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24. Mai 2012Annemarie Bucher
anthos

Die Landschaft als Archiv

Was ein Archiv ausmacht, kann auch für die physische Landschaft geltend gemacht werden. Denn Geschichte erschliesst sich nicht nur aus klassischen Archivalien und Dokumenten, sondern ist auch in der Form und Materialität von Landschaften, Städten und Dingen zu lesen.

Was ein Archiv ausmacht, kann auch für die physische Landschaft geltend gemacht werden. Denn Geschichte erschliesst sich nicht nur aus klassischen Archivalien und Dokumenten, sondern ist auch in der Form und Materialität von Landschaften, Städten und Dingen zu lesen.

Ein Archiv ist per Definition ein Behälter für Archivalien: Hier werden sie erfasst und so abgelegt, dass sie wieder auffindbar sind. Der Ursprung des Archivs liegt etymologisch im griechischen «archeion», was so viel wie Amtsgebäude bedeutet. Seit dem 17. Jahrhundert meint Archiv in der Kanzleisprache Aufbewahrungsort für Akten, Schriften und Urkunden, welche einerseits dem Recht als Belege und Beweise für Handlungen, Bewertungen und Entscheidungen dienen. Andererseits sind Archivgüter auch «Überreste» der Geschichte und damit «Quellen» der Geschichtsschreibung. Sie bilden ein materielles kollektives Gedächtnis – ein Bewusstsein für die Vergangenheit. Um es zu aktivieren, sind aber nicht nur Archivalien im engeren Sinn, sondern auch symbolische und geografische Orte ausschlaggebend. Pierre Nora[1] hat dargelegt, dass das kollektive Gedächtnis erst an konkreten Orten lesbar wird. Solche «lieux de mémoire» haben eine symbolische Aufladung und damit identitätsstiftende Funktion.

Dass Landschaft ein grosses und noch nicht ausreichend erforschtes Erinnerungspotenzial besitzt, zeigen auch ihre medialen Repräsentationen. Bilder halten unwiederbringlich fest, wie sich die Landschaft in räumlicher Gestalt zu ihren gesellschaftlich verankerten Vorstellungen verhält. So war die europäische Landschaftsmalerei seit der Renaissance auf das Portraitieren des Landschaftsraumes fokussiert. Auch wenn die dargestellte Landschaft symbolischer Natur war, wird sie als visuelle Übertragung des Augenscheins angenommen. Im Gegensatz dazu bezog sich chinesische Landschaftsmalerei seit der Tang-Dynastie primär auf imaginäre Landschaften. Bilder resultierten nicht aus der Anschauung, sondern aus dem Ziel, mit der Darstellung von Landschaft ihre geistigen und emotionalen Aspekte zu vermitteln. Sowohl westliche als auch die ostasiatischen Landschaftsdarstellungen sind deshalb subjektive Notationen einer kulturell konstruierten, idealen Natur.

Kulturelle Konstruiertheit

Dass wir Landschaft als Produkt der vorherrschenden Glaubenssysteme und Ideologien betrachten und gestalten, hat Simon Schama aufgezeigt: «Before it can ever be the repose for the senses, landscape is the work of the mind. Its scenery is built up as much from strata of memory as from layers of rock.»[2] Beispielhaft hierfür sind die in die Felsen gemeisselten Porträts amerikanischer Präsidenten am Mount Rushmore, welche die Geschichte der amerikanischen Nation für die Ewigkeit in die physische Landschaft wie in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben. In der Schweiz ist die Rütliwiese eine der nationalen Landschaften.

Kulturell hybride Erinnerungslandschaften haben sich in Südamerika entwickelt. Im 17. und 18. Jahrhundert gründeten Jesuiten auf dem Gebiet von Paraguay, Bolivien und Südbrasilien sogenannte Reduktionen (von spanisch reducir = zusammenführen), in denen die nomadischen Indianer in festen Siedlungen zusammengeführt wurden. Das Ziel war, die Indigenen zu christianisieren, vor der Ausbeutung zu schützen und zu «zivilisierten Wesen» zu entwickeln. Die Folge war eine grundlegende Umgestaltung des als «Naturlandschaft» bewerteten Gebietes[3] in eine mit befestigten Siedlungen durchsetzte, nach europäischen Konzepten strukturierte Kulturlandschaft.

Verdrängte Landschaften

Obwohl meist positiv besetzt, enthalten Archive aber auch Akten über Dinge, die lieber verdrängt werden. Ähnlich verhält es sich mit der Landschaft, die als schöne und gute gern erinnert wird. Was aber ist mit den schwierigen und bedrohlichen Erinnerungen? In den letzten Jahrzehnten sind solche «verdrängten Landschaften» verstärkt ins Visier der landschaftstheoretischen Forschung gerückt.

In den USA entstanden verschiedene Studien, die aufzeigten, dass die nationale Landschaft in ihrer sozialen und ökonomischen Struktur auch durch indigene, subalterne, unterdrückte Teile der Gesellschaft geschaffen wurde. Beispielsweise die Plantage – eine charakteristische Institution der Neuen Welt – wurde durch die physischen Einschreibungen der menschenverachtenden Praxis der Sklaverei in die Landschaft geformt. Nicht nur die Diskrepanz von Herrenhaus und Sklavenhütte, auch die geometrische und übersichtliche Struktur der verschiedenen Felder und Anbauflächen sind weniger durch die ­Arbeitsorganisation als vielmehr durch Disziplinierungstechniken der Sklavenhalter zu erklären.

Zu diesen offiziellen Landschaften der Sklaverei haben sich auch Gegenlandschaften entwickelt. In den USA waren dies die unsichtbaren Aufenthaltsorte und Fluchtrouten der entlaufenen Sklaven nach Norden, die sich versteckt als Spuren im Raum manifestierten.[4] In Südamerika waren es eher siedlungsbedingte Landschaftsveränderungen, die von geflüchteten Sklaven herrühren: Die brasilianischen Quilombos oder die jamaikanischen und surinamischen Maroon-Dörfer sind von entlaufenen Sklaven (Maroons) gegründete, autonome, demokratisch organisierte und teils befestigte Städte im abgelegenen Landesinnern, die heute wichtige Erinnerungslandschaften der Unterdrückten darstellen.

Eingeschriebene Kultur

Um solche nicht im kollektiven Gedächtnis verankerten Orte zu finden, muss man jedoch nicht weit reisen. Sie liegen unbesehen vor der eigenen Haustüre und werden oft erst nach dem Verschwinden überhaupt bemerkt. So geschehen im Leutschenpark[5] in Zürich, der einst Schiessplatz, dann Standplatz der Fahrenden, Parkplatz – mit anderen Worten – ein Nicht-Ort war, und der heute räumlich und gestalterisch ins Zentrum der Stadtentwicklung gerückt ist. Aber auch Schrebergartenareale, räumliche Horte der Interkulturalität, werden häufig erst nach ihrem Verschwinden erkannt.

Dass sich die Geschichte in die physische Landschaft einschreibt, macht sie zur Kulturlandschaft in einem weiten Sinn des Wortes. So gilt es, Landschaft nicht nur wissenschaftlich zu analysieren, sondern sie auch in ihren immateriellen Bestandteilen und Wahrnehmungsformen zu deuten – sie ernsthaft lesen und verstehen zu wollen.

Anmerkungen:
[01] Pierre Nora: Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005; Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire. http://www.history.ucsb.edu/faculty/marcuse/classes/201/articles/89NoraLieuxIntroRepresentations.pdf.
[02] Simon Schama: Landscape and Memory, New York 1995. S. 6, 7.
[03] Erst in jüngster Zeit werden die von nomadisch lebenden Gesellschaften genutzten Landschaften auch als Kulturlandschaften erkannt.
[04] vgl. Ginzburg, Rebecca: «The Fugitive Slave Landscape», in: Landscape Journal, vol. 26 (1) 2007; Vlach, John Michael: Back of the Big House. The Architecture of Plantation Slavery, Chapel Hill 1993.
[05] Günter, Rolf; Bucher, Annemarie: Ein Quartier im Umbruch – die Entstehung des Leutschenparks 2006–2009. Eine filmische Langzeitbeobachtung im Auftrag von Grün Stadt Zürich 2009.

anthos, Do., 2012.05.24



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2012/2 Erinnerung & Archive

03. Juni 2009Annemarie Bucher
anthos

Die G|59

Am gleichen Ort wie zwanzig Jahre zuvor die «Landi 39», ein Jahr nach der «Saffa» 1958 und fast gleichzeitig mit der Bundesgartenschau in Dortmund, öffnete am 25. April 1959 die erste Schweizerische Gartenbau-Ausstellung ihre Tore. 50 Jahre danach sind ihre Impulse noch spürbar.

Am gleichen Ort wie zwanzig Jahre zuvor die «Landi 39», ein Jahr nach der «Saffa» 1958 und fast gleichzeitig mit der Bundesgartenschau in Dortmund, öffnete am 25. April 1959 die erste Schweizerische Gartenbau-Ausstellung ihre Tore. 50 Jahre danach sind ihre Impulse noch spürbar.

Die Planung und Realisierung der G|59 war dem Zusammenschluss nationaler und regionaler Berufsverbände zu verdanken. Die Trägerschaft setzte sich zusammen aus dem Verband Schweizer Gärtnermeister, dem Gärtnermeisterverband Zürich, der Association des Horticulteurs de la Suisse Romande, dem Verband Schweizerischer Topfpflanzen-Gärtnereien, dem Verband Schweizerischer Baumschulbesitzer, dem Schweizerischen Floristen-Verband, der Gemüseproduzenten-Vereinigung des Kantons Zürich und dem Bund Schweizerischer Gartengestalter (BSG).

Zwischen Gewerbeförderung und moderner Ideenplattform
Die unterschiedlichen Ansprüche und Erwartungen der einzelnen Träger unter einen Hut zu bringen, erwies sich als schwieriger Balanceakt. Entsprechend offen war die Leitidee formuliert: Im Zentrum der G|59 stand schweizerisches Gartenschaffen auf der Suche nach einer neuen Linie, die sowohl für die gewerblichen als auch für die gestalterischen Berufe gelten sollte. Das Programm orientierte sich an der bewährten Struktur deutscher Gartenschauen. Es beinhaltete temporäre Pflanzen- und Gewerbeschauen in Hallen sowie im Freien, vielfältige Themengärten und ein reichhaltiges Begleitprogramm, das von Kunstausstellungen bis zu Modeschauen reichte.

Der Gesamtplan

Die G|59 fand an beiden Zürichseeufern statt, die wie einst an der Landi und später an der Saffa durch Schiffe und eine über den See schwebende Gondelbahn (siehe Artikel Oplatka, Seite18) miteinander verbunden wurden. Letztere verlief über 55 Meter hohe Pylone, die als moderne Ingenieurswerke die Silhouette der Stadt und die Wahrnehmung der Ausstellung mitprägten. Auch die umliegende Landschaft, der Ausblick auf die Alpen und den See, wurden in die Ausstellung integriert. Insbesondere der Bezug zum See war ein neues Element, das die landschaftsarchitektonische Gestaltung prägte.

Unter der architektonischen Leitung von Werner Stücheli und Paul R. Kollbrunner entstanden an beiden Ufern zahlreiche schlichte, moderne Ausstellungsarchitekturen, die auf einem kubischen System aufbauten und sich der Gesamtstruktur unterordneten. Eine grössere Messefläche wurde am rechten Ufer durch eine Folge von quadratischen Räumen gebildet, die alternierend offen oder als Pavillons überdeckt waren. Eine Ausnahme bot die «Rotonde» auf dem Zürichhorn, ein nach dem Konstruktionssystem von Buckminster Fuller gebautes Kuppelzelt. Als Ganzes wirkte der Gesamtplan zwar homogen, die Ausstellungsufer trugen jedoch verschiedene Handschriften, war auch die Verantwortung dafür verschiedenen Planergemeinschaften übertragen worden.

Das linke Ufer

Das Gelände am linken Seeufer wurde von Johannes Schweizer sowie Klaus und Walter Leder konzipiert. Sie erreichten eine optimale Verbindung zwischen den Erholungsflächen am See und im Belvoirpark, indem sie eine grossflächige Fussgängerüberführung von 50_150 Metern über die Ausfallstrasse bauten und diese als Piazza ausgestalteten. Dort gab es Unterhaltungs- und Restaurationsmöglichkeiten, Miniaturgärten in Tischgrösse («Tischgärten») und Topfpflanzen-Ausstellungen.

Von den Themengärten am linken Ufer erregten vor allem der hexagonale Garten sowie der Staudengarten Aufmerksamkeit. Ersterer bildete am Haupteingang eine dekorative wabenförmige Struktur, die von der reinen Bodenzeichnung über bunte Blumenrabatten bis zu den Wasserbecken formbestimmend war. Im Zusammenspiel mit den «gewachsenen» Strukturen der Bäume und Pflanzen ergab sich ein eigentümlich modern anmutendes Spannungsmoment. Ähnlich markante geometrische Formen kamen im Staudengarten von Klaus und Walter Leder zum Ausdruck. Aus der Fläche gehobene, backsteingefasste Dreiecke bildeten das Raster für die Bepflanzung. Eine deutsche Kritikerin fühlte sich dabei an Panzersperren erinnert.

Der grosse Publikumserfolg des linken Ufers waren die Wasserspiele und Springbrunnen. Auf der Belvoir-Terrasse richteten Johannes Schweizer und Walter und Klaus Leder ein Springbrunnenparterre mit Lübecker Wasserspielen ein, für den seeseitigen Eingang des Belvoirparks zeichneten sie verantwortlich für einen von einer Pergola gerahmten Wassergarten mit einem spektakulären Springbrunnen. Ein streng geometrisch geordnetes Blumenparterre (Walter und Klaus Leder, Johannes Schweizer), ein fröhlich-bunter Sommerblumenteppich (Fredy Klauser, Rorschach) und ein Bündner Berggarten (August Eisenring, Thusis) setzten die Reihe der Sondergärten fort. Eine neue Haltung manifestierte der Landhausgarten von Walter und Klaus Leder: Er wurde nicht als klassische Umgebung für ein bestehendes Haus entworfen, vielmehr wurde umgekehrt ein entsprechendes Haus als Höhepunkt in den Garten gesetzt.

Das rechte Ufer

Im Vergleich zum linken wirkte das rechte Seeufer homogener, dessen Gesamtplanung Ernst Baumann und Willi Neukom leiteten. Sie konnten ein fast zusammenhängendes und ebenes Gelände bespielen und realisierten auch selbst zahlreiche Themengärten. Entlang der stadtauswärts führenden Seefeldstrasse wurden Ausstellungspavillons und Messehallen errichtet, während die dem See zugewandte Parklandschaft für Sondergärten und Vergnügungseinrichtungen vorgesehen war.

Die G|59 bot einen ersten Anlass, den See nicht mehr nur als fernes Bild, sondern als unmittelbare sinnliche Erlebnisqualität in die Parklandschaft einzubeziehen. Denn seit dem Bau des Wehrs in der Limmat 1951 erlaubte ein konstanterer Wasserspiegel eine Neudefinition der Wasserkante. Anlässlich der G|59 wurde eine Annäherung ans Wasser in unterschiedlicher Weise versucht. Während die Architekten den Zugang zum Wasser durch eine Ufertreppe mit Theater konstruierten, erprobten die Landschaftsarchitekten mit dem Staudengarten am See eine ganz andere und neuartige Lösung, die mit Geröll, einheimischen Stauden und Trittsteinen eine abstrakte Natürlichkeit schuf.

Für die Erschliessung des Geländes wurden zwei unterschiedliche Prinzipien der Wegführung kombiniert: Ein rechtwinkliges, rationales Wegnetz, das ein klares Ordnungssystem bildete, rasch zum Ziel führte und für den Unterhalt und die Versorgung gedacht war, wurde ergänzt durch einen Verbund von Spazierwegen, die dem Schlendern, Schauen und der Musse huldigten. Letztere waren weniger einem Ziel als vielmehr einem Tun verpflichtet und deshalb entsprechend abwechslungsreich gestaltet. Mal führten sie mit Trittsteinen über einen Rasen oder eine Wasserfläche, mal verliefen sie in Sand und Geröll. Ganz besonders die Wegführung um den «Nymphenteich» von Ernst Baumann und Willi Neukom eröffnete mit kreisrunden, über die Wasserfläche führenden Betontritten ein neuartiges Erlebnis.

Auch am rechten Ufer wurde mit Sondergärten ein breites Spektrum an gartengestalterischen Aufgaben demonstriert. Sie reichten von strenger Geometrie über spielerisch abstrakte Formen bis zu zweckmässigen und natürlich empfundenen Räumen. Der «Garten des Philosophen», der «Jardin d’Amour» von Ernst Baumann und Willi Neukom sowie der «Garten des Poeten» von Ernst Cramer (siehe Artikel Rotzler, Seite 22) waren Themengärten, die – wohl wegen ihrer abstrakten Gestaltung – unterschiedlichste Reaktionen auslösten. Die Kommentare reichten von «unverständlich», «banal» und «abschreckend » über «spielerisch und fröhlich» bis hin zu «künstlerisch hochstehend». Willi Neukom erläuterte diese «nicht orthodoxen Gartenideen»: «Ganz bewusst wurden Themen aus der Romantik gewählt, denen durch die Verwendung heutigen Baumaterials, Beton, Glas, Formsteine, eine gleichsam moderne Fassung gegeben wurde. Unter asketischer Vereinfachung der Form, die sich nur auf das Wesentliche beschränkt, ist ihnen direkte Aussage und unmittelbare Wirkung gewiss.» In ihrer Wirkung und in ihrem konstruktiven Formaufbau verweisen diese Gärten aber auch auf die Konkrete Kunst und die «Neue Grafik», die ebenso eine unmittelbare wie nachvollziehbare Ästhetik propagieren.

Gebrauchsfähiger und deshalb schneller akzeptiert waren der schon erwähnte Stauden- und der Badegarten und auch das Azaleental, die mehr der allgemeinen Vorstellung des Natürlichen entsprachen.
Gestalterische Innovationen drückten sich hauptsächlich in Sondergärten aus und wurden oft erst im Nachhinein entsprechend erkannt und gewürdigt. Mit diesen Themengärten offenbarte sich die Schweizerische Landschaftsarchitektur in ihrem Bestreben, eine moderne Formensprache zu finden und zu begründen. Obwohl eine Hinwendung zur klaren geometrischen Gliederung deutlich wurde, erwies sich die Suche nach einer zeitgemässen Ästhetik keineswegs als einfach. Der Redaktor Emil Steiner schrieb im Gartenbaublatt, im Vergleich zur «Züga» (Zürcher Gartenbau-Ausstellung 1933) sei die G|59 strenger und grundsätzlicher und stelle der organischen Form der Pflanze die Geometrie der Fläche, des Raumes und des Baus gegenüber.

Was ist geblieben?

Einerseits blieb die G|59 als «Blumenlandi» im Gedächtnis einer breiten Öffentlichkeit, und andererseits verhalf sie modernen Gartenideen zum Durchbruch. In vielerlei Hinsicht knüpfte sie an die Landesausstellung von 1939 an, war zukunftsgerichtete Fachmesse und Leistungsschau, aber auch Instrument der wirtschaftlichen Krisenbewältigung und Identitätsstiftung.5 Sie war die erste gemeinsame Selbstdarstellung von gewerblichen und gestalterischen Berufen auf nationaler Ebene. Gemeinsam versuchten Handelsgärtner und Landschaftsarchitekten, Pflanzenzüchter und Gartenplaner ein Plädoyer für einen zukunftskompatiblen und modernen landschaftsarchitektonischen Ausdruck zu formulieren. Die Anstrengung blieb allerdings zum grossen Teil stecken: zum einen in einem allgemeinen Loblied auf den Garten, zum anderen in unterschwelligen oder nicht ausformulierten Parallelläufen zu künstlerischen Strömungen der Zeit, insbesondere zur Ästhetik der konkreten Kunst. Die Vielfalt der vorgeführten Gestaltungsansätze erzeugte zwar das Gefühl eines Aufbruchs in eine moderne Zukunft, doch sie verwies auch auf das Fehlen einer klaren und verbindlichen Linie. Diese ambivalente Haltung ist nicht eine Besonderheit der G|59 sondern kennzeichnet grundsätzlich die Kunst und Kultur der 1950er Jahre.

Obwohl die G|59 in der Hauptsache als temporäre Ausstellung geplant war, konnten sich einzelne Gartengestaltungen, Bauten und Kunstwerke behaupten und für eine Nachnutzung geltend gemacht werden (siehe Artikel Rohrer, Seite 12 und Bucher/Wolf, Seite 26).

anthos, Mi., 2009.06.03



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2009/2 G|59 – und 50 Jahre danach

Publikationen

Presseschau 12

24. Mai 2012Annemarie Bucher
anthos

Die Landschaft als Archiv

Was ein Archiv ausmacht, kann auch für die physische Landschaft geltend gemacht werden. Denn Geschichte erschliesst sich nicht nur aus klassischen Archivalien und Dokumenten, sondern ist auch in der Form und Materialität von Landschaften, Städten und Dingen zu lesen.

Was ein Archiv ausmacht, kann auch für die physische Landschaft geltend gemacht werden. Denn Geschichte erschliesst sich nicht nur aus klassischen Archivalien und Dokumenten, sondern ist auch in der Form und Materialität von Landschaften, Städten und Dingen zu lesen.

Ein Archiv ist per Definition ein Behälter für Archivalien: Hier werden sie erfasst und so abgelegt, dass sie wieder auffindbar sind. Der Ursprung des Archivs liegt etymologisch im griechischen «archeion», was so viel wie Amtsgebäude bedeutet. Seit dem 17. Jahrhundert meint Archiv in der Kanzleisprache Aufbewahrungsort für Akten, Schriften und Urkunden, welche einerseits dem Recht als Belege und Beweise für Handlungen, Bewertungen und Entscheidungen dienen. Andererseits sind Archivgüter auch «Überreste» der Geschichte und damit «Quellen» der Geschichtsschreibung. Sie bilden ein materielles kollektives Gedächtnis – ein Bewusstsein für die Vergangenheit. Um es zu aktivieren, sind aber nicht nur Archivalien im engeren Sinn, sondern auch symbolische und geografische Orte ausschlaggebend. Pierre Nora[1] hat dargelegt, dass das kollektive Gedächtnis erst an konkreten Orten lesbar wird. Solche «lieux de mémoire» haben eine symbolische Aufladung und damit identitätsstiftende Funktion.

Dass Landschaft ein grosses und noch nicht ausreichend erforschtes Erinnerungspotenzial besitzt, zeigen auch ihre medialen Repräsentationen. Bilder halten unwiederbringlich fest, wie sich die Landschaft in räumlicher Gestalt zu ihren gesellschaftlich verankerten Vorstellungen verhält. So war die europäische Landschaftsmalerei seit der Renaissance auf das Portraitieren des Landschaftsraumes fokussiert. Auch wenn die dargestellte Landschaft symbolischer Natur war, wird sie als visuelle Übertragung des Augenscheins angenommen. Im Gegensatz dazu bezog sich chinesische Landschaftsmalerei seit der Tang-Dynastie primär auf imaginäre Landschaften. Bilder resultierten nicht aus der Anschauung, sondern aus dem Ziel, mit der Darstellung von Landschaft ihre geistigen und emotionalen Aspekte zu vermitteln. Sowohl westliche als auch die ostasiatischen Landschaftsdarstellungen sind deshalb subjektive Notationen einer kulturell konstruierten, idealen Natur.

Kulturelle Konstruiertheit

Dass wir Landschaft als Produkt der vorherrschenden Glaubenssysteme und Ideologien betrachten und gestalten, hat Simon Schama aufgezeigt: «Before it can ever be the repose for the senses, landscape is the work of the mind. Its scenery is built up as much from strata of memory as from layers of rock.»[2] Beispielhaft hierfür sind die in die Felsen gemeisselten Porträts amerikanischer Präsidenten am Mount Rushmore, welche die Geschichte der amerikanischen Nation für die Ewigkeit in die physische Landschaft wie in das kollektive Gedächtnis eingeschrieben haben. In der Schweiz ist die Rütliwiese eine der nationalen Landschaften.

Kulturell hybride Erinnerungslandschaften haben sich in Südamerika entwickelt. Im 17. und 18. Jahrhundert gründeten Jesuiten auf dem Gebiet von Paraguay, Bolivien und Südbrasilien sogenannte Reduktionen (von spanisch reducir = zusammenführen), in denen die nomadischen Indianer in festen Siedlungen zusammengeführt wurden. Das Ziel war, die Indigenen zu christianisieren, vor der Ausbeutung zu schützen und zu «zivilisierten Wesen» zu entwickeln. Die Folge war eine grundlegende Umgestaltung des als «Naturlandschaft» bewerteten Gebietes[3] in eine mit befestigten Siedlungen durchsetzte, nach europäischen Konzepten strukturierte Kulturlandschaft.

Verdrängte Landschaften

Obwohl meist positiv besetzt, enthalten Archive aber auch Akten über Dinge, die lieber verdrängt werden. Ähnlich verhält es sich mit der Landschaft, die als schöne und gute gern erinnert wird. Was aber ist mit den schwierigen und bedrohlichen Erinnerungen? In den letzten Jahrzehnten sind solche «verdrängten Landschaften» verstärkt ins Visier der landschaftstheoretischen Forschung gerückt.

In den USA entstanden verschiedene Studien, die aufzeigten, dass die nationale Landschaft in ihrer sozialen und ökonomischen Struktur auch durch indigene, subalterne, unterdrückte Teile der Gesellschaft geschaffen wurde. Beispielsweise die Plantage – eine charakteristische Institution der Neuen Welt – wurde durch die physischen Einschreibungen der menschenverachtenden Praxis der Sklaverei in die Landschaft geformt. Nicht nur die Diskrepanz von Herrenhaus und Sklavenhütte, auch die geometrische und übersichtliche Struktur der verschiedenen Felder und Anbauflächen sind weniger durch die ­Arbeitsorganisation als vielmehr durch Disziplinierungstechniken der Sklavenhalter zu erklären.

Zu diesen offiziellen Landschaften der Sklaverei haben sich auch Gegenlandschaften entwickelt. In den USA waren dies die unsichtbaren Aufenthaltsorte und Fluchtrouten der entlaufenen Sklaven nach Norden, die sich versteckt als Spuren im Raum manifestierten.[4] In Südamerika waren es eher siedlungsbedingte Landschaftsveränderungen, die von geflüchteten Sklaven herrühren: Die brasilianischen Quilombos oder die jamaikanischen und surinamischen Maroon-Dörfer sind von entlaufenen Sklaven (Maroons) gegründete, autonome, demokratisch organisierte und teils befestigte Städte im abgelegenen Landesinnern, die heute wichtige Erinnerungslandschaften der Unterdrückten darstellen.

Eingeschriebene Kultur

Um solche nicht im kollektiven Gedächtnis verankerten Orte zu finden, muss man jedoch nicht weit reisen. Sie liegen unbesehen vor der eigenen Haustüre und werden oft erst nach dem Verschwinden überhaupt bemerkt. So geschehen im Leutschenpark[5] in Zürich, der einst Schiessplatz, dann Standplatz der Fahrenden, Parkplatz – mit anderen Worten – ein Nicht-Ort war, und der heute räumlich und gestalterisch ins Zentrum der Stadtentwicklung gerückt ist. Aber auch Schrebergartenareale, räumliche Horte der Interkulturalität, werden häufig erst nach ihrem Verschwinden erkannt.

Dass sich die Geschichte in die physische Landschaft einschreibt, macht sie zur Kulturlandschaft in einem weiten Sinn des Wortes. So gilt es, Landschaft nicht nur wissenschaftlich zu analysieren, sondern sie auch in ihren immateriellen Bestandteilen und Wahrnehmungsformen zu deuten – sie ernsthaft lesen und verstehen zu wollen.

Anmerkungen:
[01] Pierre Nora: Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005; Between Memory and History: Les Lieux de Mémoire. http://www.history.ucsb.edu/faculty/marcuse/classes/201/articles/89NoraLieuxIntroRepresentations.pdf.
[02] Simon Schama: Landscape and Memory, New York 1995. S. 6, 7.
[03] Erst in jüngster Zeit werden die von nomadisch lebenden Gesellschaften genutzten Landschaften auch als Kulturlandschaften erkannt.
[04] vgl. Ginzburg, Rebecca: «The Fugitive Slave Landscape», in: Landscape Journal, vol. 26 (1) 2007; Vlach, John Michael: Back of the Big House. The Architecture of Plantation Slavery, Chapel Hill 1993.
[05] Günter, Rolf; Bucher, Annemarie: Ein Quartier im Umbruch – die Entstehung des Leutschenparks 2006–2009. Eine filmische Langzeitbeobachtung im Auftrag von Grün Stadt Zürich 2009.

anthos, Do., 2012.05.24



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2012/2 Erinnerung & Archive

03. Juni 2009Annemarie Bucher
anthos

Die G|59

Am gleichen Ort wie zwanzig Jahre zuvor die «Landi 39», ein Jahr nach der «Saffa» 1958 und fast gleichzeitig mit der Bundesgartenschau in Dortmund, öffnete am 25. April 1959 die erste Schweizerische Gartenbau-Ausstellung ihre Tore. 50 Jahre danach sind ihre Impulse noch spürbar.

Am gleichen Ort wie zwanzig Jahre zuvor die «Landi 39», ein Jahr nach der «Saffa» 1958 und fast gleichzeitig mit der Bundesgartenschau in Dortmund, öffnete am 25. April 1959 die erste Schweizerische Gartenbau-Ausstellung ihre Tore. 50 Jahre danach sind ihre Impulse noch spürbar.

Die Planung und Realisierung der G|59 war dem Zusammenschluss nationaler und regionaler Berufsverbände zu verdanken. Die Trägerschaft setzte sich zusammen aus dem Verband Schweizer Gärtnermeister, dem Gärtnermeisterverband Zürich, der Association des Horticulteurs de la Suisse Romande, dem Verband Schweizerischer Topfpflanzen-Gärtnereien, dem Verband Schweizerischer Baumschulbesitzer, dem Schweizerischen Floristen-Verband, der Gemüseproduzenten-Vereinigung des Kantons Zürich und dem Bund Schweizerischer Gartengestalter (BSG).

Zwischen Gewerbeförderung und moderner Ideenplattform
Die unterschiedlichen Ansprüche und Erwartungen der einzelnen Träger unter einen Hut zu bringen, erwies sich als schwieriger Balanceakt. Entsprechend offen war die Leitidee formuliert: Im Zentrum der G|59 stand schweizerisches Gartenschaffen auf der Suche nach einer neuen Linie, die sowohl für die gewerblichen als auch für die gestalterischen Berufe gelten sollte. Das Programm orientierte sich an der bewährten Struktur deutscher Gartenschauen. Es beinhaltete temporäre Pflanzen- und Gewerbeschauen in Hallen sowie im Freien, vielfältige Themengärten und ein reichhaltiges Begleitprogramm, das von Kunstausstellungen bis zu Modeschauen reichte.

Der Gesamtplan

Die G|59 fand an beiden Zürichseeufern statt, die wie einst an der Landi und später an der Saffa durch Schiffe und eine über den See schwebende Gondelbahn (siehe Artikel Oplatka, Seite18) miteinander verbunden wurden. Letztere verlief über 55 Meter hohe Pylone, die als moderne Ingenieurswerke die Silhouette der Stadt und die Wahrnehmung der Ausstellung mitprägten. Auch die umliegende Landschaft, der Ausblick auf die Alpen und den See, wurden in die Ausstellung integriert. Insbesondere der Bezug zum See war ein neues Element, das die landschaftsarchitektonische Gestaltung prägte.

Unter der architektonischen Leitung von Werner Stücheli und Paul R. Kollbrunner entstanden an beiden Ufern zahlreiche schlichte, moderne Ausstellungsarchitekturen, die auf einem kubischen System aufbauten und sich der Gesamtstruktur unterordneten. Eine grössere Messefläche wurde am rechten Ufer durch eine Folge von quadratischen Räumen gebildet, die alternierend offen oder als Pavillons überdeckt waren. Eine Ausnahme bot die «Rotonde» auf dem Zürichhorn, ein nach dem Konstruktionssystem von Buckminster Fuller gebautes Kuppelzelt. Als Ganzes wirkte der Gesamtplan zwar homogen, die Ausstellungsufer trugen jedoch verschiedene Handschriften, war auch die Verantwortung dafür verschiedenen Planergemeinschaften übertragen worden.

Das linke Ufer

Das Gelände am linken Seeufer wurde von Johannes Schweizer sowie Klaus und Walter Leder konzipiert. Sie erreichten eine optimale Verbindung zwischen den Erholungsflächen am See und im Belvoirpark, indem sie eine grossflächige Fussgängerüberführung von 50_150 Metern über die Ausfallstrasse bauten und diese als Piazza ausgestalteten. Dort gab es Unterhaltungs- und Restaurationsmöglichkeiten, Miniaturgärten in Tischgrösse («Tischgärten») und Topfpflanzen-Ausstellungen.

Von den Themengärten am linken Ufer erregten vor allem der hexagonale Garten sowie der Staudengarten Aufmerksamkeit. Ersterer bildete am Haupteingang eine dekorative wabenförmige Struktur, die von der reinen Bodenzeichnung über bunte Blumenrabatten bis zu den Wasserbecken formbestimmend war. Im Zusammenspiel mit den «gewachsenen» Strukturen der Bäume und Pflanzen ergab sich ein eigentümlich modern anmutendes Spannungsmoment. Ähnlich markante geometrische Formen kamen im Staudengarten von Klaus und Walter Leder zum Ausdruck. Aus der Fläche gehobene, backsteingefasste Dreiecke bildeten das Raster für die Bepflanzung. Eine deutsche Kritikerin fühlte sich dabei an Panzersperren erinnert.

Der grosse Publikumserfolg des linken Ufers waren die Wasserspiele und Springbrunnen. Auf der Belvoir-Terrasse richteten Johannes Schweizer und Walter und Klaus Leder ein Springbrunnenparterre mit Lübecker Wasserspielen ein, für den seeseitigen Eingang des Belvoirparks zeichneten sie verantwortlich für einen von einer Pergola gerahmten Wassergarten mit einem spektakulären Springbrunnen. Ein streng geometrisch geordnetes Blumenparterre (Walter und Klaus Leder, Johannes Schweizer), ein fröhlich-bunter Sommerblumenteppich (Fredy Klauser, Rorschach) und ein Bündner Berggarten (August Eisenring, Thusis) setzten die Reihe der Sondergärten fort. Eine neue Haltung manifestierte der Landhausgarten von Walter und Klaus Leder: Er wurde nicht als klassische Umgebung für ein bestehendes Haus entworfen, vielmehr wurde umgekehrt ein entsprechendes Haus als Höhepunkt in den Garten gesetzt.

Das rechte Ufer

Im Vergleich zum linken wirkte das rechte Seeufer homogener, dessen Gesamtplanung Ernst Baumann und Willi Neukom leiteten. Sie konnten ein fast zusammenhängendes und ebenes Gelände bespielen und realisierten auch selbst zahlreiche Themengärten. Entlang der stadtauswärts führenden Seefeldstrasse wurden Ausstellungspavillons und Messehallen errichtet, während die dem See zugewandte Parklandschaft für Sondergärten und Vergnügungseinrichtungen vorgesehen war.

Die G|59 bot einen ersten Anlass, den See nicht mehr nur als fernes Bild, sondern als unmittelbare sinnliche Erlebnisqualität in die Parklandschaft einzubeziehen. Denn seit dem Bau des Wehrs in der Limmat 1951 erlaubte ein konstanterer Wasserspiegel eine Neudefinition der Wasserkante. Anlässlich der G|59 wurde eine Annäherung ans Wasser in unterschiedlicher Weise versucht. Während die Architekten den Zugang zum Wasser durch eine Ufertreppe mit Theater konstruierten, erprobten die Landschaftsarchitekten mit dem Staudengarten am See eine ganz andere und neuartige Lösung, die mit Geröll, einheimischen Stauden und Trittsteinen eine abstrakte Natürlichkeit schuf.

Für die Erschliessung des Geländes wurden zwei unterschiedliche Prinzipien der Wegführung kombiniert: Ein rechtwinkliges, rationales Wegnetz, das ein klares Ordnungssystem bildete, rasch zum Ziel führte und für den Unterhalt und die Versorgung gedacht war, wurde ergänzt durch einen Verbund von Spazierwegen, die dem Schlendern, Schauen und der Musse huldigten. Letztere waren weniger einem Ziel als vielmehr einem Tun verpflichtet und deshalb entsprechend abwechslungsreich gestaltet. Mal führten sie mit Trittsteinen über einen Rasen oder eine Wasserfläche, mal verliefen sie in Sand und Geröll. Ganz besonders die Wegführung um den «Nymphenteich» von Ernst Baumann und Willi Neukom eröffnete mit kreisrunden, über die Wasserfläche führenden Betontritten ein neuartiges Erlebnis.

Auch am rechten Ufer wurde mit Sondergärten ein breites Spektrum an gartengestalterischen Aufgaben demonstriert. Sie reichten von strenger Geometrie über spielerisch abstrakte Formen bis zu zweckmässigen und natürlich empfundenen Räumen. Der «Garten des Philosophen», der «Jardin d’Amour» von Ernst Baumann und Willi Neukom sowie der «Garten des Poeten» von Ernst Cramer (siehe Artikel Rotzler, Seite 22) waren Themengärten, die – wohl wegen ihrer abstrakten Gestaltung – unterschiedlichste Reaktionen auslösten. Die Kommentare reichten von «unverständlich», «banal» und «abschreckend » über «spielerisch und fröhlich» bis hin zu «künstlerisch hochstehend». Willi Neukom erläuterte diese «nicht orthodoxen Gartenideen»: «Ganz bewusst wurden Themen aus der Romantik gewählt, denen durch die Verwendung heutigen Baumaterials, Beton, Glas, Formsteine, eine gleichsam moderne Fassung gegeben wurde. Unter asketischer Vereinfachung der Form, die sich nur auf das Wesentliche beschränkt, ist ihnen direkte Aussage und unmittelbare Wirkung gewiss.» In ihrer Wirkung und in ihrem konstruktiven Formaufbau verweisen diese Gärten aber auch auf die Konkrete Kunst und die «Neue Grafik», die ebenso eine unmittelbare wie nachvollziehbare Ästhetik propagieren.

Gebrauchsfähiger und deshalb schneller akzeptiert waren der schon erwähnte Stauden- und der Badegarten und auch das Azaleental, die mehr der allgemeinen Vorstellung des Natürlichen entsprachen.
Gestalterische Innovationen drückten sich hauptsächlich in Sondergärten aus und wurden oft erst im Nachhinein entsprechend erkannt und gewürdigt. Mit diesen Themengärten offenbarte sich die Schweizerische Landschaftsarchitektur in ihrem Bestreben, eine moderne Formensprache zu finden und zu begründen. Obwohl eine Hinwendung zur klaren geometrischen Gliederung deutlich wurde, erwies sich die Suche nach einer zeitgemässen Ästhetik keineswegs als einfach. Der Redaktor Emil Steiner schrieb im Gartenbaublatt, im Vergleich zur «Züga» (Zürcher Gartenbau-Ausstellung 1933) sei die G|59 strenger und grundsätzlicher und stelle der organischen Form der Pflanze die Geometrie der Fläche, des Raumes und des Baus gegenüber.

Was ist geblieben?

Einerseits blieb die G|59 als «Blumenlandi» im Gedächtnis einer breiten Öffentlichkeit, und andererseits verhalf sie modernen Gartenideen zum Durchbruch. In vielerlei Hinsicht knüpfte sie an die Landesausstellung von 1939 an, war zukunftsgerichtete Fachmesse und Leistungsschau, aber auch Instrument der wirtschaftlichen Krisenbewältigung und Identitätsstiftung.5 Sie war die erste gemeinsame Selbstdarstellung von gewerblichen und gestalterischen Berufen auf nationaler Ebene. Gemeinsam versuchten Handelsgärtner und Landschaftsarchitekten, Pflanzenzüchter und Gartenplaner ein Plädoyer für einen zukunftskompatiblen und modernen landschaftsarchitektonischen Ausdruck zu formulieren. Die Anstrengung blieb allerdings zum grossen Teil stecken: zum einen in einem allgemeinen Loblied auf den Garten, zum anderen in unterschwelligen oder nicht ausformulierten Parallelläufen zu künstlerischen Strömungen der Zeit, insbesondere zur Ästhetik der konkreten Kunst. Die Vielfalt der vorgeführten Gestaltungsansätze erzeugte zwar das Gefühl eines Aufbruchs in eine moderne Zukunft, doch sie verwies auch auf das Fehlen einer klaren und verbindlichen Linie. Diese ambivalente Haltung ist nicht eine Besonderheit der G|59 sondern kennzeichnet grundsätzlich die Kunst und Kultur der 1950er Jahre.

Obwohl die G|59 in der Hauptsache als temporäre Ausstellung geplant war, konnten sich einzelne Gartengestaltungen, Bauten und Kunstwerke behaupten und für eine Nachnutzung geltend gemacht werden (siehe Artikel Rohrer, Seite 12 und Bucher/Wolf, Seite 26).

anthos, Mi., 2009.06.03



verknüpfte Zeitschriften
anthos 2009/2 G|59 – und 50 Jahre danach

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