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22. Januar 2022Anne Kockelkorn
Der Standard

Das Recht auf Genuss

Seine Wohngebirge zwischen mediterraner Farbenfreude und Versailles-Versatzstücken lassen niemanden kalt. Ricardo Bofill war eine der umstrittensten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Architektur. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren.

Seine Wohngebirge zwischen mediterraner Farbenfreude und Versailles-Versatzstücken lassen niemanden kalt. Ricardo Bofill war eine der umstrittensten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Architektur. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren.

Er war ein Weltstar, als Architektur zur Marke auf internationalen Bühnen wurde und noch niemand wusste, wer Rem Koolhaas ist: „Da steht er mit vierzig Jahren, (...) steigt zum zweihundertsten Mal in den Ring (...), ein Bobby Fisher der Architektur, ein Muhammad Ali der Architektur – ,mach es nicht, Ricardo‘.“ 1981, ein knappes Jahr nach Bofills Auftritt auf der Biennale Venedig jubelte der Architekturtheoretiker Charles Jencks über die Durchschlagskraft des jungen Katalanen. „Mach es nicht“: Damit meinte Jencks den Ruck zur neohistoristischen und monumentalen Fassaden aus eingefärbten Betonfertigteilen, die in den 1980er-Jahren zum Markenzeichen von Bofills Büro Taller de Arquitectura wurden.

Dass ein Architekt in seinen Vierzigern ein international so beachtetes bauliches Werk vorweisen konnte, war im 20. Jahrhundert eine Ausnahme. Ebenso dass ein Architekt ohne Architekturdiplom mit 24 Jahren seinen ersten Architekturpreis für einen realisierten Wohnungsbau gewinnt: eine brutalistisch anmutende Baulückenschließung mit roter Ziegelfassade in der barcelonischen Innenstadt.

Das zentrale Projekt seiner Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Soziologen und Theatermachern und seiner Schwester Anna Bofill im „Taller“ war die „Raumstadt“, ein zwischen 1968 und 1972 entwickeltes Stadtprojekt und Gesellschaftsmodell, das seine Realisierung in der Peripherie von Madrid nur knapp verfehlte, aber den Ideengrundstock für kommende Jahrzehnte lieferte. Grundgedanke dieses Stadtmodells war die Auflösung von Straße und Wohnblock durch das dreidimensionale Clustern von Mikroeinheiten: Die kleinste Einheit ist das Zimmer, jenseits dessen die Stadt mit Freiräumen und sozialen Infrastrukturen beginnt.

Recht auf Stadt

Ökonomisch sollte sich die Raumstadt auf Basis von kollektiven Eigentümerstrukturen im Selbstbau entwickeln. Praktisch bauten diese Konzepte auf Bauerfahrung mit experimentellen Feriensiedlungen am Meer auf (wie zum Beispiel Xanadú bei Calpe, 1965–68) sowie Großüberbauungen für Arbeiter (wie das Barriò Gaudi in Reus 1964–72). Entscheidend ist: Bei der Raumstadt ging es nicht nur um eine Antwort auf das Wohnen für alle, sondern um die Erweiterung des Wohnens durch das Angebot kollektiver Erfahrungswelten in der urbanen Peripherie.

Die beiden Projekte, in denen Teile dieser Ideen umgesetzt wurden, sind Walden 7 in Barcelona (1970–75) und Les Espaces d’Abraxas in der Pariser Neustadt Marne-la-Vallée (1978–84). Von der Fachöffentlichkeit wurden diese Projekte mit gemischten Gefühlen begrüßt. Zu monumental erschien die Sogkraft der urbanen Innenräume, zu dunkel die Wohnungen der unteren Geschosse. Die visionäre Bedeutung dieser Antworten auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft blieb angesichts des Widerwillens, die postmoderne Ästhetik zu akzeptieren, auf der Strecke.

„Es war, als würde man an den Olympischen Spielen teilnehmen“ oder „Es ist großartig, in einem Palast zu wohnen“ erinnerten sich im Gegenzug die Bewohnerinnen des monumentalen Les Espaces d’Abraxas an die ersten Jahre nach ihrem Einzug, vor allem jene, für die der Wohnungskauf oder die Zuweisung einer Sozialwohnung nach langer Wartezeit ein Aufstieg bedeutete und die nun inmitten eines Défilées an Künstlern, Architekturtouristen und Modeshootings wohnten. Hier geht es auch um das „Recht auf Stadt“, das der Philosoph Henri Lefebvre 1968 in einem Manifest einforderte. Auch Lefebvre gehörte zu jenen, die Taller de Arquitectura während der Arbeit an der „Raumstadt“ frequentierten.

„Recht auf Stadt“ beschreibt das Recht auf politische Teilhabe, aber auch das Recht auf Vergnügen und Genießen im Austausch von Informationen, Gütern und Affekten. Bei einem Besuch von Les Espaces d’Abraxas kann jedoch auch die unheimliche Dimension des Genießens zutage treten; das Projekt diente als Filmkulisse für Blockbuster, die von einem dystopischen Überwachungsstaat handeln, erst 1984 für Brazil von Terry Giliam, dann 2015 für Mockingjay: Part 2 der Hunger Games.

Als ich 2011 und 2012 im Zuge meiner Dissertation für sieben Monate in Abraxas wohnte, ändert sich jedoch meine Blickrichtung. Jetzt blickte ich nicht mehr aus der Innenstadt auf die Peripherie, sondern aus der Peripherie auf die kostbare und in puncto Immobilienpreisen unerreichbare Innenstadt. In meinem Alltag wurde die surreale Kulisse zum Angebot eines gestalteten öffentlichen Raumes, der zum Träumen und zum Fürchten, aber auch zum Fußballspielen, Sich-Treffen, für Video- und Tanzperformances einlud. Ein Angebot, das es im städtischen Umfeld der Pariser Banlieue nicht gab.

In den 1980ern endete der Traum von Zentralität in Abraxas und anderen Pariser Neustädten jedoch abrupt in einer Schuldenkrise. Sie entstand durch die aggressive Vermarktung von Subprime-Krediten auf dem Wohnungsmarkt ab 1978 und erfasste nicht nur Einfamilienhaussiedlungen, sondern auch die jungen Neustadtzentren. Die damit einhergehende Vernachlässigung des urbanen Umfelds führte dazu, dass die Mittelklasse Abraxas genauso schnell verließ, wie dies bei den Grands Ensembles in den 1970ern der Fall war.

Unverständnis

Der Grund dieses Versagens wurde auf die Ikonozität und Monumentalität von Abraxas projiziert und der Architekt in die Verantwortung gezogen, während die Wohnungsbaugesellschaft schon 1985 bankrottgegangen war.

Mediales Unverständnis und der Streit mit nahezu allen Gründungsmitgliedern des Taller mögen dazu beigetragen haben, dass sich Ricardo Bofill ab den 1990er-Jahren weitestgehend aus der Fachöffentlichkeit zurückzog. Dennoch blieb er ein genialer Kommunikationskünstler, Manager und Ideengeber, dessen internationales Büro RBTA bis heute Großprojekte von Marokko bis China realisiert. Letzten Freitag starb Ricardo Bofill im Alter von 82 Jahren.

[ Anne Kockelkorn lehrt an der TU Delft und promovierte 2018 zu den Räumen des Abraxas und den Vorgängerprojekten von Taller de Arquitectura an der ETH Zürich. ]

Der Standard, Sa., 2022.01.22

25. November 2016Anne Kockelkorn
TEC21

Raumtheater und Sozialpalast

Die Gegenwart entdeckt die Wohnbauexperimente der letzten 60 Jahre neu. Das Raumschiff ist eine häufige Assoziation; selten wurde sie so weit getrieben wie bei dem Wohnkomplex «Walden 7», den Ricardo Bofill und seine Mitarbeiter 1975 in Barcelona erstellten.

Die Gegenwart entdeckt die Wohnbauexperimente der letzten 60 Jahre neu. Das Raumschiff ist eine häufige Assoziation; selten wurde sie so weit getrieben wie bei dem Wohnkomplex «Walden 7», den Ricardo Bofill und seine Mitarbeiter 1975 in Barcelona erstellten.

Am besten beginnt man mit dem Blick von oben. Aus hundert Metern Höhe erscheint die Gebäudemasse wie eine gewaltige vertikale Kasbah mit fünf Innenhöfen. Dieses Luftbild ist auch ohne Hubschrauber zu haben, denn direkt neben dem Wohnhochhaus aus den 1970er-Jahren ragt ein ehemaliger Industrieturm auf, der heute als Restaurant dient. In der Ferne jenseits der Vorortlandschaften blinkt das Mittelmeer, und links unten liegt das Büro Taller de Arquitectura von Ricardo Bofill in den Betonzylindern einer alten Zementfabrik.

Entspannt suggestiver Komplex

Unten auf der Strasse geben die Glasfenster der hohen Eingangstüren zunächst nur wenig vom Raumspektakel im Innern preis. Doch die Begehung der fünf Innenhöfe und der Laubengalerien, die die 446 Wohnungen über ein komplexes Erschliessungssystem vernetzen, entwickelt sich wie die Szenografie eines Kinofilms – möglicherweise unter der Regie von Orson Welles.[1]

Im offenen Erdgeschoss meint man für wenige Augenblicke, ein gotisches Kirchenschiff zu betreten. Lichtstrahlen, in denen Staubpartikel auf frisch gewischte Kacheln rieseln, dringen bis zum Boden durch. An den abgeschalteten Wasserspielen vorbei weckt ein Spaziergang durch die engen Treppenläufe und dramatischen Lichtwechsel eine hypnotische Faszination, verstärkt durch das Terrakottarot und Türkisblau der Wände. Die Suggestionskraft ist stark genug, um den Besucher mit dem Gedanken zu verführen, in die Gegenwelt eines wachsenden Organismus einzutauchen.

Im Gegensatz dazu erzählen die Obergeschosse und Gemeinschaftsräume von der entspannten Aneignung der Bewohner – sei es die Tischtennisplatte gegenüber der Briefkastenwand im Erdgeschoss, Blumentöpfe und Wäscheständer in den Balkonbuchten oder der weiss gekachelte Zugang zur Parkgarage, der umlaufend mit Gedichten von José Agustín Goytisolo (1928–1999) beschrieben ist, einem der bedeutendsten katalanischen Dichter, Freund Ricardo Bofills und enger Mitarbeiter des Büros.

«Walden 7, das ist kein Gebäude, sondern eine Lebenseinstellung», erklärt die Architektin und Komponistin Anna Bofill, Schwester von Ricardo, die eine Maisonettewohnung am Südostrand des Gebäudes mit Blick zum Meer bewohnt.[2] Die Anspielung auf die Gesellschaftsutopien Henry David Thoreaus und Burrhus Frederic Skinners war in der Planungs- und Realisierungszeit zwischen 1970 und 1975 Programm.

Ausgehend von der Hypothese, dass gebauter Raum soziale Verhältnisse direkt beeinflusst, hat Ricardo Bofill in seiner Autobiografie «Architecture d’un Homme» (1978) Walden 7 als ein Avantgardeprojekt bezeichnet, das als psychologisches Experiment Bewusstsein und Lebensweise der Bewohner verändern sollte.[3] Zugleich ist das Projekt als Gegenthese zum modernistischen Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne und zur Gesellschaft der Franco-Diktatur zu verstehen.

Die hygienistische Forderung nach Transparenz, Licht, Luft und Sonne verwandelt sich im heissen Spanien in ein verschachteltes und schattiges Labyrinth, das Wohnungseinheiten von 30 m² zu Clustern unterschiedlicher Grösse addiert und entlang diagonaler Achsen im Raum verschiebt. Eine Kreuzung aus Raumtheater und Sozialpalast hatten die Mitarbeiter von Taller de Arquitectura im Sinn, mit dem Ziel, die Kleinfamilie aufzubrechen und stattdessen «selbstständige Individuen» und die Mikrogesellschaft der Bewohner direkt zueinander in Bezug zu setzen.

Urbane Gegenwelten

Mehrere Projekte gingen dem Experiment voraus – etwa das Sozialwohnungsbauquartier Barri Gaudí in Reus (erster Bauabschnitt 1966–1968) oder die ungebaut gebliebene Raumstadt für Madrid (La Ciudad en el Espacio, 1968–1970), deren 1500 Wohnungen als evolutionäres System in Selbstbauweise wachsen sollte. Doch keiner der realisierten Vorläufer reizte die damaligen Grenzen des Mach- und Zumutbaren so aus wie Walden 7. Ein in sich geschlossenes Universum, das sich entschieden von der urbanen Aussenwelt abgrenzt, diese als irreal erscheinen lassen will und in dem die Bewohner mit möglichst wenig Mobiliar und Gegenständen sich in halbdunklen Raumzellen «mit sich selbst konfrontieren» sollten.[4]

Im Grundriss wurde diese Vorgabe insofern umgesetzt, als die Raumeinheiten in etwa gleich gross waren und kein Wohnzimmer in den Mittelpunkt rückten. Stattdessen gruppierte sich ein Raumplan en miniature um ein teppichbelegtes «Conversation-pit»: Auf der einen Seite steht ein Bett, auf der anderen ein Tisch, den eine Leinwand von der dahinter in den Boden eingelassenen Badewanne abtrennt. Sodass «Gäste hier Dias projizieren können, während man ein Bad nimmt». Dies schlug der britische Architekturkritiker Geoffrey Broadbent 1975 in «Architectural Design» vor und umschrieb damit die Bandbreite des freizügigen Lebensexperiments.

Utopie und Realität

Wie weit die Gesellschaftsutopie gehen sollte, zeigt sich ebenfalls am ursprünglichen Vorhaben, hier keine Wohnungen, sondern Anteile am Raumvolumen zu verkaufen, womit jeder Käufer auch Miteigentümer der Gemeinschaftsräume geworden wäre. Dies erwies sich als genauso wenig durchführbar wie die zunächst anvisierten Gemeinschaftsküchen. Realisierbar wurde das Projekt schliesslich durch die Finanzierung einer katalanischen Bank und den Verkauf von Wohnungen durch subventionierte Eigentümerkredite. Doch das Experiment hatte seinen Preis: Die Bewohner waren bald mit Bauschäden konfrontiert, mussten sich mit Rissen im Fussboden, Wasserschäden und herabfallenden Kacheln arrangieren, die jahrelang von Netzen über den Innenhöfen und entlang der Passerellen aufgefangen wurden.

Im Oktober 1988 beschrieb der Kritiker Manfred Sack das Projekt in der Bauwelt als Albtraum einer monumentalen Bauruine. Ein Jahr später ging es nach der Insolvenz des Bauunternehmers in den Besitz der Gemeinde Sant Just Desvern über. Diese übergab die Sanierung einer Public-Private-Partnership-Gesellschaft, löste durch einen Quartierentwicklungsplan die Inselsituation im Industriegebiet auf und bettete Walden 7 in ein neues Wohnquartier ein. Die ursprüngliche Kachelfassade wurde durch farbigen Putz ersetzt, und einige Wohnungen erhielten auf Wunsch der Eigentümer zusätzliche Fenster, von aussen durch vertikale Ziegelmauerwerkstreifen an den Fassadenrhythmus angepasst. Die mit Mauerwerk ausgefachte Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Stahlbeton war für solche Umbauten flexibel genug.

Nach zwanzig Jahren kontinuierlicher Aufwertung von Wohnkomfort und Immobilienpreisen hat Walden 7 inzwischen seinen festen Platz in der Baugeschichte Barcelonas und als Wohnort der urbanen Eliten der Stadt. Vertreter der lokalen Politik- und Kulturszene schätzen das Architekturexperiment genauso wie die Kombination aus Zusammenleben und individuellem Lebensstil. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein kollektives Experiment, das als Utopie im modernen Sinn neue Gesellschaftsformen ausprobieren wollte und dessen Wohnqualität sich am flexiblen Grundriss und der Gestalt der Zwischen- und Zugangsräume ausmachen lässt – auch wenn der Glaube der Moderne, allein durch gebaute Formen «Gesellschaft» prägen zu können, hier an genauso harte Grenzen prallte wie bei den Avantgarden der 1920er-Jahre.

Der Artikel erschien erstmals im Baumeister Nr. 4 (2014), S. 74–83.


Anmerkungen:
[01] Die Affinität der Mitglieder von Taller de Arquitectura zum Avantgardekino und zu Orson Welles im Besonderen zeigt sich auch anhand der Projektnamen vorhergehender Bauten, z. B. «Xanadu» (La Manzanera, 1966–1968) oder «Kafka’s Castle» (Sitges, 1966–1968).
[02] Gespräch mit der Autorin im Oktober 2011.
[03] Ricardo Bofill: Architecture d’un homme, Paris: Arthaud, S. 56–58.
[04] A. a. O, S. 56 und 63.

TEC21, Fr., 2016.11.25



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TEC21 2016|48 Architekturkreuzfahrt 2016: Mediterrane Moderne

11. Juni 2010Anne Kockelkorn
Friederike Meyer
Bauwelt

Der Boulevard Interview mit Cathrin Fische

Die sogenannte Expo-Achse ist Verkehrsknotenpunkt und Aussichtsterrasse, Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum, Businessplattform und Shoppingmeile. Neben dem chinesischen Pavillon gilt sie als Wahrzeichen dieser Weltausstellung. SBA International und die Ingenieure von Knippers Helbig haben die hybride Struktur für die Zeit nach der Expo entwickelt.

Die sogenannte Expo-Achse ist Verkehrsknotenpunkt und Aussichtsterrasse, Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum, Businessplattform und Shoppingmeile. Neben dem chinesischen Pavillon gilt sie als Wahrzeichen dieser Weltausstellung. SBA International und die Ingenieure von Knippers Helbig haben die hybride Struktur für die Zeit nach der Expo entwickelt.

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verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2010|23 Kirmes am Huangpu

01. April 2010Anne Kockelkorn
Bauwelt

Dienstleistungszentrum am Flughafen Zürich

Sauberkeit, Effizienz und Komfort, das ist das Image der Schweiz, wenn es um die technisierte Fortbewegung geht. Das gilt auch für den Flughafen Zürich-Kloten, den die Touristikbranche immer wieder als besten Flughafen Europas auszeichnet. Da die Kapazitäten endlich sind, der Umsatz aber langfristig gesichert sein soll, hat die Flughafengesellschaft „Unique“ beschlossen, einen Dienstleistungskomplex zu bauen. Den jetzt entschiedenen Wettbewerb hat der Japaner Riken Yamamoto gewonnen.

Sauberkeit, Effizienz und Komfort, das ist das Image der Schweiz, wenn es um die technisierte Fortbewegung geht. Das gilt auch für den Flughafen Zürich-Kloten, den die Touristikbranche immer wieder als besten Flughafen Europas auszeichnet. Da die Kapazitäten endlich sind, der Umsatz aber langfristig gesichert sein soll, hat die Flughafengesellschaft „Unique“ beschlossen, einen Dienstleistungskomplex zu bauen. Den jetzt entschiedenen Wettbewerb hat der Japaner Riken Yamamoto gewonnen.

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Bauwelt 2010|13 Zwei Ein-Raum-Konzepte

24. April 2008Anne Kockelkorn
Bauwelt

Realitätsvorschlag

Zur Berlin Biennale hat Maribel López für ihre neue Galerie in eine kostspielige Installation investiert: in einen 60 Meter langen Gipskartongang, der den gesamten Galerieraum unter einem S-Bahnbogen nahe der Jannowitzbrücke auffüllt. Ein klassisches Labyrinth ohne Abzweig, zweieinhalb Meter hoch und 90 Zentimeter breit. Nach Vorgabe der Künstlerin Elín Hansdóttir betritt man die Installation allein. Die Tür fällt ins Schloss.

Zur Berlin Biennale hat Maribel López für ihre neue Galerie in eine kostspielige Installation investiert: in einen 60 Meter langen Gipskartongang, der den gesamten Galerieraum unter einem S-Bahnbogen nahe der Jannowitzbrücke auffüllt. Ein klassisches Labyrinth ohne Abzweig, zweieinhalb Meter hoch und 90 Zentimeter breit. Nach Vorgabe der Künstlerin Elín Hansdóttir betritt man die Installation allein. Die Tür fällt ins Schloss.

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Bauwelt 2008|16 Das Theater in Vicenza

07. März 2008Anne Kockelkorn
Friederike Meyer
Bauwelt

Vatnsmýri – Stadterweiterung in Reykjavik

Auf dem zentrumsnahen Gelände des Flughafens Vatnsmýri, der voraussichtlich 2016 aufgegeben wird, plant Reykjavik eine Innenstadterweiterung. Noch nie in der Geschichte des Landes hat es eine derart großräumige Planung gegeben – die Erwartungen an den im zweiten Anlauf weltweit und offen ausgeschriebenen Wettbewerb waren entsprechend hoch.

Auf dem zentrumsnahen Gelände des Flughafens Vatnsmýri, der voraussichtlich 2016 aufgegeben wird, plant Reykjavik eine Innenstadterweiterung. Noch nie in der Geschichte des Landes hat es eine derart großräumige Planung gegeben – die Erwartungen an den im zweiten Anlauf weltweit und offen ausgeschriebenen Wettbewerb waren entsprechend hoch.

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Bauwelt 2008|10 Beton plastisch

06. Juli 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Was tun mit den Fördergeldern?

Die Praxis der EU-Fördergelder ist in letzter Zeit immer häufiger kritisiert worden als eine teure Umverteilungsbürokratie, die viel zu viele Sinnlosigkeiten zeitigt. Vier Interviews und drei Beispiele aus der brandenburgischen Provinz versuchen, sich dem komplexen Thema zu nähern.

Die Praxis der EU-Fördergelder ist in letzter Zeit immer häufiger kritisiert worden als eine teure Umverteilungsbürokratie, die viel zu viele Sinnlosigkeiten zeitigt. Vier Interviews und drei Beispiele aus der brandenburgischen Provinz versuchen, sich dem komplexen Thema zu nähern.

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Presseschau 12

22. Januar 2022Anne Kockelkorn
Der Standard

Das Recht auf Genuss

Seine Wohngebirge zwischen mediterraner Farbenfreude und Versailles-Versatzstücken lassen niemanden kalt. Ricardo Bofill war eine der umstrittensten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Architektur. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren.

Seine Wohngebirge zwischen mediterraner Farbenfreude und Versailles-Versatzstücken lassen niemanden kalt. Ricardo Bofill war eine der umstrittensten und faszinierendsten Persönlichkeiten der Architektur. Jetzt starb er im Alter von 82 Jahren.

Er war ein Weltstar, als Architektur zur Marke auf internationalen Bühnen wurde und noch niemand wusste, wer Rem Koolhaas ist: „Da steht er mit vierzig Jahren, (...) steigt zum zweihundertsten Mal in den Ring (...), ein Bobby Fisher der Architektur, ein Muhammad Ali der Architektur – ,mach es nicht, Ricardo‘.“ 1981, ein knappes Jahr nach Bofills Auftritt auf der Biennale Venedig jubelte der Architekturtheoretiker Charles Jencks über die Durchschlagskraft des jungen Katalanen. „Mach es nicht“: Damit meinte Jencks den Ruck zur neohistoristischen und monumentalen Fassaden aus eingefärbten Betonfertigteilen, die in den 1980er-Jahren zum Markenzeichen von Bofills Büro Taller de Arquitectura wurden.

Dass ein Architekt in seinen Vierzigern ein international so beachtetes bauliches Werk vorweisen konnte, war im 20. Jahrhundert eine Ausnahme. Ebenso dass ein Architekt ohne Architekturdiplom mit 24 Jahren seinen ersten Architekturpreis für einen realisierten Wohnungsbau gewinnt: eine brutalistisch anmutende Baulückenschließung mit roter Ziegelfassade in der barcelonischen Innenstadt.

Das zentrale Projekt seiner Zusammenarbeit mit Schriftstellern, Soziologen und Theatermachern und seiner Schwester Anna Bofill im „Taller“ war die „Raumstadt“, ein zwischen 1968 und 1972 entwickeltes Stadtprojekt und Gesellschaftsmodell, das seine Realisierung in der Peripherie von Madrid nur knapp verfehlte, aber den Ideengrundstock für kommende Jahrzehnte lieferte. Grundgedanke dieses Stadtmodells war die Auflösung von Straße und Wohnblock durch das dreidimensionale Clustern von Mikroeinheiten: Die kleinste Einheit ist das Zimmer, jenseits dessen die Stadt mit Freiräumen und sozialen Infrastrukturen beginnt.

Recht auf Stadt

Ökonomisch sollte sich die Raumstadt auf Basis von kollektiven Eigentümerstrukturen im Selbstbau entwickeln. Praktisch bauten diese Konzepte auf Bauerfahrung mit experimentellen Feriensiedlungen am Meer auf (wie zum Beispiel Xanadú bei Calpe, 1965–68) sowie Großüberbauungen für Arbeiter (wie das Barriò Gaudi in Reus 1964–72). Entscheidend ist: Bei der Raumstadt ging es nicht nur um eine Antwort auf das Wohnen für alle, sondern um die Erweiterung des Wohnens durch das Angebot kollektiver Erfahrungswelten in der urbanen Peripherie.

Die beiden Projekte, in denen Teile dieser Ideen umgesetzt wurden, sind Walden 7 in Barcelona (1970–75) und Les Espaces d’Abraxas in der Pariser Neustadt Marne-la-Vallée (1978–84). Von der Fachöffentlichkeit wurden diese Projekte mit gemischten Gefühlen begrüßt. Zu monumental erschien die Sogkraft der urbanen Innenräume, zu dunkel die Wohnungen der unteren Geschosse. Die visionäre Bedeutung dieser Antworten auf eine sich ausdifferenzierende Gesellschaft blieb angesichts des Widerwillens, die postmoderne Ästhetik zu akzeptieren, auf der Strecke.

„Es war, als würde man an den Olympischen Spielen teilnehmen“ oder „Es ist großartig, in einem Palast zu wohnen“ erinnerten sich im Gegenzug die Bewohnerinnen des monumentalen Les Espaces d’Abraxas an die ersten Jahre nach ihrem Einzug, vor allem jene, für die der Wohnungskauf oder die Zuweisung einer Sozialwohnung nach langer Wartezeit ein Aufstieg bedeutete und die nun inmitten eines Défilées an Künstlern, Architekturtouristen und Modeshootings wohnten. Hier geht es auch um das „Recht auf Stadt“, das der Philosoph Henri Lefebvre 1968 in einem Manifest einforderte. Auch Lefebvre gehörte zu jenen, die Taller de Arquitectura während der Arbeit an der „Raumstadt“ frequentierten.

„Recht auf Stadt“ beschreibt das Recht auf politische Teilhabe, aber auch das Recht auf Vergnügen und Genießen im Austausch von Informationen, Gütern und Affekten. Bei einem Besuch von Les Espaces d’Abraxas kann jedoch auch die unheimliche Dimension des Genießens zutage treten; das Projekt diente als Filmkulisse für Blockbuster, die von einem dystopischen Überwachungsstaat handeln, erst 1984 für Brazil von Terry Giliam, dann 2015 für Mockingjay: Part 2 der Hunger Games.

Als ich 2011 und 2012 im Zuge meiner Dissertation für sieben Monate in Abraxas wohnte, ändert sich jedoch meine Blickrichtung. Jetzt blickte ich nicht mehr aus der Innenstadt auf die Peripherie, sondern aus der Peripherie auf die kostbare und in puncto Immobilienpreisen unerreichbare Innenstadt. In meinem Alltag wurde die surreale Kulisse zum Angebot eines gestalteten öffentlichen Raumes, der zum Träumen und zum Fürchten, aber auch zum Fußballspielen, Sich-Treffen, für Video- und Tanzperformances einlud. Ein Angebot, das es im städtischen Umfeld der Pariser Banlieue nicht gab.

In den 1980ern endete der Traum von Zentralität in Abraxas und anderen Pariser Neustädten jedoch abrupt in einer Schuldenkrise. Sie entstand durch die aggressive Vermarktung von Subprime-Krediten auf dem Wohnungsmarkt ab 1978 und erfasste nicht nur Einfamilienhaussiedlungen, sondern auch die jungen Neustadtzentren. Die damit einhergehende Vernachlässigung des urbanen Umfelds führte dazu, dass die Mittelklasse Abraxas genauso schnell verließ, wie dies bei den Grands Ensembles in den 1970ern der Fall war.

Unverständnis

Der Grund dieses Versagens wurde auf die Ikonozität und Monumentalität von Abraxas projiziert und der Architekt in die Verantwortung gezogen, während die Wohnungsbaugesellschaft schon 1985 bankrottgegangen war.

Mediales Unverständnis und der Streit mit nahezu allen Gründungsmitgliedern des Taller mögen dazu beigetragen haben, dass sich Ricardo Bofill ab den 1990er-Jahren weitestgehend aus der Fachöffentlichkeit zurückzog. Dennoch blieb er ein genialer Kommunikationskünstler, Manager und Ideengeber, dessen internationales Büro RBTA bis heute Großprojekte von Marokko bis China realisiert. Letzten Freitag starb Ricardo Bofill im Alter von 82 Jahren.

[ Anne Kockelkorn lehrt an der TU Delft und promovierte 2018 zu den Räumen des Abraxas und den Vorgängerprojekten von Taller de Arquitectura an der ETH Zürich. ]

Der Standard, Sa., 2022.01.22

25. November 2016Anne Kockelkorn
TEC21

Raumtheater und Sozialpalast

Die Gegenwart entdeckt die Wohnbauexperimente der letzten 60 Jahre neu. Das Raumschiff ist eine häufige Assoziation; selten wurde sie so weit getrieben wie bei dem Wohnkomplex «Walden 7», den Ricardo Bofill und seine Mitarbeiter 1975 in Barcelona erstellten.

Die Gegenwart entdeckt die Wohnbauexperimente der letzten 60 Jahre neu. Das Raumschiff ist eine häufige Assoziation; selten wurde sie so weit getrieben wie bei dem Wohnkomplex «Walden 7», den Ricardo Bofill und seine Mitarbeiter 1975 in Barcelona erstellten.

Am besten beginnt man mit dem Blick von oben. Aus hundert Metern Höhe erscheint die Gebäudemasse wie eine gewaltige vertikale Kasbah mit fünf Innenhöfen. Dieses Luftbild ist auch ohne Hubschrauber zu haben, denn direkt neben dem Wohnhochhaus aus den 1970er-Jahren ragt ein ehemaliger Industrieturm auf, der heute als Restaurant dient. In der Ferne jenseits der Vorortlandschaften blinkt das Mittelmeer, und links unten liegt das Büro Taller de Arquitectura von Ricardo Bofill in den Betonzylindern einer alten Zementfabrik.

Entspannt suggestiver Komplex

Unten auf der Strasse geben die Glasfenster der hohen Eingangstüren zunächst nur wenig vom Raumspektakel im Innern preis. Doch die Begehung der fünf Innenhöfe und der Laubengalerien, die die 446 Wohnungen über ein komplexes Erschliessungssystem vernetzen, entwickelt sich wie die Szenografie eines Kinofilms – möglicherweise unter der Regie von Orson Welles.[1]

Im offenen Erdgeschoss meint man für wenige Augenblicke, ein gotisches Kirchenschiff zu betreten. Lichtstrahlen, in denen Staubpartikel auf frisch gewischte Kacheln rieseln, dringen bis zum Boden durch. An den abgeschalteten Wasserspielen vorbei weckt ein Spaziergang durch die engen Treppenläufe und dramatischen Lichtwechsel eine hypnotische Faszination, verstärkt durch das Terrakottarot und Türkisblau der Wände. Die Suggestionskraft ist stark genug, um den Besucher mit dem Gedanken zu verführen, in die Gegenwelt eines wachsenden Organismus einzutauchen.

Im Gegensatz dazu erzählen die Obergeschosse und Gemeinschaftsräume von der entspannten Aneignung der Bewohner – sei es die Tischtennisplatte gegenüber der Briefkastenwand im Erdgeschoss, Blumentöpfe und Wäscheständer in den Balkonbuchten oder der weiss gekachelte Zugang zur Parkgarage, der umlaufend mit Gedichten von José Agustín Goytisolo (1928–1999) beschrieben ist, einem der bedeutendsten katalanischen Dichter, Freund Ricardo Bofills und enger Mitarbeiter des Büros.

«Walden 7, das ist kein Gebäude, sondern eine Lebenseinstellung», erklärt die Architektin und Komponistin Anna Bofill, Schwester von Ricardo, die eine Maisonettewohnung am Südostrand des Gebäudes mit Blick zum Meer bewohnt.[2] Die Anspielung auf die Gesellschaftsutopien Henry David Thoreaus und Burrhus Frederic Skinners war in der Planungs- und Realisierungszeit zwischen 1970 und 1975 Programm.

Ausgehend von der Hypothese, dass gebauter Raum soziale Verhältnisse direkt beeinflusst, hat Ricardo Bofill in seiner Autobiografie «Architecture d’un Homme» (1978) Walden 7 als ein Avantgardeprojekt bezeichnet, das als psychologisches Experiment Bewusstsein und Lebensweise der Bewohner verändern sollte.[3] Zugleich ist das Projekt als Gegenthese zum modernistischen Wohnungsbau der Nachkriegsmoderne und zur Gesellschaft der Franco-Diktatur zu verstehen.

Die hygienistische Forderung nach Transparenz, Licht, Luft und Sonne verwandelt sich im heissen Spanien in ein verschachteltes und schattiges Labyrinth, das Wohnungseinheiten von 30 m² zu Clustern unterschiedlicher Grösse addiert und entlang diagonaler Achsen im Raum verschiebt. Eine Kreuzung aus Raumtheater und Sozialpalast hatten die Mitarbeiter von Taller de Arquitectura im Sinn, mit dem Ziel, die Kleinfamilie aufzubrechen und stattdessen «selbstständige Individuen» und die Mikrogesellschaft der Bewohner direkt zueinander in Bezug zu setzen.

Urbane Gegenwelten

Mehrere Projekte gingen dem Experiment voraus – etwa das Sozialwohnungsbauquartier Barri Gaudí in Reus (erster Bauabschnitt 1966–1968) oder die ungebaut gebliebene Raumstadt für Madrid (La Ciudad en el Espacio, 1968–1970), deren 1500 Wohnungen als evolutionäres System in Selbstbauweise wachsen sollte. Doch keiner der realisierten Vorläufer reizte die damaligen Grenzen des Mach- und Zumutbaren so aus wie Walden 7. Ein in sich geschlossenes Universum, das sich entschieden von der urbanen Aussenwelt abgrenzt, diese als irreal erscheinen lassen will und in dem die Bewohner mit möglichst wenig Mobiliar und Gegenständen sich in halbdunklen Raumzellen «mit sich selbst konfrontieren» sollten.[4]

Im Grundriss wurde diese Vorgabe insofern umgesetzt, als die Raumeinheiten in etwa gleich gross waren und kein Wohnzimmer in den Mittelpunkt rückten. Stattdessen gruppierte sich ein Raumplan en miniature um ein teppichbelegtes «Conversation-pit»: Auf der einen Seite steht ein Bett, auf der anderen ein Tisch, den eine Leinwand von der dahinter in den Boden eingelassenen Badewanne abtrennt. Sodass «Gäste hier Dias projizieren können, während man ein Bad nimmt». Dies schlug der britische Architekturkritiker Geoffrey Broadbent 1975 in «Architectural Design» vor und umschrieb damit die Bandbreite des freizügigen Lebensexperiments.

Utopie und Realität

Wie weit die Gesellschaftsutopie gehen sollte, zeigt sich ebenfalls am ursprünglichen Vorhaben, hier keine Wohnungen, sondern Anteile am Raumvolumen zu verkaufen, womit jeder Käufer auch Miteigentümer der Gemeinschaftsräume geworden wäre. Dies erwies sich als genauso wenig durchführbar wie die zunächst anvisierten Gemeinschaftsküchen. Realisierbar wurde das Projekt schliesslich durch die Finanzierung einer katalanischen Bank und den Verkauf von Wohnungen durch subventionierte Eigentümerkredite. Doch das Experiment hatte seinen Preis: Die Bewohner waren bald mit Bauschäden konfrontiert, mussten sich mit Rissen im Fussboden, Wasserschäden und herabfallenden Kacheln arrangieren, die jahrelang von Netzen über den Innenhöfen und entlang der Passerellen aufgefangen wurden.

Im Oktober 1988 beschrieb der Kritiker Manfred Sack das Projekt in der Bauwelt als Albtraum einer monumentalen Bauruine. Ein Jahr später ging es nach der Insolvenz des Bauunternehmers in den Besitz der Gemeinde Sant Just Desvern über. Diese übergab die Sanierung einer Public-Private-Partnership-Gesellschaft, löste durch einen Quartierentwicklungsplan die Inselsituation im Industriegebiet auf und bettete Walden 7 in ein neues Wohnquartier ein. Die ursprüngliche Kachelfassade wurde durch farbigen Putz ersetzt, und einige Wohnungen erhielten auf Wunsch der Eigentümer zusätzliche Fenster, von aussen durch vertikale Ziegelmauerwerkstreifen an den Fassadenrhythmus angepasst. Die mit Mauerwerk ausgefachte Pfosten-Riegel-Konstruktion aus Stahlbeton war für solche Umbauten flexibel genug.

Nach zwanzig Jahren kontinuierlicher Aufwertung von Wohnkomfort und Immobilienpreisen hat Walden 7 inzwischen seinen festen Platz in der Baugeschichte Barcelonas und als Wohnort der urbanen Eliten der Stadt. Vertreter der lokalen Politik- und Kulturszene schätzen das Architekturexperiment genauso wie die Kombination aus Zusammenleben und individuellem Lebensstil. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein kollektives Experiment, das als Utopie im modernen Sinn neue Gesellschaftsformen ausprobieren wollte und dessen Wohnqualität sich am flexiblen Grundriss und der Gestalt der Zwischen- und Zugangsräume ausmachen lässt – auch wenn der Glaube der Moderne, allein durch gebaute Formen «Gesellschaft» prägen zu können, hier an genauso harte Grenzen prallte wie bei den Avantgarden der 1920er-Jahre.

Der Artikel erschien erstmals im Baumeister Nr. 4 (2014), S. 74–83.


Anmerkungen:
[01] Die Affinität der Mitglieder von Taller de Arquitectura zum Avantgardekino und zu Orson Welles im Besonderen zeigt sich auch anhand der Projektnamen vorhergehender Bauten, z. B. «Xanadu» (La Manzanera, 1966–1968) oder «Kafka’s Castle» (Sitges, 1966–1968).
[02] Gespräch mit der Autorin im Oktober 2011.
[03] Ricardo Bofill: Architecture d’un homme, Paris: Arthaud, S. 56–58.
[04] A. a. O, S. 56 und 63.

TEC21, Fr., 2016.11.25



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TEC21 2016|48 Architekturkreuzfahrt 2016: Mediterrane Moderne

11. Juni 2010Anne Kockelkorn
Friederike Meyer
Bauwelt

Der Boulevard Interview mit Cathrin Fische

Die sogenannte Expo-Achse ist Verkehrsknotenpunkt und Aussichtsterrasse, Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum, Businessplattform und Shoppingmeile. Neben dem chinesischen Pavillon gilt sie als Wahrzeichen dieser Weltausstellung. SBA International und die Ingenieure von Knippers Helbig haben die hybride Struktur für die Zeit nach der Expo entwickelt.

Die sogenannte Expo-Achse ist Verkehrsknotenpunkt und Aussichtsterrasse, Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum, Businessplattform und Shoppingmeile. Neben dem chinesischen Pavillon gilt sie als Wahrzeichen dieser Weltausstellung. SBA International und die Ingenieure von Knippers Helbig haben die hybride Struktur für die Zeit nach der Expo entwickelt.

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Bauwelt 2010|23 Kirmes am Huangpu

01. April 2010Anne Kockelkorn
Bauwelt

Dienstleistungszentrum am Flughafen Zürich

Sauberkeit, Effizienz und Komfort, das ist das Image der Schweiz, wenn es um die technisierte Fortbewegung geht. Das gilt auch für den Flughafen Zürich-Kloten, den die Touristikbranche immer wieder als besten Flughafen Europas auszeichnet. Da die Kapazitäten endlich sind, der Umsatz aber langfristig gesichert sein soll, hat die Flughafengesellschaft „Unique“ beschlossen, einen Dienstleistungskomplex zu bauen. Den jetzt entschiedenen Wettbewerb hat der Japaner Riken Yamamoto gewonnen.

Sauberkeit, Effizienz und Komfort, das ist das Image der Schweiz, wenn es um die technisierte Fortbewegung geht. Das gilt auch für den Flughafen Zürich-Kloten, den die Touristikbranche immer wieder als besten Flughafen Europas auszeichnet. Da die Kapazitäten endlich sind, der Umsatz aber langfristig gesichert sein soll, hat die Flughafengesellschaft „Unique“ beschlossen, einen Dienstleistungskomplex zu bauen. Den jetzt entschiedenen Wettbewerb hat der Japaner Riken Yamamoto gewonnen.

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Bauwelt 2010|13 Zwei Ein-Raum-Konzepte

24. April 2008Anne Kockelkorn
Bauwelt

Realitätsvorschlag

Zur Berlin Biennale hat Maribel López für ihre neue Galerie in eine kostspielige Installation investiert: in einen 60 Meter langen Gipskartongang, der den gesamten Galerieraum unter einem S-Bahnbogen nahe der Jannowitzbrücke auffüllt. Ein klassisches Labyrinth ohne Abzweig, zweieinhalb Meter hoch und 90 Zentimeter breit. Nach Vorgabe der Künstlerin Elín Hansdóttir betritt man die Installation allein. Die Tür fällt ins Schloss.

Zur Berlin Biennale hat Maribel López für ihre neue Galerie in eine kostspielige Installation investiert: in einen 60 Meter langen Gipskartongang, der den gesamten Galerieraum unter einem S-Bahnbogen nahe der Jannowitzbrücke auffüllt. Ein klassisches Labyrinth ohne Abzweig, zweieinhalb Meter hoch und 90 Zentimeter breit. Nach Vorgabe der Künstlerin Elín Hansdóttir betritt man die Installation allein. Die Tür fällt ins Schloss.

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Bauwelt 2008|16 Das Theater in Vicenza

07. März 2008Anne Kockelkorn
Friederike Meyer
Bauwelt

Vatnsmýri – Stadterweiterung in Reykjavik

Auf dem zentrumsnahen Gelände des Flughafens Vatnsmýri, der voraussichtlich 2016 aufgegeben wird, plant Reykjavik eine Innenstadterweiterung. Noch nie in der Geschichte des Landes hat es eine derart großräumige Planung gegeben – die Erwartungen an den im zweiten Anlauf weltweit und offen ausgeschriebenen Wettbewerb waren entsprechend hoch.

Auf dem zentrumsnahen Gelände des Flughafens Vatnsmýri, der voraussichtlich 2016 aufgegeben wird, plant Reykjavik eine Innenstadterweiterung. Noch nie in der Geschichte des Landes hat es eine derart großräumige Planung gegeben – die Erwartungen an den im zweiten Anlauf weltweit und offen ausgeschriebenen Wettbewerb waren entsprechend hoch.

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Bauwelt 2008|10 Beton plastisch

06. Juli 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Was tun mit den Fördergeldern?

Die Praxis der EU-Fördergelder ist in letzter Zeit immer häufiger kritisiert worden als eine teure Umverteilungsbürokratie, die viel zu viele Sinnlosigkeiten zeitigt. Vier Interviews und drei Beispiele aus der brandenburgischen Provinz versuchen, sich dem komplexen Thema zu nähern.

Die Praxis der EU-Fördergelder ist in letzter Zeit immer häufiger kritisiert worden als eine teure Umverteilungsbürokratie, die viel zu viele Sinnlosigkeiten zeitigt. Vier Interviews und drei Beispiele aus der brandenburgischen Provinz versuchen, sich dem komplexen Thema zu nähern.

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Bauwelt 2007|26 Bauen mit Fördergeldern

08. Juni 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Grand Hotel Heiligendamm

Knapp 13 Millionen Euro kostet der 12 Kilometer lange Sicherheitszaun für die Staatschefs des G8-Gipfels. Dieser Text handelt nicht vom G8-Zaun, sondern von anderen Zäunen in Heiligendamm, von Barrieren, die dort bereits vor Jahren auftauchten; es ist eine leisere Geschichte über die Grenzen zwischen öffentlichem Raum und privaten Interessen; über Politiker und Denkmalschützer, die zulassen, dass das Erbe von Heiligendamm verloren geht; eine Geschichte, die letztendlich beunruhigender ist als der G8-Natodraht.

Knapp 13 Millionen Euro kostet der 12 Kilometer lange Sicherheitszaun für die Staatschefs des G8-Gipfels. Dieser Text handelt nicht vom G8-Zaun, sondern von anderen Zäunen in Heiligendamm, von Barrieren, die dort bereits vor Jahren auftauchten; es ist eine leisere Geschichte über die Grenzen zwischen öffentlichem Raum und privaten Interessen; über Politiker und Denkmalschützer, die zulassen, dass das Erbe von Heiligendamm verloren geht; eine Geschichte, die letztendlich beunruhigender ist als der G8-Natodraht.

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Bauwelt 2007|23 Neues aus den Sechzigern

01. Juni 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Zénith in Limoges

„Zénith“ ist nicht nur die französische Bezeichnung für das Himmelsgewölbe, sondern auch für eine Marke der französi­schen Kulturindustrie, genauer: für eine staatlich subventionierte Rockkonzerthalle. Diese weitgehend standardisierten Spektakelmaschinen sind so eingerichtet, dass der Auf- und Abbau von Lichtinszenierungen und Bühnendekors effizient bewältigt werden kann; mit den gewonnenen Tagen im Termin­kalender spart der Produzent Kosten für tourende Stars und Hallenmieten. Deshalb ist für ihn der Zénith attraktiver als ein herkömmliches Sportstadion, und gemeinsam beleben Zénith und Konzertproduzent das Kulturleben einer Gemeinde. Für diese wird sich die Investition in den Bau der Halle dennoch nicht amortisieren: ein Zénith ist genau wie ein Sportstadion oder eine Schule von der Finanzierung aus öffentlicher Hand abhängig. Das Kulturministerium trägt zwanzig Prozent der Bausumme, das Projekt seinerseits muss einem bestimmten Auflagenkatalog entsprechen und mindestens 3000 Konzertbesucher fassen.

„Zénith“ ist nicht nur die französische Bezeichnung für das Himmelsgewölbe, sondern auch für eine Marke der französi­schen Kulturindustrie, genauer: für eine staatlich subventionierte Rockkonzerthalle. Diese weitgehend standardisierten Spektakelmaschinen sind so eingerichtet, dass der Auf- und Abbau von Lichtinszenierungen und Bühnendekors effizient bewältigt werden kann; mit den gewonnenen Tagen im Termin­kalender spart der Produzent Kosten für tourende Stars und Hallenmieten. Deshalb ist für ihn der Zénith attraktiver als ein herkömmliches Sportstadion, und gemeinsam beleben Zénith und Konzertproduzent das Kulturleben einer Gemeinde. Für diese wird sich die Investition in den Bau der Halle dennoch nicht amortisieren: ein Zénith ist genau wie ein Sportstadion oder eine Schule von der Finanzierung aus öffentlicher Hand abhängig. Das Kulturministerium trägt zwanzig Prozent der Bausumme, das Projekt seinerseits muss einem bestimmten Auflagenkatalog entsprechen und mindestens 3000 Konzertbesucher fassen.

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Bauwelt 2007|22 Schauen und Spielen

30. März 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Geschichtspark „Ehemaliges Zellen­gefängnis Moabit“ in Berlin

BU
Das Zellengefängnis Moabit (unten) und sein Abdruck im Geschichtspark (links).
Foto: Glaßer und Dagenbach, Berlin; Lithografie aus Karl Wilke: Baueinrichtung und Verwaltung der königlichen neuen Strafanstalt (Zellengefängnis) bei Berlin, Berlin 1872

Autor: Anne Kockelkorn
Foto:
silvia glaßer und udo dagenbach

garten- und landschaftsarchitekten
Breitenbachplatz 17
14195 Berlin
Telefon:
Fax:
E-mail:
web:
49 (0)30 618 10 80
49 (0)30 612 70 96
info@glada-berlin.de
www.glada-berlin.de

BU
Das Zellengefängnis Moabit (unten) und sein Abdruck im Geschichtspark (links).
Foto: Glaßer und Dagenbach, Berlin; Lithografie aus Karl Wilke: Baueinrichtung und Verwaltung der königlichen neuen Strafanstalt (Zellengefängnis) bei Berlin, Berlin 1872

Autor: Anne Kockelkorn
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silvia glaßer und udo dagenbach

garten- und landschaftsarchitekten
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14195 Berlin
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„Von morgens fünf bis nachts um halb eins. Die Stadt­bahn fuhr alle drei Minuten. Jedesmal rief eine Frauenstimme durch den Lautsprecher auf den Bahnsteig; Lehrter Straße. Lehrter Straße. Das wehte rüber bis nach uns. Von morgens halb fünf bis nachts um halb eins. Achthundertmal: Lehrter Straße. Lehr-ter Straße.“ Zweieinhalb Jahre blieben Wolfgang Borchardt noch nach dem Kriegsende; Zeit genug, um auch seine Erinnerungen an die Inhaftierung im Zellengefängnis Moabit in eine Kurzgeschichte zu fassen, bevor er mit 26 Jahren an den Folgen seiner Kriegs-leiden starb. Seitdem sind 60 Jahre vergangen, und sowohl das Zellengefängnis als auch der Lehrter Stadt­bahnhof sind abgerissen; geblieben ist die Ziegelmauer, die dem flüchtigen Blick kaum erzählt, ob sich einst dahinter eine Fabrik, eine Schule, ein Fried­hof oder ein Gefängnis befand. Seit 1992 steht das Gelände unter Denkmalschutz, 14 Jahre später, Ende 2006, wurde der Geschichtspark eröffnet. Die Berliner Landschaftsarchitekten Glaser und Dagenbach wurden dafür gerade mit dem Landschaftsarchitek-turpreis des BDLA 2007 ausgezeichnet.

Die Einzelhaft ist eine Errungenschaft der Neuzeit, die nicht mehr die schmerzhafte Strafe zur Schau stellen, sondern auf Willen und Denken des Häftlings Einfluss nehmen wollte. Im Panoptikum tritt die Seele des Häftlings auf die Bühne der Justiz; die beobachtende Macht ist allgegenwärtig, aber uneinsehbar. Das Zellengefängnis Moabit wurde 1842–49 von Carl Ferdinand Busse als Kopie des Londoner Gefängnisses Pentonville erbaut; als Disziplinarmaschine der Isolationshaft war sein Erfolg insofern einschlagend, als die Selbstmordrate und die Zahl der psychisch kranken Häftlinge so drastisch anstiegen, dass ein Nebengebäude an der Ostmauer 1886 zum Irrenhaus umgebaut werden musste. Bis 1910 galten Isolation und Schweigegebot selbst für den Hofspaziergang, was man bis heute der Redensart „im Dreieck springen“ nachhören kann. Die drei kreisrunden Spa­zierhöfe waren durch mannshohe Mauern in jeweils 20 Dreiecke unterteilt; für jeden Häftling zwei zulaufende Mauern, darüber ein kleines Stück Himmel.

Müßiggang und Gedenken liegen nicht so weit auseinander, wie man im ersten Moment glauben mag; und die Kombination aus Park und Panoptikum besitzt mit der achteckigen Menagerie von Le Vau im Schlosspark von Versailles ein prominentes Vorbild der Architekturgeschichte, lange bevor die strahlen­förmigen Gefängnisse des 18. Jahrhunderts errich-tet wurden. In der Mitte der Salon Ludwigs XIV., zu den Rändern sieben ummauerte Tiergehege, die kon­zen­trisch auf den Salon zulaufen; zur achten Seite der Eingang. Panoptikum als auch Menagerie lassen den Betrachter Naturforschung betreiben; die Two-in-One-Realisierung von Gedenkstätte und Bürgerpark drei Jahrhunderte später in Berlin ist dennoch eine schwierige Gratwanderung zwischen Gedächtnis und Gedenkstättenkitsch, Erholung und Geschwätz.

Udo Dagenbach und Silvia Glaßer haben diese Aufgabe gemeistert. Ihr größtes Verdienst war aber vielleicht, vom ersten Gutachten 1989 bis zur Eröffnung des Parks 17 Jahre später nicht müde zu werden, das Projekt den Beamten der Stadtverwaltung zu zeigen und auf die Bedeutung des Ortes hinzuweisen. Andererseits ist es auch dem Berliner Geldmangel zu verdanken, dass das Gelände der Stadt erhalten blieb; wären jederzeit die nötigen Mittel vorhanden gewesen, stünde jetzt auf dem Parkgelände eine Schule, verliefe darunter der Tiergartentunnel und daneben die Westtangente der Stadtautobahn. Nichts davon wurde realisiert, und zum Glück der Mittellosigkeit gesellte sich das Geschick der Planer.

Die Landschaftsarchitekten ließen die Gefängnismauer denkmalgerecht restaurieren und teilten das Parkgelände in zwei Hälften. Auf der einen Seite planten sie eine romantische Landschaft als Remi-niszenz an die zugewucherte Lagerstätte des Westber­liner Tiefbauamtes von 1960 bis 1990; auf der an-deren Hälfte legten sie die Gedenkstätte als strengen Jardin à la française an. Hier die partizipative Spielplatzgestaltung, das wilde Robinienwäldchen und
in den Boden gepflasterte Reste der Moltkebrücke; dort die reduzierten skulpturalen Zitate der Gefängnisform. Die Außenwände der vier Zellenflügel zeichneten die Architekten mit niedrigen Betonmauern nach und legten zwei der Zellenflügel als schräg ansteigende Rasenflächen an; das Verwaltungsgebäude im Westen symbolisierten sie durch kastenförmig geschnittene Blutbuchen. Auch die drei Spazierhöfe sind zitiert: im Norden als Trittsteine auf den Grundrisslinien der Spazierhofsgehege, in jedem Tortenstück ein Säulenwacholder; im Osten als Walnussbaum, umgeben von einem kreisrunden Betonmäuerchen; im Süden als kopfhohes Betonmauerdreieck. Zusammen mit der nachgebauten Zelle von Gefängnisflügel A, dem leeren Würfel in der Mitte der Anlage und den drei Eingangsskulpturen sind dies die wenigen gebauten Eingriffe in der Handschrift der Architekten. Hauptakteur des Parks bleibt die Ziegelmauer, die sich zwischen Park und Stadtlandschaft wie eine Leinwand aufrollt: dahinter reihen sich Fernsehturm, Charité und Hauptbahnhof, davor laufen Jogger im Kreis und schieben Mütter ihre Kinderwagen über die Kieswege. Leinwand und Reflexionsfläche: Im Nordostbereich der Mauer ist eine Zeile aus den Moabiter Sonnetten von Albrecht Haushofer als Auslassung eines umlaufenden weißen Farbstreifens eingeschrieben. Ab Juli 1944 waren die Widerstandskämpfer des 20. Juli und des Kreisauer Kreises in Moa­bit inhaftiert; wer im Frühjahr 1945 noch lebte, wurde in der Nacht des 23. April auf die andere Seite der Gleistrasse geführt und dort erschossen. So auch Haushofer. Bis zuletzt hielt er seinen Gedichtband fest in der Hand. Seine Gedanken haben nun auf der Gefängnismauer einen Platz gefunden, und der zeit­ge­nös­sische Parkbesucher muss nicht wissen, wer ihr Urheber ist, um die Leere des Parks inmitten des Berliner Verkehrstrubels genießen zu können.

Bauwelt, Fr., 2007.03.30



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Bauwelt 2007|13 Verdichtungsstrategien

19. Januar 2007Anne Kockelkorn
Bauwelt

Informelles Spiel mit Modulen wird vandalismusresistentes Reihenhaus

BU

Insgesamt zehn „Wohninseln“ mit jeweils zwei Reihenhausanlagen sieht der Masterplan auf der verwilderten Kohleabraumhalde vor. Eine Insel mit acht Wohnungen haben Denninger Scholz Architekten bislang verwirklichen können.
Lageplan, Grundrisse EG und OG ohne Maßstab

Fotos: Constantin Meyer, Köln
cm@constantin-meyer.de

BU

Insgesamt zehn „Wohninseln“ mit jeweils zwei Reihenhausanlagen sieht der Masterplan auf der verwilderten Kohleabraumhalde vor. Eine Insel mit acht Wohnungen haben Denninger Scholz Architekten bislang verwirklichen können.
Lageplan, Grundrisse EG und OG ohne Maßstab

Fotos: Constantin Meyer, Köln
cm@constantin-meyer.de

An einem trüben Samstag im Dezember auf dem men­schenleeren Parkplatz vor den neuen Reihenhäusern in La Louvière. Links eine überwucherte Böschung und Bahngleise, hundert Meter nach rechts die Rückseiten der Häuser an der rue mitant des champs, davor ein Durcheinander von selbstgebastelten Schup­pen, Hühnerverschlägen und Gemüse­gär­ten. Nach einigem Zögern öffnet Madame Dupont die Tür. Die neue Mieterin hat fünf Jahre auf ihr sauberes neues Haus gewartet, und sie ist stolz darauf. Nur die Architekten versteht sie nicht. Dieser unbenutzbare Innenhof und der offene Durchblick zum Parkplatz sind ihr ein Rätsel, sagt sie, und sie ist wütend, weil sie glaubt, dass deshalb Wohnzimmer und Küche so klein geraten sind. Alle Fenster hat sie mit Stores zugehängt, keiner soll ihr in die Wohnung schauen können. Im Obergeschoss zeigt sie die „Terrasse“, eine mit Dachpappe zugeklebte Außenfläche, unzugänglich hinter einem Fenster gelegen. Madame ist nicht allein zuhause; in jedem Zimmer der oberen Etage liegt ein Kind oder ein Mann auf einem Bett vor einem laufenden Fernseher – bei zugezogenen Vor­hängen.
Selten genug folgen einem Sieg beim Europan-Wettbewerb Bauantrag und Realisierung. Denninger Scholz Architekten aus Köln hatten Glück mit dem belgischen Standort La Louvière (Tim Denninger hatte 1999 mit seinen damaligen Partnern Tomoyuki Haramura und Patrick Longchamp die dortige Europan-5-Konkurrenz gewonnen, Heft 26–27/99). Das Wettbewerbskommitee kooperierte eng mit der Wallonischen Wohnungsbaugesellschaft, zudem hat die Region einen dringenden Bedarf an Sozialwohnungen – eine direkte Folge der hohen Arbeitslosigkeit nach dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie in der südbelgischen Borinage. La Louvière entwickelte sich im 19. Jahrhundert als industrielles Straßendorf, mit engen, dunklen Straßen, gesäumt von zweigeschossigen Reihenhäusern aus dunkelrotem Backstein.

Als Wettbewerbsgrundstück hatte die Stadt eine überwucherte Kohleabraumhalde zwischen Bahnhof, Glas­fabrik und Stadtrand zur Verfügung gestellt. „Mobi­li­tät und Nähe“, das Leitmotiv von Europan 5, präsen­tierte sich hier als postindustrielles Landschaftsidyll der Trostlosigkeit; der japanische Partner im Entwurfsteam traute sich beim ersten Besuch des Standortes kaum aus dem Auto.
Die Architekten schlugen ein entsprechend robustes Städtebaukonzept vor, eine Mischung aus Riegel, der örtlichen Typologie des sozialen Wohnungsbaus, und Reihenhaus mit Giebeldach. Im Masterplan des Wettbewerbs platzierten sie zehn deutlich abgegrenzte „Wohninseln“ auf das verwilderte Grundstück – jede Insel mit zwei zweigeschossigen Blöcken und zwei offenen Plätzen; an die Stadt angebunden über eine kurze Stichstraße. Die 26 Meter breiten und 15 Meter tiefen Blöcke wurden in vier schmale Grundstücksscheiben geteilt und die Grundrisse um einen kleinen Innenhof zwischen Stellplatz und Wohnzimmer organisiert. Außerdem planten die Architekten, dass die Bewohner innerhalb eines vorgegebenen Modulsystems die Größe ihrer Wohnungen selbst festlegen und bei Bedarf auch erweitern können: in Anlehnung an die informelle Gestaltungsfreiheit in den Hintergärten der traditionellen Reihenhäuser am Ort.

Es ist bemerkenswert, dass sich der Masterplan und die Grundrisstypen vom Wettbewerb bis zur Ausführung kaum verändert haben. Doch in den Diskussionen um die Details, die zwischen den Entwerfern aus Köln, dem bauleitenden belgischen Kontaktarchitekten und der Wohnungsbaugesellschaft Foyer Louvièrois geführt wurden, gewann in den meisten Fällen die Norm des sozialen Wohnungsbaus. So wurden etwa die vorgesehenen Holzteile der Fassade durch vermeintlich vandalismusrestistentere Eternitplatten ersetzt und die Dachterrassen im Obergeschoss unzugänglich gemacht – nicht aus Geldmangel, sondern als vorbeugende Maßnahme gegen die vom Bauherrn prognostizierte Vermüllungsneigung der Bewohner. Die Frage, ob das vorgeschlagene modulare Anbausystem realisiert wurde, erübrigt sich da. Doch die entscheidende städtebauliche Geste blieb erhalten: Die beiden Plätze bieten eine Sphäre gestalteten öffentlichen Raumes an, und zugleich kann die wilde Wiese unberührt weiterwuchern. Zunächst ist eine der geplanten zehn Wohninseln realisiert worden. Für eine weitere sind die Planungen abgeschlossen, mit dem Bau soll in Kürze begonnen werden.

Bauwelt, Fr., 2007.01.19



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Bauwelt 2007|04 Hochschulen in Oberbayern und Ostwürttemberg

17. November 2006Anne Kockelkorn
Bauwelt

Possibilités – das Erbe André Lurçats in Maubeuge

BU
Dorothée Billard und Clemens Helmke bieten den Einwohnern von Maubeuge die Möglichkeit, ihre Stadt neu zu denken und auf abstrahierte Stadtgrundrisse die Typenhäuser von Lurçat zu stempeln.
Stempel in Originalgröße, Foto einer Seitenstraße östlich der Place des Nations: monobloque; Planung für Maubeuge von Lurçat 1945.

BU
Dorothée Billard und Clemens Helmke bieten den Einwohnern von Maubeuge die Möglichkeit, ihre Stadt neu zu denken und auf abstrahierte Stadtgrundrisse die Typenhäuser von Lurçat zu stempeln.
Stempel in Originalgröße, Foto einer Seitenstraße östlich der Place des Nations: monobloque; Planung für Maubeuge von Lurçat 1945.

Beim Namen Maubeuge denken die meisten Franzosen an eine verregnete Industriestadt, und die 34.000 Maubeuger verwechseln den städtebaulichen Entwurf des Architekten André Lurçat von 1947 nicht selten mit ihren Hochhaussiedlungen der 60er Jahre. Das ist schade, denn es handelt sich bei diesem Projekt um eines der seltenen Beispiele partizipativer Stadtplanung der Nachkriegszeit, das zudem eine ganz eigene Architektursprache spricht – leiser und zurückhaltender als die Entwürfe von Perret für Le Havre (Heft 45/2005) oder von Le Corbusier für La Rochelle.

Als Militärbastion an der belgischen Grenze und Sitz der Stahlindustrie war die Stadt bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wirtschaftlich und strategisch wichtig. 1940 brannte die deutsche Wehrmacht den Stadtkern im Innern der Befestigungsanlagen nieder, kurze Zeit später ließ die Vichy-Regierung die Ruinen beseitigen und mit dem Abraum Teile des Befestigungsgrabens auffüllen – das historische „Material“ der Stadt wurde ausradiert.
Nach dem Abzug der Front wurde Lurçat als Stadtplaner des Wiederaufbaus nach Maubeuge geschickt, unter anderem auch, weil er als ehemaliges Mitglied der Résistance die lokalpolitischen Unruhen dämpfen sollte. Lurçat bewies Verhandlungsgeschick, artikulierte durch ein Stadtplanungskomitee die Bedürfnisse der Bevölkerung und erarbeitete mit den Eigentümern ein neues Grundbuch. Der mittel­alterli­che, zu 80% bebaute Stadtgrundriss wurde zu einer modernen Stadt mit kollektiven Wohnhäusern; der Wert von Grundstücken und Eigentum war vorher durch Volksentscheide festgelegt worden. Auf formaler Ebene führte Lurçat die Prinzipien der Moderne mit Anklängen der Beaux-Arts-Tradition zusammen: Er stellte die Reste der Festung von Vauban un­ter Denkmalschutz, ließ aber das Erdreich weiter nivellieren; er fasste die Bausubstanz in Wohnblöcken zusammen und richtete sie an zwei orthogonalen Achsen aus; er erhielt die Mischung von Wohnen und Einkaufen, staffelte aber die Wohnungsbauten hinter den flachen Boutiquen zurück; er öffnete die Stadt mit einer Promenade zum Fluss und behielt die Anlegestellen der Industrie-Lastkähne. Schließlich entwarf er auch industrielle Prototypen, vom Fensterrahmen bis zum Türgriff, mit denen die Architekten in seiner Sprache weiter entwerfen sollten.

Doch leider hatte Lurçat bereits 1946 die Stadtregierung nicht mehr auf seiner Seite. Den Sozialdemokraten war er nicht nur als Kommunist unbequem, sondern vor allem deshalb, weil er direkt mit den Eigentümern verhandelte. Lurçats majestätische Achse zwischen Bahnhof und Theater läuft daher bis heute an beiden Endpunkten ins Leere. In den 50er Jahren begann zudem der Niedergang der Stahlindustrie. Maubeuge geriet ins infrastrukturelle Abseits von Lille und Valenciennes, und während die Elite flüchtete, zogen Immigranten aus dem Maghreb nach. In den 90er Jahren starteten verschiedene Initiativen, um das Kulturleben zu reanimieren, unter anderem eine Organisation zur Förderung visueller Kunst, die Residenzstipendien vergibt – im letzten Jahr an die Berliner Grafikerin Dorothée Billard und den Architekten Clemens Helmke (monobloque).

Mit ihrem Projekt „Possibilités“ knüpfen die Künstler an die Methode Lurçats an, individuellen Ausdruck und serielle Fertigung zu verbinden, und bieten ein Spiel an: ein Stempelset, das die Gebäude Lurçats als Axonometrien abbildet, und eine Karte von Maubeuge zur Stunde null mit den Befestigungsanlagen und den Höhenlinien. Die Maubeuger haben nun in einem Ausstellungsraum im Zentrum ei­nen Mo­nat lang Gelegenheit, ihre eigene Variante der Stadt zu stempeln, unter Zuhilfenahme von Buntstiften und Kugelschreibern; ein Angebot, das die ungeliebten Gebäude der Nachkriegsmoderne zur Debatte stellt und unerwartete Begegnungen provoziert, etwa zwischen Kirche und Tankstelle oder zwischen Befestigungsgraben und Wohnhaus. Dabei stehen die unkontrollierbare Vervielfältigung von Gebäuden durch das Stempeln und die Gewalt der bürokratischen Geste in eigentümlichen Kontrast zur natürlichen Trägheit von stadtplanerischen Prozessen. Will man als Architekt mitspielen, sollte man sich vom Wunsch nach Sys­tematik und Verantwortung erst einmal verabschieden und auf die Dynamik des Spiels vertrauen.

Bauwelt, Fr., 2006.11.17



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Bauwelt 2006|44 Japanische Museen

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