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09. September 2005Michael Hausenblas
Andreas Tölke
Der Standard

Schichtweise Design

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Eigentlich ist er Kunsthändler. In Sachen Alte Meister. In London. Michael Rich ist der klassische britische Gentleman: hervorragendes Benehmen, leicht verschroben. Seine Kleidung verrät Understatement. Wie kommt so ein Mann dazu, 13 der besten Designer und Architekten für ein Projekt zusammenzutrommeln? „Das ist ja alles eine Szene. Man lernt sich auf Vernissagen kennen, oder es kommt jemand auf Empfehlung in die Galerie“, drückt er sich vorsichtig wie der Pressesprecher der Queen um eine konkrete Antwort. Ein Mann, der als Macher gerne im Hintergrund bleibt.

Der diplomatische Macher wurde vor vier Jahren von Antón Iráculis, dem CEO der spanischen Hotelgruppe Silken, angeheuert, um die „Besten der Besten“ in einem Projekt zu vereinen. "Zwölf Stockwerke, 342 Zimmer (inklusive Suiten), ein Restaurant, eine Bar und natürlich die Lobby, außerdem das Parkdeck, die Außenanlage, das Dachgeschoß mit Pool und Fitnessstudio - jeder Stock, jeder Bereich in der Hand von einem anderen Gestalter.

„Keiner wusste bis zum Zeitpunkt der Enthüllung, was die Konkurrenz so treibt“, erklärt der Chef der Kette. Und dann der Vergleich. Niemals zuvor konnte mit einem Knopfdruck im Lift von einer Designwelt in die andere gewechselt werden. Kein Wunder, dass schon einen Tag vor dem offiziellen Opening Ron Arad auftauchte, um mit einer Digicam bewaffnet die kreativen Ergüsse der Konkurrenz in Augenschein zu nehmen. Dabei musste sich Arad, der für fast alle Topmöbel- und -designfirmen der Welt arbeitet, mit seinem siebenten Stock nicht verstecken.

Das tut auch die Hülle von Jean Nouvel nicht. Von Orange bis Rot leuchten seine „Segel“. Vor jedem Zimmer ist eine dieser Markisen zu finden, und sie bedecken, so sie geschlossen sind, die ganze Fensterfront des jeweiligen Raums. Von vorn - mit einer wenig charmanten Sicht zur Autobahn - flammende Farben, die Rückseite kühl in Blautönen. In den sechs Weltsprachen ist in Schreibschrift ein Gedicht des Surrealisten Paul Éluard auf einigen der Sonnen- segel zu lesen: „Auf die überquellenden Plätze schreibe ich deinen Namen: Freiheit.“ Das programmatische Ansinnen des Lyrikers wird von den Designern prompt als Auftrag verstanden und umgesetzt. Der „Culturclash“ der Freiheiten beginnt in der Lobby.

John Pawson hat die Visitenkarte des Hauses gestaltet. Pawson verdankt seine Bekanntheit dem Design der Calvin-Klein-Stores. Wer mit einem furiosen Auftakt gerechnet hat, wird enttäuscht. In der Halle herrscht der Geist des Zen. „Hinschauen, den Brunnen, der mit fast acht Metern einmal durch die Lobby plätschert, genießen und sich in den dunklen Holzsesseln von den Strapazen der Anreise erholen“, dazu will der Macher den Neuankömmling ein-

laden. Schrill, schräg, bunt und ungewöhnlich wird es noch früh genug, hier in hellem Holz und Travertin gibt es keine optischen Störer. Der Brite teilt sich das Erdgeschoß-Revier mit Marc Newson und Christian Liagre.

Liagre, der diverse Hotelerfahrungen in seinem Portfolio lagert, zeichnet für das Restaurant verantwortlich. Zuvor hat er Luxusherbergen wie das Mercer in New York und das Montalembert in Paris gestaltet. Hier, im Puerta América, mixt er Moderne mit spanischer Folklore. Üppige Ornamente in der Bar bilden tolle Kontraste zur puristischen Bestuhlung. Auf der anderen Seite der Halle hat sich wie erwähnt Marc Newson ausgelassen. „Er und Jean Nouvel sind die Einzigen, die mehrfach ihr Können unter Beweis stellen durften. Jean Nouvel mit der Fassade, der Dachterrasse und dem zwölften Stock, der noch dazu nur aus Suiten besteht und Marc Newson mit der Bar und der sechsten Etage“, erklärt der Zeremonienmeister Michael Rich.

Die Bar, mit B&B-Italia-Sesseln bestückt, hat das sichere Zeug zum Szenetreff Madrids. Eine bodentiefe Glasfront zur Terrasse, die Rückwand aus Alu-Elementen, die über die Decke reichen, und eine sechs Meter lange Marmorbar - alles in allem eine ästhetischer Treffer. Während das Erdgeschoß geschmacklich verbindet, wird im ersten Stock kontroverses Design geboten. Zaha Hadid entführt in eine wahrlich spacige Welt. Ähnlich wie bei ihren Gebäuden sind ihre Interieurs organische Welten, die fließen und Bewegung vortäuschen. Sie gibt der Architektur ein organisches Gesicht. So zukunftsweisend das Gedankenspiel hinter der Umsetzung, so beeindruckend ihr Stockwerk. Die Zimmer aus einem Guss - Bett, Wände, Trennung zum Bad, Wanne und Waschbecken - nirgends ist eine Naht zu entdecken. Dahinter steckt eine neue Technologie aus deutschen Landen: LG Hi-Macs heißt der Zauberstoff von Rosskopf und Partner.

Ein Stockwerk darüber hat der Kuppelkönig des Reichstags, Sir Norman Foster, seine Spuren hinterlassen und besonders ausgereifte Räume beigesteuert. Und doch wirken - verglichen mit der sonst anzutreffenden Formensprache - seine weißen Korridore aus sandgestrahltem Glas und den lederbespannten Wänden fast betulich.

Im dritten Stock faltet sich David Chipperfield seine Welt. Der Professor der Stuttgarter Akademie der Künste arbeitet mit schwarzen, von Hand gearbeiteten Terrakottafliesen auf dem Boden, weißem Marmor an den Wänden und Wildseide als Material für die Bettbespannung. Seine Raumaufteilung fällt klassisch aus: Entree, rechts das Bad und dann die Öffnung zum Schlafbereich.

Im vierten Stock traut man sich mehr. Eva Castro und Holger Kehne sind „Plasma Studio“. Das auch private Doppel, bestehend aus puerto-ricanischer Power und deutschem Technikverständnis, ist wohl die heißeste Newcomer-Erscheinung des Projekts. „Wir haben fünf interessante neue Büros zu Entwürfen eingeladen, und Plasma hat uns überzeugt“, erläutert Michael Rich das Prozedere. Das Stockwerk der beiden schockiert: eine Grotte aus Stahl. Die einzelnen dreieckigen Elemente wirken wie gefaltet, die Kanten nicht auf Stoß, sondern mit Spiel für LED-Leuchtkörper. Der unwirklichste, aber bewegendste Flur von einem Team, das Zukunft baut und hat. Darüber der einzige Fehltritt im Gefüge. Victorio und Lucchino, Modeschöpfer und Lokalmatadore, haben ein Stockwerk für heimatlose Schlagerstars geschaffen. Kitsch as Kitsch can mit wüsten Bildern, und davon zu viele, Marmorsphingen im Entree. Aber schon einen Knopfdruck entfernt ist Eleganz trumpf. Marc Newsons rot gelackter Korridor ist ein Kreuzfahrttraum und die Zimmer mit variabler Trennwand zum Bad so sexy, wie es nur geht.

Ron Arad im siebten Stock entdeckt die Siebziger wieder: runde Betten - aber in der Gegenwart gelandet. Sie sind Teil eines Raumkörpers, der aus einem Stück besteht und den der Gast mittig umkreisen kann. Inklusive Garderobe, Schrank, Waschbecken, Toilette und Bad. Seine selbst gewählte Aufgabenstellung hat er erfüllt: „Ich will weder mich noch sonst jemanden langweilen“, sagt er zu dem Entwurf.

Das ist auch Kathryn Findlay und Jason Bruges gelungen. Die interaktiven Beleuchtungskörper ihrer Lobby bremsen beim Ankommen den Drang, das Hotelzimmer zu beziehen, denn im Vorbeigehen wird der Gast zum Reflektor und verändert so die jeweilige Lichtstimmung. Der weiße Korridor mit den wellenförmig zulaufenden Lichtern ist noch ein Highlight. Das Hotelzimmer ist eine offenherzige Angelegenheit: Die Badewanne ist nur durch einen Vorhang separiert.

Der neunte Stock darüber ist ein bewohnbares Museum. Richard Gluckman, amerikanischer Architekt, ist für seine Musentempel bekannt. Unter anderem trägt das Picasso Museum in Málaga seine Handschrift. Im Puerta América hat er mit der „Abwesenheit von Kunst“, wie es Guide Michael Rich ausdrückt, gespielt. Leere Nischen, von innen beleuchtet, sind Einladungen für Exponate. Leider durch Unmengen Plastik und fiese Vorhänge ein eher überflüssiges Werk. Doch dann geht die Sonne auf. Im zehnten Stock ist Japan Trumpf, und der international ausgezeichnete Architekt Arata Isozaki macht die Gäste zu Shogun und Geisha. Quadratische Holzbadewanne, kostbare handgestickte Kimonos als Wandschmuck und bespannte Holzspaliere vor den Fenstern sorgen dafür.

Im elften Stock ist das Gegenteil des japanischen Purismus Trumpf. Javier Mariscal lässt Farben auftreten und schon im Entree wird der Besucher von einer Skulptur begrüßt. Ein fröhlich gesprenkelter, stilisierter Hase. Die Zimmer haben bemalte Glastüren vor den Schränken, farbige Kacheln auf den Böden und bunt gemusterte Tagesdecken.

Im finalen Stockwerk von Jean Nouvel geht es etwas gesitteter zu. Auch wenn der japanische Fotokünstler Araki mit am Werk ist. Das System von Nouvels Suiten: vier Wände, die überkreuz laufen und in sich verschiebbar sind. Manövriermasse für Gäste mit Bewegungsdrang. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden sind Arakis Arbeiten zu sehen: eine Japanerin im Kimono und eine Blume. Schiebt man - kommt es zu einer psychodelischen Doppelbelichtung. Nach der Tour de Force in modernem Design ist das Finale der Blick über Madrid. Vom Dach mit Pool, Bar und Fitnessstudio - das ebenfalls von Nouvel gestaltet wurde, schweift der Blick in die Ferne. Zu Füßen liegt der Ausblick in eine ästhetische Zukunft.

Der Standard, Fr., 2005.09.09



verknüpfte Bauwerke
Hotel Silken Puerta América

29. Oktober 2004Andreas Tölke
Der Standard

König Kunst regiert Manhattan

Am 20. November eröffnet der Neubau des New Yorker Museums of Modern Art. Sein Direktor, Glenn Lowry, über die Neuorientierung eines der weltweit wichtigsten Kunsthäuser, die Pläne für Ground Zero, den deutschen Einfluss im MoMA, rote Socken und was ein gutes Museum ausmacht.

Am 20. November eröffnet der Neubau des New Yorker Museums of Modern Art. Sein Direktor, Glenn Lowry, über die Neuorientierung eines der weltweit wichtigsten Kunsthäuser, die Pläne für Ground Zero, den deutschen Einfluss im MoMA, rote Socken und was ein gutes Museum ausmacht.

Seit 1995 ist Glenn Lowry Direktor des Metropolitan Museums of Modern Art in New York. Der 48-jährige Harvard-Absolvent übernahm als sechster Direktor das MoMa in seiner schwierigsten Phase seit der Gründung: Das Gebäude an der 53rd Street in Manhattan wurde 2002 abgerissen, der Neubau wird am 20. November eröffnet. Neben seiner Tätigkeit als Museumsdirektor hat Glenn Lowry als Kunstgeschichtler bis- her 28 Bücher (mit)herausgegeben und geschrieben. Glenn Lowry führt wirtschaftlich erfolgreich das privat finanzierte MoMA. Er hat innerhalb von vier Jahren 800 Millionen Dollar akquiriert. Wie er das macht, ist nicht unumstritten, die New York Times nannte ihn ob seines Führungsstils „Robespierre“ Lowry. Sein Privatleben hält er unter Verschluss. Lowry ist verheiratet und hat zwei Kin- der.

DER STANDARD: Sie sprechen Deutsch?
Glenn Lowry: Ein bisschen. (weiter auf Englisch) Ich hatte Deutsch im College. Jetzt träume ich davon, einmal drei Monate in Deutschland zu leben und den passiven Sprachschatz in einen aktiven umzuwandeln.

Im MoMA ist ein starker deutscher Einfluss zu spüren. Woher kommt das - doch wohl nicht von ihren Sprachkenntnissen?
Lowry: Das würde nicht reichen. Nein, es ist in der Geschichte des MoMA begründet. 1927 hat eine Gruppe von New Yorkerinnen beschlossen, dass eine richtige Metropole ein Museum für zeitgenössische Kunst braucht. Sie engagierten einen jungen Mann - Alfred Barr - der in Harvard Kunstgeschichte studierte. Er wurde auf eine Reise nach Europa geschickt. Sozusagen eine Mission in Sachen Kunst. Den längsten Aufenthalt hatte er in Deutschland, und sein vorderstes Ziel war ein Bauhausbesuch. Er bereist danach noch Russland, wo zu diesem Zeitpunkt die post-revolutionären Künstler mit Malern wie Malevich gerade sehr aktiv waren. Er kam zurück nach New York mit einem klaren Konzept: Kunst im 20. Jahrhundert ist multi-disziplinär: Architektur, Design, Bildhauerei und klassische Malerei. Man könnte sagen, die Bauhaus Idee: Alle Künste werden gleichwertig behandelt. Und wenn man sich heute unsere Sammlung anschaut, sieht man gerade für die ersten Jahre des vergangenen Jahrhunderts die starke Präsenz europäischer Kunst. Das hat sich natürlich später etwas zugunsten amerikanischer Künstler verschoben, aber der Bauhausgedanke ist das Fundament.

Ist der Eurozentrismus denn in den Staaten auf Begeisterung gestoßen?
Lowry: Nein. Gerade in den 30ern und 40ern gab es heftige Diskussionen, ob das MoMa nicht zu wenig amerikanisch sei. Das korrigierte sich in den 50ern und 60ern von alleine, als eine neue Generation amerikanischer und lateinamerikanischer Künstler die wichtigsten Werke weltweit schufen.

Wie wählen Sie aus einem schier nicht zu bewältigenden Angebot moderner Kunst so aus, dass inhaltlich tragfähige Ausstellungen dabei rauskommen?
Lowry: Das MoMA hat sechs Abteilungen: Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Architektur, Design, Film & Video. Jede Abteilung hat einen verantwortlichen Kurator, wir treffen uns alle zwei bis drei Wochen und sprechen über die Ausstellungen, die wir gerne machen würden. Manchmal basieren die Ideen auf dem Interesse eines Kurators, manchmal ergeben sich Dinge, wie die Warhol-Ausstellung jetzt zur Neueröffnung.

Und wer entscheidet darüber, was dann umgesetzt wird?
Lowry: Die Entscheidung liegt völlig in den Händen des Direktors.
Also in Ihren Händen?
Lowry: Ja. Wobei sich das autokratischer anhört, als es ist. Wir diskutieren als Gruppe, und nur wenn es eine Patt-Situation gibt, entscheide ich. Sozusagen als Zünglein an der Waage.

Seit acht Jahren sind Sie Chef des MoMA und haben zu Anfang für heftige Aufregung gesorgt. Ihre Kritiker warfen ihnen hemmungslose Kommerzialisierung vor: Shops, Internet-Seiten mit Devotionalien. Wie kommt es, dass Sie scheinbar leichtfertig den Elfenbeinturm entstaubt haben?
Lowry: Aus Ignoranz. Wenn man noch nicht viel weiß, ist die Angst, etwas falsch zu machen, kleiner. Ich gehe unter der Prämisse „Was macht ein gutes Museum aus? - Gute Kunst!“ an die Sachen heran. Um gute Kunst kaufen zu können, braucht man Geld. Das heißt, ein Museum mit 600 Mitarbeitern, das im Jahr zwischen 30 und 50 Millionen Dollar für den Ankauf von Kunst ausgibt, ist ein Betrieb, der wettbewerbsfähig sein muss.

Berlins „Best of MoMA“ war in einem Mies van der Rohe-Gebäude, der ja auch dafür vorgesehen war, das Metropolitan Museum of Modern Art in New York zu bauen.
Lowry: Ironie der Geschichte, denn 1939, als das MoMA gebaut wurde, schien es den Verantwortlichen zu schwierig, mit einem europäischen Architekten zu arbeiten, obwohl er der Wunschkandidat war. Doppelte Ironie, denn ein kleinerer Teil der Ausstellung geht auch nach Houston, und das dortige Museum ist auch ein van der Rohe-Gebäude.

Wird der Neubau des MoMA jetzt eine Hommage an Mies van der Rohe?
Lowry: Ja und nein. Ja, was die Transparenz nach außen betrifft, nein, weil unser Architekt Yoshiu Taniguchi natürlich kein Plagiat abliefert, und nein, weil sich die Kunstszene seit den 30ern verändert hat und die Werke ein anderes Umfeld brauchen. Bis dato war die Entwicklung in der Kunst linear - eine Schule führte zur nächsten, und so waren auch Museen aufgebaut: Postimpressionismus, Kubismus, Modernismus . . . Mittlerweile ist Kunst ein Chaos der verschiedenen Stile und Ideen, die gegeneinander ankämpfen. Zum andern braucht Kunst heute viel mehr Raum. Anselm Kiefers Gemälde etwa sprengen jeden Rahmen.

Wie sieht das konkret aus?
Lowry: Das neue MoMA wird eine urbane Lunge. Bisher war das Museum nur zu einer Seite geöffnet, jetzt wird es zu beiden Seiten des Viertels große Glasflächen haben. Wir ziehen die Stadt in das Museum und beziehen die Stadt im Museum mit ein. Früher gab es Stufen zum Eingang. Das drückte das Noble der Kunst aus. Sozusagen den Aufstieg des Besuchers in den Olymp. Es zeigt aber auch den Abstand zur Straße - im doppelten Wortsinn. Der neue Eingang ist ebenerdig.

Das drückt auch den spielerischen Umgang der Amerikaner mit Kunst aus. In Deutschland ist Kunst oft noch mit „versteh ich nicht“ besetzt, was viele davon abhält, sich mit moderner Kunst zu beschäftigen.
Lowry: Ein sehr komplexes Feld. Amerikaner sind neugierig, reisen viel. Allerdings nur ein kleiner Teil. Wir haben das Glück, dass in New York viele Künstler leben und ein starkes Kunstinteresse da ist. Aber fahren Sie einmal in den Westen . . . Wir sind eine private Institution, die amerikanische Regierung unterstützt bildende Kunst überhaupt nicht. In Deutschland bin ich immer sehr erstaunt, wie viel Politiker von Kunst verstehen und wie umfassend die Unterstützung - im Verhältnis zu den USA - ist.

Was denken Sie über Daniel Liebeskind und seine Entwürfe für den Ground Zero?

Lowry: Ich finde, es ist ein beeindruckendes Projekt. Aber ich bin nicht wirklich überzeugt von seinem Vorschlag. Ich finde, er bemüht eine architektonische Sprache, die er hier - in Europa - entwickelt hat. Eine Sprache, die geprägt ist von dem Trauma, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, und die geprägt ist von dem Sich-Erinnern. New York braucht Heilung, das Heilen einer Wunde, Zukunft, nicht Vergangenheit. Meine Bedenken gehen noch in eine andere Richtung. Ich habe nicht verstanden, warum so auf eine Neu-Bebauung gedrängt wurde. Dort sind 3000 Menschen begraben, es ist ein Friedhof. Ein Friedhof, der eine psychische Wunde gerissen hat, die sehr lange brauchen wird, bis sie verheilt. Und da verstehe ich den manischen Druck der Wiederbebauung nicht. Ich verstehe, dass man einen Ort der Erinnerung braucht, der den Familien hilft, über den Tod ihrer Männer, Frauen, Söhne und Töchter wegzukommen. Aber mir scheint, das kann nur in einzelnen Schritten passieren, und wahrscheinlich brauchen wir noch zwanzig, fünfzig Jahre, um darüber eine profunde Aussage machen zu können, wie man dort wieder arbeiten und leben kann.

Hat sich Ihr Geschmack in den fünf Jahren als Direktor des MoMA verändert?
Lowry: Geschmack ändert sich konstant. Aber ich bin privat nicht sklavisch der Museumsdirektor bei der Möbelwahl. Natürlich müssen Dinge Bestand haben - gute Materialien, ästhetischer Wert, interessanter Umgang damit. Und: Sie muss bequem sein.

Wer hat sie in der letzten Zeit besonders beeindruckt?
Lowry: Zum Beispiel Ingo Maurer und seine Lichtinstallationen. Ich frage mich, wie er auf die Ideen kommt. Es gab eine Zeit, da war Philippe Starck faszinierend, jetzt macht er zu viel. Aber auch dieser Ansatz: Gutes Design, bezahlbar für die Massen ist spannend. Das, was dabei herauskommt, ist natürlich fragwürdig. Oft ist ja die Idee spannender als das, was dabei rauskommt.

Etwas ganz anderes. Sie tragen nur rote Socken, woher kommt das Faible?
Lowry: Ich habe vor drei Jahren damit angefangen. Es gibt keinen wirklichen Grund. Es ist kein Modestatement, sondern ein ganz persönliches. Wie gestalte ich mein Leben einfach? Ich muss nicht mehr auswählen, welche Farbe ich trage. Es hätte auch Blau oder Orange sein können.

Das gilt auch für Kunst und das Leben damit. Was macht gute Sammler aus?
Lowry: Dass sie selten sind. Ich bin oft bei Sammlern in deren Wohnungen. Da sind dann unglaubliche Kunstwerke, und die Besitzer sind eingerichtet, dass ich mich frage, was haben sie sich dabei gedacht. Ästhetik zieht sich durch alle Bereiche - wie ich mich einrichte, was ich trage, womit ich mich umgebe, wenn ich esse oder lese.

Das heißt, dass Sie sehr rigide bei der Auswahl der Dinge, die sie umgeben, sein müssen?
Lowry: Ich werde von meiner Frau zurückgehalten. Ich wäre sehr rigide, aber sie lässt es nicht zu. Ich habe mein Arbeitszimmer, das ist genau so, wie ich es wollte. Der Rest der Wohnung ist ein Kompromiss zwischen den Kindern, meiner Frau und mir. Unsere Lösung ist eine Wohnung mit zwei Flügeln: den Bereich für die Kinder und den für Erwachsene. Zentrum und Treffpunkt sind Küche und Esszimmer.

Als Museumsdirektor sind Sie bestimmt auch privat von Kunst umgeben. Gibt es noch etwas, wovon Sie träumen?
Lowry: Ich hätte gerne eine Videoinstallation, aber ich kann sie mir nicht leisten.

Der Standard, Fr., 2004.10.29



verknüpfte Bauwerke
MoMA

Presseschau 12

09. September 2005Michael Hausenblas
Andreas Tölke
Der Standard

Schichtweise Design

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Dreizehn Spitzen- gestalter legten Hand an das von Kopf bis Fuß durchgestylte Hotel Puerta América in Madrid. Andreas Tölke besuchte die zwölf Stockwerke und das Dach

Eigentlich ist er Kunsthändler. In Sachen Alte Meister. In London. Michael Rich ist der klassische britische Gentleman: hervorragendes Benehmen, leicht verschroben. Seine Kleidung verrät Understatement. Wie kommt so ein Mann dazu, 13 der besten Designer und Architekten für ein Projekt zusammenzutrommeln? „Das ist ja alles eine Szene. Man lernt sich auf Vernissagen kennen, oder es kommt jemand auf Empfehlung in die Galerie“, drückt er sich vorsichtig wie der Pressesprecher der Queen um eine konkrete Antwort. Ein Mann, der als Macher gerne im Hintergrund bleibt.

Der diplomatische Macher wurde vor vier Jahren von Antón Iráculis, dem CEO der spanischen Hotelgruppe Silken, angeheuert, um die „Besten der Besten“ in einem Projekt zu vereinen. "Zwölf Stockwerke, 342 Zimmer (inklusive Suiten), ein Restaurant, eine Bar und natürlich die Lobby, außerdem das Parkdeck, die Außenanlage, das Dachgeschoß mit Pool und Fitnessstudio - jeder Stock, jeder Bereich in der Hand von einem anderen Gestalter.

„Keiner wusste bis zum Zeitpunkt der Enthüllung, was die Konkurrenz so treibt“, erklärt der Chef der Kette. Und dann der Vergleich. Niemals zuvor konnte mit einem Knopfdruck im Lift von einer Designwelt in die andere gewechselt werden. Kein Wunder, dass schon einen Tag vor dem offiziellen Opening Ron Arad auftauchte, um mit einer Digicam bewaffnet die kreativen Ergüsse der Konkurrenz in Augenschein zu nehmen. Dabei musste sich Arad, der für fast alle Topmöbel- und -designfirmen der Welt arbeitet, mit seinem siebenten Stock nicht verstecken.

Das tut auch die Hülle von Jean Nouvel nicht. Von Orange bis Rot leuchten seine „Segel“. Vor jedem Zimmer ist eine dieser Markisen zu finden, und sie bedecken, so sie geschlossen sind, die ganze Fensterfront des jeweiligen Raums. Von vorn - mit einer wenig charmanten Sicht zur Autobahn - flammende Farben, die Rückseite kühl in Blautönen. In den sechs Weltsprachen ist in Schreibschrift ein Gedicht des Surrealisten Paul Éluard auf einigen der Sonnen- segel zu lesen: „Auf die überquellenden Plätze schreibe ich deinen Namen: Freiheit.“ Das programmatische Ansinnen des Lyrikers wird von den Designern prompt als Auftrag verstanden und umgesetzt. Der „Culturclash“ der Freiheiten beginnt in der Lobby.

John Pawson hat die Visitenkarte des Hauses gestaltet. Pawson verdankt seine Bekanntheit dem Design der Calvin-Klein-Stores. Wer mit einem furiosen Auftakt gerechnet hat, wird enttäuscht. In der Halle herrscht der Geist des Zen. „Hinschauen, den Brunnen, der mit fast acht Metern einmal durch die Lobby plätschert, genießen und sich in den dunklen Holzsesseln von den Strapazen der Anreise erholen“, dazu will der Macher den Neuankömmling ein-

laden. Schrill, schräg, bunt und ungewöhnlich wird es noch früh genug, hier in hellem Holz und Travertin gibt es keine optischen Störer. Der Brite teilt sich das Erdgeschoß-Revier mit Marc Newson und Christian Liagre.

Liagre, der diverse Hotelerfahrungen in seinem Portfolio lagert, zeichnet für das Restaurant verantwortlich. Zuvor hat er Luxusherbergen wie das Mercer in New York und das Montalembert in Paris gestaltet. Hier, im Puerta América, mixt er Moderne mit spanischer Folklore. Üppige Ornamente in der Bar bilden tolle Kontraste zur puristischen Bestuhlung. Auf der anderen Seite der Halle hat sich wie erwähnt Marc Newson ausgelassen. „Er und Jean Nouvel sind die Einzigen, die mehrfach ihr Können unter Beweis stellen durften. Jean Nouvel mit der Fassade, der Dachterrasse und dem zwölften Stock, der noch dazu nur aus Suiten besteht und Marc Newson mit der Bar und der sechsten Etage“, erklärt der Zeremonienmeister Michael Rich.

Die Bar, mit B&B-Italia-Sesseln bestückt, hat das sichere Zeug zum Szenetreff Madrids. Eine bodentiefe Glasfront zur Terrasse, die Rückwand aus Alu-Elementen, die über die Decke reichen, und eine sechs Meter lange Marmorbar - alles in allem eine ästhetischer Treffer. Während das Erdgeschoß geschmacklich verbindet, wird im ersten Stock kontroverses Design geboten. Zaha Hadid entführt in eine wahrlich spacige Welt. Ähnlich wie bei ihren Gebäuden sind ihre Interieurs organische Welten, die fließen und Bewegung vortäuschen. Sie gibt der Architektur ein organisches Gesicht. So zukunftsweisend das Gedankenspiel hinter der Umsetzung, so beeindruckend ihr Stockwerk. Die Zimmer aus einem Guss - Bett, Wände, Trennung zum Bad, Wanne und Waschbecken - nirgends ist eine Naht zu entdecken. Dahinter steckt eine neue Technologie aus deutschen Landen: LG Hi-Macs heißt der Zauberstoff von Rosskopf und Partner.

Ein Stockwerk darüber hat der Kuppelkönig des Reichstags, Sir Norman Foster, seine Spuren hinterlassen und besonders ausgereifte Räume beigesteuert. Und doch wirken - verglichen mit der sonst anzutreffenden Formensprache - seine weißen Korridore aus sandgestrahltem Glas und den lederbespannten Wänden fast betulich.

Im dritten Stock faltet sich David Chipperfield seine Welt. Der Professor der Stuttgarter Akademie der Künste arbeitet mit schwarzen, von Hand gearbeiteten Terrakottafliesen auf dem Boden, weißem Marmor an den Wänden und Wildseide als Material für die Bettbespannung. Seine Raumaufteilung fällt klassisch aus: Entree, rechts das Bad und dann die Öffnung zum Schlafbereich.

Im vierten Stock traut man sich mehr. Eva Castro und Holger Kehne sind „Plasma Studio“. Das auch private Doppel, bestehend aus puerto-ricanischer Power und deutschem Technikverständnis, ist wohl die heißeste Newcomer-Erscheinung des Projekts. „Wir haben fünf interessante neue Büros zu Entwürfen eingeladen, und Plasma hat uns überzeugt“, erläutert Michael Rich das Prozedere. Das Stockwerk der beiden schockiert: eine Grotte aus Stahl. Die einzelnen dreieckigen Elemente wirken wie gefaltet, die Kanten nicht auf Stoß, sondern mit Spiel für LED-Leuchtkörper. Der unwirklichste, aber bewegendste Flur von einem Team, das Zukunft baut und hat. Darüber der einzige Fehltritt im Gefüge. Victorio und Lucchino, Modeschöpfer und Lokalmatadore, haben ein Stockwerk für heimatlose Schlagerstars geschaffen. Kitsch as Kitsch can mit wüsten Bildern, und davon zu viele, Marmorsphingen im Entree. Aber schon einen Knopfdruck entfernt ist Eleganz trumpf. Marc Newsons rot gelackter Korridor ist ein Kreuzfahrttraum und die Zimmer mit variabler Trennwand zum Bad so sexy, wie es nur geht.

Ron Arad im siebten Stock entdeckt die Siebziger wieder: runde Betten - aber in der Gegenwart gelandet. Sie sind Teil eines Raumkörpers, der aus einem Stück besteht und den der Gast mittig umkreisen kann. Inklusive Garderobe, Schrank, Waschbecken, Toilette und Bad. Seine selbst gewählte Aufgabenstellung hat er erfüllt: „Ich will weder mich noch sonst jemanden langweilen“, sagt er zu dem Entwurf.

Das ist auch Kathryn Findlay und Jason Bruges gelungen. Die interaktiven Beleuchtungskörper ihrer Lobby bremsen beim Ankommen den Drang, das Hotelzimmer zu beziehen, denn im Vorbeigehen wird der Gast zum Reflektor und verändert so die jeweilige Lichtstimmung. Der weiße Korridor mit den wellenförmig zulaufenden Lichtern ist noch ein Highlight. Das Hotelzimmer ist eine offenherzige Angelegenheit: Die Badewanne ist nur durch einen Vorhang separiert.

Der neunte Stock darüber ist ein bewohnbares Museum. Richard Gluckman, amerikanischer Architekt, ist für seine Musentempel bekannt. Unter anderem trägt das Picasso Museum in Málaga seine Handschrift. Im Puerta América hat er mit der „Abwesenheit von Kunst“, wie es Guide Michael Rich ausdrückt, gespielt. Leere Nischen, von innen beleuchtet, sind Einladungen für Exponate. Leider durch Unmengen Plastik und fiese Vorhänge ein eher überflüssiges Werk. Doch dann geht die Sonne auf. Im zehnten Stock ist Japan Trumpf, und der international ausgezeichnete Architekt Arata Isozaki macht die Gäste zu Shogun und Geisha. Quadratische Holzbadewanne, kostbare handgestickte Kimonos als Wandschmuck und bespannte Holzspaliere vor den Fenstern sorgen dafür.

Im elften Stock ist das Gegenteil des japanischen Purismus Trumpf. Javier Mariscal lässt Farben auftreten und schon im Entree wird der Besucher von einer Skulptur begrüßt. Ein fröhlich gesprenkelter, stilisierter Hase. Die Zimmer haben bemalte Glastüren vor den Schränken, farbige Kacheln auf den Böden und bunt gemusterte Tagesdecken.

Im finalen Stockwerk von Jean Nouvel geht es etwas gesitteter zu. Auch wenn der japanische Fotokünstler Araki mit am Werk ist. Das System von Nouvels Suiten: vier Wände, die überkreuz laufen und in sich verschiebbar sind. Manövriermasse für Gäste mit Bewegungsdrang. Auf zwei gegenüberliegenden Wänden sind Arakis Arbeiten zu sehen: eine Japanerin im Kimono und eine Blume. Schiebt man - kommt es zu einer psychodelischen Doppelbelichtung. Nach der Tour de Force in modernem Design ist das Finale der Blick über Madrid. Vom Dach mit Pool, Bar und Fitnessstudio - das ebenfalls von Nouvel gestaltet wurde, schweift der Blick in die Ferne. Zu Füßen liegt der Ausblick in eine ästhetische Zukunft.

Der Standard, Fr., 2005.09.09



verknüpfte Bauwerke
Hotel Silken Puerta América

29. Oktober 2004Andreas Tölke
Der Standard

König Kunst regiert Manhattan

Am 20. November eröffnet der Neubau des New Yorker Museums of Modern Art. Sein Direktor, Glenn Lowry, über die Neuorientierung eines der weltweit wichtigsten Kunsthäuser, die Pläne für Ground Zero, den deutschen Einfluss im MoMA, rote Socken und was ein gutes Museum ausmacht.

Am 20. November eröffnet der Neubau des New Yorker Museums of Modern Art. Sein Direktor, Glenn Lowry, über die Neuorientierung eines der weltweit wichtigsten Kunsthäuser, die Pläne für Ground Zero, den deutschen Einfluss im MoMA, rote Socken und was ein gutes Museum ausmacht.

Seit 1995 ist Glenn Lowry Direktor des Metropolitan Museums of Modern Art in New York. Der 48-jährige Harvard-Absolvent übernahm als sechster Direktor das MoMa in seiner schwierigsten Phase seit der Gründung: Das Gebäude an der 53rd Street in Manhattan wurde 2002 abgerissen, der Neubau wird am 20. November eröffnet. Neben seiner Tätigkeit als Museumsdirektor hat Glenn Lowry als Kunstgeschichtler bis- her 28 Bücher (mit)herausgegeben und geschrieben. Glenn Lowry führt wirtschaftlich erfolgreich das privat finanzierte MoMA. Er hat innerhalb von vier Jahren 800 Millionen Dollar akquiriert. Wie er das macht, ist nicht unumstritten, die New York Times nannte ihn ob seines Führungsstils „Robespierre“ Lowry. Sein Privatleben hält er unter Verschluss. Lowry ist verheiratet und hat zwei Kin- der.

DER STANDARD: Sie sprechen Deutsch?
Glenn Lowry: Ein bisschen. (weiter auf Englisch) Ich hatte Deutsch im College. Jetzt träume ich davon, einmal drei Monate in Deutschland zu leben und den passiven Sprachschatz in einen aktiven umzuwandeln.

Im MoMA ist ein starker deutscher Einfluss zu spüren. Woher kommt das - doch wohl nicht von ihren Sprachkenntnissen?
Lowry: Das würde nicht reichen. Nein, es ist in der Geschichte des MoMA begründet. 1927 hat eine Gruppe von New Yorkerinnen beschlossen, dass eine richtige Metropole ein Museum für zeitgenössische Kunst braucht. Sie engagierten einen jungen Mann - Alfred Barr - der in Harvard Kunstgeschichte studierte. Er wurde auf eine Reise nach Europa geschickt. Sozusagen eine Mission in Sachen Kunst. Den längsten Aufenthalt hatte er in Deutschland, und sein vorderstes Ziel war ein Bauhausbesuch. Er bereist danach noch Russland, wo zu diesem Zeitpunkt die post-revolutionären Künstler mit Malern wie Malevich gerade sehr aktiv waren. Er kam zurück nach New York mit einem klaren Konzept: Kunst im 20. Jahrhundert ist multi-disziplinär: Architektur, Design, Bildhauerei und klassische Malerei. Man könnte sagen, die Bauhaus Idee: Alle Künste werden gleichwertig behandelt. Und wenn man sich heute unsere Sammlung anschaut, sieht man gerade für die ersten Jahre des vergangenen Jahrhunderts die starke Präsenz europäischer Kunst. Das hat sich natürlich später etwas zugunsten amerikanischer Künstler verschoben, aber der Bauhausgedanke ist das Fundament.

Ist der Eurozentrismus denn in den Staaten auf Begeisterung gestoßen?
Lowry: Nein. Gerade in den 30ern und 40ern gab es heftige Diskussionen, ob das MoMa nicht zu wenig amerikanisch sei. Das korrigierte sich in den 50ern und 60ern von alleine, als eine neue Generation amerikanischer und lateinamerikanischer Künstler die wichtigsten Werke weltweit schufen.

Wie wählen Sie aus einem schier nicht zu bewältigenden Angebot moderner Kunst so aus, dass inhaltlich tragfähige Ausstellungen dabei rauskommen?
Lowry: Das MoMA hat sechs Abteilungen: Zeichnungen, Gemälde, Skulpturen, Architektur, Design, Film & Video. Jede Abteilung hat einen verantwortlichen Kurator, wir treffen uns alle zwei bis drei Wochen und sprechen über die Ausstellungen, die wir gerne machen würden. Manchmal basieren die Ideen auf dem Interesse eines Kurators, manchmal ergeben sich Dinge, wie die Warhol-Ausstellung jetzt zur Neueröffnung.

Und wer entscheidet darüber, was dann umgesetzt wird?
Lowry: Die Entscheidung liegt völlig in den Händen des Direktors.
Also in Ihren Händen?
Lowry: Ja. Wobei sich das autokratischer anhört, als es ist. Wir diskutieren als Gruppe, und nur wenn es eine Patt-Situation gibt, entscheide ich. Sozusagen als Zünglein an der Waage.

Seit acht Jahren sind Sie Chef des MoMA und haben zu Anfang für heftige Aufregung gesorgt. Ihre Kritiker warfen ihnen hemmungslose Kommerzialisierung vor: Shops, Internet-Seiten mit Devotionalien. Wie kommt es, dass Sie scheinbar leichtfertig den Elfenbeinturm entstaubt haben?
Lowry: Aus Ignoranz. Wenn man noch nicht viel weiß, ist die Angst, etwas falsch zu machen, kleiner. Ich gehe unter der Prämisse „Was macht ein gutes Museum aus? - Gute Kunst!“ an die Sachen heran. Um gute Kunst kaufen zu können, braucht man Geld. Das heißt, ein Museum mit 600 Mitarbeitern, das im Jahr zwischen 30 und 50 Millionen Dollar für den Ankauf von Kunst ausgibt, ist ein Betrieb, der wettbewerbsfähig sein muss.

Berlins „Best of MoMA“ war in einem Mies van der Rohe-Gebäude, der ja auch dafür vorgesehen war, das Metropolitan Museum of Modern Art in New York zu bauen.
Lowry: Ironie der Geschichte, denn 1939, als das MoMA gebaut wurde, schien es den Verantwortlichen zu schwierig, mit einem europäischen Architekten zu arbeiten, obwohl er der Wunschkandidat war. Doppelte Ironie, denn ein kleinerer Teil der Ausstellung geht auch nach Houston, und das dortige Museum ist auch ein van der Rohe-Gebäude.

Wird der Neubau des MoMA jetzt eine Hommage an Mies van der Rohe?
Lowry: Ja und nein. Ja, was die Transparenz nach außen betrifft, nein, weil unser Architekt Yoshiu Taniguchi natürlich kein Plagiat abliefert, und nein, weil sich die Kunstszene seit den 30ern verändert hat und die Werke ein anderes Umfeld brauchen. Bis dato war die Entwicklung in der Kunst linear - eine Schule führte zur nächsten, und so waren auch Museen aufgebaut: Postimpressionismus, Kubismus, Modernismus . . . Mittlerweile ist Kunst ein Chaos der verschiedenen Stile und Ideen, die gegeneinander ankämpfen. Zum andern braucht Kunst heute viel mehr Raum. Anselm Kiefers Gemälde etwa sprengen jeden Rahmen.

Wie sieht das konkret aus?
Lowry: Das neue MoMA wird eine urbane Lunge. Bisher war das Museum nur zu einer Seite geöffnet, jetzt wird es zu beiden Seiten des Viertels große Glasflächen haben. Wir ziehen die Stadt in das Museum und beziehen die Stadt im Museum mit ein. Früher gab es Stufen zum Eingang. Das drückte das Noble der Kunst aus. Sozusagen den Aufstieg des Besuchers in den Olymp. Es zeigt aber auch den Abstand zur Straße - im doppelten Wortsinn. Der neue Eingang ist ebenerdig.

Das drückt auch den spielerischen Umgang der Amerikaner mit Kunst aus. In Deutschland ist Kunst oft noch mit „versteh ich nicht“ besetzt, was viele davon abhält, sich mit moderner Kunst zu beschäftigen.
Lowry: Ein sehr komplexes Feld. Amerikaner sind neugierig, reisen viel. Allerdings nur ein kleiner Teil. Wir haben das Glück, dass in New York viele Künstler leben und ein starkes Kunstinteresse da ist. Aber fahren Sie einmal in den Westen . . . Wir sind eine private Institution, die amerikanische Regierung unterstützt bildende Kunst überhaupt nicht. In Deutschland bin ich immer sehr erstaunt, wie viel Politiker von Kunst verstehen und wie umfassend die Unterstützung - im Verhältnis zu den USA - ist.

Was denken Sie über Daniel Liebeskind und seine Entwürfe für den Ground Zero?

Lowry: Ich finde, es ist ein beeindruckendes Projekt. Aber ich bin nicht wirklich überzeugt von seinem Vorschlag. Ich finde, er bemüht eine architektonische Sprache, die er hier - in Europa - entwickelt hat. Eine Sprache, die geprägt ist von dem Trauma, das der Zweite Weltkrieg hinterlassen hat, und die geprägt ist von dem Sich-Erinnern. New York braucht Heilung, das Heilen einer Wunde, Zukunft, nicht Vergangenheit. Meine Bedenken gehen noch in eine andere Richtung. Ich habe nicht verstanden, warum so auf eine Neu-Bebauung gedrängt wurde. Dort sind 3000 Menschen begraben, es ist ein Friedhof. Ein Friedhof, der eine psychische Wunde gerissen hat, die sehr lange brauchen wird, bis sie verheilt. Und da verstehe ich den manischen Druck der Wiederbebauung nicht. Ich verstehe, dass man einen Ort der Erinnerung braucht, der den Familien hilft, über den Tod ihrer Männer, Frauen, Söhne und Töchter wegzukommen. Aber mir scheint, das kann nur in einzelnen Schritten passieren, und wahrscheinlich brauchen wir noch zwanzig, fünfzig Jahre, um darüber eine profunde Aussage machen zu können, wie man dort wieder arbeiten und leben kann.

Hat sich Ihr Geschmack in den fünf Jahren als Direktor des MoMA verändert?
Lowry: Geschmack ändert sich konstant. Aber ich bin privat nicht sklavisch der Museumsdirektor bei der Möbelwahl. Natürlich müssen Dinge Bestand haben - gute Materialien, ästhetischer Wert, interessanter Umgang damit. Und: Sie muss bequem sein.

Wer hat sie in der letzten Zeit besonders beeindruckt?
Lowry: Zum Beispiel Ingo Maurer und seine Lichtinstallationen. Ich frage mich, wie er auf die Ideen kommt. Es gab eine Zeit, da war Philippe Starck faszinierend, jetzt macht er zu viel. Aber auch dieser Ansatz: Gutes Design, bezahlbar für die Massen ist spannend. Das, was dabei herauskommt, ist natürlich fragwürdig. Oft ist ja die Idee spannender als das, was dabei rauskommt.

Etwas ganz anderes. Sie tragen nur rote Socken, woher kommt das Faible?
Lowry: Ich habe vor drei Jahren damit angefangen. Es gibt keinen wirklichen Grund. Es ist kein Modestatement, sondern ein ganz persönliches. Wie gestalte ich mein Leben einfach? Ich muss nicht mehr auswählen, welche Farbe ich trage. Es hätte auch Blau oder Orange sein können.

Das gilt auch für Kunst und das Leben damit. Was macht gute Sammler aus?
Lowry: Dass sie selten sind. Ich bin oft bei Sammlern in deren Wohnungen. Da sind dann unglaubliche Kunstwerke, und die Besitzer sind eingerichtet, dass ich mich frage, was haben sie sich dabei gedacht. Ästhetik zieht sich durch alle Bereiche - wie ich mich einrichte, was ich trage, womit ich mich umgebe, wenn ich esse oder lese.

Das heißt, dass Sie sehr rigide bei der Auswahl der Dinge, die sie umgeben, sein müssen?
Lowry: Ich werde von meiner Frau zurückgehalten. Ich wäre sehr rigide, aber sie lässt es nicht zu. Ich habe mein Arbeitszimmer, das ist genau so, wie ich es wollte. Der Rest der Wohnung ist ein Kompromiss zwischen den Kindern, meiner Frau und mir. Unsere Lösung ist eine Wohnung mit zwei Flügeln: den Bereich für die Kinder und den für Erwachsene. Zentrum und Treffpunkt sind Küche und Esszimmer.

Als Museumsdirektor sind Sie bestimmt auch privat von Kunst umgeben. Gibt es noch etwas, wovon Sie träumen?
Lowry: Ich hätte gerne eine Videoinstallation, aber ich kann sie mir nicht leisten.

Der Standard, Fr., 2004.10.29



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