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Texte

25. August 2017Dietmar Steiner
Bauwelt

Wien braucht das. Genau das.

Wien setze mit einem nichtssagenden Hochhaus den Welterbe-Status seines Zentrums aufs Spiel, so Reinhard Seiß in Bauwelt 12. Dietmar Steiner, ehemaliger Direktor des AzW, hält das für Unsinn.

Wien setze mit einem nichtssagenden Hochhaus den Welterbe-Status seines Zentrums aufs Spiel, so Reinhard Seiß in Bauwelt 12. Dietmar Steiner, ehemaliger Direktor des AzW, hält das für Unsinn.

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Bauwelt 2017|17 Wohnhochhaus für alle?

29. April 2016Dietmar Steiner
Bauwelt

Die sieben letzten Tage der Moderne

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt: Funktionalismuskritik und Theorieeuphorie der sechziger und siebziger Jahre, Postmoderne und Strada Novissima, Signature Architecture der Neunziger, Osteuropa – alles dabei. Am Schluss aber landet er bei Prinz Charles und seinem Wohlfühl-Dorf Poundbury. Wir vermuteten einen Fehler im Text. Steiner schrieb zurück, er freue sich schon auf die Leserbriefe. Wir auch.

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt: Funktionalismuskritik und Theorieeuphorie der sechziger und siebziger Jahre, Postmoderne und Strada Novissima, Signature Architecture der Neunziger, Osteuropa – alles dabei. Am Schluss aber landet er bei Prinz Charles und seinem Wohlfühl-Dorf Poundbury. Wir vermuteten einen Fehler im Text. Steiner schrieb zurück, er freue sich schon auf die Leserbriefe. Wir auch.

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Bauwelt 2016|16-17 Die sieben letzten Tage der Moderne

24. März 2013Dietmar Steiner
Die Presse

Isolierte Ikonen der Architektur

Mut und Risiko sind Bestandteil jeder Architektur. Doch bei den „Autorenbauten“ der Gegenwart dominiert die ästhetische Selbstdarstellung. Es fehlen städtebauliche Visionen.

Mut und Risiko sind Bestandteil jeder Architektur. Doch bei den „Autorenbauten“ der Gegenwart dominiert die ästhetische Selbstdarstellung. Es fehlen städtebauliche Visionen.

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11. Dezember 2011Dietmar Steiner
Hintergrund

Qualitätssicherung in Stadtentwicklung & Verkehr

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung...

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung...

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung ihre Pläne und konkreten Vorhaben für die nächsten fünf Jahre dar. Die Exklusivität der Kleingruppe erlaubte es, auf die Interessens- und Themenschwerpunkte der Partnerfirmen des Architekturzentrum Wien zielgerichtet einzugehen, bereits im Vorfeld wurden Wünsche und Anliegen in einem Fragenkatalog gesammelt. Dietmar Steiner moderierte den Abend.

Dietmar Steiner: Was sind die Zielgebiete der Stadtplanung aus heutiger Sicht? Was sind die Prioritäten und Umsetzungshorizonte? Wohin soll sich die Stadt entwickeln?

Maria Vassilakou: Ich bin nicht der größte Fan von Zielgebieten, sie sind jedoch ein Instrument, das sich zunächst bewährt hat, beispielsweise die Funktion des Zielgebietskoordinators, der auch die Möglichkeit hat, sich in mehreren Magistratsabteilungen zu bewegen, anstatt isoliert zu arbeiten. Die Zielgebiete haben sich im Wesentlichen positiv entwickelt. Die Stadt definiert sehr wohl, wo verdichtet werden soll, wo Wachstum notwendig ist und versucht dort Boden zu erwerben. Natürlich sind auch die Investoren und Anwohner eingeladen, mitzudiskutieren, Transparenz und Klarheit sollten gewährleistet werden.
Der neue Stadtentwicklungsplan (STEP) gibt uns die Möglichkeit, das Instrument der Zielgebiete zu evaluieren. Das, was daran funktioniert, soll beibehalten werden. Das wäre die Festlegung auf einige bereits zuvor definierte Areale, wo es Sinn macht zu wachsen. Hier braucht es auch eine intensive Bearbeitung und Koordination. Andererseits bin ich eine Befürworterin von Bezirksentwicklungsplänen und möchte grundsätzlich den neuen STEP auch so aufsetzen, dass er nicht nur der interessierten Fachöffentlichkeit, Investoren, Architekten und Entwicklern, sondern insgesamt Bürgern die Möglichkeit gibt, sich einzubringen, mitzudiskutieren und am Ende zu wissen, wo und wie dieses Wachstum stattfinden soll.

DS: Mit Stadterweiterung, mit der neuen Stadtentwicklung ist auch die Frage der sozialen Infrastruktur verbunden. Die rechtzeitige Ausstattung der neuen Zielgebiete mit Schulen und Kindergärten etc. scheint immer noch ein Problem zu sein. Es gibt doch eine Infrastruktur- Kommission, die das festlegen sollte. Gibt es da einen Bruch zwischen Stadtentwicklung und Infrastruktur?

MV: Derzeit entsteht in der Stadt so viel, dass es kaum möglich ist, mit den Infrastrukturkosten mitzuhalten. Ich habe mir die Budget-Prognose für das kommende und für das übernächste Jahr angesehen. Das nächste Jahr ist dramatisch. Es wird etwa doppelt so hohe Infrastrukturkosten geben als derzeit dafür vorgesehen und budgetiert ist. Die Verhandlungen werden noch zu führen sein. Es werden hohe Infrastrukturkosten im Bereich Kindergärten und Schulen, dazu noch Kanalanschlüsse, Straßen, Fernwärme etc. auf uns zukommen. Nicht zu vergessen die Ebene des Grünraums: Wir haben zunehmend Areale, für die wunderschöne Leitbilder existieren, jedoch das Geld für die Verwirklichung fehlt. Ich denke, eine Lösung kann nur der Weg hin zur Planwertabgabe sein. Damit hätten wir die Möglichkeit, die Infrastruktur dementsprechend zu gestalten und zu finanzieren. Die Planwertabgabe ist sowohl im Zusammenhang mit der Deckung der Infrastrukturkosten als auch als Bodenmobilisierungsmaßnahme wichtig.

DS: Das heißt also auch Flächenmobilisierung. Seitdem ich mit dem System des geförderten Wohnbaus in Wien zu tun habe, sehe ich, dass die Kosten am Limit sind – die Bauträger verbluten, die Architekten sowieso schon immer, aber auch die Baufirmen und die Förderung. Warum wird das politisch nicht stärker thematisiert?

MV: Das ist sehr heikel. Es macht zum Beispiel Sinn, mit zeitlich befristeten Widmungen zu arbeiten. Kombiniert man diese mit einer Planwertabgabe, hat man bereits eine Flächenmobilisierungsmaßnahme geschaffen. Hier eine Lösung zu finden, ist allerdings juristisch nicht einfach. Es gibt daher eine Arbeitsgruppe, die konkret an einer Planwertabgabe für Wien arbeitet. In dieser Gruppe sitzen sowohl Planer als auch Juristen aus dem Magistrat, die Leitung hat ebenfalls ein Jurist aus der Magistratsdirektion inne. Durch das gemeinsame Arbeiten von Planern und Juristen kann von vornherein ein „das geht so nicht“ der Juristen verhindert werden.

DS: Viele Raumplaner sind der Meinung, eine Planwertabgabe hält nicht vor der österreichischen Verfassung.

MV: Ich denke, dass die Verfassungskonformität ein wesentlicher Aspekt ist. Andererseits sollte die Verfassung nicht als Vorwand genommen werden, neue Ideen von vornherein abzulehnen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Dinge zunächst angeblich nicht gehen – die Planwertabgabe oder die Anrainerparkplätze, um ein zweites Beispiel zu bringen. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, es geht doch. Es ist zwar nicht einfach, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

DS: Im Zusammenhang mit der Planwertabgabe gleich zu einer weiteren Frage: Wann kommt es endlich zu einer Reform der Verfahren zu Flächenwidmung und Bebauungsplan? Abänderungen dauern zu lange, sind oftmals inhaltlich nicht nachvollziehbar und lassen jede Vision einer verträglichen Stadtentwicklung vermissen.

MV: Die Instrumente sind schon sehr lange in Verwendung und sicher modernisierungsbedürftig. Sie werden dem Prozesshaften der heutigen Widmung und des heutigen Städtebaus in keiner Art und Weise gerecht. Wir haben im Zuge des neuen Stadtentwicklungsplans mehrere Bereiche definiert, die neu diskutiert werden. Einer davon ist, neue Instrumente im Rahmen der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zu schaffen. Ich ersuche jedoch um Verständnis, dass ich heute dazu nichts sagen kann. Das Wesen einer Debatte ist, dass man zusammenkommt, sich einbringt und miteinander diskutiert und dass man am Ende gemeinsam einen neuen Weg aufzeigt. Ich bin überzeugt, dass der neue Stadtentwicklungsplan vor allem in Kombination mit der Novelle des Garagengesetzes und der Bauordnung, die wir ebenfalls für das nächste Jahr vereinbart haben, einiges in Bewegung bringen wird.

DS: Die Reform der Bauordnung ist ein jahrzehntelanger Wunsch aller Beteiligten und Betroffenen. Jede Reform hat sie schlimmer gemacht.

MV: Ja, natürlich ist das eine sehr komplexe Materie. Wesentlich ist, dass man solche Reformen nicht hinter verschlossenen Türen angeht, sonst wird dieses Flickwerk aus Kompromissen nur weitergetragen. Der neue STEP gibt uns die Möglichkeit, öffentlich und transparent zu diskutieren. Ein Design stellt sicher, dass sowohl die Fachöffentlichkeit, Investoren, Entwickler, Universitäten, der Magistrat und die Bezirke, aber auch interessierte Bürger die Möglichkeit haben, verschiedene Themen abzuarbeiten, miteinander zu verschränken. Mir ist wichtig, am Ende ein schlankes, verständliches Produkt zu haben.

DS: Es gibt zur Stadtentwicklung auch ganz konkrete Fragen für bestimmte Areale: Nordbahnhof, Nordwestbahnhof, Franz-Josefs-Bahnhof, Westbahnhof, das rechte Donauufer, Donaufeld.

MV: Beim Nordbahnhof ist derzeit ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für das Gebiet Innstraße/Nordbahnstraße in Vorbereitung. Der Wettbewerb für den Bank Austria Campus läuft gerade. Für die Vorplatzgestaltung, das heißt für das Entree in den Nordbahnhof gibt es von unserer Seite Bemühungen um einen gesonderten Wettbewerb.
Beim Nordwestbahnhof ist die Entwicklungsperspektive eine mittel- bis langfristige. Die ÖBB wollen sowohl die Trasse als auch den Bahnhof selbst 2019 freigeben. Hier gibt es hervorragende Ideen, viel Grünraum mit hoher Qualität. Wir hätten auch die Möglichkeit, ein ähnliches Konzept wie die „High Line“ in New York zu verwirklichen. Unsere Aufgabe in der nächsten Zeit wird es sein, die Flächen dafür sicherzustellen.
Beim Franz-Josefs-Bahnhof haben wir es mit einem Areal von immenser Wichtigkeit, insbesondere für den 9. Bezirk, zu tun. Ich möchte hervorheben, dass es hier eine frühe Einbindung von interessierten Bezirksbewohnern gab. Die Durchwegung und Verbindung zum Wasser sind von besonderer Bedeutung. Hier könnte ein neuer Stadtteil gewonnen werden, der eine Bereicherung für den 9., teilweise auch für den 20. Bezirk wäre. Die Verhandlungen gestalten sich zwar freundlich, aber nicht unkompliziert. Die wesentliche Frage ist hier, ob die Platte, genauer gesagt die Bahn bleibt oder nicht, denn dann wäre hier auch Wohnbau möglich.
Für die weitere Entwicklung des rechten Donauufers ist die Linie U2 natürlich vorteilhaft. Mit dem Projekt „Marina-City“, das jetzt einen neuen Startschuss bekommen hat, zeigen wir anhand eines Leitprojekts, wohin es geht. Das Projekt sieht zwar eine unterbrochene, aber doch großzügige Überplattung des Kais und eine Anbindung an das Ufer vor. Christoph Chorherr hat vor mehr als einem Jahrzehnt die Idee geboren, Wien nicht neben der Donau zu haben, sondern an die Donau zu bringen. Auch in diesem Bereich wird mittels einer Machbarkeitsstudie das Realisierungspotenzial überprüft werden.

DS: Es gibt beim STEP zurzeit über diese konkreten Gebiete hinaus zwei weitere Stadtentwicklungsgebiete, die im Fokus der Diskussion stehen. Das sind die Ränder Wiens, Liesing im Süden und das Donaufeld und Kagran im Norden, wo sich zwar in den letzten Jahrzehnten viel entwickelt hat, aber gleichzeitig ein infrastrukturelles und verkehrsmäßiges Desaster entstanden ist.

MV: In Liesing sehe ich ein großes Entwicklungspotenzial, auch für innovative Projekte auf der „grünen Wiese“. Es wird zum Beispiel über „City-Farming“ diskutiert, die Konzepte in diesem Bereich bringen einiges an Neuerungen mit sich. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, dort etwas entstehen zu lassen, das wir in einigen Jahren stolz präsentieren können. Für das Donaufeld gibt es ein ausgezeichnetes Leitbild, das im Herbst diskutiert und präsentiert wird. Es setzt stark auf sanfte Mobilität – ein sehr modernes Mobilitätskonzept – und Grünraum. Spannend ist dort auch die Frage nach der Gestaltung der Dichte. Das Zentrum Kagran scheint jetzt unter den Zielgebieten auf, um die Verkehrssituation und die mangelnde Qualität im öffentlichen Raum zu verbessern. Es wird nicht möglich sein, alle Sünden der Vergangenheit zu reparieren, aber man wird einiges verändern können.

DS: Zum Thema Dichte und öffentlicher Raum gibt es das Vorzeigemodell Kabelwerk in Wien, das auch international wahrgenommen und akzeptiert wird. Ich halte das im Verhältnis zu anderen Stadterweiterungsgebieten für einen durchaus gelungenen Städtebau. Ich habe immer wieder gehört, dass viele Abteilungen der Stadt davor zurückschrecken, dieses doch mühsame, kooperative Verfahren noch einmal anzuwenden. Oder könnte es doch als Vorbild für weitere Projekte gelten?

MV: Ich kenne niemanden, der davor zurückschrecken würde. Das Kabelwerk hat gezeigt, wie man es macht, auch in Bezug auf das frühe Einbinden der Bevölkerung und das Konzept der kulturellen Zwischennutzung. Natürlich hatte das Kabelwerk auch den Vorteil einer hervorragenden Infrastruktur- und Nahversorgungssituation. Kooperative Verfahren bringen einiges, funktionieren aber nur bis zu einer bestimmten Größe, siehe dazu das Beispiel „Mehrwert Simmering“.

DS: Bei der Zwischennutzung geht es immer auch um die Frage der Haftung und Zulassung.

MV: Zwischennutzungen brauchen eine gewisse Rechtssicherheit für beide Seiten. Wir arbeiten an der Entwicklung von Musterverträgen für unterschiedliche Formen der Zwischennutzung: sowohl für Gemeinschaftsgärten, also City-Farming-Initiativen, als auch für temporäres Wohnen. Was noch zu entwickeln sein wird, ist die temporäre Nutzung von Geschäftslokalen. Wenn zum Beispiel die TU oder die Universität für angewandte Kunst Räume für bestimmte Lehrveranstaltungen suchen, dann sprechen wir vom Konzept einer „university in progress”. Hier braucht es schon eine gewisse rechtliche Klarheit.

DS: Wir kommen zur generellen Frage der Mobilität. Ich nenne es nicht Verkehr, ich nenne es die Mobilitätsfrage. Ich glaube, die europäischen Städte nähern sich langsam dem Kollaps. Kann sich der Individualverkehr in Zukunft überhaupt noch bewegen? Meiner Beobachtung nach passiert in französischen und spanischen Städten wesentlich mehr als in Wien, was zum Beispiel die Installierung und Bevorrechtung von Straßenbahnen betrifft. Hier scheinen die Wiener Linien ins Stocken geraten zu sein.

MV: In Wien haben wir vor allem eine Fixierung auf die U-Bahn, deren Bau jedoch sehr lange dauert und darüber hinaus mit hohen Kosten verbunden ist. Persönlich bin ich daher auch ein großer Fan der Straßenbahn. Sie kostet ein Zehntel des Geldes der U-Bahn, sie braucht ein Zehntel der Zeit, um realisiert zu werden und ist wahrscheinlich auch das, was wir in den meisten Gebieten derzeit brauchen würden.

DS: Nur der Bund zahlt nichts dazu.

MV: Richtig. Aber das eigentliche Problem ist nicht die fehlende Infrastruktur, sondern die zu langen Intervalle. Die Diskussion „U-Bahn bis ins Umland“ ist nicht notwendig, da wir mit der S-Bahn eine sehr hochwertige Schienen-Infrastruktur besitzen, die Wien zum Beispiel mit Klosterneuburg verbindet. Welchen Sinn macht es, parallel dazu unter der Erde eine zweite Schienen-Infrastruktur auszubauen? Woran wir arbeiten müssen, sind U-Bahn-würdige Intervalle für die S-Bahn, da ein wesentlicher Bestandteil des Wiener Verkehrsproblems der Pendlerverkehr aus dem Umland ist. Im Rahmen des kommenden Verkehrsdienste-Vertrags, der im nächsten Winter mit den ÖBB ausverhandelt werden muss, wird dies zu diskutieren sein. Wir haben auch schon Gespräche mit Niederösterreich begonnen, denn die Finanzierung muss von Wien und Niederösterreich gemeinsam übernommen werden. Neben dem Ausbau muss auch das Thema Autobesitz in Wien angesprochen werden. Parkplätze im öffentlichen Raum, Car-Sharing-Angebote und Stellplatz-Regulativ sind Stichworte dazu.
Unser Ziel ist es, den motorisierten Individualverkehr um ein Drittel zu reduzieren. Wie kann ich beispielsweise das Fahrrad fördern? Dies muss schon bei der Planung von neuen Siedlungen und Arealen mitbedacht werden. Muss man ein Auto besitzen, nur weil man ab und zu auch eines fahren möchte? Und wie kann ich öffentlichen Raum zurückerobern?

DS: Ein Beispiel aus Madrid: Dort wurde die Haupt-Westausfahrt Richtung Portugal auf eine einspurige Fahrbahn reduziert und alles andere für Fahrräder und Gehsteigverbreiterungen bis hin zu einem großen Park zwischen den beiden Fahrbahnen umgebaut. Ich glaube, wir müssen Verkehrsstraßen rückbauen, um öffentlichen Raum zu gewinnen.

MV: Darum geht es. Wenn jedoch in Wien über Verkehrskonzepte diskutiert wird, kommt sofort das Argument der Parkplätze. Es gibt in Wien sogar eine Bezirks-Förderung zum Rückbau von Parkplätzen an der Oberfläche, im Gegenzug dazu könnten Wohnsammelgaragen entstehen. Diese Förderung wird nur zum Teil in Anspruch genommen. Wir stecken derzeit mitten in einer Debatte, die mit der Neuverteilung nicht nur des öffentlichen Raumes, sondern und ganz besonders der Straße zu tun hat. Es werden an bestimmten Stellen Parkplätze verloren gehen, damit die Straßenbahn fahren kann und die Radwege ausgebaut werden können. Es gehen Parkplätze verloren, damit wir öffentlichen Raum gewinnen, den wir Fußgängern und anderen Nutzungen zur Verfügung stellen wollen. Ein gutes Beispiel ist die Mariahilfer Straße, die als eine verkehrsberuhigte Zone neu gestaltet werden soll. Ein Problem, mit dem wir jedoch konfrontiert sind, ist die Finanzierung und hier komme ich wieder zur Planwertabgabe.

DS: Ein Thema, das immer wieder kommt, ist die Frage der jetzigen Pflichtstellplatz- Regelung im Wohnungsbau, die 1:1 beträgt. Werden diese Garagen auch tatsächlich in vollem Umfang genutzt?

MV: Wesentlich ist, von dieser 1:1-Regelung wegzukommen und in vielen Bereichen sogar in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Vor allem dort, wo eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr vorhanden ist oder wo in naher Zukunft eine gute Dichte an Car-Sharing-Angeboten vorhanden sein wird. Einerseits wird sehr viel Geld in die Hand genommen, um Wohnsammelgaragen entstehen zu lassen, andererseits hat man in der gesamten Umgebung leer stehende, frei finanzierte Garagen, die aufgrund der Stellplatz-Verpflichtung entstanden sind. Ich habe mir anhand der Kontroverse rund um die Geblergasse im 17. Bezirk ausgerechnet, wie lange die Stadt Wien mit der Förderung, die es zurzeit für den Bau von Wohnsammelgaragen gibt, leer stehende Garagenplätze anmieten und zum Preis von monatlich 70 Euro weitervermieten könnte. Ich kam auf 50 Jahre. Die Frage ist, wie man alle diese leer stehenden Garagenplätze besser nutzen kann, um wiederum Autos von der Oberfläche wegzubekommen.

DS: Wie sind die Entwicklungspläne zur U1-Verlängerung nach Rothneusiedl bzw. zur U2-Verlängerung?

MV: Die U1-Verlängerung nach Rothneusiedl hat diesen Sommer begonnen. Wie weit man bauen wird, klärt sich in der nächsten Zeit. Das hängt davon ab, inwieweit die erforderlichen Flächen in Rothneusiedl zu bekommen und dann zu entwickeln sind. Eines ist klar: Wir werden sicher keine U-Bahn bauen, die in die grüne Wiese führt. Mit heutigem Stand fehlen wesentliche Flächen, um hier einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen.
Was die U2-Verlängerung betrifft, gibt es mehrere Varianten einer Trassenführung, deshalb gibt es noch keine definitive Entscheidung. Im Rahmen des neuen Masterplans für Verkehr muss in einer Kosten-Nutzen-Rechnung bewertet werden, wie hoch die Kosten für die unterschiedlichen Trassenvarianten sind. Die Entwicklung der entsprechenden Stadtteile bedeutet in den nächsten Jahren mehrere Tausend Menschen mehr in diesem Gebiet. Aber es ist noch nicht klar, ob am Ende jene kritische Masse erreicht werden kann, für die es sich lohnt, dorthin eine U-Bahn zu bauen. Die U2-Verlängerung ist jedenfalls mit technischen Schwierigkeiten verbunden, was zu viel höheren Kosten als ursprünglich angenommen führt.

DS: Ist auch die Verlängerung bis Südbahnhof und Sonnwendviertel fraglich?

MF: Der schwierigste Teil der Verlängerung ist der erste ab dem Karlsplatz. Dieser ist auch mit den größten Kosten verbunden. Wenn diese Schwierigkeit überwunden ist, ist die Frage, wie weit verlängert wird, zweitrangig.

DS: Im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung im Bereich Stadtentwicklung und Verkehr sollte auch das Spannungsfeld an den Stadt- und Landesgrenzen angesprochen werden. Es betrifft die Wiener Bürger genauso wie die Bürger der angrenzenden Landgemeinden. Wie können konstruktiv länderübergreifend Stadt und Land, Gemeinden und betroffene Bezirke miteinander die optimalen Lösungen und den richtigen Schlüssel für die Finanzierung finden?

MV: Ich sehe erstmals eine Bereitschaft, über einen gemeinsamen Ausbau der öffentlichen Verkehrsanbindungen zu diskutieren. Wir wollen im Rahmen der vorhandenen Institutionen, das sind im Wesentlichen die Planungsgemeinschaft Ost (PGO) und das Stadt-Umland-Management, ein gemeinsames Konzept für diese Metropolregion in Angriff nehmen. Es gibt zum Beispiel zunehmend die Einsicht, dass das Ansiedeln von Einkaufszentren und verschiedenen Gewerbegebieten just an oder jenseits der Grenze am Ende uns alle mittelfristig mit größeren Problemen konfrontiert. Allein im Korridor Mödling hat sich in den letzten zehn Jahren der motorisierte Individualverkehr verdoppelt. Es gibt auch Überlegungen zu einer Metrobus-Anbindung zwischen Wien und dem Umland. Auch die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Wien ist unumgänglich, wenn es darum geht sicherzustellen, dass Pendler das Auto möglichst am Stadtrand abstellen und nicht bis weit in die Stadt hineinfahren. Das bedeutet, Wien und das Umland brauchen eine verbindliche Ebene für Planungsentscheidungen und für die Finanzierung. Es gibt sehr wohl Partner, auch in Niederösterreich, die einen Finanzausgleich innerhalb der Regionen fordern.

DS: Wir haben heute sehr viel Neues erfahren und ich darf mich herzlich dafür bedanken.

MV: Auch ich darf mich für die Einladung bedanken und bin überzeugt, dass der Herbst Sie nicht enttäuschen wird.

[Zusammengefasst von Alexandra Viehhauser]

Hintergrund, So., 2011.12.11



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21. Oktober 2010Dietmar Steiner
Hintergrund

European Prize for Urban Public Space

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer...

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer...

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer Leistungen, sondern begleiten auch die diskursive Entwicklung der Bedeutung des öffentlichen Raums des letzten Jahrzehnts. War der erste Preis im Jahr 2000 noch von einer lokalen Jury des CCCB bestimmt, begann 2002 die kontinuierlich bis heute wachsende Kooperation mit anderen europäischen Institutionen der Architektur. Damit ist eine einzigartige und repräsentative Sicht der Entwicklung des urbanen öffentlichen Raums in Europa mit seinen Preisträgern und dem akkumulierten Archiv gewährleistet. Ich versuche nun aus der Sicht eines Jurymitglieds seit 2002 die Entwicklung des Preises und des Engagements des CCCB als Widerspiegelung und Konzentrat der europäischen Debatte zu kommentieren.

Zunächst gibt es begründet keine andere europäische Stadt, die eine mit Barcelona vergleichbare Kompetenz als Diskursort für den öffentlichen Raum aufweisen könnte. Denn das heute legendäre Programm der öffentlichen Plätze der 1980er Jahre, von renommierten Architekten und Künstlern gestaltet, war für Barcelona nach der politischen Blockade der Franco-Zeit ein urbanistischer Befreiungsschlag, der weltweit über die Architekturdebatte hinaus für Aufsehen sorgte. Was lag also näher als – mit dieser Kompetenz ausgestattet – einen europäischen Preis für Urban Public Space vom CCCB, jene einzigartige Institution, die sich einer umfassenden kulturellen und intellektuellen Entwicklung verpflichtet fühlt, zu erfinden und auszuloben. Angesichts der eingesandten Projekte stellten sich für die Jurien aber immer und bis heute eine Reihe von inhaltlichen Fragen. Was ist der öffentliche urbane Raum im neuen Jahrtausend? Ist er nicht längst in den medialen Raum der Internet-Communities entschwunden? Wird der öffentliche urbane Raum im realen Leben nicht zunehmend privatisiert? Und wird der noch vorhandene öffentliche Raum nicht von immer mehr Regeln und Verhaltensvorschriften politisch domestiziert und diszipliniert?

Dabei vergessen wir gerne, dass der urbane öffentliche Raum – als Public Space der angelsächsischen Terminologie – erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als generalisierender Typus definiert wurde. Davor enthielt die Terminologie der Stadtplanung in Europa nur die Begriffe von Straßen und Plätzen, von Grünräumen und Spielräumen. Es ging ganz einfach um die vom Brandschutz und der Belichtung verordneten nötigen Abstandsflächen zwischen den Gebäuden. War der öffentliche Raum aber als „gestaltet“ gedacht und geplant, dann diente er der Repräsentation fürstlicher, faschistischer, kommunistischer, jedenfalls herrschaftlicher Macht, intendierte die Absicht, durch Gestaltung eine Lenkung und Kontrolle des Verhaltens der Benutzung herbeizuführen. Erst die demokratischen Reformen ab der Mitte des 19. Jahrhundert eröffneten den Begriff eines öffentlichen Raums „für alle“, der „alltäglichen Öffentlichkeiten“. Aber auch dieser war wieder mit soziologisch bestimmten, also politischen Ritualen belegt und definiert.

Ich wage daher die These, dass es den für alle Menschen offenen, für alle Aktionen und Repräsentationen des Öffentlichen freien urbanen Raum niemals gab und geben wird. Denn jeder öffentliche Raum, und wir sehen dies heute deutlich in den „sozialen Räumen“ des Internet, ist von Ritualen der Benutzung bestimmt, die immer Verhaltensregeln, Zugangsbeschränkungen und Ausschließungen beinhalten. Manuel Solà-Morales hat dies in einer der Jurien sehr klar und lapidar formuliert: Jedes Fußball-Stadion ist privat, dennoch empfinden alle Nutzer, die sogar für den Eintritt bezahlen, die Anteilnahme an dieser Veranstaltung als Nutzung eines öffentlichen Raums. Es spielt also in der Realität keine Rolle, ob sich der urbane öffentliche Raum unter öffentlicher oder privater Verwaltung befindet, ob er als realer oder virtueller Raum existiert. Jeder Zugang, jede Tätigkeit in diesem Raum bedarf einer „politischen Verhandlung“. Die von linken TheoretikerInnen beförderte Anklage der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums, Stichwort: vom öffentlichen Platz zur privaten Shopping-Mall, hält der Realität nicht stand. So sitze ich in einer Shopping- Mall in Barcelona in einem Restaurant, dieses geöffnet zu einem öffentlichen privaten Platz, bestelle nur ein Bier, und verbringe ein Stunde mit der Lektüre eines Buches, unbelästigt. So spaziere ich den öffentlichen Raum des Paseo de Gracia entlang, bis plötzlich von martialisch aussehenden öffentlichen Sicherheitskräften der Gehsteig abgeriegelt ist, weil eine kleine Demonstration stattfindet. Schlussfolgerung: Die öffentliche Benutzung des öffentlichen Raums ist nicht eine Frage der abstrakten Besitzverhältnisse, sondern immer eine Frage der Ausübung der Macht über diesen Raum.

Mit dieser Frage einer heutigen Definition des urbanen öffentlichen Raums waren wir in jeder Jury des letzten Jahrzehnts konfrontiert. Ist nur dann ein öffentlicher Raum gegeben, wenn er als offene Fläche unter freiem Himmel ausgebildet ist, oder können auch Gebäude öffentlicher Raum sein? Schon der legendäre Nolli-Plan Roms von 1748 erklärt in seiner Grafik, dass sich öffentliche Flächen von Straßen und Plätzen in die Innenräume von öffentlichen Gebäuden erstrecken. Ist eine Markthalle, eine Kirche, eine Shopping-Mall heute öffentlicher Raum? Eine besonders pikante Begründung fand der Juryvorsitzende Rafael Moneo für den Preis der Oper in Oslo 2010: Der hier gebotene öffentliche Raum auf dem Dach und im Umfeld des Gebäudes ist eine derartige Bereicherung für den urbanen Raum von Oslo, dass die Bedeutung des Gebäudes darunter keine Rolle spielt. Und welchen Wert messen wir Projekten bei, die sich als Kunst- oder Architekturprojekte mit ephemeren und temporären Projekten der Thematisierung des öffentlichen Raums widmen? Jawohl, diese Projekte wurden in den letzen Jahren immer wichtiger. Was sich hier meist als partizipatorische Kunstprojekte darstellt, ist der Ausdruck einer zunehmenden Verunsicherung über allgemein gültige Rituale der Benutzung des öffentlichen Raums einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. So deutet sich in dieser künstlerischen Avantgarde an, dass die Zukunft der Benutzung des öffentlichen Raums wohl überwiegend nur mehr „moderiert“ gesehen werden kann. Dann werden wohl die Rituale der Macht mit den Ritualen der Aneignung des Raums ebenfalls in einen andauernden politischen Diskurs münden. Auf der anderen Seite der formale Mainstream: Die derzeit üblichen Elemente der Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums sind Bodenlampen und dramatische Lichtkonzepte, informelle Wasserflächen mit oft interaktiven Fontänen zur belustigenden Bewässerung von spielenden Kindern, Bänke und Sitzmöglichkeiten und die ornamentale Gestaltung der Bodenflächen durch Muster und Materialien. Entscheidend ist aber nicht, wie „schön“ der neue öffentliche Raum geworden ist, sondern ob er eine Geschichte erzählt, die einen Beitrag zur Identität des Ortes leisten kann.

Und manchmal, konfrontiert mit den Bildern des Zustands vorher und denen nach der neuen Gestaltung, wäre es auch besser gewesen, ganz einfach nichts zu tun. Der urbane öffentliche Raum ist eine „soziale Plastik“, ein politischer Verhandlungsraum. Das ist der „Text“, der den Diskurs der Jury jenseits der präsentierten „Bilder“ begleitet.

Hintergrund, Do., 2010.10.21



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30. August 2010Dietmar Steiner
Der Standard

Wie Österreich in Venedig die Zukunft verbaut

Und dabei noch nicht einmal in der Gegenwart angekommen ist: Anmerkungen zur „peinlich-retrospektiven“ Austro-Präsenz auf der Architektur-Biennale 2010.

Und dabei noch nicht einmal in der Gegenwart angekommen ist: Anmerkungen zur „peinlich-retrospektiven“ Austro-Präsenz auf der Architektur-Biennale 2010.

Im Gegensatz zur Biennale der bildenden Kunst in Venedig hat die Biennale der Architektur eine kurze Geschichte. Nach einer Reihe kleinerer Architekturausstellungen in den 1970er-Jahren gab es 1980 einen fulminanten Beginn mit dem von Paolo Portoghesi formulierten Motto: „La presenza del passato“ („Die Gegenwart der Vergangenheit“). Auserwählte Architekten gestalteten in der Corderie dell'Arsenale die sogenannte „Strada Novissima“, individuelle Fassaden einer imaginären Stadt. Dieses Manifest der Postmoderne inthronisierte auch den Begriff des „Star-Architekten“.

Heute, dreißig Jahre später, wird mit der von der japanischen Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima kuratierten Architektur-Biennale die Epoche der Star-Architekten des letzten Jahrhunderts ebenso fulminant beendet. Dreißig Jahre lang herrschte grosso modo das Vertrauen, dass es nur einzelner genialer Star-Architekten bedarf, um die Entwicklung der Architektur zu befördern. Der globale Jahrmarkt der architektonischen Spektakel-Industrie erzeugte immer mehr selbstreferenzielle solitäre Objekte, deren Zweck einzig die Demonstration wirtschaftlicher (Mercedes, BMW, Porsche) oder politischer Macht (China, Golfstaaten, Kasachstan ...) war. Es häuften sich weltweit Museen, deren Architekten sogar stolz darauf waren, dass man in ihnen nicht ausstellen konnte. Schwindelerregende Monumente, die im Regelfall das Dreifache der veranschlagten Kosten verursachten. Ignorant wurde jeder Bezug zu einem Ort und zur urbanen Situation als das eigene kreative Ego störend ausgeblendet. Seit rund zehn Jahren aber schwelt unter diesem medial beschleunigten Hype in der internationalen Debatte der Architektur ein zunehmendes Unbehagen. Gegen diese „Top-down“-Strategie entwickelte sich weltweit eine neue „Bottom-up“-Architektur, die mit zum Teil „armen Materialien“ lokale Traditionen und Bezüge wieder aufnahm, sich wieder mit den elementaren Aufgaben der Architektur, mit Stimmungen, Atmosphären, Empfindungen experimentell und neugierig auseinandersetzte. Aber auch die Wiederverwendung und Umnutzung des Vorhandenen, die Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung, die soziale und ökologische Verantwortung der Architektur rückte in den Vordergrund. Mag sein, dass diese Architektur arm, bescheiden, gebastelt, spontan und ja, sogar schmutzig ist. Dafür ist sie wieder in der Welt angekommen, am konkreten Ort, ist wieder ein „Lebensmittel“ geworden.

Genau dieser Entwicklung hat nun Sejima erstmals in Venedig Raum gegeben. Und ein großes Durchatmen war an den Eröffnungstagen der Architektur-Biennale in der Corderie zu verspüren. Ein Paradigmenwechsel der Weltarchitektur ist damit verkündet. Und überraschenderweise dokumentiert sich dieser erfrischend neue Geist auch in vielen Länderbeiträgen und wurde mit der Verleihung der Preise durch die Jury zusätzlich bestätigt (vgl. S. 15). Selbst Star-Architekt Rem Koolhaas hat diese Entwicklung erkannt und präsentiert in Venedig eine intelligent-kritische Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz.

Die einzige Ausnahme bildet hier der diesjährige Österreich-Beitrag, der genüsslich den alten Zeiten des Ego-Kitsches huldigt. Unsere Kulturministerin glaubte sich höchst global liberal, indem sie persönlich einen Architekten aus Los Angeles zum Kommissär ernannte, einen Blick von außen auf Österreich erwartend. Dieser, Eric Owen Moss, hat, no na, nun auch für Österreich festgestellt, was ohnehin seit Jahrzehnten weltweit selbstverständliche Praxis ist: dass ausländische Architekten in einem Gastland aktiv sind und umgekehrt. Wenn man dazu noch die Achse vom Southern California Institute of Architecture, wo Moss Direktor ist, zum Wiener Stubenring kennt, wurden alle Erwartungen erfüllt.

Bekommen hat unsere Kulturministerin folgerichtig vorhersehbar eine provinziell peinliche Retrospektive gestriger Architektur, bei der selbst die auserwählten Architekten und Architektinnen bloß zur Illustration einer egomanisch brutal-banalen Installation missbraucht wurden. Dass dafür auch noch das dreifache Budget vorhergehender Österreich-Beiträge verbrannt wurde, ist diesem alten System immanent. - Man kann den Beitrag aber auch hintergründiger und positiver interpretieren: Österreich bietet heuer großzügig ein konzentriertes Archiv der vergangenen Architektur-Biennalen in Venedig: „La presenza del passato“.

Der Standard, Mo., 2010.08.30

02. Februar 2010Dietmar Steiner
Hintergrund

Warum Balkan?

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung...

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung...

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung durch einen hemmungslosen Früh- Kapitalismus die Länder Südosteuropas auch als Labor einer neuen und hungrigen Architektur präsentieren. Nur hier ist der „alte Kontinent Europa“ jung und dynamisch. Und ich stellte mit zunehmender Beschäftigung mit dem Balkan fest, wie ignorant und ahnungslos wir in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs gegenüber den intellektuellen und architektonischen Leistungen dieser Region Europas waren und auch heute noch sind. Gleichzeitig wissen wir inzwischen, dass die architektonischen und künstlerischen Leistungen des Balkans – ja des ganzen ehemaligen Ostblocks – denen von Westeuropa im 20. Jahrhundert durchwegs ebenbürtig waren. Die Grenzen der politischen Systeme hinderten die Ideen und Konzepte der Architektur und des Städtebaus nicht daran, in beiden Lagern wirksam zu sein. Sträflich nachlässig war nur die internationale mediale Aufmerksamkeit dafür.

Osteuropa und der Balkan wurden in der Architekturgeschichte und -kritik der westeuropäisch-nordamerikanischen medialen Hegemonie einfach nur marginal wahrgenommen. Ja, es gab einige Blitzlichter: des Otto Wagners-Schülers Josef Plecˇ nik urbanistische und architektonische Visionen für Slowenien – von der Postmoderne wiederentdeckt. Die Moderne in Bukarest aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – schon vor vielen Jahren mit einer Ausstellung im Westen gewürdigt. Kenzo Tanges Plan für den Wiederaufbau von Skopje nach dem Erdbeben von 1963 – weitgehend vergessen. Die radikal modernistischen jugoslawischen Stadtplanungen für Neu-Belgrad und Neu-Zagreb – im Zuge der Verteufelung der europäischen Peripherie ignoriert. Und Bogdan Bogdanovic´s Denkmäler und Monumente selbstverständlich, als einzigartige Landmarks einer surrealistischen Architektur – immer noch zu wenig bekannt. Dies sind nur einige diskursive Momente in der noch immer unentdeckten rezenten Architekturgeschichte dieser europäischen Region.

Das Westeuropa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die touristischen Angebote des Balkans konsumiert. Die kroatische Adria, die bulgarische Schwarzmeerküste, die rumänischen Bärenjagden. Mehr wollten wir früher von Südosteuropa nicht wissen. Seit nunmehr 20 Jahren gehören diese Länder auch politisch wieder zum gesamteuropäischen Kulturraum, und die wirtschaftliche Verflechtung ist evident, im Guten wie im Schlechten. Natürlich sind die zivilgesellschaftlichen Institutionen und Instrumente noch lange nicht genügend entwickelt. Misstrauen und Apathie der Bevölkerung gegenüber jedweder politischen Repräsentanz sind bestimmend. Noch Jahrzehnte werden die südosteuropäischen Länder mit jeweils Warum Balkan? Dietmar Steiner Übrigens … unterschiedlicher Intensität als „Übergangsgesellschaften“ bezeichnet werden müssen. Es gibt Szenarien, die beispielsweise dem EU-Mitglied Rumänien erst in 80 Jahren einen mit Westeuropa vergleichbaren Standard prophezeien. Misswirtschaft, Korruption, unsichere und unklare legistische Rahmenbedingungen, politische Willkür, all das wird noch lange vorhanden und bestimmend sein. Dies bietet aber keinen Grund für westeuropäische Arroganz, wo vielleicht nur die Mechanismen subtiler, die Manöver versteckter sind. Aber die politwirtschaftlichen Desaster von Ländern wie Kärnten und Griechenland heute beweisen, dass die Zustände am Balkan nicht kausal mit deren kommunistischer Vergangenheiten verbunden werden können. Dies alles soll uns nicht daran hindern, diesen europäischen Raum in seiner ganzen Vielfalt zu entdecken. Eine Vielfalt im urbanistischen, landschaftlichen und kulturellen Sinn, die aber in ihrer politischen Dimension eine enorme Zerrissenheit beinhaltet. Überall am Balkan erleben wir einen oftmals absurd und aussichtslos scheinenden Prozess der Suche nach nationalen Identitäten, der mit den Jugoslawien-Kriegen keineswegs beendet ist. Dazu muss man immer wieder die territoriale Geschichte des Balkans zu Rate ziehen, um die heutigen Verwirrungen zu verstehen. Die unklaren Grenzen der südosteuropäischen Ethnien waren immer schon vorhanden, nur überdeckt vom Habsburger-Reich und der osmanischen Herrschaft – und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Kommunismus.

Der Balkan, Südosteuropa, wird in Zukunft die größte politische Herausforde- rung der Europäischen Gemeinschaft sein. Immerhin haben wir es hier mit rund 65 Millionen Menschen (ohne Istanbul) zu tun, eine Zahl, die ziemlich genau der Population von Frankreich entspricht, aber aufgeteilt in derzeit 10–11 (Kosovo) Staaten. Zählt man Österreich (aus kulturellen Gründen) und Ungarn (aufgrund der ethnischen Verflechtungen mit Rumänien) auch noch zu Südosteuropa, zum Balkan, dann summiert sich die Bevölkerungszahl auf 83,5 Millionen, womit auch Deutschland (82 Millionen) als größtes Land der EU von diesem gemeinsamen Kulturraum überholt wäre. Der Balkan, was immer das ist, könnte so eine führende Rolle im kommenden Europa spielen.

Und das ist nicht zynisch gemeint. Denn unentdeckt ist, trotz der Literaturnobelpreise an Ivo Andric´ und nun an Herta Müller die reiche kulturelle Tiefe dieser Region, das enorm hohe intellektuelle und künstlerische Potential, das sich selbst unter kommunistischer Herrschaft entwickeln konnte und auch heute noch vorhanden ist. Ja, wir können lernen von der multikulturellen Vielfalt, auch wenn sie selbst in der Region nicht als Chance erkannt wird, sondern in Abgrenzungsritualen für die Konstruktion von fiktiven Identitäten verwendet wird. Und ja, wir müssen uns einlassen und beschäftigen mit der Geschichte von Kyrill und Method, mit Alexander dem Großen und mit der osmanischen Kultur in diesem unserem Europa. All das mag uns heute noch genauso fremd sein wie der rationale Protestantismus Skandinaviens oder die Stierkämpfe Spaniens, aber es ist unsere Realität.

Nach nun jahrelanger Beschäftigung mit dem Balkan, nach vielen Besuchen, Begegnungen, Gesprächen und Freundschaften ist mir die Besonderheit ebenso wie die räumliche Nähe und kulturelle Verbundenheit bewusst geworden. Es mag sein, dass sich der alpine Westen Österreichs noch einer „Alpenfestung“, die bis Grenoble reicht, zugehörig fühlt. Der Rest des Landes hingegen, entlang des Weges der Donau bis zum Delta im Schwarzen Meer, mit „Wien als Zentrum und Metropole des Ostens“ (Haim Harari) und auch von Graz in den Süden, hat eine starke emotionale und kulturelle Verbindung mit dem Südosten Europas, die auf Gegenseitigkeit beruht.

Was also können wir nun vom Balkan lernen? Dank des ausgezeichneten Architekturmagazins „Oris“ aus Zagreb und vieler anderer Kanäle der Information wissen wir inzwischen, dass die junge Architektur Südosteuropas, vor allem jene Sloweniens und Kroatiens, mit hervorragenden Beispielen aufwarten kann. Aber generell genauer zu betrachten sind die Strategien der neuen Urbanisierung, die unter den Stichworten „Balkanology“ oder „Balkanization“ an Gewicht gewinnen. Sie erlauben es, unsere westeuropäischen Strategien grundsätzlich zu überdenken.

Ich behaupte jetzt nicht, dass der Prozess eines weitgehend regellosen informellen Bauens, wie er sich am Balkan realisiert, ein anzustrebendes urbanistisches Ideal wäre. Lernen können wir nicht von der hemmungslosen Spekulation – die haben wir in verdeckter Form auch. Lernen können wir nicht von der brutalen Durchsetzung privater Investoren-Interessen zu Lasten des öffentlichen Raumes und gemeinwirtschaftlicher Anliegen – das ist auch in Westeuropa nicht unbekannt. Aber lernen können wir von den Abwehrstrategien der vielen Bottom-up-Initiativen, die Widerstand leisten und generell die „Gestaltung der Stadt“ zu einer Sache der politischen Verhandlung mit der betroffenen Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern erklären. Denn es ist eine reale Tatsache: Die wilden neuen Ränder der Städte am Balkan unterscheiden sich in ihrer gebauten Ungestalt absolut nicht von der angeblich geplanten Stadtentwicklung – in Wien- Donaustadt beispielsweise …

Hintergrund, Di., 2010.02.02



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08. Januar 2010Dietmar Steiner
Bauwelt

Wie die Bauwelt jetzt ist...

Der Direktor des Architekturzentrums Wien hat uns, als erster darum gebeten, zum hundertsten Geburtstag der Bauwelt einen Text ganz ohne Anekdotisches oder Sentimentales geschickt, dafür aber mit allerlei kleinen Haken und Ösen. Das beginnt eigentlich schon beim Titel, wenn sich statt des betulichen „heute“ das aggressive „jetzt“ nach vorne drängelt.

Der Direktor des Architekturzentrums Wien hat uns, als erster darum gebeten, zum hundertsten Geburtstag der Bauwelt einen Text ganz ohne Anekdotisches oder Sentimentales geschickt, dafür aber mit allerlei kleinen Haken und Ösen. Das beginnt eigentlich schon beim Titel, wenn sich statt des betulichen „heute“ das aggressive „jetzt“ nach vorne drängelt.

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Bauwelt 2010|01-02 Das Bild des Architekten

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Artikel 12

31. Dezember 2016Wojciech Czaja
Der Standard

Indianer, Fatalist und Rebell

23 Jahre lang war Dietmar Steiner Direktor des Architekturzentrums Wien. Heute, Samstag, tritt der Gründer der weltweit renommierten Institution zurück. Über rasante Züge, explosiven Lehm und die Wichtigkeit von Guerilla.

23 Jahre lang war Dietmar Steiner Direktor des Architekturzentrums Wien. Heute, Samstag, tritt der Gründer der weltweit renommierten Institution zurück. Über rasante Züge, explosiven Lehm und die Wichtigkeit von Guerilla.

Standard: Heute ist Ihr letzter Arbeitstag. Wie geht es Ihnen?

Steiner: Ab morgen bin ich in Pension. Ein eigenartiges Gefühl. Ich muss zugeben, dass ich im Zuge des Abschiednehmens ein paar schlaflose Nächte hatte.

Standard: Warum gerade jetzt?

Steiner: Ich hatte 2014 einen medizinisch geforderten neuen Lebensbeginn. Da wurde mir klar, dass ich mein bisheriges Leben zu beenden hatte. Nun habe ich das juristische Pensionsalter erreicht, und damit ist es Zeit, meinen Sessel zu räumen. Danke, es war sehr schön und hat mich sehr gefreut!

Standard: Nach 23 Jahren Architekturzentrum Wien (AzW): Was ist hängengeblieben?

Steiner: Ein unglaubliches Glück, dass dieser Job und meine Person sich gefunden haben. Ich bin wirklich dankbar dafür, dass mir damals die Chance geboten wurde, dieses Haus zu gründen und ein Wissenszentrum zu etablieren, das mittlerweile international bekannt und reputiert ist.

Standard: Auf welche Erfolge blicken Sie zurück?

Steiner: Wir haben eine umfangreiche Sammlung und ein fundiertes Archiv aufgebaut. Und wir haben es geschafft, das AzW als internationales Podium für zeitgenössische Architektur zu etablieren. Die Indianer haben gesagt: Du kannst eh nichts anderes tun, als einfach nur dein Ohr auf die Schienen zu legen und möglichst früh den herannahenden Zug zu hören. Zwei Ausstellungen, die Furore gemacht und einen wertvollen Beitrag zur Kultur- und Architekturszene geleistet haben, waren Rural Studio und Sowjetmoderne . Mit der Präsentation des Rural Studio (2004) aus Alabama haben wir die sozial engagierte Design-Build-Bewegung angestoßen. Sowjetmoderne (2013) war ein umfangreiches Forschungsprojekt zur Moderne in den ehemaligen Sowjetrepubliken zwischen 1955 und 1991. Diese Ausstellung hat die Wiederentdeckung des Brutalismus befördert.

Standard: Und auf welche Misserfolge blicken Sie zurück?

Steiner: Generell nicht genügend Kenntnisse über Architektur und Stadtplanung vermittelt zu haben. Der Diskurs ist hierzulande noch immer nicht sachlich begründet.

Standard: Österreichische Architektur 1993 und heute: Was hat sich in dieser Zeit verändert?

Steiner: In den 1990ern gab es eine Aufbruchstimmung. Mit Helmut Zilk, Ursula Pasterk und Hannes Swoboda gab es in Wien drei Politiker, die extrem architekturaffin waren und diese Kultur auch gefördert haben. Österreichische Architektur hatte damals ein sehr gutes Standing. International gesehen war das eine Marke! Diese Qualität ist – auch mangels politischen Engagements – verlorengegangen. Heute ist österreichische Architektur nicht besser oder schlechter als anderswo. Pionierarbeit allerdings findet anderswo statt: in der Schweiz, in Deutschland und Flandern, wo es eine bemerkenswerte Architekturpolitik gibt.

Standard: Das klingt traurig für Österreich.

Steiner: Ist es auch. Ich orte eine zunehmende Respektlosigkeit gegenüber der architektonischen Arbeit. Man verlangt immer mehr für immer weniger Geld. Und die Architekten sagen Ja, weil der Konkurrenzdruck ganz enorm geworden ist.

Standard: Wo stehen wir heute?

Steiner: Die Architektur hat viele Kompetenzen abgegeben und an Techniker, Manager, Bauingenieure und Generalplaner verloren. Nun wäre sie gefordert, diese Felder wieder zurückzuerobern.

Standard: Wird das gelingen?

Steiner: Ich fürchte, Diversifizierung und Technisierung werden weiter zunehmen. Schuld daran sind das immer strenger werdende Kosten- und Zeitmanagement, das die Immobilienwirtschaft vorschreibt, das neue Planungsinstrument Building Information Modeling (BIM) sowie immer schärfere Vorschriften und Planungsrichtlinien. Wer heute Architektur macht, muss von Jus und Wirtschaft mehr Ahnung haben als vom Bauen. Mit Architektur im klassischen Sinne hat das alles bald nicht mehr viel zu tun.

Standard: Was tun?

Steiner: Ich bin Fatalist. Das einzig positive Symbol für mich ist Lehm. Das ist das älteste, archaischste und in gewissen Teilen der Welt am weitesten verbreitete Baumaterial mit der größten globalpolitischen Sprengkraft. Lehmbau, Bottom-up-Projekte und Guerilla-Strömungen sind eine sehr wertvolle und auch dringend benötigte Gegenbewegung zur Technokratisierung und Vereinheitlichung. Rebellen gegen das Imperium: Bitte mehr davon!

Standard: In Ihrem 400-Seiten-Wälzer „Steiner’s Diary“, den Sie sich jüngst von der Seele geschrieben haben, verschriftlichen Sie die Architekturgeschichte von fast sechs Jahrzehnten. Haben Sie eine Lieblingsepoche?

Steiner: Die intensive Theoriedebatte der 1970er-Jahre war schon etwas sehr Besonderes. Das gab es in diesem Ausmaß nie wieder und ist auch nicht mehr rekonstruierbar. Nicht von ungefähr werde ich oft mit einem meiner wohl häufigsten Sätze zitiert: „Das hamma schon in den Siebzigerjahren gemacht.“

Standard: Einer Ihrer berühmtesten Texte, der auch im Buch zu finden ist, trägt den Titel „Von Huren und Heiligen. Thesen zur Praxis zukünftiger Architektur“. Wer von beiden hat denn heute das Sagen?

Steiner: 1992 hat der Text viele aufgeregt. Er handelt davon, dass man als angehender Architekt auf der Uni als Heiliger ausgebildet wird, während man im Berufsleben die schmerzhafte Erfahrung macht, eine Hure geworden zu sein. Es gibt Ausnahmen. Und diese Ausnahmen sind meist nicht einmal gute Architekten, sondern in erster Linie gute Strategen, die die Medien- und Marketingklaviatur perfekt beherrschen.

Standard: Seit zehn Jahren setzen Sie sich für die Gründung eines österreichischen Architekturmuseums ein. Bislang vergeblich. Woran scheitert es?

Steiner: Das AzW ist bereits ein Architekturmuseum und wird auch weltweit als solches anerkannt. Das ist endlich auch politisch zur Kenntnis zu nehmen.

Standard: Das klang schon mal feuriger. Sie haben sich lange Zeit dezidiert für ein Architekturmuseum im Semperdepot ausgesprochen, weil das AzW diese Aufgaben nicht abdecken könne. Sind diese Pläne nun ad acta gelegt?

Steiner: Vor zehn Jahren gab es ein historisches Zeitfenster, wo das möglich gewesen wäre. Doch aktuell stehen in der Universität der bildenden Künste, die ja Mieterin des Semperdepots ist, so viele Umbauten und Renovierungen an, dass an ein Architekturmuseum mittelfristig nicht zu denken ist. Ich kann nur sagen: Das wäre das schönste Architekturmuseum der Welt.

Standard: Ihre Nachfolgerin ist die Kulturtheoretikerin Angelika Fitz. Über welchen frischen Wind durch die neue Direktorin würden Sie sich besonders freuen?

Steiner: Diese Frage zu beantworten wäre falsch. Ich habe mich über die Ernennung von Angelika Fitz riesig gefreut. Sie ist sehr kompetent und kann selbst entscheiden, welche neuen Impulse dem AzW guttun werden. Ich muss und will mich überraschen lassen. Einzumischen habe ich mich nicht mehr.

Standard: Wird das gelingen? Sie sind ja doch jemand, der regelmäßig Kommentare und offene Briefe schreibt und das aktuelle Geschehen in diversen Medien und Kanälen kommentiert.

Steiner: Wenn die Architektur in Bedrängnis kommt, werde ich sie immer verteidigen.

Standard: Vor kurzem ist Andrea Maria Dusls „Zeitreisen: Ein Film über Dietmar Steiner“ erschienen. Im Vorspann hört man Sie auf einer Tastatur tippen. Ein Ausblick auf Ihre Zukunft?

Steiner: Ich werde mich aus Wien zurückziehen und möchte in den kommenden Monaten mein Archiv und meine Bibliothek ordnen. Ich brauche eine Pause von der zeitgenössischen Architekturproduktion. Ich will Zeit zum Nachdenken haben. Das Tippen wird später wiederkommen.

Standard: Der 31. Dezember 2016 ist nicht nur Ihr letzter Arbeitstag, sondern auch Ihr 65. Geburtstag. Gibt es einen Geburtstagswunsch?

Steiner: Nein. Ich bin so ziemlich wunschlos glücklich. Um bei der Metapher des Films zu bleiben: Ich habe in meinem Leben einen Stein ins Wasser geworfen. Und dieser Stein hat hoffentlich ein paar Wellen bewirkt.

26. November 2016Wojciech Czaja
Der Standard

Ich bin ver­narrt in ro­te Per­ser­tep­pi­che

Diet­mar Stei­ner, Di­rek­tor des Ar­chi­tek­tur­zen­trums Wien, wohnt in ei­nem Vier­kan­ter in Nie­de­rös­ter­reich, bei des­sen Um­bau Blut und Schweiß ge­ron­nen sind. Re­sul­tat von 20 Jah­ren Bau­stel­le: ein ar­chi­tek­tur­frei­er Raum.

Diet­mar Stei­ner, Di­rek­tor des Ar­chi­tek­tur­zen­trums Wien, wohnt in ei­nem Vier­kan­ter in Nie­de­rös­ter­reich, bei des­sen Um­bau Blut und Schweiß ge­ron­nen sind. Re­sul­tat von 20 Jah­ren Bau­stel­le: ein ar­chi­tek­tur­frei­er Raum.

Diet­mar Stei­ner, geb. 1951 in Wels, stu­dier­te Ar­chi­tek­tur an der Aka­de­mie der bil­den­den Kün­ste in Wien. Er war lang­jäh­ri­ger Mit­ar­bei­ter Fried­rich Ach­leit­ners und Re­dak­teur des in­ter­na­tio­na­len De­si­gnma­ga­zins Do­mus in Mai­land. 1993 grün­de­te er das Ar­chi­tek­tur­zen­trum Wien (AzW) im Mu­se­ums­quar­tier, das er seit­dem als Di­rek­tor lei­tet. Mit En­de De­zem­ber geht er in Pen­si­on. Sei­ne Nach­folg­erin ist An­ge­li­ka Fitz. So­eben er­schien sein Buch Stei­ner’s Dia­ry (Park Books) so­wie An­drea Ma­ria Dusls Do­ku­men­ta­ti­on Zeit­rei­sen: Ein Film über Diet­mar Stei­ner.

Das Haus war ei­ne Rui­ne, ein hoff­nungs­lo­ser Fall. Aber zu­rück zum An­fang. Dass ich mich über­haupt nach ei­nem Haus auf dem Land um­ge­schaut ha­be, hat­te ei­nen sehr ein­fa­chen Grund: Ar­beits­tie­re, die wir sind, ha­ben mei­ne Frau Mar­ga­re­te Cu­fer und ich in da­mals 20 Jah­ren nur zwei­mal Ur­laub ge­macht. Das ist nicht viel. Ei­nes Ta­ges ha­be ich dann ge­sagt: „Wir ar­bei­ten das gan­ze Jahr durch. Ich glaub, wir brau­chen ein Stückl nas­ses Gras, das uns zwingt ab­zu­schal­ten!“

Ei­gent­lich woll­te ich ins Mühl­vier­tel, da­hin, wo es kalt und ne­be­lig ist, das war aber doch zu weit weg von Wien. Ei­nes Ta­ges bin ich dann auf ein In­se­rat ge­sto­ßen: „Alt, aber schön ge­le­gen.“ Da wuss­te ich, dass es sich um ei­ne Bruch­bu­de han­delt. Aber da­für hat es nur 400.000 Schil­ling ge­kos­tet. Frü­her war das ein Vier­kan­ter, ir­gend­ein Vor­be­sit­zer hat die Süd­sei­te in die Wie­se run­ter­ge­bag­gert, weil sie nicht mehr zu ret­ten war. Da­her se­hen wir an kla­ren Ta­gen Dach­stein, Trauns­tein, das gan­ze be­ste Stück des Al­pen­pa­no­ra­mas.

Ei­gent­lich woll­te ich nur das Not­wen­digs­te her­rich­ten, ein bissl was ma­chen, da­mit ein Teil des Hau­ses be­wohn­bar ist. Doch dann ist das Pro­jekt zur ewi­gen Bau­stel­le aus­ge­ar­tet. Das Geld hat sich im Lau­fe der Jah­re ver­dün­ni­siert, und ir­gend­wann war ich al­len Gul­den- und Fran­ken­kre­di­ten zum Trotz so ziem­lich am Exis­tenz­mi­ni­mum – auch des­halb, weil ich wahr­schein­lich der dümm­ste Ös­ter­rei­cher bin und al­les mit Pro­fes­sio­nis­ten – oh­ne ei­ne ein­zi­ge Pfu­schers­tun­de – rea­li­siert ha­be.

Wir ha­ben Zwi­schen­de­cken raus­ge­ris­sen, ei­ne klei­ne Ga­le­rie ein­ge­zo­gen, die gan­ze Elek­trik neu ge­macht, die Hei­zung in­stal­liert, Kü­che und Bad ge­macht, neue Kas­ten­fens­ter ein­ge­baut und das Dach sa­niert. Im er­sten Win­ter, als das al­les hier Bau­stel­le war, muss­ten wir noch mit Strom hei­zen, da­mit nichts ein­friert. Ir­gend­wann hat mich die EVN an­ge­ru­fen und ge­meint: „Wir ha­ben da wohl ei­nen Re­chen­feh­ler. Ih­re Strom­kos­ten be­tra­gen 40.000 Schil­ling!“

In die­sen Um­bau sind buch­stä­blich Blut und Schweiß ge­ron­nen. Ein­mal bin ich von vier Me­tern von der Lei­ter run­ter­ge­fal­len, di­rekt auf den Be­ton­bo­den. Über­all war Blut. Ich hab mir ei­ne Tschick an­ge­zün­det, und ir­gend­wann sind wir ins Kran­ken­haus ge­fah­ren. Trotz­dem muss ich sa­gen: Die­se ewig lan­ge Bau­stel­le hat mein Le­ben ge­ret­tet. Oh­ne die­sen al­ter­na­ti­ven Ort hät­te ich die letz­ten 20 Jah­re mei­nes Le­bens nicht der­packt. Er ist Fit­nesss­tu­dio und Psy­cho­the­ra­pie zu­gleich.

Das Re­sul­tat nach 20 Jah­ren Bau­stel­le ent­spricht mei­ner Ar­chi­tek­tur­phi­lo­so­phie der Bri­co­la­ge. Zu­fäl­li­ges und Stö­ren­des wird wohl­wol­lend mit­ein­an­der kom­bi­niert: So­fas, Ti­sche, Stüh­le, Fau­teu­ils, Kastln und Lam­pen al­ler Epo­chen und Cou­leurs. Wir ha­ben vie­le De­signk­las­si­ker aus dem 20. Jahr­hun­dert – von Jo­sef Frank über Her­mann Czech und Adolf Kri­scha­nitz bis zu Je­an Nou­vel, Phi­lip­pe Starck und Ja­sper Mor­ri­son. Man­che Be­su­cher fra­gen: „Sagts mal, könnts ihr euch kei­ne ein­heit­li­chen Ses­sel leis­ten?“

Und über­all lie­gen Tep­pi­che. Wir ha­ben an die 25 Stück, und sie ma­chen mir gro­ße Freu­de, ih­re Mus­ter er­zäh­len wun­der­ba­re Ge­schich­ten. Was soll ich sa­gen? Ich bin ver­narrt in ro­te Per­ser. Je­den­falls passt hier nichts zu­sam­men. Ich brau­che das. Ich ha­be mich in mei­nem Le­ben so viel mit Ar­chi­tek­tur be­schäf­tigt, dass ich mich hier nach ei­nem ar­chi­tek­tur­frei­en Raum jen­seits von Sty­le und Sau­ber­keit ge­sehnt ha­be. Die Bri­co­la­ge geht wei­ter. Ak­tu­ell ha­be ich den Plan, die Noch­ga­ra­ge zu ei­ner Bi­blio­thek und zu ei­nem Raum für mein Ar­chiv aus­zu­bau­en. Ich fürch­te, das wird noch Jah­re dau­ern.

Presseschau 12

25. August 2017Dietmar Steiner
Bauwelt

Wien braucht das. Genau das.

Wien setze mit einem nichtssagenden Hochhaus den Welterbe-Status seines Zentrums aufs Spiel, so Reinhard Seiß in Bauwelt 12. Dietmar Steiner, ehemaliger Direktor des AzW, hält das für Unsinn.

Wien setze mit einem nichtssagenden Hochhaus den Welterbe-Status seines Zentrums aufs Spiel, so Reinhard Seiß in Bauwelt 12. Dietmar Steiner, ehemaliger Direktor des AzW, hält das für Unsinn.

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Bauwelt 2017|17 Wohnhochhaus für alle?

29. April 2016Dietmar Steiner
Bauwelt

Die sieben letzten Tage der Moderne

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt: Funktionalismuskritik und Theorieeuphorie der sechziger und siebziger Jahre, Postmoderne und Strada Novissima, Signature Architecture der Neunziger, Osteuropa – alles dabei. Am Schluss aber landet er bei Prinz Charles und seinem Wohlfühl-Dorf Poundbury. Wir vermuteten einen Fehler im Text. Steiner schrieb zurück, er freue sich schon auf die Leserbriefe. Wir auch.

Dietmar Steiner, Direktor des Architekturzentrums Wien, verabschiedet sich Ende des Jahres mit einer großen Ausstellung über die zurückliegenden fünfzig Jahre Architektur. Wir haben ihn schon heute um eine Bilanz gebeten, die er hier mit gewohnt straffer Hand vorlegt: Funktionalismuskritik und Theorieeuphorie der sechziger und siebziger Jahre, Postmoderne und Strada Novissima, Signature Architecture der Neunziger, Osteuropa – alles dabei. Am Schluss aber landet er bei Prinz Charles und seinem Wohlfühl-Dorf Poundbury. Wir vermuteten einen Fehler im Text. Steiner schrieb zurück, er freue sich schon auf die Leserbriefe. Wir auch.

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Bauwelt 2016|16-17 Die sieben letzten Tage der Moderne

24. März 2013Dietmar Steiner
Die Presse

Isolierte Ikonen der Architektur

Mut und Risiko sind Bestandteil jeder Architektur. Doch bei den „Autorenbauten“ der Gegenwart dominiert die ästhetische Selbstdarstellung. Es fehlen städtebauliche Visionen.

Mut und Risiko sind Bestandteil jeder Architektur. Doch bei den „Autorenbauten“ der Gegenwart dominiert die ästhetische Selbstdarstellung. Es fehlen städtebauliche Visionen.

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11. Dezember 2011Dietmar Steiner
Hintergrund

Qualitätssicherung in Stadtentwicklung & Verkehr

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung...

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung...

Anlässlich der 15. Kleinkonferenz stellte am 4. Juli 2011 Maria Vassilakou, Stadträtin für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und BürgerInnenbeteiligung ihre Pläne und konkreten Vorhaben für die nächsten fünf Jahre dar. Die Exklusivität der Kleingruppe erlaubte es, auf die Interessens- und Themenschwerpunkte der Partnerfirmen des Architekturzentrum Wien zielgerichtet einzugehen, bereits im Vorfeld wurden Wünsche und Anliegen in einem Fragenkatalog gesammelt. Dietmar Steiner moderierte den Abend.

Dietmar Steiner: Was sind die Zielgebiete der Stadtplanung aus heutiger Sicht? Was sind die Prioritäten und Umsetzungshorizonte? Wohin soll sich die Stadt entwickeln?

Maria Vassilakou: Ich bin nicht der größte Fan von Zielgebieten, sie sind jedoch ein Instrument, das sich zunächst bewährt hat, beispielsweise die Funktion des Zielgebietskoordinators, der auch die Möglichkeit hat, sich in mehreren Magistratsabteilungen zu bewegen, anstatt isoliert zu arbeiten. Die Zielgebiete haben sich im Wesentlichen positiv entwickelt. Die Stadt definiert sehr wohl, wo verdichtet werden soll, wo Wachstum notwendig ist und versucht dort Boden zu erwerben. Natürlich sind auch die Investoren und Anwohner eingeladen, mitzudiskutieren, Transparenz und Klarheit sollten gewährleistet werden.
Der neue Stadtentwicklungsplan (STEP) gibt uns die Möglichkeit, das Instrument der Zielgebiete zu evaluieren. Das, was daran funktioniert, soll beibehalten werden. Das wäre die Festlegung auf einige bereits zuvor definierte Areale, wo es Sinn macht zu wachsen. Hier braucht es auch eine intensive Bearbeitung und Koordination. Andererseits bin ich eine Befürworterin von Bezirksentwicklungsplänen und möchte grundsätzlich den neuen STEP auch so aufsetzen, dass er nicht nur der interessierten Fachöffentlichkeit, Investoren, Architekten und Entwicklern, sondern insgesamt Bürgern die Möglichkeit gibt, sich einzubringen, mitzudiskutieren und am Ende zu wissen, wo und wie dieses Wachstum stattfinden soll.

DS: Mit Stadterweiterung, mit der neuen Stadtentwicklung ist auch die Frage der sozialen Infrastruktur verbunden. Die rechtzeitige Ausstattung der neuen Zielgebiete mit Schulen und Kindergärten etc. scheint immer noch ein Problem zu sein. Es gibt doch eine Infrastruktur- Kommission, die das festlegen sollte. Gibt es da einen Bruch zwischen Stadtentwicklung und Infrastruktur?

MV: Derzeit entsteht in der Stadt so viel, dass es kaum möglich ist, mit den Infrastrukturkosten mitzuhalten. Ich habe mir die Budget-Prognose für das kommende und für das übernächste Jahr angesehen. Das nächste Jahr ist dramatisch. Es wird etwa doppelt so hohe Infrastrukturkosten geben als derzeit dafür vorgesehen und budgetiert ist. Die Verhandlungen werden noch zu führen sein. Es werden hohe Infrastrukturkosten im Bereich Kindergärten und Schulen, dazu noch Kanalanschlüsse, Straßen, Fernwärme etc. auf uns zukommen. Nicht zu vergessen die Ebene des Grünraums: Wir haben zunehmend Areale, für die wunderschöne Leitbilder existieren, jedoch das Geld für die Verwirklichung fehlt. Ich denke, eine Lösung kann nur der Weg hin zur Planwertabgabe sein. Damit hätten wir die Möglichkeit, die Infrastruktur dementsprechend zu gestalten und zu finanzieren. Die Planwertabgabe ist sowohl im Zusammenhang mit der Deckung der Infrastrukturkosten als auch als Bodenmobilisierungsmaßnahme wichtig.

DS: Das heißt also auch Flächenmobilisierung. Seitdem ich mit dem System des geförderten Wohnbaus in Wien zu tun habe, sehe ich, dass die Kosten am Limit sind – die Bauträger verbluten, die Architekten sowieso schon immer, aber auch die Baufirmen und die Förderung. Warum wird das politisch nicht stärker thematisiert?

MV: Das ist sehr heikel. Es macht zum Beispiel Sinn, mit zeitlich befristeten Widmungen zu arbeiten. Kombiniert man diese mit einer Planwertabgabe, hat man bereits eine Flächenmobilisierungsmaßnahme geschaffen. Hier eine Lösung zu finden, ist allerdings juristisch nicht einfach. Es gibt daher eine Arbeitsgruppe, die konkret an einer Planwertabgabe für Wien arbeitet. In dieser Gruppe sitzen sowohl Planer als auch Juristen aus dem Magistrat, die Leitung hat ebenfalls ein Jurist aus der Magistratsdirektion inne. Durch das gemeinsame Arbeiten von Planern und Juristen kann von vornherein ein „das geht so nicht“ der Juristen verhindert werden.

DS: Viele Raumplaner sind der Meinung, eine Planwertabgabe hält nicht vor der österreichischen Verfassung.

MV: Ich denke, dass die Verfassungskonformität ein wesentlicher Aspekt ist. Andererseits sollte die Verfassung nicht als Vorwand genommen werden, neue Ideen von vornherein abzulehnen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele Dinge zunächst angeblich nicht gehen – die Planwertabgabe oder die Anrainerparkplätze, um ein zweites Beispiel zu bringen. Bei genauerem Hinsehen stellt man aber fest, es geht doch. Es ist zwar nicht einfach, aber wo ein Wille ist, ist auch ein Weg.

DS: Im Zusammenhang mit der Planwertabgabe gleich zu einer weiteren Frage: Wann kommt es endlich zu einer Reform der Verfahren zu Flächenwidmung und Bebauungsplan? Abänderungen dauern zu lange, sind oftmals inhaltlich nicht nachvollziehbar und lassen jede Vision einer verträglichen Stadtentwicklung vermissen.

MV: Die Instrumente sind schon sehr lange in Verwendung und sicher modernisierungsbedürftig. Sie werden dem Prozesshaften der heutigen Widmung und des heutigen Städtebaus in keiner Art und Weise gerecht. Wir haben im Zuge des neuen Stadtentwicklungsplans mehrere Bereiche definiert, die neu diskutiert werden. Einer davon ist, neue Instrumente im Rahmen der Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung zu schaffen. Ich ersuche jedoch um Verständnis, dass ich heute dazu nichts sagen kann. Das Wesen einer Debatte ist, dass man zusammenkommt, sich einbringt und miteinander diskutiert und dass man am Ende gemeinsam einen neuen Weg aufzeigt. Ich bin überzeugt, dass der neue Stadtentwicklungsplan vor allem in Kombination mit der Novelle des Garagengesetzes und der Bauordnung, die wir ebenfalls für das nächste Jahr vereinbart haben, einiges in Bewegung bringen wird.

DS: Die Reform der Bauordnung ist ein jahrzehntelanger Wunsch aller Beteiligten und Betroffenen. Jede Reform hat sie schlimmer gemacht.

MV: Ja, natürlich ist das eine sehr komplexe Materie. Wesentlich ist, dass man solche Reformen nicht hinter verschlossenen Türen angeht, sonst wird dieses Flickwerk aus Kompromissen nur weitergetragen. Der neue STEP gibt uns die Möglichkeit, öffentlich und transparent zu diskutieren. Ein Design stellt sicher, dass sowohl die Fachöffentlichkeit, Investoren, Entwickler, Universitäten, der Magistrat und die Bezirke, aber auch interessierte Bürger die Möglichkeit haben, verschiedene Themen abzuarbeiten, miteinander zu verschränken. Mir ist wichtig, am Ende ein schlankes, verständliches Produkt zu haben.

DS: Es gibt zur Stadtentwicklung auch ganz konkrete Fragen für bestimmte Areale: Nordbahnhof, Nordwestbahnhof, Franz-Josefs-Bahnhof, Westbahnhof, das rechte Donauufer, Donaufeld.

MV: Beim Nordbahnhof ist derzeit ein städtebaulicher Ideenwettbewerb für das Gebiet Innstraße/Nordbahnstraße in Vorbereitung. Der Wettbewerb für den Bank Austria Campus läuft gerade. Für die Vorplatzgestaltung, das heißt für das Entree in den Nordbahnhof gibt es von unserer Seite Bemühungen um einen gesonderten Wettbewerb.
Beim Nordwestbahnhof ist die Entwicklungsperspektive eine mittel- bis langfristige. Die ÖBB wollen sowohl die Trasse als auch den Bahnhof selbst 2019 freigeben. Hier gibt es hervorragende Ideen, viel Grünraum mit hoher Qualität. Wir hätten auch die Möglichkeit, ein ähnliches Konzept wie die „High Line“ in New York zu verwirklichen. Unsere Aufgabe in der nächsten Zeit wird es sein, die Flächen dafür sicherzustellen.
Beim Franz-Josefs-Bahnhof haben wir es mit einem Areal von immenser Wichtigkeit, insbesondere für den 9. Bezirk, zu tun. Ich möchte hervorheben, dass es hier eine frühe Einbindung von interessierten Bezirksbewohnern gab. Die Durchwegung und Verbindung zum Wasser sind von besonderer Bedeutung. Hier könnte ein neuer Stadtteil gewonnen werden, der eine Bereicherung für den 9., teilweise auch für den 20. Bezirk wäre. Die Verhandlungen gestalten sich zwar freundlich, aber nicht unkompliziert. Die wesentliche Frage ist hier, ob die Platte, genauer gesagt die Bahn bleibt oder nicht, denn dann wäre hier auch Wohnbau möglich.
Für die weitere Entwicklung des rechten Donauufers ist die Linie U2 natürlich vorteilhaft. Mit dem Projekt „Marina-City“, das jetzt einen neuen Startschuss bekommen hat, zeigen wir anhand eines Leitprojekts, wohin es geht. Das Projekt sieht zwar eine unterbrochene, aber doch großzügige Überplattung des Kais und eine Anbindung an das Ufer vor. Christoph Chorherr hat vor mehr als einem Jahrzehnt die Idee geboren, Wien nicht neben der Donau zu haben, sondern an die Donau zu bringen. Auch in diesem Bereich wird mittels einer Machbarkeitsstudie das Realisierungspotenzial überprüft werden.

DS: Es gibt beim STEP zurzeit über diese konkreten Gebiete hinaus zwei weitere Stadtentwicklungsgebiete, die im Fokus der Diskussion stehen. Das sind die Ränder Wiens, Liesing im Süden und das Donaufeld und Kagran im Norden, wo sich zwar in den letzten Jahrzehnten viel entwickelt hat, aber gleichzeitig ein infrastrukturelles und verkehrsmäßiges Desaster entstanden ist.

MV: In Liesing sehe ich ein großes Entwicklungspotenzial, auch für innovative Projekte auf der „grünen Wiese“. Es wird zum Beispiel über „City-Farming“ diskutiert, die Konzepte in diesem Bereich bringen einiges an Neuerungen mit sich. Ich glaube, dass es uns gelingen wird, dort etwas entstehen zu lassen, das wir in einigen Jahren stolz präsentieren können. Für das Donaufeld gibt es ein ausgezeichnetes Leitbild, das im Herbst diskutiert und präsentiert wird. Es setzt stark auf sanfte Mobilität – ein sehr modernes Mobilitätskonzept – und Grünraum. Spannend ist dort auch die Frage nach der Gestaltung der Dichte. Das Zentrum Kagran scheint jetzt unter den Zielgebieten auf, um die Verkehrssituation und die mangelnde Qualität im öffentlichen Raum zu verbessern. Es wird nicht möglich sein, alle Sünden der Vergangenheit zu reparieren, aber man wird einiges verändern können.

DS: Zum Thema Dichte und öffentlicher Raum gibt es das Vorzeigemodell Kabelwerk in Wien, das auch international wahrgenommen und akzeptiert wird. Ich halte das im Verhältnis zu anderen Stadterweiterungsgebieten für einen durchaus gelungenen Städtebau. Ich habe immer wieder gehört, dass viele Abteilungen der Stadt davor zurückschrecken, dieses doch mühsame, kooperative Verfahren noch einmal anzuwenden. Oder könnte es doch als Vorbild für weitere Projekte gelten?

MV: Ich kenne niemanden, der davor zurückschrecken würde. Das Kabelwerk hat gezeigt, wie man es macht, auch in Bezug auf das frühe Einbinden der Bevölkerung und das Konzept der kulturellen Zwischennutzung. Natürlich hatte das Kabelwerk auch den Vorteil einer hervorragenden Infrastruktur- und Nahversorgungssituation. Kooperative Verfahren bringen einiges, funktionieren aber nur bis zu einer bestimmten Größe, siehe dazu das Beispiel „Mehrwert Simmering“.

DS: Bei der Zwischennutzung geht es immer auch um die Frage der Haftung und Zulassung.

MV: Zwischennutzungen brauchen eine gewisse Rechtssicherheit für beide Seiten. Wir arbeiten an der Entwicklung von Musterverträgen für unterschiedliche Formen der Zwischennutzung: sowohl für Gemeinschaftsgärten, also City-Farming-Initiativen, als auch für temporäres Wohnen. Was noch zu entwickeln sein wird, ist die temporäre Nutzung von Geschäftslokalen. Wenn zum Beispiel die TU oder die Universität für angewandte Kunst Räume für bestimmte Lehrveranstaltungen suchen, dann sprechen wir vom Konzept einer „university in progress”. Hier braucht es schon eine gewisse rechtliche Klarheit.

DS: Wir kommen zur generellen Frage der Mobilität. Ich nenne es nicht Verkehr, ich nenne es die Mobilitätsfrage. Ich glaube, die europäischen Städte nähern sich langsam dem Kollaps. Kann sich der Individualverkehr in Zukunft überhaupt noch bewegen? Meiner Beobachtung nach passiert in französischen und spanischen Städten wesentlich mehr als in Wien, was zum Beispiel die Installierung und Bevorrechtung von Straßenbahnen betrifft. Hier scheinen die Wiener Linien ins Stocken geraten zu sein.

MV: In Wien haben wir vor allem eine Fixierung auf die U-Bahn, deren Bau jedoch sehr lange dauert und darüber hinaus mit hohen Kosten verbunden ist. Persönlich bin ich daher auch ein großer Fan der Straßenbahn. Sie kostet ein Zehntel des Geldes der U-Bahn, sie braucht ein Zehntel der Zeit, um realisiert zu werden und ist wahrscheinlich auch das, was wir in den meisten Gebieten derzeit brauchen würden.

DS: Nur der Bund zahlt nichts dazu.

MV: Richtig. Aber das eigentliche Problem ist nicht die fehlende Infrastruktur, sondern die zu langen Intervalle. Die Diskussion „U-Bahn bis ins Umland“ ist nicht notwendig, da wir mit der S-Bahn eine sehr hochwertige Schienen-Infrastruktur besitzen, die Wien zum Beispiel mit Klosterneuburg verbindet. Welchen Sinn macht es, parallel dazu unter der Erde eine zweite Schienen-Infrastruktur auszubauen? Woran wir arbeiten müssen, sind U-Bahn-würdige Intervalle für die S-Bahn, da ein wesentlicher Bestandteil des Wiener Verkehrsproblems der Pendlerverkehr aus dem Umland ist. Im Rahmen des kommenden Verkehrsdienste-Vertrags, der im nächsten Winter mit den ÖBB ausverhandelt werden muss, wird dies zu diskutieren sein. Wir haben auch schon Gespräche mit Niederösterreich begonnen, denn die Finanzierung muss von Wien und Niederösterreich gemeinsam übernommen werden. Neben dem Ausbau muss auch das Thema Autobesitz in Wien angesprochen werden. Parkplätze im öffentlichen Raum, Car-Sharing-Angebote und Stellplatz-Regulativ sind Stichworte dazu.
Unser Ziel ist es, den motorisierten Individualverkehr um ein Drittel zu reduzieren. Wie kann ich beispielsweise das Fahrrad fördern? Dies muss schon bei der Planung von neuen Siedlungen und Arealen mitbedacht werden. Muss man ein Auto besitzen, nur weil man ab und zu auch eines fahren möchte? Und wie kann ich öffentlichen Raum zurückerobern?

DS: Ein Beispiel aus Madrid: Dort wurde die Haupt-Westausfahrt Richtung Portugal auf eine einspurige Fahrbahn reduziert und alles andere für Fahrräder und Gehsteigverbreiterungen bis hin zu einem großen Park zwischen den beiden Fahrbahnen umgebaut. Ich glaube, wir müssen Verkehrsstraßen rückbauen, um öffentlichen Raum zu gewinnen.

MV: Darum geht es. Wenn jedoch in Wien über Verkehrskonzepte diskutiert wird, kommt sofort das Argument der Parkplätze. Es gibt in Wien sogar eine Bezirks-Förderung zum Rückbau von Parkplätzen an der Oberfläche, im Gegenzug dazu könnten Wohnsammelgaragen entstehen. Diese Förderung wird nur zum Teil in Anspruch genommen. Wir stecken derzeit mitten in einer Debatte, die mit der Neuverteilung nicht nur des öffentlichen Raumes, sondern und ganz besonders der Straße zu tun hat. Es werden an bestimmten Stellen Parkplätze verloren gehen, damit die Straßenbahn fahren kann und die Radwege ausgebaut werden können. Es gehen Parkplätze verloren, damit wir öffentlichen Raum gewinnen, den wir Fußgängern und anderen Nutzungen zur Verfügung stellen wollen. Ein gutes Beispiel ist die Mariahilfer Straße, die als eine verkehrsberuhigte Zone neu gestaltet werden soll. Ein Problem, mit dem wir jedoch konfrontiert sind, ist die Finanzierung und hier komme ich wieder zur Planwertabgabe.

DS: Ein Thema, das immer wieder kommt, ist die Frage der jetzigen Pflichtstellplatz- Regelung im Wohnungsbau, die 1:1 beträgt. Werden diese Garagen auch tatsächlich in vollem Umfang genutzt?

MV: Wesentlich ist, von dieser 1:1-Regelung wegzukommen und in vielen Bereichen sogar in die entgegengesetzte Richtung zu gehen. Vor allem dort, wo eine gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr vorhanden ist oder wo in naher Zukunft eine gute Dichte an Car-Sharing-Angeboten vorhanden sein wird. Einerseits wird sehr viel Geld in die Hand genommen, um Wohnsammelgaragen entstehen zu lassen, andererseits hat man in der gesamten Umgebung leer stehende, frei finanzierte Garagen, die aufgrund der Stellplatz-Verpflichtung entstanden sind. Ich habe mir anhand der Kontroverse rund um die Geblergasse im 17. Bezirk ausgerechnet, wie lange die Stadt Wien mit der Förderung, die es zurzeit für den Bau von Wohnsammelgaragen gibt, leer stehende Garagenplätze anmieten und zum Preis von monatlich 70 Euro weitervermieten könnte. Ich kam auf 50 Jahre. Die Frage ist, wie man alle diese leer stehenden Garagenplätze besser nutzen kann, um wiederum Autos von der Oberfläche wegzubekommen.

DS: Wie sind die Entwicklungspläne zur U1-Verlängerung nach Rothneusiedl bzw. zur U2-Verlängerung?

MV: Die U1-Verlängerung nach Rothneusiedl hat diesen Sommer begonnen. Wie weit man bauen wird, klärt sich in der nächsten Zeit. Das hängt davon ab, inwieweit die erforderlichen Flächen in Rothneusiedl zu bekommen und dann zu entwickeln sind. Eines ist klar: Wir werden sicher keine U-Bahn bauen, die in die grüne Wiese führt. Mit heutigem Stand fehlen wesentliche Flächen, um hier einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen.
Was die U2-Verlängerung betrifft, gibt es mehrere Varianten einer Trassenführung, deshalb gibt es noch keine definitive Entscheidung. Im Rahmen des neuen Masterplans für Verkehr muss in einer Kosten-Nutzen-Rechnung bewertet werden, wie hoch die Kosten für die unterschiedlichen Trassenvarianten sind. Die Entwicklung der entsprechenden Stadtteile bedeutet in den nächsten Jahren mehrere Tausend Menschen mehr in diesem Gebiet. Aber es ist noch nicht klar, ob am Ende jene kritische Masse erreicht werden kann, für die es sich lohnt, dorthin eine U-Bahn zu bauen. Die U2-Verlängerung ist jedenfalls mit technischen Schwierigkeiten verbunden, was zu viel höheren Kosten als ursprünglich angenommen führt.

DS: Ist auch die Verlängerung bis Südbahnhof und Sonnwendviertel fraglich?

MF: Der schwierigste Teil der Verlängerung ist der erste ab dem Karlsplatz. Dieser ist auch mit den größten Kosten verbunden. Wenn diese Schwierigkeit überwunden ist, ist die Frage, wie weit verlängert wird, zweitrangig.

DS: Im Zusammenhang mit der Qualitätssicherung im Bereich Stadtentwicklung und Verkehr sollte auch das Spannungsfeld an den Stadt- und Landesgrenzen angesprochen werden. Es betrifft die Wiener Bürger genauso wie die Bürger der angrenzenden Landgemeinden. Wie können konstruktiv länderübergreifend Stadt und Land, Gemeinden und betroffene Bezirke miteinander die optimalen Lösungen und den richtigen Schlüssel für die Finanzierung finden?

MV: Ich sehe erstmals eine Bereitschaft, über einen gemeinsamen Ausbau der öffentlichen Verkehrsanbindungen zu diskutieren. Wir wollen im Rahmen der vorhandenen Institutionen, das sind im Wesentlichen die Planungsgemeinschaft Ost (PGO) und das Stadt-Umland-Management, ein gemeinsames Konzept für diese Metropolregion in Angriff nehmen. Es gibt zum Beispiel zunehmend die Einsicht, dass das Ansiedeln von Einkaufszentren und verschiedenen Gewerbegebieten just an oder jenseits der Grenze am Ende uns alle mittelfristig mit größeren Problemen konfrontiert. Allein im Korridor Mödling hat sich in den letzten zehn Jahren der motorisierte Individualverkehr verdoppelt. Es gibt auch Überlegungen zu einer Metrobus-Anbindung zwischen Wien und dem Umland. Auch die Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung in Wien ist unumgänglich, wenn es darum geht sicherzustellen, dass Pendler das Auto möglichst am Stadtrand abstellen und nicht bis weit in die Stadt hineinfahren. Das bedeutet, Wien und das Umland brauchen eine verbindliche Ebene für Planungsentscheidungen und für die Finanzierung. Es gibt sehr wohl Partner, auch in Niederösterreich, die einen Finanzausgleich innerhalb der Regionen fordern.

DS: Wir haben heute sehr viel Neues erfahren und ich darf mich herzlich dafür bedanken.

MV: Auch ich darf mich für die Einladung bedanken und bin überzeugt, dass der Herbst Sie nicht enttäuschen wird.

[Zusammengefasst von Alexandra Viehhauser]

Hintergrund, So., 2011.12.11



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21. Oktober 2010Dietmar Steiner
Hintergrund

European Prize for Urban Public Space

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer...

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer...

Die vergangenen zehn Jahre des biennalen European Prize for Urban Public Space belegen nicht nur die Entwicklung der Auszeichnung herausragender gestalterischer Leistungen, sondern begleiten auch die diskursive Entwicklung der Bedeutung des öffentlichen Raums des letzten Jahrzehnts. War der erste Preis im Jahr 2000 noch von einer lokalen Jury des CCCB bestimmt, begann 2002 die kontinuierlich bis heute wachsende Kooperation mit anderen europäischen Institutionen der Architektur. Damit ist eine einzigartige und repräsentative Sicht der Entwicklung des urbanen öffentlichen Raums in Europa mit seinen Preisträgern und dem akkumulierten Archiv gewährleistet. Ich versuche nun aus der Sicht eines Jurymitglieds seit 2002 die Entwicklung des Preises und des Engagements des CCCB als Widerspiegelung und Konzentrat der europäischen Debatte zu kommentieren.

Zunächst gibt es begründet keine andere europäische Stadt, die eine mit Barcelona vergleichbare Kompetenz als Diskursort für den öffentlichen Raum aufweisen könnte. Denn das heute legendäre Programm der öffentlichen Plätze der 1980er Jahre, von renommierten Architekten und Künstlern gestaltet, war für Barcelona nach der politischen Blockade der Franco-Zeit ein urbanistischer Befreiungsschlag, der weltweit über die Architekturdebatte hinaus für Aufsehen sorgte. Was lag also näher als – mit dieser Kompetenz ausgestattet – einen europäischen Preis für Urban Public Space vom CCCB, jene einzigartige Institution, die sich einer umfassenden kulturellen und intellektuellen Entwicklung verpflichtet fühlt, zu erfinden und auszuloben. Angesichts der eingesandten Projekte stellten sich für die Jurien aber immer und bis heute eine Reihe von inhaltlichen Fragen. Was ist der öffentliche urbane Raum im neuen Jahrtausend? Ist er nicht längst in den medialen Raum der Internet-Communities entschwunden? Wird der öffentliche urbane Raum im realen Leben nicht zunehmend privatisiert? Und wird der noch vorhandene öffentliche Raum nicht von immer mehr Regeln und Verhaltensvorschriften politisch domestiziert und diszipliniert?

Dabei vergessen wir gerne, dass der urbane öffentliche Raum – als Public Space der angelsächsischen Terminologie – erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als generalisierender Typus definiert wurde. Davor enthielt die Terminologie der Stadtplanung in Europa nur die Begriffe von Straßen und Plätzen, von Grünräumen und Spielräumen. Es ging ganz einfach um die vom Brandschutz und der Belichtung verordneten nötigen Abstandsflächen zwischen den Gebäuden. War der öffentliche Raum aber als „gestaltet“ gedacht und geplant, dann diente er der Repräsentation fürstlicher, faschistischer, kommunistischer, jedenfalls herrschaftlicher Macht, intendierte die Absicht, durch Gestaltung eine Lenkung und Kontrolle des Verhaltens der Benutzung herbeizuführen. Erst die demokratischen Reformen ab der Mitte des 19. Jahrhundert eröffneten den Begriff eines öffentlichen Raums „für alle“, der „alltäglichen Öffentlichkeiten“. Aber auch dieser war wieder mit soziologisch bestimmten, also politischen Ritualen belegt und definiert.

Ich wage daher die These, dass es den für alle Menschen offenen, für alle Aktionen und Repräsentationen des Öffentlichen freien urbanen Raum niemals gab und geben wird. Denn jeder öffentliche Raum, und wir sehen dies heute deutlich in den „sozialen Räumen“ des Internet, ist von Ritualen der Benutzung bestimmt, die immer Verhaltensregeln, Zugangsbeschränkungen und Ausschließungen beinhalten. Manuel Solà-Morales hat dies in einer der Jurien sehr klar und lapidar formuliert: Jedes Fußball-Stadion ist privat, dennoch empfinden alle Nutzer, die sogar für den Eintritt bezahlen, die Anteilnahme an dieser Veranstaltung als Nutzung eines öffentlichen Raums. Es spielt also in der Realität keine Rolle, ob sich der urbane öffentliche Raum unter öffentlicher oder privater Verwaltung befindet, ob er als realer oder virtueller Raum existiert. Jeder Zugang, jede Tätigkeit in diesem Raum bedarf einer „politischen Verhandlung“. Die von linken TheoretikerInnen beförderte Anklage der zunehmenden Privatisierung des öffentlichen Raums, Stichwort: vom öffentlichen Platz zur privaten Shopping-Mall, hält der Realität nicht stand. So sitze ich in einer Shopping- Mall in Barcelona in einem Restaurant, dieses geöffnet zu einem öffentlichen privaten Platz, bestelle nur ein Bier, und verbringe ein Stunde mit der Lektüre eines Buches, unbelästigt. So spaziere ich den öffentlichen Raum des Paseo de Gracia entlang, bis plötzlich von martialisch aussehenden öffentlichen Sicherheitskräften der Gehsteig abgeriegelt ist, weil eine kleine Demonstration stattfindet. Schlussfolgerung: Die öffentliche Benutzung des öffentlichen Raums ist nicht eine Frage der abstrakten Besitzverhältnisse, sondern immer eine Frage der Ausübung der Macht über diesen Raum.

Mit dieser Frage einer heutigen Definition des urbanen öffentlichen Raums waren wir in jeder Jury des letzten Jahrzehnts konfrontiert. Ist nur dann ein öffentlicher Raum gegeben, wenn er als offene Fläche unter freiem Himmel ausgebildet ist, oder können auch Gebäude öffentlicher Raum sein? Schon der legendäre Nolli-Plan Roms von 1748 erklärt in seiner Grafik, dass sich öffentliche Flächen von Straßen und Plätzen in die Innenräume von öffentlichen Gebäuden erstrecken. Ist eine Markthalle, eine Kirche, eine Shopping-Mall heute öffentlicher Raum? Eine besonders pikante Begründung fand der Juryvorsitzende Rafael Moneo für den Preis der Oper in Oslo 2010: Der hier gebotene öffentliche Raum auf dem Dach und im Umfeld des Gebäudes ist eine derartige Bereicherung für den urbanen Raum von Oslo, dass die Bedeutung des Gebäudes darunter keine Rolle spielt. Und welchen Wert messen wir Projekten bei, die sich als Kunst- oder Architekturprojekte mit ephemeren und temporären Projekten der Thematisierung des öffentlichen Raums widmen? Jawohl, diese Projekte wurden in den letzen Jahren immer wichtiger. Was sich hier meist als partizipatorische Kunstprojekte darstellt, ist der Ausdruck einer zunehmenden Verunsicherung über allgemein gültige Rituale der Benutzung des öffentlichen Raums einer zunehmend heterogenen Gesellschaft. So deutet sich in dieser künstlerischen Avantgarde an, dass die Zukunft der Benutzung des öffentlichen Raums wohl überwiegend nur mehr „moderiert“ gesehen werden kann. Dann werden wohl die Rituale der Macht mit den Ritualen der Aneignung des Raums ebenfalls in einen andauernden politischen Diskurs münden. Auf der anderen Seite der formale Mainstream: Die derzeit üblichen Elemente der Gestaltung des urbanen öffentlichen Raums sind Bodenlampen und dramatische Lichtkonzepte, informelle Wasserflächen mit oft interaktiven Fontänen zur belustigenden Bewässerung von spielenden Kindern, Bänke und Sitzmöglichkeiten und die ornamentale Gestaltung der Bodenflächen durch Muster und Materialien. Entscheidend ist aber nicht, wie „schön“ der neue öffentliche Raum geworden ist, sondern ob er eine Geschichte erzählt, die einen Beitrag zur Identität des Ortes leisten kann.

Und manchmal, konfrontiert mit den Bildern des Zustands vorher und denen nach der neuen Gestaltung, wäre es auch besser gewesen, ganz einfach nichts zu tun. Der urbane öffentliche Raum ist eine „soziale Plastik“, ein politischer Verhandlungsraum. Das ist der „Text“, der den Diskurs der Jury jenseits der präsentierten „Bilder“ begleitet.

Hintergrund, Do., 2010.10.21



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30. August 2010Dietmar Steiner
Der Standard

Wie Österreich in Venedig die Zukunft verbaut

Und dabei noch nicht einmal in der Gegenwart angekommen ist: Anmerkungen zur „peinlich-retrospektiven“ Austro-Präsenz auf der Architektur-Biennale 2010.

Und dabei noch nicht einmal in der Gegenwart angekommen ist: Anmerkungen zur „peinlich-retrospektiven“ Austro-Präsenz auf der Architektur-Biennale 2010.

Im Gegensatz zur Biennale der bildenden Kunst in Venedig hat die Biennale der Architektur eine kurze Geschichte. Nach einer Reihe kleinerer Architekturausstellungen in den 1970er-Jahren gab es 1980 einen fulminanten Beginn mit dem von Paolo Portoghesi formulierten Motto: „La presenza del passato“ („Die Gegenwart der Vergangenheit“). Auserwählte Architekten gestalteten in der Corderie dell'Arsenale die sogenannte „Strada Novissima“, individuelle Fassaden einer imaginären Stadt. Dieses Manifest der Postmoderne inthronisierte auch den Begriff des „Star-Architekten“.

Heute, dreißig Jahre später, wird mit der von der japanischen Pritzker-Preisträgerin Kazuyo Sejima kuratierten Architektur-Biennale die Epoche der Star-Architekten des letzten Jahrhunderts ebenso fulminant beendet. Dreißig Jahre lang herrschte grosso modo das Vertrauen, dass es nur einzelner genialer Star-Architekten bedarf, um die Entwicklung der Architektur zu befördern. Der globale Jahrmarkt der architektonischen Spektakel-Industrie erzeugte immer mehr selbstreferenzielle solitäre Objekte, deren Zweck einzig die Demonstration wirtschaftlicher (Mercedes, BMW, Porsche) oder politischer Macht (China, Golfstaaten, Kasachstan ...) war. Es häuften sich weltweit Museen, deren Architekten sogar stolz darauf waren, dass man in ihnen nicht ausstellen konnte. Schwindelerregende Monumente, die im Regelfall das Dreifache der veranschlagten Kosten verursachten. Ignorant wurde jeder Bezug zu einem Ort und zur urbanen Situation als das eigene kreative Ego störend ausgeblendet. Seit rund zehn Jahren aber schwelt unter diesem medial beschleunigten Hype in der internationalen Debatte der Architektur ein zunehmendes Unbehagen. Gegen diese „Top-down“-Strategie entwickelte sich weltweit eine neue „Bottom-up“-Architektur, die mit zum Teil „armen Materialien“ lokale Traditionen und Bezüge wieder aufnahm, sich wieder mit den elementaren Aufgaben der Architektur, mit Stimmungen, Atmosphären, Empfindungen experimentell und neugierig auseinandersetzte. Aber auch die Wiederverwendung und Umnutzung des Vorhandenen, die Zusammenarbeit mit der betroffenen Bevölkerung, die soziale und ökologische Verantwortung der Architektur rückte in den Vordergrund. Mag sein, dass diese Architektur arm, bescheiden, gebastelt, spontan und ja, sogar schmutzig ist. Dafür ist sie wieder in der Welt angekommen, am konkreten Ort, ist wieder ein „Lebensmittel“ geworden.

Genau dieser Entwicklung hat nun Sejima erstmals in Venedig Raum gegeben. Und ein großes Durchatmen war an den Eröffnungstagen der Architektur-Biennale in der Corderie zu verspüren. Ein Paradigmenwechsel der Weltarchitektur ist damit verkündet. Und überraschenderweise dokumentiert sich dieser erfrischend neue Geist auch in vielen Länderbeiträgen und wurde mit der Verleihung der Preise durch die Jury zusätzlich bestätigt (vgl. S. 15). Selbst Star-Architekt Rem Koolhaas hat diese Entwicklung erkannt und präsentiert in Venedig eine intelligent-kritische Auseinandersetzung mit dem Denkmalschutz.

Die einzige Ausnahme bildet hier der diesjährige Österreich-Beitrag, der genüsslich den alten Zeiten des Ego-Kitsches huldigt. Unsere Kulturministerin glaubte sich höchst global liberal, indem sie persönlich einen Architekten aus Los Angeles zum Kommissär ernannte, einen Blick von außen auf Österreich erwartend. Dieser, Eric Owen Moss, hat, no na, nun auch für Österreich festgestellt, was ohnehin seit Jahrzehnten weltweit selbstverständliche Praxis ist: dass ausländische Architekten in einem Gastland aktiv sind und umgekehrt. Wenn man dazu noch die Achse vom Southern California Institute of Architecture, wo Moss Direktor ist, zum Wiener Stubenring kennt, wurden alle Erwartungen erfüllt.

Bekommen hat unsere Kulturministerin folgerichtig vorhersehbar eine provinziell peinliche Retrospektive gestriger Architektur, bei der selbst die auserwählten Architekten und Architektinnen bloß zur Illustration einer egomanisch brutal-banalen Installation missbraucht wurden. Dass dafür auch noch das dreifache Budget vorhergehender Österreich-Beiträge verbrannt wurde, ist diesem alten System immanent. - Man kann den Beitrag aber auch hintergründiger und positiver interpretieren: Österreich bietet heuer großzügig ein konzentriertes Archiv der vergangenen Architektur-Biennalen in Venedig: „La presenza del passato“.

Der Standard, Mo., 2010.08.30

02. Februar 2010Dietmar Steiner
Hintergrund

Warum Balkan?

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung...

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung...

Weil der Balkan die spannendste Region Europas ist. Nochmals warum? Weil sich durch den Zusammenbruch des Kommunismus und die folgende wilde Urbanisierung durch einen hemmungslosen Früh- Kapitalismus die Länder Südosteuropas auch als Labor einer neuen und hungrigen Architektur präsentieren. Nur hier ist der „alte Kontinent Europa“ jung und dynamisch. Und ich stellte mit zunehmender Beschäftigung mit dem Balkan fest, wie ignorant und ahnungslos wir in den Jahrzehnten des Kalten Kriegs gegenüber den intellektuellen und architektonischen Leistungen dieser Region Europas waren und auch heute noch sind. Gleichzeitig wissen wir inzwischen, dass die architektonischen und künstlerischen Leistungen des Balkans – ja des ganzen ehemaligen Ostblocks – denen von Westeuropa im 20. Jahrhundert durchwegs ebenbürtig waren. Die Grenzen der politischen Systeme hinderten die Ideen und Konzepte der Architektur und des Städtebaus nicht daran, in beiden Lagern wirksam zu sein. Sträflich nachlässig war nur die internationale mediale Aufmerksamkeit dafür.

Osteuropa und der Balkan wurden in der Architekturgeschichte und -kritik der westeuropäisch-nordamerikanischen medialen Hegemonie einfach nur marginal wahrgenommen. Ja, es gab einige Blitzlichter: des Otto Wagners-Schülers Josef Plecˇ nik urbanistische und architektonische Visionen für Slowenien – von der Postmoderne wiederentdeckt. Die Moderne in Bukarest aus den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts – schon vor vielen Jahren mit einer Ausstellung im Westen gewürdigt. Kenzo Tanges Plan für den Wiederaufbau von Skopje nach dem Erdbeben von 1963 – weitgehend vergessen. Die radikal modernistischen jugoslawischen Stadtplanungen für Neu-Belgrad und Neu-Zagreb – im Zuge der Verteufelung der europäischen Peripherie ignoriert. Und Bogdan Bogdanovic´s Denkmäler und Monumente selbstverständlich, als einzigartige Landmarks einer surrealistischen Architektur – immer noch zu wenig bekannt. Dies sind nur einige diskursive Momente in der noch immer unentdeckten rezenten Architekturgeschichte dieser europäischen Region.

Das Westeuropa der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die touristischen Angebote des Balkans konsumiert. Die kroatische Adria, die bulgarische Schwarzmeerküste, die rumänischen Bärenjagden. Mehr wollten wir früher von Südosteuropa nicht wissen. Seit nunmehr 20 Jahren gehören diese Länder auch politisch wieder zum gesamteuropäischen Kulturraum, und die wirtschaftliche Verflechtung ist evident, im Guten wie im Schlechten. Natürlich sind die zivilgesellschaftlichen Institutionen und Instrumente noch lange nicht genügend entwickelt. Misstrauen und Apathie der Bevölkerung gegenüber jedweder politischen Repräsentanz sind bestimmend. Noch Jahrzehnte werden die südosteuropäischen Länder mit jeweils Warum Balkan? Dietmar Steiner Übrigens … unterschiedlicher Intensität als „Übergangsgesellschaften“ bezeichnet werden müssen. Es gibt Szenarien, die beispielsweise dem EU-Mitglied Rumänien erst in 80 Jahren einen mit Westeuropa vergleichbaren Standard prophezeien. Misswirtschaft, Korruption, unsichere und unklare legistische Rahmenbedingungen, politische Willkür, all das wird noch lange vorhanden und bestimmend sein. Dies bietet aber keinen Grund für westeuropäische Arroganz, wo vielleicht nur die Mechanismen subtiler, die Manöver versteckter sind. Aber die politwirtschaftlichen Desaster von Ländern wie Kärnten und Griechenland heute beweisen, dass die Zustände am Balkan nicht kausal mit deren kommunistischer Vergangenheiten verbunden werden können. Dies alles soll uns nicht daran hindern, diesen europäischen Raum in seiner ganzen Vielfalt zu entdecken. Eine Vielfalt im urbanistischen, landschaftlichen und kulturellen Sinn, die aber in ihrer politischen Dimension eine enorme Zerrissenheit beinhaltet. Überall am Balkan erleben wir einen oftmals absurd und aussichtslos scheinenden Prozess der Suche nach nationalen Identitäten, der mit den Jugoslawien-Kriegen keineswegs beendet ist. Dazu muss man immer wieder die territoriale Geschichte des Balkans zu Rate ziehen, um die heutigen Verwirrungen zu verstehen. Die unklaren Grenzen der südosteuropäischen Ethnien waren immer schon vorhanden, nur überdeckt vom Habsburger-Reich und der osmanischen Herrschaft – und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durch den Kommunismus.

Der Balkan, Südosteuropa, wird in Zukunft die größte politische Herausforde- rung der Europäischen Gemeinschaft sein. Immerhin haben wir es hier mit rund 65 Millionen Menschen (ohne Istanbul) zu tun, eine Zahl, die ziemlich genau der Population von Frankreich entspricht, aber aufgeteilt in derzeit 10–11 (Kosovo) Staaten. Zählt man Österreich (aus kulturellen Gründen) und Ungarn (aufgrund der ethnischen Verflechtungen mit Rumänien) auch noch zu Südosteuropa, zum Balkan, dann summiert sich die Bevölkerungszahl auf 83,5 Millionen, womit auch Deutschland (82 Millionen) als größtes Land der EU von diesem gemeinsamen Kulturraum überholt wäre. Der Balkan, was immer das ist, könnte so eine führende Rolle im kommenden Europa spielen.

Und das ist nicht zynisch gemeint. Denn unentdeckt ist, trotz der Literaturnobelpreise an Ivo Andric´ und nun an Herta Müller die reiche kulturelle Tiefe dieser Region, das enorm hohe intellektuelle und künstlerische Potential, das sich selbst unter kommunistischer Herrschaft entwickeln konnte und auch heute noch vorhanden ist. Ja, wir können lernen von der multikulturellen Vielfalt, auch wenn sie selbst in der Region nicht als Chance erkannt wird, sondern in Abgrenzungsritualen für die Konstruktion von fiktiven Identitäten verwendet wird. Und ja, wir müssen uns einlassen und beschäftigen mit der Geschichte von Kyrill und Method, mit Alexander dem Großen und mit der osmanischen Kultur in diesem unserem Europa. All das mag uns heute noch genauso fremd sein wie der rationale Protestantismus Skandinaviens oder die Stierkämpfe Spaniens, aber es ist unsere Realität.

Nach nun jahrelanger Beschäftigung mit dem Balkan, nach vielen Besuchen, Begegnungen, Gesprächen und Freundschaften ist mir die Besonderheit ebenso wie die räumliche Nähe und kulturelle Verbundenheit bewusst geworden. Es mag sein, dass sich der alpine Westen Österreichs noch einer „Alpenfestung“, die bis Grenoble reicht, zugehörig fühlt. Der Rest des Landes hingegen, entlang des Weges der Donau bis zum Delta im Schwarzen Meer, mit „Wien als Zentrum und Metropole des Ostens“ (Haim Harari) und auch von Graz in den Süden, hat eine starke emotionale und kulturelle Verbindung mit dem Südosten Europas, die auf Gegenseitigkeit beruht.

Was also können wir nun vom Balkan lernen? Dank des ausgezeichneten Architekturmagazins „Oris“ aus Zagreb und vieler anderer Kanäle der Information wissen wir inzwischen, dass die junge Architektur Südosteuropas, vor allem jene Sloweniens und Kroatiens, mit hervorragenden Beispielen aufwarten kann. Aber generell genauer zu betrachten sind die Strategien der neuen Urbanisierung, die unter den Stichworten „Balkanology“ oder „Balkanization“ an Gewicht gewinnen. Sie erlauben es, unsere westeuropäischen Strategien grundsätzlich zu überdenken.

Ich behaupte jetzt nicht, dass der Prozess eines weitgehend regellosen informellen Bauens, wie er sich am Balkan realisiert, ein anzustrebendes urbanistisches Ideal wäre. Lernen können wir nicht von der hemmungslosen Spekulation – die haben wir in verdeckter Form auch. Lernen können wir nicht von der brutalen Durchsetzung privater Investoren-Interessen zu Lasten des öffentlichen Raumes und gemeinwirtschaftlicher Anliegen – das ist auch in Westeuropa nicht unbekannt. Aber lernen können wir von den Abwehrstrategien der vielen Bottom-up-Initiativen, die Widerstand leisten und generell die „Gestaltung der Stadt“ zu einer Sache der politischen Verhandlung mit der betroffenen Bevölkerung und den politischen Entscheidungsträgern erklären. Denn es ist eine reale Tatsache: Die wilden neuen Ränder der Städte am Balkan unterscheiden sich in ihrer gebauten Ungestalt absolut nicht von der angeblich geplanten Stadtentwicklung – in Wien- Donaustadt beispielsweise …

Hintergrund, Di., 2010.02.02



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Hintergrund 45

08. Januar 2010Dietmar Steiner
Bauwelt

Wie die Bauwelt jetzt ist...

Der Direktor des Architekturzentrums Wien hat uns, als erster darum gebeten, zum hundertsten Geburtstag der Bauwelt einen Text ganz ohne Anekdotisches oder Sentimentales geschickt, dafür aber mit allerlei kleinen Haken und Ösen. Das beginnt eigentlich schon beim Titel, wenn sich statt des betulichen „heute“ das aggressive „jetzt“ nach vorne drängelt.

Der Direktor des Architekturzentrums Wien hat uns, als erster darum gebeten, zum hundertsten Geburtstag der Bauwelt einen Text ganz ohne Anekdotisches oder Sentimentales geschickt, dafür aber mit allerlei kleinen Haken und Ösen. Das beginnt eigentlich schon beim Titel, wenn sich statt des betulichen „heute“ das aggressive „jetzt“ nach vorne drängelt.

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Bauwelt 2010|01-02 Das Bild des Architekten

23. April 2005Dietmar Steiner
Der Standard

Die Schuhschachtel wird Architektur

Dietmar Steiner über Rem Koolhaas, der eben den Mies van der Rohe Award nach Hause trug und in Porto mit der Casa da Música sein erstes Stück Architektur eröffnete.

Dietmar Steiner über Rem Koolhaas, der eben den Mies van der Rohe Award nach Hause trug und in Porto mit der Casa da Música sein erstes Stück Architektur eröffnete.

Montag: Verleihung des Europäischen Architekturpreises, des Mies van der Rohe Pavilion Award in Barcelona. Politikeransprachen ohne Ende. Freitag: offizielle Eröffnung der Casa da Música in Porto. Politikeransprachen ohne Ende.

Rem Koolhaas, Head of OMA und AMO, leidet. Nichts hasst der rastlose Niederländer so sehr wie unproduktive, nutzlose Zeremonien. Mit desinteressierter Arroganz soll er schon die Verleihung des Pritzker-Preises vor fünf Jahren erlitten haben. Den Europäischen Architekturpreis hat Rem Koolhaas für die niederländische Botschaft in Berlin bekommen. Von einer Jury, der es normalerweise um die reine architektonische Qualität des ausgezeichneten Objekts geht.

Eine ähnliche Begeisterung erfasste vergangenes Jahr schon die internationale Fachwelt anlässlich der Eröffnung von OMAs Public Library in Seattle. Und jetzt die Casa da Música in Porto. Endlich, so seufzt die Fachwelt, endlich macht Rem Koolhaas mit seinem Office of Metropolitan Architecture, das bisher vor allem durch seinen polemischen und theoretischen Furor den unbestrittenen Einfluss auf die Weltarchitektur geltend machte, richtige, richtig gute Architektur.

Am Rande der vom Weltkulturerbe geschützten Altstadt von Porto, einem heterogenen Stadterweiterungsgebiet an der Rotunda da Boavista, bildet das neue Konzerthaus ein deutliches Landmark. „Weißer Kristall“ oder „Meteorit“ wird das vielflächige Ding aus perfektem, weißen Beton genannt.

Schon zu Beginn stand fest, dass der Konzertsaal eine Schuhschachtel wie der Musikvereinssaal sein sollte. Für einen Raum, der Rock, Pop, Folk und Klassik erlauben musste, ist die Kiste akustisch am besten adaptierbar. Aber wie macht man aus einer Schuhschachtel Architektur ? Indem man den zweiten, kleineren Saal nicht daneben legt, sondern um 90 Grad gedreht andockt, die äußeren Linien und Punkte verbindet - und schon ergibt sich eine kristalline, räumliche Hülle, die mit Rolltreppen und vielfältigen Pausenflächen, Sonderräumen und Foyers ein wahres Feuerwerk an fantastischen, an gigantischen, räumlich-architektonischen Erlebnissen bietet.

Die öffentlichen Flächen umrunden die Säle, bieten immer wieder Einblicke durch die großen, gewellten, doppelschaligen und damit akustisch dichten Glasflächen. Von der „Eisbar“ mit Glasboden, über einen VIP-Raum mit im Photoshop rekonstruierten Azulejos bis zu Pausenräumen, die mit allen in Portugal bekannten Fliesenformen ausgestattet sind, reicht das spielerische und doch würdige Repertoire, das auch vor Bar-Theken in groben, dunklen Holzbohlen nicht zurückschreckt.

Der große Konzertsaal für circa 1300 Plätze ist innen mit hellen Holzpaneelen verkleidet, denen eine groß gepixelte Holzstruktur in Gold aufgebracht wurde. Der kleine Saal ist in tiefes Rot gehüllt. Viele zusätzliche Studios und Aufnahmeräume bilden am Ende ein perfekt ausgestattetes Musikzentrum.

„Es war nicht leicht, diesen Bau zu realisieren“, erzählt Ellen van Loom, verantwortliche Partnerin von OMA. Stadt, Region und Staat waren beteiligt, EU-Förderung sowieso. Allein sechs aufeinander folgende Minister mussten in den fünf Jahren Bauzeit immer wieder neu überzeugt werden. Es war auch nicht leicht, einen entsprechenden Kontaktarchitekten zu finden. Der Ort ist von der „Schule von Porto“ dominiert, die im spätfunktionalistischen Sinn an die Ewigkeit einer störungsfreien Moderne glaubt. Jorge Carvalho von ANC Architects konnte dann stimmig die OMA-Erfindungen mit der lokalen Bautradition verbinden. Wahrscheinlich mit ein Grund für die Perfektion der Bauausführung und der Details, die von früheren OMA-Projekten unbekannt ist. Rem Koolhaas, mit dem Kommentar konfrontiert, dass OMA hier „richtig gebaute Architektur“ realisiert hat, antwortet bekannt ironisch: „Did I do something wrong?“

Es ist der Abend vor der offiziellen politischen Eröffnung der Casa da Música. Ein Lou-Reed-Konzert haben sich die Betreiber dafür ausgedacht. Ein Zufall. Nicht wissend, dass Lou Reeds kritische Texte in eingängigen Rockmustern der affirmativen Kritik von OMA ziemlich entsprechen. Rem Koolhaas hat ihm in New York davor noch erklärt, dass dies kein normaler Gig in Europa sein würde.

Koolhaas hat privat einige Mitarbeiter und Freunde dazu eingeladen. Miuccia Prada und Bertelli sind dabei. Lou Reed hat hinter den Glasöffnungen des Saales starke Scheinwerfer installiert. Sie tauchen den Raum in wechselnde, kräftige Farben. Schemenhaft durch die Glasflächen erkennbar durchwandern Menschen den inneren öffentlichen Raum, begleiten das Konzert.

Das ist es, was OMA wollte. Vor der Zugabe bedankt sich Lou Reed bei Rem Koolhaas „for this wonderful space“. Standing Ovations. Nach dem Konzert. Koolhaas, der Architektur-Star, wird von Fotografen umringt, gibt Autogramme auf Eintrittskarten. Lou Reed, der Pop-Star, verschwindet abgeschirmt und unbelästigt.

Das ist der Unterschied. Am nächsten Morgen wird ein Architekturkritiker ein Interview mit Lou Reed machen: über das Verhältnis von Pop-Kultur und Architektur.

Der Standard, Sa., 2005.04.23



verknüpfte Bauwerke
Casa da Musica

23. Juli 2003Dietmar Steiner
Falter

MQ - öffentlicher Raum

KOMMENTAR. Das MuseumsQuartier im Widerstreit der Interessen: Ist es öffentliches oder privatisiertes Gelände?

KOMMENTAR. Das MuseumsQuartier im Widerstreit der Interessen: Ist es öffentliches oder privatisiertes Gelände?

Es ist wichtig, dass das MQ in Wien in der urbanen Debatte präsent bleibt. Schließlich wäre das MQ ein einzigartiges neues Modell für einen öffentlichen und kulturellen Gebrauch der Stadt. Und da hat Jan Tabor (Falter 29/03) schon Recht, dass im und um das MQ diesen Sommer einiges mit ephemerer Architektur geschehen ist. Viel mehr an „unsichtbarer Architektur“ geschah allerdings die letzten zehn Jahre zuvor. Es greift auch zu kurz, die dahinter liegenden Konflikte als „ästhetische Kriege“ zu bezeichnen. Der „Krieg“ im MQ, den der Geschäftsführer der Betriebsgesellschaft Wolfgang Waldner den Mietern und Nutzern erklärt hat, beruht auf fundamentalen gesellschaftspolitischen Gegensätzen und ist ein geradezu idealtypisches Beispiel für die heutige Entwicklung der europäischen Stadt und ihrer öffentlichen Räume. Soeben haben die deutschen Stadtsoziologen Walter Siebel und Jan Wehrheim eine konzentrierte Analyse der ambivalenten Debatte zur heutigen Definition des öffentlichen Raums geliefert (http://disp.ethz.ch). Begründet auf der Tatsache, dass sich der öffentliche Raum zunehmend privatisiert, dass er - auch infolge von 9/11 - vermehrt einer technologisch-medialen Kontrolle unterworfen wird, muss das Private und das Öffentliche kontinuierlich neu politisch verhandelt werden. Monte Carlo hat heute eine flächendeckende Videoüberwachung des öffentlichen Raums. Und in Deutschland hat inzwischen der Personalstand privater Sicherheitsdienste den der öffentlichen Polizei übertroffen. Siebel und Wehrheim diagnostizieren dagegen, dass trotz Privatisierung und Kontrolle für die konsumorientierten Mittelschichten die Unsicherheitsgefühle im urbanen Raum eher zu- denn abnehmen werden.

Und genau das kann am Modell MuseumsQuartier beobachtet werden. Denn eigentlich stand am Beginn des MuseumsQuartiers die Idee, dieses verwahrloste Filetstück Stadt der Vergessenheit zu entreißen, zu öffnen und als wichtiges urbanes Bindeglied zwischen dem ersten und siebten Bezirk neu zu definieren. Durchwegung und Öffnung - da denkt jeder an einen öffentlichen Raum, mit Plätzen und Verbindungen, durchlässig und frei verfügbar für alle Stadtbenutzer und Stadtbenutzerinnen. Doch dann hat sich das öffentliche Eigentum, Bund und Stadt, in Form der Museumsquartier Errichtungs- und BetriebsgesmbH selbst privatisiert. Das MuseumsQuartier ist also heute kein öffentlicher Raum mehr, sondern eine private Immobilie, die von einer Gesellschaft bewirtschaftet werden will, mit allen juristischen Konsequenzen. So dürfen Schanigärten auf öffentlichem Grund bis 24 Uhr betrieben werden, auf Privatgrund aber nur bis 22 Uhr. Deshalb haben die Gastronomiebetriebe der Institutionen mit diesen Pachtverträge, aber die Schanigärten werden vom MQ vermietet. Deshalb ist für die Sicherheit nicht die Polizei, sondern ein privater Sicherheitsdienst zuständig, der unpassende Zeitungsverkäufer (Augustin), jugendliche Skater oder spontane Kunstprojekte wie „permanent breakfast“ rigoros vom Gelände vertreibt, aber dafür selbst die Grenzen seiner juristischen Befugnisse sehr eigenwillig interpretiert.

Diese Privatisierung des öffentlichen Raumes des MuseumsQuartiers hat dann auch zur Folge, dass dem Az W (Architekturzentrum Wien) für die kurzfristige Anwesenheit der fantastischen „rolling kitchen“ (eine Küche aus Recycling-Materialien auf Rädern) von Architekturstudenten eine Hofmiete von 218 Euro in Rechnung gestellt wird. Und nachdem dies juristisch nicht durchsetzbar war, weil für ein abgestelltes „Fahrrad“ wohl kaum Miete verlangt werden kann, das Az W vom MQ ganz einfach erpresst wurde, indem die Bewilligung der Vermietung eines Raumes für das 10-Jahres-Fest des Az W um 1560 Euro erst unter der Bedingung genehmigt wurde, dass die offene Rechnung für die „rolling kitchen“ bezahlt wird.

Begründet werden solche Schikanen und Nötigungen der Nutzer damit, dass das MQ aus der Verwertung des Geländes Erträge zu erwirtschaften hat. Warum? Jeder normale Hausbesitzer und Hausverwalter bekommt nach dem Mietrechtsgesetz seine Aufwendungen ersetzt. Das MQ aber will von den angesiedelten Kulturinstitutionen und dem privatisierten öffentlichen Raum zusätzlich abkassieren, um mit diesem Geld seine eigenen Kulturaktivitäten zu finanzieren. Das ist der Kern dieses „territorialen Krieges“, den das MQ allen Institutionen im MuseumsQuartier erklärt hat. Das MQ agiert da wie ein privater Developer, der eine Shopping-Mall für Möbelhäuser entwickelt, Lutz, Leiner und Ikea ansiedelt und aus deren Mieteinnahmen dann ein eigenes Möbelhaus betreibt, bewirbt und damit seine Mieter unterbietet. Ein wohl zum Scheitern verurteiltes Geschäftsmodell.

Zurück zur wissenschaftlichen Ambivalenz des heutigen öffentlichen Raums. Das Wiener MuseumsQuartier könnte ein Modellfall für die öffentliche Nutzung eines juristisch privatisierten städtischen Raumes sein. Die Bewirtschaftung und Kontrolle dieses Stadtteils könnte von den kulturellen Institutionen selbst organisiert werden, denn sie sind ursächlich an der Zufriedenheit der Besucher und Passanten und damit an einem „öffentlichen Raum“ interessiert. Das scheitert aber an einer MQ-GesmbH, die den größten öffentlich - also von uns allen - finanzierten Kulturbezirk dieser Republik wie ein Spekulant vom Seidengrund im 19. Jahrhundert betreibt. Im öffentlichen Interesse ist deshalb die Offenlegung der Geschäfte vom MQ zu fordern - damit das öffentliche Interesse auch politisch argumentiert und verhandelt werden kann.

Falter, Mi., 2003.07.23

03. Januar 1998Dietmar Steiner
Der Standard

Architektur und Politik

Ansichten des Wiener Architekten Hermann Czech und des Leiters vom Architektur Zentrum Wien, Dietmar Steiner, über die Marginalisierung eines Berufsstandes, Eingriffe in die Stadt im allgemeinen und Wien im besonderen.

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19. Juli 1997Dietmar Steiner
Der Standard

Keine Architektur mehr in Wien?

Zum kommunalen Umgang mit zeitgenössischer Baukunst: Prädikat „fahrlässig“

Zum kommunalen Umgang mit zeitgenössischer Baukunst: Prädikat „fahrlässig“

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25. April 1997Dietmar Steiner
Der Standard

Eine Kugel für das Land

Sie kommt ins Rollen und wird immer mehr zum Angelpunkt eine Diskussion über Architektur, Wirtschaft und Strukturentwicklung: die gigantische Kugel, die der austro-kanadische Industrielle Frank Stronach als „Erlebnis-Zentrum“ seines Ebreichsdorfer Wohn- und Freizeitparks errichten lassen will.

Sie kommt ins Rollen und wird immer mehr zum Angelpunkt eine Diskussion über Architektur, Wirtschaft und Strukturentwicklung: die gigantische Kugel, die der austro-kanadische Industrielle Frank Stronach als „Erlebnis-Zentrum“ seines Ebreichsdorfer Wohn- und Freizeitparks errichten lassen will.

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Profil

Studium der Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien; jahrelanger Mitarbeiter von Friedrich Achleitner am österreichischen Architekturführer; zahlreiche Beiträge zur Kritik und Theorie der Stadt und Architektur in internationalen Medien; zahlreiche Ausstellungen und Publikationen; seit 1989 eigenes Büro für „Architektur-Beratung“; von 1994 bis 2016 geschäftsführender Direktor des Architektur Zentrums Wien.

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