dien­lich­keit aus, was sich un­ter an­de­rem auch in den Ent­wür­fen für die Werk­bund­sied­lung aus dem Jah­re 1932 im 13. Be­zirk nie­der­schlug.

Kenn­zeich­nend für die Per­so­na­le ist, dass sie nicht als Par­cours ge­stal­tet ist, dem es zu fol­gen gilt. Ganz im Sin­ne Franks spült es den Be­su­cher hier­hin und dort­hin. Die Schau kommt an­ge­nehm un­mu­se­al her­über, wird zu ei­nem Wim­mel­buch ei­ner Ge­stal­ter-Ära. Aus­ge­wählt wur­den cir­ca 70 Mö­bel, über 100 Zeich­nun­gen und Aqua­rel­le, Ar­chi­tek­turm­odel­le, un­zäh­li­ge Fo­tos und opu­len­te Stoff­ent­wür­fe, die ei­nem gleich Pa­ra­dies­gär­ten ins Ge­sicht sprin­gen. Frank da­bei sti­li­stisch zu fas­sen oder gar in ei­ne Schub­la­de zu ste­cken scheint kaum mög­lich. Se­bas­ti­an Ha­cken­schmidt: „Frank ging die Din­ge un­glau­blich kul­tur­kri­tisch an, auf die­sem Weg fand er zu sei­nen Lö­sun­gen. Im Den­ken und Tun ist er an­ti­for­ma­lis­tisch, Vor­ga­ben, die ihn ein­schränk­ten, ak­zep­tier­te er nicht.“

Czech und Ha­cken­schmidt ist ei­ne Aus­stel­lung ge­lun­gen, in der man in Franks Ge­dan­ken­welt ab­tau­chen kann. Die­se führt den Mak-Be­su­cher eben­so in ei­ne an­de­re Ga­la­xie wie die Star Wars -Aus­stel­lung ei­nen Stock tie­fer – mit dem Un­ter­schied, dass je­ne von Frank tat­säch­lich exis­tiert.

Der Standard, Mi., 2015.12.16

16. September 2010Michael Hausenblas
zuschnitt

Was vom Sommertage übrig blieb

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche...

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche...

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche Situation zu einer äußerst pickigen und umständlichen Angelegenheit geworden wäre.

Sagen wir Staberl zu ihm. Oder nein, doch lieber Stäbchen. Oder noch besser: Eisstäbchen. Im Prinzip handelt es sich dabei um ein an Einfachheit kaum zu überbietendes Alltagsobjekt. In dieser Disziplin kann es locker mit seinem nahen Verwandten, dem Zahnstocher mithalten. Man könnte auch sagen, das Eisstäbchen ist so einfach wie unentbehrlich. Der Versuch, sich ein Brickerl ohne Eisstäbchen auf der Zunge zergehen zu lassen: zum Scheitern verurteilt. Das Knabbern an der Schokokappe eines Jolly ohne Stäbchen: äußerst unelegant. Das ohnehin nicht einfache Unterfangen, ein Twinni brüderlich zu teilen: Was für eine pickige Angelegenheit! Kurz: Das Eisstäbchen gehört zum Eis wie ebendieses zum Sommer. Das Stäbchen macht diese Schleckerei erst möglich, es ist sozusagen das Fundament des Eisschleckens, das Instrument, das – zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt – das Eis seiner Bestimmung zuführt. Ist das Eis geschleckt, zerbissen oder zwischen den Lippen geschmolzen und schon auf dem weiteren Weg alles Irdischen, bleibt das Eisstäbchen übrig.

Manch einer zuzelt dann noch in Biber-Manier an dem hölzernen Ding – nun ohne Trägerfunktion –, bis es seine fasrige Struktur offenbart. Auch hier zeigen sich die verwandtschaftlichen Bande zum Zahnstocher. Ein anderer findet Vergnügen daran, es zu brechen und zu knicken. Der Nächste verwendet es als Anzündhilfe fürs Lagerfeuer und als Tischbeinkeilchen. Auf www.recyclingbasteln.de versammeln sich die Jünger des Eisstäbchens und zeigen ihre gebastelten Meisterleistungen: Vom einfachen Christbaumschmuck in Sternform über Eierbecher und Lesezeichen bis hin zu Flamenco-Fächern und Strickleitern für Osterhasen reichen die Ergüsse aus einem Werkstoff, der die Konkurrenz von Kastanien-Getier mit Streichholzbeinen nicht fürchten muss.

Allein in Deutschland wird der mit Ceresin-Wachs beschichtete Eisstiel aus Buchenholz jährlich 1,2 Milliarden Mal verbraucht. Angeblich geht die Geschichte vom Eis am Stiel auf den Amerikaner Frank Epperson und das Jahr 1905 in Kalifornien zurück. Der damals Elfjährige braute sich eine Limo und ließ diese samt Rührstab auf der Veranda stehen. Irgendwann in der darauf folgenden, frostigen Nacht schlug die Geburtsstunde des Eis am Stiel. Doch erst Jahre später, im Jahre 1923, erinnerte sich Frank Epperson an sein glückliches Missgeschick und ließ sich seine gefrorene Stiel-Limo patentieren. In der Patentanmeldung hieß es: »Gefrorenes Eis am Stiel ist die fortschrittliche Methode, gefrorene Süßware in attraktiver Form und angebrachter Weise verzehren zu können, ohne sie dabei durch Kontakt mit Hand, Teller oder Gabel zu beschmutzen.«

Dass aus dem Stiel ein Holzstiel wurde, ist weit weniger zufällig als die Geschichte des Stieleises. Fragt man bei Professor Alfred Teischinger vom Institut für Holzforschung der Wiener Universität für Bodenkultur nach, weiß dieser zu berichten:

»Es gibt wohl mehrere Gründe, warum Holz damals wie heute die beste Lösung für das Eisstaberl ist. Holz ist nicht wärmeleitend. Es wirkt eher als Isolator. An einem Plastikstaberl würde das Eis viel schneller in der Hand schmelzen und man hätte an einem heißen Sommertag die Malaise. Außerdem ist Buchenholz eine wenig dauerhafte Holzart, einmal unachtsam weggeworfen, zersetzt sich das Eisstaberl im Gras ohne schädliche Rückstände. Das Holzstäbchen erfüllt also kurzfristig seinen Zweck ganz einwandfrei und verschwindet von selbst.« Teischinger kennt aber noch mehr Vorteile, die im Prinzip in und auf der Hand liegen, so bietet die hölzerne Oberfläche den Fingern ausreichend Grip und ist geschmacksneutral. Und schließlich wäre da noch die Sache mit der Hygiene: Nicht umsonst kommt die breitere Variante des Eisstäbchens während des »Ahhhh«-Sagens beim Onkel Doktor zum Einsatz. Das kann doch nur gesund sein!

zuschnitt, Do., 2010.09.16



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15. September 2009Michael Hausenblas
zuschnitt

Hüttenzauber in einer Herberge namens »berge«

Nils Holger Moormann, Möbelverleger und Designer, gilt als Querkopf, Protagonist des »Neuen Deutschen Designs« und Pate großer Designtalente. Jetzt ist er auch noch unter die Hoteliers gegangen.

Nils Holger Moormann, Möbelverleger und Designer, gilt als Querkopf, Protagonist des »Neuen Deutschen Designs« und Pate großer Designtalente. Jetzt ist er auch noch unter die Hoteliers gegangen.

Man könnte Nils Holger Moormann als den Jacques Tati des Designs bezeichnen. Die einen nennen ihn Spaßvogel, die anderen die Nummer eins des beherzten Möbelhandels. Seit mehr als zwanzig Jahren produziert und vertreibt der 1953 in Stuttgart Geborene Entwürfe meist junger, weniger bekannter Designer. Zu diesen zählte u. a. Konstantin Grcic, heute ein Stargestalter. Die Arbeit Moormanns verkörpert den reziproken Wert von Design als Verhübschungsschnickschnack, ganz sicher ist er ein Kämpfer für mehr Polarisierung in Sachen Gestaltung, ein Musenküsser und einer, der stolz ist auf die Authentizität von Handwerk. Jetzt ist Moormann auch noch zum Herbergsvater geworden.

In Aschau im Chiemgau hat er ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das schon als Bäckerei, russisches Restaurant und Schülerferienheim herhalten musste, zur Herberge namens »berge« umgebaut – als Tüftler, Bauherr, Ausführender und Hotelier. 13 verschiedene Appartements zählt die Bleibe, sie heißen »Bergbude« oder »Sommerloch« und sind so ungewöhnlich und fesch wie die vielen Möbel aus dem Hause Moormann. Als Motto oder Hoteliersphilosophie hält ein Zitat des französischen Bergsteigers Jean-Christophe Lafaille her: »Wer die Berge liebt, akzeptiert auch, dass sie Bedingungen stellen.« »berge« ist, man kann es schon ahnen, kein gewöhnliches Hotel. Wie die Moormann-Objekte besticht die Herberge durch Leichtigkeit und Strenge, wobei Letztere immer der Schalk im Formgeber-Nacken sitzt.

Weiters ist über »berge« in einem 17 Punkte umfassenden Katalog zu erfahren: »In berge gibt es kein wlan. Dafür müssen Sie keinem erzählen, wie gut es Ihnen geht!« Oder: »berge bietet keinen Wellness-Bereich. Dafür sehr kleine, urige Bäder.«

Einen Eröffnungstermin gab es für das Hotel nicht wirklich. »Eigentlich war das Hotel schon im Übernahmezustand eröffnet. Ich sehe das Haus als Work in Progress. Zu Beginn konnte man darin für einen Euro übernachten, da gab es noch gar keine Böden. Das Projekt ist ja nicht aus einem Management-Plan entstanden. Ungewöhnlich ist an berge vor allem, dass sich da ein Unternehmen wie das unsere im Sinne von Learning by Doing fortbewegt. So etwas würde wahrscheinlich sonst niemand tun, es war ein ständiges Vor, Zurück, Vor, Zurück«, sagt Moormann über sein Hotel. Von einem fixen Plan und Fertigungstermin wollte er nichts wissen. Jedes Detail wurde, wie Moormann es nennt, in einer »Gnadenlosigkeit, die ihresgleichen sucht«, durchgeplant. Moormann kann nicht anders, er ist ein Getriebener, egal ob er einen Schemel entwirft oder ein ganzes Hotel baut. »berge« sei wie ein »Traum von jemandem, der es sich leisten will, ein Schiff zu bauen, und der sich dann wundert, dass das Schiff auch schwimmt«. Die Doppelrolle als Bauherr und Ausführender bezeichnet Moormann als Problem, einen Architekten aber hätte er wahrscheinlich ins Irrenhaus gebracht: »So war es einfach spannender, und mittlerweile weiß ich auch, wie ein Abfluss funktioniert.«

Das Konzept selbst bestand für den gebürtigen Schwaben zuerst einmal in der Findung der Seele dieses alten Hauses. Moormann brauchte lange, um die Raumentwicklung voranzutreiben, alles sei völlig verbaut gewesen. Damals nannte der Designer sein Projekt noch »Grand Hotel Aussichtslos«. Erst später wurde das Thema Gästehaus entwickelt, und daraus wurde wiederum »berge«. Der Name habe ihm sehr dabei geholfen, nicht zu sehr in die Design- oder Art-Hotel-Schiene zu rutschen. Wie im Design ist es Moormann wichtig, ein Projekt in einem Satz beschreiben zu können.

Wo alte Strukturen in dem Haus, das an einer Bundesstraße liegt, vorhanden waren, werden diese auch gezeigt. Mit Oberflächen geht Moormann radikal um. Zu sehen sind ungestrichene Lehmwände und Böden aus unbehandelter Hochgebirgsfichte.

»Das ist eine Sauarbeit, die wieder sauberzuschrubben, aber das gibt dann halt die richtige Patina«, so Moormann. Die Einbauten in »berge« variieren. Meistens sind sie aus schwarzem Furniersperrholz, auf das der frischgebackene Hotelier abfährt, das aber, wie er erzählt, Putzfrauen hassen. Neues Wandmaterial aus natürlichen Baumaterialien fügt sich passend in den Bestand ein. Moormann ist vor allem der Kontrast wichtig, das Interieur soll nicht »alpenländisch jodeln«. Baulich findet sich der Kontrast zwischen den lebendigen Böden und frischem Kalkputz oder zwischen welligen Steinmauern und aalglatten Fichtenbrettern der hinzugefügten Einbauten. Zwei andere Pole bilden die straßenseitigen Kastenfenster aus Holz und die rückseitig gelegenen französischen Fenster aus gertenschlanken Stahlprofilen und hölzernen Fensterläden zum Auf- und Zuschieben. Natürlich gibt es auch eine große Stube, die sich vor allem für Tagungen anbietet. Als Möbel kamen – versteht sich – größtenteils Stücke aus der Moormannkollektion zum Einsatz, es finden sich aber auch Klassiker wie z. B. der Plastic Side Chair von Charles und Ray Eames. Zu finden sind ferner einige Einzelanfertigungen wie die Schlafstätten, die zu nestartigen Bettnischen im Gemäuer werden.

Ausgerechnet die Auswahl der richtigen Möbel empfand Moormann als besonders schwierig und langwierig, schließlich seien sie die »Schauspieler für diese Bühne«. Eine Produktdesignerin stand dem Chef bei der Suche nach den richtigen Stücken zur Seite – ein Prozess, den Moormann übrigens noch lange nicht als abgeschlossen ansieht. Der Herbergsvater meint, man müsse schon einen »an der Birne haben«, um sich an ein solches Projekt heranzuwagen, kommerziell würde sich das Ganze nie wirklich rechnen. Aber das war wohl auch kaum der Plan. »Ich möchte, dass sich hier Menschen aus der Design- und Architekturszene wohlfühlen, miteinander kommunizieren und ein Netzwerk entsteht«, sagt Moormann. Aufs Haustierreich umgemünzt spricht er von »berge« als einem Ort, an dem sich Katze oder Hund sofort hinlegen würden, um zu entspannen.

zuschnitt, Di., 2009.09.15



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28. Oktober 2005Michael Hausenblas
Der Standard

„Nine-to-five gehört überholt“

Neue Konzepte für den Arbeitsplatz Büro gibt es zur Genüge. Wie es um die Realisierung der neuen Arbeitswelten steht, fragte RONDO den Architekten Dustin A. Tusnovics

Neue Konzepte für den Arbeitsplatz Büro gibt es zur Genüge. Wie es um die Realisierung der neuen Arbeitswelten steht, fragte RONDO den Architekten Dustin A. Tusnovics

der Standard: Mobiles Büro, Desksharing, Thinktanks, Recreationzones usw. - seit Jahren füttern uns Architekten und Büromöbelhersteller mit derlei zukunftsträchtigen Begriffen in Sachen Arbeitswelt. Was von alldem wird eigentlich realisiert? Und wo?
Dustin A. Tusnovics: Alles existiert heute, es wird nur nicht immer alles konsequent umgesetzt bzw. genutzt. Die Tendenz, Flächen intelligent zu nutzen, betrifft fast jeden. Aber es geht nicht nur um effizienteren Nutzen, sondern um Konzepte, Ideen und Möglichkeiten. Da bewegt sich schon einiges. Ich war vor Kurzem in London, und dort ist es wirklich so, dass ich als Unternehmer bei einer sehr geringen Arbeitslosenrate schauen muss, meine Mitarbeiter zu halten. Gutes Gehalt ist eine Sache, für ein gutes Unternehmen zu arbeiten, auch. Damit mir ein guter Mitarbeiter auf einem lebhaften Arbeitsmarkt bleibt, muss ich ihm mehr bieten. Dazu gehört auch die Umgebung, das so genannte Arbeitsumfeld. Die großen Büros in England haben alle ihre Thinktanks, dort übrigens „60 minute office“ genannt. Auch viele andere neue Ideen werden dort gelebt.

Abgesehen vom Arbeitsmarkt, wie schaut die Entwicklung bei uns aus?
Tusnovics: Das große Problem ist, dass heute alle sparen wollen, und das an der falschen Stelle. Es gibt ja eine alte Rechung, die folgendermaßen lautet: Wenn ich ein Haus baue, kostet das ein Prozent von xy, die Betriebskosten machen zehn Prozent aus, und die Mitarbeiter kosten dann hundertmal so viel wie die eigentliche Investition. Wenn ich sage, ich steigere die Produktivität der Mitarbeiter um zwei, drei Prozent, dann habe ich die Investitionskosten schon wieder herinnen. Nun wird aber versucht, selbst bei diesem einen Prozent zu sparen.

Das heißt, die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre ist verantwortlich dafür, dass all die prophezeiten Veränderungen für die Bürowelten nur spärlich umgesetzt werden.
Tusnovics: Ich glaube schon. Und doch, die Bereitschaft ist da, das Nachdenken findet statt. Es haben sich in den vergangenen Jahren ja auch viele Büroconsulter etablieren können.

Und wie geht's weiter?
Tusnovics: Man muss ein wenig unterscheiden. Früher haben wir geglaubt, dass jeder dieses oder jenes Büro haben will. Das heißt: Non-Territorial oder Kombi oder Zelle. Ich rede heute nur noch von Bürolandschaften, es geht um eine Kombination aus allen Typen. Eine Bestätigung dieser Entwicklung findet man ja auch durch die Büromöbelbranche. Zum Beispiel das neue Vitra-Konzept von Werner Aisslinger. Da geht's um Lounge, Sitzen, Arbeiten, Wohnen, aber auch Touch-down und so weiter. Viele Büros gehen in diese Richtung. Vielleicht nicht so sehr in Wien, weil viele Immobilien das gar nicht mit sich machen lassen. Das ist natürlich auch noch ein Problem. In Deutschland oder England denkt man in Sachen Trakttiefe nicht mehr an acht bis zwölf Meter, sondern an 15 bis 18 Meter. Da können dann echte Bürolandschaften entstehen. Auch bei uns will jeder gern in einem Loftbüro arbeiten.

Apropos „was jeder will“. Was möchte denn der Otto Normalbüroverbraucher? Sollten Mitarbeiter nicht auf diese Entwicklungen vorbereitet werden?
Tusnovics: Darüber haben wir viel diskutiert. Natürlich empfinden es Mitarbeiter so, dass das Alte nie so gut ist wie in dem Moment, in dem es verändert werden soll. Das Übersiedeln basiert ja auf einer Entscheidung, die der Mitarbeiter in der Regel nicht beeinflussen kann. Er wird zwangsbeglückt. Bei unseren Projekten versuchen wir sehr stark, die Mitarbeiter miteinzubeziehen. Wir zeigen und erklären ihnen, was wir tun, warum zum Beispiel die Arbeitsfläche anscheinend kleiner wird, was wir mit der gewonnen Fläche Neues schaffen etc. Das kann auch bei 5000 Leuten funktionieren. Man muss halt die richtigen Ansprechpartner finden.

Ist es nicht immer noch so, dass jeder sein eigenes Reich will - mit Pinnwand, Postkarten - und nicht jeden Tag anderswo und neben jemand anderem arbeiten möchte?
Tusnovics: In Deutschland erscheinen Artikel unter dem Titel „Hoch lebe das Zellenbüro“. Dieses wird auch sehr gut angenommen. Natürlich will jeder sein eigenes Reich haben und Chef sein. Wenn aber auch der Chef kein Reich hat, sondern einen Schreibtisch wie seine Mitarbeiter und das System also mitträgt, geht das auch auf. Der Chef ist ja nicht Chef, weil er ein großes Büro hat. Das Ganze muss also auf den Verantwortungsebenen durchgesetzt werden. Die Beratung von außen ist zu wenig. Es bedarf der Akzeptanz von innen. Man muss lernen, mit den neuen Verhältnissen umzugehen. Und das funktioniert. Viele Bürokonzepte entwickeln sich heute, wie gesagt, nicht mehr auf der Basis, dieses oder jenes Model einsetzen zu wollen, sondern aus der Mischung unterschiedlicher Elemente, die komponiert werden müssen.
Schaut man sich heute in vielen Büros um, stehen die Computer völlig falsch, die Leute krabbeln unterm Schreibtisch herum, um einen USB-Stick anzustecken, oder wackeln auf Bürostühlen aus dem Jahre Schnee herum. Kann der Einzelne etwas tun, um in den Genuss dieser neuen Projekte zu kommen?
Tusnovics: Solche Dinge sind zu thematisieren. Man muss gut sitzen, auch wenn man nur drei Stunden im Büro ist. Auch die Mitarbeiter tragen Verantwortung mitzudenken und mitzufordern. Es geht diesbezüglich darum, kreative Diskussionen aufzubauen, mit Abteilungsleitern, Chefs etc. Das Thema muss weitergebracht werden.

Stichwort Motivation. Begriffe wie Burn-out, Mobbing etc. sind heute in aller Munde. Sind die neuen Bürokonzepte in der Lage, diesen Entwicklungen gegenzusteuern?
Tusnovics: Mobbing passiert in dunklen, stillen Gängen. In einem transparenten Büro, in dem Transparenz auch im Kopf funktioniert, akzeptiere ich den anderen. Alles wird gemeinschaftlicher, teamorientierter. Ich denke, auch das Burn-out kann teilweise eliminiert werden, wenn ich die Motivationskurve steigern kann.

Und wie stellt der Architekt das an?
Tusnovics: Ach, da gibt's Supermöglichkeiten. Farben, Oberflächen, taktile Qualitäten, Möbel, die nach einer Idee angeordnet werden. Diese muss man halt entwickeln.

Man liest immer wieder, dass noch nie so viel Papier verbraucht wurde wie jetzt, in Zeiten des Internets. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Tusnovics: Wir realisierten ein Büroprojekt, bei dem die Anforderungen an den Stauraum viermal höher als von uns eingeplant waren. Heute braucht dieses Büro nicht einmal den Raum, an den wir dachten. Ein digitales Archiv wurde durchgeboxt, alle offiziellen Dokumente sind im Keller in einem Archiv. Auch das kann man lernen. Wir reden ja von Zukunftswelten. Manche Unternehmen sind halt weiter, andere weniger. Meine Studenten wissen heute gerade noch, dass es so etwas wie ein Fax gibt. Sie selbst aber scannen etwas ein und schicken eine E-Mail. Da muss einfach noch ein großer Lernprozess durchwandert werden.

Ein gewagter Blick in die Designerkristallkugel. Welches Büro kommt auf die nächste Generation zu?
Tusnovics: Ein anderes. Der Weg ist bereits vorgegeben. Neue Bürowelten und Bürolandschaften sind die Zukunft, das ist klar. Wir selbst sind nicht so weit, besonders im deutschsprachigen Raum. Die neue Qualität, die neue Freiheit, zum Beispiel Handy und Laptop statt eines fixen Schreibtisches, muss noch gelernt werden. Vielleicht wird das Büro überhaupt eliminiert - arbeiten kann ich heute von überall.

Haben nicht vor allem viele Autoritäten, also die Entscheidungsträger, Probleme, ihre Mitarbeiter, wenn sie nicht permanenten Zugriff auf diese haben, hart formuliert, nicht überwachen zu können?
Tusnovics: Natürlich gibt's solche realen Probleme: Geschäftsführer, Bosse, Chefs, die eben keine Autoritäten sind und ihre Autorität halt nur auf diesem Weg bekommen. Ich denke, dass dieses Nine-to-five-Thema eines ist, das endlich überholt werden muss.

Der Standard, Fr., 2005.10.28



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Tusnovics Dustin

09. September 2005Michael Hausenblas
Andreas Tölke
Der Standard

Schichtweise Design

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Eigentlich ist er Kunsthändler. In Sachen Alte Meister. In London. Michael Rich ist der klassische britische Gentleman: hervorragendes Benehmen, leicht verschroben. Seine Kleidung verrät Understatement. Wie kommt so ein Mann dazu, 13 der besten Designer und Architekten für ein Projekt zusammenzutrommeln? „Das ist ja alles eine Szene. Man lernt sich auf Vernissagen kennen, oder es kommt jemand auf Empfehlung in die Galerie“, drückt er sich vorsichtig wie der Pressesprecher der Queen um eine konkrete Antwort. Ein Mann, der als Macher gerne im Hintergrund bleibt.

Der diplomatische Macher wurde vor vier Jahren von Antón Iráculis, dem CEO der spanischen Hotelgruppe Silken, angeheuert, um die „Besten der Besten“ in einem Projekt zu vereinen. "Zwölf Stockwerke, 342 Zimmer (inklusive Suiten), ein Restaurant, eine Bar und natürlich die Lobby, außerdem das Parkdeck, die Außenanlage, das Dachgeschoß mit Pool und Fitnessstudio - jeder Stock, jeder Bereich in der Hand von einem anderen Gestalter.

„Keiner wusste bis zum Zeitpunkt der Enthüllung, was die Konkurrenz so treibt“, erklärt der Chef der Kette. Und dann der Vergleich. Niemals zuvor konnte mit einem Knopfdruck im Lift von einer Designwelt in die andere gewechselt werden. Kein Wunder, dass schon einen Tag vor dem offiziellen Opening Ron Arad auftauchte, um mit einer Digicam bewaffnet die kreativen Ergüsse der Konkurrenz in Augenschein zu nehmen. Dabei musste sich Arad, der für fast alle Topmöbel- und -designfirmen der Welt arbeitet, mit seinem siebenten Stock nicht verstecken.

Das tut auch die Hülle von Jean Nouvel nicht. Von Orange bis Rot leuchten seine „Segel“. Vor jedem Zimmer ist eine dieser Markisen zu finden, und sie bedecken, so sie geschlossen sind, die ganze Fensterfront des jeweiligen Raums. Von vorn - mit einer wenig charmanten Sicht zur Autobahn - flammende Farben, die Rückseite kühl in Blautönen. In den sechs Weltsprachen ist in Schreibschrift ein Gedicht des Surrealisten Paul Éluard auf einigen der Sonnen- segel zu lesen: „Auf die überquellenden Plätze schreibe ich deinen Namen: Freiheit.“ Das programmatische Ansinnen des Lyrikers wird von den Designern prompt als Auftrag verstanden und umgesetzt. Der „Culturclash“ der Freiheiten beginnt in der Lobby.

John Pawson hat die Visitenkarte des Hauses gestaltet. Pawson verdankt seine Bekanntheit dem Design der Calvin-Klein-Stores. Wer mit einem furiosen Auftakt gerechnet hat, wird enttäuscht. In der Halle herrscht der Geist des Zen. „Hinschauen, den Brunnen, der mit fast acht Metern einmal durch die Lobby plätschert, genießen und sich in den dunklen Holzsesseln von den Strapazen der Anreise erholen“, dazu will der Macher den Neuankömmling ein-

laden. Schrill, schräg, bunt und ungewöhnlich wird es noch früh genug, hier in hellem Holz und Travertin gibt es keine optischen Störer. Der Brite teilt sich das Erdgeschoß-Revier mit Marc Newson und Christian Liagre.

Liagre, der diverse Hotelerfahrungen in seinem Portfolio lagert, zeichnet für das Restaurant verantwortlich. Zuvor hat er Luxusherbergen wie das Mercer in New York und das Montalembert in Paris gestaltet. Hier, im Puerta América, mixt er Moderne mit spanischer Folklore. Üppige Ornamente in der Bar bilden tolle Kontraste zur puristischen Bestuhlung. Auf der anderen Seite der Halle hat sich wie erwähnt Marc Newson ausgelassen. „Er und Jean Nouvel sind die Einzigen, die mehrfach ihr Können unter Beweis stellen durften. Jean Nouvel mit der Fassade, der Dachterrasse und dem zwölften Stock, der noch dazu nur aus Suiten besteht und Marc Newson mit der Bar und der sechsten Etage“, erklärt der Zeremonienmeister Michael Rich.

Die Bar, mit B&B-Italia-Sesseln bestückt, hat das sichere Zeug zum Szenetreff Madrids. Eine bodentiefe Glasfront zur Terrasse, die Rückwand aus Alu-Elementen, die über die Decke reichen, und eine sechs Meter lange Marmorbar - alles in allem eine ästhetischer Treffer. Während das Erdgeschoß geschmacklich verbindet, wird im ersten Stock kontroverses Design geboten. Zaha Hadid entführt in eine wahrlich spacige Welt. Ähnlich wie bei ihren Gebäuden sind ihre Interieurs organische Welten, die fließen und Bewegung vortäuschen. Sie gibt der Architektur ein organisches Gesicht. So zukunftsweisend das Gedankenspiel hinter der Umsetzung, so beeindruckend ihr Stockwerk. Die Zimmer aus einem Guss - Bett, Wände, Trennung zum Bad, Wanne und Waschbecken - nirgends ist eine Naht zu entdecken. Dahinter steckt eine neue Technologie aus deutschen Landen: LG Hi-Macs heißt der Zauberstoff von Rosskopf und Partner.

Ein Stockwerk darüber hat der Kuppelkönig des Reichstags, Sir Norman Foster, seine Spuren hinterlassen und besonders ausgereifte Räume beigesteuert. Und doch wirken - verglichen mit der sonst anzutreffenden Formensprache - seine weißen Korridore aus sandgestrahltem Glas und den lederbespannten Wänden fast betulich.

Im dritten Stock faltet sich David Chipperfield seine Welt. Der Professor der Stuttgarter Akademie der Künste arbeitet mit schwarzen, von Hand gearbeiteten Terrakottafliesen auf dem Boden, weißem Marmor an den Wänden und Wildseide als Material für die Bettbespannung. Seine Raumaufteilung fällt klassisch aus: Entree, rechts das Bad und dann die Öffnung zum Schlafbereich.

Im vierten Stock traut man sich mehr. Eva Castro und Holger Kehne sind „Plasma Studio“. Das auch private Doppel, bestehend aus puerto-ricanischer Power und deutschem Technikverständnis, ist wohl die heißeste Newcomer-Erscheinung des Projekts. „Wir haben fünf interessante neue Büros zu Entwürfen eingeladen, und Plasma hat uns überzeugt“, erläutert Michael Rich das Prozedere. Das Stockwerk der beiden schockiert: eine Grotte aus Stahl. Die einzelnen dreieckigen Elemente wirken wie gefaltet, die Kanten nicht auf Stoß, sondern mit Spiel für LED-Leuchtkörper. Der unwirklichste, aber bewegendste Flur von einem Team, das Zukunft baut und hat. Darüber der einzige Fehltritt im Gefüge. Victorio und Lucchino, Modeschöpfer und Lokalmatadore, haben ein Stockwerk für heimatlose Schlagerstars geschaffen. Kitsch as Kitsch can mit wüsten Bildern, und davon zu viele, Marmorsphingen im Entree. Aber schon einen Knopfdruck entfernt ist Eleganz trumpf. Marc Newsons rot gelackter Korridor ist ein Kreuzfahrttraum und die Zimmer mit variabler Trennwand zum Bad so sexy, wie es nur geht.

Ron Arad im siebten Stock entdeckt die Siebziger wieder: runde Betten - aber in der Gegenwart gelandet. Sie sind Teil eines Raumkörpers, der aus einem Stück besteht und den der Gast mittig umkreisen kann. Inklusive Garderobe, Schrank, Waschbecken, Toilette und Bad. Seine selbst gewählte Aufgabenstellung hat er erfüllt: „Ich will weder mich noch sonst jemanden langweilen“, sagt er zu dem Entwurf.

Das ist auch Kathryn Findlay und Jason Bruges gelungen. Die interaktiven Beleuchtungskörper ihrer Lobby bremsen beim Ankommen den Drang, das Hotelzimmer zu beziehen, denn im Vorbeigehen wird der Gast zum Reflektor und verändert so die jeweilige Lichtstimmung. Der weiße Korridor mit den wellenförmig zulaufenden Lichtern ist noch ein Highlight. Das Hotelzimmer ist eine offenherzige Angelegenheit: Die Badewanne ist nur durch einen Vorhang separiert.

Der neunte Stock darüber ist ein bewohnbares Museum. Richard Gluckman, amerikanischer Architekt, ist für seine Musentempel bekannt. Unter anderem trägt das Picasso Museum in Málaga seine Handschrift. Im Puerta América hat er mit der „Abwesenheit von Kunst“, wie es Guide Michael Rich ausdrückt, gespielt. Leere Nischen, von innen beleuchtet, sind Einladungen für Exponate. Leider durch Unmengen Plastik und fiese Vorhänge ein eher überflüssiges Werk. Doch dann geht die Sonne auf. Im zehnten Stock ist Japan Trumpf, und der international ausgezeichnete Architekt Arata Isozaki macht die Gäste zu Shogun und Geisha. Quadratische Holzbadewanne, kostbare handgestickte Kimonos als Wandschmuck und bespannte Holzspaliere vor den Fenstern sorgen dafür.

Im elften Stock ist das Gegenteil des japanischen Purismus Trumpf. Javier Mariscal lässt Farben auftreten und schon im Entree wird der Besucher von einer Skulptur begrüßt. Ein fröhlich gesprenkelter, stilisierter Hase. Die Zimmer haben bemalte Glastüren vor den Schränken, farbige Kacheln auf den Böden und bunt gemusterte Tagesdecken.

Im finalen Stockwerk von Jean Nouvel geht es etwas gesitteter zu. Auch wenn der japanische Fotokünstler Araki mit am Werk ist. Das System von Nouvels Suiten: vier Wände, die überkreuz laufen und in sich verschiebbar sind. Manövriermasse für Gäste mit Bewegungsdrang. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden sind Arakis Arbeiten zu sehen: eine Japanerin im Kimono und eine Blume. Schiebt man - kommt es zu einer psychodelischen Doppelbelichtung. Nach der Tour de Force in modernem Design ist das Finale der Blick über Madrid. Vom Dach mit Pool, Bar und Fitnessstudio - das ebenfalls von Nouvel gestaltet wurde, schweift der Blick in die Ferne. Zu Füßen liegt der Ausblick in eine ästhetische Zukunft.

Der Standard, Fr., 2005.09.09



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Hotel Silken Puerta América

04. Mai 2005Michael Hausenblas
Der Standard

Nur neue Architektur schafft altes Erbe

Wird der zeitgenössischen Architektur in Wien derselbe Stellenwert eingeräumt wie der historischen? Ein STANDARD-Montagsgespräch
Trennlinie

Wird der zeitgenössischen Architektur in Wien derselbe Stellenwert eingeräumt wie der historischen? Ein STANDARD-Montagsgespräch
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Neue Architektur und altes Erbe - „wenn man sich die Stadt Wien anschaut, betrifft das so gut wie jeden Quadratzentimeter“, leitete die Moderatorin und Standard-Architekturkritikerin Ute Woltron die Diskussion ein. Auch die Situation des 20er Hauses, die Frage nach Architektur-Landmarks sowie das Pro und Kontra zum Thema Investorenarchitektur waren Gesprächsstoff im Wiener Haus der Musik.

Eingeladen, ihre Meinung kundzutun, waren der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker, die Architektin Bettina Götz, Thomas Jakoubek, unter anderem Vorstand der Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG, und Architekt Carl Pruscha.

Beer fehlte

Am Tischchen, das ursprünglich für Burghauptmann Wolfgang Beer reserviert war, saß Architekt Adolf Krischanitz. Beer hatte seine Teilnahme an der Runde wenige Stunden zuvor abgesagt. Begründung: Er wolle nicht nur über das 20er Haus diskutieren.

Schicker meinte gleich zu Beginn des Abends, Aufgabe der Architektur sei es nicht, um jeden Preis zu provozieren oder eine Stadt radikal zu verändern, sondern eine Auseinandersetzung mit modernen Lebens- und Wirtschaftsformen zu ermöglichen. Bettina Götz sah diesbezüglich in der sehr intakten Altbausubstanz Wiens einen Umstand, der die „Sache nicht unbedingt vereinfacht.

Immerhin ist das K47-Gebäude der Architekten Henke und Schreieck der erste Neubau im 1. Bezirk seit Hans Holleins Haas Haus aus dem Jahre 1985.“ Das ist Götz zu wenig für eine Stadt. "Wien kann als Stadt, genauso wie jede andere, nur dann interessant sein, wenn das Alte mit dem Neuen eine Symbiose eingeht, wenn die Entscheidung nicht lautet‚ Denkmalschutz oder neue Architektur, sondern wenn Neu und Alt auf derselben Stufe bestehen." Qualität müsse dabei im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Interessen der Investorenarchitektur im Vordergrund stehen.

Dialog ist wichtig

Thomas Jakoubek zum oft sehr negativen Image so genannter Investorenarchitektur: „Viele meinen, die Architektur beschränke sich letztendlich auf den einen oder anderen Gag. Ich bin der Meinung, dass für gute Architektur primär nicht das Budget, sondern der Dialog mit dem Architekten ausschlaggebend ist. Das ist eine Frage des Ansatzes, und dabei geht es um eine ästhetische Reflexion auf die technologischen und sozialen Anforderungen.“

Carl Pruscha, Architekt, Exrektor der Akademie der bildenden Künste und für seinen besonders behutsamen Umgang mit historischer Bausubstanz (Beispiel Semperdepot) bekannt, gibt seiner jungen Kollegin Bettina Götz Recht, wenn er meint, das Neue und das Alte gehörten auf dieselbe Stufe. „Das ist der einzig richtige Weg“, so Pruscha. Der Architekt glaubt fest daran, dass man sich auf moderne Weise alter Bausubstanz nähern kann und dass darin viele Chancen liegen.

„Vieles möglich“ in Wien

Gerade auf dem Weg dieser Annäherung an ältere Substanz werden dem Architekten Adolf Krischanitz im Rahmen der Neugestaltung des 20er Hauses (Baujahr 1958) finanzielle Hindernisse in den Weg gelegt: Adolf Krischanitz, Gewinner des Wettbewerbs zur Sanierung dieses Wiener Architekturmeilensteins, darauf angesprochen: „Wien ist an sich eine Stadt, in der vieles möglich ist.

Andererseits tauchen immer rechtzeitig gewisse Hindernisse auf. Wirklich herausragende Qualität ist sehr selten.“ Krischanitz fragt: „Warum ist Wien so? Warum funktioniert es immer nur bis zu einem gewissen Grad?“ Krischanitz spricht von einer Art „Angst vor einer wirklichen Qualität“. Oft werde diese Qualität dann durch etwas ersetzt, „das so aussieht, als ob“.

Was nun die Zukunft des 20er Hauses betrifft, hegt Krischanitz den Verdacht, dass man offensichtlich noch nicht so weit sei, im Gegensatz zu älteren Bauten das Erbe der Moderne als denkmalwürdig einzustufen. Der Zuhörer mag an dieser Stelle freilich meinen, dass man zu dieser traurigen Einsicht schon vor Ausschreibung eines Wettbewerbs hätte kommen können.

Der Standard, Mi., 2005.05.04

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Publikationen

Presseschau 12

15. Dezember 2021Michael Hausenblas
Der Standard

Hoffmanns Erklärungen

Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt die bisher umfassendste Retrospektive des Designers, Architekten und Geschmacksstifters Josef Hoffmann. Eine sinnlich-strenge Schau der Superlative, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Das Wiener Museum für angewandte Kunst zeigt die bisher umfassendste Retrospektive des Designers, Architekten und Geschmacksstifters Josef Hoffmann. Eine sinnlich-strenge Schau der Superlative, für die man sich Zeit nehmen sollte.

Hand aufs Herz. Die meisten Zeitgenossen kennen Josef Hoffman eher vom Hörensagen. Wenn überhaupt. Manch einer hat von ihm gehört als Mitbegründer der Wiener Secession oder der Wiener Werkstätte, als Freund Gustav Klimts. Als Strebender nach dem Gesamtkunstwerk, Wegbereiter der Moderne, der wie seine Konsorten Adolf Loos, Otto Wagner und andere die Welt von gestern in eine Welt von morgen führte, so unterschiedlich diese Protagonisten unter dem Deckmäntelchen der Moderne auch werken mochten. Das hat nicht nur Kaiser Franz Joseph I. wenig gefreut, denn ihre Entwürfe standen für eine Revolution, provozierten und hatten das Zeug dazu, den Staub des schwülstigen Historismus hinfortzublasen.

Doch wo fängt diese Moderne an, wo hört sie auf? Der Kunsthistoriker Christian Witt-Dörring, auch Gastkurator der soeben eröffneten Hoffmann-Retrospektive Fortschritt durch Schönheit im Mak, meinte einmal: „Das zentrale Thema der Moderne war, dem Individuum eine Stimme zu geben, und zwar indem man Schönheit und Lebensstil über Kunsthandwerk und Industrialisierung erstmals einer breiten Masse zugänglich gemacht hat. Geschichte und Ästhetik – das ist in der Moderne nicht nur ein elitärer Herrschaftsanspruch, sondern ein breites Mittel für den mündigen Konsumenten.“

Gebrauch ohne Schranken

Auf die Frage, wie breit dieses Mittel daherkommt und wie mündig Josef Hoffmann, dieser Geschmacks- und Identitätsstifter, seine Zeitgenossen einschätzte, gibt es nun eine ganze Menge Antworten im Wiener Museum für angewandte Kunst, das unter dem Titel Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit die bisher umfassendste Hoffmann-Retrospektive überhaupt zeigt.

Kurator und Mak-Kustode Rainald Franz sowie die Gastkuratoren Matthias Boeckl und Christian Witt-Dörring zeigen über 1000 Exponate, die in 20 Kapitel gegliedert sind, die sich mit dem Schaffen Hoffmanns beschäftigen, der 1870 in Brtnice, im heutigen Tschechien, geboren wurde und u. a. bei Otto Wagner und Carl Hasenauer an der Akademie der bildenden Künste studierte. Der 1956 gestorbene Hoffmann gestaltete während seines 60-jährigen Schaffens unzählige Gebrauchsgegenstände wie Möbel, Besteck, Services, Glas, Schmuck, Ausstellungsarchitekturen, Inneneinrichtungen und herausragende Bauten, darunter das zum Unesco-Welterbe zählende Palais Stoclet in Brüssel, das Sanatorium Westend in Purkersdorf, seinen Beitrag zur Werkbundsiedlung oder Österreichs Pavillon für die Biennale in Venedig aus dem Jahr 1934.

Die Mak-Schau, in der Hoffmann die Besucher mit gezwirbeltem Schnurrbart von einem Foto heruntergrüßt, hat vieles drauf. Sie ist, da kann man Mak-Direktorin Lilli Hollein nur recht geben, eine der „Superlative“. Die geometrisch gestreuten Exponate, all die Plakate, Zeichnungen und Objekte haben mannigfaltige Auftritte. Viele von ihnen sind in Vitrinen versammelt, die einen in Reih und Glied stehend erwarten. Die gelungene Atmosphäre könnte als streng mit einem kleinen Schuss Gemütlichkeit beschrieben werden, auch als sinnlich, aber strukturiert. Im Zentrum, sozusagen dem Herzstück der Ausstellung, sticht ein großer Kubus heraus, in dem eine Rekonstruktion des Boudoir für einen großen Star aus dem Jahre 1937 zu sehen ist. Der Raum besticht durch Glas, Silber, eine Chaiselongue, einen Fauteuil und spärlich rankendes Ornament. In der Tat kann man sich hier Marlene Dietrich in Erwartung eines Schäferstündchens vorstellen.

Fortschritt durch Schönheit also, durch etwas, das Hoffmann nicht länger als ein Privileg der Reichen sehen wollte. „Nichts auf der Welt kann das Kunstwerk verdrängen, und nur das kann von wertvoller Dauer sein, das nach Vollendung und ewiger Schönheit strebt“, sagte Josef Hoffmann. Nun liegt Schönheit bekanntlich im Auge des Betrachters, und das verändert sich im Laufe eines Jahrhunderts. Betrachtet man die Objekte heute, macht es sich also bezahlt, eine reflektierte Zeitreise zuzulassen, in jene Epoche, in der sie entstanden sind. Was die Aktualität dieser Welt von gestern betrifft, meint Designer und Architekt Gregor Eichinger, der für die Ausstellungsarchitektur verantwortlich zeichnet: Josef Hoffmanns Œuvre sei ein sehr emotionales, das daher auch in der Zukunft von Bedeutung sein werde.

Und Ex-Mak-Direktor Christoph Thun-Hohenstein sagte anlässlich des 150-Jahr-Jubiläums des Hauses vor sieben Jahren: „Das Thema der Moderne, als es erstmals gelungen war, neue, bürgerlichere Käuferschichten zu erschließen, ist aktueller denn je.“

„Josef Hoffmann. Fortschritt durch Schönheit“, Mak, bis 19. Juni 2022

Der Standard, Mi., 2021.12.15

21. April 2020Michael Hausenblas
Der Standard

Künstler Lois Weinberger gestorben

Der zweifache Documenta-Teilnehmer und Forscher ist in der Nacht auf Dienstag 72-jährig in Wien verstorben

Der zweifache Documenta-Teilnehmer und Forscher ist in der Nacht auf Dienstag 72-jährig in Wien verstorben

Die Natur ist schwer zu fassen, sagte Lois Weinberger. Der Mann versuchte es trotzdem. Er war ihr auf der Spur wie kein anderer Künstler. Die Natur war ihm Medium, Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld, das er zweimal auf der Documenta, auf der Biennale in Venedig und im Rahmen unzähliger Ausstellungen auf der ganzen Welt in Szene setzte, ohne ihr zu Nahe zu rücken. Kunstwelt-weltbekannt wurde er unter anderem mit seiner Installation auf der Documenta X 1997.

Weinberger bepflanzte ein stillgelegtes Eisenbahngleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also „eingewanderten“ Pflanzen, aus Süd- und Osteuropa. Damit schuf der 1947 im Tiroler Stams geborene Künstler bereits lange vor den Einwanderungswellen eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinausführt.

Die Natur ist schwer zu fassen, sagte Lois Weinberger. Der Mann versuchte es trotzdem. Er war ihr auf der Spur wie kein anderer Künstler. Die Natur war ihm Medium, Neugiersland, Forschungsgebiet und künstlerisches Feld, das er zweimal auf der Documenta, auf der Biennale in Venedig und im Rahmen unzähliger Ausstellungen auf der ganzen Welt in Szene setzte, ohne ihr zu Nahe zu rücken. Kunstwelt-weltbekannt wurde er unter anderem mit seiner Installation auf der Documenta X 1997.

Weinberger bepflanzte ein stillgelegtes Eisenbahngleis auf einer Länge von 100 Metern mit allerlei Neophyten, also „eingewanderten“ Pflanzen, aus Süd- und Osteuropa. Damit schuf der 1947 im Tiroler Stams geborene Künstler bereits lange vor den Einwanderungswellen eine Installation, die zur international beachteten Metapher für die Migrationsprozesse unserer Zeit wurde und mit ethnopoetischen Bezügen weit darüber hinausführt.

Neugier war sein immer auf Hochtouren laufender Motor, betankt mit einer in ihm wohnenden Kraft, Dinge zu sehen und einzuordnen, wie sie einzigartig war. Weinberger war ein scheuer Mensch, und doch reflektierte er seine Sichtweisen aus der Natur auf das Verhalten der Gesellschaft vom Wirtshaus bis zum Parlament. Sein politisch-poetisches Vorgehen legte sich über 35 Jahre wie ein Netz über Randzonen aller Art. Es ging ihm um die Bedeutung von Veränderungen, die weder mit Profanem wie dem „Garten Eden“ zusammenhängen, noch auf ästhetische oder örtliche Kriterien festzulegen sind. Weinberger wurde zu einem Empfänger, Sender und Wanderer auf Wegen, die neue Maßstäbe und Blickwinkel ins Bewusstsein der Betrachter seiner Arbeit pflanzte.

Damit hat er die Welt der Kunst nachhaltig verändert. Nicht wenige sahen und sehen ihn als Visionär. Was das heißt? Er erkannte Dinge, die andere nicht sahen, und sei es nur eine „illegal eingewanderte“ Pflanze, die er in ein Objekt verwandelte. Seine Sichtweise auf die Dinge, die er in Zeichnungen, Skulpturen, Kunst im öffentlichen Raum, Notizen und Fotografien übersetzte, wird bleiben. Was mehr kann sich ein Visionär wünschen?

Lois Weinberger, der auch als Schauspieler in Christian Bergers Spielfilm „Raffl“ in der Hauptrolle zu sehen war, ist in der Nacht auf Dienstag (nicht an Covid) überraschend verstorben. Er lebte mit seiner Frau Franziska Weinberger in Wien, Gars am Kamp und Innsbruck. Wer sich auch akustisch an ihn erinnern mag, soll sich einen Song von John Prine anhören, der ihm vor gut zwei Wochen ins Elysium der Visionäre vorausging. Noch vor kurzem verriet der Künstler, wie sehr er ihn mochte. Mögen die beiden eine gute Zeit haben. Wie heißt ein Song von Prine? „Caravan of Fools“. Möge es doch mehr solcher wunderbarer Narren geben. Man möge diesen pathetischen Ausflug verzeihen. Lois Weinberger hätte er gefallen. Der Tod dieses Künstlers ist schwer zu fassen. So wie die Natur.

Der Standard, Di., 2020.04.21



verknüpfte Akteure
Weinberger Lois

16. Dezember 2015Michael Hausenblas
Der Standard

Der ganz nor­ma­le Wohn­sinn

Das Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst in Wien (Mak) er­öff­ne­te am Diens­tag­abend ei­ne Aus­stel­lung zum Werk von Jo­sef Frank. Sie schafft es, den Be­su­cher in die Ge­dan­ken­welt des gro­ßen Ar­chi­tek­ten, De­sig­ners und Vi­sio­närs ein­tau­chen zu las­sen.

Das Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst in Wien (Mak) er­öff­ne­te am Diens­tag­abend ei­ne Aus­stel­lung zum Werk von Jo­sef Frank. Sie schafft es, den Be­su­cher in die Ge­dan­ken­welt des gro­ßen Ar­chi­tek­ten, De­sig­ners und Vi­sio­närs ein­tau­chen zu las­sen.

Der Ti­tel der Schau mag auf den er­sten Blick be­fremd­lich er­schei­nen. Aber nur auf den er­sten. Against De­sign bringt auf den Punkt, was Jo­sef Frank von vie­len an­de­ren Ent­wer­fern un­ter­schei­det und ihn un­glau­blich zeit­ge­mäß macht. Al­lein sei­ne Aus­sa­ge „Die Woh­nung ist kein Kunst­werk, des­halb hat sie nicht die Ver­pflich­tung, auf­re­gend zu wir­ken“ ver­dient mehr Be­ach­tung denn je. Der 1885 in Ba­den ge­bo­re­ne und 1967 in Stock­holm ver­stor­be­ne Frank ver­stand Woh­nen als et­was Or­ga­ni­sches, Le­ben­di­ges. Star­res war ihm ver­hasst, es ging ihm da­rum, Sen­ti­men­ta­les zu­zu­las­sen. Eben­so hat­ten Tri­via­les, Kitsch und ge­leb­te All­tags­kul­tur bei Frank kein Haus­ver­bot. Auch der Zu­fall soll­te beim Ein­rich­ten hel­fen. In all dem un­ter­schied sich Frank von dog­ma­tisch-er­zieh­eri­schen Ten­den­zen di­ver­ser Be­we­gun­gen sei­ner Zeit.

Der Ge­stal­ter ver­stand das Haus als ei­ne ab­wech­slungs­rei­che „Stadt im Klei­nen“ mit all ih­ren über­ra­schen­den E­cken und En­den. Stahl­rohr­mö­bel sah Frank als ei­ne Be­dro­hung für die Mensch­heit an, ein­far­bi­ge Flä­chen wirk­ten sei­ner Mei­nung nach be­un­ru­hi­gend auf den Be­trach­ter. Frei­lich be­scher­te ihm dies so man­che Kri­tik. Die Ver­tre­ter der Neu­en Sach­lich­keit ta­ten sich mit die­sem un­be­fan­ge­nen Zu­gang schwer – ih­re Vor­wür­fe reich­ten vom „Wie­ner Gschnas“ bis zum „Bor­dell Frank“.

Der Weg der im Mu­se­um für an­ge­wand­te Kunst ge­zeig­ten Ent­wür­fe führ­te über vie­le Um­we­ge. Frank ent­stamm­te ei­ner jü­di­schen Fa­mi­lie und stu­dier­te Ar­chi­tek­tur an der k. k. Tech­ni­schen Hoch­schu­le in Wien. 1925 grün­de­te er das Wie­ner Ein­rich­tungs­un­ter­neh­men „Haus & Gar­ten“. Die po­li­ti­sche Si­tua­ti­on ließ ihn be­reits 1933 nach Schwe­den aus­wan­dern. In den fol­gen­den Jah­ren ar­beit­ete er als Chef­de­sig­ner eng mit dem re­nom­mier­ten Ein­rich­tungs­haus Svenskt Tenn in Stock­holm zu­sam­men. Ins­ge­samt be­fin­den sich über 2000 Mö­bel­ent­wür­fe und 160 Tex­til­mus­ter Franks in den Ar­chi­ven des Mö­bel­hau­ses. Trotz der schwe­di­schen Staats­bür­ger­schaft leb­te Frank von 1942 bis 1946 in den USA, wo der als Pio­nier ei­ner auf­klä­re­risch ver­stand­enen Post­mo­der­ne gel­ten­de Frank an der be­kann­ten New Yor­ker New School of So­ci­al Re­se­arch un­ter­rich­te­te. Sein Wunsch, als Ar­chi­tekt zu re­üs­sie­ren und als Stadt­pla­ner en­ga­giert zu wer­den, wur­de je­doch nicht er­füllt.

Pa­ra­dies­gär­ten

Die Ma­cher der Aus­stel­lung, Mak-Kus­to­de Se­bas­ti­an Ha­cken­schmidt und Ar­chi­tekt Her­mann Czech, span­nen ei­nen wun­der­ba­ren Bo­gen von Franks Ar­chi­tek­tur­pro­jek­ten über sei­ne De­sign- und In­ter­ieu­rent­wür­fe bis hin zu theo­re­ti­schen Po­si­tio­nen. Die­se wer­den An­sät­zen an­de­rer Ge­stal­ter ge­gen­über­ge­stellt und die­nen als hilf­rei­ches Werk­zeug für die in­ter­na­tio­na­le Ein­ord­nung von Franks Be­deu­tung. Die Na­men rei­chen vom Re­nais­san­ce-Ar­chi­tek­ten Leon Bat­tis­ta Al­ber­ti, des­sen Ar­beit Frank als Dis­ser­ta­ti­ons­the­ma wähl­te, über Adolf Loos und Le Cor­bu­sier bis hin zu Rem Ko­ol­haas. Franks Ar­bei­ten zeich­nen sich in die­sem Kos­mos durch ei­ne eben­so so­zi­al wie kul­tur­kri­tisch mo­ti­vier­te Zweck­dien­lich­keit aus, was sich un­ter an­de­rem auch in den Ent­wür­fen für die Werk­bund­sied­lung aus dem Jah­re 1932 im 13. Be­zirk nie­der­schlug.

Kenn­zeich­nend für die Per­so­na­le ist, dass sie nicht als Par­cours ge­stal­tet ist, dem es zu fol­gen gilt. Ganz im Sin­ne Franks spült es den Be­su­cher hier­hin und dort­hin. Die Schau kommt an­ge­nehm un­mu­se­al her­über, wird zu ei­nem Wim­mel­buch ei­ner Ge­stal­ter-Ära. Aus­ge­wählt wur­den cir­ca 70 Mö­bel, über 100 Zeich­nun­gen und Aqua­rel­le, Ar­chi­tek­turm­odel­le, un­zäh­li­ge Fo­tos und opu­len­te Stoff­ent­wür­fe, die ei­nem gleich Pa­ra­dies­gär­ten ins Ge­sicht sprin­gen. Frank da­bei sti­li­stisch zu fas­sen oder gar in ei­ne Schub­la­de zu ste­cken scheint kaum mög­lich. Se­bas­ti­an Ha­cken­schmidt: „Frank ging die Din­ge un­glau­blich kul­tur­kri­tisch an, auf die­sem Weg fand er zu sei­nen Lö­sun­gen. Im Den­ken und Tun ist er an­ti­for­ma­lis­tisch, Vor­ga­ben, die ihn ein­schränk­ten, ak­zep­tier­te er nicht.“

Czech und Ha­cken­schmidt ist ei­ne Aus­stel­lung ge­lun­gen, in der man in Franks Ge­dan­ken­welt ab­tau­chen kann. Die­se führt den Mak-Be­su­cher eben­so in ei­ne an­de­re Ga­la­xie wie die Star Wars -Aus­stel­lung ei­nen Stock tie­fer – mit dem Un­ter­schied, dass je­ne von Frank tat­säch­lich exis­tiert.

Der Standard, Mi., 2015.12.16

16. September 2010Michael Hausenblas
zuschnitt

Was vom Sommertage übrig blieb

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche...

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche...

Das Eisstäbchen ist eines der einfachsten Alltagsobjekte der Welt. Weniger bekannt ist, dass ohne eine Frostnacht des Jahres 1905 so manch eine sommerliche Situation zu einer äußerst pickigen und umständlichen Angelegenheit geworden wäre.

Sagen wir Staberl zu ihm. Oder nein, doch lieber Stäbchen. Oder noch besser: Eisstäbchen. Im Prinzip handelt es sich dabei um ein an Einfachheit kaum zu überbietendes Alltagsobjekt. In dieser Disziplin kann es locker mit seinem nahen Verwandten, dem Zahnstocher mithalten. Man könnte auch sagen, das Eisstäbchen ist so einfach wie unentbehrlich. Der Versuch, sich ein Brickerl ohne Eisstäbchen auf der Zunge zergehen zu lassen: zum Scheitern verurteilt. Das Knabbern an der Schokokappe eines Jolly ohne Stäbchen: äußerst unelegant. Das ohnehin nicht einfache Unterfangen, ein Twinni brüderlich zu teilen: Was für eine pickige Angelegenheit! Kurz: Das Eisstäbchen gehört zum Eis wie ebendieses zum Sommer. Das Stäbchen macht diese Schleckerei erst möglich, es ist sozusagen das Fundament des Eisschleckens, das Instrument, das – zwischen Daumen und Zeigefinger geklemmt – das Eis seiner Bestimmung zuführt. Ist das Eis geschleckt, zerbissen oder zwischen den Lippen geschmolzen und schon auf dem weiteren Weg alles Irdischen, bleibt das Eisstäbchen übrig.

Manch einer zuzelt dann noch in Biber-Manier an dem hölzernen Ding – nun ohne Trägerfunktion –, bis es seine fasrige Struktur offenbart. Auch hier zeigen sich die verwandtschaftlichen Bande zum Zahnstocher. Ein anderer findet Vergnügen daran, es zu brechen und zu knicken. Der Nächste verwendet es als Anzündhilfe fürs Lagerfeuer und als Tischbeinkeilchen. Auf www.recyclingbasteln.de versammeln sich die Jünger des Eisstäbchens und zeigen ihre gebastelten Meisterleistungen: Vom einfachen Christbaumschmuck in Sternform über Eierbecher und Lesezeichen bis hin zu Flamenco-Fächern und Strickleitern für Osterhasen reichen die Ergüsse aus einem Werkstoff, der die Konkurrenz von Kastanien-Getier mit Streichholzbeinen nicht fürchten muss.

Allein in Deutschland wird der mit Ceresin-Wachs beschichtete Eisstiel aus Buchenholz jährlich 1,2 Milliarden Mal verbraucht. Angeblich geht die Geschichte vom Eis am Stiel auf den Amerikaner Frank Epperson und das Jahr 1905 in Kalifornien zurück. Der damals Elfjährige braute sich eine Limo und ließ diese samt Rührstab auf der Veranda stehen. Irgendwann in der darauf folgenden, frostigen Nacht schlug die Geburtsstunde des Eis am Stiel. Doch erst Jahre später, im Jahre 1923, erinnerte sich Frank Epperson an sein glückliches Missgeschick und ließ sich seine gefrorene Stiel-Limo patentieren. In der Patentanmeldung hieß es: »Gefrorenes Eis am Stiel ist die fortschrittliche Methode, gefrorene Süßware in attraktiver Form und angebrachter Weise verzehren zu können, ohne sie dabei durch Kontakt mit Hand, Teller oder Gabel zu beschmutzen.«

Dass aus dem Stiel ein Holzstiel wurde, ist weit weniger zufällig als die Geschichte des Stieleises. Fragt man bei Professor Alfred Teischinger vom Institut für Holzforschung der Wiener Universität für Bodenkultur nach, weiß dieser zu berichten:

»Es gibt wohl mehrere Gründe, warum Holz damals wie heute die beste Lösung für das Eisstaberl ist. Holz ist nicht wärmeleitend. Es wirkt eher als Isolator. An einem Plastikstaberl würde das Eis viel schneller in der Hand schmelzen und man hätte an einem heißen Sommertag die Malaise. Außerdem ist Buchenholz eine wenig dauerhafte Holzart, einmal unachtsam weggeworfen, zersetzt sich das Eisstaberl im Gras ohne schädliche Rückstände. Das Holzstäbchen erfüllt also kurzfristig seinen Zweck ganz einwandfrei und verschwindet von selbst.« Teischinger kennt aber noch mehr Vorteile, die im Prinzip in und auf der Hand liegen, so bietet die hölzerne Oberfläche den Fingern ausreichend Grip und ist geschmacksneutral. Und schließlich wäre da noch die Sache mit der Hygiene: Nicht umsonst kommt die breitere Variante des Eisstäbchens während des »Ahhhh«-Sagens beim Onkel Doktor zum Einsatz. Das kann doch nur gesund sein!

zuschnitt, Do., 2010.09.16



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15. September 2009Michael Hausenblas
zuschnitt

Hüttenzauber in einer Herberge namens »berge«

Nils Holger Moormann, Möbelverleger und Designer, gilt als Querkopf, Protagonist des »Neuen Deutschen Designs« und Pate großer Designtalente. Jetzt ist er auch noch unter die Hoteliers gegangen.

Nils Holger Moormann, Möbelverleger und Designer, gilt als Querkopf, Protagonist des »Neuen Deutschen Designs« und Pate großer Designtalente. Jetzt ist er auch noch unter die Hoteliers gegangen.

Man könnte Nils Holger Moormann als den Jacques Tati des Designs bezeichnen. Die einen nennen ihn Spaßvogel, die anderen die Nummer eins des beherzten Möbelhandels. Seit mehr als zwanzig Jahren produziert und vertreibt der 1953 in Stuttgart Geborene Entwürfe meist junger, weniger bekannter Designer. Zu diesen zählte u. a. Konstantin Grcic, heute ein Stargestalter. Die Arbeit Moormanns verkörpert den reziproken Wert von Design als Verhübschungsschnickschnack, ganz sicher ist er ein Kämpfer für mehr Polarisierung in Sachen Gestaltung, ein Musenküsser und einer, der stolz ist auf die Authentizität von Handwerk. Jetzt ist Moormann auch noch zum Herbergsvater geworden.

In Aschau im Chiemgau hat er ein Gebäude aus dem 17. Jahrhundert, das schon als Bäckerei, russisches Restaurant und Schülerferienheim herhalten musste, zur Herberge namens »berge« umgebaut – als Tüftler, Bauherr, Ausführender und Hotelier. 13 verschiedene Appartements zählt die Bleibe, sie heißen »Bergbude« oder »Sommerloch« und sind so ungewöhnlich und fesch wie die vielen Möbel aus dem Hause Moormann. Als Motto oder Hoteliersphilosophie hält ein Zitat des französischen Bergsteigers Jean-Christophe Lafaille her: »Wer die Berge liebt, akzeptiert auch, dass sie Bedingungen stellen.« »berge« ist, man kann es schon ahnen, kein gewöhnliches Hotel. Wie die Moormann-Objekte besticht die Herberge durch Leichtigkeit und Strenge, wobei Letztere immer der Schalk im Formgeber-Nacken sitzt.

Weiters ist über »berge« in einem 17 Punkte umfassenden Katalog zu erfahren: »In berge gibt es kein wlan. Dafür müssen Sie keinem erzählen, wie gut es Ihnen geht!« Oder: »berge bietet keinen Wellness-Bereich. Dafür sehr kleine, urige Bäder.«

Einen Eröffnungstermin gab es für das Hotel nicht wirklich. »Eigentlich war das Hotel schon im Übernahmezustand eröffnet. Ich sehe das Haus als Work in Progress. Zu Beginn konnte man darin für einen Euro übernachten, da gab es noch gar keine Böden. Das Projekt ist ja nicht aus einem Management-Plan entstanden. Ungewöhnlich ist an berge vor allem, dass sich da ein Unternehmen wie das unsere im Sinne von Learning by Doing fortbewegt. So etwas würde wahrscheinlich sonst niemand tun, es war ein ständiges Vor, Zurück, Vor, Zurück«, sagt Moormann über sein Hotel. Von einem fixen Plan und Fertigungstermin wollte er nichts wissen. Jedes Detail wurde, wie Moormann es nennt, in einer »Gnadenlosigkeit, die ihresgleichen sucht«, durchgeplant. Moormann kann nicht anders, er ist ein Getriebener, egal ob er einen Schemel entwirft oder ein ganzes Hotel baut. »berge« sei wie ein »Traum von jemandem, der es sich leisten will, ein Schiff zu bauen, und der sich dann wundert, dass das Schiff auch schwimmt«. Die Doppelrolle als Bauherr und Ausführender bezeichnet Moormann als Problem, einen Architekten aber hätte er wahrscheinlich ins Irrenhaus gebracht: »So war es einfach spannender, und mittlerweile weiß ich auch, wie ein Abfluss funktioniert.«

Das Konzept selbst bestand für den gebürtigen Schwaben zuerst einmal in der Findung der Seele dieses alten Hauses. Moormann brauchte lange, um die Raumentwicklung voranzutreiben, alles sei völlig verbaut gewesen. Damals nannte der Designer sein Projekt noch »Grand Hotel Aussichtslos«. Erst später wurde das Thema Gästehaus entwickelt, und daraus wurde wiederum »berge«. Der Name habe ihm sehr dabei geholfen, nicht zu sehr in die Design- oder Art-Hotel-Schiene zu rutschen. Wie im Design ist es Moormann wichtig, ein Projekt in einem Satz beschreiben zu können.

Wo alte Strukturen in dem Haus, das an einer Bundesstraße liegt, vorhanden waren, werden diese auch gezeigt. Mit Oberflächen geht Moormann radikal um. Zu sehen sind ungestrichene Lehmwände und Böden aus unbehandelter Hochgebirgsfichte.

»Das ist eine Sauarbeit, die wieder sauberzuschrubben, aber das gibt dann halt die richtige Patina«, so Moormann. Die Einbauten in »berge« variieren. Meistens sind sie aus schwarzem Furniersperrholz, auf das der frischgebackene Hotelier abfährt, das aber, wie er erzählt, Putzfrauen hassen. Neues Wandmaterial aus natürlichen Baumaterialien fügt sich passend in den Bestand ein. Moormann ist vor allem der Kontrast wichtig, das Interieur soll nicht »alpenländisch jodeln«. Baulich findet sich der Kontrast zwischen den lebendigen Böden und frischem Kalkputz oder zwischen welligen Steinmauern und aalglatten Fichtenbrettern der hinzugefügten Einbauten. Zwei andere Pole bilden die straßenseitigen Kastenfenster aus Holz und die rückseitig gelegenen französischen Fenster aus gertenschlanken Stahlprofilen und hölzernen Fensterläden zum Auf- und Zuschieben. Natürlich gibt es auch eine große Stube, die sich vor allem für Tagungen anbietet. Als Möbel kamen – versteht sich – größtenteils Stücke aus der Moormannkollektion zum Einsatz, es finden sich aber auch Klassiker wie z. B. der Plastic Side Chair von Charles und Ray Eames. Zu finden sind ferner einige Einzelanfertigungen wie die Schlafstätten, die zu nestartigen Bettnischen im Gemäuer werden.

Ausgerechnet die Auswahl der richtigen Möbel empfand Moormann als besonders schwierig und langwierig, schließlich seien sie die »Schauspieler für diese Bühne«. Eine Produktdesignerin stand dem Chef bei der Suche nach den richtigen Stücken zur Seite – ein Prozess, den Moormann übrigens noch lange nicht als abgeschlossen ansieht. Der Herbergsvater meint, man müsse schon einen »an der Birne haben«, um sich an ein solches Projekt heranzuwagen, kommerziell würde sich das Ganze nie wirklich rechnen. Aber das war wohl auch kaum der Plan. »Ich möchte, dass sich hier Menschen aus der Design- und Architekturszene wohlfühlen, miteinander kommunizieren und ein Netzwerk entsteht«, sagt Moormann. Aufs Haustierreich umgemünzt spricht er von »berge« als einem Ort, an dem sich Katze oder Hund sofort hinlegen würden, um zu entspannen.

zuschnitt, Di., 2009.09.15



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28. Oktober 2005Michael Hausenblas
Der Standard

„Nine-to-five gehört überholt“

Neue Konzepte für den Arbeitsplatz Büro gibt es zur Genüge. Wie es um die Realisierung der neuen Arbeitswelten steht, fragte RONDO den Architekten Dustin A. Tusnovics

Neue Konzepte für den Arbeitsplatz Büro gibt es zur Genüge. Wie es um die Realisierung der neuen Arbeitswelten steht, fragte RONDO den Architekten Dustin A. Tusnovics

der Standard: Mobiles Büro, Desksharing, Thinktanks, Recreationzones usw. - seit Jahren füttern uns Architekten und Büromöbelhersteller mit derlei zukunftsträchtigen Begriffen in Sachen Arbeitswelt. Was von alldem wird eigentlich realisiert? Und wo?
Dustin A. Tusnovics: Alles existiert heute, es wird nur nicht immer alles konsequent umgesetzt bzw. genutzt. Die Tendenz, Flächen intelligent zu nutzen, betrifft fast jeden. Aber es geht nicht nur um effizienteren Nutzen, sondern um Konzepte, Ideen und Möglichkeiten. Da bewegt sich schon einiges. Ich war vor Kurzem in London, und dort ist es wirklich so, dass ich als Unternehmer bei einer sehr geringen Arbeitslosenrate schauen muss, meine Mitarbeiter zu halten. Gutes Gehalt ist eine Sache, für ein gutes Unternehmen zu arbeiten, auch. Damit mir ein guter Mitarbeiter auf einem lebhaften Arbeitsmarkt bleibt, muss ich ihm mehr bieten. Dazu gehört auch die Umgebung, das so genannte Arbeitsumfeld. Die großen Büros in England haben alle ihre Thinktanks, dort übrigens „60 minute office“ genannt. Auch viele andere neue Ideen werden dort gelebt.

Abgesehen vom Arbeitsmarkt, wie schaut die Entwicklung bei uns aus?
Tusnovics: Das große Problem ist, dass heute alle sparen wollen, und das an der falschen Stelle. Es gibt ja eine alte Rechung, die folgendermaßen lautet: Wenn ich ein Haus baue, kostet das ein Prozent von xy, die Betriebskosten machen zehn Prozent aus, und die Mitarbeiter kosten dann hundertmal so viel wie die eigentliche Investition. Wenn ich sage, ich steigere die Produktivität der Mitarbeiter um zwei, drei Prozent, dann habe ich die Investitionskosten schon wieder herinnen. Nun wird aber versucht, selbst bei diesem einen Prozent zu sparen.

Das heißt, die wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre ist verantwortlich dafür, dass all die prophezeiten Veränderungen für die Bürowelten nur spärlich umgesetzt werden.
Tusnovics: Ich glaube schon. Und doch, die Bereitschaft ist da, das Nachdenken findet statt. Es haben sich in den vergangenen Jahren ja auch viele Büroconsulter etablieren können.

Und wie geht's weiter?
Tusnovics: Man muss ein wenig unterscheiden. Früher haben wir geglaubt, dass jeder dieses oder jenes Büro haben will. Das heißt: Non-Territorial oder Kombi oder Zelle. Ich rede heute nur noch von Bürolandschaften, es geht um eine Kombination aus allen Typen. Eine Bestätigung dieser Entwicklung findet man ja auch durch die Büromöbelbranche. Zum Beispiel das neue Vitra-Konzept von Werner Aisslinger. Da geht's um Lounge, Sitzen, Arbeiten, Wohnen, aber auch Touch-down und so weiter. Viele Büros gehen in diese Richtung. Vielleicht nicht so sehr in Wien, weil viele Immobilien das gar nicht mit sich machen lassen. Das ist natürlich auch noch ein Problem. In Deutschland oder England denkt man in Sachen Trakttiefe nicht mehr an acht bis zwölf Meter, sondern an 15 bis 18 Meter. Da können dann echte Bürolandschaften entstehen. Auch bei uns will jeder gern in einem Loftbüro arbeiten.

Apropos „was jeder will“. Was möchte denn der Otto Normalbüroverbraucher? Sollten Mitarbeiter nicht auf diese Entwicklungen vorbereitet werden?
Tusnovics: Darüber haben wir viel diskutiert. Natürlich empfinden es Mitarbeiter so, dass das Alte nie so gut ist wie in dem Moment, in dem es verändert werden soll. Das Übersiedeln basiert ja auf einer Entscheidung, die der Mitarbeiter in der Regel nicht beeinflussen kann. Er wird zwangsbeglückt. Bei unseren Projekten versuchen wir sehr stark, die Mitarbeiter miteinzubeziehen. Wir zeigen und erklären ihnen, was wir tun, warum zum Beispiel die Arbeitsfläche anscheinend kleiner wird, was wir mit der gewonnen Fläche Neues schaffen etc. Das kann auch bei 5000 Leuten funktionieren. Man muss halt die richtigen Ansprechpartner finden.

Ist es nicht immer noch so, dass jeder sein eigenes Reich will - mit Pinnwand, Postkarten - und nicht jeden Tag anderswo und neben jemand anderem arbeiten möchte?
Tusnovics: In Deutschland erscheinen Artikel unter dem Titel „Hoch lebe das Zellenbüro“. Dieses wird auch sehr gut angenommen. Natürlich will jeder sein eigenes Reich haben und Chef sein. Wenn aber auch der Chef kein Reich hat, sondern einen Schreibtisch wie seine Mitarbeiter und das System also mitträgt, geht das auch auf. Der Chef ist ja nicht Chef, weil er ein großes Büro hat. Das Ganze muss also auf den Verantwortungsebenen durchgesetzt werden. Die Beratung von außen ist zu wenig. Es bedarf der Akzeptanz von innen. Man muss lernen, mit den neuen Verhältnissen umzugehen. Und das funktioniert. Viele Bürokonzepte entwickeln sich heute, wie gesagt, nicht mehr auf der Basis, dieses oder jenes Model einsetzen zu wollen, sondern aus der Mischung unterschiedlicher Elemente, die komponiert werden müssen.
Schaut man sich heute in vielen Büros um, stehen die Computer völlig falsch, die Leute krabbeln unterm Schreibtisch herum, um einen USB-Stick anzustecken, oder wackeln auf Bürostühlen aus dem Jahre Schnee herum. Kann der Einzelne etwas tun, um in den Genuss dieser neuen Projekte zu kommen?
Tusnovics: Solche Dinge sind zu thematisieren. Man muss gut sitzen, auch wenn man nur drei Stunden im Büro ist. Auch die Mitarbeiter tragen Verantwortung mitzudenken und mitzufordern. Es geht diesbezüglich darum, kreative Diskussionen aufzubauen, mit Abteilungsleitern, Chefs etc. Das Thema muss weitergebracht werden.

Stichwort Motivation. Begriffe wie Burn-out, Mobbing etc. sind heute in aller Munde. Sind die neuen Bürokonzepte in der Lage, diesen Entwicklungen gegenzusteuern?
Tusnovics: Mobbing passiert in dunklen, stillen Gängen. In einem transparenten Büro, in dem Transparenz auch im Kopf funktioniert, akzeptiere ich den anderen. Alles wird gemeinschaftlicher, teamorientierter. Ich denke, auch das Burn-out kann teilweise eliminiert werden, wenn ich die Motivationskurve steigern kann.

Und wie stellt der Architekt das an?
Tusnovics: Ach, da gibt's Supermöglichkeiten. Farben, Oberflächen, taktile Qualitäten, Möbel, die nach einer Idee angeordnet werden. Diese muss man halt entwickeln.

Man liest immer wieder, dass noch nie so viel Papier verbraucht wurde wie jetzt, in Zeiten des Internets. Haben Sie dafür eine Erklärung?
Tusnovics: Wir realisierten ein Büroprojekt, bei dem die Anforderungen an den Stauraum viermal höher als von uns eingeplant waren. Heute braucht dieses Büro nicht einmal den Raum, an den wir dachten. Ein digitales Archiv wurde durchgeboxt, alle offiziellen Dokumente sind im Keller in einem Archiv. Auch das kann man lernen. Wir reden ja von Zukunftswelten. Manche Unternehmen sind halt weiter, andere weniger. Meine Studenten wissen heute gerade noch, dass es so etwas wie ein Fax gibt. Sie selbst aber scannen etwas ein und schicken eine E-Mail. Da muss einfach noch ein großer Lernprozess durchwandert werden.

Ein gewagter Blick in die Designerkristallkugel. Welches Büro kommt auf die nächste Generation zu?
Tusnovics: Ein anderes. Der Weg ist bereits vorgegeben. Neue Bürowelten und Bürolandschaften sind die Zukunft, das ist klar. Wir selbst sind nicht so weit, besonders im deutschsprachigen Raum. Die neue Qualität, die neue Freiheit, zum Beispiel Handy und Laptop statt eines fixen Schreibtisches, muss noch gelernt werden. Vielleicht wird das Büro überhaupt eliminiert - arbeiten kann ich heute von überall.

Haben nicht vor allem viele Autoritäten, also die Entscheidungsträger, Probleme, ihre Mitarbeiter, wenn sie nicht permanenten Zugriff auf diese haben, hart formuliert, nicht überwachen zu können?
Tusnovics: Natürlich gibt's solche realen Probleme: Geschäftsführer, Bosse, Chefs, die eben keine Autoritäten sind und ihre Autorität halt nur auf diesem Weg bekommen. Ich denke, dass dieses Nine-to-five-Thema eines ist, das endlich überholt werden muss.

Der Standard, Fr., 2005.10.28



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Tusnovics Dustin

09. September 2005Michael Hausenblas
Andreas Tölke
Der Standard

Schichtweise Design

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Eigentlich ist er Kunsthändler. In Sachen Alte Meister. In London. Michael Rich ist der klassische britische Gentleman: hervorragendes Benehmen, leicht verschroben. Seine Kleidung verrät Understatement. Wie kommt so ein Mann dazu, 13 der besten Designer und Architekten für ein Projekt zusammenzutrommeln? „Das ist ja alles eine Szene. Man lernt sich auf Vernissagen kennen, oder es kommt jemand auf Empfehlung in die Galerie“, drückt er sich vorsichtig wie der Pressesprecher der Queen um eine konkrete Antwort. Ein Mann, der als Macher gerne im Hintergrund bleibt.

Der diplomatische Macher wurde vor vier Jahren von Antón Iráculis, dem CEO der spanischen Hotelgruppe Silken, angeheuert, um die „Besten der Besten“ in einem Projekt zu vereinen. "Zwölf Stockwerke, 342 Zimmer (inklusive Suiten), ein Restaurant, eine Bar und natürlich die Lobby, außerdem das Parkdeck, die Außenanlage, das Dachgeschoß mit Pool und Fitnessstudio - jeder Stock, jeder Bereich in der Hand von einem anderen Gestalter.

„Keiner wusste bis zum Zeitpunkt der Enthüllung, was die Konkurrenz so treibt“, erklärt der Chef der Kette. Und dann der Vergleich. Niemals zuvor konnte mit einem Knopfdruck im Lift von einer Designwelt in die andere gewechselt werden. Kein Wunder, dass schon einen Tag vor dem offiziellen Opening Ron Arad auftauchte, um mit einer Digicam bewaffnet die kreativen Ergüsse der Konkurrenz in Augenschein zu nehmen. Dabei musste sich Arad, der für fast alle Topmöbel- und -designfirmen der Welt arbeitet, mit seinem siebenten Stock nicht verstecken.

Das tut auch die Hülle von Jean Nouvel nicht. Von Orange bis Rot leuchten seine „Segel“. Vor jedem Zimmer ist eine dieser Markisen zu finden, und sie bedecken, so sie geschlossen sind, die ganze Fensterfront des jeweiligen Raums. Von vorn - mit einer wenig charmanten Sicht zur Autobahn - flammende Farben, die Rückseite kühl in Blautönen. In den sechs Weltsprachen ist in Schreibschrift ein Gedicht des Surrealisten Paul Éluard auf einigen der Sonnen- segel zu lesen: „Auf die überquellenden Plätze schreibe ich deinen Namen: Freiheit.“ Das programmatische Ansinnen des Lyrikers wird von den Designern prompt als Auftrag verstanden und umgesetzt. Der „Culturclash“ der Freiheiten beginnt in der Lobby.

John Pawson hat die Visitenkarte des Hauses gestaltet. Pawson verdankt seine Bekanntheit dem Design der Calvin-Klein-Stores. Wer mit einem furiosen Auftakt gerechnet hat, wird enttäuscht. In der Halle herrscht der Geist des Zen. „Hinschauen, den Brunnen, der mit fast acht Metern einmal durch die Lobby plätschert, genießen und sich in den dunklen Holzsesseln von den Strapazen der Anreise erholen“, dazu will der Macher den Neuankömmling ein-

laden. Schrill, schräg, bunt und ungewöhnlich wird es noch früh genug, hier in hellem Holz und Travertin gibt es keine optischen Störer. Der Brite teilt sich das Erdgeschoß-Revier mit Marc Newson und Christian Liagre.

Liagre, der diverse Hotelerfahrungen in seinem Portfolio lagert, zeichnet für das Restaurant verantwortlich. Zuvor hat er Luxusherbergen wie das Mercer in New York und das Montalembert in Paris gestaltet. Hier, im Puerta América, mixt er Moderne mit spanischer Folklore. Üppige Ornamente in der Bar bilden tolle Kontraste zur puristischen Bestuhlung. Auf der anderen Seite der Halle hat sich wie erwähnt Marc Newson ausgelassen. „Er und Jean Nouvel sind die Einzigen, die mehrfach ihr Können unter Beweis stellen durften. Jean Nouvel mit der Fassade, der Dachterrasse und dem zwölften Stock, der noch dazu nur aus Suiten besteht und Marc Newson mit der Bar und der sechsten Etage“, erklärt der Zeremonienmeister Michael Rich.

Die Bar, mit B&B-Italia-Sesseln bestückt, hat das sichere Zeug zum Szenetreff Madrids. Eine bodentiefe Glasfront zur Terrasse, die Rückwand aus Alu-Elementen, die über die Decke reichen, und eine sechs Meter lange Marmorbar - alles in allem eine ästhetischer Treffer. Während das Erdgeschoß geschmacklich verbindet, wird im ersten Stock kontroverses Design geboten. Zaha Hadid entführt in eine wahrlich spacige Welt. Ähnlich wie bei ihren Gebäuden sind ihre Interieurs organische Welten, die fließen und Bewegung vortäuschen. Sie gibt der Architektur ein organisches Gesicht. So zukunftsweisend das Gedankenspiel hinter der Umsetzung, so beeindruckend ihr Stockwerk. Die Zimmer aus einem Guss - Bett, Wände, Trennung zum Bad, Wanne und Waschbecken - nirgends ist eine Naht zu entdecken. Dahinter steckt eine neue Technologie aus deutschen Landen: LG Hi-Macs heißt der Zauberstoff von Rosskopf und Partner.

Ein Stockwerk darüber hat der Kuppelkönig des Reichstags, Sir Norman Foster, seine Spuren hinterlassen und besonders ausgereifte Räume beigesteuert. Und doch wirken - verglichen mit der sonst anzutreffenden Formensprache - seine weißen Korridore aus sandgestrahltem Glas und den lederbespannten Wänden fast betulich.

Im dritten Stock faltet sich David Chipperfield seine Welt. Der Professor der Stuttgarter Akademie der Künste arbeitet mit schwarzen, von Hand gearbeiteten Terrakottafliesen auf dem Boden, weißem Marmor an den Wänden und Wildseide als Material für die Bettbespannung. Seine Raumaufteilung fällt klassisch aus: Entree, rechts das Bad und dann die Öffnung zum Schlafbereich.

Im vierten Stock traut man sich mehr. Eva Castro und Holger Kehne sind „Plasma Studio“. Das auch private Doppel, bestehend aus puerto-ricanischer Power und deutschem Technikverständnis, ist wohl die heißeste Newcomer-Erscheinung des Projekts. „Wir haben fünf interessante neue Büros zu Entwürfen eingeladen, und Plasma hat uns überzeugt“, erläutert Michael Rich das Prozedere. Das Stockwerk der beiden schockiert: eine Grotte aus Stahl. Die einzelnen dreieckigen Elemente wirken wie gefaltet, die Kanten nicht auf Stoß, sondern mit Spiel für LED-Leuchtkörper. Der unwirklichste, aber bewegendste Flur von einem Team, das Zukunft baut und hat. Darüber der einzige Fehltritt im Gefüge. Victorio und Lucchino, Modeschöpfer und Lokalmatadore, haben ein Stockwerk für heimatlose Schlagerstars geschaffen. Kitsch as Kitsch can mit wüsten Bildern, und davon zu viele, Marmorsphingen im Entree. Aber schon einen Knopfdruck entfernt ist Eleganz trumpf. Marc Newsons rot gelackter Korridor ist ein Kreuzfahrttraum und die Zimmer mit variabler Trennwand zum Bad so sexy, wie es nur geht.

Ron Arad im siebten Stock entdeckt die Siebziger wieder: runde Betten - aber in der Gegenwart gelandet. Sie sind Teil eines Raumkörpers, der aus einem Stück besteht und den der Gast mittig umkreisen kann. Inklusive Garderobe, Schrank, Waschbecken, Toilette und Bad. Seine selbst gewählte Aufgabenstellung hat er erfüllt: „Ich will weder mich noch sonst jemanden langweilen“, sagt er zu dem Entwurf.

Das ist auch Kathryn Findlay und Jason Bruges gelungen. Die interaktiven Beleuchtungskörper ihrer Lobby bremsen beim Ankommen den Drang, das Hotelzimmer zu beziehen, denn im Vorbeigehen wird der Gast zum Reflektor und verändert so die jeweilige Lichtstimmung. Der weiße Korridor mit den wellenförmig zulaufenden Lichtern ist noch ein Highlight. Das Hotelzimmer ist eine offenherzige Angelegenheit: Die Badewanne ist nur durch einen Vorhang separiert.

Der neunte Stock darüber ist ein bewohnbares Museum. Richard Gluckman, amerikanischer Architekt, ist für seine Musentempel bekannt. Unter anderem trägt das Picasso Museum in Málaga seine Handschrift. Im Puerta América hat er mit der „Abwesenheit von Kunst“, wie es Guide Michael Rich ausdrückt, gespielt. Leere Nischen, von innen beleuchtet, sind Einladungen für Exponate. Leider durch Unmengen Plastik und fiese Vorhänge ein eher überflüssiges Werk. Doch dann geht die Sonne auf. Im zehnten Stock ist Japan Trumpf, und der international ausgezeichnete Architekt Arata Isozaki macht die Gäste zu Shogun und Geisha. Quadratische Holzbadewanne, kostbare handgestickte Kimonos als Wandschmuck und bespannte Holzspaliere vor den Fenstern sorgen dafür.

Im elften Stock ist das Gegenteil des japanischen Purismus Trumpf. Javier Mariscal lässt Farben auftreten und schon im Entree wird der Besucher von einer Skulptur begrüßt. Ein fröhlich gesprenkelter, stilisierter Hase. Die Zimmer haben bemalte Glastüren vor den Schränken, farbige Kacheln auf den Böden und bunt gemusterte Tagesdecken.

Im finalen Stockwerk von Jean Nouvel geht es etwas gesitteter zu. Auch wenn der japanische Fotokünstler Araki mit am Werk ist. Das System von Nouvels Suiten: vier Wände, die überkreuz laufen und in sich verschiebbar sind. Manövriermasse für Gäste mit Bewegungsdrang. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden sind Arakis Arbeiten zu sehen: eine Japanerin im Kimono und eine Blume. Schiebt man - kommt es zu einer psychodelischen Doppelbelichtung. Nach der Tour de Force in modernem Design ist das Finale der Blick über Madrid. Vom Dach mit Pool, Bar und Fitnessstudio - das ebenfalls von Nouvel gestaltet wurde, schweift der Blick in die Ferne. Zu Füßen liegt der Ausblick in eine ästhetische Zukunft.

Der Standard, Fr., 2005.09.09



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Hotel Silken Puerta América

04. Mai 2005Michael Hausenblas
Der Standard

Nur neue Architektur schafft altes Erbe

Wird der zeitgenössischen Architektur in Wien derselbe Stellenwert eingeräumt wie der historischen? Ein STANDARD-Montagsgespräch
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Wird der zeitgenössischen Architektur in Wien derselbe Stellenwert eingeräumt wie der historischen? Ein STANDARD-Montagsgespräch
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Neue Architektur und altes Erbe - „wenn man sich die Stadt Wien anschaut, betrifft das so gut wie jeden Quadratzentimeter“, leitete die Moderatorin und Standard-Architekturkritikerin Ute Woltron die Diskussion ein. Auch die Situation des 20er Hauses, die Frage nach Architektur-Landmarks sowie das Pro und Kontra zum Thema Investorenarchitektur waren Gesprächsstoff im Wiener Haus der Musik.

Eingeladen, ihre Meinung kundzutun, waren der Wiener Planungsstadtrat Rudolf Schicker, die Architektin Bettina Götz, Thomas Jakoubek, unter anderem Vorstand der Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG, und Architekt Carl Pruscha.

Beer fehlte

Am Tischchen, das ursprünglich für Burghauptmann Wolfgang Beer reserviert war, saß Architekt Adolf Krischanitz. Beer hatte seine Teilnahme an der Runde wenige Stunden zuvor abgesagt. Begründung: Er wolle nicht nur über das 20er Haus diskutieren.

Schicker meinte gleich zu Beginn des Abends, Aufgabe der Architektur sei es nicht, um jeden Preis zu provozieren oder eine Stadt radikal zu verändern, sondern eine Auseinandersetzung mit modernen Lebens- und Wirtschaftsformen zu ermöglichen. Bettina Götz sah diesbezüglich in der sehr intakten Altbausubstanz Wiens einen Umstand, der die „Sache nicht unbedingt vereinfacht.

Immerhin ist das K47-Gebäude der Architekten Henke und Schreieck der erste Neubau im 1. Bezirk seit Hans Holleins Haas Haus aus dem Jahre 1985.“ Das ist Götz zu wenig für eine Stadt. "Wien kann als Stadt, genauso wie jede andere, nur dann interessant sein, wenn das Alte mit dem Neuen eine Symbiose eingeht, wenn die Entscheidung nicht lautet‚ Denkmalschutz oder neue Architektur, sondern wenn Neu und Alt auf derselben Stufe bestehen." Qualität müsse dabei im Gegensatz zu den wirtschaftlichen Interessen der Investorenarchitektur im Vordergrund stehen.

Dialog ist wichtig

Thomas Jakoubek zum oft sehr negativen Image so genannter Investorenarchitektur: „Viele meinen, die Architektur beschränke sich letztendlich auf den einen oder anderen Gag. Ich bin der Meinung, dass für gute Architektur primär nicht das Budget, sondern der Dialog mit dem Architekten ausschlaggebend ist. Das ist eine Frage des Ansatzes, und dabei geht es um eine ästhetische Reflexion auf die technologischen und sozialen Anforderungen.“

Carl Pruscha, Architekt, Exrektor der Akademie der bildenden Künste und für seinen besonders behutsamen Umgang mit historischer Bausubstanz (Beispiel Semperdepot) bekannt, gibt seiner jungen Kollegin Bettina Götz Recht, wenn er meint, das Neue und das Alte gehörten auf dieselbe Stufe. „Das ist der einzig richtige Weg“, so Pruscha. Der Architekt glaubt fest daran, dass man sich auf moderne Weise alter Bausubstanz nähern kann und dass darin viele Chancen liegen.

„Vieles möglich“ in Wien

Gerade auf dem Weg dieser Annäherung an ältere Substanz werden dem Architekten Adolf Krischanitz im Rahmen der Neugestaltung des 20er Hauses (Baujahr 1958) finanzielle Hindernisse in den Weg gelegt: Adolf Krischanitz, Gewinner des Wettbewerbs zur Sanierung dieses Wiener Architekturmeilensteins, darauf angesprochen: „Wien ist an sich eine Stadt, in der vieles möglich ist.

Andererseits tauchen immer rechtzeitig gewisse Hindernisse auf. Wirklich herausragende Qualität ist sehr selten.“ Krischanitz fragt: „Warum ist Wien so? Warum funktioniert es immer nur bis zu einem gewissen Grad?“ Krischanitz spricht von einer Art „Angst vor einer wirklichen Qualität“. Oft werde diese Qualität dann durch etwas ersetzt, „das so aussieht, als ob“.

Was nun die Zukunft des 20er Hauses betrifft, hegt Krischanitz den Verdacht, dass man offensichtlich noch nicht so weit sei, im Gegensatz zu älteren Bauten das Erbe der Moderne als denkmalwürdig einzustufen. Der Zuhörer mag an dieser Stelle freilich meinen, dass man zu dieser traurigen Einsicht schon vor Ausschreibung eines Wettbewerbs hätte kommen können.

Der Standard, Mi., 2005.05.04

03. Juli 2004Michael Hausenblas
Der Standard

Eine Weiterentwicklung des Lagerfeuers

Das Architektenteam von Coop Himmelb(l)au kooperiert seit 30 Jahren mit den Küchenhersteller Ewe. Ein Gespräch mit Architekt Wolf D. Prix anlässlich des auf der Eurocucina in Mailand präsentierten Remake der Küche „soft mobil“

Das Architektenteam von Coop Himmelb(l)au kooperiert seit 30 Jahren mit den Küchenhersteller Ewe. Ein Gespräch mit Architekt Wolf D. Prix anlässlich des auf der Eurocucina in Mailand präsentierten Remake der Küche „soft mobil“

der Standard:Wann haben Sie zum letzten Mal gekocht?
Wolf D. Prix: Vor zwei Tagen. Nein, stimmt gar nicht, das war gestern, für meine Tochter.

Und was gab's ?
Prix: Spaghetti al burro, ganz was Simples.

Kochen Sie öfters?
Prix: Nein, sehr, sehr selten.

Wer kocht dann für Sie?
Prix: Ich gehe essen. Leider hab ich's selbst nie gelernt und jetzt habe ich die Geduld nicht mehr, mich intensiv damit zu beschäftigen. Ich würde es aber gern tun.

Trotzdem haben Sie eine Küche. Wie sieht die aus?
Prix: Das ist eine Küche aus Metall. Ein einfacher Tisch, der in den Wohnbereich integriert ist.

Was macht eine gute Küche aus?
Prix: Die Küche ist ein sehr wichtiger Ort der Gemeinsamkeit in einer Wohnung. Sie ist die Weiterentwicklung des Lagerfeuers. In diesem Sinne sollte eine Küche auch gestaltet sein. Die Form und das Material spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Die Aufteilung des Raumes ist entscheidend. Es muss Platz für Essen und Gespräche sein, ein öffentlicher Raum im Wohnraum. Wenn es Individualbereiche gibt, gehört die Küche zum Gemeinschaftsbereich. Mehr als das so genannte Wohnzimmer. Das wird leider oft übersehen.

Sie arbeiten seit 30 Jahren mit dem Küchenhersteller Ewe zusammen. Welche Idee lag der ersten Küche namens Soft zugrunde?
Prix: Der Name softmobil beschreibt das Konzept, das seiner Zeit weit voraus war. Wir entwarfen damals eine individuell zusammensetzbare Küche. Küchenteile auf Rädern konnten verschieden kombiniert und an verschiedensten Orten in der Wohnung aufgestellt werden.

Welche Trends sehen Sie in der Küche kommen?
Prix: Ich denke, dass sich, abgesehen von der Materialwahl, die ja Mode-abhängig ist, die Verschmelzung von Küche und Wohnraum durchsetzen wird. Die Küchenmöbel werden also zu Wohnzimmermöbeln.

Was halten Sie von Kochshows à la Jamie Oliver?
Prix: Das finde ich lustig.

Glauben Sie, dass solche Sendungen Auswirkungen auf das Aussehen von Küchen haben?
Prix: Das hoffe ich sehr. Die Kulinarik der Gemeinsamkeit in einer Küche, die nicht jeden Tag blitzblank sauber sein muss, ist das, was mich fasziniert. Übertriebene Sauberkeit ist ja tödlich, und wir entwerfen für lebendige Menschen. So denke ich, dass auch Lebendigkeit in der Küche eine zunehmend wichtigere Rolle spielen wird.

Und Leute wie Jamie Oliver bringen mehr Lebendigkeit ins Kochen?
Prix: Ja, je wüster das Kochen wird, desto wüster werden die Küchenmöbel hoffentlich aussehen.

Inwieweit sehen Sie den Namen Coop Himmelb(l)au als verkaufsfördernd für die Küchen von Ewe?
Prix: Ich werde oft von Leuten angesprochen, die ganz stolz erklären, dass sie eine Signatur von uns in der Küche haben. Ich denke, das beantwortet die Frage.

Der Standard, Sa., 2004.07.03

07. März 2003Michael Hausenblas
Der Standard

Lichtzeichen

Architekturstudenten der TU-Wien zeigen leuchtende Ideen aus Papier in einer Ausstellung, die zu einem feinen, kleinen Lichtermeer ausufert

Architekturstudenten der TU-Wien zeigen leuchtende Ideen aus Papier in einer Ausstellung, die zu einem feinen, kleinen Lichtermeer ausufert

Auch wenn die Folgen des Denkansatzes recht unbequem erscheinen - theoretisch könnten wir ohne Tisch, Bett, Stuhl und Schrank auskommen. Ohne Sofa sowieso. Niemals aber ohne Licht. Allein dieses gar nicht gemütliche Szenario zeigt, welche Bedeutung dem oft so stiefmütterlich behandelten Gestaltungselement namens Beleuchtung zukommt.

Und genau das dachte man sich auch an der Technischen Universität Wien, wo 48 angehende Architekten im Rahmen einer Lehrveranstaltung gemeinsam mit dem Institut für Raumgestaltung und Entwerfen das Thema Beleuchtung ins Rampenlicht rückten. Damit aber nicht genug. Weiters sollte - inspiriert durch einen Gastvortrag des japanischen Architekten Shigeru Ban - im hauseigenen Raumexperimentierlabor herausgefunden werden, wie gut sich der Werkstoff Papier mit lichtspendenden Quellen aller Art verträgt. Es sei vorweggenommen: Die Studenten brauchen ihr Licht nicht unter den Scheffel zu stellen.

Den Beweis dafür, 48 Leuchten unterschiedlichster Machart, die auch käuflich zu erwerben sind, treten sie in einer Ausstellung im Institut Français de Vienne an, die von den Lehrbeauftragten am TU-Institut, Anton Kottbauer und Susanne Höhndorf, kuratiert wurde.

Den beiden Projektleitern ging es jedoch nicht nur um eine theoretische Auseinandersetzung mit Licht, sondern auch um ein sehr praktisches Handanlegen in Sachen Lichtmachen. Für Susanne Höhndorf vom Architekturbüro „Rataplan“ sind vor allem die Maßstabsprünge spannend, denen die Studenten bei dieser Geschichte ausgesetzt sind: „Es ist ein Unterschied, ob man an einem Brückenkopf arbeitet oder am filigranen drahtigen Gelenk für eine Leuchtstoffhalterung.“

Das Objekt im Sinne einer Annäherung ans Skulpturale sollte ebenso eine Rolle spielen wie die Beeinflussung bzw. die Gestaltung des Raumes durch den Lichtschein selbst. Als besonders spannender Faktor stellte sich dabei die Wechselwirkung zwischen Leuchte und Raum heraus. Schnell fanden die Gestalter heraus, dass das eine nicht ohne das andere funktioniert. Wie gut beides im Einzelnen zusammengefügt wurde, wollen die beiden Architekten aber nicht allein beurteilen. Alle Besucher der Ausstellung sind eingeladen, ihr Voting für den einen oder anderen Lichtbildner abzugeben. Leuchtender Abschluss wird die Verleihung eines Publikumspreises sein.

Neben ästhetischen Überlegungen waren vor allem auch materialtechnische Prozesse und in deren Vorfeld gründliche Recherche vonnöten, schließlich kann so eine Glühbirne - wie der Name schon sagt - ganz schön heiß werden. Ein zur Ausstellung erscheinender Katalog dokumentiert diese Ausflüge in wahrlich entlegene Winkel der Welt von Technik und Design.

Und noch eine Hürde, wenn auch eine sehr amüsante, hatten die Studenten im Rahmen dieses Unterrichtsmoduls namens „Produkt- und Industriedesign“ zu nehmen. Ein frei zu wählendes Literaturzitat sollte den Ausgangspunkt der Inspiration bilden. Christian Morgenstern, Heinrich Harrer oder Hermann Hesse wurden ebenso als Stimmungsmacher herangezogen wie Ingrid Noll oder Martin Amanshauser. Die Musenküsse bewirkten unterschiedlichste Herangehensweisen, und den Studenten sind mitunter sehr gelungene Lichter aufgegangen. Papier wurde geklebt, geschnitten, gefaltet, gebogen, gesteckt, gesammelt und sogar gestrickt.

Das Licht der papierenen Leuchtkörper aus unterschiedlichsten Papiersorten und -stärken scheint, strahlt, schillert, blinkt, funkelt und glitzert. Stimmungen von Morgenröte über grellen Fabrikshallenschein bis hin zur Dämmerung sind im kleinen Lichtermeer zu finden. Wohl kaum waren diese Leuchtfeuerchen in all den spür- und sichtbaren Facetten so präzise planbar, und so spielte auch der Überraschungseffekt eine willkommene und glänzende Rolle im abwechslungsreichen Spiel mit dem Licht. Und auch das zeigt, dass das Gestaltungselement Licht in Sachen gestalterisches Entwicklungspotenzial eine oftmals unterschätzte und doch so schillernde Rolle spielen kann.


[„p&l papier & licht“, Ausstellung im Institut Français de Vienne, Palais Clam-Gallas, Währinger Straße 30, 1090 Wien,
Mo bis Fr, 9 bis 20 Uhr. Bis 27. März 2003
24. März, 19 Uhr: Vortrag des französischen Lichtkünstlers Laurent Fachard und Verleihung des Publikumspreises
Infos: Tel. 01 / 588 01-25601]

Der Standard, Fr., 2003.03.07



verknüpfte Akteure
Shigeru Ban Architects
Ban Shigeru

08. November 2002Michael Hausenblas
Der Standard

Zwischen allen Stühlen

Gemeinsam mit dem Wiener Friedrich Kiesler-Zentrum realisieren die Wittmann Möbelwerkstätten eine Re-Edition zweier Möbelstücke des Architekten, Designers, Theoretikers und Bühnenbildners Friedrich Kiesler

Gemeinsam mit dem Wiener Friedrich Kiesler-Zentrum realisieren die Wittmann Möbelwerkstätten eine Re-Edition zweier Möbelstücke des Architekten, Designers, Theoretikers und Bühnenbildners Friedrich Kiesler

Friedrich Kiesler wurde 1890 in Czernowitz geboren, starb 1965 in New York und bereicherte die Welt der Architektur, des Design, des Bühnenbilds und der Ausstellungsgestaltung mit ganz außergewöhnlichen Arbeiten. Dabei ist Kiesler eigentlich eher unbekannt, zumindest in heimischen Gefilden. Dass sich das ändert, daran arbeitet vor allem das Friedrich Kiesler-Zentrum im Wiener Museumsquartier, das dieser Tage in den Möbelwerkstätten Wittmann einen besonders aktiven Mitstreiter fand.

Der Gestalter, der von 1908 bis 1913 an der Akademie der bildenden Künste und der Technischen Hochschule in Wien studierte und 1926 nach New York ging, sitzt in Sachen Stilrichtung zwischen allen Stühlen. Kuratorin Tulga Beyerle, die vom Kiesler-Zentrum zu einem Forschungsprojekt eingeladen wurde, meint: „Kiesler passt in kein Schema, sein enormes künstlerisches Potenzial ist weit von Eindimensionalität entfernt, seine Ansätze sind in jeder Beziehung universell und gehen weit über reine Funktionalität hinaus.“ Schnell erkennt man, dass Kieslers Arbeiten stets von einer intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit Kunst und der Welt der Gestaltung geprägt sind.

Im so genannten Kiesler-Display 02 im „quartier 21“ des Museumsquartiers lässt sich dies nun überprüfen. Zwei seiner Möbelentwürfe, das so genannte Correalistische Möbel und der Rocker, waren nie in Serie gegangen. Bis jetzt. Die Möbelwerkstätten Wittmann, selbst Stiftungsmitglied der Kiesler-Stiftung, produzieren von nun an auf Bestellung die beiden ungewöhnlichen Möbelstücke, die Produktion weiterer Entwürfe des Gestalters ist angedacht.

Dem Correalistischen Möbel liegt Kieslers Idee, nein Überzeugung, zu Grunde, dass Elemente in einem Raum und innerhalb ihrer Umgebung sich in einer gegenseitigen Spannung befänden. „Nur wenn ein Objekt der Kunst, aber auch der Architektur oder des Designs, in dieser Spannung korreliert, somit in Entwurf und Umsetzung das Verständnis für diese fortwährende Spannung vorhanden ist, kann es als ein vollkommenes Objekt wahrgenommen werden“, sagt Tulga Beyerle über Kieslers correalistisches Manifest.

Die Möbel waren erstmals im Jahre 1942 zu sehen, als Kiesler von Peggy Guggenheim damit beauftragt wurde, ihre New Yorker Galerie „Art of this Century“ zu gestalten. Beide Objekte, das Correalistische Möbel wie auch der Rocker, sind eine kurvige Angelegenheit; sie lassen sich drehen und wenden und wachsen wie riesige Knochen aus dem Boden. 18 verschiedene Verwendungsmöglichkeiten des Objekts führte Kiesler selbst an und sprach von Sesseln, Podesten, Tischen etc.

Der Begriff organisches Design drängt sich auf bei Entwürfen, die fünfzig Jahre und länger vor den Großmeistern dieser Disziplin, Marc Newson und Ross Lovegrove, erdacht wurden. Doch die Bezeichnung des Organischen für die Arbeiten Kieslers scheint zu flach, der Zusammenhang mit dem Menschen, seiner Bewegung, seiner Formen und der seiner Umwelt soll auch in diesen Objekten fassbar werden, nein viel mehr, einander bedingen, also korrelieren.

Sein universeller Ansatz, sein unbedingter Bezug zur menschlichen Komplexität mag auch der Grund gewesen sein, warum er die Verehrung von Gestaltern wie Mies van der Rohe, Walter Gropius und all diesen Götter der Moderne nicht nur nicht teilen konnte, sondern diese Größen auch angriff. Auch unzählige Fights mit dem amerikanischen Patentamt sind bekannt. Lediglich seine Nähe zu den Surrealisten und Leuten wie Richard Buckminster Fuller (1895-1983), dem großen Wegbereiter moderner Architektur, zeugt von Anerkennung. „Schließlich“, so Beyerle, hat auch der umfangreiche Lösungen für die ganze Welt gesucht."

1926 emigrierte Kiesler nach New York. Ein späterer, heimatlicher Bezug zu Österreich bleibt fraglich. Beyerle, auch Lehrbeauftragte an der TU-Wien sowie Partner der Kunst-Consulting GmbH namens „section.a“, schätzt den Gestalter aufgrund mannigfaltiger Lektüre von Briefen und Dokumenten diesbezüglich nicht als nostalgisch ein. Dafür aber als extrem überschäumend, interessiert, selbstironisch humorvoll und als exzellenten PR-Mann in eigener Sache. In New York war Kiesler ein Star. Ausstellungen wie die seines „Endless House“ aus den Jahren 1958 / 59 im Museum of Modern Art belegen dies. Und auch heute werden bei Auktionen für Objekte von Kiesler hohe Preise erzielt, so legte ein Sammler jüngst einen Haufen Geld für den „Nasting Table“ ab, ein Tischsystem aus den 30er-Jahren, bei dem sich mehrere Tische aneinander kuscheln können.

Dass er auch in Österreich wiederentdeckt wurde, sei das Verdienst von Leuten wie etwa Hans Hollein, so Beyerle. Und natürlich des Friedrich Kiesler-Zentrums in Wien, das über 2500 Arbeiten auf Papier sowie an die 1000 Fotos und viele Dokumente zu Leben und Werk Kieslers erwerben konnte. Auch die umfassende Korrespondenz Kieslers mit Persönlichkeiten wie Marcel Duchamp, Piet Mondrian, Theo van Doesburg, Max Ernst, Hans Arp, Peggy Guggenheim und anderen wird hier bewahrt.

Wichtig zu erwähnen ist neben der Bibliothek, der Dokumentation, der Forschungsarbeit sowie der regen Ausstellungstätigkeit des Zentrums der Friedrich-Kiesler-Preis für Architektur und Kunst, einer der höchst dotierten Auszeichnungen dieser Art, die von der Stiftung gemeinsam mit der Republik Österreich und der Stadt Wien ausgerufen wurde. Circa 55.000 Euro sind im Topf. Der Preis wird alle zwei Jahre vergeben, den ersten hat der Architekt Frank O. Gehry im Jahre 1998 abgeräumt, am 9. Dezember wird die Auszeichnung an den 1934 geborenen, britischen Architekten Cedric Price verliehen.

[Möbel von Friedrich Kiesler im Kiesler-Display 02 / quartier21 / MuseumsQuartier. Infos: Friedrich Kiesler-Zentrum, Museumsplatz 1, 1070 Wien, Tel. 01 / 5130775, www.kiesler.org oder bei Wittmann unter 02735 / 2871]

Der Standard, Fr., 2002.11.08

18. Juni 1999Michael Hausenblas
Der Standard

Hoffen wir das Beste!

Daß Möbel vom Staatspreis für Design ausgenommen sind, war nur ein Grund für die Geburtsstunde der AUSWAHL - Österreichs beste Möbel. Der Wettbewerb findet heuer zum dritten Mal statt

Daß Möbel vom Staatspreis für Design ausgenommen sind, war nur ein Grund für die Geburtsstunde der AUSWAHL - Österreichs beste Möbel. Der Wettbewerb findet heuer zum dritten Mal statt

Wenn man alles „Beste“ an einem Ort zusammenbrächte, dann würde aus dieser elitär anmutenden Eigenschaft wohl eine massenhafte - da kämen nämlich alle besten Freunde in allen besten Autos, diejenigen, welche die besten Nudeln kochen, samt den dafür besten Kochtöpfen, die besten Filmstars, all das Beste von Reader's Digest und so weiter und so fort.

Eine, wenn auch zahlenmäßig eingeschränktere Versammlung dieser Art wird heuer von der Kunsthalle Krems veranstaltet. Es geht um die Wahl der besten Möbel des Landes. Unter dem Titel „DIE AUSWAHL - Österreichs beste Möbel“, wollen die Initiatoren (die österreichische Möbelindustrie) im Rahmen eines biennalen Wettbewerbs, der dieses Jahr zum dritten Mal stattfindet, Möbel aus Österreich und das Wissen um deren Qualität stärker unter die Leute bringen und eine dauerhafte Kollektion aus den auserwählten Stücken schaffen.

Man könnte meinen, jeder Österreicher wäre in der Lage, sich sein bestes Möbel selbst zu wählen, kann er natürlich auch, so wie sich jeder Libanese sein bestes Möbel küren kann - da aber manche Leute etwa bei einem Stuhl gerade noch auf diesen achten, um beim Hinsetzen nicht neben ihm zu landen, wird bei der Jury der AUSWAHL auf mehr Wissen und Enthusiasmus rund um das österreichische Möbel Wert gelegt. Die international besetzte Gruppe soll nach bestem (!) Wissen und Gewissen und nach so unterschiedlichen und manchmal schwierig zu verknüpfenden Kriterien wie Form, Funktion, Innovation, Verarbeitungsqualität, Ökologie, Marketing und Werbung die bestehende Kollektion von 32 Modellen aktualisieren und ausweiten. Die Möbelsammlung wurde seit 1995 unter anderem im Palais Harrach, in der Wiener Hofburg und auf der Möbelmesse Köln präsentiert, ferner existiert umfangreiches Katalogmaterial und ein Web-Adresse, die da lautet: www.moebel.at.

Bereits seit 12. April dieses Jahres sind die Würfel zur dritten AUSWAHL am Kullern. Bis zu diesem Zeitpunkt mußten die serienmäßig hergestellten, österreichischen Produkte, welche zu den besten zählen wollen, eingereicht werden - es waren derer 81 Stück, von insgesamt 41 Firmen. Nach dem ersten Jurydurchgang kam es am vergangenen Samstag zum großen Trommelwirbel in Krems. Aus den übriggebliebenen 24 Möbeln wurde ausgewählt - leider hüllt sich die Jury in eisernes Schweigen, gleich einem Gelübde ist weder aus ihr herauszukitzeln, welcher Hocker, noch welches Bettchen sich von nun an zu den besten gesellen darf. Erst im Herbst dieses Jahres wird im Rahmen einer großen Festveranstaltung in der Minoritenkirche Stein das Möbelgeheimnis gelüftet werden. Die ganze Sache soll dadurch wohl ein wenig Hollywoodsches Flair bekommen, so wäre es in der Oscarnacht ja auch eigenartig, wenn etwa Charlton Heston die famose Einleitung „and the oscar goes to“ spräche und das gelangweilte Publikum gähnend den bereits bekannten Namen vor sich hin brabbelt.

In der Vergangenheit bestand die Jury aus Hochkarätern wie dem englischen Designer Jasper Morrison, Francois Burkhardt von der Hochschule für Bildende Kunst Saarbrücken, dem Architekten Gregor Eichinger, STANDARD-Chefredakteur Gerfried Sperl oder Trend-Herausgeber Helmut Gansterer, die entscheiden durften, was möbelmäßig das Beste für unser Land war. Heuer sind es fünf neue Richter, die uns das präsentieren dürfen und die vergangenen Samstag geheimnisvoll über die Finalisten verhandelten.

Natürlich wird viel um ein solches Projekt herumgeredet und geschrieben, und so manche Wahl erscheint dem Betrachter mehr oder weniger erklärungsbedürftig. Gedanken, die versuchen, die Aktion auf einen Punkt zu bringen, sind etwa Worte des Leiters des Architektur Zentrums Wien, Dietmar Steiner, der bereits seit 1995 der Jury vorsitzt. Er spricht vom Bedarf, Wissen an den Konsumenten weiterzugeben, der oftmals „orientierungslos mit zufälligen Informationen zugeschüttet wird und dabei doch nur wissen will, wo er gute Möbel kaufen kann“. Betreffend der Auswahl der AUSWAHL, also beim direkten Messen zwischen Bewährtem und Neuem meint Gerfried Sperl, daß der bereits erwähnte Maßstab das Gute an der Sache ist: „Dadurch kann bloß Modisches nicht in die vorderste Reihe gestellt werden. Weder das Design allein, noch das Marketing allein (und sei es noch so raffiniert) können den Ausschlag geben.“

Ein schönes Beispiel dafür ist der auserwählte Kleiderständer „Kolomoser“ von Kolomann Moser aus dem Jahre 1907. Die Begründung, diesen Klassiker der Firma Gebr. Thonet in die Auswahl aufzunehmen, war und ist einfach, geradezu banal und doch absolut gültig: Es ist der einzige Kleiderständer am Markt, welcher auch bei schwerem „Behang“ nicht umfällt. Natürlich erfüllt er auch genügend andere Kriterien - und mit denen ist das so eine Sache, denn wird etwa ein in die Auswahl aufgenommenes Möbel wieder aus der Produktion genommen, so fliegt es raus aus dem elitären Kreis. Ist bisher allerdings noch nicht vorgekommen.

Und so bleibt uns zum Schluß wohl nur, das Allerbeste von dieser Auswahl zu erhoffen. Allzuschwer fiel der Expertenrunde die Wahl hoffentlich nicht, denn schon König Lear wußte: „Oft büßt das Gute ein, wer Bess'res sucht.“


Jury der AUSWAHL 1999/2000: Katarina Posch (Vitra Design Museum), Vorsitzender Dietmar Steiner (Direktor des Architektur Zentrums Wien), Uli Marchsteiner (Designer und Professor an der Designhochschule EINA in Barcelona), Barbara Friedrich (Chefredakteurin von Architektur & Wohnen und Country), Georg Waldstein (Chefredakteur und Herausgeber „Gewinn“).

Der Standard, Fr., 1999.06.18

04. Juni 1999Michael Hausenblas
Der Standard

„Design ist etwas, was man tut“

Das Zitat von Charles Eames aus dem Jahre 1941 erklärt viel, viel über Design und noch mehr über Eames. Einen Ausschnitt von dem, was die Eheleute Eames alles taten, gibt es ab 11. Juni in Linz zu sehen

Das Zitat von Charles Eames aus dem Jahre 1941 erklärt viel, viel über Design und noch mehr über Eames. Einen Ausschnitt von dem, was die Eheleute Eames alles taten, gibt es ab 11. Juni in Linz zu sehen

Die Eames gehören zu den ganz ganz Großen. Es gibt zwar eine ansehnliche Zahl großer Designer, aber die Eames - die sind wahre Riesen, und gäbe es einen Titel im Design zu gewinnen, sie wären die Champs, die Weltmeister, und den Nobelpreis für Design hätten sie bestimmt auch abgestaubt.

Die Eames, das sind und waren ab 1941 Mr. Charles und Mrs. Ray Eames. Es ist in ihrem Falle schwierig, die richtige Zeitform zu finden: Auf der einen Seite werken sie längst fleißig im Designerhimmel, auf der anderen Seite schaffen es die beiden Erfindungsgeister, aktiv am Diesseits mitzuwirken. Wir sitzen (leider viel zu selten) in ihren Stühlen, bewundern ihre Architektur, wir staunen über ihre Filme, und da ist diese Sehnsucht nach Problemlösungen aus dem Hause Eames, jetzt, im Angesicht des dritten Jahrtausends.

Charles Eames wurde 1907 in St. Louis geboren, brach sein Architekturstudium ab, eröffnete 1930 ein eigenes Büro und entwarf zehn Jahre später im Rahmen eines Stipendiums gemeinsam mit Eero Saarinen eine bedeutende Serie von Sitzen aus gebogenem Schichtholz.

Verformtes Sperrholz war es auch bei einem der bekanntesten Eames-Stücke, dem Lounge Chair, einem „Denkmal der Freundschaft zu Billy Wilder“, wie die Designer den Klassiker einmal nannten. Der Regisseur litt in jenen Tagen angeblich ständig unter Rückenschmerzen, und kein Möbel konnte diese Qualen lindern - bis der Lounge Chair erfunden wurde: Der Legende nach schlief Wilder nach anfänglichem, hektischem Hin- und Herrutschen bald zufrieden in den schwarzen Lederpolstern dieses Traummöbels ein.

Lang vorher aber, und das war eine wahre Sternstunde, begegneten sich Charles und Ray. Die beiden zündeten den definitiven Urknall des Eamesschen Universums, dessen Sterne und Planeten zu wahren Meisterwerken der Gestaltung wurden. Ray, die eine Ausbildung in Malerei absolvierte, ergänzte diesen Kosmos außerdem mit zahlreichen Skulpturen und Zeichnungen.

Das Ehepaar Eames war Teil jener Bewegung, der es damals auch darum ging, Kriegsheimkehrern ein erschwingliches Zuhause zu bieten. Im Rahmen eines Architekturwettbewerbs wurden die Teilnehmer aufgefordert, sich mit den Problemen von Einfamilienhäusern und Wohnungen zu beschäftigen. Dabei sollte auch die Vielfalt an neuen Materialien und Technologien, die nach dem Krieg auf eine sinnvolle Verarbeitung warteten, verwendet werden. Die Fassade des Eames-Hauses war ein Stahlfachwerk aus farbigen Paneelen und erinnerte an das Werk Piet Mondrians. Leider blieb das Haus ein Prototyp, der nie in Serie ging.

Auch die Filme der beiden widmen sich vielen verschiedene Themen, unter anderem der Wissenschaft, Dingen wie dem Kreisel, der Industrie und Werbung, aber auch der Unterhaltung. So leitete Charles das zweite Aufnahmeteam des Wilder-Films „The Spirit of St. Louis“, in dem James Stewart alias Charles Lindbergh mit einer Fliege den Atlantik überquert.

Ein Eames-Ausspruch macht seinen Kosmos besonders gut begreifbar: „Bedürfnisse erkennen zu können ist die Hauptvoraussetzung für die praktische Arbeit des Designers.“ Bei diesem „Erkennenkönnen“ ging das sogenannte Eames Office so weit, daß sie etwa für den Entwurf eines Fischerei- zentrums und Aquariums selbst versuchten, Meerestiere zu halten. Es entstand sogar ein kleiner Film über einen Tintenfisch, der zum Dauergast ihres Büros in Kalifornien wurde.

Wer jetzt das durchaus nachvollziehbare Bedürfnis verspürt, sich auf einem Lounge Chair niederzulassen, aber nicht zu den Besitzern eines solchen Meisterwerks zählt, muß sich wohl auf den Weg nach Linz machen.

[ Die Ausstellung „Charles und Ray Eames“ zeigt Arbeiten aus dem Bereich Möbeldesign von den ersten Experimenten mit Schichtholz, Fieberglas und Draht bis hin zu den Objekten Aluminium und Lounge Chair. Sie ist von 11. Juni bis 2. Juli 1999 im Architekturforum Oberösterreich, Bernaschekplatz 5, Linz, zu sehen. ]

Der Standard, Fr., 1999.06.04

31. Oktober 1998Michael Hausenblas
Der Standard

Des Kaisers alte Sessel

Im Jahre 1747 gründete Kaiserin Maria Theresia das Hofmobiliendepot. Jetzt wurde daraus eines der weltweit größten Museen für Wohnkultur. Ein Rundgang durch ein gewaltiges Stück Möbelgeschichte mit Peter Parenzan, dem wissenschaftlichen Leiter des Hauses

Im Jahre 1747 gründete Kaiserin Maria Theresia das Hofmobiliendepot. Jetzt wurde daraus eines der weltweit größten Museen für Wohnkultur. Ein Rundgang durch ein gewaltiges Stück Möbelgeschichte mit Peter Parenzan, dem wissenschaftlichen Leiter des Hauses

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