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22. November 2013Paul Lüchinger
TEC21

Erhalten zahlt sich aus

Der Gebäudepark, den es auf seine Lebensdauer zu überprüfen gilt, wächst. Ob die Tragwerke der einzelnen Bauten noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, ist dabei jedes Mal individuell abzuklären. Das bedeutet: Die Kriterien für einen Rückbau oder eine Erhaltung sind stets spezifisch zu gewichten, denn jedes Tragwerk birgt seine Eigenheiten, die von den projektspezifischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Der Autor berichtet aus der Praxis und erläutert kurz drei gebaute Beispiele.

Der Gebäudepark, den es auf seine Lebensdauer zu überprüfen gilt, wächst. Ob die Tragwerke der einzelnen Bauten noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, ist dabei jedes Mal individuell abzuklären. Das bedeutet: Die Kriterien für einen Rückbau oder eine Erhaltung sind stets spezifisch zu gewichten, denn jedes Tragwerk birgt seine Eigenheiten, die von den projektspezifischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Der Autor berichtet aus der Praxis und erläutert kurz drei gebaute Beispiele.

Eigentümerschaften ziehen die Erhaltung ihrer Bauwerke heute viel öfter in Erwägung als auch schon. Es wird aufgestockt, verstärkt, ertüchtigt, restauriert und instandgesetzt. In Ausnahmefällen können betriebliche Einschränkungen angemessen sein, um eine bestehende Substanz zu erhalten. Diese Situation basiert einerseits auf der florierenden Bautätigkeit in den 1960er- und 1970er-Jahren und andererseits darauf, dass sich die Ansprüche der Eigentümerschaften, der Betreiber und der Gesellschaft insgesamt verändert haben. Spätestens mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls 1997 wurde die nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und des Bausektors im Speziellen zum Langzeitziel der globalen Politik erhoben.

Erhaltung erhält zunehmend mehr Bedeutung

Im Sinn eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen ist es tabu, den Fokus nur auf Neubauten und Ersatzneubauten zu legen. Setzen sich die am Bau Beteiligten mit der bestehenden Bausubstanz auseinander, beurteilen sie ihren materiellen und immateriellen Wert und erhalten sie dann begründet die Tragwerke, leisten sie einen wesentlichen Beitrag an die Nachhaltigkeit (vgl. «Wertvolle Tragwerke», S. 16). Letztlich entscheidet aber die Eigentümerschaft, ob und in welcher Weise bestehende Bauwerke – Hochbauten oder Infrastrukturanlagen – weiterhin genutzt und welche Strategien verfolgt werden sollen. Denn neben statisch-konstruktiven Aspekten geben vor allem auch andere, vom Tragwerk losgelöste Punkte den Impuls zur Überprüfung. Diese müssen von Fall zu Fall eigens abgeklärt werden.

Beispiel 1: Flughafen Zürich Dock B

So sprachen beim Umbau des Terminal B des Flughafens Zürich (vgl. Kasten, Abb. 01 und TEC21-Dossier, April 2012) vor allem betriebliche Rahmenbedingungen dafür, das bestehende, knapp dreissig Jahre alte Tragwerk in Stahl-Beton-Verbundbauweise zu erhalten. Der Rückbau des bestehenden Stahlskelettbaus und der Wiederaufbau eines neuen Tragwerks hätten bei den Zufahrten zum Flughafen und im Flugvorfeld zu grossen logistischen Problemen geführt. Die Bauingenieure überprüften im Rahmen von Ortsbegehungen, Massaufnahmen und Sondierungen die vorhandenen baulichen Verhältnisse, und sie analysierten die bestehende Substanz, nachdem das Gebäude bis auf das Tragwerk rückgebaut war. Bis auf wenige Ausnahmen attestierten sie ihm einen einwandfreien Zustand. Weitere Untersuchungen führte das Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich durch. In einer umfangreichen grossmassstäblichen Versuchsreihe unterzog es die bestehenden Holorib-Blechverbunddecken vielseitigen Belastungsprüfungen, insbesondere im Hinblick auf das Verbundverhalten und die Tragfähigkeit nach längerer Nutzungsdauer. Zur Verfügung stand hierfür ein für den Rückbau bestimmter Gebäudeteil. Nach eingehender Überprüfung empfahlen die Bauingenieure, das Tragwerk des Terminals B auch aus statischer Sicht zu erhalten. Vergleiche der Kosten und der Termine unterstützten den Entscheid zur Erhaltung und Ergänzung mit neuen Bauteilen gegenüber einem Ersatzneubau zusätzlich. Die Vorteile aus betrieblicher, statischer, ökonomischer und terminlicher Sicht wogen die Einschränkungen der Flexibilität für die neue Gebäudetechnik bei Weitem auf.

Beispiel 2: Geschäftshaus Hohlstrasse Zürich

Die Beantwortung der Frage, inwiefern bestehende Bauwerke auch nach einer längeren Nutzungsdauer den ursprünglichen oder gar neuen Anforderungen aus allen Fachbereichen wie eben der Gebäudetechnik oder der Architektur noch genügen oder inwiefern diese Anforderungen allenfalls herabgesetzt werden müssen, ist zentral, um zu entscheiden, ob ein Tragwerk erhalten werden kann oder nicht. Das Geschäftshaus an der Hohlstrasse in Zürich (vgl. Kasten) sollte beispielsweise architektonisch aufgewertet, gebäudetechnisch erneuert und aufgestockt werden. Dieselben Bauingenieure überprüften hier also, ob der bestehende klassische Betonskelettbau die zusätzlichen Geschosslasten der Aufstockung würde aufnehmen können und ob die Tragsicherheit gegenüber Erdbeben gesichert wäre. Nur wenige tragwerksspezifische Eingriffe waren schliesslich notwendig, um das Tragwerk so zu ertüchtigen, dass es den neuen Anforderungen entsprach und den neuen Einwirkungen standhielt. Insbesondere mussten lokal der Durchstanzwiderstand und der Biegewiderstand im Randbereich der Abfangdecke über dem Erdgeschoss erhöht werden, was mit Stahlmanschetten bzw. mit einem Überbeton bewerkstelligt wurde (Abb. 02). Des Weiteren schloss man die Dilatationsfuge, die das Gebäude in zwei Teile trennte, um die Anforderungen der aktuell gültigen Normen bezüglich Erdbeben zu erfüllen. Diese statische Verbindung auf allen Geschossebenen stand im Einklang mit dem Konzept der architektonischen Neugestaltung des Treppenhauses.

Beispiel 3: Wohnüberbauung Gutstrasse Zürich Architektonische Gründe gaben auch im dritten Beispiel den Impuls für eine Abklärung des Erhaltenswerts des Tragwerks, allerdings mit ganz anderen planerischen Voraussetzungen. Das 16-geschossige Wohnhochhaus an der Gutstrasse in Zürich (vgl. Kasten und Abb. 03) – eine reine Mauerwerksbauweise – sollte noch während einer geplanten Restnutzungsdauer von rund 15 Jahre dienen, und es stellte sich daher die Frage, ob ein Rück- und Neubau absehbar war. Die Bauingenieure nahmen ausführliche statische Abklärungen vor, insbesondere hinsichtlich der Tragsicherheit gegenüber Erdbeben. Die Überprüfung musste allerdings ohne Ingenieurpläne, Berechnungen und Berichte aus der Zeit der Erstellung des Gebäudes erfolgen, denn trotz intensiver Nachforschungen konnten keine Bauwerksakten ausfindig gemacht werden. Die Bauingenieure machten Sondierungen, entnahmen Proben und führten Baustoffprüfungen an grosskalibrigen, d.h. sechs Mauerwerksschichten hohen Prüfkörpern durch. Erst mit diesen ausführlichen und aufwendigen Untersuchungen konnte eine Grundlage geschaffen werden, um sich für oder gegen den Erhalt des Tragwerks zu entscheiden. Dieses genügte auch in diesem Fall den Anforderungen und konnte erhalten bleiben. Die gebäudetechnischen Installationen wurden erneuert und die Fassaden aufgefrischt.

Getrennte Subsysteme helfen zu erhalten

Nicht zuletzt zeigt sich bei allen drei Beispielen, was allgemein gilt: Die Subsysteme Tragwerk, Gebäudehülle, Gebäudetechnik sind je mit ihrer unterschiedlichen Nutzungs- und Lebensdauer konsequent getrennt voneinander entwickelt und ausgeführt worden. Es waren keine bedeutenden gebäudetechnischen Installationen im Tragwerk integriert. So kann für jedes Subsystem eine eigene termingerechte Erhaltens- oder Rückbaustrategie entwickelt werden. Diese konsequente Trennung kann den Erhalt des Tragwerks erleichtern.

Immer wieder neue Umstände

Letztlich stützt sich die Entscheidungsfindung aber nicht nur auf das bestehende Konstruktionsprinzip, sondern auch auf die Verhältnismässigkeit des gesamten Erhaltensprojekts und der erforderlichen Massnahmen. Hier spielen die Sicherheitsanforderungen, Verfügbarkeit des Bauwerks und das Schadensausmass bei einem Einsturz ebenso eine gewichtige Rolle wie – ganz im Sinn der Nachhaltigkeit – der kulturelle Wert. Wie die einzelnen Kriterien gewichtet und gewertet werden, gilt es projektspezifisch abzuklären und mit aktualisierten Informationen zu überprüfen. Die Entscheidungsfindung ist in jedem Fall von grosser Tragweite. Denn im Gegensatz zur Projektierung von Neubauten können unausgewogene Entscheide Sprungkosten auslösen und insbesondere auch aus Sicht der immateriellen Werte verheerend sein. Bei fachgerechtem Vorgehen sollte aber ein Entscheid – ob Erhalt oder nicht – in jedem Fall zu einem technischen, ökonomischen und ökologischen Gewinn führen.

TEC21, Fr., 2013.11.22



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|48 Tragende Werte

26. November 2008Joseph Schwartz
Paul Lüchinger
TEC21

Gebrauchsgrenzen hinterfragen

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Das Tragwerk stellt ein Subsystem des Gesamtbauwerks dar. Sein Konzept wird im Rahmen des Entwurfs als Teil der integralen Planung in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Fachleuten entwickelt. Dieses nimmt Bezug auf die gesamtplanerischen, die architektonischen sowie auf die betrieblichen Belange und berücksichtigt gleichermassen die Randbedingungen aus der Umwelt wie die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen. Aus diesen Gegebenheiten folgen die grundlegenden Anforderungen an das Tragwerk, die mit verschiedenen Massnahmen erfüllt werden können. Im Falle der Tragwerksbemessung hat sich sowohl in der nationalen als auch der internationalen Normenpraxis seit längerer Zeit die Betrachtung von Grenzzuständen durchgesetzt.1, 2 Als solche werden die Tragsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit unterschieden.

Tragsicherheit: Verbindlich

Gegenüber Tragwerksversagen fordert die Gesellschaft allgemein die Sicherheit von Personen im Einflussbereich von Bauwerken. Bauherrschaft, Benutzer und Dritte stützen sich dabei auf einschlägige Rechtsgrundlagen. Den anerkannten Stand der Technik beschreiben entsprechende Regeln zur Tragsicherheit in den Normen – in der Schweiz sind dies die SIANormen. Da an der Tragsicherheit ein öffentlich-rechtliches Interesse besteht, ist sie nicht verhandelbar und das dazugehörige Normenwerk somit verbindlich (siehe Kasten Seite 20).

Gebrauchstauglichkeit: Verhandelbar

Nebst der Tragsicherheit steht die Zweckerfüllung und damit die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerks im Vordergrund des Bauherreninteresses. Sie orientiert sich an Fragen nach der vorgesehenen Nutzung des Tragwerks und den Ansprüchen der Benutzer. An der Gebrauchstauglichkeit besteht ein privatrechtliches Interesse, sie wird demnach in Absprache zwischen Bauherrschaft und Projektierenden geregelt.

Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind ab Beginn der Projektierung zu diskutieren und im Rahmen der Projektentwicklung laufend neu zu beurteilen. Die Folgen der Entscheide sind im Voraus aufzuzeigen und zwischen dem Besteller und dem Ersteller frühzeitig festzulegen. Dafür dient die Nutzungsvereinbarung als wichtiges vertragliches Instrument mit technischem Inhalt zwischen Bauherrschaft und Projektierenden einerseits und Benutzern (z.B. Mietern) andererseits. Die entsprechenden Regeln der Tragwerksnormen sind ein möglicher Leitfaden in der Diskussion. Sie bezwecken einheitliche Sprachregelungen und kategorisieren Begriffe, Vorgehensweisen und Nachweise.

Objektspezifische Richtwerke

Bauingenieure beurteilen die Gebrauchstauglichkeit bezüglich dreier Aspekte: Funktionstüchtigkeit, Aussehen des Bauwerks und von den Benutzern erwarteter Komfort. Gemessen wird sie anhand von Kriterien wie Schwingungen, Rissbildung und Verformungen, wobei Letzteres zu den am häufigsten diskutierten zählt. Es sind die Verformungen, die beispielsweise das Aussehen oder die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks wegen Schäden an Einrichtungen beziehungsweise an nichttragenden Bauteilen beinträchtigen können. Für jedes Kriterium – und unabhängig von den drei Aspekten – werden die Gebrauchsgrenzen für die jeweils verifizierten Bemessungssituationen, die alle vorhersehbaren Bedingungen während der Nutzung und Ausführung eines Bauwerks einschliessen sollen, festgelegt. Die qualitative und die quantitative Entwicklung der Regeln in den Tragwerksnormen des SIA orientiert sich an Erfahrungswerten aus der Praxis – sowohl hinsichtlich Bemessungssituationen als auch bezüglich Bemessungskriterien und deren Grenzen. Darum sollten die Angaben der Gebrauchsgrenzen nur im Sinne von Richtwerten interpretiert werden – sie müssen fallweise hinterfragt und eventuell angepasst werden.

Bei heute geläufigen Spannweiten bei Flachdecken von 7 bis 10 m bedeutet der Wert l/350 beispielsweise 20 bis 30 mm Durchbiegung beziehungsweise etwa 6 ‰ Auflagerdrehwinkel. Eine detaillierte Berücksichtigung der Konstruktion und der Situation erfolgt aber höchstens in allgemeinen Anmerkungen wie: «Wenn Einbauten besonders empfindlich auf Verformungen des Tragwerks reagieren, sind neben oder anstelle von bemessungstechnischen vor allem auch konstruktive Massnahmen gegen Beschädigung vorzusehen.» Die zu erwartenden Durchbiegungen müssen kritisch analysiert und geprüft werden. Wird der Vergleich zwischen verlangten und auftretenden Durchbiegungen ohne Absprache mit allen am Projekt Beteiligten gemacht, kann dies zu Missverständnissen und damit zu grossen Problemen führen.

Vorabklärungen an planerischen Schnittstellen

Aus Erfahrung besteht in der Planung grosser Bedarf an Vorabklärungen sowohl in der Phase der Projektierung als auch während der Vorbereitung der Ausführung. Auswirkungen der zu erwartenden Verformungen auf die Nutzung und auf die nichttragenden Bauteile oder Einbauten müssen beispielsweise während der Projektierung erfragt und geklärt werden. Allenfalls notwendige konstruktive Massnahmen wie Überhöhung oder Anschlüsse an nichttragende Bauteile können dann rechtzeitig geplant werden. Im Rahmen der Ausführungsvorbereitung müssen die Planer zum Beispiel die Einbausequenzen von Tragwerksteilen und nichttragenden Bauteilen analysieren, den Einbau der Beläge ermitteln (Oberfläche horizontal oder der Durchbiegung folgend) oder sicherstellen, dass bei überhöhten Stahlbetondecken auch die Oberfläche überhöht abtaloschiert wird.

Beispiel 1: Glasfassade auf „weichen“ Deckrändern

In einem Laborgebäude in Basel werden die Deckenlasten auf der Vorderseite des Gebäudes zu den Randstützen der vierstöckigen Glasfassade abgetragen. Die Stützenlasten werden im Erdgeschoss von einem weit gespannten, einfeldrigen Stahlfachwerkträger mit beidseitiger Auskragung abgefangen (Bilder 2 und 3) und schliesslich über zwei Stützen in die Untergeschosse abgetragen. Damit ein einheitliches Fassadenbild entsteht, sind der Fachwerkträger wie die Stützen in die Glaskonstruktion eingebunden (Bild 4). Im Vergleich zu den punktgestützten Innenbereichen der Flachdecken stellt die Abfangung eine «weiche» Auflagerung der Deckenränder dar. Die Verformungen im Bereich der Glasfassade beeinflussen deshalb die Konzeptentwicklung des Tragwerks und dessen konstruktive Durchbildung und Ausführung wesentlich. Obwohl die rechnerischen Durchbiegungen des annähernd geschosshohen Fachwerkträgers äusserst gering und die Richtwerte gemäss der SIA-Norm weit unterschritten waren, mussten die Planer während der Projektierung objektspezifische Abklärungen vornehmen. Sie berechneten am Modell, welche Durchbiegungen im quasi-ständigen und welche im häufigen Lastfall entstehen. Um den detaillierten Montagevorgang zu planen, ermittelten sie die zu erwartenden Verformungen vor und nach der Montage der Glasfassade. Aus der Bewegung ergab sich die zeitliche Abfolge für den Einbau der Deckenauflasten (Bodenbeläge) und der Fassadenlasten. Ausserdem mussten sie die Extremwerte der Verformungen infolge seltenen Lastfalls ermitteln, die zu irreversiblen Schäden an der Glasfassade führen. Die Resultate bildeten die Grundlage für die Ausbildung der Anschlüsse der Glasfassade an die Tragstruktur.

Aus der Koordination und Lösungsfindung während der Projektierung entwickelten sich die Vorgaben für die Ausführung – und wiederum neue Fragen: Wie gross ist die initiale Überhöhung des Fachwerkträgers vorzusehen? Wie sind die Betondecken der Obergeschosse zu schalen und zu betonieren? Wie müssen die Oberflächen abtaloschiert werden, horizontal oder der infolge der zunehmenden Betonlasten von Geschoss zu Geschoss abnehmenden Überhöhung folgend? Diesen eher ungewöhnlichen Fragestellungen überlagern sich die eher alltäglichen Problemstellungen, hervorgerufen durch unterschiedliche Anforderungen an die Massgenauigkeiten im Ortbetonbau und im konstruktiven Glasbau.

Diskutiert wurde auch die Lage der Wärmedämmschicht: Der Fachwerkträger ist den Temperatureinwirkungen im Freien, die Betondecken sind dem Innenraumklima ausgesetzt. Ein statisch wirksamer Verbund von Betondecke und Fachwerkträger erzeugt infolge unterschiedlicher Temperaturen von Obergurt (im Gebäudeinnern) und Untergurt (im Freien) Krümmungen im Querschnitt und somit jahreszeitlich schwankende Trägerdurchbiegungen. Da solche zusätzlichen und veränderlichen Durchbiegungen von der Glasfassade nicht aufgenommen werden können, war ein konzeptioneller Entscheid notwendig: Der Träger musste von der Betondecke konstruktiv getrennt und in seiner Längsrichtung beweglich gelagert werden.

Beispiel 2: Weit gespannte Betondecken

Im polygonalen Grundriss des Bürogebäudes in Zürich ist die Hauptnutzung der Geschosse grundsätzlich entlang der Fassaden in die Raumtiefe angeordnet. Die nichttragenden Bürotrennwände sind radial beziehungsweise senkrecht zur Fassade und damit parallel zur Tragrichtung der Decken ausgerichtet. Sie folgen somit der Deckensenkung, müssen aber trotzdem die Deckenverformungen (Bild 5) unbeschadet aufnehmen können. Den möglichen Lösungsansatz beeinflussten neben baulich-konstruktiven Kriterien insbesondere auch hohe Anforderungen an die Schalldämmung zwischen den Büroräumen.

Es mussten konstruktive Massnahmen an Wandkopf und -fuss der Bürotrennwände vorgesehen werden, wobei auch die Deckendurchbiegungen auf ein der Problemstellung adäquates Mass zu begrenzen waren. Als massgebend galten die Verformungen nach dem Versetzen der Wände. Nach SIA-Norm wäre bei Spannweiten von 8 bis 10 m und dem gängigen Richtwert von l/350 eine Deckendurchbiegung von rund 25 mm erlaubt. Diese Gebrauchsgrenze war aber hier unter den gegebenen Umständen unzureichend: Die nichttragenden Trennwände wären belastet worden. Die geplanten Durchbiegungen wurden darum reduziert. Während die Durchbiegungen des geschweissten Stahlfachwerkträgers im ersten Beispiel rechnerisch genau vorausgesagt werden konnten, bestimmten bei den Stahlbetondecken in diesem Beispiel verschiedene, mit Unsicherheiten verbundene Parameter die Genauigkeit der zu erwartenden Durchbiegungen. Insbesondere die Streuung der Baustoffeigenschaften bewirkt Unsicherheiten in den Prognosen. Bei Betonbauten sind die erst nach Jahren abklingenden Langzeitverformungen und das mögliche Rissbild, das unter der massgebenden Belastung eintreten kann, die prägenden Faktoren für die effektiv auftretenden Durchbiegungen. In schlaff bewehrten Betondecken können die Langzeitverformungen im gerissenen Zustand durchaus den drei- bis vierfachen Wert der am homogenen Tragwerk ermittelten Durchbiegungen erreichen. Mit einer einmaligen Überhöhung der Schalungen im Bauzustand können die Auswirkungen dieser Langzeitverformungen in Bezug auf die Funktionstüchtigkeit der Trennwände nicht ausreichend gemildert werden, weil sie per definitionem erst lange Zeit nach dem Einbau der Wände eintreten. Lösungsansätze sind vielmehr in der Verminderung der Rissbildung und der Reduktion der Langzeiteinflüsse zu suchen. Dazu gehören baustofftechnologische und ausführungstechnische Massnahmen wie Betonnachbehandlung oder Ausschalfristen, die auf das verminderte Kriechverhalten des Betons hinzielen. Daneben beeinflussen auch konzeptionelle und bemessungstechnische Massnahmen die Rissbildung günstig.

Eine Vorspannung wirkt sich auf das Verformungsverhalten von Betontragwerken in jedem Fall vorteilhaft aus (Bild 6). Sie erzeugt nach oben gerichtete Umlenkkräfte, die der äusseren Belastung entgegenwirken. Zudem überdrückt sie den Beton, woraus im Endeffekt ein kleineres Rissmoment und wesentlich geringere Durchbiegungen resultieren.

Mehrwert durch Reflektieren

Die Um- und Durchsetzung der Anforderungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit erfordern eine hohe Bereitschaft zu interaktivem Planen und offenem Kommunizieren zwischen den am Planungs- und am Bauprozess Beteiligten. Die sorgfältige Behandlung der Gebrauchstauglichkeit kann aber auch die Stellung des Bauingenieurs als Treuhänder der Auftraggeber aufwerten. Kontrollierte Durchbiegungen können ganz allgemein als Gütesiegel für die Nutzbarkeit der Gebäude angesehen werden. Geringe Verformungen erhöhen die Flexibilität der Nutzung und indirekt auch den Marktwert des Gebäudes – insbesondere dann, wenn Grundausbau und Mieterausbau nicht von der gleichen Trägerschaft übernommen werden.

TEC21, Mi., 2008.11.26



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|48 Etablierte Richtwerte?

21. Juli 2008Andreas Gianoli
Paul Lüchinger
TEC21

Windexponiert

Zur Ermittlung der Windkräfte, die auf gewöhnliche Bauwerke einwirken, sind die SIA-Normen ein einfaches und bewährtes Hilfsmittel. Bei speziellen Bauwerken stossen sie jedoch an ihre Grenzen. Für die Konstruktion und Bemessung solcher Tragwerke sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. So können Messungen am Modell im Windkanal aussagekräftige Ergebnisse liefern.

Zur Ermittlung der Windkräfte, die auf gewöhnliche Bauwerke einwirken, sind die SIA-Normen ein einfaches und bewährtes Hilfsmittel. Bei speziellen Bauwerken stossen sie jedoch an ihre Grenzen. Für die Konstruktion und Bemessung solcher Tragwerke sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. So können Messungen am Modell im Windkanal aussagekräftige Ergebnisse liefern.

Wind und Böen nehmen Menschen – im Gegensatz zu anderen Einwirkungen auf Tragwerke – direkt wahr, sei es als angenehme Brise oder als zerstörerischen Sturm. Windstärke und Windrichtung ändern sich ständig und sind kaum voraussehbar. Für die Arbeit des Tragwerks- oder Fassadenplaners müssen diese komplexen Verhältnisse vereinfacht werden. Im Normenwerk des SIA wird dabei so vorgegangen, dass der Wind als statisch wirkende Kraft behandelt wird, in die die dynamische Wirkung auf die Bauwerke mit einem Beiwert eingerechnet wird. Bei Strukturen, die nicht schwingungsanfällig sind, ist dieser Wert gleich eins, deshalb kann das Verfahren nach der SIA-Norm im Allgemeinen einfach und konsistent eingesetzt werden. Bei speziellen Problemen wird auf die erforderlichen Vorgehensweisen verwiesen.

Auf Gebäude oder Gebäudeteile wirkende Windkräfte werden anhand von äusseren Gegebenheiten (Standort, Lage und Geometrie des Bauwerks) und des Schwingungsverhaltens des Tragwerks ermittelt. Sofern die entsprechenden Parameter eines Bauwerks durch die Angaben in den Normenwerken abgedeckt sind, können diese ohne weitere Untersuchungen übernommen werden. Ist dies nicht der Fall, wird eine Interpolation und Interpretation erforderlich, die jedoch nicht ohne weiteres die erforderliche Genauigkeit und Sicherheit erzielt. Dies gilt insbesondere für Bauwerksformen, die nicht im Anhang der SIA-Norm aufgeführt sind (Bild 2), für schwingungsanfällige Strukturen (Bild 3) und für Bauwerke an exponierter Lage (Bild 1). In diesen Fällen drängen sich weiterführende Untersuchungen und Berechnungen auf.

Untersuchungen im Windkanal

Die spezifischen Angaben für die Kräfte auf aussergewöhnliche Bauwerksformen und für das Schwingungsverhalten von Tragwerken können in Windkanalversuchen ermittelt werden. Dazu wird ein Modell des Bauwerks in einem Windkanal untersucht. Durch das Anordnen von Hindernissen wird im Kanal ein Windprofil erzeugt, das dem real zu erwartenden entspricht. Das Modell wird sowohl als Solitär als auch umgeben von den vorhandenen und den in Zukunft zu erwartenden Nachbarbauten untersucht (Bilder 4 und 5). Das Modell ist mit Sensoren ausgestattet, die die entstehenden Druckkräfte auf die Oberfläche messen. Aus diesen Ergebnissen können mit Hilfe von Umrechnungen und statistischen Auswertungen die statischen Windkräfte auf das reale Bauwerk ermittelt werden. Da die Steifigkeit und das Schwingungsverhalten des Windkanalmodells nicht denen des effektiven Bauwerks entsprechen, sind für die Ermittlung der dynamischen Bauwerksreaktion weitere Schritte erforderlich. Dazu wird ein äquivalentes Stab- oder FE-Modell des Tragwerks erstellt und in einer Computersimulation mit den gemessenen Lastzeitreihen belastet. So können die dynamischen Effekte untersucht und quantifiziert werden. Mit diesen Untersuchungen wird eine höhere Planungssicherheit erzielt, weil realitätsnahe Windkräfte angesetzt werden können. In diversen Fällen können dadurch die Trag- und Fassadenkonstruktionen optimiert werden.

Bis heute ist es nur begrenzt möglich, Windkanalversuche durch rein rechnerische Simulationen zu ersetzen. Solche sind im Hochbau jedoch auch nur selten erforderlich, weil die Windkanalversuche schnell und im Verhältnis zu den Bausummen kostengünstig durchgeführt werden können. Im Weiteren können bei einer Windkanaluntersuchung zusätzlich die Windverhältnisse in den umgebenden Freiflächen simuliert und gemessen und bei der Planung der Nutzung der Aussenräume verwendet werden (siehe dazu auch Artikel «Unkomfortabel» Seite 18 ff.).

Lokale Windverhältnisse

Bei exponierten Standorten reicht die Ermittlung des Referenzstaudrucks mit den Angaben aus den Normen nicht mehr aus. Hier bietet sich für die Ermittlung der Windverhältnisse neben Windkanalversuchen auch das Auswerten der Messwerte von lokalen Windmessstationen an. Da Windmessdaten im Allgemeinen nicht direkt am Bauplatz vorhanden sind, müssen umliegende Messstationen herangezogen und die Werte extrapoliert und mit bekannten Angaben bei ähnlichen Lagen abgeglichen werden. Diese Untersuchungen sind von ausgewiesenen Fachleuten durchzuführen, weil die richtige Interpretation der Daten grosse Erfahrung verlangt.

Tragsicherheit: Wind oder Erdbeben

Mit der Ermittlung von realitätsnahen Windkräften und den zugehörigen Bauwerksreaktionen ist ein wichtiger Teil der erforderlichen Arbeit für den Tragwerksentwurf getan. Der Nachweis der Tragsicherheit erfolgt danach gemäss den entsprechenden Konstruktionsnormen. Neben dem Wind ist auch die Einwirkung von Erdbeben zu untersuchen. Vereinfacht gilt bei Hochhäusern, dass bei einem weichen Tragwerk eher die Windeinwirkung massgebend ist. Eine steife, gedrungene Tragstruktur ist dagegen eher empfindlich gegenüber Erdbeben. Da bei den in der Schweiz üblichen Hochhausabmessungen nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche Bemessungssituation massgebend wird, müssen beide Einwirkungen untersucht und einander gegenübergestellt werden. Ab einer gewissen Gebäudehöhe wird weise für die Gesamtstabilität am Gebäudefuss die Windbeanspruchung dominant. Bei der Abstufung der Aussteifungswände ist aber zu beachten, dass in den oberen Geschossen trotzdem die Erdbebenbeanspruchung für die Tragwerksbemessung massgebend werden kann. Im Zuge der Einführung erhöhter Erdbebenanforderungen wurden verschiedene Gebäude bezüglich ihrer Erdbebensicherheit überprüft, ohne dass der Wind beachtet wurde. Eine gemeinsame Betrachtung der beiden Bemessungssituationen ist jedoch unabdingbar.

Gebrauchstauglichkeit: Eine Frage des Komforts

Da es sich bei Wind um eine dynamische Einwirkung handelt, sind neben den Deformationen auch die Schwingungen und Beschleunigungen des Gebäudes zu untersuchen und zu beurteilen. Gerade Letztere werden von den Menschen direkt wahrgenommen. Die zulässigen maximalen Beschleunigungen werden mit der Auftretenswahrscheinlichkeit des Windereignisses gekoppelt und sind, im Gegensatz zu den Deformationen, nicht in der Norm geregelt. Sie müssen darum direkt mit der Bauherrschaft festgelegt werden. Auf Grund von weit reichenden Abklärungen über die Wahrnehmung und das Wohlbefinden von Gebäudebenutzern werden in der Literatur verschiedene Grenzwerte, die sich von «nicht spürbar» über «lästig» bis «unzulässig» erstrecken, angegeben. Sie sind abhängig von der Nutzung des Bauwerks. Bei einer Büronutzung sind beispielsweise grössere Beschleunigungen tolerierbar als bei einem Wohngebäude (Bild 5). Das müssen die Planer bei der Projektierung gebührend berücksichtigen, da die Tragstruktur im Allgemeinen später kaum oder nur sehr aufwendig verstärkt werden kann.

Bei einer Untersuchung des Windkomforts auf den Freiflächen im Aussenraum werden die Zonen unterschiedlicher Windgeschwindigkeiten in einem Plan dargestellt und mit der vorgesehenen Nutzung abgeglichen (Bild 9). Bereiche mit unangenehmen Windverhältnissen scheiden beispielsweise für Strassencafés aus. Zonen mit gefährlich hohen Windgeschwindigkeiten zwischen zwei eng beieinanderstehenden Gebäuden können durch geschicktes Platzieren von Hindernissen wie Bäumen, Vordächern oder Skulpturen auf dem grossen Platz entschärft werden (Bilder 7 und 8). Anhand der Untersuchungen kann ausserdem beurteilt werden, ob bei einer Eingangssituation mit Turbulenzen und Aufwinden zu rechnen ist, sodass eine allfällige Anpassung der Gebäudeform erwogen werden kann (Bild 8).

TEC21, Mo., 2008.07.21



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|29-30 Gegenwind

Presseschau 12

22. November 2013Paul Lüchinger
TEC21

Erhalten zahlt sich aus

Der Gebäudepark, den es auf seine Lebensdauer zu überprüfen gilt, wächst. Ob die Tragwerke der einzelnen Bauten noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, ist dabei jedes Mal individuell abzuklären. Das bedeutet: Die Kriterien für einen Rückbau oder eine Erhaltung sind stets spezifisch zu gewichten, denn jedes Tragwerk birgt seine Eigenheiten, die von den projektspezifischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Der Autor berichtet aus der Praxis und erläutert kurz drei gebaute Beispiele.

Der Gebäudepark, den es auf seine Lebensdauer zu überprüfen gilt, wächst. Ob die Tragwerke der einzelnen Bauten noch dem aktuellen Stand der Technik entsprechen, ist dabei jedes Mal individuell abzuklären. Das bedeutet: Die Kriterien für einen Rückbau oder eine Erhaltung sind stets spezifisch zu gewichten, denn jedes Tragwerk birgt seine Eigenheiten, die von den projektspezifischen Rahmenbedingungen geprägt sind. Der Autor berichtet aus der Praxis und erläutert kurz drei gebaute Beispiele.

Eigentümerschaften ziehen die Erhaltung ihrer Bauwerke heute viel öfter in Erwägung als auch schon. Es wird aufgestockt, verstärkt, ertüchtigt, restauriert und instandgesetzt. In Ausnahmefällen können betriebliche Einschränkungen angemessen sein, um eine bestehende Substanz zu erhalten. Diese Situation basiert einerseits auf der florierenden Bautätigkeit in den 1960er- und 1970er-Jahren und andererseits darauf, dass sich die Ansprüche der Eigentümerschaften, der Betreiber und der Gesellschaft insgesamt verändert haben. Spätestens mit der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls 1997 wurde die nachhaltige Entwicklung im Allgemeinen und des Bausektors im Speziellen zum Langzeitziel der globalen Politik erhoben.

Erhaltung erhält zunehmend mehr Bedeutung

Im Sinn eines schonenden Umgangs mit natürlichen Ressourcen ist es tabu, den Fokus nur auf Neubauten und Ersatzneubauten zu legen. Setzen sich die am Bau Beteiligten mit der bestehenden Bausubstanz auseinander, beurteilen sie ihren materiellen und immateriellen Wert und erhalten sie dann begründet die Tragwerke, leisten sie einen wesentlichen Beitrag an die Nachhaltigkeit (vgl. «Wertvolle Tragwerke», S. 16). Letztlich entscheidet aber die Eigentümerschaft, ob und in welcher Weise bestehende Bauwerke – Hochbauten oder Infrastrukturanlagen – weiterhin genutzt und welche Strategien verfolgt werden sollen. Denn neben statisch-konstruktiven Aspekten geben vor allem auch andere, vom Tragwerk losgelöste Punkte den Impuls zur Überprüfung. Diese müssen von Fall zu Fall eigens abgeklärt werden.

Beispiel 1: Flughafen Zürich Dock B

So sprachen beim Umbau des Terminal B des Flughafens Zürich (vgl. Kasten, Abb. 01 und TEC21-Dossier, April 2012) vor allem betriebliche Rahmenbedingungen dafür, das bestehende, knapp dreissig Jahre alte Tragwerk in Stahl-Beton-Verbundbauweise zu erhalten. Der Rückbau des bestehenden Stahlskelettbaus und der Wiederaufbau eines neuen Tragwerks hätten bei den Zufahrten zum Flughafen und im Flugvorfeld zu grossen logistischen Problemen geführt. Die Bauingenieure überprüften im Rahmen von Ortsbegehungen, Massaufnahmen und Sondierungen die vorhandenen baulichen Verhältnisse, und sie analysierten die bestehende Substanz, nachdem das Gebäude bis auf das Tragwerk rückgebaut war. Bis auf wenige Ausnahmen attestierten sie ihm einen einwandfreien Zustand. Weitere Untersuchungen führte das Institut für Baustatik und Konstruktion der ETH Zürich durch. In einer umfangreichen grossmassstäblichen Versuchsreihe unterzog es die bestehenden Holorib-Blechverbunddecken vielseitigen Belastungsprüfungen, insbesondere im Hinblick auf das Verbundverhalten und die Tragfähigkeit nach längerer Nutzungsdauer. Zur Verfügung stand hierfür ein für den Rückbau bestimmter Gebäudeteil. Nach eingehender Überprüfung empfahlen die Bauingenieure, das Tragwerk des Terminals B auch aus statischer Sicht zu erhalten. Vergleiche der Kosten und der Termine unterstützten den Entscheid zur Erhaltung und Ergänzung mit neuen Bauteilen gegenüber einem Ersatzneubau zusätzlich. Die Vorteile aus betrieblicher, statischer, ökonomischer und terminlicher Sicht wogen die Einschränkungen der Flexibilität für die neue Gebäudetechnik bei Weitem auf.

Beispiel 2: Geschäftshaus Hohlstrasse Zürich

Die Beantwortung der Frage, inwiefern bestehende Bauwerke auch nach einer längeren Nutzungsdauer den ursprünglichen oder gar neuen Anforderungen aus allen Fachbereichen wie eben der Gebäudetechnik oder der Architektur noch genügen oder inwiefern diese Anforderungen allenfalls herabgesetzt werden müssen, ist zentral, um zu entscheiden, ob ein Tragwerk erhalten werden kann oder nicht. Das Geschäftshaus an der Hohlstrasse in Zürich (vgl. Kasten) sollte beispielsweise architektonisch aufgewertet, gebäudetechnisch erneuert und aufgestockt werden. Dieselben Bauingenieure überprüften hier also, ob der bestehende klassische Betonskelettbau die zusätzlichen Geschosslasten der Aufstockung würde aufnehmen können und ob die Tragsicherheit gegenüber Erdbeben gesichert wäre. Nur wenige tragwerksspezifische Eingriffe waren schliesslich notwendig, um das Tragwerk so zu ertüchtigen, dass es den neuen Anforderungen entsprach und den neuen Einwirkungen standhielt. Insbesondere mussten lokal der Durchstanzwiderstand und der Biegewiderstand im Randbereich der Abfangdecke über dem Erdgeschoss erhöht werden, was mit Stahlmanschetten bzw. mit einem Überbeton bewerkstelligt wurde (Abb. 02). Des Weiteren schloss man die Dilatationsfuge, die das Gebäude in zwei Teile trennte, um die Anforderungen der aktuell gültigen Normen bezüglich Erdbeben zu erfüllen. Diese statische Verbindung auf allen Geschossebenen stand im Einklang mit dem Konzept der architektonischen Neugestaltung des Treppenhauses.

Beispiel 3: Wohnüberbauung Gutstrasse Zürich Architektonische Gründe gaben auch im dritten Beispiel den Impuls für eine Abklärung des Erhaltenswerts des Tragwerks, allerdings mit ganz anderen planerischen Voraussetzungen. Das 16-geschossige Wohnhochhaus an der Gutstrasse in Zürich (vgl. Kasten und Abb. 03) – eine reine Mauerwerksbauweise – sollte noch während einer geplanten Restnutzungsdauer von rund 15 Jahre dienen, und es stellte sich daher die Frage, ob ein Rück- und Neubau absehbar war. Die Bauingenieure nahmen ausführliche statische Abklärungen vor, insbesondere hinsichtlich der Tragsicherheit gegenüber Erdbeben. Die Überprüfung musste allerdings ohne Ingenieurpläne, Berechnungen und Berichte aus der Zeit der Erstellung des Gebäudes erfolgen, denn trotz intensiver Nachforschungen konnten keine Bauwerksakten ausfindig gemacht werden. Die Bauingenieure machten Sondierungen, entnahmen Proben und führten Baustoffprüfungen an grosskalibrigen, d.h. sechs Mauerwerksschichten hohen Prüfkörpern durch. Erst mit diesen ausführlichen und aufwendigen Untersuchungen konnte eine Grundlage geschaffen werden, um sich für oder gegen den Erhalt des Tragwerks zu entscheiden. Dieses genügte auch in diesem Fall den Anforderungen und konnte erhalten bleiben. Die gebäudetechnischen Installationen wurden erneuert und die Fassaden aufgefrischt.

Getrennte Subsysteme helfen zu erhalten

Nicht zuletzt zeigt sich bei allen drei Beispielen, was allgemein gilt: Die Subsysteme Tragwerk, Gebäudehülle, Gebäudetechnik sind je mit ihrer unterschiedlichen Nutzungs- und Lebensdauer konsequent getrennt voneinander entwickelt und ausgeführt worden. Es waren keine bedeutenden gebäudetechnischen Installationen im Tragwerk integriert. So kann für jedes Subsystem eine eigene termingerechte Erhaltens- oder Rückbaustrategie entwickelt werden. Diese konsequente Trennung kann den Erhalt des Tragwerks erleichtern.

Immer wieder neue Umstände

Letztlich stützt sich die Entscheidungsfindung aber nicht nur auf das bestehende Konstruktionsprinzip, sondern auch auf die Verhältnismässigkeit des gesamten Erhaltensprojekts und der erforderlichen Massnahmen. Hier spielen die Sicherheitsanforderungen, Verfügbarkeit des Bauwerks und das Schadensausmass bei einem Einsturz ebenso eine gewichtige Rolle wie – ganz im Sinn der Nachhaltigkeit – der kulturelle Wert. Wie die einzelnen Kriterien gewichtet und gewertet werden, gilt es projektspezifisch abzuklären und mit aktualisierten Informationen zu überprüfen. Die Entscheidungsfindung ist in jedem Fall von grosser Tragweite. Denn im Gegensatz zur Projektierung von Neubauten können unausgewogene Entscheide Sprungkosten auslösen und insbesondere auch aus Sicht der immateriellen Werte verheerend sein. Bei fachgerechtem Vorgehen sollte aber ein Entscheid – ob Erhalt oder nicht – in jedem Fall zu einem technischen, ökonomischen und ökologischen Gewinn führen.

TEC21, Fr., 2013.11.22



verknüpfte Zeitschriften
TEC21 2013|48 Tragende Werte

26. November 2008Joseph Schwartz
Paul Lüchinger
TEC21

Gebrauchsgrenzen hinterfragen

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Die in den SIA-Tragwerksnormen empfohlenen Richtwerte für die Gebrauchstauglichkeit sind bedingt verbindlich. Sie können und müssen teilweise objektspezifisch angepasst werden. Die notwendige Beurteilung verlangt den Planern viel individuelles, objektbezogenes Abwägen ab und erfordert viel Erfahrung.

Das Tragwerk stellt ein Subsystem des Gesamtbauwerks dar. Sein Konzept wird im Rahmen des Entwurfs als Teil der integralen Planung in Zusammenarbeit mit allen beteiligten Fachleuten entwickelt. Dieses nimmt Bezug auf die gesamtplanerischen, die architektonischen sowie auf die betrieblichen Belange und berücksichtigt gleichermassen die Randbedingungen aus der Umwelt wie die gesetzgeberischen Rahmenbedingungen. Aus diesen Gegebenheiten folgen die grundlegenden Anforderungen an das Tragwerk, die mit verschiedenen Massnahmen erfüllt werden können. Im Falle der Tragwerksbemessung hat sich sowohl in der nationalen als auch der internationalen Normenpraxis seit längerer Zeit die Betrachtung von Grenzzuständen durchgesetzt.1, 2 Als solche werden die Tragsicherheit und die Gebrauchstauglichkeit unterschieden.

Tragsicherheit: Verbindlich

Gegenüber Tragwerksversagen fordert die Gesellschaft allgemein die Sicherheit von Personen im Einflussbereich von Bauwerken. Bauherrschaft, Benutzer und Dritte stützen sich dabei auf einschlägige Rechtsgrundlagen. Den anerkannten Stand der Technik beschreiben entsprechende Regeln zur Tragsicherheit in den Normen – in der Schweiz sind dies die SIANormen. Da an der Tragsicherheit ein öffentlich-rechtliches Interesse besteht, ist sie nicht verhandelbar und das dazugehörige Normenwerk somit verbindlich (siehe Kasten Seite 20).

Gebrauchstauglichkeit: Verhandelbar

Nebst der Tragsicherheit steht die Zweckerfüllung und damit die Gebrauchstauglichkeit eines Bauwerks im Vordergrund des Bauherreninteresses. Sie orientiert sich an Fragen nach der vorgesehenen Nutzung des Tragwerks und den Ansprüchen der Benutzer. An der Gebrauchstauglichkeit besteht ein privatrechtliches Interesse, sie wird demnach in Absprache zwischen Bauherrschaft und Projektierenden geregelt.

Die Anforderungen an die Gebrauchstauglichkeit sind ab Beginn der Projektierung zu diskutieren und im Rahmen der Projektentwicklung laufend neu zu beurteilen. Die Folgen der Entscheide sind im Voraus aufzuzeigen und zwischen dem Besteller und dem Ersteller frühzeitig festzulegen. Dafür dient die Nutzungsvereinbarung als wichtiges vertragliches Instrument mit technischem Inhalt zwischen Bauherrschaft und Projektierenden einerseits und Benutzern (z.B. Mietern) andererseits. Die entsprechenden Regeln der Tragwerksnormen sind ein möglicher Leitfaden in der Diskussion. Sie bezwecken einheitliche Sprachregelungen und kategorisieren Begriffe, Vorgehensweisen und Nachweise.

Objektspezifische Richtwerke

Bauingenieure beurteilen die Gebrauchstauglichkeit bezüglich dreier Aspekte: Funktionstüchtigkeit, Aussehen des Bauwerks und von den Benutzern erwarteter Komfort. Gemessen wird sie anhand von Kriterien wie Schwingungen, Rissbildung und Verformungen, wobei Letzteres zu den am häufigsten diskutierten zählt. Es sind die Verformungen, die beispielsweise das Aussehen oder die Funktionstüchtigkeit des Bauwerks wegen Schäden an Einrichtungen beziehungsweise an nichttragenden Bauteilen beinträchtigen können. Für jedes Kriterium – und unabhängig von den drei Aspekten – werden die Gebrauchsgrenzen für die jeweils verifizierten Bemessungssituationen, die alle vorhersehbaren Bedingungen während der Nutzung und Ausführung eines Bauwerks einschliessen sollen, festgelegt. Die qualitative und die quantitative Entwicklung der Regeln in den Tragwerksnormen des SIA orientiert sich an Erfahrungswerten aus der Praxis – sowohl hinsichtlich Bemessungssituationen als auch bezüglich Bemessungskriterien und deren Grenzen. Darum sollten die Angaben der Gebrauchsgrenzen nur im Sinne von Richtwerten interpretiert werden – sie müssen fallweise hinterfragt und eventuell angepasst werden.

Bei heute geläufigen Spannweiten bei Flachdecken von 7 bis 10 m bedeutet der Wert l/350 beispielsweise 20 bis 30 mm Durchbiegung beziehungsweise etwa 6 ‰ Auflagerdrehwinkel. Eine detaillierte Berücksichtigung der Konstruktion und der Situation erfolgt aber höchstens in allgemeinen Anmerkungen wie: «Wenn Einbauten besonders empfindlich auf Verformungen des Tragwerks reagieren, sind neben oder anstelle von bemessungstechnischen vor allem auch konstruktive Massnahmen gegen Beschädigung vorzusehen.» Die zu erwartenden Durchbiegungen müssen kritisch analysiert und geprüft werden. Wird der Vergleich zwischen verlangten und auftretenden Durchbiegungen ohne Absprache mit allen am Projekt Beteiligten gemacht, kann dies zu Missverständnissen und damit zu grossen Problemen führen.

Vorabklärungen an planerischen Schnittstellen

Aus Erfahrung besteht in der Planung grosser Bedarf an Vorabklärungen sowohl in der Phase der Projektierung als auch während der Vorbereitung der Ausführung. Auswirkungen der zu erwartenden Verformungen auf die Nutzung und auf die nichttragenden Bauteile oder Einbauten müssen beispielsweise während der Projektierung erfragt und geklärt werden. Allenfalls notwendige konstruktive Massnahmen wie Überhöhung oder Anschlüsse an nichttragende Bauteile können dann rechtzeitig geplant werden. Im Rahmen der Ausführungsvorbereitung müssen die Planer zum Beispiel die Einbausequenzen von Tragwerksteilen und nichttragenden Bauteilen analysieren, den Einbau der Beläge ermitteln (Oberfläche horizontal oder der Durchbiegung folgend) oder sicherstellen, dass bei überhöhten Stahlbetondecken auch die Oberfläche überhöht abtaloschiert wird.

Beispiel 1: Glasfassade auf „weichen“ Deckrändern

In einem Laborgebäude in Basel werden die Deckenlasten auf der Vorderseite des Gebäudes zu den Randstützen der vierstöckigen Glasfassade abgetragen. Die Stützenlasten werden im Erdgeschoss von einem weit gespannten, einfeldrigen Stahlfachwerkträger mit beidseitiger Auskragung abgefangen (Bilder 2 und 3) und schliesslich über zwei Stützen in die Untergeschosse abgetragen. Damit ein einheitliches Fassadenbild entsteht, sind der Fachwerkträger wie die Stützen in die Glaskonstruktion eingebunden (Bild 4). Im Vergleich zu den punktgestützten Innenbereichen der Flachdecken stellt die Abfangung eine «weiche» Auflagerung der Deckenränder dar. Die Verformungen im Bereich der Glasfassade beeinflussen deshalb die Konzeptentwicklung des Tragwerks und dessen konstruktive Durchbildung und Ausführung wesentlich. Obwohl die rechnerischen Durchbiegungen des annähernd geschosshohen Fachwerkträgers äusserst gering und die Richtwerte gemäss der SIA-Norm weit unterschritten waren, mussten die Planer während der Projektierung objektspezifische Abklärungen vornehmen. Sie berechneten am Modell, welche Durchbiegungen im quasi-ständigen und welche im häufigen Lastfall entstehen. Um den detaillierten Montagevorgang zu planen, ermittelten sie die zu erwartenden Verformungen vor und nach der Montage der Glasfassade. Aus der Bewegung ergab sich die zeitliche Abfolge für den Einbau der Deckenauflasten (Bodenbeläge) und der Fassadenlasten. Ausserdem mussten sie die Extremwerte der Verformungen infolge seltenen Lastfalls ermitteln, die zu irreversiblen Schäden an der Glasfassade führen. Die Resultate bildeten die Grundlage für die Ausbildung der Anschlüsse der Glasfassade an die Tragstruktur.

Aus der Koordination und Lösungsfindung während der Projektierung entwickelten sich die Vorgaben für die Ausführung – und wiederum neue Fragen: Wie gross ist die initiale Überhöhung des Fachwerkträgers vorzusehen? Wie sind die Betondecken der Obergeschosse zu schalen und zu betonieren? Wie müssen die Oberflächen abtaloschiert werden, horizontal oder der infolge der zunehmenden Betonlasten von Geschoss zu Geschoss abnehmenden Überhöhung folgend? Diesen eher ungewöhnlichen Fragestellungen überlagern sich die eher alltäglichen Problemstellungen, hervorgerufen durch unterschiedliche Anforderungen an die Massgenauigkeiten im Ortbetonbau und im konstruktiven Glasbau.

Diskutiert wurde auch die Lage der Wärmedämmschicht: Der Fachwerkträger ist den Temperatureinwirkungen im Freien, die Betondecken sind dem Innenraumklima ausgesetzt. Ein statisch wirksamer Verbund von Betondecke und Fachwerkträger erzeugt infolge unterschiedlicher Temperaturen von Obergurt (im Gebäudeinnern) und Untergurt (im Freien) Krümmungen im Querschnitt und somit jahreszeitlich schwankende Trägerdurchbiegungen. Da solche zusätzlichen und veränderlichen Durchbiegungen von der Glasfassade nicht aufgenommen werden können, war ein konzeptioneller Entscheid notwendig: Der Träger musste von der Betondecke konstruktiv getrennt und in seiner Längsrichtung beweglich gelagert werden.

Beispiel 2: Weit gespannte Betondecken

Im polygonalen Grundriss des Bürogebäudes in Zürich ist die Hauptnutzung der Geschosse grundsätzlich entlang der Fassaden in die Raumtiefe angeordnet. Die nichttragenden Bürotrennwände sind radial beziehungsweise senkrecht zur Fassade und damit parallel zur Tragrichtung der Decken ausgerichtet. Sie folgen somit der Deckensenkung, müssen aber trotzdem die Deckenverformungen (Bild 5) unbeschadet aufnehmen können. Den möglichen Lösungsansatz beeinflussten neben baulich-konstruktiven Kriterien insbesondere auch hohe Anforderungen an die Schalldämmung zwischen den Büroräumen.

Es mussten konstruktive Massnahmen an Wandkopf und -fuss der Bürotrennwände vorgesehen werden, wobei auch die Deckendurchbiegungen auf ein der Problemstellung adäquates Mass zu begrenzen waren. Als massgebend galten die Verformungen nach dem Versetzen der Wände. Nach SIA-Norm wäre bei Spannweiten von 8 bis 10 m und dem gängigen Richtwert von l/350 eine Deckendurchbiegung von rund 25 mm erlaubt. Diese Gebrauchsgrenze war aber hier unter den gegebenen Umständen unzureichend: Die nichttragenden Trennwände wären belastet worden. Die geplanten Durchbiegungen wurden darum reduziert. Während die Durchbiegungen des geschweissten Stahlfachwerkträgers im ersten Beispiel rechnerisch genau vorausgesagt werden konnten, bestimmten bei den Stahlbetondecken in diesem Beispiel verschiedene, mit Unsicherheiten verbundene Parameter die Genauigkeit der zu erwartenden Durchbiegungen. Insbesondere die Streuung der Baustoffeigenschaften bewirkt Unsicherheiten in den Prognosen. Bei Betonbauten sind die erst nach Jahren abklingenden Langzeitverformungen und das mögliche Rissbild, das unter der massgebenden Belastung eintreten kann, die prägenden Faktoren für die effektiv auftretenden Durchbiegungen. In schlaff bewehrten Betondecken können die Langzeitverformungen im gerissenen Zustand durchaus den drei- bis vierfachen Wert der am homogenen Tragwerk ermittelten Durchbiegungen erreichen. Mit einer einmaligen Überhöhung der Schalungen im Bauzustand können die Auswirkungen dieser Langzeitverformungen in Bezug auf die Funktionstüchtigkeit der Trennwände nicht ausreichend gemildert werden, weil sie per definitionem erst lange Zeit nach dem Einbau der Wände eintreten. Lösungsansätze sind vielmehr in der Verminderung der Rissbildung und der Reduktion der Langzeiteinflüsse zu suchen. Dazu gehören baustofftechnologische und ausführungstechnische Massnahmen wie Betonnachbehandlung oder Ausschalfristen, die auf das verminderte Kriechverhalten des Betons hinzielen. Daneben beeinflussen auch konzeptionelle und bemessungstechnische Massnahmen die Rissbildung günstig.

Eine Vorspannung wirkt sich auf das Verformungsverhalten von Betontragwerken in jedem Fall vorteilhaft aus (Bild 6). Sie erzeugt nach oben gerichtete Umlenkkräfte, die der äusseren Belastung entgegenwirken. Zudem überdrückt sie den Beton, woraus im Endeffekt ein kleineres Rissmoment und wesentlich geringere Durchbiegungen resultieren.

Mehrwert durch Reflektieren

Die Um- und Durchsetzung der Anforderungen hinsichtlich Gebrauchstauglichkeit erfordern eine hohe Bereitschaft zu interaktivem Planen und offenem Kommunizieren zwischen den am Planungs- und am Bauprozess Beteiligten. Die sorgfältige Behandlung der Gebrauchstauglichkeit kann aber auch die Stellung des Bauingenieurs als Treuhänder der Auftraggeber aufwerten. Kontrollierte Durchbiegungen können ganz allgemein als Gütesiegel für die Nutzbarkeit der Gebäude angesehen werden. Geringe Verformungen erhöhen die Flexibilität der Nutzung und indirekt auch den Marktwert des Gebäudes – insbesondere dann, wenn Grundausbau und Mieterausbau nicht von der gleichen Trägerschaft übernommen werden.

TEC21, Mi., 2008.11.26



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|48 Etablierte Richtwerte?

21. Juli 2008Andreas Gianoli
Paul Lüchinger
TEC21

Windexponiert

Zur Ermittlung der Windkräfte, die auf gewöhnliche Bauwerke einwirken, sind die SIA-Normen ein einfaches und bewährtes Hilfsmittel. Bei speziellen Bauwerken stossen sie jedoch an ihre Grenzen. Für die Konstruktion und Bemessung solcher Tragwerke sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. So können Messungen am Modell im Windkanal aussagekräftige Ergebnisse liefern.

Zur Ermittlung der Windkräfte, die auf gewöhnliche Bauwerke einwirken, sind die SIA-Normen ein einfaches und bewährtes Hilfsmittel. Bei speziellen Bauwerken stossen sie jedoch an ihre Grenzen. Für die Konstruktion und Bemessung solcher Tragwerke sind weiterführende Untersuchungen erforderlich. So können Messungen am Modell im Windkanal aussagekräftige Ergebnisse liefern.

Wind und Böen nehmen Menschen – im Gegensatz zu anderen Einwirkungen auf Tragwerke – direkt wahr, sei es als angenehme Brise oder als zerstörerischen Sturm. Windstärke und Windrichtung ändern sich ständig und sind kaum voraussehbar. Für die Arbeit des Tragwerks- oder Fassadenplaners müssen diese komplexen Verhältnisse vereinfacht werden. Im Normenwerk des SIA wird dabei so vorgegangen, dass der Wind als statisch wirkende Kraft behandelt wird, in die die dynamische Wirkung auf die Bauwerke mit einem Beiwert eingerechnet wird. Bei Strukturen, die nicht schwingungsanfällig sind, ist dieser Wert gleich eins, deshalb kann das Verfahren nach der SIA-Norm im Allgemeinen einfach und konsistent eingesetzt werden. Bei speziellen Problemen wird auf die erforderlichen Vorgehensweisen verwiesen.

Auf Gebäude oder Gebäudeteile wirkende Windkräfte werden anhand von äusseren Gegebenheiten (Standort, Lage und Geometrie des Bauwerks) und des Schwingungsverhaltens des Tragwerks ermittelt. Sofern die entsprechenden Parameter eines Bauwerks durch die Angaben in den Normenwerken abgedeckt sind, können diese ohne weitere Untersuchungen übernommen werden. Ist dies nicht der Fall, wird eine Interpolation und Interpretation erforderlich, die jedoch nicht ohne weiteres die erforderliche Genauigkeit und Sicherheit erzielt. Dies gilt insbesondere für Bauwerksformen, die nicht im Anhang der SIA-Norm aufgeführt sind (Bild 2), für schwingungsanfällige Strukturen (Bild 3) und für Bauwerke an exponierter Lage (Bild 1). In diesen Fällen drängen sich weiterführende Untersuchungen und Berechnungen auf.

Untersuchungen im Windkanal

Die spezifischen Angaben für die Kräfte auf aussergewöhnliche Bauwerksformen und für das Schwingungsverhalten von Tragwerken können in Windkanalversuchen ermittelt werden. Dazu wird ein Modell des Bauwerks in einem Windkanal untersucht. Durch das Anordnen von Hindernissen wird im Kanal ein Windprofil erzeugt, das dem real zu erwartenden entspricht. Das Modell wird sowohl als Solitär als auch umgeben von den vorhandenen und den in Zukunft zu erwartenden Nachbarbauten untersucht (Bilder 4 und 5). Das Modell ist mit Sensoren ausgestattet, die die entstehenden Druckkräfte auf die Oberfläche messen. Aus diesen Ergebnissen können mit Hilfe von Umrechnungen und statistischen Auswertungen die statischen Windkräfte auf das reale Bauwerk ermittelt werden. Da die Steifigkeit und das Schwingungsverhalten des Windkanalmodells nicht denen des effektiven Bauwerks entsprechen, sind für die Ermittlung der dynamischen Bauwerksreaktion weitere Schritte erforderlich. Dazu wird ein äquivalentes Stab- oder FE-Modell des Tragwerks erstellt und in einer Computersimulation mit den gemessenen Lastzeitreihen belastet. So können die dynamischen Effekte untersucht und quantifiziert werden. Mit diesen Untersuchungen wird eine höhere Planungssicherheit erzielt, weil realitätsnahe Windkräfte angesetzt werden können. In diversen Fällen können dadurch die Trag- und Fassadenkonstruktionen optimiert werden.

Bis heute ist es nur begrenzt möglich, Windkanalversuche durch rein rechnerische Simulationen zu ersetzen. Solche sind im Hochbau jedoch auch nur selten erforderlich, weil die Windkanalversuche schnell und im Verhältnis zu den Bausummen kostengünstig durchgeführt werden können. Im Weiteren können bei einer Windkanaluntersuchung zusätzlich die Windverhältnisse in den umgebenden Freiflächen simuliert und gemessen und bei der Planung der Nutzung der Aussenräume verwendet werden (siehe dazu auch Artikel «Unkomfortabel» Seite 18 ff.).

Lokale Windverhältnisse

Bei exponierten Standorten reicht die Ermittlung des Referenzstaudrucks mit den Angaben aus den Normen nicht mehr aus. Hier bietet sich für die Ermittlung der Windverhältnisse neben Windkanalversuchen auch das Auswerten der Messwerte von lokalen Windmessstationen an. Da Windmessdaten im Allgemeinen nicht direkt am Bauplatz vorhanden sind, müssen umliegende Messstationen herangezogen und die Werte extrapoliert und mit bekannten Angaben bei ähnlichen Lagen abgeglichen werden. Diese Untersuchungen sind von ausgewiesenen Fachleuten durchzuführen, weil die richtige Interpretation der Daten grosse Erfahrung verlangt.

Tragsicherheit: Wind oder Erdbeben

Mit der Ermittlung von realitätsnahen Windkräften und den zugehörigen Bauwerksreaktionen ist ein wichtiger Teil der erforderlichen Arbeit für den Tragwerksentwurf getan. Der Nachweis der Tragsicherheit erfolgt danach gemäss den entsprechenden Konstruktionsnormen. Neben dem Wind ist auch die Einwirkung von Erdbeben zu untersuchen. Vereinfacht gilt bei Hochhäusern, dass bei einem weichen Tragwerk eher die Windeinwirkung massgebend ist. Eine steife, gedrungene Tragstruktur ist dagegen eher empfindlich gegenüber Erdbeben. Da bei den in der Schweiz üblichen Hochhausabmessungen nicht ohne weiteres erkennbar ist, welche Bemessungssituation massgebend wird, müssen beide Einwirkungen untersucht und einander gegenübergestellt werden. Ab einer gewissen Gebäudehöhe wird weise für die Gesamtstabilität am Gebäudefuss die Windbeanspruchung dominant. Bei der Abstufung der Aussteifungswände ist aber zu beachten, dass in den oberen Geschossen trotzdem die Erdbebenbeanspruchung für die Tragwerksbemessung massgebend werden kann. Im Zuge der Einführung erhöhter Erdbebenanforderungen wurden verschiedene Gebäude bezüglich ihrer Erdbebensicherheit überprüft, ohne dass der Wind beachtet wurde. Eine gemeinsame Betrachtung der beiden Bemessungssituationen ist jedoch unabdingbar.

Gebrauchstauglichkeit: Eine Frage des Komforts

Da es sich bei Wind um eine dynamische Einwirkung handelt, sind neben den Deformationen auch die Schwingungen und Beschleunigungen des Gebäudes zu untersuchen und zu beurteilen. Gerade Letztere werden von den Menschen direkt wahrgenommen. Die zulässigen maximalen Beschleunigungen werden mit der Auftretenswahrscheinlichkeit des Windereignisses gekoppelt und sind, im Gegensatz zu den Deformationen, nicht in der Norm geregelt. Sie müssen darum direkt mit der Bauherrschaft festgelegt werden. Auf Grund von weit reichenden Abklärungen über die Wahrnehmung und das Wohlbefinden von Gebäudebenutzern werden in der Literatur verschiedene Grenzwerte, die sich von «nicht spürbar» über «lästig» bis «unzulässig» erstrecken, angegeben. Sie sind abhängig von der Nutzung des Bauwerks. Bei einer Büronutzung sind beispielsweise grössere Beschleunigungen tolerierbar als bei einem Wohngebäude (Bild 5). Das müssen die Planer bei der Projektierung gebührend berücksichtigen, da die Tragstruktur im Allgemeinen später kaum oder nur sehr aufwendig verstärkt werden kann.

Bei einer Untersuchung des Windkomforts auf den Freiflächen im Aussenraum werden die Zonen unterschiedlicher Windgeschwindigkeiten in einem Plan dargestellt und mit der vorgesehenen Nutzung abgeglichen (Bild 9). Bereiche mit unangenehmen Windverhältnissen scheiden beispielsweise für Strassencafés aus. Zonen mit gefährlich hohen Windgeschwindigkeiten zwischen zwei eng beieinanderstehenden Gebäuden können durch geschicktes Platzieren von Hindernissen wie Bäumen, Vordächern oder Skulpturen auf dem grossen Platz entschärft werden (Bilder 7 und 8). Anhand der Untersuchungen kann ausserdem beurteilt werden, ob bei einer Eingangssituation mit Turbulenzen und Aufwinden zu rechnen ist, sodass eine allfällige Anpassung der Gebäudeform erwogen werden kann (Bild 8).

TEC21, Mo., 2008.07.21



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tec21 2008|29-30 Gegenwind

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