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09. August 2025Franziska Leeb
Spectrum

Um Eckhäuser besser: Gutes Klima in einem Mietwohnungshaus in Wien-Ottakring

Das Mietwohnungshaus von Zeininger Architekten in Wien-Ottakring bietet in mehrfacher Hinsicht ein gutes Klima: Es gibt eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage, der Strom kommt von der PV-Anlage auf dem Dach, und auf dem hofseitigen Balkon spürt man selbst bei Hitze einen angenehmen Durchzug.

Das Mietwohnungshaus von Zeininger Architekten in Wien-Ottakring bietet in mehrfacher Hinsicht ein gutes Klima: Es gibt eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage, der Strom kommt von der PV-Anlage auf dem Dach, und auf dem hofseitigen Balkon spürt man selbst bei Hitze einen angenehmen Durchzug.

Dichte spart einerseits Fläche und ermöglicht leistbares Wohnen. Andererseits steht sie synonym für Enge, Überhitzung, Renditemaximierung. Fix ist, dass eine hohe städtebauliche Dichte nicht automatisch belebte und lebenswerte Stadtquartiere garantiert – und eine geringe ebenso wenig. Es seien „Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und Mangel an gutem Willen, welche uns moderne Stadtbewohner dazu verurteilten, lebenslänglich in formlosen Massenquartieren den geisttötenden Anblick ewig gleicher Mietshausblöcke, ewig gleicher Straßenfluchten zu ertragen“, stellte Camillo Sitte schon vor über 130 Jahren fest. Was aber sind, um mit diesem Wiener Wegbereiter des modernen Städtebaus zu sprechen, „Ursachen der schönen Wirkung“?

In der Hasnerstraße in Wien-Ottakring finden wir Hinweise. Sitte würde zwar die kerzengerade Alleestraße eintönig finden, mit dem neuen Haus an der Ecke zur Sulmgasse hätte er wohl Freude. Es fällt zunächst wegen seiner orangeroten Balkone auf – ein fröhlicher Farbakzent und eine Abwechslung zu den üblich gewordenen Investorenhäusern, die anthrazitfarben modern und schick sein wollen, aber schlussendlich bloß Tristesse verbreiten. Aber auch sonst ist vieles anders, als wir es von üblichen neuen Lückenfüllern in den Gründerzeitblocks gewohnt sind. Unmittelbare Nachbarin ist an der Hasnerstraße die ehemalige Brotfabrik des „Ersten Wiener Consumverein“, ein damals fortschrittliches und heute denkmalgeschütztes Gebäude von Franz und Hubert Gessner aus den Jahren 1908/09.

Abwärme bleibt im Kreislauf

Technisch wegweisend ist auch das Mietswohnhaus Sulmgasse: Es verfügt über eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage. 14 Tiefenbohrungen ermöglichen die Nutzung der Erdwärme, die in Kombination mit einer Wärmepumpe für Heizung und Kühlung sorgt. Durch Rohrleitungen in den Betondecken fließendes Wasser heizt im Winter die Wohnungen, im Sommer erfolgt so die Kühlung. Anders als bei konventionellen Klimageräten, die viel Strom verbrauchen und mit ihrer Abluft die Umgebungsluft erwärmen – also das Symptom, das sie bekämpfen, sogar noch mit verursachen –, bleibt die Abwärme im Kreislauf. Strom kommt von der Fotovoltaikanlage auf dem Dach.

Es reicht nicht, nur den öffentlichen Raum zu transformieren – wie es zum Bespiel einen Block weiter nördlich in der Thaliastraße in den vergangenen Jahren schon geschehen ist. Auch die Art, wie in den hitzebelasteten Gründerzeitvierteln nachverdichtet wird, trägt zur Atmosphäre im öffentlichen Raum und zum Stadtklima bei. Diesbezüglich etwas Richtiges zu tun sei der Anspruch bei der Entwicklung der Liegenschaft an der Ecke zur Sulmgasse gewesen, erklärt Johannes Zeininger.

Der Architekt führt mit seiner Frau Angelika das Atelier Zeininger Architekten. Die beiden sind nicht nur die Planer, sondern mit einem weiteren Miteigentümer aus der Familie auch die Bauherren. Hätten sie es sich leicht gemacht, hätten sie den Block um einen kleinen Innenhof geschlossen, jede Wohnung straßenseitig mit einer kleinen Loggia und hofseitig mit Mini-Balkonen versehen und versucht, mit ein paar Ausnahmegenehmigungen möglichst viel Volumen herauszuschinden, um die vermarktbare Wohnfläche im Dach zu maximieren. Die Zeiningers sind aber keine Spekulanten. Deshalb haben sie Ausnahmen erkämpft, die nicht ihrer Rendite, sondern der Lebensqualität im Haus und im Grätzl dienen.

Fast wie in Barcelona

Sie nutzten das L-förmige Grundstück nicht zu Gänze aus, sondern ließen an der Sulmgasse einen Straßenhof frei. Das hat einen klimatischen Vorteil, weil ein offener Hof nicht so stark überhitzt wie ein geschlossener, ist aber auch aus dem Blickwinkel des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Raum ein couragierter Zugang. Der Einschnitt öffnet den engen Gassenraum zur Brotfabrik, die somit weiterhin auch an dieser Seite in Erscheinung treten kann. Die im Erdgeschoß angesiedelten Gewerbeflächen erhalten einen attraktiven Vorbereich abseits des Gehsteigs, an der Grenze zur Brotfabrik entstand eine begrünte Terrasse als Vorfeld zum Gemeinschaftsraum.

An der Straßenecke weichen sie von der Baufluchtlinie zurück, verzichten also auch hier auf verwertbare Fläche und betonen damit das Motiv der im ganzen Stadtquartier verbreiteten abgeschrägten Ecken. Wir kennen sie in stärkerer und konsequenterer Ausprägung aus dem von Ildefons Cerdà geplanten Stadtteil l’Eixample in Barcelona, wo sie der besseren Übersichtlichkeit der Kreuzungen dienen und neuerdings die Entstehung von verkehrsberuhigten Plätzen begünstigen. In Wien werden die schrägen Ecken oft vernachlässigt. Statt klei­ner Loggien und Balkone umfängt die Wohngeschoße eine Balkonlandschaft, die in der Fernwirkung einen räumlichen Akzent in der Straßenflucht erzeugt.

Fixe Trennungen gibt es nicht, nur Zonierungen in Form tieferer Aufenthaltsbereiche und Engstellen, wo Blumentöpfe die Grenze markieren. „Die Architektur erwartet, dass man einander grüßt“, schmunzelt Johannes Zeininger. Das Konzept geht auf, wie Frau J. bestätigt, die sich sehr bewusst für dieses Haus entschieden hat. Auf dem hofseitigen Balkon spüre man auch dann, wenn die Hitze drückend über der Stadt liegt, einen angenehm leichten Durchzug. Man kenne die Nachbarn, könne aber – auch auf dem Balkon – sehr gut für sich sein. Das ist ganz im Sinne der Architekten, die hier kein Dorf in der Stadt schaffen wollten, das zum Miteinander zwingt, sondern ein urbanes Haus, das eine gute Nachbarschaft begünstigt.

Dazu trägt ebenso die Lage der beiden Eingänge im Straßenhof bei. Man „fällt“ nicht unmittelbar auf den Gehsteig, kann verweilen und miteinander plaudern. Eine Bank neben den Briefkästen und das Waschbecken im Foyer sind kleine Investitionen, die das Ankommen zu Hause komfortabel machen und ebenso beiläufige Begegnungen begünstigen. An der Hasnerstraße bietet ein Parklet Aufenthaltsraum für das ganze Grätzl an, mit Wildblumen gestaltete Rabatten tragen zur Biodiversität bei.

Weniger Tiefgaragenplätze als Problem?

Während der Bauzeit gab es eine Novelle der Bauordnung, im Zuge derer die Verpflichtung der Herstellung von Kfz-Stellplätzen bei Neubauten reduziert wurde. Daher entschieden sich die Bauherren, der neuen Gesetzeslage zu folgen, und realisierten sieben Tiefgaragenstellplätze weniger. Der Amtsschimmel sieht das anders, weshalb die Sache derzeit vom Verwaltungsgerichtshof überprüft wird. „Warum darf ich eine Verbesserung nicht aufgreifen?“, fragt Zeininger. Die Garage steht fast leer. Die Gegend ist bestens an den öffentlichen Verkehr angeschlossen.

Nicht nur deshalb ist für die Architekten das Projekt noch nicht abgeschlossen. Sie wollen allen Häusern in der Hasnerstraße einen Garten geben. Noch sind die Alleebäume arg vom ruhenden Verkehr bedrängt, aber Initiativen wie die „Sommeroase“ zwischen Habichergasse und Haymerlegasse zeigen, dass vor Ort ausreichend zivilgesellschaftliches Engagement vorhanden ist, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Spectrum, Sa., 2025.08.09

15. Mai 2025Franziska Leeb
Spectrum

Ökologisch bauen? Das geht heute ganz anders als vor zehn Jahren

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

Die Eröffnungsfeier war ein Volksfest – sogar für die Architektur, obwohl der niederösterreichische Landtagspräsident es sich nicht nehmen ließ, volksnah zu witzeln, dass er sich im Gegensatz zu seinem Vorarlberger Amtskollegen keinen Architekten leisten kön­ne. Die Ortsbevölkerung strömte aber nicht nur heran, um im Festzelt zu launigen Sprüchen, Blasmusik und Freibier lustig zu sein. Mit großem Interesse nahm sie an den Hausführungen teil, und der Vortragssaal war voll, als Architekt Juri Troy am späteren Nachmittag seine konzeptuellen Überlegungen für die Erweiterung des Firmensitzes des Energieunternehmens Windkraft Simonsfeld erläuterte.

Ohne in abgehobenen Architektenjargon zu verfallen, sprach der gebürtige Vorarlberger, der bereits mehrfach in Niederösterreich gewirkt hat, über den Boden als wichtigste Ressource, die Möglichkeiten und Grenzen von Materialien, über Funktionalität, Präzision und Stim­mung. Aufmerksam hörten die Leute zu, fragten nach, und am Ende fühlten wohl alle, dass man sich Architektur nicht nicht leisten darf, und was unter Baukultur zu verstehen ist.

Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit

Im Jahr 1998 als erster österreichischer Betreiber mit zwei Windrädern gestartet, hatte das Unternehmen erst 2014 ein „richtiges“ Firmengebäude bezogen. Den Standort am Ortsrand von Ernstbrunn konnte man mit der bislang unerfüllten Hoffnung argumentieren, dass im benachbarten Bahnhof der 1988 eingestellte Personenverkehr nach Wien wiederaufgenom­men werde. Geplant von Architekt Georg Reinberg, einem Pionier des ökologischen Bauens, spiegelte das Haus mit seiner gläsernen Solarfassade das Geschäftsfeld – erneuerbare Ener­gie – ebenso wider wie seinen Status als Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit.

Keine zehn Jahre später machte das rasante Wachstum des Unternehmens dringend eine Verdreifachung der Bürofläche notwendig, und auch die Erwartungshaltung an das Gebäude hatte sich verändert. Die Technik musste man nun nicht mehr vor sich hertragen: Deutlich mehr als 50 Prozent der über 1400 österreichischen Windkraftanlagen stehen in Nieder­österreich, Windkraft Simonsfeld ist einer der großen Produzenten. Nun war es wichtiger, sich als attraktiver Arbeitsplatz zu positionieren.

Wie schon beim Erstling setzten die Windproduzenten auf professionelle Projektentwicklung durch die Beratungsfirma M.O.O.CON und luden vier Architekturbüros zu einem Generalplanerwettbewerb. Reinberg war nicht darunter. Auch wenn man offensichtlich neue Wege gehen wollte, so sollte seine prägnante Solarfassade unverstellt bleiben. Erweiterungsflächen sah die Wettbewerbsauslobung vor allem an der Rückseite des jungen Bestandes vor. Genau dieser Vorgabe widersetzte sich Juri Troy als Einziger – und reüssierte.
Bereits in der Errichtungsphase klimapositiv

Um nur minimal in die vorhandene Substanz einzugreifen, schloss er den Neubau an zwei Punkten beiderseits der Solarfassade an den Bestand an. Somit entstand ein Vierkanter, der nicht in Alt und Neu unterscheidet, sondern eine zusammenhängende Arbeitswelt um einen begrünten Hof bildet. Reinbergs gebogene und geneigte Solarfassade und die dahinter liegende zweigeschoßige Halle korrespondieren gut mit dem neuen Hof und bilden mit ihm eine großzügig-luftige Begegnungszone für die hundertköpfige Belegschaft und Gäste, um die sich das ganze Gebäude entwickelt. An der Rückseite bleibt eine potenzielle Erweiterungsfläche für einen weiteren Büro-Vierkanter erhalten und damit der Standort auf längere Zeit gesichert. „Hätten wir jetzt schon alles nach hinten gelegt, würde das Gebäude stets verkehrt herum funktionieren“, erläutert Jury Troy die Entscheidung.

Schon der Bestand war ein Plus-Energiehaus gewesen, nun lautete das ehrgeizige Ziel, nicht nur im Betrieb mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen, sondern bereits in der Errichtungsphase klimapositiv zu bilanzieren. Der Zubau besteht im Wesentlichen aus nachwachsenden Rohstoffen, die Bodenplatte ist aus Recyclingbeton. Architekt Georg Marterer hatte die örtliche Bauaufsicht inne. Um das Baustellengeschehen bestmöglich im Auge zu behalten, bezog er sogar eine Wohnung vor Ort. Ob die Bestandteile des vorhandenen Energiesystems, Schächte oder Wegebaumaterialien: „Wir haben so gut wie alles wiederverwendet, wo schon einmal Energie hineingeflossen ist“, erklärt er.

Kerne aus Stampflehm

Der Holzbau ist nach einem ablesbaren stringenten Prinzip so pur wie möglich angelegt. Alle Knoten sind als reine Holzverbindungen ausgeführt, wodurch große Mengen an stählernen Verbindungsmitteln eingespart werden konnten. Bei einer stützenfreien Spannweite von über acht Metern und Zwischenwänden, die auf dem fertigen Fußboden stehen, sind Raumkonfigurationen in Zukunft leicht veränderbar.

Einen Gegenpol zur fragil wirkenden Holzkonstruktion bilden im straßenseitigen Südtrakt zwei Kerne aus Stampflehm. Sie sorgen für die Aussteifung, beinhalten alle Erschließungs- und Versorgungsstränge sowie die Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen und tragen maßgeblich zur Regulierung des Raumklimas in den direkt daran angelagerten stark frequentierten Bereichen bei. Das Material stammt aus dem Aushub und hat die Baustelle nie verlassen. Den Zuschlag zur Erhöhung der Druckfestigkeit holte man aus einem nahen Kalkbruch und setzte ihn auch gleich im Terrazzoboden ein.

Wie ein Schatzkästchen mit unterschiedlichen Laden bergen die Lehmkerne als Kontrast zur farblich zurückhaltenden Bürolandschaft abwechslungsreich ausgestattete Räume. Als besondere Preziosen überraschen die kleinen, in den Farben der Weinviertler Landschaft ausgepolsterten Rückzugsräume. Die Künstlerin Viviana Schimmenti hat sie aus unterschiedlich strukturierten, mit Pflanzenextrakten gefärbten Stoffen gestaltet und holt so das Kolorit der Weinviertler Landschaft – ein­mal die Farben des Himmels, einmal jene der blühenden Felder – in das Bürogebäude.

Viel menschliche Energie floss in das durchdachte Konzept, fein aufeinander abgestimmte Details und handwerkliche Qualität. Überraschend harmonisch gelang wohl auch deshalb die Fusion gegensätzlicher Raumkonzepte zweier Architektengenerationen. Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit sind omnipräsent, werden aber gestalterisch nicht überhöht. Man traut der Struktur zu, noch in Jahrzehnten – auch für andere Zwecke – nützlich zu sein. Vielleicht kommen dann irgendwann doch noch Gebäudenutzer in den Genuss eines reaktivierten Bahnanschlusses.

Spectrum, Do., 2025.05.15



verknüpfte Bauwerke
Firmenzentrale Windkraft Simonsfeld

19. März 2025Franziska Leeb
Spectrum

Wie eine findige Bürgermeisterin den Ortskern erneuert: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus!“

Über Jahre adaptierte die Bürgermeisterin von Niederwerrn in Unterfranken alte Gebäude, um eine neue Ortsmitte zu erschaffen. Dafür ging sie auf Besitzer von leer stehenden Häusern zu.

Über Jahre adaptierte die Bürgermeisterin von Niederwerrn in Unterfranken alte Gebäude, um eine neue Ortsmitte zu erschaffen. Dafür ging sie auf Besitzer von leer stehenden Häusern zu.

In ihrem Regierungsprogramm bekennt sich die österreichische Dreierkoalition zu einer nachhaltigen Bodenpolitik und kündigt an, sich um die Stärkung der Ortskerne zu kümmern, die Nutzung und Revitalisierung historischer Gebäude zu erleichtern und Initiativen zu setzen, damit die heimische Bauwirtschaft zum Vorreiter der Kreislaufwirtschaft wird. Zum Vorbild nehmen kann man sich dazu die Zentrumsentwicklung in einem Dorf 600 Kilometer nordwestlich von Wien.

Im Sommer 2024 wurde das neue Bürgerzentrum von Niederwerrn mit 2000 fränkischen Bratwürsten eröffnet, kürzlich erhielt es den renommierten BDA-Preis Bayern des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Bis es so weit war, dauerte es. „Du kaufst ja nur Häuser“, hatte so mancher Einwohner Bürgermeisterin Bettina Bärmann vorgeworfen. Denn ehe im Jänner 2023 Spatenstich war, hatte Frau Bärmann der Kommune über Jahre Vorkaufsrechte gesichert, Überzeugungsarbeit geleistet und Immobilien gekauft und getauscht, bis in der künftigen Ortsmitte das Puzzle an Gebäuden und Plätzen komplett war, um für die notwendigen Bedarfe adaptiert zu werden. Begleitet wurde und wird die Gemeinde seit 2017 vom Architekturbüro Schlicht Lamprecht Kern.

Verantwortung wahrnehmen

„Jenseits der Metropolen braucht es mehr Mut und Weitsicht bei den Entscheidungsträgern, mehr Verständnis für die regionale Baukultur bei den Bürgern, mehr Leidenschaft und Engagement bei den Planern“, stellt Architekt Stefan schlicht fest. Deshalb hat sich sein Büro auf Ortsentwicklung und das Bauen im Bestand spezialisiert, um hier Verantwortung wahrzunehmen und zu beweisen, was alles geht, wenn man gut zusammenarbeitet.

Niederwerrn ist ein attraktiver Wohnort für die Beschäftigten in den Industriebetrieben im benachbarten Schweinfurt und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr schnell gewachsen. Das historische Zentrum rund um den Kirchplatz liegt schon lang nicht mehr in der Mitte. Seit Jahrzehnten fehlt ein Ort zum Zusammenkommen und zum Feiern. Eine neue Ortsmitte zu schaffen war daher eine der Maßnahmen, die im ab 2014 unter Bürgerbeteiligung erstellten „Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK)“ festgelegt wur­den. Sie liegt am Übergang vom Altort zu den östlichen Siedlungsgebieten, nahe beim Rathaus, zwischen der Gemeindebibliothek in der ehemaligen Synagoge und dem Seniorenzentrum.

Recyclingbeton günstiger als normaler

Der einzige Neubau im Ensemble ist das in zwei Häuser gegliederte „Mitten im“. Im westlichen Teil steckt das Abbruchmaterial der einstigen Talbrücke Rothof, das in einem nahen Betonwerk aufbereitet wurde; der östliche ist ein Massivholzbau über einem Sockelgeschoß aus Recyclingbeton. Mit den scharrierten und gespitzten Oberflächen, die mit traditioneller Steinmetztechnik den steinernen Charakter des Betons verstärken, der Dachform und den geringen Dachüberständen sowie den Fenstergewänden griff man Gestaltungselemente aus der traditionellen Architektur der Region auf. Das Gebäude mutet edel an. „Sieht außergewöhnlich aus, war aber nicht außergewöhnlich teuer“, pariert Stefan Schlicht die Frage nach den Kosten. Der Kubikmeterpreis des Recyclingbetons war niedriger als der von normalem Beton. Man benötigte keine Putze oder Verkleidungen, und auch beim Holzbau kam man nahezu ohne Folien oder Verklebungen aus.

Der neue Bürgersaal wird gern als Raum für private Feiern gebucht, Hochzeiten sind sowieso der Renner. Das liegt vielleicht an den Balkonen vor den bodentiefen Fenstern des Trauungszimmers, auf denen sich perfekte Hochzeitsfotos inszenieren lassen. Beliebt ist auch das Café im Obergeschoß des Holzhauses. Die Stühle stammen aus einem aufgelassenen Wirtshaus im Ort. Der Mann der Bürgermeisterin hat sie abgeschliffen, der Tischler neu ­lackiert.

Westlich des Neubaus wurde eine historische Scheune als Energiescheune adaptiert. Darin sind die technischen Anlagen zur Energieversorgung des gesamten Ensembles untergebracht, zusätzlich entsteht hier ein Informationszentrum für nachhaltige Energiekonzepte. Die Holzverkleidungen der Einbauten im Inneren wurden aus den Schalungsbrettern des Betonhauses gezimmert. Auf der anderen Seite wurde ein bestehendes Fachwerkhaus zum Ladenmuseum umgebaut, das die einzigartige Sammlung des Kaufmanns Winfried Maul aufnimmt. Dank einer großen Schaufensterwand kann der über 100-jährige Kolonialwarenladen auch ohne Museumspersonal besichtigt werden. Treppen und Sitzstufenanlagen, Pflanzbeete, Bäume und ein Wasserbecken gliedern den öffentlichen Raum und sorgen für eine Vielfalt an allein, zu mehreren und in großen Gruppen gut nutzbaren Verweilorten. Das Regenwasser von den Dächern der umliegenden Häuser wird in Zisternen gesammelt und für die Bewässerung der Grünflächen genutzt.

Alte mit neuen Siedlungsteilen verbunden

Als graue Energie bezeichnet man die Energiemenge, die sämtliche Herstellungsschritte bis hin zur Entsorgung eines Produktes nach sich ziehen. Davon wurde so wenig wie möglich verwendet. Höher ist der Aufwand an goldener Energie. Unter diesem ansprechenden Begriff sind all die immateriellen Werte zusammengefasst: die vielen schönen Erinnerung an besondere Erlebnisse und Menschen, die mit den Bestandsbauten in Zusammenhang stehen.

Von allen Seiten zugänglich fügt sich das Ensemble vorzüglich ein, verbindet alte und neue Siedlungsgebiete. Hier ist keine schicke Kiste gelandet, die erst angeeignet werden muss, sondern ein architektonisches Gefüge, das eine neue Ästhetik und neue Themen ins Zentrum rückt, die vertraut und zugänglich wirken. Es gelang vortrefflich, aus dem Vorhandenen Neues zu schaffen und Topografie, individuelle Gegebenheiten, die kleinteilige Ortstruktur und lokale Bautraditionen aufzunehmen, ohne auf einer bloßen Zitatebene zu bleiben.

Deutsche Städtebauförderung

„Wichtig ist, dass viele Menschen ganz unterschiedliche Gründe finden können, um hierherzukommen“, betont Bürgermeisterin Bettina Bärmann. Die Neue Mitte soll die Keimzelle sein, die den gesamten Altort wiederbelebt. Denn schon geht es weiter: In einem weiteren Bestandsgebäude werden die Musikschule und Bereiche der Bibliothek eine neue Heimstatt finden, weiters sind eine Gemeinschaftspraxis, neue Wohnformen für Senioren und Menschen mit Behinderung geplant. Alles zusammenhalten und erschließen wird die verkehrsberuhigte und fußgängerfreundliche Neugestaltung der Schweinfurter Straße.

Dass dies alles für die Gemeinde zu stem­men ist, liegt an der in Deutschland seit über 50 Jahren bestehenden Städtebauförderung. Ein Programm nach diesem Vorbild wird auch in Österreich seit Jahren von der Fachwelt eingefordert. Wenn es die österreichische Bundesregierung mit ihren Ansagen zu Baukultur und Ortskernbelebung ernst meint, sollte sie die Sache nun angehen. So wären auch hierzulande Bürgermeister:innen besser in der Lage, auf Leerstandsbesitzer zuzugehen und zu sagen: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus“, um die Innenentwicklung voranzutreiben zu können.

Spectrum, Mi., 2025.03.19

19. Dezember 2024Franziska Leeb
Spectrum

So gelingen Freiräume mit Flair

Die Landschaftsarchitekten Auböck + Kárász sind seit 40 Jahren in der Stadterneuerung tätig: „Wir komponieren wie bei einem Musikstück mit langsamen und schnellen Teilen. Die Partitur soll sich entwickeln und unterschiedlich gespielt werden können.“

Die Landschaftsarchitekten Auböck + Kárász sind seit 40 Jahren in der Stadterneuerung tätig: „Wir komponieren wie bei einem Musikstück mit langsamen und schnellen Teilen. Die Partitur soll sich entwickeln und unterschiedlich gespielt werden können.“

Sie sind die prominentesten Landschaftsarchitekten Österreichs, seit 1987 betreiben sie ihr gemeinsames Atelier in Wien-Neubau. Erstaunlich, dass erst jetzt eine Monografie über ihre Arbeit erscheint. Es ist keine klassische Werkdokumentation, die mit Hochglanzfotos und detailreichen Plänen das Lob auf die realisierten Arbeiten singt. „Wir wollten einen Parcours entfalten, den man erwandern kann wie eine Landschaft“, erklärt János Kárász die Grundidee. Entlang dieses Parcours nehmen sie die Leserin mit auf eine Tour zu ausgewählten eigenen Bauten und lassen sie teilhaben an der Gedankenwelt und dem Wissen des universell gebildeten Paares.

Die aus der berühmten Architekten- und Designerfamilie stammende Maria Auböck und der in Ungarn geborene Janosz Kárász haben beide in Wien Architektur studiert, er zusätzlich Sozialwissenschaften. Für Auböck fiel die Entscheidung, keinesfalls in ein großes Architekturbüro zu gehen, sondern sich in der Stadterneuerung und für kommunale Grünflächen zu engagieren, schon im Studium. Bereits in ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit dem Wiener Augarten, der sie später über viele Jahre beschäftigte, um das historische Gartendenkmal zu revitalisieren, es in das Stadtgewebe einzubetten und zugleich als modernen Volksgarten nutzbar zu machen.

Sozialer Anspruch

Kárász kuratierte kulturhistorische Ausstellungen und forschte über die junge Generation in den Dörfern. So entdeckten sie in den 1980er-Jahren zusehends, dass sie mit dem gemeinsamen Wissen etwas bieten konnten, was es so in Österreich bisher nicht gegeben hatte. Der soziale Anspruch, die architektonische Ausbildung: „Das ist ein anderes Raumverständnis, als wenn man von der Universität für Bodenkultur kommt.“

Nicht besser oder schlechter, nur anders, betont János Kárász. So sei der grundsätzliche Zugang jener, Aufgabenstellungen für Freiräume zunächst funktional zu entrümpeln, damit sich offene Räume für variables Geschehen entfalten können. „Wir komponieren ähnlich einem Musikstück, bei dem es langsame und schnelle Teile gibt, und so, dass sich diese Partitur entwickeln und unterschiedlich gespielt werden kann.“

Auf diese Weise entgehen sie dem Dilemma, das zwischen immer komplexer werdenden Anforderungen und präzisen, mitunter einander widersprechenden Nutzungsvorstellungen entsteht. Besonders ist ihnen das im Furtwänglergarten in Salzburg gelungen, wo sehr unterschiedliche Gruppen jeweils ein starkes Partikularinteresse gehabt hatten, etwas Bestimmtes unterzubringen. „Nichts davon gibt es, und nun haben es alle gern.“

Die Unterscheidung nach den soziologischen Kategorien privat, halb öffentlich und öffentlich werde zwar nach wie vor eingefordert, erweise sich aber zusehends als immer weniger tragfähig. Private finanzieren öffentlich zugängliche Freiräume und etablieren dort ihre Spielregeln. Städtische Grünflächen als auch historische Grünflächen werden benutzt wie Wohnzimmer im Freien; weil Wege eher nur noch Empfehlungscharakter haben, entstehen Trampelpfade durch die Wiesen. Werden im Straßenraum aufwendigere Bepflanzungen umgesetzt, neigt man dazu, sie mit Einfriedungen zu schützen. Das sei alles weder schlecht noch gut, aber man müsse darauf reagieren.

„Schwimmende Inseln“

Für den zentralen Freiraum im Stadtquartier „In der Wiesen Süd“ an der Carlbergergasse in Wien-Liesing haben Auböck + Kárász eine Lösung gefunden, wie mit einer neuen Art von Gliederung diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann. Unter dem Titel „Îles Flottantes“, also „Schwimmende Inseln“, was in Frankreich ein Dessert bezeichnet, das bei uns „Schneenockerl“ und in Ungarn „Madártej“ („Vogelmilch“) heißt, schufen sie eine Landschaft aus Grüninseln und geschwungenen Wegen.

Ob im Kleinen im Wohnbau, in der „Neuen Mitte“ von Bad Gleichenberg oder im Central Park von Baku: Es geht um Freiräume mit Atmosphäre und unterschiedlichen Milieus, in denen Unterschiedliches gleichzeitig stattfinden kann, ohne miteinander in Konflikt zu geraten.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Druck, etwas ökologisch Gerechtes zu machen, beherrschen heute Kennzahlen und Zertifizierungen die Diskussion. „Etwas durchzusetzen, das über das Quantifizierbare hinaus zusätzliche Qualitäten hat, wird immer schwieriger“, stellt Kárász fest. Funktionalität, Nachhaltigkeit und Klimaresilienz sollten ohnedies selbstverständlich sein. Das Schöne ist im professionellen Architekturdiskurs wie in der Landschaftsarchitektur ein prekäres Ding geworden, über das selten explizit gesprochen wird. Vielleicht weil das Bemühen um Poesie und Schönheit am Ende oft in Kitsch abgleitet. Davor sind die Arbeiten von Maria Auböck und Janos Kárász schon allein deshalb gefeit, weil ihre Arbeiten auf einem festen Wissensfundament aufbauen, das bei typologischen Experimenten für Sicherheit sorgt.

Raumauffassung und -bewältigung

Die beiden arbeiteten an zahlreichen historischen Gärten und wissen um die Herausforderung, die richtige Strategie zu finden, damit die Anlagen langfristig zwischen ökonomischen Rahmenbedingungen und steigendem Nutzungsdruck gut über die Jahrzehnte kommen. Die persischen Teppichmustern nachempfundenen Broderien im Park von Schloss Belvedere wurden schon zu Zeiten Maria Theresias als zu pflegeaufwendig erachtet und daher vereinfacht, wie ein Vergleich der ursprünglichen Muster mit der bekannten Ansicht von Canaletto veranschaulicht. Letzteres diente bei Renovierungen in den 1990er-Jahren als Vorbild.

Zum 50-Jahr-Staatsvertragsjubiläum wünschte die Regierung eine Rekonstruktion des Originalzustandes, der mit viel Akribie und Forschungsarbeit hergestellt wurde. Eine wichtige Erkenntnis daraus: Das Muster führte zu einer optischen Täuschung, die das Panorama von Wien wie durch ein Teleobjektiv näher rücken ließ. „Das Beschäftigen mit dem Freiraum in Bezug zur Architektur hat ganz viel mit Raumauffassung und Raumbewältigung zu tun“, betont Maria Auböck. Keine zwei Jahrzehnte später erweist sich der personelle und finanzielle Aufwand, der mit der Erhaltung des neu geschaffenen Originalzustandes einhergeht, für die Republik als zu hoch. Frankreich, Italien oder England gehe es wirtschaftlich nicht besser, dennoch sei das dort undenkbar, zieht Kárász einen Vergleich.

Die Lektüre der „Partituren für offene Räume“ liefert Dutzende Argumente dafür, warum uns die kontinuierliche Pflege von Gärten und anderen Freiräumen nicht egal sein darf. Herausgegeben haben die publizistische Kostbarkeit Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek mit ihrem Verein Diachron, den sie zwecks „Verbreitung und Vertiefung des Wissens über Architektur“ gegründet haben. Gemeinsam mit Auböck + Kárász vertiefen sie nun auf kurzweilige Weise das Wissen über die Landschaftsarchitektur.

Spectrum, Do., 2024.12.19

08. November 2024Franziska Leeb
Spectrum

Prinzersdorf in Niederösterreich: Im Haus am Fluss treffen sich alle

Das neue Flusshaus an der Pielach in Prinzersdorf ist Treffpunkt für diverse Vereine und bietet Platz für Yogakurse, Feste, Seminare und Konzerte. Zudem ist es Teil eines Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts sowie des Flussparks.

Das neue Flusshaus an der Pielach in Prinzersdorf ist Treffpunkt für diverse Vereine und bietet Platz für Yogakurse, Feste, Seminare und Konzerte. Zudem ist es Teil eines Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts sowie des Flussparks.

Die Bilder vom Hochwasser im September sind noch im Gedächtnis verankert – auch das Pielachtal hat es arg getroffen. Am unteren Flusslauf der Pielach, die bei Melk in die Donau mündet, befindet sich die Gemeinde Prinzersdorf. Der nahe am Ortszentrum gelegene Uferabschnitt ist ein beliebtes Naherholungsgebiet und Schauplatz großer Feste. Schon aus den 1960er-Jahren sind Sonnwendfeiern mit 4000 Gästen überliefert.

Im August fand das 54. Sommernachtsfest des bereits seit 70 Jahren bestehenden Verschönerungsvereins statt. Dieser Verein hatte dort in den 1960er-Jahren in Eigenregie ein einfaches Vereinshaus errichtet, das ebenso vom Musikverein „Die Pielachtaler“ genutzt wurde. Über die Jahre hatten sich einige Nebengebäude angehäuft – alles recht nett, aber längst unzulänglich.
Lebensraum verbessern

Vor wenigen Monaten wurde nun an seiner Stelle das neue Flusshaus eröffnet. Es ist Teil eines gemeindeübergreifenden Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts, das in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll, sowie Teil des vom Architektenduo Ernst Beneder und Anja Fischer konzipierten Flussparks. Die Entwurfsidee des Duos basiert auf einer Aufweitung des ab dem 19. Jahrhundert begradigten Flussbetts und der Herstellung von Biegungen, um Erosionen, Strömungsgeschwindigkeit und Überschwemmungsgefahr zu vermindern. Zugleich geht es darum, den Lebensraum zu verbessern – für Fauna und Flora als auch für die Menschen. Höchste ökologische Standards, minimaler Bodenverbrauch, maximale Entsiegelung und das Haus so anlegen, dass die Flusslandschaft erlebbar ist: So lautete die Devise der Architekten. Wie zum Dank blieb es von den knapp daran vorbeitosenden Fluten verschont.

Das aus Brettschichtholz konstruierte Haus steht etwas höher als das Vorgängergebäude – hoch genug, wie man nun weiß, auf einem umlaufenden Sockel auf einer Fundamentplatte. Zum Festplatz im Süden ist der niedrigere Teil mit den Nebenräumen als begehbare Dachterrasse mit vorgelagerten Sitzstufen ausgeführt. Die Dachfläche über dem großen Saal ist begrünt und mit einer Fotovoltaikanlage ausgestattet.

Freitreppen zum Pielachstrand

Die Fassadengestaltung zielt mit der Zweiteilung in eine mit dunkel lasierten Lärchenbrettern verkleidete untere und eine geschindelte obere Hälfte auf die Betonung der Horizontalität ab. Verstärkt wird das durch den ebenfalls dunkel gehaltenen Bügel auf dem Dach, das fast sechs Meter weit als riesige Pergola über der Terrasse im Norden auskragt, die bei Bedarf mit einer Markise wetterfest gemacht wird.

Die in der Gegend an sich nicht verbreiteten Lärchenschindeln habe man gewählt, weil sie zum einen natürlich und robust seien, und zum anderen, damit eine homogen wirkende Fläche herstellbar ist, die nicht durch Stoßfugen unterbrochen wird, erklären Beneder und Fischer. Zwischen den beiden Fassadenteilen verläuft rundum ein Profil aus Cortenstahl. Es überbrückt den Übergang zwischen der dunklen und der hellen Schicht und birgt vor Hochwasser und Unfug geschützt die Beleuchtung sowie einen Kabelkanal mit Elektroauslässen, von dem bei Veranstaltungen die Kabel über Kopf dorthin geführt werden können, wo man sie braucht. Freitreppen leiten zum Pielachstrand über, die Sockelzone dazwischen – darauf legt die Architektin wert – ist aus Neuhauser Granit gefügt, nicht aus den heute omnipräsenten Wurfsteinen chinesischer Herkunft.

Richtung Süden wurde ein Sommerbuffet integriert, das die allseits beliebte Gösnbar in neuer Form weiterführt. Das Haus steht nun einer größeren Anzahl von Nutzergruppen zur Verfügung als zuvor. Dass der Fußabdruck im Gelände dennoch nicht größer wurde, ist dem klugen Raumkonzept zu danken, das in intensivem Austausch mit den Vereinen entstanden ist. Sich zu arrangieren ist ein Aspekt des Teilens von Raum und Gerätschaften. Wie gut das gelingt, hängt davon ab, wie gut die Räumlichkeiten die soziale Kompetenz der Beteiligten zu unterstützen vermögen.

Weiterhin bildet das Flusshaus den Treffpunkt des Verschönerungsvereins und das Probelokal der Musikkapelle. Nun kommt aber auch der Dorferneuerungsverein hierher, und der Männergesangsverein lässt seine Stimmen unter deutlich besseren akustischen Bedingungen erklingen als bisher im Heizungskeller der Schule. Vom Yogakurs bis zu privaten Feiern, von Seminaren bis Vortragsveranstaltungen oder Kabarettaufführungen und Konzerten ist hier vieles machbar.

Möglich ist das, weil die einen abends kommen, die anderen untertags, die einen wochentags und andere am Wochenende. Und vor allem, weil Beneder und Fischer den Raum anpassbar für viele Situationen gemacht und trotzdem einen großen feierlichen Saal zur Verfügung gestellt haben. Die Wände des Raums sind mit einer textilen Bespannung verkleidet, die mit einem stark vergrößerten Ausschnitt einer Landkarte aus dem Jahr 1828 bedruckt ist. Sie bildet den damaligen Verlauf der „Bielach“ ab und vergegenwärtigt so auf sehr eindrückliche Weise die Notwendigkeit, das Leben am Fluss im Einklang mit diesem zu gestalten.

Das Gelände setzt enge Grenzen

Der Clou, der das Miteinander der verschiedenen Gruppierungen löst, ist die in drei Segmente geteilte Wand aus Rollschränken, mit denen sich der Raum so mannigfaltig wie eine Theaterkulisse zonieren lässt. Stehen die Rollschränke am Rand, ist der Saal vollflächig nutzbar. Werden die Musikerstühle und Instrumente nicht in den reichlich vorhandenen Stauraum verräumt, verschwinden sie hinter der Schrankwand, während im anderen Teil des Saals Yoga praktiziert wird. Jutepaneele an den Schränken und an der Decke sorgen – wie auch die Wandbespannung – für eine gute Akustik. Über den von einer Person leicht mittels Kurbel bewegbaren Schränken läuft die unterspannte Holzkonstruktion durch, womit stets die ganze Dimension des Saales erlebbar ist.

„Unlösbare Konstellationen erzeugen neue Bilder“, fasst Ernst Beneder die Situation zusammen. Bei großen Flächenbegehrlichkeiten seitens der Nutzergruppen setzte die Topografie des Geländes enge Grenzen. So entstand die mobile Lösung, die Möglichkeitsräume eröffnet, die sich die Prinzersdorfer:innen nun erobern müssen und die womöglich zu neuen Kooperationen inspirieren.

Spectrum, Fr., 2024.11.08

13. September 2024Franziska Leeb
Spectrum

Leiben nahe Melk: Der bewohnbare Wehrturm erzählt die besseren Geschichten

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

Am Südrand des Waldviertels, auf einem Felssporn über dem Tal des Weitenbachs, erhebt sich die Festungsanlage von Leiben. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde sie dem Invalidenfonds zugewiesen und gelangte nach 1945 in die Verwaltung der Österreichischen Bundesforste.

Etwas abseits des Renaissanceschlosses liegt ein wuchtiger spätmittelalterlicher Batterieturm. Ihn bewohnbar zu machen war der Traum von Mechtildis „Tilde“ Kleinberger. Am liebsten hätten ihn ihr die Bundesforste nur zusammen mit dem ganzen Schloss verkauft; sie blieb hartnäckig und erwarb 1974 mit ihrem Mann den Wehrturm. Das Schloss wurde erst 1989 von der Marktgemeinde Leiben angekauft und mit EU-Mitteln als „Europaschloss“ zu einem kulturellen Zentrum entwickelt.

Traumprojekt der Mutter

Ambitioniert und mutig, gar naiv, aber voller Tatendrang und Liebe zur alten Substanz machte sich das Ehepaar Kleinberger an das Projekt der Bewohnbarmachung des denkmalgeschützten Objekts. Mit Rat und Tat stand der Bauforscher Gerhard Seebach zur Seite. Dennoch wurde der Umbau in einen Alterssitz zu Lebzeiten von Frau Tilde nicht vollendet. Verkaufen oder behalten und bewohnbar machen? Es war keine leichte Entscheidung für Tochter Susanne Kleemann, die schließlich mit Sohn Sebastian, einem Gastronomieprofi, den Ehrgeiz entwickelte, das Traumprojekt der Mutter zeitgemäß, nachhaltig und denkmalgerecht zu einem glücklichen Ende zu führen.

Im aus der Region stammenden Architekten Ernst Pfaffeneder fand sie einen kongenialen Partner, der es verstand, das Kleinod mit all seinen Facetten zunächst zu analysieren und schließlich neu zu organisieren. Heute enthält der Turm zwei Ferienwohnungen, womit der Traum vom Wohnen im Wehrturm für eine größere Anzahl von Menschen erfüllbar wird. Zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel demnächst beim Tag des Denkmals am 29. September, macht die Familie den Turm für die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie damit umgehen?

Er ist ein fabelhaftes Anschauungsbeispiel dafür, dass Methoden der Denkmalpflege Kinder ihrer Zeit sind. Denn manche Veränderung wäre aus heutiger Sicht kaum genehmigungsfähig. Im Grundriss hufeisenförmig, hat der Wehrturm Richtung Schloss eine gerade Wand, zur Angriffsseite hin ist er gerundet. Just dort wurde damals ein Anbau mit Treppenrampe und Terrasse ergänzt. Im untersten­ Geschoß war begonnen worden, ein Schwimmbad einzubauen, und im ganzen Gebäude wurden diverse Flohmarktfunde und Bauteile von anderen Gebäuden verbaut.

Nicht immer erschließt sich auf den ersten Blick, was authentisch ist und was eine neue Zutat. Wie damit umgehen? Rückbauen, als hätte es diese Phase nicht gegeben, obwohl sämtliche Veränderungen der 1970er-Jahre mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes erfolgten? Pfaffeneders Lösung lautete, das zeitliche Kontinuum weiterzuschreiben, innen ein räumliches Kontinuum herzustellen und zugleich den Turm und seine Geschichte besser lesbar zu machen. Das bedeutet, dass viele Ingredienzien aus den vergangenen 50 Jahren bleiben durften oder neue Verwendung fanden. Die Zubauten blieben als Funktionsräume für Haustechnik und Ähnliches erhalten. Im Turminneren wurde der desolate Bestand auf die wesentlichen tragenden Elemente zurückgebaut und technisch ertüchtigt.

In die Historie eintauchen

Die massive Außenwand wurde freigespielt, zum Teil das Natursteinmauerwerk sichtbar gelassen, und wo notwendig, wurden Fehlstellen mit Ziegeln ergänzt, wie das auch schon in früheren Jahrhunderten praktiziert worden war. Ergänzt wurden neue Einbauten aus Holzwerkstoffen in Form von Küchen, Sanitärräumen, Trennwänden und einer Zimmerbox, die über der Küche im Erdgeschoß im Raum hängt. Mit einer Beschichtung in einem weichen Goldton werden sie als neue Intervention kenntlich gemacht und bilden einen ruhigen Konterpart zu den eklektischen Einbauten und dem historischen Gemäuer, auf dem alte Rötelzeichnungen und Notizen freigelegt wurden und dazu einladen, in die Historie einzutauchen.

Ob die vom Bauforscher einst selbst aus Beton gegossene Balustrade auf der Terrasse oder das farbige Gussglas, mit dem die Scharten in der Außenwand geschlossen wurde – sie blieben erhalten und erzählen vom ersten erfolglosen Versuch der Zähmung des doch recht martialisch anmutenden Bauwerks. Was nicht unverändert integrierbar war, wurde passend gemacht, so wie die aus der Pfarrkirche im benachbarten Lehen stammende Kommunionbank, die einst als Raumteiler eingesetzt worden war und nun beim freistehenden Küchenblock Verwendung fand. Bestehende Fenster wurden ertüchtigt oder mit Isoliergläsern und zarten Holzprofilen erneuert.

Turm-Feeling wurde bewahrt

Im unteren Geschoß, wo das „Angstloch“ in der gewölbten Decke noch von den grimmigen Zeiten, in denen der Raum als Verlies diente, kündigt, wurde die unfertige Schwimmbadwanne in mühevoller Arbeit weggestemmt und eine Tramdecke eingezogen. Wie in den drei Ebenen darüber sorgt auch hier ein geschoßübergreifender Luftraum dafür, dass das Turm-Feeling nicht abhandenkommt. Über eine bestehende interne Treppe in der Mauer können die beiden Wohnungen zu einer zusammengelegt werden. Eine schon in den 1970er-Jahren geschlagene Öffnung erwies sich als nützlich, um die Erdwärme einzuleiten, die nun die Fußbodenheizung im neuen Estrich speist und die alte Ölheizung ersetzt.

Stünde es der angeblichen Kulturnation Österreich nicht gut an, systematisch Bestehendes für touristische Zwecke zu aktivieren? Der 600-jährige Wehrturm ist schon allein durch sein Alter punkto Nachhaltigkeit den grüngewaschenen Ferienchalets, die wie die Schwammerl aus den Böden der Urlaubsregionen wachsen, um Längen voraus – und die besseren Geschichten erzählt er allemal.

Spectrum, Fr., 2024.09.13



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Wehrturm Leiben

21. Juni 2024Franziska Leeb
Spectrum

Hier waren Kinder am Werk: ein neues Kunstlabor in St. Pölten

St. Pölten präsentiert sich als Kulturstadt von europäischem Rang. Das Besondere an ihrem Flaggschiff, dem Kinderkunstlabor: Der Kinderbeirat hatte ein Mitspracherecht bei der Form des Parks und der Museumsräume.

St. Pölten präsentiert sich als Kulturstadt von europäischem Rang. Das Besondere an ihrem Flaggschiff, dem Kinderkunstlabor: Der Kinderbeirat hatte ein Mitspracherecht bei der Form des Parks und der Museumsräume.

Es ist schwierig, etwas zu beschreiben, was es noch nicht gibt“, bringt Mona Jas das Problem auf den Punkt. Dass in St. Pölten ein Ort für zeitgenössische Kunst entstehen soll, bei dem die Perspektive der Kinder die Hauptsache ist, lockte die künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors von Berlin in die Stadt. Das Kinderkunstlabor war das Herzstück der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2024 und sollte unabhängig vom Bewerbungserfolg realisiert werden. Zunächst hatten wohl viele kein klares Bild, was so ein Haus leisten kann und wie seine architektonische Beschaffenheit sein soll.

Kunstvermittlungsprogramme für Kinder gibt es heute in fast jedem Museum. Auch Kindermuseen, die altersgerechte Ausstellungen und Mitmachprogramme anbieten, sind nichts Neues. Ein Kunsthaus aber, bei dem Kinder an inhaltlichen, programmatischen und gestalterischen Entscheidungen beteiligt sind, dafür findet sich selbst international kein Beispiel.

Von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien

Um die Architektur ebenso partizipativ zu entwickeln, hätte es mehr Zeit gebraucht. Immerhin wurde ein offener einstufiger Realisierungswettbewerb ausgelobt, der kreativen, kleineren Architekturbüros die Beteiligung ermöglichte. Gewonnen wurde er von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien, die mit ihren Schulbauten schon gezeigt haben, dass sie für die Bedürfnisse von Kindern planen können, ohne sie zu verniedlichen.

Während der Planungs- und Bauphase war der aus Kindergartengruppen und Schulklassen gebildete Kinderbeirat in die weitere Ausgestaltung des Parks und der Museumsräume ebenso einbezogen wie in die Programmgestaltung. Er stand im direkten Austausch mit dem Architekturbüro und vielen Künstlern und Künstlerinnen und hatte zum Beispiel eine Stimme in der Wettbewerbsjury für die Spielskulpturen im Park. Schon das ist eine Leistung: Kinder einzubinden und so ernst zu nehmen, dass sie sich im fertigen Produkt wiederfinden.

Die Wege sind nun wassergebunden

Standort ist der nach der amerikanischen Partnerstadt in Pennsylvania benannte Altoona-Park an einer stadträumlich wenig attraktiven Kreuzung am Schulring, etliche Schulen liegen in der Umgebung. Nur wenige Schritte sind es zur kürzlich als Zentrum für Kultur und Geschichtsvermittlung wiedereröffneten Ehemaligen Synagoge St. Pölten. Der städtebauliche Ansatz, direkt an der Kreuzung in die Höhe zu gehen, den Schwung der Straße im Baukörper aufzunehmen und ein Gelenk zwischen Innenstadt und Kulturbezirk zu bilden, bringt mit sich, dass der Park eine räumliche Fassung erhält und der Fußabdruck möglichst gering bleibt. Gesegnet mit einem schönen dichten Baumbestand und der Lage am Mühlbach, zuvor aber unambitioniert gestaltet, erfuhr die Grünanlage eine Neugestaltung durch das Landschaftsarchitekturbüro Bauchplan. Die Wege sind nicht mehr asphaltiert, sondern wassergebunden.

Bei der Eröffnung Ende Juni wird die Ausstattung noch nicht ganz fertig sein. Ein Wasserspiel und (Spiel-)Skulpturen von Andrea Maurer, Christine und Irene Hohenbüchler, Mischer Traxler und Regina Möller versprechen einen angenehmen Erholungs- und Erlebnisort – nicht nur für Kinder. Die Gebäudefigur ist aus der Fernsicht kaum zu erfassen. Aus manchen Blickwinkeln wirkt der viergeschoßige Baukörper wie ein schlanker Quader. Doch im Grundriss handelt es sich um ein Dreieck mit gekappten Ecken und drei leicht nach innen genickten Seiten, also um ein Sechseck, das als Motiv im Inneren immer wieder auftaucht.

Ursprünglich als reiner Holzbau erdacht, stellte sich in der weiteren Bearbeitung ein reines Holztragwerk nicht nur als zu teuer, sondern auch als zu wuchtig heraus. Also entwickelten die Tragwerksplaner aus dem Büro von Werner Sobek eine neue konstruktive Lösung mit einer Baumstütze aus Beton, von deren „Stamm“ in der Gebäudemitte sechs „Äste“ abgehen, und die die Lasten auf zartere Weise aufnehmen. Dieser innere Kern mit der zentralen Stütze nimmt das Raumprogramm auf, um ihn schraubt sich über die ganze Gebäudehöhe ein Erschließungsraum nach oben: Helixtreppe nennen ihn die Architekten.

Nach außen bilden Holzlamellen einen beschattenden und durchlässigen Filter zur Umgebung. Kontrastierend zum weichen hölzernen Kleid wirken die drei Gebäudeeinschnitte mit akkurat gekanteten Gewänden würdevoll streng. Das breiteste markiert den Eingang am Vorplatz, ein Portal führt vom Park in das Café im Erdgeschoß, und das dritte dient als Fenster zum angrenzenden Indoorspielplatz, den der polnische Architekt und Künstler Jakub Szczęsny als vielseitigen Raum, der erobert werden will, gestaltet hat.

Der nach oben zu schmäler werdende Treppenraum erfüllt den Anspruch, „Möglichkeitsräume“ bereitzustellen, zweimal weitet sich die Zone zwischen innen und außen zu zweigeschoßigen Loggien. „Etwas zum Klettern“ wollten die Kinder. Mit diesem Wunsch konfrontiert, entdeckte Mona Jas die Arbeiten der Japanerin Toshiko Horiuchi MacAdam. Die Kinder waren begeistert, und mit ihrem Votum im Rücken kontaktierte Mona Jas die Künstlerin, die für einen der Bereiche ein riesiges buntes Kletternetz häkelte, „das gut erklärt, wofür das Kinderkunstlabor steht“: höchste künstlerische Qualität und immersive Erfahrung. Treppenkonzerte sind geplant, und auch sonst kann sich hier noch vieles entwickeln.

Gefühl des Willkommenseins

Der große Ausstellungsbereich im ersten Stock wird mit einer Ausstellung der gern mit sozialen Interaktionen arbeitenden brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander nach den Sommerferien richtig in Betrieb gehen. Im Stock darüber gibt es einen Begrüßungsraum, in dem sich die Kinder sammeln können, bevor sie in den Laboren aktiv werden. Ein Highlight im obersten Stock ist die mit einem runden Oberlicht ausgestattete Kinderbücherei. Ein Gefühl des Willkommenseins ist spürbar, das Materialkonzept macht das Gebäude nahbar. „Die Kinder sollen erkennen, wie das Haus gebaut ist“, erklärt Michael Salvi. Holz und Beton sind sichtbar, ebenso die Leitungsführungen. Metalloberflächen, die berührt werden, etwa die Handläufe, erhielten einen blassgrünen Anstrich. Robuste Basisstrukturen wurden gepaart mit feinen Tischlerarbeiten in Birke.

Manches Kind hätte den Eltern gern den Zutritt verwehrt, das Kinderkunstlabor ist jedoch ein Ort für alle, selbst für kinderlose Erwachsene. „Andere Institutionen beschäftigen sich damit, wie sie ihre Inhalte auch Kindern vermitteln können – wir befassten uns damit, was wir Erwachsenen anbieten können“, erklärt Mona Jas. Die Senior:innen aus dem benachbarten Betreuten Wohnen hat sie schon eingeladen.

Spectrum, Fr., 2024.06.21



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KinderKunstLabor

26. April 2024Franziska Leeb
Spectrum

Das Torfmoor bei Budapest: Naturlehrpfad statt Parkplatz

Zivilgesellschaftlicher Protest bewahrte das Torfmoor in der ungarischen Stadt Dunakeszi vor der Verbauung. Nun lädt ein Lehrpfad zu spannenden Erkundungen ein.

Zivilgesellschaftlicher Protest bewahrte das Torfmoor in der ungarischen Stadt Dunakeszi vor der Verbauung. Nun lädt ein Lehrpfad zu spannenden Erkundungen ein.

Naturlehrpfade präsentieren sich üblicherweise recht rustikal, als architektonische Aufgabe werden sie dagegen selten wahrgenommen. Anders verhält es sich beim Schildkröten-Lehrpfad von Dunakeszi in Ungarn. Dieser führt durch ein Torfmoor, außerhalb der nördlichen Stadtgrenze von Budapest, direkt neben dem Einkaufszentrum des internationalen Konzerns Auchan, der über eine Immobilientochter zugleich Bauherr ist. Es gibt eine langwierige und komplizierte Vorgeschichte, die Kurzversion lautet, dass wir ohne den langen Atem einer zivilgesellschaftlichen Protestbewegung anstelle der Moorlandschaft hier ein Parkhaus mit Tausenden Stellplätzen besichtigen müssten.

Das Moor von Dunakeszi ist einer der wenigen Überreste eines großen zusammenhängenden Feuchtgebietes in der Region um Budapest. Zu dessen Dezimierung hat schon die Donauregulierung beigetragen, viel mehr aber noch die Entwicklungen der allerjüngsten Vergangenheit, die mit Autostraßen und Gewerbe-Agglomerationen samt den damit einhergehenden Zu- und Abfahrten die Landschaft unwiederbringlich versiegelten.

Immerhin: In dem kleinen verbliebenen Gebiet gibt es eine abwechslungsreiche und dichte Vegetation, die für 50 Vogelarten geeignete Nistplätze anbietet. Selten sichtbar, aber für den Lehrpfad namensgebend und der Star des Moors ist die vom Aussterben bedrohte Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die hier die geeignete Nahrungsgrundlage und die ideale Bodenstruktur zum Brüten vorfindet.

Bevor das sensible Ökosystem verschwunden war, kapitulierte der Handelskonzern Auchon schließlich und investierte statt in einen weiteren Parkplatz in den Naturlehrpfad. Ganz uneigennützig – das gibt man auch zu – ist das Engagement freilich nicht. Direkt vom Parkplatz des Shoppingcenters den Zugang zu einem einzigartigen Naturerlebnis zu haben ist ein Alleinstellungsmerkmal, und umgekehrt kalkuliert man damit, dass die Naturliebhaber sich aus dem Moor ins Kaufhaus locken lassen. Beim Lokalaugenschein an einem regnerischen Tag ist jedenfalls beides gut besucht.

Das mit der Planung beauftragte junge Budapester Architekturbüro Paradigma Ariadné ist bekannt für spannende Interventionen, die aus der Auseinandersetzung mit der Topografie und lokalen Bautraditionen sowie der Kunstgeschichte und Architekturtheorie gespeist sind. Den drei Inhabern, Attila Róbert Csóka, Szabolcs Molnár und Dávid Smiló, ist es in kurzer Zeit gelungen, im internationalen Architekturdiskurs wahrgenommen zu werden. Im Wiener Architektur-Ausstellungsraum Magazin präsentierten sie vor fünf Jahren die Resultate ihrer Beschäftigung mit den für Ungarn typischen Würfelhäusern. Indem sie mit ihren Bauten Geschichten erzählen und die Vorstellungskraft der Rezipienten stimulieren, schaffen sie trotz ihrer konzeptuellen Herangehensweise im besten Sinne populäre Bauten. So übersetzten sie beim vor drei Jahren fertiggestellten Büffellehrpfad in einem schilfbedeckten Natura-2000-Gebiet in Sándorfalva Geometrien mitteleuropäischer landwirtschaftlicher Bauten in heiter anmutende, vertraut wirkende Baustrukturen.

Für den Schildkrötenlehrpfad stand das surrealistische Gemälde „Die Blankovollmacht“ (im Original „Le Blanc-Seing“) von René Magritte Pate. Es zeigt eine Reiterin im dichten Wald, ein an sich banales Sujet, das durch die irritierende Darstellung, die mit räumlichen Beziehungen und dem Davor und Dahinter spielt, fesselt. Paradigma Ariadné entwickelten aus diesem Bild der geschichteten Zwischenräume abgestufte architektonische Elemente aus einer geometrischen Grundform.

Sie dienen als Ausstellungspavillons, Aussichtspunkte und Klettergerüste. In Blau – jener Farbe, die in der Natur am seltensten vorkommt – werden sie als künstlicher Eingriff kenntlich gemacht. Mit „The Blue Signature“ übertitelten die Architekten, angelehnt an das englische Bild „The Blank Signature“, daher den Entwurf, mit dem sie 2022 die Ausschreibung gewannen.

Das Spiel mit dem Davor und Dahinter, das Changieren zwischen real und irreal, zwischen künstlicher Intervention und harmonischem Aufgehen in der Landschaft, bestimmt die Architektur des Lehrpfades. „Wir wollten kein falsches Gefühl von naiver Natürlichkeit erzeugen, sondern deutlich machen, dass der Pfad ein Eindringling in der Natur ist“, erklärt Architekt Szabolcs Molnár. Während der viermonatigen Bauzeit verbrachte er viel Zeit im Moor, da Paradigma Ariadné erstmals in der Bürogeschichte als Generalunternehmer beauftragt war und somit die Errichtung des Lehrpfades verantwortete. Die fachliche Betreuung übernahmen die Expertinnen des Nationalparks Donau-Ipoly.

Ein rund 900 Meter langer Rundweg verbindet die einzelnen Stationen. Auf festem Boden, der bei feuchtem Wetter rasch matschig wird, halten auf Staffelhölzern gelagerte Holzbohlen die Füße trocken. Da sie auch als Bänke dienen, können sich so ganze Schulklassen an verschiedenen Stellen zur Rast niederlassen. Über die Feuchtgebiete und die zwei permanenten Teiche führen schmale Holzbrücken, die mit Erdschrauben nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs im Boden verankert sind. Die schlichten Fachwerkgeländer werden früher oder später von den vor Ort vorhandenen Kletterpflanzen umrankt sein, sodass irgendwann nur noch die blauen Pavillons zwischen den Grüntönen des Laubs hervorleuchten werden.

Sehr schnell hat man nach Eintritt in den Lehrpfad die Unwirtlichkeit der Stadtperipherie vergessen und taucht ein in einen magischen Ort, fühlt sich entschleunigt und eins mit der Natur – und ist zugleich froh, dass eine kultivierte Struktur Halt und Sicherheit gibt. Ansprechende Informationsgrafiken erklären, wie Moore entstehen, welche Rolle sie im Kampf gegen den Klimawandel spielen, zudem werden Geologie, Fauna und Flora des Dunakeszi-Moors erläutert. Alles zwar nur auf Ungarisch, aber der Schildkrötenlehrpfad ist allein schon wegen seiner architektonischen Lösung und ihrer Integration in die Natur einen Besuch wert. Die Botschaften, die man von hier mitnimmt: Es lohnt sich, für den Erhalt von Natur zu kämpfen. Und: Architektur kann ein Mittel sein, um das Naturverständnis auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene zu fördern.

Spectrum, Fr., 2024.04.26

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Presseschau 12

09. August 2025Franziska Leeb
Spectrum

Um Eckhäuser besser: Gutes Klima in einem Mietwohnungshaus in Wien-Ottakring

Das Mietwohnungshaus von Zeininger Architekten in Wien-Ottakring bietet in mehrfacher Hinsicht ein gutes Klima: Es gibt eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage, der Strom kommt von der PV-Anlage auf dem Dach, und auf dem hofseitigen Balkon spürt man selbst bei Hitze einen angenehmen Durchzug.

Das Mietwohnungshaus von Zeininger Architekten in Wien-Ottakring bietet in mehrfacher Hinsicht ein gutes Klima: Es gibt eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage, der Strom kommt von der PV-Anlage auf dem Dach, und auf dem hofseitigen Balkon spürt man selbst bei Hitze einen angenehmen Durchzug.

Dichte spart einerseits Fläche und ermöglicht leistbares Wohnen. Andererseits steht sie synonym für Enge, Überhitzung, Renditemaximierung. Fix ist, dass eine hohe städtebauliche Dichte nicht automatisch belebte und lebenswerte Stadtquartiere garantiert – und eine geringe ebenso wenig. Es seien „Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit und Mangel an gutem Willen, welche uns moderne Stadtbewohner dazu verurteilten, lebenslänglich in formlosen Massenquartieren den geisttötenden Anblick ewig gleicher Mietshausblöcke, ewig gleicher Straßenfluchten zu ertragen“, stellte Camillo Sitte schon vor über 130 Jahren fest. Was aber sind, um mit diesem Wiener Wegbereiter des modernen Städtebaus zu sprechen, „Ursachen der schönen Wirkung“?

In der Hasnerstraße in Wien-Ottakring finden wir Hinweise. Sitte würde zwar die kerzengerade Alleestraße eintönig finden, mit dem neuen Haus an der Ecke zur Sulmgasse hätte er wohl Freude. Es fällt zunächst wegen seiner orangeroten Balkone auf – ein fröhlicher Farbakzent und eine Abwechslung zu den üblich gewordenen Investorenhäusern, die anthrazitfarben modern und schick sein wollen, aber schlussendlich bloß Tristesse verbreiten. Aber auch sonst ist vieles anders, als wir es von üblichen neuen Lückenfüllern in den Gründerzeitblocks gewohnt sind. Unmittelbare Nachbarin ist an der Hasnerstraße die ehemalige Brotfabrik des „Ersten Wiener Consumverein“, ein damals fortschrittliches und heute denkmalgeschütztes Gebäude von Franz und Hubert Gessner aus den Jahren 1908/09.

Abwärme bleibt im Kreislauf

Technisch wegweisend ist auch das Mietswohnhaus Sulmgasse: Es verfügt über eine hauseigene Solar- und Geothermieanlage. 14 Tiefenbohrungen ermöglichen die Nutzung der Erdwärme, die in Kombination mit einer Wärmepumpe für Heizung und Kühlung sorgt. Durch Rohrleitungen in den Betondecken fließendes Wasser heizt im Winter die Wohnungen, im Sommer erfolgt so die Kühlung. Anders als bei konventionellen Klimageräten, die viel Strom verbrauchen und mit ihrer Abluft die Umgebungsluft erwärmen – also das Symptom, das sie bekämpfen, sogar noch mit verursachen –, bleibt die Abwärme im Kreislauf. Strom kommt von der Fotovoltaikanlage auf dem Dach.

Es reicht nicht, nur den öffentlichen Raum zu transformieren – wie es zum Bespiel einen Block weiter nördlich in der Thaliastraße in den vergangenen Jahren schon geschehen ist. Auch die Art, wie in den hitzebelasteten Gründerzeitvierteln nachverdichtet wird, trägt zur Atmosphäre im öffentlichen Raum und zum Stadtklima bei. Diesbezüglich etwas Richtiges zu tun sei der Anspruch bei der Entwicklung der Liegenschaft an der Ecke zur Sulmgasse gewesen, erklärt Johannes Zeininger.

Der Architekt führt mit seiner Frau Angelika das Atelier Zeininger Architekten. Die beiden sind nicht nur die Planer, sondern mit einem weiteren Miteigentümer aus der Familie auch die Bauherren. Hätten sie es sich leicht gemacht, hätten sie den Block um einen kleinen Innenhof geschlossen, jede Wohnung straßenseitig mit einer kleinen Loggia und hofseitig mit Mini-Balkonen versehen und versucht, mit ein paar Ausnahmegenehmigungen möglichst viel Volumen herauszuschinden, um die vermarktbare Wohnfläche im Dach zu maximieren. Die Zeiningers sind aber keine Spekulanten. Deshalb haben sie Ausnahmen erkämpft, die nicht ihrer Rendite, sondern der Lebensqualität im Haus und im Grätzl dienen.

Fast wie in Barcelona

Sie nutzten das L-förmige Grundstück nicht zu Gänze aus, sondern ließen an der Sulmgasse einen Straßenhof frei. Das hat einen klimatischen Vorteil, weil ein offener Hof nicht so stark überhitzt wie ein geschlossener, ist aber auch aus dem Blickwinkel des Verhältnisses von privatem und öffentlichem Raum ein couragierter Zugang. Der Einschnitt öffnet den engen Gassenraum zur Brotfabrik, die somit weiterhin auch an dieser Seite in Erscheinung treten kann. Die im Erdgeschoß angesiedelten Gewerbeflächen erhalten einen attraktiven Vorbereich abseits des Gehsteigs, an der Grenze zur Brotfabrik entstand eine begrünte Terrasse als Vorfeld zum Gemeinschaftsraum.

An der Straßenecke weichen sie von der Baufluchtlinie zurück, verzichten also auch hier auf verwertbare Fläche und betonen damit das Motiv der im ganzen Stadtquartier verbreiteten abgeschrägten Ecken. Wir kennen sie in stärkerer und konsequenterer Ausprägung aus dem von Ildefons Cerdà geplanten Stadtteil l’Eixample in Barcelona, wo sie der besseren Übersichtlichkeit der Kreuzungen dienen und neuerdings die Entstehung von verkehrsberuhigten Plätzen begünstigen. In Wien werden die schrägen Ecken oft vernachlässigt. Statt klei­ner Loggien und Balkone umfängt die Wohngeschoße eine Balkonlandschaft, die in der Fernwirkung einen räumlichen Akzent in der Straßenflucht erzeugt.

Fixe Trennungen gibt es nicht, nur Zonierungen in Form tieferer Aufenthaltsbereiche und Engstellen, wo Blumentöpfe die Grenze markieren. „Die Architektur erwartet, dass man einander grüßt“, schmunzelt Johannes Zeininger. Das Konzept geht auf, wie Frau J. bestätigt, die sich sehr bewusst für dieses Haus entschieden hat. Auf dem hofseitigen Balkon spüre man auch dann, wenn die Hitze drückend über der Stadt liegt, einen angenehm leichten Durchzug. Man kenne die Nachbarn, könne aber – auch auf dem Balkon – sehr gut für sich sein. Das ist ganz im Sinne der Architekten, die hier kein Dorf in der Stadt schaffen wollten, das zum Miteinander zwingt, sondern ein urbanes Haus, das eine gute Nachbarschaft begünstigt.

Dazu trägt ebenso die Lage der beiden Eingänge im Straßenhof bei. Man „fällt“ nicht unmittelbar auf den Gehsteig, kann verweilen und miteinander plaudern. Eine Bank neben den Briefkästen und das Waschbecken im Foyer sind kleine Investitionen, die das Ankommen zu Hause komfortabel machen und ebenso beiläufige Begegnungen begünstigen. An der Hasnerstraße bietet ein Parklet Aufenthaltsraum für das ganze Grätzl an, mit Wildblumen gestaltete Rabatten tragen zur Biodiversität bei.

Weniger Tiefgaragenplätze als Problem?

Während der Bauzeit gab es eine Novelle der Bauordnung, im Zuge derer die Verpflichtung der Herstellung von Kfz-Stellplätzen bei Neubauten reduziert wurde. Daher entschieden sich die Bauherren, der neuen Gesetzeslage zu folgen, und realisierten sieben Tiefgaragenstellplätze weniger. Der Amtsschimmel sieht das anders, weshalb die Sache derzeit vom Verwaltungsgerichtshof überprüft wird. „Warum darf ich eine Verbesserung nicht aufgreifen?“, fragt Zeininger. Die Garage steht fast leer. Die Gegend ist bestens an den öffentlichen Verkehr angeschlossen.

Nicht nur deshalb ist für die Architekten das Projekt noch nicht abgeschlossen. Sie wollen allen Häusern in der Hasnerstraße einen Garten geben. Noch sind die Alleebäume arg vom ruhenden Verkehr bedrängt, aber Initiativen wie die „Sommeroase“ zwischen Habichergasse und Haymerlegasse zeigen, dass vor Ort ausreichend zivilgesellschaftliches Engagement vorhanden ist, um diesen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Spectrum, Sa., 2025.08.09

15. Mai 2025Franziska Leeb
Spectrum

Ökologisch bauen? Das geht heute ganz anders als vor zehn Jahren

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

Nur ein Jahrzehnt liegt dazwischen, aber das sind Welten in der Ästhetik des ökologischen Bauens: Im niederösterreichi­schen Ernstbrunn hat Architekt Juri Troy den Firmensitz eines Windkraftunternehmens erweitert.

Die Eröffnungsfeier war ein Volksfest – sogar für die Architektur, obwohl der niederösterreichische Landtagspräsident es sich nicht nehmen ließ, volksnah zu witzeln, dass er sich im Gegensatz zu seinem Vorarlberger Amtskollegen keinen Architekten leisten kön­ne. Die Ortsbevölkerung strömte aber nicht nur heran, um im Festzelt zu launigen Sprüchen, Blasmusik und Freibier lustig zu sein. Mit großem Interesse nahm sie an den Hausführungen teil, und der Vortragssaal war voll, als Architekt Juri Troy am späteren Nachmittag seine konzeptuellen Überlegungen für die Erweiterung des Firmensitzes des Energieunternehmens Windkraft Simonsfeld erläuterte.

Ohne in abgehobenen Architektenjargon zu verfallen, sprach der gebürtige Vorarlberger, der bereits mehrfach in Niederösterreich gewirkt hat, über den Boden als wichtigste Ressource, die Möglichkeiten und Grenzen von Materialien, über Funktionalität, Präzision und Stim­mung. Aufmerksam hörten die Leute zu, fragten nach, und am Ende fühlten wohl alle, dass man sich Architektur nicht nicht leisten darf, und was unter Baukultur zu verstehen ist.

Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit

Im Jahr 1998 als erster österreichischer Betreiber mit zwei Windrädern gestartet, hatte das Unternehmen erst 2014 ein „richtiges“ Firmengebäude bezogen. Den Standort am Ortsrand von Ernstbrunn konnte man mit der bislang unerfüllten Hoffnung argumentieren, dass im benachbarten Bahnhof der 1988 eingestellte Personenverkehr nach Wien wiederaufgenom­men werde. Geplant von Architekt Georg Reinberg, einem Pionier des ökologischen Bauens, spiegelte das Haus mit seiner gläsernen Solarfassade das Geschäftsfeld – erneuerbare Ener­gie – ebenso wider wie seinen Status als Vorzeigehaus in puncto Nachhaltigkeit.

Keine zehn Jahre später machte das rasante Wachstum des Unternehmens dringend eine Verdreifachung der Bürofläche notwendig, und auch die Erwartungshaltung an das Gebäude hatte sich verändert. Die Technik musste man nun nicht mehr vor sich hertragen: Deutlich mehr als 50 Prozent der über 1400 österreichischen Windkraftanlagen stehen in Nieder­österreich, Windkraft Simonsfeld ist einer der großen Produzenten. Nun war es wichtiger, sich als attraktiver Arbeitsplatz zu positionieren.

Wie schon beim Erstling setzten die Windproduzenten auf professionelle Projektentwicklung durch die Beratungsfirma M.O.O.CON und luden vier Architekturbüros zu einem Generalplanerwettbewerb. Reinberg war nicht darunter. Auch wenn man offensichtlich neue Wege gehen wollte, so sollte seine prägnante Solarfassade unverstellt bleiben. Erweiterungsflächen sah die Wettbewerbsauslobung vor allem an der Rückseite des jungen Bestandes vor. Genau dieser Vorgabe widersetzte sich Juri Troy als Einziger – und reüssierte.
Bereits in der Errichtungsphase klimapositiv

Um nur minimal in die vorhandene Substanz einzugreifen, schloss er den Neubau an zwei Punkten beiderseits der Solarfassade an den Bestand an. Somit entstand ein Vierkanter, der nicht in Alt und Neu unterscheidet, sondern eine zusammenhängende Arbeitswelt um einen begrünten Hof bildet. Reinbergs gebogene und geneigte Solarfassade und die dahinter liegende zweigeschoßige Halle korrespondieren gut mit dem neuen Hof und bilden mit ihm eine großzügig-luftige Begegnungszone für die hundertköpfige Belegschaft und Gäste, um die sich das ganze Gebäude entwickelt. An der Rückseite bleibt eine potenzielle Erweiterungsfläche für einen weiteren Büro-Vierkanter erhalten und damit der Standort auf längere Zeit gesichert. „Hätten wir jetzt schon alles nach hinten gelegt, würde das Gebäude stets verkehrt herum funktionieren“, erläutert Jury Troy die Entscheidung.

Schon der Bestand war ein Plus-Energiehaus gewesen, nun lautete das ehrgeizige Ziel, nicht nur im Betrieb mehr Energie zu produzieren als zu verbrauchen, sondern bereits in der Errichtungsphase klimapositiv zu bilanzieren. Der Zubau besteht im Wesentlichen aus nachwachsenden Rohstoffen, die Bodenplatte ist aus Recyclingbeton. Architekt Georg Marterer hatte die örtliche Bauaufsicht inne. Um das Baustellengeschehen bestmöglich im Auge zu behalten, bezog er sogar eine Wohnung vor Ort. Ob die Bestandteile des vorhandenen Energiesystems, Schächte oder Wegebaumaterialien: „Wir haben so gut wie alles wiederverwendet, wo schon einmal Energie hineingeflossen ist“, erklärt er.

Kerne aus Stampflehm

Der Holzbau ist nach einem ablesbaren stringenten Prinzip so pur wie möglich angelegt. Alle Knoten sind als reine Holzverbindungen ausgeführt, wodurch große Mengen an stählernen Verbindungsmitteln eingespart werden konnten. Bei einer stützenfreien Spannweite von über acht Metern und Zwischenwänden, die auf dem fertigen Fußboden stehen, sind Raumkonfigurationen in Zukunft leicht veränderbar.

Einen Gegenpol zur fragil wirkenden Holzkonstruktion bilden im straßenseitigen Südtrakt zwei Kerne aus Stampflehm. Sie sorgen für die Aussteifung, beinhalten alle Erschließungs- und Versorgungsstränge sowie die Bauteilaktivierung zum Heizen und Kühlen und tragen maßgeblich zur Regulierung des Raumklimas in den direkt daran angelagerten stark frequentierten Bereichen bei. Das Material stammt aus dem Aushub und hat die Baustelle nie verlassen. Den Zuschlag zur Erhöhung der Druckfestigkeit holte man aus einem nahen Kalkbruch und setzte ihn auch gleich im Terrazzoboden ein.

Wie ein Schatzkästchen mit unterschiedlichen Laden bergen die Lehmkerne als Kontrast zur farblich zurückhaltenden Bürolandschaft abwechslungsreich ausgestattete Räume. Als besondere Preziosen überraschen die kleinen, in den Farben der Weinviertler Landschaft ausgepolsterten Rückzugsräume. Die Künstlerin Viviana Schimmenti hat sie aus unterschiedlich strukturierten, mit Pflanzenextrakten gefärbten Stoffen gestaltet und holt so das Kolorit der Weinviertler Landschaft – ein­mal die Farben des Himmels, einmal jene der blühenden Felder – in das Bürogebäude.

Viel menschliche Energie floss in das durchdachte Konzept, fein aufeinander abgestimmte Details und handwerkliche Qualität. Überraschend harmonisch gelang wohl auch deshalb die Fusion gegensätzlicher Raumkonzepte zweier Architektengenerationen. Die Themen Ökologie und Nachhaltigkeit sind omnipräsent, werden aber gestalterisch nicht überhöht. Man traut der Struktur zu, noch in Jahrzehnten – auch für andere Zwecke – nützlich zu sein. Vielleicht kommen dann irgendwann doch noch Gebäudenutzer in den Genuss eines reaktivierten Bahnanschlusses.

Spectrum, Do., 2025.05.15



verknüpfte Bauwerke
Firmenzentrale Windkraft Simonsfeld

19. März 2025Franziska Leeb
Spectrum

Wie eine findige Bürgermeisterin den Ortskern erneuert: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus!“

Über Jahre adaptierte die Bürgermeisterin von Niederwerrn in Unterfranken alte Gebäude, um eine neue Ortsmitte zu erschaffen. Dafür ging sie auf Besitzer von leer stehenden Häusern zu.

Über Jahre adaptierte die Bürgermeisterin von Niederwerrn in Unterfranken alte Gebäude, um eine neue Ortsmitte zu erschaffen. Dafür ging sie auf Besitzer von leer stehenden Häusern zu.

In ihrem Regierungsprogramm bekennt sich die österreichische Dreierkoalition zu einer nachhaltigen Bodenpolitik und kündigt an, sich um die Stärkung der Ortskerne zu kümmern, die Nutzung und Revitalisierung historischer Gebäude zu erleichtern und Initiativen zu setzen, damit die heimische Bauwirtschaft zum Vorreiter der Kreislaufwirtschaft wird. Zum Vorbild nehmen kann man sich dazu die Zentrumsentwicklung in einem Dorf 600 Kilometer nordwestlich von Wien.

Im Sommer 2024 wurde das neue Bürgerzentrum von Niederwerrn mit 2000 fränkischen Bratwürsten eröffnet, kürzlich erhielt es den renommierten BDA-Preis Bayern des Bund Deutscher Architektinnen und Architekten. Bis es so weit war, dauerte es. „Du kaufst ja nur Häuser“, hatte so mancher Einwohner Bürgermeisterin Bettina Bärmann vorgeworfen. Denn ehe im Jänner 2023 Spatenstich war, hatte Frau Bärmann der Kommune über Jahre Vorkaufsrechte gesichert, Überzeugungsarbeit geleistet und Immobilien gekauft und getauscht, bis in der künftigen Ortsmitte das Puzzle an Gebäuden und Plätzen komplett war, um für die notwendigen Bedarfe adaptiert zu werden. Begleitet wurde und wird die Gemeinde seit 2017 vom Architekturbüro Schlicht Lamprecht Kern.

Verantwortung wahrnehmen

„Jenseits der Metropolen braucht es mehr Mut und Weitsicht bei den Entscheidungsträgern, mehr Verständnis für die regionale Baukultur bei den Bürgern, mehr Leidenschaft und Engagement bei den Planern“, stellt Architekt Stefan schlicht fest. Deshalb hat sich sein Büro auf Ortsentwicklung und das Bauen im Bestand spezialisiert, um hier Verantwortung wahrzunehmen und zu beweisen, was alles geht, wenn man gut zusammenarbeitet.

Niederwerrn ist ein attraktiver Wohnort für die Beschäftigten in den Industriebetrieben im benachbarten Schweinfurt und in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts sehr schnell gewachsen. Das historische Zentrum rund um den Kirchplatz liegt schon lang nicht mehr in der Mitte. Seit Jahrzehnten fehlt ein Ort zum Zusammenkommen und zum Feiern. Eine neue Ortsmitte zu schaffen war daher eine der Maßnahmen, die im ab 2014 unter Bürgerbeteiligung erstellten „Integrierten städtebaulichen Entwicklungskonzept (ISEK)“ festgelegt wur­den. Sie liegt am Übergang vom Altort zu den östlichen Siedlungsgebieten, nahe beim Rathaus, zwischen der Gemeindebibliothek in der ehemaligen Synagoge und dem Seniorenzentrum.

Recyclingbeton günstiger als normaler

Der einzige Neubau im Ensemble ist das in zwei Häuser gegliederte „Mitten im“. Im westlichen Teil steckt das Abbruchmaterial der einstigen Talbrücke Rothof, das in einem nahen Betonwerk aufbereitet wurde; der östliche ist ein Massivholzbau über einem Sockelgeschoß aus Recyclingbeton. Mit den scharrierten und gespitzten Oberflächen, die mit traditioneller Steinmetztechnik den steinernen Charakter des Betons verstärken, der Dachform und den geringen Dachüberständen sowie den Fenstergewänden griff man Gestaltungselemente aus der traditionellen Architektur der Region auf. Das Gebäude mutet edel an. „Sieht außergewöhnlich aus, war aber nicht außergewöhnlich teuer“, pariert Stefan Schlicht die Frage nach den Kosten. Der Kubikmeterpreis des Recyclingbetons war niedriger als der von normalem Beton. Man benötigte keine Putze oder Verkleidungen, und auch beim Holzbau kam man nahezu ohne Folien oder Verklebungen aus.

Der neue Bürgersaal wird gern als Raum für private Feiern gebucht, Hochzeiten sind sowieso der Renner. Das liegt vielleicht an den Balkonen vor den bodentiefen Fenstern des Trauungszimmers, auf denen sich perfekte Hochzeitsfotos inszenieren lassen. Beliebt ist auch das Café im Obergeschoß des Holzhauses. Die Stühle stammen aus einem aufgelassenen Wirtshaus im Ort. Der Mann der Bürgermeisterin hat sie abgeschliffen, der Tischler neu ­lackiert.

Westlich des Neubaus wurde eine historische Scheune als Energiescheune adaptiert. Darin sind die technischen Anlagen zur Energieversorgung des gesamten Ensembles untergebracht, zusätzlich entsteht hier ein Informationszentrum für nachhaltige Energiekonzepte. Die Holzverkleidungen der Einbauten im Inneren wurden aus den Schalungsbrettern des Betonhauses gezimmert. Auf der anderen Seite wurde ein bestehendes Fachwerkhaus zum Ladenmuseum umgebaut, das die einzigartige Sammlung des Kaufmanns Winfried Maul aufnimmt. Dank einer großen Schaufensterwand kann der über 100-jährige Kolonialwarenladen auch ohne Museumspersonal besichtigt werden. Treppen und Sitzstufenanlagen, Pflanzbeete, Bäume und ein Wasserbecken gliedern den öffentlichen Raum und sorgen für eine Vielfalt an allein, zu mehreren und in großen Gruppen gut nutzbaren Verweilorten. Das Regenwasser von den Dächern der umliegenden Häuser wird in Zisternen gesammelt und für die Bewässerung der Grünflächen genutzt.

Alte mit neuen Siedlungsteilen verbunden

Als graue Energie bezeichnet man die Energiemenge, die sämtliche Herstellungsschritte bis hin zur Entsorgung eines Produktes nach sich ziehen. Davon wurde so wenig wie möglich verwendet. Höher ist der Aufwand an goldener Energie. Unter diesem ansprechenden Begriff sind all die immateriellen Werte zusammengefasst: die vielen schönen Erinnerung an besondere Erlebnisse und Menschen, die mit den Bestandsbauten in Zusammenhang stehen.

Von allen Seiten zugänglich fügt sich das Ensemble vorzüglich ein, verbindet alte und neue Siedlungsgebiete. Hier ist keine schicke Kiste gelandet, die erst angeeignet werden muss, sondern ein architektonisches Gefüge, das eine neue Ästhetik und neue Themen ins Zentrum rückt, die vertraut und zugänglich wirken. Es gelang vortrefflich, aus dem Vorhandenen Neues zu schaffen und Topografie, individuelle Gegebenheiten, die kleinteilige Ortstruktur und lokale Bautraditionen aufzunehmen, ohne auf einer bloßen Zitatebene zu bleiben.

Deutsche Städtebauförderung

„Wichtig ist, dass viele Menschen ganz unterschiedliche Gründe finden können, um hierherzukommen“, betont Bürgermeisterin Bettina Bärmann. Die Neue Mitte soll die Keimzelle sein, die den gesamten Altort wiederbelebt. Denn schon geht es weiter: In einem weiteren Bestandsgebäude werden die Musikschule und Bereiche der Bibliothek eine neue Heimstatt finden, weiters sind eine Gemeinschaftspraxis, neue Wohnformen für Senioren und Menschen mit Behinderung geplant. Alles zusammenhalten und erschließen wird die verkehrsberuhigte und fußgängerfreundliche Neugestaltung der Schweinfurter Straße.

Dass dies alles für die Gemeinde zu stem­men ist, liegt an der in Deutschland seit über 50 Jahren bestehenden Städtebauförderung. Ein Programm nach diesem Vorbild wird auch in Österreich seit Jahren von der Fachwelt eingefordert. Wenn es die österreichische Bundesregierung mit ihren Ansagen zu Baukultur und Ortskernbelebung ernst meint, sollte sie die Sache nun angehen. So wären auch hierzulande Bürgermeister:innen besser in der Lage, auf Leerstandsbesitzer zuzugehen und zu sagen: „Pardon, ich brauch’ Ihr Haus“, um die Innenentwicklung voranzutreiben zu können.

Spectrum, Mi., 2025.03.19

19. Dezember 2024Franziska Leeb
Spectrum

So gelingen Freiräume mit Flair

Die Landschaftsarchitekten Auböck + Kárász sind seit 40 Jahren in der Stadterneuerung tätig: „Wir komponieren wie bei einem Musikstück mit langsamen und schnellen Teilen. Die Partitur soll sich entwickeln und unterschiedlich gespielt werden können.“

Die Landschaftsarchitekten Auböck + Kárász sind seit 40 Jahren in der Stadterneuerung tätig: „Wir komponieren wie bei einem Musikstück mit langsamen und schnellen Teilen. Die Partitur soll sich entwickeln und unterschiedlich gespielt werden können.“

Sie sind die prominentesten Landschaftsarchitekten Österreichs, seit 1987 betreiben sie ihr gemeinsames Atelier in Wien-Neubau. Erstaunlich, dass erst jetzt eine Monografie über ihre Arbeit erscheint. Es ist keine klassische Werkdokumentation, die mit Hochglanzfotos und detailreichen Plänen das Lob auf die realisierten Arbeiten singt. „Wir wollten einen Parcours entfalten, den man erwandern kann wie eine Landschaft“, erklärt János Kárász die Grundidee. Entlang dieses Parcours nehmen sie die Leserin mit auf eine Tour zu ausgewählten eigenen Bauten und lassen sie teilhaben an der Gedankenwelt und dem Wissen des universell gebildeten Paares.

Die aus der berühmten Architekten- und Designerfamilie stammende Maria Auböck und der in Ungarn geborene Janosz Kárász haben beide in Wien Architektur studiert, er zusätzlich Sozialwissenschaften. Für Auböck fiel die Entscheidung, keinesfalls in ein großes Architekturbüro zu gehen, sondern sich in der Stadterneuerung und für kommunale Grünflächen zu engagieren, schon im Studium. Bereits in ihrer Diplomarbeit befasste sie sich mit dem Wiener Augarten, der sie später über viele Jahre beschäftigte, um das historische Gartendenkmal zu revitalisieren, es in das Stadtgewebe einzubetten und zugleich als modernen Volksgarten nutzbar zu machen.

Sozialer Anspruch

Kárász kuratierte kulturhistorische Ausstellungen und forschte über die junge Generation in den Dörfern. So entdeckten sie in den 1980er-Jahren zusehends, dass sie mit dem gemeinsamen Wissen etwas bieten konnten, was es so in Österreich bisher nicht gegeben hatte. Der soziale Anspruch, die architektonische Ausbildung: „Das ist ein anderes Raumverständnis, als wenn man von der Universität für Bodenkultur kommt.“

Nicht besser oder schlechter, nur anders, betont János Kárász. So sei der grundsätzliche Zugang jener, Aufgabenstellungen für Freiräume zunächst funktional zu entrümpeln, damit sich offene Räume für variables Geschehen entfalten können. „Wir komponieren ähnlich einem Musikstück, bei dem es langsame und schnelle Teile gibt, und so, dass sich diese Partitur entwickeln und unterschiedlich gespielt werden kann.“

Auf diese Weise entgehen sie dem Dilemma, das zwischen immer komplexer werdenden Anforderungen und präzisen, mitunter einander widersprechenden Nutzungsvorstellungen entsteht. Besonders ist ihnen das im Furtwänglergarten in Salzburg gelungen, wo sehr unterschiedliche Gruppen jeweils ein starkes Partikularinteresse gehabt hatten, etwas Bestimmtes unterzubringen. „Nichts davon gibt es, und nun haben es alle gern.“

Die Unterscheidung nach den soziologischen Kategorien privat, halb öffentlich und öffentlich werde zwar nach wie vor eingefordert, erweise sich aber zusehends als immer weniger tragfähig. Private finanzieren öffentlich zugängliche Freiräume und etablieren dort ihre Spielregeln. Städtische Grünflächen als auch historische Grünflächen werden benutzt wie Wohnzimmer im Freien; weil Wege eher nur noch Empfehlungscharakter haben, entstehen Trampelpfade durch die Wiesen. Werden im Straßenraum aufwendigere Bepflanzungen umgesetzt, neigt man dazu, sie mit Einfriedungen zu schützen. Das sei alles weder schlecht noch gut, aber man müsse darauf reagieren.

„Schwimmende Inseln“

Für den zentralen Freiraum im Stadtquartier „In der Wiesen Süd“ an der Carlbergergasse in Wien-Liesing haben Auböck + Kárász eine Lösung gefunden, wie mit einer neuen Art von Gliederung diesen Bedürfnissen entsprochen werden kann. Unter dem Titel „Îles Flottantes“, also „Schwimmende Inseln“, was in Frankreich ein Dessert bezeichnet, das bei uns „Schneenockerl“ und in Ungarn „Madártej“ („Vogelmilch“) heißt, schufen sie eine Landschaft aus Grüninseln und geschwungenen Wegen.

Ob im Kleinen im Wohnbau, in der „Neuen Mitte“ von Bad Gleichenberg oder im Central Park von Baku: Es geht um Freiräume mit Atmosphäre und unterschiedlichen Milieus, in denen Unterschiedliches gleichzeitig stattfinden kann, ohne miteinander in Konflikt zu geraten.

Vor dem Hintergrund des Klimawandels und dem Druck, etwas ökologisch Gerechtes zu machen, beherrschen heute Kennzahlen und Zertifizierungen die Diskussion. „Etwas durchzusetzen, das über das Quantifizierbare hinaus zusätzliche Qualitäten hat, wird immer schwieriger“, stellt Kárász fest. Funktionalität, Nachhaltigkeit und Klimaresilienz sollten ohnedies selbstverständlich sein. Das Schöne ist im professionellen Architekturdiskurs wie in der Landschaftsarchitektur ein prekäres Ding geworden, über das selten explizit gesprochen wird. Vielleicht weil das Bemühen um Poesie und Schönheit am Ende oft in Kitsch abgleitet. Davor sind die Arbeiten von Maria Auböck und Janos Kárász schon allein deshalb gefeit, weil ihre Arbeiten auf einem festen Wissensfundament aufbauen, das bei typologischen Experimenten für Sicherheit sorgt.

Raumauffassung und -bewältigung

Die beiden arbeiteten an zahlreichen historischen Gärten und wissen um die Herausforderung, die richtige Strategie zu finden, damit die Anlagen langfristig zwischen ökonomischen Rahmenbedingungen und steigendem Nutzungsdruck gut über die Jahrzehnte kommen. Die persischen Teppichmustern nachempfundenen Broderien im Park von Schloss Belvedere wurden schon zu Zeiten Maria Theresias als zu pflegeaufwendig erachtet und daher vereinfacht, wie ein Vergleich der ursprünglichen Muster mit der bekannten Ansicht von Canaletto veranschaulicht. Letzteres diente bei Renovierungen in den 1990er-Jahren als Vorbild.

Zum 50-Jahr-Staatsvertragsjubiläum wünschte die Regierung eine Rekonstruktion des Originalzustandes, der mit viel Akribie und Forschungsarbeit hergestellt wurde. Eine wichtige Erkenntnis daraus: Das Muster führte zu einer optischen Täuschung, die das Panorama von Wien wie durch ein Teleobjektiv näher rücken ließ. „Das Beschäftigen mit dem Freiraum in Bezug zur Architektur hat ganz viel mit Raumauffassung und Raumbewältigung zu tun“, betont Maria Auböck. Keine zwei Jahrzehnte später erweist sich der personelle und finanzielle Aufwand, der mit der Erhaltung des neu geschaffenen Originalzustandes einhergeht, für die Republik als zu hoch. Frankreich, Italien oder England gehe es wirtschaftlich nicht besser, dennoch sei das dort undenkbar, zieht Kárász einen Vergleich.

Die Lektüre der „Partituren für offene Räume“ liefert Dutzende Argumente dafür, warum uns die kontinuierliche Pflege von Gärten und anderen Freiräumen nicht egal sein darf. Herausgegeben haben die publizistische Kostbarkeit Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek mit ihrem Verein Diachron, den sie zwecks „Verbreitung und Vertiefung des Wissens über Architektur“ gegründet haben. Gemeinsam mit Auböck + Kárász vertiefen sie nun auf kurzweilige Weise das Wissen über die Landschaftsarchitektur.

Spectrum, Do., 2024.12.19

08. November 2024Franziska Leeb
Spectrum

Prinzersdorf in Niederösterreich: Im Haus am Fluss treffen sich alle

Das neue Flusshaus an der Pielach in Prinzersdorf ist Treffpunkt für diverse Vereine und bietet Platz für Yogakurse, Feste, Seminare und Konzerte. Zudem ist es Teil eines Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts sowie des Flussparks.

Das neue Flusshaus an der Pielach in Prinzersdorf ist Treffpunkt für diverse Vereine und bietet Platz für Yogakurse, Feste, Seminare und Konzerte. Zudem ist es Teil eines Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts sowie des Flussparks.

Die Bilder vom Hochwasser im September sind noch im Gedächtnis verankert – auch das Pielachtal hat es arg getroffen. Am unteren Flusslauf der Pielach, die bei Melk in die Donau mündet, befindet sich die Gemeinde Prinzersdorf. Der nahe am Ortszentrum gelegene Uferabschnitt ist ein beliebtes Naherholungsgebiet und Schauplatz großer Feste. Schon aus den 1960er-Jahren sind Sonnwendfeiern mit 4000 Gästen überliefert.

Im August fand das 54. Sommernachtsfest des bereits seit 70 Jahren bestehenden Verschönerungsvereins statt. Dieser Verein hatte dort in den 1960er-Jahren in Eigenregie ein einfaches Vereinshaus errichtet, das ebenso vom Musikverein „Die Pielachtaler“ genutzt wurde. Über die Jahre hatten sich einige Nebengebäude angehäuft – alles recht nett, aber längst unzulänglich.
Lebensraum verbessern

Vor wenigen Monaten wurde nun an seiner Stelle das neue Flusshaus eröffnet. Es ist Teil eines gemeindeübergreifenden Hochwasserschutz- und Renaturierungsprojekts, das in den nächsten Jahren umgesetzt werden soll, sowie Teil des vom Architektenduo Ernst Beneder und Anja Fischer konzipierten Flussparks. Die Entwurfsidee des Duos basiert auf einer Aufweitung des ab dem 19. Jahrhundert begradigten Flussbetts und der Herstellung von Biegungen, um Erosionen, Strömungsgeschwindigkeit und Überschwemmungsgefahr zu vermindern. Zugleich geht es darum, den Lebensraum zu verbessern – für Fauna und Flora als auch für die Menschen. Höchste ökologische Standards, minimaler Bodenverbrauch, maximale Entsiegelung und das Haus so anlegen, dass die Flusslandschaft erlebbar ist: So lautete die Devise der Architekten. Wie zum Dank blieb es von den knapp daran vorbeitosenden Fluten verschont.

Das aus Brettschichtholz konstruierte Haus steht etwas höher als das Vorgängergebäude – hoch genug, wie man nun weiß, auf einem umlaufenden Sockel auf einer Fundamentplatte. Zum Festplatz im Süden ist der niedrigere Teil mit den Nebenräumen als begehbare Dachterrasse mit vorgelagerten Sitzstufen ausgeführt. Die Dachfläche über dem großen Saal ist begrünt und mit einer Fotovoltaikanlage ausgestattet.

Freitreppen zum Pielachstrand

Die Fassadengestaltung zielt mit der Zweiteilung in eine mit dunkel lasierten Lärchenbrettern verkleidete untere und eine geschindelte obere Hälfte auf die Betonung der Horizontalität ab. Verstärkt wird das durch den ebenfalls dunkel gehaltenen Bügel auf dem Dach, das fast sechs Meter weit als riesige Pergola über der Terrasse im Norden auskragt, die bei Bedarf mit einer Markise wetterfest gemacht wird.

Die in der Gegend an sich nicht verbreiteten Lärchenschindeln habe man gewählt, weil sie zum einen natürlich und robust seien, und zum anderen, damit eine homogen wirkende Fläche herstellbar ist, die nicht durch Stoßfugen unterbrochen wird, erklären Beneder und Fischer. Zwischen den beiden Fassadenteilen verläuft rundum ein Profil aus Cortenstahl. Es überbrückt den Übergang zwischen der dunklen und der hellen Schicht und birgt vor Hochwasser und Unfug geschützt die Beleuchtung sowie einen Kabelkanal mit Elektroauslässen, von dem bei Veranstaltungen die Kabel über Kopf dorthin geführt werden können, wo man sie braucht. Freitreppen leiten zum Pielachstrand über, die Sockelzone dazwischen – darauf legt die Architektin wert – ist aus Neuhauser Granit gefügt, nicht aus den heute omnipräsenten Wurfsteinen chinesischer Herkunft.

Richtung Süden wurde ein Sommerbuffet integriert, das die allseits beliebte Gösnbar in neuer Form weiterführt. Das Haus steht nun einer größeren Anzahl von Nutzergruppen zur Verfügung als zuvor. Dass der Fußabdruck im Gelände dennoch nicht größer wurde, ist dem klugen Raumkonzept zu danken, das in intensivem Austausch mit den Vereinen entstanden ist. Sich zu arrangieren ist ein Aspekt des Teilens von Raum und Gerätschaften. Wie gut das gelingt, hängt davon ab, wie gut die Räumlichkeiten die soziale Kompetenz der Beteiligten zu unterstützen vermögen.

Weiterhin bildet das Flusshaus den Treffpunkt des Verschönerungsvereins und das Probelokal der Musikkapelle. Nun kommt aber auch der Dorferneuerungsverein hierher, und der Männergesangsverein lässt seine Stimmen unter deutlich besseren akustischen Bedingungen erklingen als bisher im Heizungskeller der Schule. Vom Yogakurs bis zu privaten Feiern, von Seminaren bis Vortragsveranstaltungen oder Kabarettaufführungen und Konzerten ist hier vieles machbar.

Möglich ist das, weil die einen abends kommen, die anderen untertags, die einen wochentags und andere am Wochenende. Und vor allem, weil Beneder und Fischer den Raum anpassbar für viele Situationen gemacht und trotzdem einen großen feierlichen Saal zur Verfügung gestellt haben. Die Wände des Raums sind mit einer textilen Bespannung verkleidet, die mit einem stark vergrößerten Ausschnitt einer Landkarte aus dem Jahr 1828 bedruckt ist. Sie bildet den damaligen Verlauf der „Bielach“ ab und vergegenwärtigt so auf sehr eindrückliche Weise die Notwendigkeit, das Leben am Fluss im Einklang mit diesem zu gestalten.

Das Gelände setzt enge Grenzen

Der Clou, der das Miteinander der verschiedenen Gruppierungen löst, ist die in drei Segmente geteilte Wand aus Rollschränken, mit denen sich der Raum so mannigfaltig wie eine Theaterkulisse zonieren lässt. Stehen die Rollschränke am Rand, ist der Saal vollflächig nutzbar. Werden die Musikerstühle und Instrumente nicht in den reichlich vorhandenen Stauraum verräumt, verschwinden sie hinter der Schrankwand, während im anderen Teil des Saals Yoga praktiziert wird. Jutepaneele an den Schränken und an der Decke sorgen – wie auch die Wandbespannung – für eine gute Akustik. Über den von einer Person leicht mittels Kurbel bewegbaren Schränken läuft die unterspannte Holzkonstruktion durch, womit stets die ganze Dimension des Saales erlebbar ist.

„Unlösbare Konstellationen erzeugen neue Bilder“, fasst Ernst Beneder die Situation zusammen. Bei großen Flächenbegehrlichkeiten seitens der Nutzergruppen setzte die Topografie des Geländes enge Grenzen. So entstand die mobile Lösung, die Möglichkeitsräume eröffnet, die sich die Prinzersdorfer:innen nun erobern müssen und die womöglich zu neuen Kooperationen inspirieren.

Spectrum, Fr., 2024.11.08

13. September 2024Franziska Leeb
Spectrum

Leiben nahe Melk: Der bewohnbare Wehrturm erzählt die besseren Geschichten

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

Ein 600 Jahre alter Wehrturm in Leiben bei Melk: Am Anfang standen eine romantische Idee und die Veräußerung von Staatsbesitz. Erst die nächsten Generationen fanden ein tragfähiges Nutzungskonzept und einen Architekten, der für zwei Ferienwohnungen denkmalgerecht Raum schuf.

Am Südrand des Waldviertels, auf einem Felssporn über dem Tal des Weitenbachs, erhebt sich die Festungsanlage von Leiben. Nach dem Ersten Weltkrieg und dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie wurde sie dem Invalidenfonds zugewiesen und gelangte nach 1945 in die Verwaltung der Österreichischen Bundesforste.

Etwas abseits des Renaissanceschlosses liegt ein wuchtiger spätmittelalterlicher Batterieturm. Ihn bewohnbar zu machen war der Traum von Mechtildis „Tilde“ Kleinberger. Am liebsten hätten ihn ihr die Bundesforste nur zusammen mit dem ganzen Schloss verkauft; sie blieb hartnäckig und erwarb 1974 mit ihrem Mann den Wehrturm. Das Schloss wurde erst 1989 von der Marktgemeinde Leiben angekauft und mit EU-Mitteln als „Europaschloss“ zu einem kulturellen Zentrum entwickelt.

Traumprojekt der Mutter

Ambitioniert und mutig, gar naiv, aber voller Tatendrang und Liebe zur alten Substanz machte sich das Ehepaar Kleinberger an das Projekt der Bewohnbarmachung des denkmalgeschützten Objekts. Mit Rat und Tat stand der Bauforscher Gerhard Seebach zur Seite. Dennoch wurde der Umbau in einen Alterssitz zu Lebzeiten von Frau Tilde nicht vollendet. Verkaufen oder behalten und bewohnbar machen? Es war keine leichte Entscheidung für Tochter Susanne Kleemann, die schließlich mit Sohn Sebastian, einem Gastronomieprofi, den Ehrgeiz entwickelte, das Traumprojekt der Mutter zeitgemäß, nachhaltig und denkmalgerecht zu einem glücklichen Ende zu führen.

Im aus der Region stammenden Architekten Ernst Pfaffeneder fand sie einen kongenialen Partner, der es verstand, das Kleinod mit all seinen Facetten zunächst zu analysieren und schließlich neu zu organisieren. Heute enthält der Turm zwei Ferienwohnungen, womit der Traum vom Wohnen im Wehrturm für eine größere Anzahl von Menschen erfüllbar wird. Zu besonderen Gelegenheiten, zum Beispiel demnächst beim Tag des Denkmals am 29. September, macht die Familie den Turm für die Öffentlichkeit zugänglich.

Wie damit umgehen?

Er ist ein fabelhaftes Anschauungsbeispiel dafür, dass Methoden der Denkmalpflege Kinder ihrer Zeit sind. Denn manche Veränderung wäre aus heutiger Sicht kaum genehmigungsfähig. Im Grundriss hufeisenförmig, hat der Wehrturm Richtung Schloss eine gerade Wand, zur Angriffsseite hin ist er gerundet. Just dort wurde damals ein Anbau mit Treppenrampe und Terrasse ergänzt. Im untersten­ Geschoß war begonnen worden, ein Schwimmbad einzubauen, und im ganzen Gebäude wurden diverse Flohmarktfunde und Bauteile von anderen Gebäuden verbaut.

Nicht immer erschließt sich auf den ersten Blick, was authentisch ist und was eine neue Zutat. Wie damit umgehen? Rückbauen, als hätte es diese Phase nicht gegeben, obwohl sämtliche Veränderungen der 1970er-Jahre mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes erfolgten? Pfaffeneders Lösung lautete, das zeitliche Kontinuum weiterzuschreiben, innen ein räumliches Kontinuum herzustellen und zugleich den Turm und seine Geschichte besser lesbar zu machen. Das bedeutet, dass viele Ingredienzien aus den vergangenen 50 Jahren bleiben durften oder neue Verwendung fanden. Die Zubauten blieben als Funktionsräume für Haustechnik und Ähnliches erhalten. Im Turminneren wurde der desolate Bestand auf die wesentlichen tragenden Elemente zurückgebaut und technisch ertüchtigt.

In die Historie eintauchen

Die massive Außenwand wurde freigespielt, zum Teil das Natursteinmauerwerk sichtbar gelassen, und wo notwendig, wurden Fehlstellen mit Ziegeln ergänzt, wie das auch schon in früheren Jahrhunderten praktiziert worden war. Ergänzt wurden neue Einbauten aus Holzwerkstoffen in Form von Küchen, Sanitärräumen, Trennwänden und einer Zimmerbox, die über der Küche im Erdgeschoß im Raum hängt. Mit einer Beschichtung in einem weichen Goldton werden sie als neue Intervention kenntlich gemacht und bilden einen ruhigen Konterpart zu den eklektischen Einbauten und dem historischen Gemäuer, auf dem alte Rötelzeichnungen und Notizen freigelegt wurden und dazu einladen, in die Historie einzutauchen.

Ob die vom Bauforscher einst selbst aus Beton gegossene Balustrade auf der Terrasse oder das farbige Gussglas, mit dem die Scharten in der Außenwand geschlossen wurde – sie blieben erhalten und erzählen vom ersten erfolglosen Versuch der Zähmung des doch recht martialisch anmutenden Bauwerks. Was nicht unverändert integrierbar war, wurde passend gemacht, so wie die aus der Pfarrkirche im benachbarten Lehen stammende Kommunionbank, die einst als Raumteiler eingesetzt worden war und nun beim freistehenden Küchenblock Verwendung fand. Bestehende Fenster wurden ertüchtigt oder mit Isoliergläsern und zarten Holzprofilen erneuert.

Turm-Feeling wurde bewahrt

Im unteren Geschoß, wo das „Angstloch“ in der gewölbten Decke noch von den grimmigen Zeiten, in denen der Raum als Verlies diente, kündigt, wurde die unfertige Schwimmbadwanne in mühevoller Arbeit weggestemmt und eine Tramdecke eingezogen. Wie in den drei Ebenen darüber sorgt auch hier ein geschoßübergreifender Luftraum dafür, dass das Turm-Feeling nicht abhandenkommt. Über eine bestehende interne Treppe in der Mauer können die beiden Wohnungen zu einer zusammengelegt werden. Eine schon in den 1970er-Jahren geschlagene Öffnung erwies sich als nützlich, um die Erdwärme einzuleiten, die nun die Fußbodenheizung im neuen Estrich speist und die alte Ölheizung ersetzt.

Stünde es der angeblichen Kulturnation Österreich nicht gut an, systematisch Bestehendes für touristische Zwecke zu aktivieren? Der 600-jährige Wehrturm ist schon allein durch sein Alter punkto Nachhaltigkeit den grüngewaschenen Ferienchalets, die wie die Schwammerl aus den Böden der Urlaubsregionen wachsen, um Längen voraus – und die besseren Geschichten erzählt er allemal.

Spectrum, Fr., 2024.09.13



verknüpfte Bauwerke
Wehrturm Leiben

21. Juni 2024Franziska Leeb
Spectrum

Hier waren Kinder am Werk: ein neues Kunstlabor in St. Pölten

St. Pölten präsentiert sich als Kulturstadt von europäischem Rang. Das Besondere an ihrem Flaggschiff, dem Kinderkunstlabor: Der Kinderbeirat hatte ein Mitspracherecht bei der Form des Parks und der Museumsräume.

St. Pölten präsentiert sich als Kulturstadt von europäischem Rang. Das Besondere an ihrem Flaggschiff, dem Kinderkunstlabor: Der Kinderbeirat hatte ein Mitspracherecht bei der Form des Parks und der Museumsräume.

Es ist schwierig, etwas zu beschreiben, was es noch nicht gibt“, bringt Mona Jas das Problem auf den Punkt. Dass in St. Pölten ein Ort für zeitgenössische Kunst entstehen soll, bei dem die Perspektive der Kinder die Hauptsache ist, lockte die künstlerische Leiterin des Kinderkunstlabors von Berlin in die Stadt. Das Kinderkunstlabor war das Herzstück der Bewerbung zur Kulturhauptstadt 2024 und sollte unabhängig vom Bewerbungserfolg realisiert werden. Zunächst hatten wohl viele kein klares Bild, was so ein Haus leisten kann und wie seine architektonische Beschaffenheit sein soll.

Kunstvermittlungsprogramme für Kinder gibt es heute in fast jedem Museum. Auch Kindermuseen, die altersgerechte Ausstellungen und Mitmachprogramme anbieten, sind nichts Neues. Ein Kunsthaus aber, bei dem Kinder an inhaltlichen, programmatischen und gestalterischen Entscheidungen beteiligt sind, dafür findet sich selbst international kein Beispiel.

Von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien

Um die Architektur ebenso partizipativ zu entwickeln, hätte es mehr Zeit gebraucht. Immerhin wurde ein offener einstufiger Realisierungswettbewerb ausgelobt, der kreativen, kleineren Architekturbüros die Beteiligung ermöglichte. Gewonnen wurde er von Schenker Salvi Weber Architekten aus Wien, die mit ihren Schulbauten schon gezeigt haben, dass sie für die Bedürfnisse von Kindern planen können, ohne sie zu verniedlichen.

Während der Planungs- und Bauphase war der aus Kindergartengruppen und Schulklassen gebildete Kinderbeirat in die weitere Ausgestaltung des Parks und der Museumsräume ebenso einbezogen wie in die Programmgestaltung. Er stand im direkten Austausch mit dem Architekturbüro und vielen Künstlern und Künstlerinnen und hatte zum Beispiel eine Stimme in der Wettbewerbsjury für die Spielskulpturen im Park. Schon das ist eine Leistung: Kinder einzubinden und so ernst zu nehmen, dass sie sich im fertigen Produkt wiederfinden.

Die Wege sind nun wassergebunden

Standort ist der nach der amerikanischen Partnerstadt in Pennsylvania benannte Altoona-Park an einer stadträumlich wenig attraktiven Kreuzung am Schulring, etliche Schulen liegen in der Umgebung. Nur wenige Schritte sind es zur kürzlich als Zentrum für Kultur und Geschichtsvermittlung wiedereröffneten Ehemaligen Synagoge St. Pölten. Der städtebauliche Ansatz, direkt an der Kreuzung in die Höhe zu gehen, den Schwung der Straße im Baukörper aufzunehmen und ein Gelenk zwischen Innenstadt und Kulturbezirk zu bilden, bringt mit sich, dass der Park eine räumliche Fassung erhält und der Fußabdruck möglichst gering bleibt. Gesegnet mit einem schönen dichten Baumbestand und der Lage am Mühlbach, zuvor aber unambitioniert gestaltet, erfuhr die Grünanlage eine Neugestaltung durch das Landschaftsarchitekturbüro Bauchplan. Die Wege sind nicht mehr asphaltiert, sondern wassergebunden.

Bei der Eröffnung Ende Juni wird die Ausstattung noch nicht ganz fertig sein. Ein Wasserspiel und (Spiel-)Skulpturen von Andrea Maurer, Christine und Irene Hohenbüchler, Mischer Traxler und Regina Möller versprechen einen angenehmen Erholungs- und Erlebnisort – nicht nur für Kinder. Die Gebäudefigur ist aus der Fernsicht kaum zu erfassen. Aus manchen Blickwinkeln wirkt der viergeschoßige Baukörper wie ein schlanker Quader. Doch im Grundriss handelt es sich um ein Dreieck mit gekappten Ecken und drei leicht nach innen genickten Seiten, also um ein Sechseck, das als Motiv im Inneren immer wieder auftaucht.

Ursprünglich als reiner Holzbau erdacht, stellte sich in der weiteren Bearbeitung ein reines Holztragwerk nicht nur als zu teuer, sondern auch als zu wuchtig heraus. Also entwickelten die Tragwerksplaner aus dem Büro von Werner Sobek eine neue konstruktive Lösung mit einer Baumstütze aus Beton, von deren „Stamm“ in der Gebäudemitte sechs „Äste“ abgehen, und die die Lasten auf zartere Weise aufnehmen. Dieser innere Kern mit der zentralen Stütze nimmt das Raumprogramm auf, um ihn schraubt sich über die ganze Gebäudehöhe ein Erschließungsraum nach oben: Helixtreppe nennen ihn die Architekten.

Nach außen bilden Holzlamellen einen beschattenden und durchlässigen Filter zur Umgebung. Kontrastierend zum weichen hölzernen Kleid wirken die drei Gebäudeeinschnitte mit akkurat gekanteten Gewänden würdevoll streng. Das breiteste markiert den Eingang am Vorplatz, ein Portal führt vom Park in das Café im Erdgeschoß, und das dritte dient als Fenster zum angrenzenden Indoorspielplatz, den der polnische Architekt und Künstler Jakub Szczęsny als vielseitigen Raum, der erobert werden will, gestaltet hat.

Der nach oben zu schmäler werdende Treppenraum erfüllt den Anspruch, „Möglichkeitsräume“ bereitzustellen, zweimal weitet sich die Zone zwischen innen und außen zu zweigeschoßigen Loggien. „Etwas zum Klettern“ wollten die Kinder. Mit diesem Wunsch konfrontiert, entdeckte Mona Jas die Arbeiten der Japanerin Toshiko Horiuchi MacAdam. Die Kinder waren begeistert, und mit ihrem Votum im Rücken kontaktierte Mona Jas die Künstlerin, die für einen der Bereiche ein riesiges buntes Kletternetz häkelte, „das gut erklärt, wofür das Kinderkunstlabor steht“: höchste künstlerische Qualität und immersive Erfahrung. Treppenkonzerte sind geplant, und auch sonst kann sich hier noch vieles entwickeln.

Gefühl des Willkommenseins

Der große Ausstellungsbereich im ersten Stock wird mit einer Ausstellung der gern mit sozialen Interaktionen arbeitenden brasilianischen Künstlerin Rivane Neuenschwander nach den Sommerferien richtig in Betrieb gehen. Im Stock darüber gibt es einen Begrüßungsraum, in dem sich die Kinder sammeln können, bevor sie in den Laboren aktiv werden. Ein Highlight im obersten Stock ist die mit einem runden Oberlicht ausgestattete Kinderbücherei. Ein Gefühl des Willkommenseins ist spürbar, das Materialkonzept macht das Gebäude nahbar. „Die Kinder sollen erkennen, wie das Haus gebaut ist“, erklärt Michael Salvi. Holz und Beton sind sichtbar, ebenso die Leitungsführungen. Metalloberflächen, die berührt werden, etwa die Handläufe, erhielten einen blassgrünen Anstrich. Robuste Basisstrukturen wurden gepaart mit feinen Tischlerarbeiten in Birke.

Manches Kind hätte den Eltern gern den Zutritt verwehrt, das Kinderkunstlabor ist jedoch ein Ort für alle, selbst für kinderlose Erwachsene. „Andere Institutionen beschäftigen sich damit, wie sie ihre Inhalte auch Kindern vermitteln können – wir befassten uns damit, was wir Erwachsenen anbieten können“, erklärt Mona Jas. Die Senior:innen aus dem benachbarten Betreuten Wohnen hat sie schon eingeladen.

Spectrum, Fr., 2024.06.21



verknüpfte Bauwerke
KinderKunstLabor

26. April 2024Franziska Leeb
Spectrum

Das Torfmoor bei Budapest: Naturlehrpfad statt Parkplatz

Zivilgesellschaftlicher Protest bewahrte das Torfmoor in der ungarischen Stadt Dunakeszi vor der Verbauung. Nun lädt ein Lehrpfad zu spannenden Erkundungen ein.

Zivilgesellschaftlicher Protest bewahrte das Torfmoor in der ungarischen Stadt Dunakeszi vor der Verbauung. Nun lädt ein Lehrpfad zu spannenden Erkundungen ein.

Naturlehrpfade präsentieren sich üblicherweise recht rustikal, als architektonische Aufgabe werden sie dagegen selten wahrgenommen. Anders verhält es sich beim Schildkröten-Lehrpfad von Dunakeszi in Ungarn. Dieser führt durch ein Torfmoor, außerhalb der nördlichen Stadtgrenze von Budapest, direkt neben dem Einkaufszentrum des internationalen Konzerns Auchan, der über eine Immobilientochter zugleich Bauherr ist. Es gibt eine langwierige und komplizierte Vorgeschichte, die Kurzversion lautet, dass wir ohne den langen Atem einer zivilgesellschaftlichen Protestbewegung anstelle der Moorlandschaft hier ein Parkhaus mit Tausenden Stellplätzen besichtigen müssten.

Das Moor von Dunakeszi ist einer der wenigen Überreste eines großen zusammenhängenden Feuchtgebietes in der Region um Budapest. Zu dessen Dezimierung hat schon die Donauregulierung beigetragen, viel mehr aber noch die Entwicklungen der allerjüngsten Vergangenheit, die mit Autostraßen und Gewerbe-Agglomerationen samt den damit einhergehenden Zu- und Abfahrten die Landschaft unwiederbringlich versiegelten.

Immerhin: In dem kleinen verbliebenen Gebiet gibt es eine abwechslungsreiche und dichte Vegetation, die für 50 Vogelarten geeignete Nistplätze anbietet. Selten sichtbar, aber für den Lehrpfad namensgebend und der Star des Moors ist die vom Aussterben bedrohte Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), die hier die geeignete Nahrungsgrundlage und die ideale Bodenstruktur zum Brüten vorfindet.

Bevor das sensible Ökosystem verschwunden war, kapitulierte der Handelskonzern Auchon schließlich und investierte statt in einen weiteren Parkplatz in den Naturlehrpfad. Ganz uneigennützig – das gibt man auch zu – ist das Engagement freilich nicht. Direkt vom Parkplatz des Shoppingcenters den Zugang zu einem einzigartigen Naturerlebnis zu haben ist ein Alleinstellungsmerkmal, und umgekehrt kalkuliert man damit, dass die Naturliebhaber sich aus dem Moor ins Kaufhaus locken lassen. Beim Lokalaugenschein an einem regnerischen Tag ist jedenfalls beides gut besucht.

Das mit der Planung beauftragte junge Budapester Architekturbüro Paradigma Ariadné ist bekannt für spannende Interventionen, die aus der Auseinandersetzung mit der Topografie und lokalen Bautraditionen sowie der Kunstgeschichte und Architekturtheorie gespeist sind. Den drei Inhabern, Attila Róbert Csóka, Szabolcs Molnár und Dávid Smiló, ist es in kurzer Zeit gelungen, im internationalen Architekturdiskurs wahrgenommen zu werden. Im Wiener Architektur-Ausstellungsraum Magazin präsentierten sie vor fünf Jahren die Resultate ihrer Beschäftigung mit den für Ungarn typischen Würfelhäusern. Indem sie mit ihren Bauten Geschichten erzählen und die Vorstellungskraft der Rezipienten stimulieren, schaffen sie trotz ihrer konzeptuellen Herangehensweise im besten Sinne populäre Bauten. So übersetzten sie beim vor drei Jahren fertiggestellten Büffellehrpfad in einem schilfbedeckten Natura-2000-Gebiet in Sándorfalva Geometrien mitteleuropäischer landwirtschaftlicher Bauten in heiter anmutende, vertraut wirkende Baustrukturen.

Für den Schildkrötenlehrpfad stand das surrealistische Gemälde „Die Blankovollmacht“ (im Original „Le Blanc-Seing“) von René Magritte Pate. Es zeigt eine Reiterin im dichten Wald, ein an sich banales Sujet, das durch die irritierende Darstellung, die mit räumlichen Beziehungen und dem Davor und Dahinter spielt, fesselt. Paradigma Ariadné entwickelten aus diesem Bild der geschichteten Zwischenräume abgestufte architektonische Elemente aus einer geometrischen Grundform.

Sie dienen als Ausstellungspavillons, Aussichtspunkte und Klettergerüste. In Blau – jener Farbe, die in der Natur am seltensten vorkommt – werden sie als künstlicher Eingriff kenntlich gemacht. Mit „The Blue Signature“ übertitelten die Architekten, angelehnt an das englische Bild „The Blank Signature“, daher den Entwurf, mit dem sie 2022 die Ausschreibung gewannen.

Das Spiel mit dem Davor und Dahinter, das Changieren zwischen real und irreal, zwischen künstlicher Intervention und harmonischem Aufgehen in der Landschaft, bestimmt die Architektur des Lehrpfades. „Wir wollten kein falsches Gefühl von naiver Natürlichkeit erzeugen, sondern deutlich machen, dass der Pfad ein Eindringling in der Natur ist“, erklärt Architekt Szabolcs Molnár. Während der viermonatigen Bauzeit verbrachte er viel Zeit im Moor, da Paradigma Ariadné erstmals in der Bürogeschichte als Generalunternehmer beauftragt war und somit die Errichtung des Lehrpfades verantwortete. Die fachliche Betreuung übernahmen die Expertinnen des Nationalparks Donau-Ipoly.

Ein rund 900 Meter langer Rundweg verbindet die einzelnen Stationen. Auf festem Boden, der bei feuchtem Wetter rasch matschig wird, halten auf Staffelhölzern gelagerte Holzbohlen die Füße trocken. Da sie auch als Bänke dienen, können sich so ganze Schulklassen an verschiedenen Stellen zur Rast niederlassen. Über die Feuchtgebiete und die zwei permanenten Teiche führen schmale Holzbrücken, die mit Erdschrauben nach dem Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs im Boden verankert sind. Die schlichten Fachwerkgeländer werden früher oder später von den vor Ort vorhandenen Kletterpflanzen umrankt sein, sodass irgendwann nur noch die blauen Pavillons zwischen den Grüntönen des Laubs hervorleuchten werden.

Sehr schnell hat man nach Eintritt in den Lehrpfad die Unwirtlichkeit der Stadtperipherie vergessen und taucht ein in einen magischen Ort, fühlt sich entschleunigt und eins mit der Natur – und ist zugleich froh, dass eine kultivierte Struktur Halt und Sicherheit gibt. Ansprechende Informationsgrafiken erklären, wie Moore entstehen, welche Rolle sie im Kampf gegen den Klimawandel spielen, zudem werden Geologie, Fauna und Flora des Dunakeszi-Moors erläutert. Alles zwar nur auf Ungarisch, aber der Schildkrötenlehrpfad ist allein schon wegen seiner architektonischen Lösung und ihrer Integration in die Natur einen Besuch wert. Die Botschaften, die man von hier mitnimmt: Es lohnt sich, für den Erhalt von Natur zu kämpfen. Und: Architektur kann ein Mittel sein, um das Naturverständnis auf einer emotionalen und intellektuellen Ebene zu fördern.

Spectrum, Fr., 2024.04.26

29. Dezember 2023Franziska Leeb
Spectrum

Hier wird gelebt und Glas geblasen: Handwerk in Wien-Währing

Die Glashütte Comploj fügt sich in einen Hinterhof in Wien-Währing ein, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass Handwerk und Wohnen in der Großstadt gedeihlich koexistieren.

Die Glashütte Comploj fügt sich in einen Hinterhof in Wien-Währing ein, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt, dass Handwerk und Wohnen in der Großstadt gedeihlich koexistieren.

Es ist wie ein Stimmungsbild aus einer längst vergangenen Zeit: Auf der Straße klappert der Hufschlag eines Fiakers, im Hofgebäude glüht der Hochofen. Seitdem die Liegenschaft an der Martinstraße in Wien-Währing bebaut ist, wurde hier nicht nur gewohnt, sondern auch produziert.

In historischen Adressbüchern und Zeitungen findet man unter der Adresse von der Milchwirtschaft über die Putzpasta- und Kunststein-Fabrikation der Firma Karl v. Schmoll bis hin zu einem Parfümerie-Großhandel ganz unterschiedliche Betriebe. Schon 1887 preist ein Inserat einen „großen Hofraum zur Errichtung von Schupfen geeignet“ zur Vermietung an. Im aus der Nachkriegszeit stammenden Gebäudeensemble im Hof war zuletzt eine Automobilgarage untergebracht. Rund ein Jahrzehnt lang stand es leer, ehe es nun nach einer behutsamen Revitalisierung durch das Architekturbüro Berger + Parkkinen zur Betriebsstätte der Glashütte Comploj wurde.

Der Hochofen bildet das heiße Herz

Alfred Berger und Tiina Parkkinen befreiten die drei Bestandhäuser von Anbauten an der Grundstücksgrenze, die der natürlichen Belichtung abträglich waren, und fanden für jedes die passende Funktion. Die Garagenhalle, eine Stahlbetonrahmenkonstruktion, bot perfekte Bedingungen für die Werkstatt. Die Dachverglasungen liefern ideales Tageslicht von oben, im Zentrum bildet der Hochofen das heiße Herz. Der direkt anschließende Ziegelbau wurde zum Schau- und Verkaufsraum mit Büro. Das dritte auf dem Grundstück befindliche Gebäude, ehemals ein Büro mit Flachdach, wurde mit einem Satteldach aufgestockt zum Wohnhaus für den Glaskünstler und seine Familie.

Die große bestehende Grünanlage mit altem Baumbestand, die der Hinterhofbe­bauung vorgelagert ist, wurde durch die Landschaftsarchitekten Lindle Bukor überarbeitet. „Durch die Entfernung der Nebengebäude ist nun sogar etwas weniger Boden versiegelt als davor“, betont Architekt Alfred Berger.

350.000 Follower auf Instagram

Die architektonische Sprache blieb zurückhaltend. Schlichtes Beige an den Putzfassaden von Werkstatt und Schauraum, im gleichen Ton das Strangfalzblech der Dächer, das beim Wohngebäude dem ganzen Haus eine schützende Hülle gibt. Alles unprätentiös. Aber handwerklich sorgfältig ausgeführt.

Gut, dass sich die Architekten nicht zu ­Larifari hinreißen ließen. Immerhin folgen 350.000 Menschen in aller Welt dem Instagram-Kanal des Studio Comploj. Da hätte man mit formalen Extravaganzen schon einige Aufmerksamkeit erlangen können. Aber das hätte weder in diesen Hof noch zur Person des Robert Comploj gepasst.

Der gelernte Tischler fand noch während seiner Ausbildung Gefallen am Glashandwerk. Von der Glasfachschule Kramsach führten ihn Lehr- und Wanderjahre durch die USA und Europa. Seit zehn Jahren führt er seinen eigenen Betrieb, zunächst in Traun in Oberösterreich, dann ab 2017 im siebenten Bezirk in Wien. Von der Christbaumkugel bis hin zu großen Rauminstallationen produziert Comploj Schönes in allen Maßstäben, arbeitet mit Künstlerinnen wie Nives Widauer und Michaela Ghisetti zusammen, kooperiert mit Designerinnen und Architekturbüros ebenso wie mit Spitzenköchen. Wenn ihm dann noch Zeit bleibt, widmet er sich seinen eigenen Skulpturen.

Der Hochofen der Glashütte läuft bis auf kurze Unterbrechungen – zum Beispiel zu Weihnachten – das ganze Jahr über mit 1100 Grad Celsius. Damit er nicht unversehens erkaltet, ist es nützlich, dass die Familie gleich nebenan wohnt – ein Ideal, dass Comploj zunächst nur in einem Vierkanter auf dem Land für realisierbar hielt, bis eine Bekannte ihn auf den leerstehenden Bestand in Wien-Währing aufmerksam machte.

Für den Glasmacher wäre eine Ansiedlung in dieser keineswegs besonders noblen, aber doch urbanen Lage nie und nimmer aus eigener Kraft erschwinglich gewesen. Dietrich Mateschitz, für den Robert Comploj schon zuvor einige Arbeiten umgesetzt hatte, kaufte und entwickelte die Liegenschaft und bot ihm eine Pacht zu fairen Konditionen an. Der im Vorjahr verstorbene Multimilliardär machte sich mehrfach um Handwerk und Baukultur verdient, indem er Schlösser, Villen und andere historische Immobilien erwarb und fachgerecht renovieren ließ. In ­diesem Fall ermöglichte er einem kleinen Handwerksbetrieb den Verbleib in der Stadt und bewahrte den Hinterhof als das, was er seit jeher war: ein Ort der Produktion mitten in der Stadt, zugänglich für alle, die Interesse haben.

Damit trifft dieses Projekt zwei wichtige Anliegen der heutigen Zeit. Zum einen ist das der Erhalt von Orten der Produktion im urbanen Milieu, wie es in Wien – formuliert im Fachkonzept „Produktive Stadt“ – strategisches Ziel der Stadtplanung ist. Zum andern der Erhalt von Bestand und die Vermeidung von Abriss und Neubau, wie es uns diverse Klimaziele und die Vernunft schon seit Längerem gebieten. Dass es eine ökosoziale Bauwende braucht, darin sind sich nicht nur die Planer, sondern auch große Teile der Bauwirtschaft einig. Bloß die Politik ist zögerlich und lässt es an der Bereitstellung der gesetzlichen und steuerlichen Rahmenbedingungen fehlen, die das Bewahren und Weiterbauen des Bestandes fördern. Derzeit ist das normale Prozedere noch der Abriss und der ­Neubau.

Aufwertung von Lehre und Handwerk

Anknüpfend an Forderungen von Initiativen wie countdown2030 in der Schweiz oder das Abrissmoratorium Deutschland formierte sich daher heuer die von zahlreichen Architekturinstitutionen, Umwelt- und Wissenschaftsinitiativen unterstützte „Allianz für Substanz“. Von Bundesministerin Leonore Gewessler fordert sie per Petition einen Paradigmenwechsel im Bauwesen, der vom Erhalt bestehender Substanz ausgeht. Ein verbindlicher Substanzschutz, Herstellung von Kostenwahrheit durch zweckgebundene Besteuerung von Treibhausgasemissionen, finanzielle Anreize für die Verlängerung der Lebensdauer von Gebäuden, die Abschaffung von Regelungen, die den Abriss begünstigen, sowie von Förderungen für Ersatzneubauten sind wesentliche Hebel, mit denen ein neuer Kurs eingeleitet werden kann. Ein zentraler Punkt ist der Ruf nach mehr Transparenz bei öffentlichen und geförderten Planungsvorhaben.

Eine solch neue Kultur des Bauens würde auch die Lehrberufe und das Handwerk aufwerten und wirtschaftlich stärken. Dann wäre für junge Handwerkerinnen eine Produktionsstätte in der Stadt – dort, wo die meiste Arbeit wartet – auch ohne Umweg über Investoren wieder leistbar. Wäre eigentlich ganz normal.

Spectrum, Fr., 2023.12.29

03. Mai 2023Franziska Leeb
Spectrum

Ein würdevolleres Leben für pakistanische Frauen

Bauen für die Zukunft: So lautet der Auftrag von Yasmeen Lari, der ersten Architektin Pakistans. Galt es zunächst eine architektonische Sprache für den Aufbau des jungen Staates zu finden, unterstützt sie heute mit ihrer Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung die Ärmsten der Armen.

Bauen für die Zukunft: So lautet der Auftrag von Yasmeen Lari, der ersten Architektin Pakistans. Galt es zunächst eine architektonische Sprache für den Aufbau des jungen Staates zu finden, unterstützt sie heute mit ihrer Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung die Ärmsten der Armen.

Es ist nicht bloß die – längst fällige – Würdigung der Arbeit einer großen Architektin. Die Ausstellung, die das Architekturzentrum Wien derzeit der pakistanischen Architektin Yasmeen Lari widmet, ist auch Weckruf, über eine Architektur nachzudenken, die jenseits oberflächlicher Greenwashing-Methoden für Menschen und Natur Sorge trägt. Das 225 Millionen Einwohnerinnen zählende Pakistan ist das fünftbevölkerungsreichste Land der Welt und eines der am stärksten vom Klimawandel betroffenen, trägt aber selbst kaum dazu bei: Die CO2-Emission pro Person ist in Österreich siebenmal so hoch. Jede vierte Person lebt in Armut, fast die Hälfte der Kinder ist unterernährt, Frauen – sofern sie nicht der urbanen Oberschicht angehören – sind massiv von Diskriminierung betroffen.

Die in privilegierten Verhältnissen aufgewachsene Yasmeen Lari erhielt ihre Architekturausbildung in Oxford. 1964 kehrte die heute 82-Jährige nach Pakistan zurück, in ein Land, das sie kaum kannte. 1947 mit dem Ende der britischen Kolonialherrschaft von Indien abgetrennt, befand sich der junge Staat im Aufbau und im Prozess der Nationenbildung. Auf der Suche nach Antworten, wie eine neue Architektur mit der pakistanischen Identität umgehen kann, bereiste die junge Architektin mit ihrem Mann, mit dem sie später die „Heritage Foundation Pakistan“ gründete, das Land.

Sie lernte das kulturelle Erbe kennen, kam erstmals mit der herrschenden Armut in Kontakt und wurde sich bewusst, wie sehr die über hundertjährige Kolonialherrschaft ihre eigene Sicht beeinflusst hatte – Erfahrungen, die ihre Arbeit durchgängig prägen. Sie nennt diese Zeit auch „meine Verlernphase“, denn während des Studiums „war Le Corbusier unser Gott“. Ihre ersten Bauaufgaben waren modernistische private Wohnhäuser, in den 1980er- und 1990er-Jahren machten sie prestigereiche Großbauten zur „Star-Architektin“.

Keine Zeit für Ruhestand

Zuvor hatte sie schon Widerständiges geleistet. Im Rahmen eines von der Regierung von Zulfikar Ali Bhutto ausgerufenen Wohnbauprogramms, im Zuge dessen 6000 Wohnungen errichtet werden sollten, erhielt sie 1973 den Auftrag für die 787 Wohnungen umfassende Siedlung Angoori Bagh in Lahore. Modernistische Plattenbausiedlungen galten zu der Zeit international als Standard. Lari hingegen orientierte sich an lokalen Bautraditionen, den klimatischen Verhältnissen und insbesondere den Bedürfnissen der Frauen.

So erweitern Höfe und Terrassen den Aktionsradius über die kleinen Wohnungen hinaus, ohne sich dem öffentlichen Blick auszusetzen, bieten Raum für spielende Kinder und Platz, um Hühner und Gemüse zu züchten. Frauen zu einem würdevolleren Leben zu verhelfen, das ist bis heute ihre Mission. Ihren im Jahr 2000 gefassten Plan, sich aus dem Berufsleben zurückzuziehen und sich der Dokumentation und Bewahrung des kulturellen Erbes zu widmen, durchkreuzte fünf Jahre später das große Erdbeben in der Kaschmir-Region: „Es hat mein Leben verändert.“ Die Flutkatastrophen von 2010 und 2022, die Millionen von Menschen obdachlos machten, forderten sie erneut. In der Erkenntnis, dass die von den internationalen Hilfsorganisationen eingesetzten industrialisierten Bauweisen aus Beton und Stahl an den Bedürfnissen der Menschen vorbeigehen, nutzte sie, die in Pakistan als lebende Legende gilt, ihr Wissen und ihren Einfluss und begründete eine Zero-Carbon-Selbstbau-Bewegung.

Seit einigen Jahren verbreitet sie über die sozialen Medien ihre Kurzvideos zu klimaneutralen Selbstbauweisen, die leicht verständliche Schritt-für-Schritt-Anleitungen für den Selbstbau von erdbeben- und flutresistenten Unterkünften liefern. „Soziale Barfuß-Architektur“ nennt sie das. Die traditionellen Häuser bestehen aus Lehm, Holz und Kuhdung, sie haben keine Fundamente und sind dementsprechend wenig gerüstet, um Erdbeben und Überflutungen standzuhalten. Yasmeen Lari nutzte ihre Erfahrungen aus der Denkmalpflege und entwickelte das System „Lari Octa Green (LOG)“. Dabei handelt es sich um achteckige Bauten, in deren wasserbeständiges Fundament aus Kalkziegeln vorgefertigte Bambusrahmen als leichte, robuste Tragkonstruktion eingespannt sind. Indem der Lehm für die Wände mit Kalk gemischt wird, löst er sich in Wasser nicht auf. Auf diese Weise entstehen auch Gemeinschaftshäuser – wie etwa das auf Stelzen stehende „Green Women's Centre“.

Eine Gesellschaft ohne Müll

Dieses ist ein Treffpunkt und Lernort für Frauen, in dessen Obergeschoß im Fall einer Flut auch Hausrat und Kleintiere in Sicherheit gebracht werden können. Im Repertoire sind zudem hygienische Sanitärräume, damit die Frauen nicht mehr darauf angewiesen sind, bei Dunkelheit die Büsche aufzusuchen. Der Würde und der Gesundheit zuträglich ist auch die von ihr entwickelte rauchfreie Selbstbau-Außenküche.

Um die Arbeit mit internationalem Know-how weiterzuentwickeln, pflegt Lari die Kooperation mit internationalen Architektur-Hochschulen. Als erste vor Ort waren Studierende der TU Wien unter der Leitung von Andrea Rieger-Jandl, Professorin am Institut für Kunstgeschichte, Bauforschung und Denkmalpflege, und Christine Lechner, beide im Vorstand des „Netzwerk Lehm“ für Forschung und Weiterbildung in Sachen Lehmbau engagiert. Mit Kolleginnen der University of Lahore betrieben sie Feldforschung im Pono Village in der Provinz Sindh.

Nicht nur die österreichischen Studierenden, auch jene aus Pakistan kamen dort erstmals in Berührung mit einer Gesellschaft, die keinen Müll produziert. Sie erstellten einen Bericht, der die Erkenntnisse aus der Analyse der lokalen Lehmarchitektur zusammenfasst und anderen Forschungsteams, zum Beispiel vom Polytechnikum Mailand oder der Cambridge University, zur Verfügung gestellt wird, um sukzessive Yasmeen Laris Ansatz weiterzuentwickeln. So wird der Bambus von relativ weit hertransportiert – ein Kritikpunkt, den Lari sofort aufnahm und Bambuspflanzen setzen ließ, um zu untersuchen, ob sie unter den örtlichen Bedingungen gedeihen. Weiters wurden Wandsysteme entwickelt, um bei der Ausfachung der LOG-Bambusstruktur ohne Kalk auszukommen. Eine Flut würde dann zwar den Lehm wegspülen, die Wände könnten aber innerhalb kürzester Zeit von den Familien mit kostenlos vor Ort vorhandenem Lehm repariert werden.

Was wir aus der inhaltlich dichten Ausstellung lernen: Architektur muss Vergangenheit und Gegenwart, Politisches, Soziales, Ökonomie und Ökologie in Zusammenhang bringen, um gerecht, sozial und klimafreundlich zu sein.

Yasmeen Lari erhält im Juni die Royal Gold Medal for Architecture vom Royal Institute of British Architects (RIBA).

Spectrum, Mi., 2023.05.03

25. Februar 2023Franziska Leeb
Spectrum

Frauen auf der Baustelle

In Österreich waren Frauen erst ab 1919 zum Architekturstudium zugelassen. Bis heute ist der Beruf des Architekten eine Männerdomäne. Seit zehn Jahren jedoch verzeichnet die TU Wien mehr Studienabschlüsse von Frauen als von Männern, Tendenz zugunsten der Frauen steigend.

In Österreich waren Frauen erst ab 1919 zum Architekturstudium zugelassen. Bis heute ist der Beruf des Architekten eine Männerdomäne. Seit zehn Jahren jedoch verzeichnet die TU Wien mehr Studienabschlüsse von Frauen als von Männern, Tendenz zugunsten der Frauen steigend.

Unter all den auch von Frauen ausgeübten Berufen ist der des Architekten am längsten eine Domäne des Mannes geblieben, weil zu dessen Ausübung nicht allein originelle, sondern gleichzeitig und in sehr weitgehendem Maße auch aggressive Talente, bis zu diktatorischer Strenge gegenüber maskuliner Brutalität, zu bewähren sind“, schrieb der Publizist und Architekt Hans Adolf Vetter in einer der „schaffenden Frau“ gewidmeten Ausgabe der Monatsschrift „Profil“ der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs (ZV) im Jahr 1933. Zu diesem Zeitpunkt waren gerade einmal vier Frauen Mitglied der ZV, die 1907 mit dem Zweck gegründet worden war, die Standesinteressen der freischaffenden Architekten zu vertreten und die künstlerische Qualität in der Architektur zu sichern.

Bedenkt man, dass Frauen in Österreich erst ab 1919 zum Architekturstudium zugelassen waren, verwundert es nicht, dass der Beruf in den 1930er-Jahren eine Männerdomäne war. Er ist es bis heute. Seit zehn Jahren jedoch verzeichnet die TU Wien mehr Studienabschlüsse von Frauen als von Männern, Tendenz zugunsten der Frauen steigend, 61 Prozent waren es 2021. In der Berufspraxis bildet sich dieser Frauenüberhang noch nicht ab. Der Frauenanteil der im Fachgebiet Architektur registrierten Mitglieder der Ziviltechnikerkammer beträgt ein Fünftel. Bedenkt man die notwendigen Praxisjahre, ehe sich Absolventinnen Architektin nennen dürfen, wird es noch dauern, bis sich die Quote der im Studium annähert.

Die österreichische Architekturgeschichtsschreibung erweckt den Eindruck, als hätten Frauen jahrzehntelang nur in Ausnahmefällen Relevantes beigetragen. Erst seit sich eine zunehmende Zahl an Forscherinnen systematisch auf die Spuren der Frauen in der Architektur macht, kommt mehr über die ersten Architektinnen und ihr Werk ans Licht. Sichtbar gemacht werden die „Architekturpionierinnen“ zum Beispiel auf einer gleichnamigen Website und in einer neuen Publikation, zu der die Mitgliederakten im Archiv der ZV wertvolle Anhaltspunkte lieferten. Die Kunst- und Architekturhistorikerin Ingrid Holzschuh befasst sich seit einigen Jahren mit dessen Aufarbeitung. Gemeinsam mit der Kunstgeschichteprofessorin Sabine Plakolm-Forsthuber von der TU Wien legte sie nun den vom Grafikbüro seite zwei vorzüglich gestalteten Band „Pionierinnen der Wiener Architektur“ vor.

Elitärer Männerklub

In der kollektiven Wahrnehmung war die ZV stets ein elitärer Männerklub. Geführt von Präsidenten wie dem Gründer Ludwig Baumann, später Siegfried Theiß, Clemens Holzmeister, Erich Boltenstern, Eugen Wörle oder Hans Hollein. Es dauerte bis in die 1980er-Jahre, ehe mit Maria Auböck, Margarethe Cufer und Bettina Götz die ersten Frauen in den Vorstand des Landesverbandes für Wien, Niederösterreich und das Burgenland einzogen. Als 2007 mit Marta Schreieck die erste Frau Präsidentin wurde, änderte sich der Name des Vereins auf Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs; aktuell steht mit Maria Auböck die zweite Frau an der Spitze. Diese Konstellationen beförderten zweifellos das Interesse an der Aufarbeitung des Archivs, insbesondere im Hinblick auf die Frauen in der ZV. Für den Zeitraum von 1925 bis 1960 konnten bis dato 58 weibliche Mitglieder festgestellt werden. Selbst dem Fachpublikum sind nur wenige der Namen geläufig. Dabei waren die Aufnahmekriterien streng.

Bis 1938 war der Abschluss des Architekturstudiums an einer der Meisterschulen der technischen Hochschulen, der Akademie der bildenden Künstler oder einer gleichgestellten Hochschule im Ausland Voraussetzung, und es galt eine mindestens fünfjährige erfolgreiche Tätigkeit im Atelier eines anerkannten Architekten nachzuweisen. Die erste Frau in der ZV war Ella Briggs, nach ihr Leonie Pilewski, beide 1925 aufgenommen, was nur durch den Umweg über ein Studium in Deutschland möglich war. Mit ihrer beider und neun weiteren Biografien stellt das Buch exemplarisch Lebenswege und Karrieren im Kontext der gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen vor.

Für viele der ersten Architektinnen fiel der Berufseinstieg in die Zeit des Nationalsozialismus. Manche traten der NSDAP bei, aus Überzeugung oder des beruflichen Fortkommens wegen, andere mussten emigrieren. Als viele männliche Kollegen zum Kriegsdienst eingezogen waren, war an Hochschulen und in der Praxis die Kompetenz von Frauen gefragt – bis nach dem Krieg Frauen häufig wieder zugunsten der zurückkehrenden Männer aus dem Berufsfeld gedrängt wurden.

Wohnhaus für Alleinstehende

Eine, die es schaffte, ein respektables Werk zu hinterlassen, ist Edith Lassmann (1920–2007). In der Nachkriegszeit war sie ehrenamtlich für den Bund Österreichischer Frauenvereine als Beraterin für die Adaptierung zerstörter Wohnungen tätig. Für die 1949 gegründete Gemeinnützige Baugenossenschaft berufstätiger Frauen entwickelte sie das Konzept eines Wohnhauses für alleinstehende berufstätige Frauen, das 1954 in der Hadikgasse 112 als eleganter Bau mit feingliedrigen Balkonen und ausgestattet mit Annehmlichkeiten wie Zentralheizung, Müllschlucker und Dachterrasse umgesetzt wurde. Sie plante das erste Pensionistenheim der Stadt Wien, den Sonnenhof in Stadlau und beim Wettbewerb zur „Stadt des Kindes“ belegte sie den zweiten Platz hinter Anton Schweighofer.

Ihre spektakulärste Bauaufgabe war eine Reihe an Planungen im Zuge der Errichtung des Kraftwerks Kaprun. Den Auftrag erhielt sie in Folge ihrer Teilnahme beim geladenen „Ideenwettbewerb für die Ausbildung der Limbergsperrenkrone“, wo sie nur Dritte wurde – womöglich, weil der Beitrag erst als der einer Frau identifiziert werden konnte, als es zu spät war. In der zeitgenössischen Berichterstattung fand das Mitwirken einer Frau an einer stark mit männlichen Mythen konnotierten Großbaustelle keinen Widerhall. Erst die jüngere Zeitgeschichtsforschung (durch Frauen) würdigte ihre Leistung.

Dutzende Biografien von Architektinnen gilt es noch aufzuarbeiten. Jahrzehntelang fokussierte die vornehmlich von männlichen Autoren erzählte Architekturgeschichte auf männliche Protagonisten. Es ist also an der Zeit, dass die weiblichen Akteurinnen nicht nur in den – sehr wertvollen – „Frauenpublikationen“ anerkannt werden, sondern Eingang in Lexika und Übersichtswerke finden.

„Pionierinnen der Wiener Architektur – Das Archiv der Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs (ZV)“, hrsg. von: Ingrid Holzschuh, Sabine Plakolm-Forsthuber (Birkhäuser).

Spectrum, Sa., 2023.02.25

06. Januar 2023Franziska Leeb
Spectrum

Lascher Umgang mit historischer Substanz: Pionierbau in Wien-Neubau

Ein Fabriksgebäude zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse repräsentiert die technologisch innovative Zeit der Jahrhundertwende in Wien. 117 Jahre hat es gut überstanden. Was kommt jetzt?

Ein Fabriksgebäude zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse repräsentiert die technologisch innovative Zeit der Jahrhundertwende in Wien. 117 Jahre hat es gut überstanden. Was kommt jetzt?

Es ist vielleicht eines der authentischsten Gebäude im siebten Wiener Gemeindebezirk: Das auf einer Parzelle zwischen Kaiserstraße und Wimbergergasse errichtete Fabriks- und Werkstättengebäude der Brüder Demuth markiert einen Wendepunkt im Bauen. Ab den 1860er-Jahren ist das von Anton Demuth begründete Unternehmen, das unter anderem Maschinen für die Textilindustrie erzeugte, am Standort nachweisbar. Seine Söhne Carl und Edmund errichteten den Fabriksneubau im Hof, mit dem die Schlosserei und Metallstreckerei die Wandlung zum „fabriksmäßigen Betrieb des Maschinenbaugewerbes“ vollzog. Im Juni 1905 wurden die Pläne eingereicht, im Oktober die Baubewilligung erteilt. Schon im Frühjahr 1906 war der Bau fertig, der sich nun im Zuge von Forschungen eines Teams um Otto Kapfinger als Pionierbau der Eisenbetonarchitektur erweist. Die erst später errichteten straßenseitigen Wohnhäuser erscheinen im Vergleich dazu konservativ und bieder.

Errichtet wurde der viergeschoßige Fabriks-Trakt von der Baufirma Ed. Ast & Co., die zusammen mit Firmen wie G. A. Wayss, Pittel + Brausewetter oder Rella eine wesentliche Rolle bei der Weiterentwicklung der neuen Eisenbetontechnik spielte und im Tiefbau wie im Hochbau die konstruktive Grundlage des modernen Wiens schuf. Der armierte Beton ermöglichte gegenüber dem Ziegelbau schlanker dimensionierte Konstruktionen von hoher Tragfähigkeit mit größeren Spannweiten und offeneren Grundrissen. Eduard Ast erwarb 1989/99 die Lizenz des damals führenden Betonbausystems des französischen Ingenieurs François Hennebique exklusiv für den Raum der k.u.k. Monarchie und entwickelte es zum eigenen System Ast weiter, kongenial unterstützt von seinem Schwager, Firmenmitinhaber und Chefingenieur Hugo Gröger.

Feingliedrige Konstruktion

Die viergeschoßige Fabrik im Hof zwischen Kaiserstraße 67–69 und Wimbergergasse 12 besticht mit einer äußerst feingliedrigen Konstruktion im System Ast, das sich gegenüber dem Hennebique-System dadurch auszeichnet, dass die Stützen an den Auflagerpunkten der Balken nicht dreiecksförmig verbreitert sind, sondern orthogonal anschließen. Von Etage zu Etage werden die Betonpfeiler, die den etwa 20 mal 20 Meter messenden Grundriss in zwölf Felder teilen, schlanker. Im Erdgeschoß, wo sie die höchste Last zu tragen haben sind sie noch mit 40 mal 40 Zentimetern dimensioniert, ganz oben nur noch halb so stark. Ebenso nimmt die Deckenstärke ab. Neun Zentimeter dünn ist die Deckenplatte unten, oben nur noch sieben. Die wahre Innovation aber liegt darin, dass hier erstmals in Wien beide Fassaden als unverkleidete, nach dem Ausschalen noch steinmetzmäßig nachbearbeitete Betonstruktur gegossen wurde.

Die großen Fensterflächen mit kleinteiliger Eisen-Glas-Rasterung verfügen abgesehen vom Erdgeschoß noch über die originalen zarten Profile, im ersten und dritten Stock wurde die alte Einfachverglasung einfühlsam durch eine zweite innere Schicht ergänzt. Dieser Prototyp der Eisenbetonarchitektur vereint bauliche Ökonomie, räumliche Flexibilität und gestalterische Eleganz. Dass er in dieser Form erhalten blieb, ist wohl auch der durchgehenden Nutzung als Betriebs- und Arbeitsstätte zu verdanken. In den 1980er-Jahren adaptierten Künstler die großzügigen hellen Räume als Atelier, verschiedene Firmen waren und sind eingemietet, seit ein paar Jahren auch eine Bürogemeinschaft von Architekten.

 Vernichtung von Kulturgut

Das Idyll trügt. Ein Immobilienunternehmen, das 2014 die Liegenschaft erwarb, bekam unter Zuhilfenahme des berühmt-berüchtigten Paragrafen 69 der Wiener Bauordnung, der Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes regelt und elastisch interpretiert wird, einen aus drei Wohnungen bestehenden zweigeschoßigen Aufbau samt Klimaaußengeräten bewilligt.

Die für das Stadtbild zuständige MA 19 gab ihren Sanctus, weil sie die Wirkung des nach der Devise „form follows paragraph“ gestalteten Aufbaus auf das örtliche Stadtbild aufgrund der Hoflage für nicht relevant hielt. Der Bauausschuss des Bezirks lehnte das Vorhaben zunächst ab, gab im Jänner 2020 aber trotz Überschreitung der höchstzulässigen Gebäudehöhe und anderer Abweichungen grünes Licht. Die Vorteile würden die Nachteile überwiegen und der Umbau eine zweckmäßigere oder zeitgemäße Nutzung des Bauwerkes bewirken.

Die Investoren verfolgen mithilfe willfähriger Architekten nur ihren Geschäftszweck. Den Vorwurf, mit der historischen Substanz und dem städtischen Gefüge zu lasch umzugehen, muss man Politik und Behörden machen. Die Vernichtung von Kulturgut ist das eine. Das andere ist, dass man keinen Zusammenhang zwischen der nicht enden wollenden Verdichtung und Ausbeutung der ohnedies schon dichtest bebauten Stadtteile und deren Überhitzung erkennen will. Die überhitzten Preise bewirken, dass jene, die zum viel gerühmten Flair des Bezirks beigetragen haben, sich das Wohnen und Arbeiten dort nicht mehr leisten können oder wollen. So viele kühlende Sprühnebeldüsen kann man zu ebener Erde gar nicht installieren, dass sie die Wärme wettmachen, die auf den Dächern von den Klimageräten zur Kühlung der Geldanlagen hinausgeblasen wird.

Spectrum, Fr., 2023.01.06

10. November 2022Franziska Leeb
Spectrum

Was ein Hinterhof alles kann

Zu ebener Erde neu bauen und dennoch den Boden entsiegeln: Ein Wohnhaus anstelle eines Lagers in der Wiener Neubaugasse bringt beides auf besonders ausgeklügelte Weise in Einklang.

Zu ebener Erde neu bauen und dennoch den Boden entsiegeln: Ein Wohnhaus anstelle eines Lagers in der Wiener Neubaugasse bringt beides auf besonders ausgeklügelte Weise in Einklang.

„Die schönste Straße mit nahezu 16.000 Einwohnern ist die Neubauer Hauptstraße“, heißt es über den siebten Wiener Bezirk in einer Geschichte der Wiener Vorstädte aus dem 19. Jahrhundert. Bis heute ist die Neubaugasse so etwas wie die Hauptstraße des Bezirks: In den vergangenen Jahren verkehrsberuhigt und begrünt, behaupten sich hier immer noch nächst der längst von den internationalen Marken in Beschlag genommenen Mariahilfer Straße viele kleine, eigentümergeführte Läden. Die Straße liegt in einer Schutzzone, die historischen Strukturen sind daher noch gut ablesbar. Unter Denkmalschutz stehen sehr wenige Häuser in der Gasse. Er schützt aber ohnedies nicht vor der Abrissbirne – wie sich diesen Sommer beim Abbruch des Biedermeierhauses im Ensemble des Klosters zum göttlichen Heiland in der Kaiserstraße zeigte. Dort erlaubte es die Gesetzeslage, Schutzzone und Denkmalschutz auszuhebeln: Abbruchbewilligung nur „wenn an der Erhaltung des Bauwerkes infolge seiner Wirkung auf das örtliche Stadtbild kein öffentliches Interesse besteht oder sein Bauzustand derart schlecht ist, dass die Instandsetzung technisch unmöglich ist oder nur durch wirtschaftlich unzumutbare Aufwendungen bewirkt werden kann“, steht in der Wiener Bauordnung. Unzumutbar scheint manchen bald etwas zu sein, umso wichtiger wäre es, den Paragrafen schleunigst nachzubessern.

Ein Inserat, das einen Hausteil mit Gartenwohnung in der Neubaugasse zum Verkauf feilbot, lockte neben Investoren auch eine junge Wiener Familie an. Weil die Eigentümerin mehr an einer guten Nachbarschaft als an renditeorientierten Spekulanten interessiert war, bekam die Familie den Zuschlag. Um auszuloten, was im Hoftrakt an Veränderungen möglich ist, wurde als Erstes der Rat der zuständigen Magistratsabteilung 19 und des Bundesdenkmalamtes eingeholt. Das Haus mit einem Kern aus dem 17. Jahrhundert und einer Fassade aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ist nicht denkmalgeschützt, wohlgemerkt.

Mikroklima verbessern

Der zur Disposition stehende eingeschoßige Lagertrakt stellte sich als Ergänzung aus der Zwischenkriegszeit heraus, das einfache Ziegelmauerwerk als untauglich, um weitere Belastungen aufzunehmen. Ein Neubau war also möglich. Das beauftragte Architektenduo Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami (PSLA Architekten) legte seinen Entwurf mit Bedacht auf die bestehende Stadtstruktur an und mit dem Ziel, Flächen zu entsiegeln, um das Mikroklima zu verbessern.

4,6 Meter schmal und 24 Meter lang, nimmt der Neubau die Gebäudeflucht des bestehenden Hoftraktes und des abgetragenen Lagers auf und fiel zwar etwas kürzer, dafür höher aus als der Bestand. Die Architekten unterteilten den Grundriss in einen Raster von 20 quadratischen Feldern, aus denen sie die dreidimensionale Struktur mit Vor- und Rücksprüngen, unterschiedlich hohen Räumen im Inneren und Terrassen auf allen Niveaus erzeugten. Das ist mehr als eine nette Spielerei, weil so in einer beengten Situation ein Maximum an Licht, Luft, Aus- und Durchblicken sowie Freiraum gewonnen wurde. Innen hat das dreigeschoßige Haus 16 verschiedene Raumlichten, außen zwölf Gebäudehöhen. Der Raster bildet sich auch an der Fassade ab: am Rhythmus der Fenster, die an der Front fixverglast und außen bündig eingesetzt wurden, damit innen mehr Raum bleibt – bei dieser geringen Trakttiefe zählt jeder Zentimeter. Öffenbare Fenster in den Seiten der Einschnitte ermöglichen das Querlüften. Dezent zeichnet sich das zugrunde liegende Quadratformat ebenso am abwechselnd horizontal und vertikal in Besenstrichtechnik strukturierten Putz ab, der in zartem Rosa die Farbe des Bestands aufnimmt. Im Hof blieben alle Bestandsbäume sowie die Kletterpflanzen zur Nachbarliegenschaft erhalten.

Terrassen unter freiem Himmel

Ergänzend kamen Staudenbeete dazu, die eine Distanz zu den ebenerdigen Räumen herstellen, und deren Umrandung aus den Ziegeln des Abbruchs geformt wurde. Die wasserundurchlässige Betonoberfläche wurde durch ein kleinteiliges Pflaster ersetzt, sodass das Regenwasser versickern kann; auf den Dachterrassen wurde die gesamte bebaute Fläche mit Gründächern kompensiert. An einigen Stellen wurde die Substratschicht so hoch ausgebildet, dass sogar Bäume und größere Sträucher gut überleben können. Eine Retentionsschicht speichert das Regenwasser, überschüssiges wird in Kaskaden bis in den versickerungsfähigen Hof abgeführt, sodass wertvolles Nass nur in Ausnahmefällen in den Kanal eingeleitet werden muss; das wird kühlend auf das Mikroklima des Hauses und des Innenhofs einwirken.

Eine „Mischform aus Garten und Haus“ nennen die Architekten ihre Schöpfung; zu ergänzen ist, dass die Abfolge der teils von Attika-Mauern flankierten Gartenterrassen sich wie eine Wohnung unter freiem Himmel anfühlt, deren Räume je nach Lust und Sonnenstand bewohnt werden können. Innen gliedern wenige Schiebetüren und viele Vorhänge die Wohnbereiche, was zahlreiche Szenarien an Offenheit und Intimität ermöglicht und die Vielfalt der Nutzungen erhöht.

Obwohl einzigartig, ist es kein überkandideltes Haus, sondern eines, das die Bedürfnisse der Familie auf entspannte Weise erfüllt. Die Tatsache, dass so etwas in der von Investoren getriebenen Entwicklung des siebten Bezirks möglich ist, entspannt ein wenig und lässt auf Nachahmer hoffen. Zugleich schwingt aber die Sorge mit, dass wie bei den ausgebauten Dachgeschoßen im Windschatten sinnvoller Einzelinitiativen die Investoren entdeckten, wie sich auf den Dächern viel Geld mit schlechter Architektur verdienen lässt. Mögen die Verantwortlichen in Stadt und Bezirk daraus gelernt haben, damit den Hinterhöfen nicht das gleiche Schicksal droht. Es zeichnet sich in der Nachbarschaft schon ab, dass nicht überall eine so sachverständige und sensibel agierende Bauherren- und Architektenschaft am Werk ist.

Spectrum, Do., 2022.11.10



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Stadthaus Neubaugasse

01. September 2022Franziska Leeb
Spectrum

Eine Oase und gar nicht teuer

Wild, organisch und magisch: So lauten die zentralen Qualitäten, die von den Begründern des Wohnprojekts Auenweide vor vier Jahren definiert wurden. Nun ist die Siedlung im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern bezogen. Ökologisch, sozial, leistbar: Es geht!

Wild, organisch und magisch: So lauten die zentralen Qualitäten, die von den Begründern des Wohnprojekts Auenweide vor vier Jahren definiert wurden. Nun ist die Siedlung im niederösterreichischen St. Andrä-Wördern bezogen. Ökologisch, sozial, leistbar: Es geht!

Möglichkeiten positiver Einflussnahme auf typische Wohn- und Siedlungsformen im ländlichen Raum“ lautete der Titel einer von den Architekten Herbert Prader und Franz Fehringer Ende der 1970er-Jahre initiierten und lang nach dem Tod Praders 1987 publizierten Forschungsarbeit. Sie kritisierten den „Landschaftsfraß“, die hohen Aufschließungs- und Erhaltungskosten und auch die Lebensqualität in den neuen Einfamilienhäusern. „Ist es wirklich erstrebenswert, ein Leben fernab der größeren Gemeinschaft zu leben? Ist es wirklich soo angenehm, immer auf das Auto angewiesen zu sein? Ist es wirklich das Geld oder gar eine lang belastende Verschuldung wert?“, fragten die Studienautoren. „Anstelle lebendiger Dorfgemeinschaften treten, wuchernd wie Krebsgeschwüre, unmenschliche Siedlungen, die die Kulturlandschaft unwiederbringlich ruinieren.“

Als Gegenmodell zum Üblichen stellten sie auch partizipativ entwickelte Wohnsiedlungen vor, darunter die Ökosiedlung Gärtnerhof in Gänserndorf von Architekt Helmut Deubner. Auf einem rund 6000 Quadratmeter großen Grundstück in St. Andrä-Wördern hatte Deubner rund drei Jahrzehnte nach seiner Pioniersiedlung mit einer soziokratisch organisierten Gruppe ein Wohnprojekt bis zur Umsetzungsfähigkeit fertiggeplant, das schließlich 2015 wegen einer verhängten Bausperre scheiterte. Als das Grundstück wieder zur Verfügung stand, fanden sich eine Baugemeinschaft, die ab 2018 mit Architekt Markus Zilker und seinem Team von einszueins Architektur ein neues Projekt in Angriff nahm, in dem seit heuer 45 Erwachsene und 30 Kinder leben.

„Ohne Gemeinschaft würde ich nicht in ein Dorf ziehen“, betont eine der Bewohnerinnen. Isoliert vom Rest der Dorfgesellschaft ist die Auenweide trotz der oasenhaften Anmutung nicht. In der Zuzugsgemeinde St. Andrä-Wördern gibt es eine Reihe von Initiativen, Vereinen und Unternehmen, die sich nachhaltiges, solidarisches Leben und Wirtschaften auf die Fahnen geheftet haben – da fiel es leicht, anzudocken.


Die 25 Wohneinheiten mit Größen von 35 bis 115 Quadratmetern sind in acht Mehrfamilienhäusern untergebracht, gruppiert um einen zentralen Platz. Der Platz im Zentrum mit seinen geschwungenen unversiegelten Wegen, der begrünten Mulde, in der das Regenwasser versichern kann und der mit Aushubmaterial geformte Spielhügel signalisieren auf den ersten Blick, wie hier hohe ökologische Standards mit alltagstauglicher und gleichermaßen ästhetischer Gestaltung verbunden wurden. Kein Zaun umgrenzt die Siedlung, allein die Position der Häuser schafft eine geborgene Mitte und definiert einen klaren Siedlungseingang. Der liegt dort, wo sich zwei auf runden Grundrissen komponierte Gemeinschaftsgebäude an das Wäldchen schmiegen, das im Osten etwa ein Sechstel des Grundstücks einnimmt. Hier gibt es unter anderem Platz für kleine Konzerte und andere Veranstaltungen sowie eine große Gemeinschaftsküche. Ein Terrassenplateau verbindet die Häuser und bildet Richtung Siedlungsmitte eine Art „Dorfloggia“, während sie an der Waldseite zum wildromantischen Wandelpfad und Rückzugsort unter Bäumen wird.

Die Wohnhäuser unterliegen einem hohen Grad an Standardisierung, was einerseits wirtschaftliche Gründe hat, andererseits auch der Harmonie des Erscheinungsbildes zuträglich ist. Es wurden stets Grundmodule mit gleichen Deckenspannweiten eingesetzt, die gedreht und gespiegelt zu einander ähnlichen Häusern mit (Maisonette-)wohnungen zusammengebaut wurden. Mit Satteldächern auf den dreigeschoßigen Häusern im Norden ist die Silhouette der Auenweide gut in das vorhandene Siedlungsgefüge integriert.

Unter drei straßenseitigen Häusern wurden die Stellplätze in einem nach außen kaum in Erscheinung tretenden Parkdeck versenkt. Trotz der Lage am Übergang zu den Feldern ist ein eigener Pkw nicht lebensnotwendig, der Bahnhof ist in wenigen Minuten zu Fuß erreichbar. Zwei Häuser sind mit Technikräumen unterkellert, die anderen berühren die Erde nur mittels Punktfundamenten. Eine Grundwasser-Wärmepumpe, ein Niedertemperatur-Nahwärmenetz und Fotovoltaik liefern umweltschonende Energie.

Das Hauptbaumaterial ist Holz, gedämmt wurde mit Stroh sowie Jute aus recycelten Kaffeesäcken. Außen schützt eine hinterlüftete Holzfassade, innen kamen statt Gipskartonwänden Lehmbauplatten und als Oberfläche ein Lehmputz zum Einsatz. Möglichst naturnahe, gesunde und in der Entsorgung unproblematische Baustoffe, lautete die Devise. Während es im privaten Einfamilienhausbau wie auch im mehrgeschoßigen Wohnbau diesbezüglich meist heißt, „aus Kostengründen nicht möglich“, mussten hier keine Abstriche gemacht werden. Das hat u. a. damit zu tun, dass nach vorheriger Anleitung durch Fachleute einfachere Arbeiten wie das Anbringen des Lehmputzes oder die Verlegung der Terrassenbeläge die Gruppe im Selbstbau erledigte.

Zur Leistbarkeit trug auch die Finanzierungsform bei. Zur Hälfte wurde über das relativ neue Modell Vermögenspool finanziert. Das funktioniert so, dass kleinere und größere Anleger:innen, die nicht zwangsläufig in der Siedlung wohnen, ihr Geld in ein sinnvolles Projekt mit realem Gegenwert investieren, statt es dem Finanzmarkt zu überantworten. Die Einlagen werden treuhänderisch verwaltet, sind in Höhe der Inflation wertgesichert und können bei Bedarf entnommen werden. So war es möglich, dass für den einmaligen Finanzierungsbeitrag von 1100 Euro pro Quadratmeter nicht zwangsläufig die Bewohner selbst aufkommen mussten, womit auch weniger finanzkräftige Menschen in der Siedlung wohnen können. Eigentümer der Siedlung ist der Verein Wohnprojekt Wördern, die Bewohner:innen sind Vereinsmitglieder und mieten ihre Wohnungen um neun Euro pro Quadratmeter inklusive Betriebskosten und Heizung, womit man durchaus mit dem Segment des geförderten Wohnbaus konkurrenzfähig ist.

Wenn Architekt und Bewohnerinnen von den Mühen der Projektentwicklung berichten, dann unterscheiden sich die Problemstellungen insofern von jenen der Häuslbauer oder Bauträger, dass sie lustvoller und kreativer bewältigt wurden. Neben den Architekten hatten auch einzelne Vereinsmitglieder Erfahrung mit selbstorganisierten Wohnprojekten, womit in Eigenregie hochprofessionell agiert werden konnte. Zwei halbtags angestellte Vereinsmitglieder kümmerten sich um die Projektkoordination. Gemeinsam und achtsam mit der Natur besser leben: Die Auenweide zeigt, dass und wie es geht.


Eine Bauvisite der Reihe „Orte vor Ort“ gibt am 16. September ab 16.30 Uhr Gelegenheit zum Lokalaugenschein. Infos und Anmeldung: www.orte-noe.at

Spectrum, Do., 2022.09.01



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Auenweide

27. Juni 2022Franziska Leeb
Spectrum

Was ist schon ein Schloss ohne Park?

Wo bleibt der Innovationsgeist? Anstatt benötigte Arbeitsplätze im Bestand von Schloss Droß unterzubringen, sollen im Park ein Neubau und Autoabstellplätze errichtet werden. Auftraggeber: die Bundesforste – in deren Leitbild das Bewahren von Natur- und Kulturgütern festgelegt ist.

Wo bleibt der Innovationsgeist? Anstatt benötigte Arbeitsplätze im Bestand von Schloss Droß unterzubringen, sollen im Park ein Neubau und Autoabstellplätze errichtet werden. Auftraggeber: die Bundesforste – in deren Leitbild das Bewahren von Natur- und Kulturgütern festgelegt ist.

Nicht mit Holz, sondern mit Immobilien machen die Bundesforste die meisten Gewinne, ist im jüngsten Nachhaltigkeitsbericht zu erfahren. Gleich neben der Jubelmeldung über Rekordergebnisse aus Grundstücksverkäufen, Baurechtsvergaben und die Nachfrage nach Parkflächen – womit der Bedarf an Parkplätzen für Naturerlebnishungrige gemeint ist – fällt eine andere Notiz auf: Keine andere Region sei von den Folgen des Klimawandels so betroffen wie das Waldviertel. Trockenheit und steigende Temperaturen begünstigen, dass der Borkenkäfer den Namensgeber der Region zum Absterben bringt.

Dass das eine mit dem anderen in Zusammenhang steht, scheint angesichts eines Bauvorhabens in Droß ausgerechnet in jenem Unternehmen, das sich in seinem Leitbild als Bewahrer der ihm „anvertrauten Immobilien, Flächen, Natur- und Kulturgüter“ darstellt, noch nicht angekommen zu sein. Es ist kein Novum, dass die Versiegelung von Flächen und die von der Baubranche verursachten Treibhausgase maßgebliche Treiber der Klimakatastrophe sind.

Nach dem Zweiten Weltkrieg gelangte die Schlossanlage von Droß, wenige Kilometer nördlich von Krems, in den Besitz der Bundesforste. Mit Zustimmung des Bundesdenkmalamtes wurde 1975 das Schloss um 1,2 Millionen Schilling an private Käufer veräußert, die in Aussicht stellten, daraus ein Ambulatorium zu machen. Die Bundesforste behielten die Wirtschaftsgebäude und die zeitgleich mit dem barocken Ausbau des Schlosses angelegten Gartenanlagen. Historische Bilder und Pläne zeugen von einer in drei Terrassen angelegten, nach allen Regeln der barocken Gartenkunst gestalteten Anlage. Gemeinsam mit der sorgfältig restaurierten mittelalterlichen, als Aufbahrungshalle genutzten Schlosskapelle ein Ort von dichtester denkmalpflegerischer Bedeutung.

Um 3,5 Millionen Euro zu erwerben

Eine „sorgliche und vor Verwahrlosung schützende Hand“ war schon 1885 in der Topografie von Niederösterreich als Wunsch für Gebäude und Garten formuliert. Für Letzteren gibt es seit einem oberstgerichtlichen Beschluss von 1967, nach dem die gestaltete Natur vom Denkmalschutz ausgenommen wurde, wenig Handhabe, wie Gerd Pichler vom Bundesdenkmalamt erklärt. Immerhin wurden in jüngerer Vergangenheit der Meierhof sowie die baulichen Strukturen des Parks, also Schlossmauer, Wegesystem, zwei Brunnenbecken und Terrassierung, unter Schutz gestellt.

Zu spät für die unterste Terrasse, die ab den 2010er-Jahren mit Einfamilienhäusern bebaut wurde: innerhalb der aus diesem Grund durchbrochenen Schlossmauer auf Baurechtsgründen, außerhalb auf verkauften Parzellen. Das Schloss erhielt nie die beabsichtigte Nutzung. Schwer sanierungsbedürftig steht es aktuell um 3,5 Millionen Euro zum Verkauf. Zugleich lancieren die Bundesforste im Schlosspark einen Büroneubau, der den bisherigen Standort des Forstbetriebs Waldviertel-Voralpen in Gneixendorf ersetzen soll. Das dortige Gebäude sei in die Jahre gekommen und entspreche nicht mehr den Anforderungen, eine Sanierung sei „kostenseitig nicht zielführend“. Fünf Architekturbüros wurden im Frühjahr eingeladen, einen Vorentwurf für einen „energetisch hochwertigen“ Neubau in Massivholzbauweise auf einer nicht aufgeschlossenen Fläche im Park zu liefern – im am wenigsten attraktiven Teil, wie man versichert. Einen asphaltierten Autoabstellplatz für jeden der 20 Mitarbeiter braucht es auch, zudem Besucherparkplätze und eine Anbindung an die Straße.

Ist es in Zeiten wie diesen angebracht, einen Neubau in die grüne Wiese zu setzen, statt vorhandenen Bestand zu aktivieren? Von der Umnutzung der bestehenden Wohn- und Wirtschaftsgebäude des Meierhofes sei man abgekommen: zu kompliziert. Einen Neubau ins Meierhof-Areal zu integrieren wäre insofern problematisch, als hier die einzige Entwicklungsfläche für das Schloss sei, sollte dies jemals von einem Investor wachgeküsst werden. Im Mai haben die Projektanten ihre Entwürfe vorgestellt. Bis auf einen, der den Neubau beim Meierhof anordnete und daher ausgeschieden wurde, hielten sich alle an die Vorgabe und platzierten das Gebäude im Grünland. Beurteilt wurden die Beiträge von Mitarbeitern der Bundesforste. Ein Juryprotokoll, wie es in einem derart sensiblen Umfeld und einem im Besitz der Republik befindlichen Unternehmen aus Transparenzgründen erwartbar wäre, gibt es nicht. Darauf angesprochen, rudern die Bundesforste zurück.

Vergaberechtliche Mängel

Man prüfe derzeit diverse Möglichkeiten für einen Neubau des Betriebsgebäudes, eine Überlegung betreffe das Areal im Schlosspark, da land- und forstwirtschaftliche Betriebsstandorte im Grünland errichtet werden dürfen, teilt Unternehmenssprecherin Andrea Kaltenegger mit. „Architekt:innen wurden eingeladen, erste Ideen für eine mögliche Umsetzung zu entwickeln.“ Da man sich noch in der Entscheidungsfindungsphase befinde, wurde dezidiert kein Architektenwettbewerb ausgeschrieben, daher auch keine Jury und kein Juryprotokoll. Aufgrund des geringen Projektvolumens von unter zwei Millionen Euro wäre dies rechtlich nicht notwendig, zudem unwirtschaftlich. Es wurde entschieden, mit dem ausgewählten Architekturbüro Hochform „nächste mögliche Entwicklungsschritte zu setzen und zu klären, ob und wie ein solches Bürostandort-Projekt sinnvoll umsetzbar“ sei. Man stehe in engem Austausch mit Bundesdenkmalamt und Gemeinde. Die Denkmalspfleger kennen das konkrete Projekt noch nicht und können daher keinerlei Aussagen dazu machen.

Die Bundesforste wären gut beraten gewesen, sich im Vorfeld bei der Ziviltechnikerkammer zu erkundigen. Die Auslobung des Verfahrens, das kein Wettbewerb sein will, aber zugleich die Leistungen „Generalplaner und Bauaufsicht“ ausschreibt, weise vergaberechtlich einige Mängel auf, so Heinz Priebernig vom für Niederösterreich zuständigen Wettbewerbsausschuss der Ziviltechnikerkammer. Je nach Auftragssumme hätte sie österreich- oder EU-weit angekündigt werden müssen. Spätestens dann wären die Defizite aufgefallen.

Vor fünf Jahren beschloss der Ministerrat die Baukulturellen Leitlinien des Bundes. Die darin definierten qualitätsorientierten, transparenten Abläufe für Vorbereitung, Planung und Umsetzung von Projekten scheinen bei den ausgegliederten Gesellschaften weniger im Vordergrund zu stehen als schnelle Erlöse. Als Staatsbürgerin erwarte ich mir von einer Aktiengesellschaft im Eigentum der Republik breitere Expertise und Innovationsgeist – von der Politik entsprechende Anweisungen. Unverständlich, warum für einen Betrieb, der über 4000 Bauten sein Eigen nennt, die Versiegelung neuer Flächen die erste Wahl ist. Traut man Architekt:innen nicht zu, 20 moderne Arbeitsplätze denkmalgerecht im Bestand unterzubringen?

Spectrum, Mo., 2022.06.27

26. Januar 2022Franziska Leeb
Spectrum

Bauland, günstig abzugeben

Siedlungsentwicklung nach Milchmädchenart: Pro Minute werden in Österreich 37,4 Quadratmeter Boden versiegelt, pro Stunde 2,6 neue Gebäude fertiggestellt – zwei Drittel davon sind Einfamilienhäuser. Die Folgen der Flächenwidmung werden kaum kommuniziert.

Siedlungsentwicklung nach Milchmädchenart: Pro Minute werden in Österreich 37,4 Quadratmeter Boden versiegelt, pro Stunde 2,6 neue Gebäude fertiggestellt – zwei Drittel davon sind Einfamilienhäuser. Die Folgen der Flächenwidmung werden kaum kommuniziert.

Die Zahlen aus der Ausstellung „Boden für alle“ des Architekturzentrums Wien, die seit der Präsentation im Vorjahr durch das ganze Land tourt und noch bis 27. Februar in Waidhofen an der Ybbs zu sehen ist, sind eindrücklich. Manifest werden sie zum Beispiel nördlich von Hollabrunn im Weinviertel. Wenn man das ausgedehnte Gewerbegebiet, das die Ortschaft Suttenbrunn zum Wurmfortsatz der Bezirkshauptstadt degradiert, hinter sich gelassen hat, wächst einem seit zehn Jahren das Siedlungsgebiet von Schöngrabern entgegen. Trat früher das Dorf einen Kilometer vor der Ortseinfahrt nur durch die romanische Kirche und Scheunen in Erscheinung, breitet sich das Siedlungsgebiet nun rasant ins beste Ackerland aus. „Siedlungen nach solchem Planschema sind besonders häufig im unteren Manhartsberg anzutreffen, deren schönste, regelmäßigste Anlage Schöngrabern bei Oberhollabrunn ist“, schrieb der Bauforscher und Denkmalpfleger Adalbert Klaar in seiner Analyse der Siedlungsformen Niederösterreichs im Jahr 1930.

Während selbst der Strukturwandel in der Landwirtschaft dem auf das Mittelalter zurückgehenden Typus des planmäßig angelegten Angerdorfs wenig anhaben konnte, zerstörten zehn Jahre Siedlungsentwicklung das Bild nachhaltig – hier reden wir noch gar nicht von der Gestalt der Bauten. Rund 80 Einfamilienhäuser sind allein in der Neubausiedlung Hübelgrund auf umgewidmetem Ackerland entstanden. Während in dieser Zeit die Bevölkerung der aus fünf Katastralgemeinden bestehenden Gemeinde Grabern um 22 Prozent wuchs, stieg sie von 2011 bis 2021 allein in Schöngrabern von 752 auf 1048 Einwohner, also um fast 40 Prozent. Zum Vergleich: In Wien-Donaustadt, einem Hotspot der Stadtentwicklung, kamen in der Zeit nur 25 Prozent neue Bewohner hinzu. Wer annimmt, der extreme Zuzug sei auf eine attraktive Gemeindeinfrastruktur zurückzuführen, irrt. Denn die hält mit dem Wachstum nicht Schritt.

Infrastruktur? Fehlanzeige!

Warum dennoch enormer Andrang auf Bauplätze besteht, ist leicht erklärt: Um die 20 Euro waren vor zehn Jahren für einen Quadratmeter Bauland zu bezahlen, maximal 35 Euro sind es aktuell. Ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass in Nachbargemeinden das Dreifache eher die Regel als die Ausnahme ist. Zugleich platzen Volksschule und Hort aus allen Nähten. Außer einem Bäcker gibt es kein Lebensmittelgeschäft mehr. Ein Bahnanschluss fehlt, der letzte Bus nach Hollabrunn fährt um 18 Uhr, in die Gegenrichtung ist vor 19 Uhr Schluss mit öffentlichem Verkehr. Doppelgaragen vor den neuen Eigenheimen künden davon, dass ein Auto pro Familie nicht reicht, um den Pendleralltag zu bewerkstelligen. Wann der 2020 beschlossene Volksschulneubau im benachbarten Mittergrabern kommt, steht in den Sternen. Der in der Gemeindezeitung veröffentlichte Budgetvoranschlag für heuer sieht nun einmal den Ankauf eines Klassencontainers vor. Zwei Zeilen davor macht eine andere Position, stolze 800.000 Euro, unter dem Titel „Grundankäufe für Siedlungsentwicklung“, stutzig. In der lokalen ÖVP-Parteizeitung liefert der Bürgermeister die einfachen Argumente dafür: Mangels Tourismus und Betriebsgebieten blieben nur die von der Einwohnerzahl abhängigen Ertragsanteile von Bund und Land sowie eben Erträge aus Grundstücksverkäufen, um die Gemeinde auf wirtschaftlich gesunde Beine zu stellen.

Das erinnert an die Fabel vom Milchmädchen Lisette, das auf dem Weg zum Markt erträumt, was es von den Einnahmen für die Milch alles wird kaufen können – und im Freudensprung darüber den Topf ausleert. Wie hoch der Preis ist, den die Kommune durch unvorsichtiges Wachstum und hemmungslose Bodenverschwendung zu tragen hat, geht aus den Rechnungen der Zersiedler nicht hervor. Abgesehen von der Errichtung der notwendigen Straßen, Wasser- und Kanalanschlüsse, ist auch deren Instandhaltung zu kalkulieren. Was bedeutet der Bodenfraß für die wenigen verbliebenen landwirtschaftlichen Betriebe, denen zur Produktion weniger und teurer werdende Ackerflächen zur Verfügung stehen? Was bedeutet das Wachstum für das soziale Zusammenleben? Wo finden sich – jenseits von Feuerwehrfest und Kirtag – Orte der Begegnung? Wo es kein fußläufig erreichbares Geschäft gibt, verlagern sich die Einkäufe umso mehr ins Internet, es steigen Transportverkehr und Bodenverbrauch. Was passiert, wenn sich auf nahen Äckern ein Logistikzentrum ansiedelt, um die Versorgung und das Retourenmanagement effizienter zu gestalten? Ein notwendiges Übel, das den Ruf nach Lärmschutz laut werden lässt? Wer bezahlt dafür? Die Allgemeinheit.

Die Ausstellung „Boden für alle“ erläutert ebenso gut recherchiert wie anschaulich die historischen, politischen und rechtlichen Hintergründe sowie die wirtschaftlichen und ökologischen Zusammenhänge der Bodenfrage. Sie zeigt aber auch, dass es Wege gibt, dem Teufelskreis zu entkommen und die Entwicklung in gesündere Bahnen zu lenken. Eigens für die niederösterreichische Ausstellung machte man den Güterverkehr zum Thema. Jakob Tuna erklärt in seiner Diplomarbeit „Wohin mit der Logistik“, warum es notwendig ist, die Logistik in der Raumplanung stärker zu berücksichtigen, und legt einen Entwurf für ein entsprechendes sektorales Raumordnungsprogramm für Niederösterreich vor.

Von der Fabrik zum Gartencenter

Man sollte sich auch damit befassen, wie Bestehendes adaptiert werden kann. Ein Forschungsteam an der New Design University St. Pölten zeigt anhand des industriellen Leerstandes im Bezirk Baden auf, dass diese Strukturen zum einen über Jahrzehnte und Jahrhunderte durch einfache Maßnahmen wieder für andere Zwecke nutzbar zu machen sind, und zum anderen viel Bestand da ist, der nur darauf wartet, wieder sinnvoll verwendet zu werden, anstatt immerzu neue Flächen zu versiegeln. So wurde zum Beispiel die aus dem 19. Jahrhundert stammende Bettfedernfabrik in Pfaffstätten im Vorjahr ohne allzu großen Aufwand in ein Gartencenter der Firma Starkl verwandelt. Gleichermaßen ist es an der Zeit, neue Wohnformen innerhalb bestehender Siedlungsstrukturen zu entwickeln.

Raumordnung und Siedlungsentwicklung sind komplexe Themen. Milchmädchenrechungen helfen da nicht. Die Schuld an der Misere wird oft (und oft nicht zu Unrecht) den Bürgermeistern umgehängt. Die örtliche Raumplanung fällt in den Wirkungsbereich der Gemeinden, dem Land obliegt aber die Prüfung des Geschehens. Wie sehr Ziele wie Bodenschutz und Klimaschutz die kommunalen Siedlungsentwicklungen leiten, hängt also auch davon ab, wie sehr die Rolle als Aufsichtsbehörde wahrgenommen wird. Aber auch davon, wie transparent die Folgen einer Flächenwidmung an die Bevölkerung kommuniziert werden.

Spectrum, Mi., 2022.01.26

30. Oktober 2021Franziska Leeb
Spectrum

Hoppauf ohne Fahrstuhl

Was haben eine Liftkabine, ein VinziDorf, ein Steinbockzentrum, das Sigmund-Freud-Museum, eine Auferstehungskapelle und ein Schulzentrum gemeinsam? Sie alle wurden mit dem diesjährigen Bauherrenpreis ausgezeichnet.

Was haben eine Liftkabine, ein VinziDorf, ein Steinbockzentrum, das Sigmund-Freud-Museum, eine Auferstehungskapelle und ein Schulzentrum gemeinsam? Sie alle wurden mit dem diesjährigen Bauherrenpreis ausgezeichnet.

One of the most difficult design issues: how to go from A to B?“ lautet eine handschriftliche Notiz auf einem Grundrissplan der Villa dall'Ava in Paris, den Rem Koolhaas anno dazumal in seinem Buch „S, M, L, XL“ veröffentlichte. Die Herstellung einer guten Verbindung von A nach B hat auch die Verantwortlichen der Stadt Steyr immer wieder beschäftigt. Die Stadtteile Steyrdorf und Tabor sind durch eine 35 Meter hohe Geländestufe getrennt. Bis vor genau 70 Jahren, Ende Oktober 1951, die Taborstiege eröffnet wurde, war man nur auf Umwegen auf die Höhe gelangt. Als „eine dem Gelände und dem Baucharakter der Umgebung vorzüglich angepasste Stiege“ beschrieb ein Reiseführer aus den 1950er-Jahren die nach Plänen von Architekt Josef Preyer errichtete und seit 2009 denkmalgeschützte Anlage, die mit 243 Stufen nach oben führt.

Statt der Treppe einen Aufzug zur Überwindung der Höhendifferenz hätte sich nicht nur der Lehrkörper des Bundesrealgymnasiums am Michaelerplatz gewünscht, als in den 1960er-Jahren einige Klassen in einer Expositur auf dem Tabor untergebracht waren: Während der fünfminütigen Pausen mussten die Lehrer die steile Stiege – angespornt von Hoppauf-Rufen der Schüler – hinaufsprinten, ehe der Direktor die Anfeuerungen strengstens verbot, berichtet die Maturazeitung des Jahres 1967. Der Architekt Helmut Reitter war zu dieser Zeit Gymnasiast in Steyr. 2017 gewann er den Wettbewerb für einen Lift auf den Tabor, dem mehrere Machbarkeitsstudien vorangegangen waren. „Mehr Reichtum kann Einfachheit nicht generieren“, heißt es im Juryprotokoll zum Siegerprojekt, das im Sommer vergangenen Jahres eröffnet und heuer mit dem Bauherrenpreis ausgezeichnet wurde. Der Zugang führt durch einen Teil des im Zweiten Weltkrieg von Zwangsarbeitern errichteten Luftschutzstollens. Eine Grafik vom Stollensystem und ein Text des Mauthausenkomitees erinnern an diese traurige Vergangenheit.

Schlicht und zweckmäßig

Ein paar Sekunden fährt die verglaste Liftkabine durch den Berg, ehe sie im vor dem Felsen geführten Liftturm den Blick auf die Stadt freigibt, um schließlich auf dem oberen Zugangssteg zu landen, der zugleich Aussichtsplattform ist. Ein vertikaler und ein horizontaler Balken, minimalistisch und so gesetzt, dass weder die Stiege noch die Grotte im Konglomeratgestein beeinträchtigt wird. Beton und Stahl, in der rostbraunen Farbigkeit auf die Natur und die Dachlandschaft der Stadt abgestimmt. Schlicht und zweckmäßig ist er, der Panoramalift, der ohne gestalterische Verrenkungen zu einem markanten Zeichen in der Stadt wurde, das alltägliche Wege erleichtert und bereichert.

Über zehn Jahre lang kämpfte der Grazer Pfarrer Wolfgang Pucher Seite an Seite mit Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Architekturbüro Gaupenraub gegen kleinliche Einwände, die wohl in erster Linie zum Ziel hatten, das VinziDorf für alkoholkranke Obdachlose in Wien-Hetzendorf zu verhindern. Der Bauherrenpreis dafür würdigt nicht nur das soziale Engagement, sondern auch die großartige Architektur, die trotz der prekären Umstände gelungen ist.

Die Errichtung der kleinen Siedlung aus Holzhäusern unter Bäumen und die Umwandlung eines Wirtschaftsgebäudes zum gastlichen Gemeinschaftshaus wurden dank Spenden und von Firmen geschenktem Baumaterial sowie tatkräftiger Hilfe von Schülerinnen und Schülern der HTL Mödling möglich. Nur neun Quadratmeter stehen den Bewohnern in den unter den Bäumen verteilten Häusern zur Verfügung. Bei der Gestaltung und Positionierung der Häuser wurde aber alles bedacht, was in luxuriöseren Wohnanlagen oft vergessen wird: Gedeckte Wege und auskragende Dächer schützen den Zugang zu den Wohneinheiten, keine Eingangstür liegt einer anderen gegenüber, aus keinem Fenster gibt es Einblick in ein anderes, sodass die Privatheit der Bewohner, die Mühe haben, sich mit den Bedingungen in herkömmlichen Quartieren für Obdachlose zu arrangieren, gewahrt bleibt. Hier finden sie einen achtsam gestalteten Ort vor, der ihnen Sicherheit und Geborgenheit bietet und mehr als bloß ein Dach über dem Kopf gibt.

Der Geschichte der Wiederansiedlung des Steinbocks und der Kulturgeschichte der Region ist das Tiroler Steinbockzentrum in St. Leonhard im Pitztal gewidmet. Dass neben Wissenswertem über den Steinbock hier auch die spannende Geschichte der Männer und Frauen aus dem Pitztal erzählt wird, die als Pioniere der Fotografie Porträts der Region schufen und als Wanderfotografen ganz Europa bereisten, ist dem Engagement der Gemeinde unter Bürgermeister Elmar Haid und den Architekt:innen Rainer Köberl und Daniela Kröss zu verdanken. Es ist ein Gebäude, das architektonisch und inhaltlich mit der Landschaft eins ist, keine für Tourismusdestinationen typische modische Spektakel-Architektur.

Vorstellungskraft statt Inszenierung

Geschichte und Zusammenhänge zu erläutern ist auch die Aufgabe des Sigmund-Freud-Museums in der Wiener Berggasse. Unter der Regie der Sigmund-Freud-Stiftung und Direktorin Monika Pessler sowie der Architekten Artec, Hermann Czech und Walter Angonese wurde es saniert, um neue Besucherservice-Einrichtungen erweitert und allgemein ein Museum geschaffen, das nicht die gängige Erwartungshaltung einer Inszenierung, wie es hier einmal gewesen sein könnte, erfüllt, sondern die Vorstellungskraft der Besucher stimuliert.

Viele Mitwirkende – allen voran die Mitglieder des Kapellenvereins, die selbst Hand anlegten, sowie Architekt Tom Lechner – ermöglichten auch ein weiteres preisgekröntes Objekt: die Auferstehungskapelle in Straß im Attergau. Der feine Sakralbau aus (gespendetem) Holz über einer Klammer aus gespitztem Beton ist nicht nur ein Ort der Andacht geworden, sondern ebenfalls ein Anziehungspunkt für viele Menschen aus der Umgebung.

Fichtenholz und Lärche dominieren die Raumstimmung im Schulzentrum Gloggnitz von Dietmar Feichtinger Architectes. Gefordert und realisiert wurde ein nachhaltiges Gebäude, womit einerseits die ökologischen Faktoren gemeint waren und andererseits eine Schule, die auf vielfältige Weise gestisch und funktional mit der Stadt in Dialog tritt sowie zeitgemäßen Bildungskonzepten, Inklusion und Diversität Raum gibt. Das ist so vortrefflich gelungen, dass die Stadt Gloggnitz und Bürgermeisterin Irene Gölles als Bauherrschaft geehrt wurden. Dieses vielschichtige Gebäude wie auch die anderen fünf Preisträger werden wohl nicht nur noch lange ihren Anforderungen gerecht werden, sondern ihren Benutzerinnen und Benutzern auch viel Freude bereiten.

Spectrum, Sa., 2021.10.30



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2021

27. August 2021Franziska Leeb
Spectrum

Hol die Sonne in den Hof!

Das von Ernst Pfaffeneder geplante Dreihaus in Obermallebarnhat nicht nur die dicksten Wände des Weinviertels. Es ist auch ein rares Beispiel für kluges Weiterbauen im Ortskern – nach der Bauphilosophie der Ahnen, mit zeitgenössischem Ausdruck.

Das von Ernst Pfaffeneder geplante Dreihaus in Obermallebarnhat nicht nur die dicksten Wände des Weinviertels. Es ist auch ein rares Beispiel für kluges Weiterbauen im Ortskern – nach der Bauphilosophie der Ahnen, mit zeitgenössischem Ausdruck.

Seit dem Mittelalter prägen kompakte Straßen- und Angerdörfer die Siedlungslandschaft des Weinviertels. Gehöft reiht sich an Gehöft, meist Zwerchhöfe; parallel zur Straße der Wohntrakt, anschließend der Längstrakt mit den Stallungen und einer den Hof abschließenden Scheune. Über Jahrhunderte entwickelte sich der Typus weiter, ohne die Dorfstrukturen aus der Balance zu bringen. Eine einfache Erweiterung der Höfe nach hinten war diesen Siedlungen ebenso eingeschrieben wie eine Vergrößerung der Ortschaften durch Anfügen weiterer Parzellen. Als „nachhaltig“ würde man dieses Siedlungslayout heute bezeichnen, als „harmonisch“ das Ortsbild. Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und die Bodenpolitik der Gemeinden haben beides ohne große Not vielerorts zerstört. Ab den 1970er-Jahren künden unterkellerte und aufgestockte Wohnhäuser mit breiten Fenstern von einem Bedürfnis nach einem neuen Lebensstil. Vergrößerte Toreinfahrten und mit Faserzement-Wellplatten gedeckte Scheunen trugen der maschinellen Aufrüstung Rechnung. Oft verschwanden die „Trettn“, die witterungsgeschützten Verbindungsgänge zwischen Hof und Stall.

Anfang der 1980er-Jahre leitete die Aktion „Niederösterreich schön erhalten – schöner gestalten“ einen erneuten Wandel der Ortsbilder ein. Die Fenster wurden kleiner, mit Sprossen (oft aufgeklebt) unterteilt, und Gestaltungselemente wie Faschen, Gesimse, Giebel und Säulen hielten sinnentleert Einzug an den gern in deftigen Farben gehaltenen Fassaden. Immerhin wurde innerhalb der bestehenden Strukturen modernisiert und weitergebaut, ehe die ehemals kompakten Siedlungen ausfransten, um zunächst den Bauernkindern mit frei stehenden Einfamilienhäusern den Verbleib in der Gemeinde schmackhaft zu machen und schließlich den Zuzug und die Zersiedelung zu befeuern. Höchste Zeit, mit tauglichen Konzepten der Ratlosigkeit im Umgang mit den alten Strukturen zu begegnen, um zu retten, was noch zu retten ist.

So geschehen in Obermallebarn, wo die Unternehmer- und Bauernfamilie Brandtner einen modernen Landwirtschaftsbetrieb führt. Mit Architekt Ernst Pfaffeneder gelang es, im ererbten Hof Wohnqualitäten zu etablieren, wie sie in einer Einfamilienhaussiedlung am Ortsrand niemals erreichbar wären. Straßenseitig scheint es auf den ersten Blick so, als hätte sich außer neuen Kastenfenstern und der Sanierung des Putzes inklusive fein abgestimmter dezenter Farbgebung nicht viel verändert. Tatsächlich wurden Straßen- und Hoftrakt völlig neu organisiert. Prinzipiell sind alle Häuser in der Zeile so angelegt, dass Längstrakt mit den Stallungen an der westlichen Parzellengrenze liegen, also Fensteröffnungen nach Osten haben. Da aber bereits beim Nachbarhaus im Zuge einer Neustrukturierung der Stalltrakt entfernt worden war, lag es nahe, den Hoftrakt der Brandtners von der westlichen an die östliche Parzellengrenze zu legen, um die Abendsonne in den Hof zu holen. Statt der Einfahrt im Osten führt also nun das Tor an der Westseite in eine geräumige Diele, an die straßenseitig eine an Wiener Altbauwohnungen erinnernde Zimmerflucht anschließt. Hofseitig wurde der Altbestand entkernt und in eine Sala terrena verwandelt, einen erdgeschoßigen Gartensaal, in dem Kunden und Besucher empfangen und Feste gefeiert werden, und der als öffentlichster Bereich einen Schwellenraum zu den familiären Wohnräumen bildet. Die schwarz-weiß karierten Zementfliesen auf dem Boden stammen aus der alten Volksschule, die einst vis-à-vis stand.

Um die Flügeltüren zwischen den Zimmern selbst anfertigen zu können, besorgte sich der Bauherr gebrauchte Tischlereimaschinen: Vorhandenes wiederverwerten und selbst Hand anlegen lautete Devise, ganz so, wie früher die Bauern mit Bedacht und ökonomischem Materialeinsatz ihre Höfe um- und weiterbauten. Ferner gab es 80 Paletten 25 Zentimeter starker Hochlochziegel zweiter Wahl, die der Vater des Bauherrn vor langer Zeit günstig erworben hatte. Aus diesem Materialschatz konstituiert sich der Neubautrakt, den Ernst Pfaffeneder unter drei verschieden dimensionierten Giebeldächern aus massivem zweischaligem Mauerwerk entwickelte. Die äußere Mauerwerksschicht wurde zu den Giebelachsen hin nach außen gefaltet, während die innere Schale gerade geführt wird. Die Hohlräume in den so entstandenen, bis zu einem Meter dicken Wänden wurden mit Schuttmaterial befüllt. Die tiefen Laibungen der bodentiefen Verglasungen verleihen dem Inneren Geborgenheit, die Westsonne verstärkt im Wechselspiel von Licht und Schatten den Eindruck der Faltung und Körperhaftigkeit.

Unter den mächtigen Doppelbalken, auf denen die Dachsparren aufliegen, wurden dienende Zonen wie die Küchenzeile und Sanitärzellen angeordnet. An der Rückwand lagern die Balken auf ziegeldicken Wandpfeilern. Die so entstehenden Nischen wurden für Möbeleinbauten genutzt. 3,8 bis 5,8 Meter beträgt die Raumhöhe unter den weiß lasierten Dachuntersichten, durch die Fensterbänder zusätzlich Zenitallicht von Norden einbringen. Um die Plastizität des neuen Baukörpers nicht durch die Kleinteiligkeit eines Ziegeldachs zu konterkarieren, erhielt er ein leichtes helles Blechdach. Strukturell Teil des Mehrdachhauses und der lebendigen dörflichen Dachlandschaft, hebt es sich farblich als neue Zutat ab.

In der Scheune wurde in Verlängerung des Neubaus neben Wirtschafts- und Haustechnikräumen eine Sommerküche eingerichtet, aus der sich der luftige Essplatz unter dem Scheunendach, der einen Belag aus den Dachbodenziegeln des Altbestandes erhielt, unkompliziert bedienen lässt. Das grüne Feld des Gartenhofs wird mit Holzterrassen eingefasst zum Wohnzimmer im Freien. Ein Karree aus vier Platanen spendet Schatten, Staudenrabatten und Spalierobst malen im Lauf der Jahreszeiten abwechslungsreiche Vegetationsbilder, und aus dem Nachbarshof grüßt die Krone einer pink blühenden Blutpflaume über die Mauer.

Das Dreihaus ist keine Baukunst zum Selbstzweck, sondern entstand aus dem Bedürfnis, räumliche Weite in die dörfliche Enge zu bringen. Es führt das traditionelle Bauprinzip auf authentische Weise fort, interpretiert es aber auf eine zeitgenössische Weise, die in ihrer konzeptuellen Schlüssigkeit vorbildhaft ist.

Spectrum, Fr., 2021.08.27



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Dreihaus

29. April 2021Franziska Leeb
Spectrum

Kleiner Eingriff, große Wirkung

Zu Tode sanierte Gründerzeithäuser gibt es zur Genüge. Wenn das Ziel der Besitzer nicht die große Rendite, sondern die pflegliche Erhaltung ist, bleibt ihre Ausstrahlung jedoch bewahrt und ihre Zukunft gesichert. Ein gelungenes Beispiel aus dem Wiener Servitenviertel.

Zu Tode sanierte Gründerzeithäuser gibt es zur Genüge. Wenn das Ziel der Besitzer nicht die große Rendite, sondern die pflegliche Erhaltung ist, bleibt ihre Ausstrahlung jedoch bewahrt und ihre Zukunft gesichert. Ein gelungenes Beispiel aus dem Wiener Servitenviertel.

„Tuberkelburg“ lautete einst ein Spottname für mehrstöckige Zinskasernen, deren „architektonischer Ausdruck lediglich in möglichst vielen Fenstern und zahlreichen Stockwerken gipfelte“. Denn „wer diese Burgen öfters ersteigt, unterliegt der Möglichkeit, die Lungenschwindsucht zu bekommen“, erklärt der Wiener Lokalhistoriker Wilhelm Kisch in seiner in den 1880er-Jahren erschienenen Kulturgeschichte „Die alten Straßen und Plätze von Wien's Vorstädten und ihre historisch interessanten Häuser“. Etliche davon entstanden auf dem Teil des Wiener Glacis, der 1853 zwischen Berggasse und Türkenstraße zwecks Finanzierung von Arsenal und Franz-Josefs-Kaserne zur Parzellierung und Bebauung freigegeben worden war.

Neu-Wien benannte man den neuen Stadtteil, der auf 60.000 Quadratmetern als Generalprobe für die Stadterweiterung der Ringstraßen-Ära entstand. Der erste Investor war der General Franz Schlik zu Bassano und Weißkirchen, der sich über die Jahre 1956 bis 1958 von Carl Tietz ein repräsentatives Mietpalais errichten ließ, auf das der despektierliche Spitzname nicht zutrifft.

Ob Tuberkelburg oder nicht – das Flair des Grätzels, das heute als Servitenviertel unter den beliebtesten Wiener Wohngegenden rangiert, machen nicht nur die zahlreichen kleinen Läden aus, sondern auch die gut erhaltenen Häuser aus der Gründerzeit. In einem davon revitalisierte kürzlich Architekt Karl Langer eine Wohnung im Hochparterre. Das geschah – wie es bei Arbeiten im Bestand immer sein sollte, aber selten passiert – erst nach einer gründlichen Auseinandersetzung mit der Geschichte und Struktur des Gebäudes. Auf den ersten Blick im Vorbeigehen fällt daran nichts Besonderes auf. Es ist Teil einer gründerzeitlichen Straßenfront, ähnlich den Nachbargebäuden, doch im Innehalten lässt sich rasch ablesen, dass es hier nicht bloß um möglichst viele Fenster und Stockwerke ging.

Für eine wohlhabendere Schicht

Mit drei Obergeschoßen hat es um eines weniger als die Nachbarhäuser, mit sieben Fensterachsen zwei weniger als das gleich breite Haus gegenüber. Dass es für eine wohlhabendere Gesellschaftsschicht gebaut wurde, darauf deuten auch Fassadengliederung und -dekor hin. Die Betonung durch Eckrisalite und eine zumindest dezente Akzentuierung einer Beletage – die Bezeichnung trifft hier nicht zu.

Das Haus wurde 1871 nach Plänen des an der Akademie der bildenden Künste bei Pietro Nobile ausgebildeten Architekten Anton Baumgarten errichtet, etwa zeitgleich mit seinem Palais Esterházy in Budapest. Obwohl er das Bild der Wiener Ringstraßen-Zone mit zahlreichen Mietshäusern mitprägte, ist Baumgarten wenig bekannt – wohl auch, weil seine Bauten zu Lebzeiten wenig publiziert wurden. Wie ein Blick in die historischen Adressbücher zeigt, waren es in den ersten Jahrzehnten vornehmlich Kaufleute, Banker und Akademiker, die das Haus bewohnten.

Im ursprünglichen Grundriss wurde pro Wohnung ein ganzes Geschoß eingenommen. Auch hofseitig wurde auf Fassadendekor nicht verzichtet. Ende des 19. Jahrhunderts wurden nachträglich zarte Eisenbalkone angefügt. Da sie nicht den Hauptwohnräumen zugeordnet sind, dienten sie wohl als Wirtschaftsbalkone. Und doch sind sie um so vieles eleganter – und vermutlich auch nicht schwieriger zu montieren gewesen – als die heute so beliebten Fertigbalkone aus feuerverzinktem Stahl, die allerorts die Gründerzeithäuser um private Freiräume „aufwerten“, dem Straßenbild aber den Charme einer Legebatterie verleihen. Spätestens 1905 kam das Haus für längere Zeit in den Besitz der Familie des Textilfabrikanten Ludwig Ritter von Liebieg. Deren Wappen findet sich bis heute an der Verglasung des Tors zum Hof, wo noch die ehemalige Kutschenremise und der Zugang zum Pferdestall im Keller erkennbar sind.

Das Haus ist dank der Obsorge der privaten Besitzerinnen in einem großartigen Zustand. Nicht geschleckt zu Tode saniert, sondern gut gepflegt und trotz vieler Veränderungen über anderthalb Jahrhunderte ein Paradebeispiel für die Flexibilität und Qualität der guten Gründerzeitbauten. An Nutzungen finden sich unter anderem wechselnde Textilfirmen, ein technisches Büro, ein Radiogeschäft, ein Schuhsalon sowie ein Hutmodenhaus.

Der Modisterei wurde auch in jenen Räumlichkeiten nachgegangen, die Karl Langer nun fit für die Anforderungen des 21. Jahrhunderts machte. Erreichbar sind sie durch einen eigenen Zugang gegenüber dem Hauptstiegenhaus. Schon der kurze Treppenaufgang kündigt eine große architektonische Virtuosität an. Über einen seitlich verglasten Windfang mündet er in einen überhohen Vorraum, von dem über ein paar Stiegen Richtung Hof zwei weitere Zimmer erreichbar sind. Zuletzt als Hausmeisterwohnung genutzt und in recht desolatem Zustand wären die Qualitäten dieser Rauminszenierung leicht zu übersehen gewesen. Darum, sie wieder ins Licht zu rücken und mit seinen eigenen Implantaten möglichst minimalistisch zu bleiben, ging es Langer zum einen. Zum anderen war es ihm daran gelegen, dass im Hinblick auf eine langfristige flexible Nutzbarkeit hier sowohl gewohnt werden als auch ein Büro eingerichtet werden kann.

Ursprünglich reichte die Wohnung bis zur Straßenfassade. Im Zuge eines Geschäftseinbaus im Erdgeschoß wurde Ende des 19. Jahrhunderts straßenseitig ein Teil als Lagerfläche abgetrennt. Entlang dieser fensterlosen Wand wurde eine dienende Nebenraumgruppe mit Küche und Bad angeordnet, die als liegendes niedriges Prisma dem hohen stehenden Prisma des einstigen Vorraums eingeschrieben ist. Sein oberer Abschluss wurde aus schwarzen Aluminium-Lamellen gebildet, womit der Luftaustausch nach oben gewährleistet ist, das Bad aber von der im rechten Winkel dazu eingefügten Galerie nicht von oben einsehbar ist. Eine Latexbeschichtung und einbrennlackiertes Glas markieren diese Nebenzone außen wie innen in zartem Grün.

Neues Tafelparkett

Am gegenüberliegenden Ende ist eine Treppe eingefügt, die das im rechten Winkel dazu liegende „schwebende Galerieprisma“ zugänglich macht, mit dem dank der Raumhöhe zusätzliche Quadratmeter gewonnen werden konnten. Es wurde aus Buchenfurnierschichtholz konstruiert, das über hohe Festigkeit und Steifigkeit verfügt und materialsichtig eingesetzt werden kann, ohne an wohnlichem Charakter einzubüßen.

Was vom alten originalen Parkettboden noch zu verwenden war, wurde in diesem ersten Raum verlegt. In den beiden anderen Räumen kam ein neues Tafelparkett im gleichen Muster zum Einsatz. Kastenfenster, Flügeltüren und der luftig wirkende Zugangsbereich wurden sorgfältig instand gesetzt, die Decke zum Keller sicherheitshalber verstärkt. Es sind sparsame Eingriffe von großer funktionaler Wirkung, ohne die Ausstrahlung der Originalsubstanz zu mildern.

Umbau statt Abriss, bedachter Materialeinsatz, statt künftigen Sondermüll zu produzieren, und weiterverwenden, was noch gut ist – so einfach ist es, Bestehendes tauglich für heutige und zukünftige Zwecke zu machen. Um die notwendige Dekarbonisierung des Gebäudesektors zu erreichen, braucht es nicht nur neue Technologien, sondern Hirn sowie Zuwendung zu den Dingen, die da sind.

Spectrum, Do., 2021.04.29

27. März 2021Franziska Leeb
Spectrum

Amt mit Ausblick

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

Keine Verwaltungsburg, sondern ein einladender Ort: Das neue Gemeindezentrum von Großweikersdorf setzt ein zeitgenössisches Zeichen in der Ortsmitte. Zu Besuch im niederösterreichischen Weinviertel.

Stark sanierungsbedürftig, nicht barrierefrei, längst zu klein geworden und nicht erweiterbar war das bestehende, im Kern aus dem 17. Jahrhundert stammende Gemeindeamt von Großweikersdorf. Ein Neubau musste her. Überlegungen, ihn am Ortsrand nächst dem Bauhof zu errichten, wurden bald verworfen. Da aber im Ortszentrum immer weniger los war, berichtet Bürgermeister Alois Zetsch, sei klar gewesen: „Das Gemeindeamt muss am Hauptplatz bleiben.“ Dank der Lage an der Horner Bundesstraße und der Franz-Josefs-Bahn erfreut sich die Gemeinde starken Zuzugs – aus Wien ebenso wie von Waldviertlern, die näher an Wien wohnen wollen. Flächenmäßig wächst sie nicht nur durch neue Siedlungen. Die Gewerbeflächen nördlich des Ortskerns, darunter gleich drei Supermärkte – jeder mit Parkplatz –, nehmen mehr Raum ein als der alte Ortskern, wo immerhin noch Bank, Trafik, Nahversorgermarkt und zwei Gasthäuser die Erfüllung der Bedürfnisse des täglichen Lebens sicherstellen.

Es traf sich gut, dass die Gemeinde ein paar Schritte weiter von der nach Plänen von Josef Emanuel Fischer von Erlach errichteten Pfarrkirche die Liegenschaft einer seit Jahren leer stehenden Fleischerei erwerben konnte. Vier Architekturbüros wurden um Entwürfe für einen Neubau auf dem normal zum Hauptplatz und seiner zentralen Grünanlage ausgerichteten Grundstück gebeten. Nicht nur die Gemeindeverwaltung sollte Platz finden, sondern auch Raum für örtliche Vereine und eine Arztpraxis. Zudem galt es eine Anbindung an einen Gewölbekeller im Untergrund herzustellen, um weiteren Raum für Veranstaltungen im Lokalkolorit der Weinbaugemeinde zu schaffen.

Drei der eingeholten Entwürfe hielten die traufständige geschlossene Bauweise bei. Der von Philipp Buxbaum und Christian Kircher, die in Wien seit 2013 das Büro Smartvoll betreiben, tanzte aus der Reihe. „Ein Lückenschluss hätte das Areal zum Platz hermetisch abgeschlossen“, argumentiert Christian Kircher. Daher beschlossen die Architekten das Bauvolumen giebelständig mit beidseitigem Abstand in die Lücke zu schieben. Durch die Gliederung in eine Kette aus fünf seitlich gegeneinander verschobenen Giebelhäusern entstanden kleine Plätze zum Verweilen und eine der Ortsstruktur entsprechende Kleinteiligkeit. Die durchgehende Firstlinie fasst die Segmente mit unterschiedlichen Dachneigungen zu einem großen Ganzen zusammen. Gesäumt von Grün (EGKK Landschaftsarchitekten), umspült der öffentliche Raum das Gebäude und führt auf einen Platz, der in die parallel zum Hauptplatz leitende Winzerstraße mündet. Zusätzliche Parkplätze mit Elektrotankstelle, ein Spielplatz und eine neue fußläufige Verbindung wurden so gewonnen.

Die Trag- und Dachkonstruktion aus Holz um einen Betonkern bildet sich außen schon auf dem Platz vor der zurückgesetzten Fassadenfront ab, wo der überdeckte Vorbereich die Ankommenden empfängt und ein offener Schlitz den Blick in Richtung Kirche freigibt. Noch einmal zurückgesetzt ein gebäudehoher Glasschlitz über dem Rathauseingang, der ankündigt, was uns innen erwartet: hohe Räume und viel Tageslicht. Von außen wird die Transparenz der Gebäudehülle hingegen nicht zelebriert. Hier wirken die schlanken seitlichen Lichtschlitze rhythmisierend im einheitlichen Kleid aus engobierten Tondachziegeln, die als hinterlüftete Fassaden bis zum Boden reichen. Farblich darauf abgestimmt die Bodenpflasterung, die vom Hauptplatz bis zur Winzerstraße durchläuft.

Den Eingang flankiert das Bürgerbüro als erste Anlaufstelle, ehe der als Wohnlandschaft gestaltete Wartebereich willkommen heißt. Er geht in eine Stufenanlage über, die ohne räumliche Trennung in den Sitzungssaal unter dem Dachgiebel führt. Seine Offenheit signalisiert eine Einladung, an demokratischen Entscheidungsprozessen teilzuhaben, und so sind außer den monatlichen Gemeinderatssitzungen auch zahlreiche andere Nutzungsszenarien denkbar. Die Fichtenholzoberflächen, vor allem das über Dachfenster und seitliche Fensterflächen reichlich einfallende Tageslicht, bestimmen den Eindruck des Raumes, der trotz seiner Hallenkonfiguration äußerst behaglich wirkt.

Büros, Besprechungszimmer und Teeküche sind im Erdgeschoß angeordnet, alle leicht auffindbar und mit Fenstertüren nach außen ausgestattet. Der noch des endgültigen Ausbaus harrende Gewölbekeller ist über das Untergeschoß zugänglich, ein Außenzugang ist vorbereitet. Umspült von öffentlichem Raum – ähnlich wie das klerikale Pendant der Kirche –, ist das neue Gemeindezentrum zu einem einladenden Ort geworden, an dem sich außen wie innen lebendiges Miteinander – ob zufällig oder geplant – entfalten kann.

Welches Gebäude man als Haus für die Bürger haben will, wurde von den gewählten Mandataren entschieden. Die Frage, warum kein Architekturwettbewerb mit einer Fachjury ausgelobt wurde, beantwortet der Bürgermeister kurz und bündig: „Wir wollten es uns selbst aussuchen.“ Erfahrungen aus anderen Gemeinden hätten gelehrt, dass zu starke Mitbestimmung durch Fachleute von außerhalb die Gefahr berge, ein Siegerprojekt zu erhalten, mit dem am Ende die Gemeinde nicht glücklich sei. Nun gibt das rundum gelungene Gemeindezentrum der Strategie der Großweikersdorfer recht. Die Skepsis gegenüber dem Instrument Architekturwettbewerb zeigt aber auch auf, dass es dringend Wettbewerbsszenarien braucht, in denen sich die Kommunen nicht als Statistinnen eines von externen Experten choreografierten Verfahrens wiederfinden. Hier ist alles gut gegangen, wohl auch, weil klare Vorstellungen vorhanden waren, was man will, und man offen genug gegenüber einem unkonventionellen Vorschlag war.

Daran, dass das frei stehende, in Häuser aufgeteilte Gebäude auch eine gute Wahl für Krisenzeiten sein wird, dachte in der Planungszeit wohl noch niemand. Heute zeigt sich, dass das pandemiebedingt noch nicht in Betrieb gegangene Vereinshaus eine vorzügliche Coronavirus-Teststraße abgibt. Als eigene Einheit inmitten von Rathaus und Arztpraxis gelegen, lässt sich mit dem separaten Eingang an der Nordseite und dem Ausgang über die Terrasse an der Südseite der Ablauf perfekt organisieren. Sobald möglich, soll heuer das offizielle Eröffnungsfest nachgeholt werden, dann wird das klug gesetzte Gefüge erstmals seine Potenziale ausspielen können und ganz gewiss auch über eine längere Zukunft unter Beweis stellen.

Spectrum, Sa., 2021.03.27



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Gemeindezentrum Großweikersdorf

12. Januar 2021Franziska Leeb
Spectrum

Aufbruchstimmung – Sankt Pölten gibt den Ton an

Offene Kommunikation, Bürgerbeteiligung, transparente Wettbewerbe, pfleglicher Umgang mit der Substanz: Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas blieb zwar erfolglos, verhalf der niederösterreichischen Hauptstadt aber zu einer neuen Planungskultur.

Offene Kommunikation, Bürgerbeteiligung, transparente Wettbewerbe, pfleglicher Umgang mit der Substanz: Die Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas blieb zwar erfolglos, verhalf der niederösterreichischen Hauptstadt aber zu einer neuen Planungskultur.

Nachhaltig verfestigte sich das Bild der farblosen Provinzstadt – vor allem in den Köpfen jener, die Sankt Pölten nicht kennen. Als attraktive Stadt mit Potenzial wurde Sankt Pölten trotz zunehmend dynamischer Entwicklung und einer lebendigen Kulturszene von außen kaum wahrgenommen; auch die Innensicht war eine nur mäßig stolze. Hier das Regierungsviertel und der Kulturbezirk des schwarzen Landes, da die rote Arbeiter-, Kultur-, Bildungs- und Barockstadt. Ineinander verquickte und doch einander fremde Universen, die nicht so recht zusammenwachsen wollen, weder mental noch stadträumlich. Als „Ehefrau, die immer fleißig, geduldig, fruchtbar und vernünftig war, für Make-up blieb keine Zeit“, beschrieb der Schriftsteller Alfred Komarek Sankt Pölten vor zehn Jahren zum 25-Jahr-Jubiläum als Hauptstadt Niederösterreichs. Im Zuge der in partnerschaftlicher Allianz von Stadt und Land betriebenen Bewerbung als Kulturhauptstadt Europas 2024 wurde Beziehungsarbeit geleistet. Nie wirkte die Stadt jünger und selbstbewusster als in dieser Phase, in der in Bürgerforen und Arbeitskreisen an der Zukunft gearbeitet wurde. Als im November 2019 der Kulturhauptstadttitel an die Kaiserstadt Bad Ischl ging, trat in der Sankt Pöltner Aufbruchsstimmung Plan B in Kraft: die Umsetzung der Kernprojekte der Bewerbung. Für eines davon, das KinderKunstLabor, wird Ende Jänner der Architekturwettbewerb entschieden sein, und vor Weihnachten 2020 nahm endlich der vehement eingeforderte Gestaltungsbeirat seine Arbeit auf.

Vorangetrieben wurde auch ein Vorhaben, das Stadtbild und urbanes Zusammenleben stark beeinflussen wird. Schon während des Bewerbungsprozesses entstand unter reger Beteiligung der Bevölkerung die Leitkonzeption Öffentlicher Raum für die Weiterentwicklung der Innenstadt. Ein Schlüsselbereich ist der Promenadenring um die Altstadt. Derzeit in erster Linie ein autodominierter Verkehrsraum, soll er in Hinkunft seinem Namen gerecht werden und als einladender Begegnungsraum sowie als Kontur der historischen Stadt gestärkt werden.

Präzisierung der Nutzerbedürfnisse

Für die Politik sei es wichtig, Argumente der Planung aus der Perspektive der Bevölkerung zu untermauern. Es bestehe sonst die Gefahr, dass aus einer großen Idee nur ein kleiner Wurf hervorgehe, so Stadtplaner Jens de Buck. Ehe im März der EU-weite Wettbewerb für Landschafts- und Verkehrsplaner zur Findung eines konkreten Konzepts ausgelobt wird, wurde daher zur Präzisierung der Nutzerbedürfnisse erneut die Bevölkerung eingebunden.

Die Corona-Pandemie brachte neue Beteiligungsformate in Gang. Via interaktiven Online-Fragebogen wurde eingeladen, Qualitäten und Defizite des Straßenzugs zu benennen sowie Bedürfnisse und Wünsche für die Zukunft zu artikulieren. In der einfach zu bedienenden Applikation konnten in einem Stadtplan aus Fußgänger-, Autofahrer- oder Radlersicht als unsicher empfunden Orte markiert oder fehlende Verbindungen eingetragen werden. Ergänzend standen in Online-Sprechstunden auf Facebook Fachleute Rede und Antwort. Carina Wenda, Mitarbeiterin im Stadtplanungsamt, war eine davon. Ohne die junge Kollegin wäre diese Form der Beteiligung nicht abwickelbar gewesen, meint ihr Chef, Jens de Buck. Die jüngere Generation in der Verwaltung habe gewiss eine geringere Hemmschwelle, soziale Medien und digitale Tools anzuwenden. Um die weniger Internetaffinen nicht auszuschließen, sei es dennoch wichtig, auf eine crossmediale Kommunikation zu setzen, betont Wenda. Die per Post versandten analogen Dialogkarten wurden vorwiegend von Personen in der zweiten Lebenshälfte – die Älteste war 92 – ausgefüllt. Digital hingegen erreichte man die Jüngeren und auch Externe, die in Sankt Pölten arbeiten oder studieren.

Die Erreichbarkeit der Zielgruppen sei entscheidend für das Resultat, ist Daniela Allmeier überzeugt. Ihr Planungsbüro Raumposition hatte bereits die Leitkonzeption erarbeitet und nun auch den Beteiligungsprozess für den Promenadenring aufgesetzt. Mehr Grün, eine klimasensitive und radfahrerfreundliche Planung sowie Kunst und Kultur im öffentlichen Raum wünschen sich tendenziell die Jungen. Bei den Älteren überwiegen konservativere, eher auf eine Behübschung abzielende Lösungen. Mit etwa 85 Prozent sei die Zustimmung zur vorgestellten Vision erfreulich hoch, so Carina Wenda. Im Februar werden die Ergebnisse präsentiert – in einer Ausstellung im öffentlichen Raum und digital. René Ziegler, wie Allmeier Partner bei Raumposition: „Wenn ich Menschen bitte, sich einzubringen, muss ich auch über die Ergebnisse informieren, schon allein als Zeichen der Höflichkeit!“

Beteiligung bedeutet Arbeit

Beteiligung bedeute auch Arbeit für jene, die sich beteiligen. „In Präsenzveranstaltungen reden oft stets die gleichen, womit hochgradig manipulative Situationen entstehen können. In digitalen Formaten werden auch andere Stimmen sichtbar“, benennt Allmeier Vorteile der Kommunikation im digitalen Raum. Obwohl niederschwelliger, seien sie allein nicht die Lösung, da atmosphärisch viel verloren gehe. An die 500 Personen haben sich eingebracht. So könne man besser verstehen, wo der Schuh drückt, und Politik wie Planung in der Marschrichtung bekräftigen. Bürgerbeteiligung sei nicht geeignet, Menschen zu bekehren, dämpft Ziegler allfällige Erwartungen, ebenso könne sie politische Entscheidungen nicht abnehmen oder planerische Kompetenz ersetzen. Sie schafft aber Verständnis für ein Thema und vermag die Komplexität einer Planungsaufgabe zu verdeutlichen.

Der Wunsch vieler, solche Tools öfter anzubieten, generiert Erwartungsdruck. Prinzipiell sei man dazu bereit, so Jens de Buck. Ob begrenzter personeller Ressourcen sei dies nur mit externer professioneller Begleitung möglich, was Kosten verursacht. „Partizipation muss früh, ehe es noch konkreten Planungsüberlegungen gibt, einsetzen.“ Ein weiterer Beteiligungsprozess steht jedenfalls bereits für den neuen Park auf dem ehemaligen Areal des Traditionsklubs FC Sturm 19 in den Startlöchern.

Wie sehr aus diesen ersten Ansätzen einer neuen Planungskultur robuste Lösungen hervorgehen, die gestalterisch und funktional europaweit präsentabel und nicht nur Schminke an der Oberfläche sind, wird sich weisen. Die richtig harte Arbeit – die Leitbilder mit allen anderen Instrumenten der Stadtplanung und der Arbeit des Gestaltungsbeirats gut zu verknüpfen – steht noch bevor. Mit guter Kommunikation gegenüber der Bevölkerung, sorgfältig vorbereiteten transparenten Wettbewerben und einem pfleglichen Umgang mit der reichlich vorhandenen wertvollen Substanz kann die Landeshauptstadt aus der duldenden Rolle in die Position des tonangebenden Vorbilds aufsteigen.

Spectrum, Di., 2021.01.12

16. Oktober 2020Franziska Leeb
Spectrum

Stadtflucht mit Zukunft

Ein Leben auf dem Land erscheint für viele wieder erstrebenswert. Doch welche Wirtschaftsmodelle und Baustrukturen vermögen es, das Bestehende so weiterzuentwickeln, dass auch Ansässige bleiben wollen? Dieser Frage stellen sich zwei Ausstellungen – in Graz und im slowenischen Grad.

Ein Leben auf dem Land erscheint für viele wieder erstrebenswert. Doch welche Wirtschaftsmodelle und Baustrukturen vermögen es, das Bestehende so weiterzuentwickeln, dass auch Ansässige bleiben wollen? Dieser Frage stellen sich zwei Ausstellungen – in Graz und im slowenischen Grad.

Der ländliche Raum sei Profiteur der Covid-19-Pandemie, ist allenthalben zu hören. Die Luft ist besser, das soziale Distanzhalten einfacher und das Konsumentengewissen beruhigt, wenn man die Eier ab Hof holt. Strukturschwäche der Landregionen werden die neuen Stadtflüchtigen nicht beheben; das Phänomen des erwachten Interesses am Land macht sie bloß sichtbarer.

Zwei Ausstellungen lenken in dieser Zeit, die eine Renaissance des Landlebens verspricht, den Blick auf Wege, dieselbe in Gang zu setzen. Das Haus der Architektur Graz zeigt in strohballendekoriertem Ambiente aktuelle Strategien für das Landleben von morgen. Eingestimmt von Monika Müllers Dokumentation „Landflucht“ über Abwanderung und Dörfer im Südburgenland, in denen die jüngsten Einwohner den 50. Geburtstag hinter sich haben, holen zehn internationale Beispiele neuer Denkansätze die Besucher wieder aus der mentalen Abwärtsspirale. In der Hügellandschaft der südchinesischen Provinz Songyang realisierte die Architektin Xu Tiantian mit der Bevölkerung Orte der Kultur, des lokalen Handwerks und der Begegnung. Mit geringem Budget wurde Ortstypisches weiterentwickelt und das Selbstverständnis der Gemeinden zum Positiven verändert. Im Dorf Pingtian wurden in einer bestehenden Gebäudegruppe eine Ausstellung über landwirtschaftliche Geräte und eine Blaufärberei eingerichtet und wurde demonstriert, wie mit lokalen Mitteln zeitgenössische Lösungen umzusetzen sind. Wenn Politik, Bevölkerung und Gestalter gut zusammenarbeiten, lässt sich vieles bewegen, so die Botschaft dieses Beitrags aus Fernost.

Dass baulicher Verfall nicht zwangsläufig ein Zeichen des Niedergangs ist, behauptet der US-amerikanische Wissenschaftler Jason Rhys Parry. Mit seinen aus aller Welt zusammengetragenen Beispielen von Ruinen, derer sich die Natur bemächtigt hat, zeigt er auf, dass Reste von Gebäuden als Biotop für Tiere und Pflanzen neuen Nutzen bekommen: ein Appell, bei der Planung neuer Gebäude zu bedenken, dass wir nicht nur für uns Menschen planen.

Einzelne Ortschaften dem Lauf der Natur zu überantworten wäre vermutlich in der Region Goričko eine leichte Übung. Im hügeligen Teil der Prekmurje, dem Übermurgebiet, gelegen, ist sie im Dreiländereck von Slowenien, Ungarn und Österreich Teil des trilateralen Naturparks Raab-?rség-Goričko. Die Kulturlandschaft ist von kleinteiliger Landwirtschaft geprägt. Meist erfolgt die Bewirtschaftung im Nebenerwerb, erklärt Stanka Dešnik, Landschaftsarchitektin und Direktorin des Naturparks Goričko. Die einst typische Milchwirtschaft ist fast verschwunden. Es breitet sich die Agrarindustrie aus, und mit zunehmendem Interesse österreichischer Bauern an Agrarland steigen die Preise, wodurch trotz Vorkaufsrechts lokale Kleinbauern chancenlos sind. Stanka Dešniks Büro befindet sich im Besucherzentrum des Nationalparks, Schloss Grad, einer ringförmigen Anlage, die auf einem Hügel über dem Dorf thront. Von September bis Anfang Oktober gaben sich neben Touristen Schulklassen, Unternehmer und Bürgermeister aus der ganzen Nationalparkregion die Klinke des Schlosstors in die Hand.

Groß war das Interesse an der Ausstellung „Goričko: Countryside revisited“, in der Studierende der Architektur aus Wien, Graz und Ljubljana ihre Semesterprojekte präsentierten. Unter Auslotung lokaler Potenziale lieferten sie auf hohem Niveau Beiträge zu neuen Formen des Lebens und Arbeitens in der Region und zeigten auf, wie Architektur, Natur und Kulturlandschaft einander zu befruchten vermögen.
Wir baut man auf dem Land? Diese Frage sei vielleicht in Vorarlberg geklärt, meint András Pálffy, für den das vergangene Semester sein letztes als Professor für Gestaltungslehre an der TU Wien war. „Im Zusammenwirken mit der Landschaft sind es oft historische Ensembles, die einen Ort charakterisieren und zur Identität der Region beitragen.“

Es gelte daher Antworten zu finden, wie man mit einer durch den Strukturwandel einer Erosion ausgesetzten Landschaft umgehen und sie wieder positiv besetzen könne. Gemeinsam mit Tina Gregorič, Professorin an der Abteilung Gebäudelehre, Professor Hans Gangoly aus Graz sowie Vasa J. Perović und Maruša Zorec, die beide eine Professur in Ljubljana innehaben, wurde parallel zu den Entwurfsseminaren ein umfassendes Begleitprogramm angeboten. In Exkursionen und Vorträgen erhielten die Studierenden Einblick in die Geschichte der Kulturlandschaft, in regionale Bau- und Handwerkstraditionen, nachhaltiges Bauen und bäuerliche Produktionsweisen. Sie befassten sich mit den Bauten und Skulpturen von Walter Pichler in St. Martin an der Raab im Burgenland und erhielten Know-how aus der Ziegelindustrie. Dieser ist es durch bereitgestellte Drittmittel zu verdanken, dass das umfangreiche Programm und die Ausstellung umgesetzt werden konnten. Vorgaben seitens der Geldgeber gab es keine, betont András Pálffy.

Spannendes zum Thema Ziegel, einem Baustoff, den laut Pálffy viele nicht mehr auf dem Radar haben, gab es dennoch zu sehen. Tina Gregorič stellte ihren Studierenden die Aufgabe, sich im Sinne der Kreislaufwirtschaft mit neuen Methoden der Ziegelherstellung, die ob der lehmigen Böden in der Region Tradition hat, zu befassen und eine Ziegelakademie für Grad zu entwerfen. Neue Flugasche in Kombination mit Abbruchmaterial ermöglicht das Aushärten der Ziegel ohne Verbrennungsprozess, somit mit minimierten CO2-Emissionen. Abfälle aus der Landwirtschaft wie Maisstroh oder Viehmist verbessern mechanische und thermische Qualitäten des Baustoffs. Maruša Zorec, die mit ihrem Büro Arrea die einfühlsame Renovierung von Schloss Grad verantwortet, hielt ihre Studierenden zum bewussten Umgang mit regionalen Materialien an, um inspiriert von den Bautypologien der Vergangenheit eine zeitgemäße Architektur zu entwickeln. Von Wohnformen für alte Menschen über touristische Infrastrukturen bis zu diversen Manufakturen und landwirtschaftlichen Gebäuden reicht das Spektrum der bearbeiteten Themen.

Für die Architektur bieten sich zahlreiche Aufgaben in diesem Themenfeld der Reaktivierung dörflicher Potenziale. Der Nachwuchs ist bereit – es braucht diesseits wie jenseits der Grenze noch das Bewusstsein, dass eine Stärkung des ländlichen Raums ohne Baukultur ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Spectrum, Fr., 2020.10.16

24. Juli 2020Franziska Leeb
Spectrum

Mehr Würde für den Sekt

Willi Bründlmayer leistete in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit – auch als Bauherr. Das neue Sekt-Rüttelhaus des Weinguts Bründlmayer in Langenlois etabliert einen neuen Bautypus und nimmt zugleich historische Bauelemente auf.

Willi Bründlmayer leistete in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit – auch als Bauherr. Das neue Sekt-Rüttelhaus des Weinguts Bründlmayer in Langenlois etabliert einen neuen Bautypus und nimmt zugleich historische Bauelemente auf.

Die Weinkellerei Bründlmayer baut auf dem historischen Keller der Vorfahren auf. Ein Rundgang durch den Betrieb in Langenlois ist eine Zeitreise durch die Geschichte und ein Lehrstück zur Tradition des landwirtschaftlichen Weiterbauens. Ökonomisch, funktionell und im Einklang mit der Landschaft. Das ist bei den heutigen Produktionsmethoden und Betriebsgrößen gar nicht so einfach. Für die temperaturkontrollierte Gärung in Stahltanks, die Reifung, Flaschenabfüllung, Lagerung und Vertriebslogistik sind die alten Presshäuser und Kellerröhren längst nicht mehr geeignet. Nachdem Willi Bründlmayer in den 1980er-Jahren den elterlichen Betrieb übernommen hatte, entschied er sich, auf ökologische Bewirtschaftung zu setzen. Ein Schritt, der damals ebenso wenig selbstverständlich war, wie einen Architekten für die Erweiterung des Weinguts zu engagieren.

Freund Helmut Hempel, der für Bründlmayer schon das Wohnhaus als passives Solarhaus plante, zeichnet für den Pionierbau der neuen österreichischen Weinarchitektur verantwortlich. Ein schlichtes weiß verputztes Presshaus, das unter Ausnutzung der Schwerkraft die schonende Verarbeitung der Trauben gestattete. Zeitgleich begann Bründlmayer 1989 Sekt nach traditioneller Methode, in aufwendiger Flaschengärung, herzustellen und stieß damit den Boom der heimischen Winzersekte an. Der zunehmende Erfolg und das Wachsen des Betriebes bedingten 2012 weitere Baumaßnahmen, erneut mit Hempel. Adlerschwingen gleich überspannt seither ein mächtiges Flugdach die Produktionsstätten, doch trotz großer Kubatur ist klar: Hier ging es nicht darum, einen Signalbau für einen Paradewinzer, sondern ideale Produktionsbedingungen zu schaffen und bestmöglich den Einklang mit Umgebung und Natur zu finden.

Mittlerweile ist sowohl beim Weinmachen als auch beim Weiterbauen die nächste Generation am Werk. Christian Prasser (CP Architektur) gestaltete zunächst den Schankbereich des Heurigenhofs im Stadtkern neu. Da der Architekt bereits vor Ort war, schien es sinnvoll, auch gleich das betrieblich notwendige Sekt-Rüttelhaus mit ihm zu besprechen. „Die passenden Ideen kamen sehr rasch, sodass beide Projekte unmittelbar hintereinander verwirklicht werden konnten, was glücklicherweise auch viele Fahrkilometer sparte“, so der Bauherr, der Prasser drei Vorgaben machte: Erstens sollte der Neubau niedrig bleiben, den Nachbarn nicht die Sicht verstellen und harmonisch von der dörflichen Struktur zum bestehenden Betriebsgebäude überleiten. Zweitens galt es möglichst energieautark ein kühles Klima für die edlen Tropfen bereitzustellen, und drittens sollten Baufirmen aus der Umgebung beauftragt werden.

Die Remuage, das Rütteln des Sekts, durch das die Hefe in den Flaschenhals sinkt, erfolgt in Großbetrieben meist maschinell. Das spart Zeit und Platz. Bründlmayer setzt dennoch auf Handarbeit. Ob man das schmeckt? „Eher nicht“, meint der Winzer, „aber es bringt dem Produkt mehr Würde, Respekt und Menschlichkeit entgegen.“ Kopfüber werden die Flaschen in die Löcher der dachförmigen Pulte aus Eichenholz gesteckt und zwei bis drei Wochen lang täglich ein Stück weitergedreht und steiler gestellt, bis beim Degorgieren der Hefepfropfen entfernt werden kann. Architekt Prasser entschied sich dafür, der Prozedur den passenden Rahmen in Form eines klassischen Presshauses zu geben. Um dessen Proportion zu halten, wurde das Volumen zweigeteilt, nach Osten mit einem Versatz versehen und mit einer vorgeblendeten, weiß geschlämmten Ziegelfassade mit abgetreppten Giebeln versehen. Die Neigung der zwei ziegelgedeckten Dächer lehnt sich an jene des parallel dazu liegenden Presshauses an, womit sich die Dachlandschaft des gesamten Anwesens langsam mit sich wiederholenden Formen in die Höhe entwickelt und ein stimmiges Ensemble entsteht. Das ganze Gebäude aus Ziegeln zu errichten wäre wegen der verkehrsbedingten Druckbelastung von der Straße nicht möglich gewesen, zudem liegt der Großteil des Bauvolumens im Untergrund. Die Hülle wurde also in Fertigteilbauweise aus Betonhohlwandelementen errichtet. Die erdberührten Wände des Sektlagers im Untergeschoß blieben ungedämmt, um die Erdkühle nach innen zu bringen. Darüber erhielt der Beton eine Kerndämmung.

Oben, in der zweischiffigen Halle, stehen die Rüttelpulte in drei Reihen. Die Eichenholzverkleidung an der Dachuntersicht nimmt das Material der Rüttelpulte auf, scheibenförmige Hängeleuchten sorgen für warmes Licht. Fast sakral mutet der Raum an. Mit einfachen Mitteln, ohne Schnickschnack, entstand ein Ambiente, das einem der Leitprodukte des Betriebes zur Ehre gereicht und jenen, die darin arbeiten, ein angenehmes Milieu bereitet. Weil jedes Öffnen der Tür und menschliche Körperwärme das konstant kühle Raumklima aus der Balance bringen würden, werden Besuchergruppen nicht ins Innere geführt. Sie erhalten Einblick durch die zwei Fenster an der Stirnseite, wo sich von außen ein Rollo hochfahren und das Licht aufdrehen lässt – ein kleiner Showeffekt. Dem Erhalt des Raumklimas dient auch die von durchlöcherten Holzschwertern, an denen man die Struktur der Rüttelpulte wiedererkennt, gegliederte Rankkonstruktion, deren Bewuchs die Südseite vor der Sonne schützt.

Erweitern oder neu bauen müssen viele Winzer. An den Ortsbildern der Weinbaugemeinden lässt sich ablesen, dass es ihnen oft schwerfällt, die notwendigen Kubaturen zu integrieren und eine formale Sprache zu finden, die den feinen Weinen, die landauf, landab gekeltert werden, gerecht wird. Viel mehr als so manch spektakulärer Bau anderer international renommierter Weinmacher kann das Weingut Bründlmayer ein taugliches Vorbild für eine Vielzahl kleinerer Betriebe sein. Auch die Stadt Langenlois wäre gut beraten, ihr baukulturelles Erbe besser zu pflegen. Nicht nur, wenn es um die historischen Bürger- und Winzerhäuser geht, sondern auch um den Siedlungswildwuchs im Zaum zu halten. So raubt dem Loisium und dem benachbarten Hotel von Steven Holl das stetig wachsende neue Siedlungsgebiet Neue Sonne längst die Ausstrahlung als solitäre Skulpturen in der Landschaft. „Liubisa“ lautet die älteste Form des Stadtnamens, „die Liebliche“ lautet dessen Deutung. Siedlungspolitische und architektonische Lieblosigkeiten sollte man sich schon deshalb nicht leisten.

Spectrum, Fr., 2020.07.24



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Sektrüttelhaus Bründlmayer

19. Juni 2020Franziska Leeb
Spectrum

Finesse ohne Firlefanz

Spektakuläre Normalität statt Effekthascherei, Lowtech-Angebote statt Extravaganzen: In der Siedlung MGG22 wird mit Erdwärme geheizt und gekühlt, der Wind bringt den Strom. So wohnt es sich klimaneutral in Wien-Stadlau.

Spektakuläre Normalität statt Effekthascherei, Lowtech-Angebote statt Extravaganzen: In der Siedlung MGG22 wird mit Erdwärme geheizt und gekühlt, der Wind bringt den Strom. So wohnt es sich klimaneutral in Wien-Stadlau.

Davon, dass die heutige Wiener Katastralgemeinde Stadlau einmal ein Marchfelder Bauerndorf war, merkt man heute auf den ersten Blick nicht mehr viel. Im historischen Zentrum beim alten Bahnhof zeugen noch ein paar Hakenhöfe von der ländlichen Vergangenheit. Südlich davon ist der neue Bahnhof als Umsteigeknoten zwischen Regionalzügen, S-Bahn und der nach Aspern verlängerten U-Bahn ein monströses Brückenbauwerk, das mit den Gleisanlagen und der Südosttangente gigantische Flächen beansprucht. Kein Bahnhofvorplatz, nur Asphaltwüste zwischen Brückenpfeilern; auf einem die vom Künstler Werner Feiersinger aus rotem Stahl geschmiedeten Umrisse des Brückenheiligen Johannes Nepomuk. Nicht ins Wasser wie Nepomuk, sondern in die Orientierungslosigkeit des Betonpfeilerwaldes fühlt man sich gestoßen. Vorbei an den Mehrgeschoßern an der U-Bahn landet man Richtung Mühlwasser bald im rural anmutenden Stadlau.

An der Mühlgrundgasse fühlt es sich zwischen Hecken von Einzelhäusern und landwirtschaftlichen Überbleibseln wie auf einer Weinviertler Hintaus-Gasse an. Eine Siedlung wie jene an der Kante zum Landschaftsschutzgebiet würde man sich in ländlichen Neubaugebieten auch wünschen. MGG22 heißt sie unpoetisch nüchtern. Wegen ihres Gebäudetechnikkonzeptes hat sie bereits das Interesse zahlreicher Besuchergruppen geweckt, denn hier wurde ein Modellprojekt für den Weg in eine CO2-neutrale und klimawandelresiliente Zukunft umgesetzt. Die Wohnungen werden mit Erdwärme nicht nur geheizt, sondern im Sommer auch gekühlt, wobei die Wärmepumpen mit Windenergie aus Überproduktion betrieben werden, die zudem im Beton gespeichert werden kann. Die klimafreundliche Technik ist unsichtbar – dem Wohnklima tut das gut, was man sieht.

Sieben Häuser und drei Plätze, gebaut auf drei Grundstücken in unterschiedlichem Besitz, geplant von drei Architekturbüros: Es ist nicht ganz einfach, die Gebäude den einzelnen Auftraggebern und Planern zuzuordnen. Es gibt weder Zäune zwischen den Grundstücken noch ein Wetteifern um die effektvollste Fassade. Das Auffallende ist die Einheitlichkeit. So ging es nicht um ein Nebeneinander möglichst auffälliger Solitäre, sondern um das Gestalten eines Siedlungskörpers um einen Siedlungsinnenraum. Initiator ist Norbert Mayr, Architekturhistoriker und Publizist, also üblicherweise einer, der Gebautes beurteilt. Mit einem 1000 Quadratmeter großen Grundstück aus Familienbesitz wurde ihm vor zehn Jahren die Verantwortung übertragen, mit dem Baugrund etwas Nützliches anzufangen, und so wechselte er aus der Perspektive des kritischen Beobachters in jene des Bauherrn. Früh war die Idee eines Gemeinschaftsgartens geboren, und Bebauungsszenarien für den eigenen als auch für die beiden benachbarten langen Flurstreifen wurden gewälzt. Separat wären sie kaum bebaubar gewesen, weil sich die Zufahrt schwierig gestaltet hätte. Also bildete man eine Grundbesitzergruppe und verständigte sich darauf, gemeinsam zu bauen und die Flächen zu einer sinnvollen Siedlungsstruktur aufzuteilen. Der gemeinnützige Bauträger Neues Leben erwarb das Stadtgrundstück, für einen Teil der Privatgründe wurde ihm das Baurecht erteilt. Mayr agierte bei zwei Häusern als Bauherr. Alle 160 Einheiten sind Mietwohnungen, fast ein Drittel davon gefördert, 20 nach den günstigen Konditionen des Smart-Wohnbauprogramms, 20 mit Eigentumsoption. Den über das ganze Areal verteilten günstigeren Wohnungen merkt man den geringeren Preis nicht an. Vielfältig auch die Wohnungstypen: In zwei gelangt man direkt aus dem Lift, andere haben zwei Eingänge, um bei Bedarf einen Arbeitsplatz extra zu erschließen, andere sind im Geschoß so organisiert, dass man sie zu einer Wohngemeinschaft verbinden könnte.

Die drei Architekturbüros – Sophie und Peter Thalbauer, Norbert Thaler & Ursina Thaler-Brunner und Alfred Charamza – verständigten sich auf eine möglichst einheitliche Architektursprache. Nur Thaler Thaler erlaubten sich mit einer zartrosa Fassade und roten Fensterrahmen beim Haus am Quartierseingang kleine Extravaganzen. Man setzte auf schlichte Baukörper, die sich einfachen Kategorisierungen wie Zeile oder Punkthaus entziehen und so angelegt sind, dass sie Platzbildungen ermöglichen. Drei quadratische Plätze liegen von winkelförmigen Gebäuden, Wegen und Durchgängen umspült in der Mittelachse. Im Zusammenspiel mit den beiden zur Mühlgrundgasse hin offenen Plätzen entstanden wohlproportionierte Freiraumsequenzen.

Dass man trotz zahlreicher Erdgeschoßwohnungen beim Durchschlendern nicht zur Voyeurin wird, ist der Freiraumgestaltung von Rajek Barosch Landschaftsarchitektur (Isolde Rajek, Oliver Barosch) zu danken, die mit von einer bemerkenswerten Vielfalt an Stauden und Sträuchern bewachsenen Rabatten zaunlos ausreichend Distanz zu den privaten Terrassen herstellt. Beraten vom Permakulturspezialisten Siegfried Tatschl, wurden sie nach dem Motto „Essbare Stadt“ bepflanzt. Neben Kräutern und Beeren wachsen Feigen, Felsenbirnen oder Exoten wie Indianerbananen und Szechuan-Pfeffer. Rankhilfen und eine moderierte Mieterbetreuung erleichtern es, das Konzept auf den Privatterrassen nach eigenem Gutdünken fortzusetzen.

Die von Obstbäumen (bald) beschatteten Plätze mit ihren sandigen Oberflächen sind wie Podien von den Wegen abgesetzt und mit locker arrangierten Stühlen und Tischen möbliert, was sie wie private Gärten wirken lässt. Im Süden schließt der mit der Wohnanlage mitfinanzierte Gemeinschaftsgarten „Stadtgemüse 22“ an, der auch benachbarten Stadlauern offensteht. Auf marketingtechnisch gut verwertbare Extravaganzen wie Schwimmbäder oder Wellnessräume wurde verzichtet, dafür aber vergleichsweise bodenständig sinnvollen Lowtech-Angeboten liebevolle Aufmerksamkeit zuteil – im großen Stil beim Energiekonzept und der Gartengestaltung, im kleinen mit Annehmlichkeiten wie schlichten Betonbänken oder Stühlen in den Eingangsbereichen. Man wünscht sich mehr von dieser spektakulären Normalität anstatt der normal gewordenen Effekthaschereien.

[ Zu einer Führung durch MGG22 laden Norbert Mayr und Peter Thalbauer am 28. Juni, Beginn 17 Uhr. Treffpunkt: Ecke Fahngasse/Mühlgrundgasse. ]

Spectrum, Fr., 2020.06.19



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MGG22

26. Mai 2020Franziska Leeb
Spectrum

Urban Gardening in Erlaa: Nicht pflanzen lassen!

Seit Herbst 2018 wurde Europas größtes Urban-Gardening-Projekt, „Erlaaer Flur“, in Wien-Liesing besiedelt. Wurden die ambitionierten Ziele erreicht? Ein Besuch im zweiten Frühling.

Seit Herbst 2018 wurde Europas größtes Urban-Gardening-Projekt, „Erlaaer Flur“, in Wien-Liesing besiedelt. Wurden die ambitionierten Ziele erreicht? Ein Besuch im zweiten Frühling.

Vor acht Jahren wurde in Liesing-Mitte Europas größtes Urban-Gardening-Projekt auf dem Areal „In der Wiesen Ost“ entlang des Helene-Thimig-Wegs südlich des Wohnparks Alt-Erlaa auf Schiene gebracht. In einer kooperativen Klausurplanung, zu der sich Magistratsvertreter, Bauträger, Architekten und weitere Experten fünf Tage lang außerhalb Wiens in Isolation begaben, wurde ein Grundkonzept für die über 1100 Wohnungen auf 7,7 Hektar umfassende Siedlung entwickelt. Als identitätsstiftendes Thema lag Urban Gardening auf der Hand, war das Areal doch seit über 100 Jahren von Gärtnereien bestimmt. Nicht bloß ein paar Pflanztröge sollten es sein, sondern ein Gesamtpaket, das die Beschäftigung mit der Natur ermöglicht und nachbarschaftliche Interaktion stimuliert.

Das Konzept bildete die Grundlage für einen Bauträgerwettbewerb, aus dem die Projekte für die fünf Bauplätze hervorgingen. Die Visualisierungen der Wettbewerbsbeiträge suggerieren, was gewünscht war: schattenspendende Bäume, wucherndes Grün auf den Balkonen und blühende Magnolien auf den Dachterrassen. Es ist das Los der Landschaftsplaner und Gärtner, dass das Resultat ihrer Bemühungen nicht unmittelbar zu sehen ist. Daher nun der Lokalaugenschein im zweiten Frühling. Es tut sich was in der mittigen Gasse. Menschen flanieren, Kinder spielen auf den Wiesen. In den Beeten an der Ostseite wird gejätet und gepflanzt. Es herrsche eine gute Stimmung, bestätigt eine Bewohnerin den Eindruck, dass hier vieles besser funktioniert als anderswo.

Am Quartierseingang empfängt der elegante Zwölfgeschoßer von Treberspurg & Partner mit einem großzügigen Foyer samt Vertikalbegrünung. Der von Weitem sichtbaren Schwarzföhre geht es im tiefen Erdkoffer auf der Dachterrasse sichtlich gut. Ein Baukasten an Pflanztrögen lässt die Balkonbänder zu Bühnen des privaten Gartelns werden. Die Rankpflanzen im Lichthof bleiben noch unter ihren Möglichkeiten. Die reflektierende Oberfläche, die das Sonnenlicht an einer Wand nach unten locken sollte, wurde eingespart. Die Architekten hoffen noch auf das Einsehen der Bauherrschaft (BWSG). Gemeinschaftsterrassen, die sich als doppelgeschoßige „Fenster“ an der Fassade abbilden, erhielten unterschiedliche Wandbegrünungen. An der einen wuchert rosa blühender Storchenschnabel, bei der anderen scheint die Bewässerung schon länger nicht zu funktionieren.

Oft sind es Lappalien, die ursprüngliche Absichten konterkarieren. Nicht auf allen Balkonen gibt es fixe Pflanztröge und Wasseranschlüsse, um die Pflege der privaten Balkongärten zu erleichtern. Die Konzepte der Landschaftsarchitekten, hier Batik, Plansinn, Carla Lo und Yewo, leiden darunter am meisten. Ja, den Errichtern wird vieles aufgebürdet. Sie müssen leistbare Mieten zustande bringen, zugleich steigen technische Anforderungen und die Ansprüche an die grüne Infrastruktur. Kathedralenartige Tiefgaragen tragen den Stellplatzwünschen der Bezirkspolitik Rechnung, obwohl die U-Bahn in Sichtweite ist und viele Plätze leer bleiben. Gespart wird am Finish, wo man es sieht, nicht dort, wo die Budgets unsichtbar im Untergrund versickern.

Mischeks Orangerie, ein Terrassenhauspaar mit einer Vielfalt an Wohn- und Freiraumtypen, entwarfen Vlay/Streeruwitz und Nerma Linsberger. In der von Vlay/Streeruwitz als grünes Wohnzimmer konzipierten Orangerie leisten vorerst nur wenige Pflanzen aus dem Fundus der Mieter der Erstbepflanzung mit Palmen und Orangenbaum Gesellschaft. Es scheint noch Anstöße zu brauchen, damit der Raum vom dekorativen Zwischenstück zu einem Aufenthaltsbereich wird. In der Realität viel besser als auf den Fotos kann das Gebäudepaar (Bauherr: Volksbau) von Sne Veselinović und Josef Weichenberger seine Qualitäten ausspielen. Die beiden Häuser teilen sich eine viergeschoßige Halle. Sie ist nicht nur das zentrale Erschließungsgelenk, sondern ein Durchhaus im besten Sinn, an das im Erdgeschoß ein Seminarraum, ein Spielraum und die Waschküche angelagert sind. Das Holz der Umrandung des Pflanzbeets wiederholt sich an den Brüstungsabschlüssen und trägt ebenso zum behaglichen Milieu bei wie die kleinteiligen mattgrauen Bodenfliesen mit Blumenornament. Auch an Pergolen über den Tisch-Bank-Kombinationen haben die Architekten gedacht; schade, dass Pflanztröge fehlen, aus denen sich Schattenspender an der Konstruktion hochranken könnten.

Ein Haus weiter (Architekten Superblock und M+S/Bauherren: Eisenhof/EBG) wird es formal blockhafter und höher. Superblock nehmen an den Gebäudeeinschnitten das Sonnengelb des Veselinović-Gebäudes auf, was für ein wenig gestalterische Kontinuität sorgt. Hier finden wir unter anderem eine Sporthalle und auf dem Dach richtige Gewächshäuser. Gegenüber bauten Synn mit dem Bauträger ÖVW ein sehniges Haus mit tiefen Balkonen. Die Holzverschläge unter der südlichen Auskragung harren noch ihrer Verwendung. „Marktraum/Tauschregal“ steht an der Tür, derzeit findet sich darin Gerümpel.

Von oben hübsch anzusehen ist die mittige Gasse. Im Durchgehen erweist sich das grafische Spiel aus rechteckigen Flächen eher als Versuch, die Leistungsschau der omnipräsenten Garagenentlüftungen zu entschärfen. Auf keinem der Wettbewerbsschaubilder gibt es sie, nun stehen sie da. Was nicht mehr da ist, ist der ursprünglich vorgesehene kleine Teich. Dafür gibt es ein Schwimmbad, das allen lange Zähne macht, die es nicht nutzen dürfen, denn es ist den Volksbau-Mietern vorbehalten – und das in einer Siedlung, die den Gemeinschaftssinn fördern will. Was hier fehlte, aber laut Volkmar Pamer, Zielgebietskoordinator für Liesing-Mitte und Projekt-Mastermind, helfe, die gesetzten Ziele zu erreichen, ist eine Qualitätssicherung samt Katalog, der verbindliche Ziele festhält. Wenn sich alle Involvierten regelmäßig treffen, um Probleme zu artikulieren und zu lösen, ließe sich so mancher Unsinn vermeiden – damit sich am Schluss niemand gepflanzt fühlt.

Spectrum, Di., 2020.05.26

17. April 2020Franziska Leeb
Spectrum

Normal wie in der Krise

Wenn das Zuhausebleiben ver-ordnet wird, zählt mehr als die Größe der Wohnung. Vom gemeinschaftlichen Projektieren im Rahmen von Baugruppen lässt sich einiges lernen, um nicht nur in Virenzeiten besser zu leben, sondern auch um der Klimakrise wirksam zu begegnen.

Wenn das Zuhausebleiben ver-ordnet wird, zählt mehr als die Größe der Wohnung. Vom gemeinschaftlichen Projektieren im Rahmen von Baugruppen lässt sich einiges lernen, um nicht nur in Virenzeiten besser zu leben, sondern auch um der Klimakrise wirksam zu begegnen.

Kurz bevor Covid-19 den Alltag veränderte und der Sturm auf die Supermärkte einsetzte, lief im Veranstaltungssaal des Gleis 21 der Film „Anders essen – Das Experiment“ von Kurt Langbein und Andrea Ernst. Es geht darin um den Flächenbedarf, der hierzulande entsteht, um den Nahrungsmittelkonsum einer Person zu decken und die Fläche durch bewussteres Ess-/Einkaufsverhalten zu verringern. 4400 Quadratmeter müsste dieses Feld groß sein, nur ein Drittel davon liegt im Inland, nur die Hälfte stünde uns zu, wären die Flächen gerecht verteilt. Zugleich geht ein Teil des Bodenverbrauchs zulasten landwirtschaftlicher Produktionsflächen auf das Konto unkontrollierter Siedlungsentwicklungen an den Ortsrändern. Im Zuge der Viruskrise werden längst bekannte und hartnäckig ignorierte Fakten wie die Flächenversiegelung und ihr Zusammenhang mit der Versorgungssicherheit auf einmal im Frühstücksfernsehen diskutiert.

„Das Dorf in die Stadt bringen“ heißt es in der Vision der Initiatoren des Gleis 21, des im Sommer 2019 bezogenen Wohnprojekts im Wiener Sonnwendviertel. Sie hatten dabei nicht verwaiste Ortszentren und wild wuchernde Siedlungsränder vor Augen, sondern Bilder vom guten Leben im solidarischen Miteinander. Die Idee für das selbst organisierte Baugruppenprojekt hatten Architekt Markus Zilker und der Prozessbegleiter Gernot Tscherteu vor sechs Jahren gehabt. Das von Einszueins Architektur geplante Wohnprojekt Wien im Nordbahnviertel, das für das von Zilker und Büropartnerin Katharina Bayer geführte Büro den Beginn einer erfolgreichen Karriere als Spezialisten für partizipativen Wohnbau bedeutete, war gerade fertig geworden. Ein weiteres Haus für eine Baugruppe in der Seestadt Aspern stand vor Vollendung, und die Lust war groß, selbst etwas zu initiieren.

Von den Mühen der partizipativen Projektentwicklung spürt man heute nichts mehr. Das Gleis 21 ist das am meisten einladend wirkende Haus im Quartier. Das liegt an charmanten Einzelheiten wie der mit offenem Bücherregal und Sitzbank möblierten Stirnwand. Oder am Holzbau, der aus Kostengründen zu scheitern drohte, aber dank der Kooperationsbereitschaft des Holzbauunternehmens, mit dem ein hochgradig vorgefertigtes Holz-Beton-Verbundsystem entwickelt wurde, doch Realität wurde. Vor allem liegt es an der Struktur des Hauses, die in Dialog mit dem Umfeld tritt. Zwei abgesenkte Höfe verschränken den öffentlichen Raum mit dem Untergeschoß, wo sich eine Musikschule angesiedelt hat. Im Erdgeschoß wird der Veranstaltungsbereich mit einem hochklassigen Programm bespielt. Neben den individuell geplanten Wohnungen gibt es ein Gästeapartment und vier Einheiten für Schutzbedürftige, die bei Bedarf einer angrenzenden Wohnung zugeschlagen werden können. Auf dem Dach bilden Gemeinschaftshaus, Bibliothek und Saunahaus den Rahmen für den Dorfplatz mit Aussicht: mehr als so manches Dorf zu bieten hat auf einer Fläche, die zwei Einfamilienhäuser verbrauchen würden.

Parallel zum Gleis 21 entstand in ländlicher Abgeschiedenheit ein weiteres Wohnprojekt nach Plänen von Einszueins. Es begann mit drei Städtern, die beschlossen, ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Ein ökologisches Leuchtturmprojekt hatten sie im Sinn, um in einer nach Einkommen, Beruf und Alter heterogenen Gruppe solidarisch Nachbarschaft zu leben und gemeinsamen statt individuellen Besitz zu schaffen. In Wien fand sich nichts Passendes, also verlegte man die Grundstückssuche ins Umland und wurde in Hasendorf am Rand des Tullnerfelds fündig, wo der Verein Wohnprojekt Hasendorf ohne Wohnbauförderung und Bauträger mit einem hohen Anteil an Eigenleistung den Holzwohnbau im Passivhausstandard in Angriff nahm. Aus der Ferne wie eine Kette aus sechs giebelständigen Reihenhäusern erscheinend, schmiegt er sich entlang der Dorfstraße an den Hang. Miteinander, nicht nebeneinander wohnen auf 1000 Quadratmeter bebauter Fläche 23 Erwachsene und 15 Kinder. Der Sockelbau und das Volumen unter den zwei nördlichen Giebeln werden kollektiv genutzt. Moderate 22 Quadratmeter stehen pro Person an individueller Wohnfläche zur Verfügung. Eng wird es aber nicht. Platz für Büroarbeit oder Sport findet sich in den gemeinschaftlichen Räumen, auch auf ein Backrohr verzichteten die meisten, gibt es doch eine gut ausgestattete Gemeinschaftsküche für größere Kochaktionen. Als gemeinsame Speis dient der Lagerraum der eigenen Foodcoop, die Bio-Lebensmittel en gros einkauft; sehr groß ist der Fahrradraum, klein der Platz für Autos, die geteilt werden. So kommt man auf unter 40 Quadratmeter pro Kopf, immer noch fünf weniger als der österreichische Durchschnitt. Ein Bewohnerpaar betreibt im Ort eine solidarische Landwirtschaft, die regionales Obst und Gemüse liefert.

„Es war nie unser Ziel, den Leuten das richtige Leben auf dem Land zu erklären, sondern hier in Harmonie mit der Dorfgemeinschaft zu leben“, betont Mitbegründer Maximilian Wollner. Der missionarische Anspruch hält sich also in Grenzen. Dennoch wäre es kein Schaden, würden sich die Akteure im geförderten Geschoßwohnbau vom Hasendorf abschauen, wie man Dichte und attraktive Freiräume vereint, größere Kubaturen in die Dorflandschaften einbettet, und mit welchen Inhalte gute Nachbarschaft stimuliert werden kann. Wenn es in Krisenzeiten „zu Hause bleiben“ heißt, ist das alles Gold wert. Im Wohnprojekt ergriff man unter der Leitung eines kleinen Krisenteams ähnliche Maßnahmen wie die staatlichen Autoritäten. Gemeinschaftliches ist auf das Notwendige reduziert, die sozialen Kontakte sind dennoch da. Dank der Foodcoop ist die Vorratskammer gefüllt, zusätzliche Einkäufe werden zweimal pro Woche erledig. Wird das gegenseitige Unterstützen auch im Normalmodus praktiziert, ist es in der Krise nichts Besonderes.

Spectrum, Fr., 2020.04.17

06. März 2020Franziska Leeb
Spectrum

Passiv passiert anderswo

In der Salzburger Altenpflege setzt man auf das Hausgemeinschaftsmodell: Den Altbestand der früheren Vereinigten Versorgungsanstalten ergänzt nun das Seniorenwohnheim Nonntal. Umgesetzt von den Villacher Architekten Gasparin und Meier.

In der Salzburger Altenpflege setzt man auf das Hausgemeinschaftsmodell: Den Altbestand der früheren Vereinigten Versorgungsanstalten ergänzt nun das Seniorenwohnheim Nonntal. Umgesetzt von den Villacher Architekten Gasparin und Meier.

Euphorisch rühmte das „Salzburger Volksblatt“ anlässlich der Eröffnung im Jahr 1898 die Vereinigten Versorgungsanstalten der Stadt Salzburg in Nonntal: „Jeder, der dieses neue Denkmal der Humanität und des Culturfortschrittes Salzburgs je betreten hat, wird mit uns der Überzeugung sein, daß weit und breit in den Landen herum kein Heim gefunden werden kann, in welchem das Alter nach einem Leben voll Arbeit seine letzten Lebenstage so behaglich verbringen kann, als in diesem Hause.“ Der klösterlich anmutende Bau mit Kapelle an der Karl-Höller-Straße entstand nach einem Entwurf von Franz Drobny, damals Architekt im städtischen Dienst, später Stadtbaudirektor in Karlsbad und Rektor der Technischen Hochschule Graz. Über ein Jahrhundert lang wurde das Gebäude immer wieder an sich ändernde Pflegekonzepte angepasst – bis es nicht mehr ging. Heute sind nicht nur die Ansprüche an den Wohnkomfort höher, sondern auch die Menschen, die institutionelle Pflege in Anspruch nehmen, älter – im Schnitt über 80 – und dementsprechend stärker pflegebedürftig. Da im denkmalgeschützten Bestand, das in Salzburg seit der Neuausrichtung sämtlicher Seniorenheime der Stadt favorisierte Betreuungsmodell in Hausgemeinschaften schwer realisierbar gewesen wäre, schrieb man einen ein Wettbewerb für einen Neubau an der Rückseite aus, bei dem die Villacher Architekten Sonja Gasparin und Beny Meier reüssierten. Im Altbau werden derzeit geförderte Wohnungen errichtet.

„Das geforderte Raumprogramm war für die Situation sehr groß, daher ging es uns darum, das Volumen aufzulösen“, begründet Sonja Gasparin das Konzept des offenen Ensembles. Zwei im Grundriss tropfenförmige und durch ein Erschließungsgelenk verbundene Häuser stellten sie also wie einen Pavillon ins Zentrum des zum Grünraum hin offenen Hofes. Vor Ort erstaunt, wie klein der Neubau wirkt. Um ein ausladendes Erdgeschoß und zu große Nähe zum Bestand zu vermeiden, riskierten es die Architekten, entgegen der Vorgaben etwas höher als bis zur Traufhöhe des Bestandes zu bauen, und setzten zudem den Baukörper in eine leichte Senke. „Der Neubau darf den Bestand nicht schlechterstellen“, so ihre Devise; die künftigen Wohnungen im alten Gemäuer sollten durch das Pflegewohnhaus den Bezug zum Park nicht verlieren. Über dem Erdgeschoß, das Verwaltung, Therapieräume, Cafeteria und Mehrzwecksaal aufnimmt, kragen vier Wohngeschoße aus und geben den Freibereichen rundum Witterungsschutz.

Ähnlich einem Haushalt basiert das Hausgemeinschaftsmodell auf der Idee eines Zusammenlebens in einem wohnlichen Milieu. „Die Pflege steht nicht mehr so im Vordergrund“, betont Pflegedienstleiterin Heidi Hager. Wer noch kann, übernimmt leichte Hausarbeiten und ist damit nicht zur Passivität verdammt. Zwölf Personen leben im konkreten Fall in einer Hausgemeinschaft. Die notwendigen Pflegeleistungen werden nach individuellem Bedarf von qualifiziertem Pflegepersonal übernommen. Als fixe Bezugspersonen, die quasi den Haushalt führen, sind Alltagsmanager eingesetzt. Sie sorgen auch für die Zubereitung der täglichen Mahlzeiten in den Wohnküchen. Diese gemeinschaftlichen Zentren jeder der acht Einheiten orientieren sich jeweils zu großen überdeckten Gemeinschaftsterrassen, die gartenseitig in der Mittelachse auskragen, und denen nach innen jeweils ein kleines Wohnzimmer vorgelagert ist. Verglast und mit Vorhängen als intimere Rückzugsorte gestaltet, werden sie auch vom Personal gern für kleine Auszeiten im fordernden Pflegealltag genutzt. Zudem verfügt jede Hausgemeinschaft über eine kleinere Loggia als Rückzugsort im Freien. Dazwischen sind die individuellen Einheiten für jeweils eine Person so aufgefächert, dass über Erkerfenster mit niedrigem Parapet für einen weiten Blickwinkel nach außen – ins Grüne, zu den Salzburger Hausbergen und zur Festung – gesorgt ist. Im Kern jeder Geschoßhälfte sind einerseits an strategisch günstiger Stelle die Pflegestützpunkte und diverse Nebenräume zu Inseln gruppiert. Zum anderen ist jeweils ein Atrium eingeschnitten, das zusätzlich Licht in die Gebäudemitte bringt. Dass damit auch für Blickverbindung zwischen den Geschoßen gesorgt ist, bereichert den Spaziergang um Rauminsel und Atrium in Achterschleifen, der besonders für demente Bewohner mit Orientierungsschwierigkeiten und hohem Bewegungsdrang ein wichtiger Beitrag zum Wohlbefinden ist.

Sehr individuell, geprägt von der Handschrift der Betreuer und ihrer Anvertrauten, wird in den Kleineinheiten der Alltag gelebt. Eines aber zieht sich durch das ganze Haus: eine hochwertige, auf Details bedachte Gestaltung, bei der das „Altenspezifische“, das die Erfordernisse und Vorschriften in Hinblick auf Sicherheit und Hygiene unumgänglich mit sich bringt, im Hintergrund bleibt. Von hoher Güte sind Material-, Farb- und Möblierungskonzept. Das beginnt an der Fassade, die im Wechselspiel von putzähnlichen Plattenverkleidungen und metallischen Fassadenelementen beim nördlichen Gebäudeteil etwas heller als beim Südtrakt gestaltet wurde, was zur feingliedrigen Wirkung beiträgt. Dort, wo Außenwände an Aufenthaltsräume im Freien treffen – am Sockelgeschoß, im Atrium und bei den Loggienwänden –, kam Glasmosaik zum Einsatz, dessen Farbigkeit an eine Blumenwiese erinnert. Hochwertiges wie Pietra Piasentina – ein weiß geaderter braungrauer Kalkstein – in den zentralen Erschließungsbereichen und sonst fast überall Holzböden sorgen für einen robust-eleganten Hintergrund. Das Mobiliar ist bei aller gebotenen Zweckmäßigkeit dennoch wohlgestaltet.

Komplettiert wird das wohnliche Ambiente durch das Orientierungssystem der Künstlerin Ingeborg Kumpfmüller, das mit Textsequenzen und kleinen Wandskulpturen angereichert optisch und haptisch stimulierend wirkt. Die Freiflächen haben Auböck und Karasz so gestaltet, dass sie ohne spürbare Grenzen in den bestehenden Grünraum übergehen. Das heute gern beschworene „Altsein in Würde“ wird im Seniorenwohnhaus Nonntal nicht nur durch das Pflegekonzept unterstützt, sondern auch vom kultivierten erwachsenen Habitus der Architektur. Die in ähnlichen Einrichtungen oft so vordergründig spürbare verhätschelnde und verniedlichende Attitüde eines Kindergartens für Alte vermisst man hier auf wohltuende Weise.

Spectrum, Fr., 2020.03.06



verknüpfte Bauwerke
Seniorenwohnhaus Nonntal

24. Januar 2020Franziska Leeb
Spectrum

Griss um die alten Fliesen

Die Werkserie „Nine Buildings, Stripped“ von Andreas Fogarasi erzählt in unsentimentaler Konzentriertheit von Transformationen des Stadtbilds. Fragmente nicht mehr existenter Bauten werden mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte kontrastiert. Aktuell zu sehen in der Kunsthalle Wien.

Die Werkserie „Nine Buildings, Stripped“ von Andreas Fogarasi erzählt in unsentimentaler Konzentriertheit von Transformationen des Stadtbilds. Fragmente nicht mehr existenter Bauten werden mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte kontrastiert. Aktuell zu sehen in der Kunsthalle Wien.

Ein Stück gekantetes Aluminiumblech, darüber eine glattes eloxiertes Alupaneel, eine Steinzeugfliese und ein Stück Granit; zusammengehalten wird alles von einem Stahlumreifungsband, wie man es zur Sicherung von Palettenladungen verwendet. Der Künstler Andreas Fogarasi sichert solcherart Fragmente von Oberflächen nicht mehr existenter Bauten zusammen mit Materialmustern ihrer Nachfolgeprojekte. Das beschriebene Paket komprimiert auf 166 mal 125 mal 67 Zentimetern zwei Erscheinungsbilder des Gebäudes der einstigen Pensionsversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft auf der Wiedner Hauptstraße in Wien. Mit dem Wandel zur Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) und jüngst zur Sozialversicherung der Selbständigen (SVS) veränderte sich auch das Äußere.

Andreas Fogarasi wohnt im Viertel. Der Beginn der Umbauarbeiten gab vor zwei Jahren die Initialzündung für eine Werkserie, die sich der Veränderung der Oberflächen von Gebäuden und damit der Transformation der Stadt widmet. „Nine Buildings, Stripped“ lautet der Titel der Ausstellung in der Kunsthalle Karlsplatz, kein zufälliger Ausstellungsort. Als provokanter gelb-blauer Blechcontainer abgetragen und 2002 als schnittiger Glaspavillon wiederauferstanden, beide als Provisorium geplant. Das erste blieb zehn Jahre statt vier, das zweite hat bald das Doppelte der prognostizierten zehn Lenze auf dem Buckel. Die beiden Bauten von Adolf Krischanitz sind ein Beispiel dafür, dass etwas sehr Gutem ebenso Gutes anderes folgen kann, ohne Verlustgefühle zu hinterlassen. So geht Weiterentwicklung, so wird Hoffnung geschürt, dass alles besser werden kann.

Neun Fallbeispiele – von der Opernpassage bis zum Rinterzelt – sind Thema der Ausstellung. Andreas Fogarasi hat entweder während des Abbruchs von der Baustelle Originalmaterialien vor der Entsorgung gerettet oder sie von Sammlern, Bauherren, Baufirmen oder Architekturbüros zur Verfügung gestellt bekommen. Am meisten bedauern Besucher den Verlust des Gründerzeithauses in der Hackengasse, erzählt der Künstler. Es war ein unscheinbares Haus zwischen Umspannwerk Schmelz und einem Möbelhaus. Um die Jahrhundertwende war hier die Hutfabrik Egidius Klenz ansässig, ab 1909 die Ebreichsdorfer Filzhutfabrik S. & J. Fraenkel, dann die NSDAP-Ortsgruppe Neubaugürtel.

Fogarasi ergatterte ornamentierte Zementfliesen und ein Stück Gusseisengeländer. Dazu collagiert er die Materialien des Nachfolgebaus, der dieses Jahr in Angriff genommen wird: ein Sechsgeschoßer mit Putzfassade, Metallelementen und 35 Wohnungen, geplant von Malek Herbst Architekten, lässt sich dem Begleittext von Wojciech Czaja im Ausstellungs-Booklet entnehmen. Das Material des Vorgängers lebt im Kunstwerk weiter, vielleicht auch auf anderen Baustellen; um die historischen Fliesen herrscht ja ein ziemliches Griss. Nachgetrauert hat man 1970 auch den beiden Häusern in der Wiedner Hauptstraße 84 und 86, die von Alois Ignaz Göll und Andreas Lechner in den Jahren 1826/27 für den Seidenfabrikanten Johann Georg Hartmann errichtet worden waren. Ende der 1960er-Jahre erwarb die Baufirma Adalbert Kallinger die Liegenschaften, die Umwidmung machte 1970 den Weg frei für den Bau des zehngeschoßigen Versicherungsgebäudes von Carl Appel (1911–1997), dessen gut beschäftigtes Büro das Baugeschehen der Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre stark prägte. Obwohl es ein drastischer Eingriff ins Stadtbild war, ließen sich Qualitäten erkennen. Die an eine grobe Putz- oder Rindenstruktur erinnernde Reliefierung der fünf Millimeter starken Parapetbänder ist ein Entwurf des Metallkünstlers Hellmuth Gsöllpointner. Sie entschärfte die Brutalität des Kolosses und verlieh ihm ein Gesicht und Plastizität. Im Hohlraum wurden die Versorgungsleitungen geführt, das Hervorspringen aus der Fensterebene sollte die Sonneneinstrahlung mindern.

Zwecks Generalsanierung des Gebäudekomplexes lobte 2016 die SVA ein Verhandlungsverfahren zur Findung eines Generalplaners aus. Die Architektenkammer kritisierte, dass die hohen Anforderungen hinsichtlich Mindestumsatz und Höhe der Berufshaftpflichtversicherung den Kreis potenzieller Teilnehmer auf weniger als 0,1 Prozent der Kammermitglieder einschränken würden. Die Pointe: Die Berufsgruppe der Architekten wurde nach einigen Jahren in die SVA eingegliedert. Drei Büros bewarben sich, der Zuschlag ging an die Arbeitsgemeinschaft ATP Wien Planungs GmbH/Hinterwirth Architekten. Das Gebäude wurde völlig entkernt, die Fassade demoliert und laut Beschreibung der Architekten „das äußere Erscheinungsbild zeitgemäß und freundlich gestaltet“. Beige eloxierte Aluminiumpaneele glätten das Gesicht der robusten alten Dame wie zu dick aufgetragenes Camouflage-Make-up. Dabei ist ihre Materialstärke viel geringer als die der Gsöllpointner-Bleche. Ein vorgehängtes Raster aus weißen Balken und unterschiedlich dimensionierten Streben versucht aufzufrischen. Welch rhythmischer Systematik er folgt, ist nicht zu erkennen, Horizontalgliederung und Plastizität der Fassade gingen völlig verloren. Auf die Wandskulptur sind über das alte und neue Aluminium eine dünne Keramikfliese und ein vier Zentimeter dickes Stück Granit geschnallt. Welches der beiden von der alten Sockelverkleidung stammt, errät man leicht. In Zeiten klammer Kassen und gebotener Ressourcenschonung ist es richtig, den Materialeinsatz zu minimieren. Dass alles billig ausschauen muss, gebietet hingegen keine Klimastrategie.

Andreas Fogarasis Arbeit ist sachlich, nicht wertend oder plakativ anklagend. Das Dokumentarische steht im Vordergrund, die politisch-kritische Dimension ist dennoch präsent. Es werden Fragen losgetreten, nach dem Umgang mit dem kulturellem Erbe, dem heute Angemessenen und Richtigen, der Botschaft von Werkstoffen, unserem Anspruch an die Haptik und Ästhetik jener Materialien, die den Stadtkörper bilden und unsere öffentlichen Räume umranden. Bei den neun Skulpturen der Ausstellung wird es nicht bleiben, weitere Arbeiten und damit neue Fallbeispiele, die (Um-)Denkprozesse auszulösen vermögen, sind geplant.

[ Die Ausstellung „Nine Buildings, Stripped“ ist noch bis 2. Februar in der Kunsthalle Wien zu sehen, www.kunsthallewien.at ]

Spectrum, Fr., 2020.01.24

07. Dezember 2019Franziska Leeb
Spectrum

Gemütlich wie eine Dorfschule

Der neue Bildungscampus Berresgasse in Wien-Donaustadt: eine regelrechte Bildungsburg für 1100 Kinder. Anonym und unübersichtlich? Fehlanzeige! Dank schlauer Gliederung keineswegs.

Der neue Bildungscampus Berresgasse in Wien-Donaustadt: eine regelrechte Bildungsburg für 1100 Kinder. Anonym und unübersichtlich? Fehlanzeige! Dank schlauer Gliederung keineswegs.

Wie ein Gebirge von einem anderen Planeten türmt sich Wiens jüngster Bildungscampus knapp an den Überbleibseln des einstigen Bauerndorfes Breitenlee und dem typischen Siedlungshäuser-Wildwuchs an der städtischen Peripherie auf. Mit den in Sichtweite befindlichen Plattenbauten von Oskar und Peter Payer zwischen Ziegelhofstraße und Quadenstraße aus den 1970er-Jahren kann es die Schule größenmäßig aufnehmen, kontrastiert dazu aber mit ihrer Fassade aus Holz, der verschiedene Fensterformate sowie der Wechsel von senkrechter und waagrechter Beplankung ein lebendiges Erscheinungsbild verleihen. Dank seiner Gliederung und Feinkörnigkeit gelingt es dem von PSLA Architekten geplanten Gebäude, die Maßstäbe der Siedlungswelten zu verbinden. Die Verbindung von Lernen und Freizeit für Kinder von null bis vierzehn an einem Standort ist seit rund zehn Jahren das Ziel des Wiener Campusmodells. In der Zwischenzeit wurde das Konzept zum „Campus plus“ weiterentwickelt. Dabei geht es darum, den pädagogischen Betrieb und die Freizeitgestaltung der verschiedenen Bildungsstufen stärker miteinander zu verschränken, um gegenseitiges Lernen zu fördern und den Kindern den Übergang von einer in die andere Stufe zu erleichtern.

Nicht nur die Bildungsstufen gut zu vernetzen war Lilli Pschill und Ali Seghatoleslami ein Anliegen, sondern auch die Schule bestmöglich in das Quartier zu integrieren und daher das Schulareal so wenig wie möglich von der Umgebung abzugrenzen. Ein großer Vorplatz mit diversen Angeboten für Spiel und Aufenthalt hält Abstand zur künftigen Bebauung, kein Zaun grenzt ihn ein. Aber selbst Teile der abgegrenzten Schulspielplätze sind außerhalb der Betriebszeiten öffentlich zugänglich und sorgen dafür, dass der Begriff „offene Schule“ kein Schlagwort bleibt.

Wie klug eine Schule städtebaulich angelegt ist, interessiert ein Kind, das erstmals Kindergarten oder Volksschule besucht, wenig. Es möchte nicht verloren gehen in der Masse der allmorgendlich ankommenden Kinderschar und verlangt nach Geborgenheit. Daher wird der Haupteingang von zwei weiteren Eingängen flankiert, von denen Stiegenhäuser direkt in die Cluster von Kindergarten und Volksschule führen. Ebenerdig kommen in einem rechtwinkeligen Sockelgeschoß jene Funktionen zu liegen, die von der gesamten Campusgemeinschaft genutzt werden respektive unkompliziert für externe Besucher erreichbar sind. Nächst dem Haupteingang liegt der für eine größere Raumhöhe abgesenkte Veranstaltungssaal. Ebenfalls zum Vorplatz hin orientieren sich die Büros der Verwaltung, zur Gartenseite Küche, Speisesaal, Werksäle und Therapieräume. Auch die Kleinkindergruppen und Förderklassen sind auf raschem Weg zugänglich im Erdgeschoß untergebracht. Das grafische Motiv, aus dem der Durchlaufschutz an den Glasflächen gebildet ist, gibt Auskunft über die Organisation der Grundrisse in den Obergeschoßen. Eine dreiflügelige Form – die Architekten nennen sie „Sternchen“ – nimmt die zu Clustern gruppierten Bildungsräume auf. Im ersten und zweiten Obergeschoß sind sie zu kleinen zweigeschoßigen Häusern im Haus arrangiert. Dort angekommen, verfliegt sofort jeglicher Spundus, den man vor einem so großen Gebäude haben kann, wenn man noch klein ist. Eine Treppe und ein zentrales Atrium verbinden die untere Ebene des Kindergartengruppen und die obere der Volksschule. Zahlreiches Mobiliar wurde für diverse Spiel- und Lernszenarien maßgeschneidert, jede Ebene wie ein Dorfzentrum als Gruppierung kommunizierender Gefäße konfiguriert. Die Rückzugs- und Arbeitsräume der Pädagoginnen sind nicht in einem Verwaltungstrakt fernab untergebracht, sondern mittendrin, womit innerhalb des großen Gesamtkomplexes autonome Organisationseinheiten entstehen, die klein, übersichtlich und gemütlich wie eine Dorfschule wirken. Raumhohe Edelstahlnetze gewähren ungehinderten Durchblick zwischen dem Platz unten und der Galerie; Vorhänge erlauben es, den Grad an Sichtverbindung zu regulieren. Unterstützt vom Farbkonzept in Beige-, Rosé- und Blautönen und der von geölten oder unbehandelten Holzoberflächen dominierten Materialsprache, gelang ein alle Sinne stimulierendes Setting, das Gemeinschaftsgefühl wirksam werden lässt und eine gute räumliche Basis für die Zusammenarbeit über die Geschoße und Bildungsstufen hinweg bildet.

Im obersten Geschoß, das der Neuen Mittelschule vorbehalten ist, findet sich diese Raumgeometrie wieder, hier allerdings auf einer Ebene. Drei Klassenzimmer, nach neuer Sprachregelung „Bildungsräume“, sowie diverse Sonderunterrichtsräume wie für den EDV-, Physik- oder Musikunterricht sind um die gemeinsame multifunktionale Mitte gruppiert und jeweils zwei solche Einheiten zu einem Bildungsbereich gepaart. Zwei Typen von Bildungsräumen gibt es: einen rechteckigen mit 78 Quadratmetern und einen quadratischen mit 60 Quadratmetern, der um einen Appendix mit 18 Quadratmetern erweitert ist. So lassen sich unterschiedliche pädagogische Bedürfnisse und Unterrichtsszenarien recht vielfältig gestalten. Von zwei Seiten sind die Räume belichtet – über tief liegende Fenster mit vorgelagerten Sitz- und Liegeflächen und höher angeordneten, die den Himmel hereinholen. Die Regale sind an den Außenwänden angebracht, wodurch die Kinder ganz beiläufig beim Abstellen ihrer Materialien den Blick ins Freie mitgeliefert bekommen.

Die Verbindung ins Freie ist ein weiteres großes Thema des Campus. Aus jedem Bildungsbereich gibt es direkten Zugang auf eine große, teilweise überdeckte Terrasse mit altersgerechtem Equipment für eine abwechslungsreiche Unterrichts- und Pausengestaltung an der frischen Luft. Große Hochbeete sind mit befestigten Wegen erschlossen, die den Kleinen das Eintauchen ins Grüne erleichtern. Außentreppen verbinden die von EGKK Landschaftsarchitektur ideenreich gestalteten Freiräume über die Geschoße hinweg und führen in den Garten, der mit Spielplätzen und Sportmöglichkeiten für alle Altersgruppen, Rückzugs- und Therapiegärten sowie Wasserspielen aufwartet. Für das Gelingen einer ganztägigen Schulform stellt die Schularchitektur ein wesentliches Kriterium dar, betont der Nationale Bildungsbericht 2018. Der Bildungscampus Berresgasse liefert dazu ein gebautes Leitbild.

Spectrum, Sa., 2019.12.07



verknüpfte Bauwerke
Bildungscampus Berresgasse

09. November 2019Franziska Leeb
Spectrum

Beauty beim Bauen!

Schön, im Einklang mit der Umgebung und ihren Nutzern, nachhaltig in mehrfacher Hinsicht und ein Vorbild für andere Bauherren: Das sind die Sieger des Bauherrenpreises 2019.

Schön, im Einklang mit der Umgebung und ihren Nutzern, nachhaltig in mehrfacher Hinsicht und ein Vorbild für andere Bauherren: Das sind die Sieger des Bauherrenpreises 2019.

Einfamilienhaussiedlungen, die wie unheilbare Geschwüre aus den Siedlungskörpern der Dörfer herauswachsen, vom Immobilienrausch überformte Dachlandschaften in den Städten, mit hilflos kreativen Färbelungen unterteilte styroporverpackte Fassaden, vom Wettrüsten der Skigebiete verschandelte Landschaften, der Wildwuchs an Werbeflächen und Stadtmobiliar, außerhalb der Geschäftszeiten brachliegende Parkplätze der Gewerbeparks, die Kaufkraft und Leben aus den Ortszentren abziehen: Haben wir uns schon daran gewöhnt? Fragen wir uns noch, wer das verantwortet? Ist uns bewusst, dass diese Hässlichkeiten ökologische und ökonomische Auswirkungen haben?

2342 Kilometer war die Jury – Donatella Fioretti, Andreas Cukrowicz und Albert Kirchengast – des von der Zentralvereinigung der Architekten ausgelobten Bauherrenpreises durch Österreich unterwegs. Im Vergleich mit der Masse der Bausünden und baukulturellen Problemfälle schnitten wohl alle der zu beurteilenden Bauten gut ab. Besser als gewohnt ist nicht zwangsläufig gut. Architektonisch vorbildliche, innovative Projekte waren gefragt, die einen Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten, und selbstverständlich ist das hohe Engagement der namensgebenden Bauherren eine Bedingung für die Zuerkennung des Preises. Da fällt das Anlegen der Maßstäbe nicht immer leicht. In kleinen Gemeinden stehen selten kommunale Bauaufgaben an; entsprechend ungeübt sind die Verantwortlichen. Wenn es gelingt, im neuen Kindergarten die Raumsituation für Pädagoginnen und Kinder eklatant zu verbessern, den Energiebedarf zu senken und mit möglichst unbedenklichen Materialien zu bauen, ist es oft schon eine große Leistung. Soll man hier also weniger streng sein als bei routinierten Auftraggebern? Nein! Sonst würde man das Mittelmaß als Vorbild etablieren.

Diese Vorbilder braucht es besonders im ländlichen Raum. Dort, wo zwei Drittel der österreichischen Bevölkerung wohnen und zugleich Ortskerne veröden, ist Baukultur oft noch ein Fremdwort und werden Planer, die sich kritisch mit örtlichen Problemfeldern befassen, als Quertreiber wahrgenommen. Umso wichtiger ist es also, jene Bauherren im ländlichen Raum vor den Vorhang zu bitten, deren Leistungen exemplarisch wirken können. So wie Hubert und Diana Huemer, die im Hausruck Wagyu-Rinder züchten und sich für die Tiere einen Stall in traditioneller Holzbauweise wünschten, in dem der japanische Ursprung der Rasse anklingt. Architekt Herbert Schrattenecker, für den der Stallbau Neuland war, orientierte sein architektonisches Konzept an den Stallbewohnern: wie das Wagyu-Rind selbst sicher auf dem Hang stehend, etwas geduckt, mit starkem Körper auf festen Beinen und dennoch weich und beweglich. Das Holz stammt von Fichten und Tannen aus der Region, wurde kernfrei geschnitten, um Rissbildungen vorzubeugen, und so eingesetzt, dass die Konstruktion traditionelles Zimmermannswissen und die Möglichkeiten des Materials ausschöpft. Bis zu neun Meter lang sind die Balken, die zu einer schützenden Behausung gefügt wurden. Die statische Aussteifung erfolgt über das Dach und das obere Tragwerk, um den Rindern maximalen Bewegungsraum und dem Traktor die Durchfahrt zu gestatten. Voneinander abgesetzte, überlappende Dachflächen sorgen für Durchlüftung, die Verglasung des Firstes und der Giebel mit echtem klarem Glas statt mit transluzentem Kunststoff lässt das Tageslicht ungetrübt über die ganze Länge einfallen. Die Bauherren rühmen die „Erfahrung, Besonnenheit und aufrichtige Art“ des Architekten, der somit seine Zunft für Bauaufgaben empfiehlt, die schon längst Katalogware geworden sind. Mit viel Eigenleistung und dem Mut, Außergewöhnliches zu wagen, ermöglichte die Bauernfamilie eine Architektur, die den Ansprüchen einer modernen, nachhaltigen Landwirtschaft vortrefflich gerecht wird.

Lokale Denk- und Bauweisen übernehmen und etwas Neues schaffen, das mit unserer modernen globalisierten Welt im Einklang steht, das gelang auch bei den zwei weiteren Preisträgern in ländlicher Umgebung. Im burgenländischen Weingraben war auf dem Hof der Großmutter vom Ehemann der Enkelin schon länger Schnaps gebrannt worden, und so reifte bei Elisabeth und Claus Schneider der Wunsch, auf dem Grundstück ein Domizil für die eigene Familie zu errichten. Mit Architekt Jury Troy, Vorarlberger wie der Bauherr, aber schon lange in Wien ansässig und mit den Bautraditionen Ostösterreichs vertraut, wurde der Streckhof weitergebaut. Hinter der Scheune, die zur Schnapsbrennerei umfunktioniert wurde, entstand das neue Haus neben dem Nachbarstadel. Zwischen halbmeterdicken seitlichen Ziegelwänden ein Holzbau, verputzt mit ungefärbtem Kalkzementputz, schlicht und unprätentiös in der Sprache der Region. Raumhohe breite Fenster mit vorgelagerten Loggien sorgen für viel Bezug zum Freien, im ungenutzten Zustand machen Faltschiebeläden aus Holz das Haus blickdicht. Mit naturbelassenen Materialien aus nachwachsenden Rohstoffen hinterlässt der Neubau einen mindestens so geringen ökologischen Fußabdruck wie jene Bauten, die das Bild der Gegend über Jahrhunderte prägten und heute – sofern noch vorhanden – vom Verschwinden bedroht sind.

Alt und Neu in Einklang gebracht wurden auch beim „Haus obd'r Lech“, obwohl ein erfahrener Zimmermann aus technischen und wirtschaftlichen Gründen bereits zum Abbruch des Walserhauses aus dem 14. Jahrhundert geraten hatte. Bauherr Clemens Schmölz entschied sich dennoch für den Erhalt, beauftragte eine exakte Untersuchung der Substanz und gab mit den Architekten Gernot Thurner und Matthias Hein und einer Schar von erfahrenen Handwerkern dem Haus eine neue Zukunft.

Die andere Hälfte der Preise geht in Städte, zweimal nach Wien: zum einen an die Bauherren des Stadtelefanten, errichtet und genutzt von Architekturbüros und architekturaffinen Unternehmern, geplant von Franz & Sue – ein Impulsgeber im Sonnwendviertel und ein Beweis, dass mit knappen Mitteln Schönes und Gutes gelingen kann. Zum anderen an die Bundesimmobiliengesellschaft für die an dieser Stelle („Spectrum“, 13. 10. 2018) besprochene Generalsanierung der Universität für angewandte Kunst mit den Architekten Riepl Kaufmann Bammer, wo, so die Jury, Architektur dem Prinzip Dialog mit den Nutzern und der Bausubstanz folge. An die Stadt Bregenz ging ein weiterer Preis für einen Bildungsbau, die Schule Schendlingen von Studio Bär, Bernd Riegger und Querformat: reformierte Pädagogik in großzügigen Raum aus Beton und viel Holz im Inneren gegossen.

Im September hat der Nationalrat den „Climate Emergency“ ausgerufen, das klingt schicker und weniger bedrohlich als Klimanotstand. Von den Taten, die nun den Worten folgen müssen, haben ganz viele mit dem Bauen zu tun. Also bitte „more Beauty“ und weniger sinnlos Hässliches!

Spectrum, Sa., 2019.11.09



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2019

21. September 2019Franziska Leeb
Spectrum

Wohnbau: Mehr als die üblich netten Zuckerln?

Nichts geht mehr im geförderten Wohnbau – man leidet derzeit an hohen Baukosten und am Zwang zu sparen. Dennoch finden sich Spielräume. Ein Beispiel aus der Donaustadt.

Nichts geht mehr im geförderten Wohnbau – man leidet derzeit an hohen Baukosten und am Zwang zu sparen. Dennoch finden sich Spielräume. Ein Beispiel aus der Donaustadt.

„Generationenwohnen“ lautet nun etliche Jahre ein viel bemühtes Schlagwort im geförderten Wiener Wohnbau. Kurz gefasst geht es darum, allen Altersgruppen gleichermaßen Entfaltungsmöglichkeiten und ein adäquates Umfeld zu bieten. Eh selbstverständlich, meint man. Aber was nun der besondere Mehrwert für das intergenerationelle Zusammenleben ist, außer dass es Einheiten für betreutes Wohnen, einen Gemeinschaftsraum und einen Spielplatz für die Kleinen und Sitzgelegenheiten für die reiferen Semester gibt, ist bei vielen Projekten nicht ganz klar.

Für den Bauträgerwettbewerb für das Gebiet Kagran West III im Jahr 2015 brüteten die Architekten des Büros WUP-Wimmer und Partner (Helmut Wimmer, Bernhard Weinberger, Andreas Gabriel) darüber, wie sie dem Thema mit mehr als den üblichen netten Zuckerln gerecht werden können. Seit nicht ganz einem Jahr ist das Produkt der Überlegungen, das vom Bauträger Building Development Network umgesetzt wurde, fertig und eingewohnt.

Innerhalb zweier Jahrzehnte hat sich das Areal zwischen Donaufelder Straße und Prandaugasse völlig verändert. Die Glashäuser und Felder der Gärtnereibetriebe sind bis auf wenige Relikte verschwunden. Nach einem städtebaulichen Leitbild von Elsa Prochazka und Ernst Hoffmann aus den 1990er-Jahren entstand ein dichter neuer Stadtteil von durchwachsener architektonischer Qualität. Ganz im Zeichen der Verbundenheit des Bezirks Donaustadt mit dem Partnerbezirk Arakawa in Tokio steht die Benennung der öffentlichen Flächen. Der Bauplatz für den „Gartenlounge“ getauften Wohnbau von WUP liegt in der Bonsaigasse, direkt am drei Hektar großen Kirschblütenpark. Im Frühling machen die blühenden Zierkirschen dem Namen alle Ehre, sonst leidet der Park (Planung: Yewo Landscapes) sichtlich unter dem Sparstift, der Ausstattung und Pflege von Grünanlagen in Neubaugebieten viel zu oft diktiert.

Sparen hieß es auch für die Schöpfer der Gartenlounge, die nichtsdestotrotz alles daranlegten, für einen Ort der Identitätsbildung zu sorgen. Die Grundlage dafür bildet die städtebauliche Konstellation, die sich der Zeilen- und Kammstruktur des Leitbildes entzieht. Die Gebäudefigur entsteht durch das Gruppieren von Wohnungen zu „Häusern im Haus“ um eine Erschließungsfläche, die sich zu Plätzen weitet oder schmäleren Gassen verjüngt. In gewisser Weise wurden die typischen Komponenten eines Wohnbaus dekonstruiert und neu kombiniert. Die Nebenräume sind aus den Wohnzonen herausgelöst und bilden Vorsprünge, die zur weiteren räumlichen Differenzierung der 270 Quadratmeter großen Allgemeinfläche pro Geschoß beitragen. Abgerundete Ecken sorgen dafür, dass der Raumfluss geschmeidig bleibt.

Einen Gemeinschaftsraum im üblichen Sinn gibt es nicht. Die Plätze und Gassen übernehmen diese Funktion viel besser und vielfältiger, als ein abgetrennter Raum dies je könnte. Die Architekten entwarfen dafür Mobiliar, das nach Kartonmodellen vom Schlosser gebaut wurde. Sitzmodule in Form von an zwei Seiten offenen Hohlkörpern wurden um Tische angeordnet oder zu Bänken gruppiert. Den Kindern dienen sie als Kriechtunnel. Aus dem gleichen gelb beschichteten Stahlblech wurden Minigolfbahnen produziert, für jeden Stock eine andere; zusammen ergibt sich ein vertikaler Minigolfparcours. Brettspiele wie Schach und „Mensch ärgere dich nicht“ wurden ins Großformat übertragen, die Spielfeldmarkierung bildet das Fliesenmuster des Bodens. Auf schwarzen Tafelwänden werden per Kreide Botschaften ausgetauscht. Kleine Eye-Catcher sind die darauf angebrachten, jeweils anders gestalteten Wurfspiele. Es entstanden geschoßweise kleine Nachbarschaften, eine Art halböffentlicher Raum im Inneren, der dank Minigolf über die Geschoße hinweg der Bewohnerschaft – darunter jener von zwei Studierenden-Wohngemeinschaften – Anlass gibt, immer wieder das ganze Haus zu erkunden. Ausblick in die Umgebung gewähren aus diesen Binnenräumen Verglasungen zwischen den Wohnungsgruppen. Die Gebäudekonfiguration fördert die Kommunikation, sorgt zudem dafür, dass keine nur nach Norden gerichteten Wohnungen entstehen, sondern zweiseitig orientierte Kopfwohnungen, nur ein Stiegenhaus das ganze Gebäude erschließen kann und zu ebener Erde verschiedene Freiraumqualitäten (EGKK Landschaftsarchitektur) und eine gewisse Durchlässigkeit zur Umgebung entstehen kann.

Einen Flügel des Erdgeschoßes besetzt ein von der Volkshilfe betreutes Seniorenwohnprojekt, die anderen ein Kindergarten und dazwischen der überdeckte gemeinsame Vorplatz – mit Sitzbänken und Tischtennistisch ebenso ein Ort der Begegnung. Bereits in der Rohbauphase fanden Workshops statt, um die Ideen der Architekten zu kommunizieren und Mieterwünsche berücksichtigen zu können. Eine moderierte Begleitung zumindest bis zur Einzugsphase schafft früh die Grundlagen für ein gedeihliches Zusammenleben und ist eine Investition, die später viel Ärger spart.

Nichts geht mehr im geförderten Wohnbau, verlauten bundesweit alle damit Befassten unisono. Hohe Grundstücks- und Baupreise stehen der Großzügigkeit der Räume und einer über das Notwendige hinausgehenden Ausstaffierung meist entgegen. Durften die Architekten in der Bonsaigasse etwa urassen, oder werden die Mieter verstärkt zur Kasse gebeten? Nein, betonen Bernhard Weinberger und Andreas Gabriel. Man hat gespart, wo es nur ging und es nicht auffällt. Zwei Fenstergrößen und verzinkte Geländer mussten genügen. Für die Fassadenfarben wählte man verschiedene Beigenuancen aus der RAL-Palette, womit auch Fensterrahmen und außen liegende Fallrohre keiner Extrabehandlung bedurften und sich dennoch harmonisch einfügen. In Stiegenhäusern und den Erschließungsflächen suchte man möglichst günstige Fliesen in Grautönen und Gelb. Am billigsten sind die grauen, von denen es am meisten gibt, zu den Flächen erhöhter Aktion hin verdichten sich die gelben, die teurer sind und daher stückgenau kalkuliert werden mussten.

Gern hätten die Architekten das Freigelände zum Park hin offen übergehen lassen. Den Zaun, den sie errichten mussten, versahen sie für einen raschen Parkzugang mit einer Tür, was der zuständigen Behörde missfiel. Sie setzte der Gartenlounge kurzerhand ein weiteres Stück Zaun vor die Tür.

Spectrum, Sa., 2019.09.21



verknüpfte Bauwerke
Wohnbau GartenLounge Kagran

10. August 2019Franziska Leeb
Spectrum

Mauer ohne eitle Gesten

Freigelegt und neu interpretiert: Dank der Architekten Bevk Perović aus Ljubljana wurden die Kasematten von Wiener Neustadt zum Star der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung. Ein Besuch nach der Revitalisierung.

Freigelegt und neu interpretiert: Dank der Architekten Bevk Perović aus Ljubljana wurden die Kasematten von Wiener Neustadt zum Star der diesjährigen Niederösterreichischen Landesausstellung. Ein Besuch nach der Revitalisierung.

Die Wiener Neustädter Kasematten sind Teil der auf die Zeit der Stadtgründung im 12. Jahrhundert zurückgehenden Wehranlage und wurden 1551 bis 1557 im Auftrag Kaiser Ferdinands I. nach Plänen von Baumeister Johann Tscherte errichtet. Ursprünglich dienten die mächtigen Gewölbekeller zur Lagerung von Kriegsgerät und als Versammlungsort der Verteidiger der Stadt, ehe diese an der Stadtmauer Position bezogen. Ab dem 19. Jahrhundert fanden sich andere Nutzungen – unter anderem als Brauereilager und als Luftschutzkeller im Zweiten Weltkrieg. Unter einem sieben Meter hohen Hügel eingeschüttet blieb trotz aller späteren Einbauten die Authentizität dieser ob ihres guten Erhaltungszustandes in Österreich einzigartigen Anlage dieser Art gewahrt. Die niederösterreichische Landesausstellung bot den Anlass, die unter Denkmalschutz stehenden Kasematten für eine neue Nutzung als Ausstellungs- und Veranstaltungszentrum zu revitalisieren und archäologisch zu untersuchen.

Der im Jahr 2016 EU-weit ausgelobte Realisierungswettbewerb stellte zum einen die Aufgabe, die am nördlichen Zugang in den Stadtpark liegenden Kasematten für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, die wertvolle Bausubstanz freizulegen und um einen Zubau, der ein „Welcome Center“ und eine Galerie umfasst, zu ergänzen. Gewonnen hat das von Matija Bevk und Vasa Perović geführte Büro Bevk Perović arhitekti aus Ljubljana.

Die Integration von historischem Bestand und neuer Architektur gelang ihnen vortrefflich. „Ist es vorstellbar, eine singuläre, integrierende Lösung zu finden, welche einen Neubau nicht nur dem Bestand hinzufügt, sondern diesen Bestand durch das Neue erst richtig hervorkehrt?“, lautet eine der Fragen, aus der die Architekten ihr Konzept entwickelten. Nicht als „reizvoll konservierten und präsentierten Appendix“ des Neuen, sondern als „Bindeglied zwischen den neuen Bauteilen“ wollten sie die Kasematten behandeln, um sie als aktiven Teil der Stadt zu etablieren. Dies glückte, indem sie auf eitle, reißerische Gesten verzichteten, in der Materialität zurückhaltend blieben sowie – die wahrscheinlich wichtigste Eigenschaft – die Topografie des Ortes zu lesen und in geeigneter Weise neu zu deuten verstanden. Ohne den Bestand als malerische Kulisse der neuen Funktionen zu behandeln, setzten sie einerseits Alt und Neu klar voneinander ab, ließen beides aber so ineinandergreifen, dass innen wie außen eine wie selbstverständlich wirkende „Promenade architecturale“ durch die Räume aus verschiedenen Zeiten entsteht.

Das Vorfeld der Kasematten gestalteten sie als sacht abfallenden Platz, der von der Bahngasse auf das Bestandsniveau der Kasematten hinabführt. Dort empfängt ein Neubau die Besucher mit einer verglasten Erdgeschoßzone und darüber einem schlichten massiven Schild aus Sichtbeton, das dem Neubau unaufdringlich Präsenz verleiht und – ob beabsichtigt oder nicht – als Referenz auf die wehrhafte Funktion des Bestandes deutbar ist. Anlässlich der Landesausstellung dient die mächtige Betonwand derzeit als Trägerin einer Werbeplane. Es wäre zwecks Wahrung der Originalität der neuen und alten Architektur ratsam, dies nicht zu einem Dauerzustand werden zu lassen.

Rechter Hand führt eine neue Treppenanlage auf das Dach des Neubaus, das von den Architekten als Belvedere konzipiert ist. In gewisser Weise stellt es die Situation des begehbaren Kasemattenhügels vor dem Umbau her. Vorläufig ist es für Besucher noch nicht zugänglich, wie auch das projektierte Auditorium, das als Veranstaltungsort im Freien und öffentlicher Aufenthaltsraum mit Aussicht und nutzbar wäre, noch seiner Umsetzung harrt. Linker Hand ist der ursprüngliche Hauptgang zu den Kasematten, ein wappenverziertes Renaissanceportal, das in die „strada coperta“, die innere Verbindungsachse zum Ausgang auf die ehemalige Bastei, funktionstüchtig erhalten geblieben.

Das neue Foyer bietet sich als eindrucksvoller, über die gesamte Gebäudehöhe erstreckender Raum dar. Im Scheitelpunkt des im Grundriss konisch zulaufenden Vestibüls sorgt eine Lichtkuppel für Zenitallicht. Wölbung, Raumdimension und die Öffnung nach oben stellen – so wird man, einmal in das unterirdische Raumsystem eingedrungen, erkennen – die zeitgenössische Ouvertüre für die folgenden freigelegten historische Strukturen dar. Diese wurden von späteren Einbauten befreit und bleiben frei von jedweden Einbauten – bis auf den neuen Boden aus sandgestrahltem Beton, der die vorgefundenen Niveauunterschiede ausgleicht.

Die historischen Dampflöcher wurden in das neue Belüftungssystem integriert und sorgen heute wie damals für die Regulierung der Luftfeuchtigkeit. Je nach Veranstaltungsszenario sind unterschiedliche Wegeführungen gestattet, entweder in die beeindruckenden Kasemattenhallen oder in die südlich im Stadtpark neu errichtete multifunktionale Veranstaltungshalle. Sie ist stadtparkseitig niveaugleich mit den Kasematten in das Gelände versenkt und nur im Zugangsbereich an den Bestand angebunden. Somit bleibt die Höhe des Pavillons moderat, werden die alten Mauern freigespielt und wird weder die historische Befestigungsanlage noch die Parklandschaft störend beeinträchtigt. Die Sheds des aus Stahlfachwerkträgern gebildeten Dachs lassen, sofern nicht verdunkelt, Nordlicht eindringen und stellen eine vage Analogie zum Zinnenabschluss der mittelalterlichen Zwingermauer her. Durchaus folgerichtig tauften die Betreiber das Gebäude „Neue Bastei“, wobei die Hülle aus perforiertem Aluminiumwellblech keineswegs für eine festungsartige, sondern eine äußerst luftige Anmutung sorgt, deren industrieller Charakter dem vielfachen Zweck durchaus gerecht wird. Die ostseitige Öffnung der Halle zu einem Zugangsweg vom Park und zur Gartenterrasse des im ehemaligen Geschützhof untergebrachten Cafés ermöglicht weitere Bespielungs- und Erschließungsszenarios, womit erwartungsgemäß langfristig auf sich ändernde Anforderungen reagiert werden kann.

Die Außenanlagen verknüpfen den neuen Veranstaltungsort mit der Stadt wie dem Stadtpark und tragen wesentlich zur Aufwertung dieses bislang etwas vernachlässigten Gebietes zwischen Bahnhof und Innenstadt bei. Dass dies alles so gelingen konnte, ist angesichts der doch kurzen Bau- und Planungszeit, die von allerhand Unvorhergesehenem und Ungewissheiten geprägt war, ein kleines Wunder. Zwar waren die Kasematten gut dokumentiert und zugänglich, doch außerhalb lieferte ihre Freilegung etliche Überraschungen. So kamen bislang unbekannte Teile der Zwingermauer mit von der Erde konservierten 500 Jahre alten Putzoberflächen zum Vorschein, was wie etliche andere Entdeckungen Umplanungen und adäquates Reagieren auf das Vorgefundene erforderte, um die Geschichte für unsere und folgende Generationen lesbar zu machen.

Spectrum, Sa., 2019.08.10



verknüpfte Bauwerke
Kasematten und Neue Bastei

15. Juni 2019Franziska Leeb
Spectrum

Klinker mit Wimpern

Musterbeispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung: das neue Öko-Viertel Clichy-Batignolles in Paris. Querkraft Architekten aus Wien lieferten gemeinsam mit dem Pariser Partnerbüro Sam Architecture einen wichtigen Stadtbaustein – mit charmanten Extras.

Musterbeispiel für eine nachhaltige Stadtentwicklung: das neue Öko-Viertel Clichy-Batignolles in Paris. Querkraft Architekten aus Wien lieferten gemeinsam mit dem Pariser Partnerbüro Sam Architecture einen wichtigen Stadtbaustein – mit charmanten Extras.

Paris befindet sich im Wandel. Dieser steht im Zeichen einer ökologischen und sozialen Erneuerung und der besseren Vernetzung des Zentrums mit der Peripherie. Die über Jahre größte Baustelle befand sich im 17. Bezirk, knapp am Boulevard périphérique, der das Stadtgebiet umschließenden Ringautobahn. Das neue Stadtquartier Clichy-Batignolles war als Standort für das olympische Dorf ursprünglich Teil der Pariser Bewerbung für die Olympischen Sommerspiele 2012. Umgesetzt wurde das Öko-Quartier auf 54 Hektar ehemaligem Bahngelände dennoch. Der Neue Justizpalast von Renzo Piano an der Nordseite ist das markanteste Signal für die infrastrukturelle Aufwertung der bislang vernachlässigten Vorstädte. Neben Büro- und Geschäftsflächen entstanden 3400 neue Wohnungen: sozialer Wohnbau, Wohnungen mit begrenzter Miete und im Eigentum. Die Abkühlung des Stadtklimas, die Nutzung erneuerbarer Energie, Niedrigenergie-Designs für Gebäude sowie ein Regenwassermanagement sind die wichtigsten Eckpfeiler, um eine neutrale Kohlenstoffbilanz am Standort zu erreichen.

Als grünes Herz fungiert der zehn Hektar große Parc Martin Luther King. Bereits 2007 wurde der erste Abschnitt eröffnet, sieben Jahre später der zweite, sodass die Bewohner der Ostflanke bei Einzug eine fertige grüne Oase vor der Haustür vorfanden, während im Westen noch Großbaustelle war. Unter den letzten der dort fertiggestellten Bauten sind jene von Querkraft und ihrem Pariser Partnerbüro Sam Architecture. Das Ensemble umfasst einen 50 Meter hohen Turm mit Sozialwohnungen, ein siebengeschoßiges Arbeiterwohnheim und eine Kinderbetreuungseinrichtung. Das Weiterführen der Parklandschaft durch das Grundstück, die Sichtverbindung von der Straße zum Park, bestmöglicher Ausblick aus den Wohnungen und gut separierte Zugänge zu den verschiedenen Nutzungseinheiten waren die wesentlichen Entwurfsparameter.

Um all das unter einen Hut zu bringen, arrangierten die Architekten die Wohnhäuser diagonal gegenüberliegend. Als verbindendes Element fungiert das in Holz-Beton-Verbundbauweise ausgeführte sternförmige Kindergartengebäude, dessen Schenkel zwei gegenüber dem Straßenniveau abgesenkte Höfe umschließen. Dies schafft eine Reihe von Freiräumen auf verschiedenen Ebenen, die dank der Gestaltung der Landschaftsarchitektinnen des Atelier Roberta zu einem attraktiven Geländemuster verknüpft werden, das in den Park übergeht. Während auf der östlichen Parkseite die Bauten um die originellste Fassadenidee zu rittern scheinen, wurde an der Westseite Wert auf ein einheitliches Stadtbild gelegt. In Workshops präsentierten die Architekten ihre Projekte, um sie in Material- und Farbwahl aufeinander abzustimmen und allzu eigenwilligen Egotrips Einhalt zu bieten. Bei den Wohntürmen griffen Querkraft auf ihre Wiener Erfahrungen zurück und bewiesen Geschick im Umgang mit engen Kostenrahmen. Die unterschiedlichen Wohnnutzungen werden in formal differenzierter, in Materialität und Textur aber verwandter Fassadengestaltung ausgedrückt. Beide eint eine Hülle aus dunklen Klinkerriemchen, einem Material, das sich dank der koordinierten Planung in der Nachbarschaft immer wieder findet. Kostengünstiger Wohnbau für die Ärmeren der Bevölkerung darf nicht ärmlich aussehen, waren sich Architekten und Bauherr einig. Die Sozialwohnungen sollten zwischen den Nachbarbauten mit gutbürgerlichen Eigentumswohnungen nicht auffallen. Und so kam es zu ein paar attraktiven Details, die den Häusern Einzigartigkeit verleihen und der Schönheit dienen. Vor den Fenstern der Arbeiterapartments sind dies verschiebbare Brise Soleils aus Alu-Lamellen, die für Akzente sowie Sichtschutz sorgen. Zwar seien von dieser Lösung die Auftraggeber zunächst nicht recht angetan gewesen, berichten die Architekten, der Hinweis, dass sie „wie die Wimpern von Catherine Deneuve“ dem Gebäude einen poetischen Impuls verleihen, mag schließlich beigetragen haben, das Blatt zu wenden. Einzelne hell verfugte Fassadenfelder markieren öffenbare Blindfenster und sind zugleich Gestaltungselement.

Beim höheren Wohnturm findet sich in Form der Balkonbrüstung aus Aluminiumlatten ein Motiv wieder, mit dem Querkraft bereits dem Wiener Citygate Tower zu Signifikanz verhalfen. Da in Paris aufgrund der Abstandsregelungen auf dem knapp bemessenen Bauplatz keine Ausbuchtungen der Balkonzone möglich waren, erzeugen unterschiedlich dichte Anordnungen der Latten sowie gewellte und gezackte Ober- und Unterkanten in der Art eines Trompe-l'œil Bewegung. Dafür wurde der Balkonzaun in Paris, wo eine schöne Fassade einen hohen Stellenwert hat, höherwertig beschichtet und schimmert silbrig. Dank Rücksprüngen des Baukörpers entstehen dennoch ausreichend tiefe Aufenthaltsbereiche. Zu deren rascherer Aneignung wurde den Bewohnern ein Möblierungsset – Sonnenschirm, Blumentrog und Wäschetrockner – übergeben. Die parkseitigen Wohnungen bieten eine der schönsten Aussichten auf die Stadt – zum Eiffelturm oder zu den Hängen des Montmartre mit der Basilika Sacré-Cœur. Das alles zu Kosten, die der Hälfte einer „normalen“ Pariser Monatsmiete entsprechen. Konkret sind es laut Auskunft des Bauträgers 500 Euro für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit 44 Quadratmeter Wohnfläche plus Balkon, 1300 Euro für eine 91 Quadratmeter große Fünf-Zimmer-Wohnung.

Während Außenräume, Entrée und Fassade durchaus repräsentativ sind, wurde der Sparstift an Stellen angesetzt, die in Österreich tabu wären. So reichte als Fluchtweg ein Stiegenhaus mit Wendeltreppe, anstatt einer Schalldämmung zwischen Wohnungen und Gang gibt es eine akustisch wirksame Bespannung an der Gangdecke. Als Trittschalldämmung in den Wohnungen reicht eine dünne Auflage unter dem Linoleumboden, die Balkone sind als nackte Rochbetondecke ausgeführt.

Eine Besonderheit ist die pneumatische Müllsammelanlage, an die sämtliche Gebäude im neuen Stadtteil angeschlossen sind und die den Müll in eine Anlage nächst der Ringautobahn transportiert. So werden Lkw-Verkehr sowie Lärm- und Schadstoffemissionen reduziert. „Energieeffizienz allein ist im Gegensatz zu Österreich hier nicht das ganz große Thema“, erklärt Architektin Milena Karanesheva, deren auf bioklimatische Architektur spezialisiertes Büro Karawitz die Ausführungsplanung verantwortete. „Es geht um die Gesamtbilanz. Zu der tragen der Einsatz nachhaltiger, hochwertiger Materialen ebenso bei wie das viele Grün.“ Um Greenwashing hintanzuhalten, wurden messbare Effekte gefordert, die Einhaltung der Umweltkriterien streng überprüft. Vier Prozent des Grundstückspreises erhalten die Bauträger zurück, wenn sie alle Vorgaben einhalten.

Spectrum, Sa., 2019.06.15

09. Februar 2019Franziska Leeb
Spectrum

87 und kein bisschen alt

Ohne Denkmalschutz und viel Gespür der neuen Besitzer wäre die Pension Bergheim im Tiroler Außerfern wohl den Verwertungsmechanismen der Tourismuswirtschaft anheimgefallen. Ihr Bestand ist nun für die Zukunft gerüstet.

Ohne Denkmalschutz und viel Gespür der neuen Besitzer wäre die Pension Bergheim im Tiroler Außerfern wohl den Verwertungsmechanismen der Tourismuswirtschaft anheimgefallen. Ihr Bestand ist nun für die Zukunft gerüstet.

„Pension Bergheim“ künden azurblaue Lettern auf der dunkelbraunen Holzfassade im Ortszentrum von Berwang im Tiroler Außerfern. Das Haus mit Pultdach gegenüber der Kirche wirkt wie ein Relikt aus vergangener Zeit und doch hochmodern im Vergleich zu anderen, oft später errichteten oder ausgebauten Hotels und Gästehäusern im Ort, die mit Lüftlmalereien und Schnitzbalkonen auf Tirolerisch geschminkt wurden. Der Pension Bergheim fehlen diese vordergründigen Attribute einer bäuerlich-ländlichen Architektur, und doch speist sich ihre Konzeption auch daraus. Errichtet wurde sie 1932 nach Plänen von Siegfried Mazagg, der die Fertigstellung nicht mehr erlebte. Seine vielversprechende Architektenkarriere nahm ein jähes Ende, nachdem der erst 30-jährige Mazagg am 4. Juni 1932 in seinem Cabriolet in Innsbruck mit einem Botenauto zusammengestoßen war. Zehn Tage später erlag „einer der begabtesten und hoffnungsreichsten Architekten des modernen Tiroler Baugewerbes“ seinen schweren Verletzungen, wie eine Regionalzeitung berichtet.

Bis ins hohe Alter führte Waltraud Stummvoll, die Tochter des Erbauers Rudolf Engele, das gastliche Haus. Dieser Kontinuität und der Liebe und Wertschätzung der Besitzerin zu diesem Ort ist es wohl zu danken, dass es weitgehend unverändert inklusive des von Mazagg entworfenen Interieurs über die Jahrzehnte erhalten blieb und dieser Zeuge 2006 für die Frühzeit des modernen Bergtourismus unter Denkmalschutz gestellt wurde. Als sich abzeichnete, dass die betagte Besitzerin die Pension nicht mehr weiterführen würde, traf es sich, dass Cathrin und Jochen Diederichs – sie Sopranistin, er Bühnenbildner – auf der Suche nach einem Haus in Berwang mit ihr ins Gespräch kamen und handelseins wurden. Als privates Wohnhaus wäre dem Paar das Bergheim zu groß gewesen, und es fühlte sich auch verpflichtet, das Juwel der Öffentlichkeit weiterhin zugänglich zu machen. Eine Weiterführung als Hotel hätte beim Besitzerwechsel die Erfüllung allerhand heutiger Sicherheitsvorschriften notwendig gemacht, die den Bestand partiell in Mitleidenschaft gezogen hätten. Privatvermietung lautete daher die Lösung, die eine denkmalgerechte Renovierung und den weiteren Betrieb wirtschaftlich zu tragen versprach.

Nachdem 2013 der Kaufvertrag unterschrieben worden war, erbat sich Frau Stummvoll, noch einen letzten Winter Abschied vom Bergheim nehmen zu dürfen, während sich die Diederichs in einem Zimmer einmieteten, um eine Strategie für die Umwandlung in das eigene Wohnhaus mit vermietbaren Ferienappartements zu entwickeln. Sie nahmen Kontakt mit dem Denkmalamt auf, mit dem sich eine „unglaublich konstruktive“ Kooperation entwickelte, wie Jochen Diederichs betont. Blauäugig ging er an die Bauaufgabe keineswegs heran. Bereits als Student hatte er in Bonn ein Gründerzeithaus renoviert; nach und nach hatte sich das Häuserrenovieren zur Leidenschaft entwickelt. So befasste er sich mit Mazagg und seiner Ideenfindung, um sich zu konkreten Entscheidungen ermächtigt zu fühlen: „Ich wollte in seinen Kopf gelangen, und irgendwann war ich drin.“ So minimal wie möglich sollte der Umbau vonstattengehen. Bis zum nächsten Winter musste er fertig sein, vor allem weil die Elektriker im Winter als Skilehrer arbeiteten. Es seien eine Traumbaustelle und eine kongeniale Zusammenarbeit gewesen. Seine „spinnerten Ideen vom Theater“ und das Gewusst-wie routinierter lokaler Handwerker befruchteten sich gegenseitig, so Jochen Diederichs, der die ganze Zeit vor Ort mit Hand anlegte.

Die Lärchenverschalung bedurfte nur eines neuen Anstriches; recht einfach war auch die Erhöhung der Balkonbrüstungen. Die Fenster wurden saniert oder nach altem Vorbild erneuert. Eine umfassende Erneuerung erhielt das Dach, dessen originale Torfdämmung gegen Mineralwolle ausgetauscht, die Schalung saniert und die Blechdeckung durch Kupfer ersetzt wurde. Die bessere Dämmung erhöhte den Dachaufbau, womit der über die im Einklang mit den Fensterstöcken blau akzentuierte Dachkante hinausragte. Indem das originale blaue Band in der Fassadenfarbe gestrichen und die neue Dachoberkante neu blau eingefasst wurde, blieb die Optik des schlanken Dachs gewahrt.

Rot markierte im Inneren Mazagg alles, was Energie war: die Radiatoren und Heizungsrohre ebenso wie die Leuchten. Alles blieb erhalten, auch der schöne Leuchtkörper, der in einer Trennwand des Windfangs mit einer Glühbirne zwei Raumzonen erhellt. Originalgetreu erneuert wurden die zylindrischen Wand- und Deckenleuchten aus Pergamentpapier mit dekorativen roten Nähten. Sofern die ursprünglichen Bakelitschalter und Steckdosen nicht mehr vorhanden waren, wurden passende Modelle aus alten Beständen ausfindig gemacht. Die Fliesen der Sanitärräume nahm der Hausherr Stück für Stück ab und säuberte sie, um sie in den neu konfigurierten Badezimmern wieder anzubringen. Detailarbeit leistete auch der Installateur, der passende Ventileinsätze für die Wasserhähne auftrieb, um sie ebenso weiterzuverwenden. Die mit 190 auf 100 Zentimeter bemessenen Originalbetten wurden vom Tischler auf findige Weise auf heutiges Standardmaß umgebaut. Nach wie vor werden sie von Mazaggs genial kompakten Schrank-Nachtkästchen-Kombinationen flankiert, so blieb das Interieur der Schlafzimmer unverändert. Die räumliche Umorganisation gelang ohne große bauliche Eingriffe. Vormalige Zimmertüren wurden als Wohnungseingangstüren in den Mittelgang gesetzt, wobei darüber eingefügte Oberlichten dessen ursprüngliche Raumflucht weiterhin nachvollziehbar machen.

Dass Renovierung und Umnutzung so vorbildhaft gelingen konnten, ist gewiss eine glückliche Fügung, aber jedenfalls einer Baugesinnung zu danken, bei der Intellekt und Handwerk auf Augenhöhe zusammenwirken und sich Leidenschaft für das Detail und Sinn für Pragmatik die Waage halten. In Pertisau am Achensee steht seit den 1960er-Jahren der Alpenhof leer. Das um 1900 entstandene Hotel wurde von Siegfried Mazagg 1929 erweitert und neu ausgestattet. Aufgrund des schlechten Zustandes des Daches wurden vor etwa einem Jahr Notsicherungsmaßnahmen am denkmalgeschützten Gebäude vorgenommen. Mögen sich auch dafür neue Besitzer finden, die mit viel Herz und Sachverstand dem Haus neues Leben geben.

Spectrum, Sa., 2019.02.09

12. Januar 2019Franziska Leeb
Spectrum

Wiens Dachlandschaft: Die fünfte Fassade

Die Wiener Dachlandschaft ist ein riesiger Bauplatz. Gestalterisch scheint bei gefinkelter Interpretation der Baugesetze alles möglich. Rar sind hingegen zeitgenössische Positionen, die sich analytisch mit dem umgebenden Bestand auseinandersetzen. Ein Beispiel.

Die Wiener Dachlandschaft ist ein riesiger Bauplatz. Gestalterisch scheint bei gefinkelter Interpretation der Baugesetze alles möglich. Rar sind hingegen zeitgenössische Positionen, die sich analytisch mit dem umgebenden Bestand auseinandersetzen. Ein Beispiel.

Als in den 1980er-Jahren vermehrt unter dem Titel der „Sanften Stadterneuerung“ die Idee artikuliert wurde, verstärkt das Potenzial von Wiener Dachböden zur Wohnraumschaffung zu nutzen, wurde in Wien erstmals für breitere Kreise denkbar, was zuvor noch exotisch gewesen war: sich dort, wo zuvor höchstens die Wäsche getrocknet hatte, ein Refugium in luftiger Höhe zu schaffen. Indes, so einfach war dies damals nicht. Erst die Stadtgestaltungsnovelle von 1996 erleichterte die Errichtung von Wohnraum in den Gründerzeitdächern. Von da an ging es Schlag auf Schlag, und es entstanden auch einige Kleinode, die dank ausgeklügelter Möblierungselemente zu wahren Raumwundern wurden. Etliche der damaligen jungen Architekturbüros verdienten mit spannenden Raumerweiterungen erste Meriten in der Dachzone, und so manchem Unternehmer gelang der Einstieg in die Bauwirtschaft. Mit der Zeit und steigenden Preisen wurden die Ausbauten größer, luxuriöser und exzentrischer.

Der berühmte Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, der die Bedingungen für Abweichungen von den Vorschriften des Bebauungsplanes definiert, wurde zum Wegbegleiter der auf dem Dach tätigen Investoren und Planer. Sportsgeist bei der kreativen Auslegung der Gesetze und maximale Ausbeute des Möglichen sind längst wichtiger als Sensibilität gegenüber Bestand und Umgebung. Neben schillernden Tarnkappenbombern, aufgetürmten Staffelgeschoßen und konventionelleren, wenngleich meist nicht weniger ungeschlachten Lösungen wird im Überfluss der Möglichkeiten auf Teufel komm raus oben draufgesetzt.

Auf den Dächern macht sich eine Parallelstadt aus Penthäusern, Terrassen und Haustechnikanlagen breit, deren wildes Gefüge von der Straße aus nur ansatzweise erkennbar ist. Das Problem ist nicht das Neue, sondern dass Interventionen, die mit Gespür für die Proportionalität und Körnung des Stadtkörpers getätigt wurden, die Ausnahme sind. Die Homogenität der fünften Fassade ist in Wien außerhalb der Schutzzonen nicht das Ziel der Stadtgestaltung. Als Stadtbild gilt im Wesentlichen das, was man vom öffentlichen Straßenraum aus sehen kann (was sich vielleicht ändert, wenn Drohnen-Taxis jemals Teil der Alltagsmobilität werden). So haben es die Architekten, Baumeister und Bauträger verinnerlicht, und so wird bei den jährlich Hunderten Dachausbauten mehr Gehirnschmalz in das Ausreizen der Bauordnung und Flächenwidmung gelegt als in die Frage nach der angemessenen Form.

Auf die Suche nach derselben begaben sich hingegen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs (The Next Enterprise Architects), als die mit einem Dachausbau einhergehende Sanierung des Hauses an der Ecke von Ausstellungsstraße und Molkereistraße vis-à-vis dem Wiener Wurstelprater anstand. Entlang der Häuserflucht der Ausstellungsstraße lässt sich noch gut die ursprüngliche Konzeption ablesen: Einzelne der reich mit Erkern und Risaliten gegliederten Fassaden sind noch erhalten. Balkone bilden zusätzlich zur Vorgartenzone eine Schwelle zwischen Stadtraum und privater Wohnung. Besonders augenfällig ist aber die abwechslungsreich akzentuierte Dachlandschaft mit ihren Ecktürmen und Attiken. Wenngleich spätere Veränderungen die Harmonie beinträchtigen, so ist doch die Grundidee der spätgründerzeitlichen Konzeption bis heute erkennbar. Ihr aus einer Analyse dieser Dach- und Fassadentopografie hervorgehender Entwurf, der deren Charakteristik auf neue Art aufnimmt, war wegen Überschreitung der zulässigen Gebäudehöhe durch die gaubenartigen Baukörper auch nur unter Zuhilfenahme des Paragrafen 69 umsetzbar. Ehe ihn die Baubehörde genehmigte, holte sie sich die Rückendeckung des Fachbeirats für Stadtplanung und Stadtgestaltung, der ansonsten bei Vorhaben dieser Art nur in Schutzzonen konsultiert wird. Hunderte, meist weniger sensibel konzipierte Dachausbauten pro Jahr werden ohne diese zusätzliche Begutachtung bewilligt – wohl weil sie sich straßenseitig weniger deutlich artikulieren.

Die Ecke des dreistöckigen Hauses, seiner ursprünglichen Fassade durch Bombenschäden im Zweiten Weltkrieg und einen Umbau in den 1950er-Jahren beraubt, war zunächst von einem gedrungenen Turm mit Walmdach akzentuiert. Die neue Dachlandschaft über einer zäsurbildenden neuen Gesimslinie und einem gläsernen Attikageschoß orientiert sich an der Behäbigkeit des Vorgängerturms und entwickelt durch die mit Zinkblech umhüllten prismatischen Aufbauten eine Verspieltheit, die gut im Einklang mit der Nachbarschaft steht. Ergänzend zu den bestehenden bringen weit ausladende Balkone ein zusätzliches Element der Bewegtheit in die Gründerzeitfassade und werten die Bestandswohnungen um privaten Freiraum auf. Das an die Farbigkeit der neuen Metalloberflächen angeglichene kühle Hellgrau der Fassade vereint Alt und Neu zu einem stimmigen Baukörper, der selbstbewusst Präsenz an der Ecke zeigt.

Vier Maisonetten birgt das als Stahlkonstruktion mit ausfachenden Holzelementen errichtete Dach. Ihre Grundrisse sind um die Nasskerne weitgehend disponibel konfigurierbar, womit die Mietwohnungen auch langfristig anpassbar sind. Wesentlich dafür, dass die Homogenität nicht nur eine äußerliche bleibt, sondern auch das Innenleben durchdringt, ist die dem Dachausbau vorangegangene Totalsanierung des Bestandes. Sie verhalf den Gründerzeitwohnungen zum Beispiel zu neuen Badezimmern, die als niedrige Einbauten mit darüber liegendem Stauraum konzipiert wurden. Überarbeitet wurde auch die Erdgeschoßzone, die neben Geschäftsflächen eine Gästewohnung mit Gartenzugang enthält.

Es entstand ein neues Ganzes, von dem alle Bewohner profitieren. Die Idee eines energieautarken Hauses musste zum Bedauern der Architekten verworfen werden, da die Errichtung einer Erdwärmepumpe finanziell nicht umsetzbar war. Die einfachste, trotz schädliche Begleiterscheinungen immer noch munter praktizierte Methode der Energieeinsparung mittels Wärmedämmverbundsystems kam aus gestalterischen und ökologischen Gründen nicht infrage. So blieb es bei einer Solaranlage, die zur Deckung des Warmwasserbedarfes beiträgt und in den Heizkreislauf eingebunden werden kann. Es ist aber alles vorgesehen, um das ursprüngliche Energiekonzept irgendwann umsetzen zu können.

Spectrum, Sa., 2019.01.12

01. Dezember 2018Franziska Leeb
Spectrum

Copa Cagrana: Was nicht im Stadtplan steht

Auf dem Wiener Stadtstrand bei der Reichsbrücke – bekannt als Copa Cagrana, neuerdings CopaBeach – herrscht vordergründig Winterruhe. Im Hintergrund werden die nächsten Entwicklungsschritte in Angriff genommen. Ein Lokalaugenschein.

Auf dem Wiener Stadtstrand bei der Reichsbrücke – bekannt als Copa Cagrana, neuerdings CopaBeach – herrscht vordergründig Winterruhe. Im Hintergrund werden die nächsten Entwicklungsschritte in Angriff genommen. Ein Lokalaugenschein.

Während in den 2000er-Jahren der Hochhauswald der Donau City im Hinterland dichter wurde, begann es an der Uferzone zu kriseln. Der Generalpächter des Areals und die Stadt stritten vor Gericht, gleichzeitig verkam die Strandgastronomie zusehends zum Barackendorf, dessen informellem Flair man neben der blutleeren Donau City zugegebenermaßen durchaus Charme zugestehen konnte. Ein Zustand, der einer Weltstadt gut zu Gesicht stünde, war es beileibe nicht.

Um dem vorweihnachtlichen Gedränge der von Adventmärkten und Punschständen verhüttelten Stadt zu entkommen, bietet sich zum Luftschnappen als Fluchtdestination mit U-Bahn-Anschluss ein Lokalaugenschein an. Dort, wo zur warmen Jahreszeit das Großstadtvolk in Massen Erholung sucht, ist man jetzt fast allein auf weiter Flur. Eine gute Gelegenheit, jenen Inselabschnitt am linken Ufer der neuen Donau nördlich der Reichsbrücke in Augenschein zu nehmen, der sich seit den vergangenen vier Sommern im Umbruch befindet. „Copa Cagrana“ wurde das 1980 eröffnete Freizeitgelände getauft, um in Anlehnung an den berühmtesten Strand Rio de Janeiros das Urlaubsfeeling im transdanubischen Stadtbezirk Kagran auch namentlich zu manifestieren. Dass Copacabana der Name eines Stadtteils und nicht bloß des Strandes, der Praia de Copacabana, ist, so genau hat man es in Wien nicht genommen. Obwohl sie jeder kennt, ist die Wiener „Copa“ im Gegensatz zum brasilianischen Inspirator in keinem Stadtplan eingezeichnet. (Dass „Ponte Cagrana“ für die zu den Uferlokalen der „Sunken City“ am rechten Ufer führende Schwimmbrücke sehr wohl eine offizielle Bezeichnung ist, sei hiermit erstaunt festgehalten.)

Heute finden sich von der ursprünglichen, 1980 eröffneten Copa Cagrana bloß noch archäologische Spuren, wie ein paar Reste Bodenplatten einstiger Lokale oder Farbspuren auf dem Asphalt. Beim Radverleih trägt ein in die Jahre gekommener Fahrradständer noch das Logo jenes Sportgeschäfts, das in den 1980ern das größte in Wien war. Keine der Kletterwände neueren Datums vermag ästhetisch an den dort integrierten Kletterturm aus von James G. Skone entworfenen Betonelementen, einem Pionierwerk des urbanen Alpinismus, heranreichen. Alles weg, auch der Name – „CopaBeach“ heißt die Copa Cagrana mittlerweile. Steht zum Glück auch nicht im Stadtplan.

Ein Logo, das an Orangenlimo aus den 1970er-Jahren erinnert, gibt es schon, und in der U-Bahnstation empfängt eine Plakatserie in buntem Bilderbuchstil: „Willkommen am CopaBeach – Essen und Trinken – Feine Gastro“. Im Vordergrund Wassergetier, Flaschenpost, ein Cocktailglas; im Hintergrund stilisierte Hochhäuser. Soll der Uferabschnitt zum Schanigarten der Donau City werden oder auch in Zukunft ein vielfältiges Angebot für die Bevölkerung bereitstellen? Vor drei Jahren hat das Innsbrucker Architektenteam LAAC den von der WGM – Wiener Gewässermanagement GmbH ausgelobten Realisierungswettbewerb gewonnen, dem das Ziel zugrunde lag, ein Konzept zu entwickeln, das eine „ganzjährige Nutzung erlaubt und dem Bereich mit hochwertiger urbaner Gestaltung von Bauwerken und Freiraum eine neue Identität verleiht“.

Schon davor waren im Sommer 2015 bei Stromkilometer 12,5 bauliche Fakten geschaffen worden. Als Folge eines bereits 2011 ausgelobten Gutachterverfahrens ließ die WGM nach Plänen des Architekturbüros Gerner Gerner Plus ein zweigeschoßiges Gastronomiegebäude errichten, das vom Betreiber auf „griechisch“ getrimmt wurde. „Korinthische“ Säulen und Frauenstatuetten – und derzeit saisonal passend Weihnachtsbeleuchtung in Blitzblau – dekorieren unbeholfen, aber einprägsam das Entree. Des Winters dient der überdeckte Sockelbereich, wie sich durch die behelfsmäßig mit Planen verklebten Glasscheiben erkennen lässt, als Abstellraum für alles, was man erst, wenn es warm wird, wieder braucht. Das Ufer davor gestaltete die Landschaftsarchitektin Carla Lo mit einer riesigen Sandkiste und Liegeflächen als einen temporären Stadtstrand, dessen Zukunft von der weiteren Realisierung des Masterplans von LAAC abhängt.

Dieser liegt einerseits schon vor, ist allerdings weder in all seinen Details öffentlich, noch gibt es dazu ein eindeutiges politisches Commitment. Andererseits ist er bereits zu einem Teil – zwischen Reichsbrücke und Griechen – umgesetzt. Die LAAC Architekten verfolgen auf neu moduliertem Gelände die Idee einer „Dockingstation urbaner Diversität“, an die alle gesellschaftlichen Schichten und viele Interessengruppen Anschluss finden. Einzelne bauliche Akzente sind vorgesehen, weiters eine Plaza, die sich um das schon bestehende Restaurant erstreckt; am Übergang zur Donau City eine sparsame Bebauung mit öffentlichen Einrichtungen.

Wie sie die Flächen strukturieren und divers Nutzungen verorten, lässt sich am bereits umgesetzten Teilbereich gut nachvollziehen. Interventionen aus hellem Beton definieren Zonen für diverse Aktivitäten. Ebene Flächen mit Stromanschluss, die sich als Buchten in die Wiese fressen, gestatten entlang des Weges das Aufstellen diverser Kioske, die nicht zwangsläufig gastronomische Angebote bereithalten müssen. Wie Höhenlinien in das Gelände gelegte Ketten unterschiedlich großer Sitzflächen und dahinter Sitzstufen, die in eine geschwungene, geneigte Fläche übergehen, bilden das Rückgrat für die Badezone am Ufer. Die neuen Bäume müssen noch ordentlich wachsen, bis sie Schatten spenden. Doch selbst im verwaisten Zustand hat diese Neugestaltung Qualität und lässt Zuversicht keimen, dass hier aus ästhetischer Sicht Besseres entstehen kann, als der neue Name suggeriert. Vielleicht findet sich auch noch ein Ersatz für die blauen Mistkübel mit zigarettenstummelförmigen Aschenbecheraufsätzen, die alle paar Meter das neue harmonische Bild der gestalteten Landschaft empfindlich stören. Müll und Tschick lassen sich eleganter entsorgen, man blicke zum Beispiel nach Paris.

Im Jänner, so erfährt man beim Wiener Gewässermanagement, startet der zweite Bauabschnitt. Konkretes ist noch nicht herauszufinden, weder zu den geplanten Bauten noch darüber, ob es dafür weitere Architekturwettbewerbe geben wird. Wie sehr sich hier Vielfalt und ein für breite Bevölkerungsschichten attraktiver Freizeitraum ohne Konsumzwang entwickeln kann, hängt aber nur bedingt von seiner Gestaltung ab. Vieles wird der rechtliche Rahmen definieren. Mit einem Generalpächter für unbegrenzte Zeit, dessen Rechte und Pflichten nicht eindeutig geklärt sind, hat die Stadt bereits Erfahrungen gemacht. Für die vergangene Saison gab es mit dem Immobilienentwickler und Gastronomen Martin Lenikus temporär einen neuen Generalpächter, der Flächen an andere Betriebe weitervermietete; die Neuausschreibung soll demnächst folgen. Was die Planungskultur angeht, möge man sich Jahrzehnte zurück an die Entstehung des Erfolgsmodells Donauinsel erinnern und Transparenz und Bürgersinn walten lassen.

Spectrum, Sa., 2018.12.01

20. Oktober 2018Franziska Leeb
Spectrum

Wider den baulichen Wahnsinn

Sechs Preisträger machen aus unserem Land noch keine Baukulturnation. Sie sind rare Musterbeispiele, für die dringend Nachahmer gefragt wären. Zur Verleihung des Österreichischen Bauherrenpreises.

Sechs Preisträger machen aus unserem Land noch keine Baukulturnation. Sie sind rare Musterbeispiele, für die dringend Nachahmer gefragt wären. Zur Verleihung des Österreichischen Bauherrenpreises.

Ob überdimensionale Baustrukturen von Großinvestoren, die gewachsene Stadtmorphologien zerstören, scheußliche Gewerbegebiete, die für die Entvölkerung malerischer Innenstädte sorgen, oder der ökonomische, ökologische und gestalterische Wahnsinn der Zersiedelung durch Einfamilienhäuser: Für all das sind – vom Investor bis zum Häuslbauer – Bauherren verantwortlich. Im Idealfall verstehen sie etwas von Architektur und vom Bauen. Immer öfter dirigieren das Bauen jedoch externe Bauherrenvertreter und Juristen und sind Bauherren als Personen nicht greifbar. Dann werden Architektur und Baukultur von kurzsichtigem Verwertungsdenken und schnelle Renditen in die Mangel genommen.

Daher ist es recht und billig, einmal pro Jahr jene Gebäude samt ihren Auftraggebern und Planern zu ehren, die in gedeihlicher Kooperation der Akteure entstanden, architektonisch vorbildlich sind und einen positiven Beitrag zur Verbesserung des Lebensumfeldes leisten. Seit über 50 Jahren verleiht die Zentralvereinigung der Architektinnen (ZV) den Österreichischen Bauherrenpreis. Sechs Siegerprojekte ermittelte heuer die mit der Architekturpublizistin Gabriele Kaiser sowie den Architekten Stefan Marte und Andreas Bründler besetzte Jury.

Dass sich darunter zwei Schulbauten befinden, überrascht nicht, haben doch die gesellschaftliche Debatte über das Bildungswesen und geänderte Abläufe im Schulalltag den Diskurs über die adäquate Schularchitektur befördert. Beiden gingen EU-weit ausgeschriebene Wettbewerbe voran. Bei der Bundesschule Aspern in der Wiener Seestadt war mit der Bundesimmobiliengesellschaft eine im Schulbau routinierte Bauherrin zugange. Sie erarbeitete ein Raum- und Funktionsprogramm, mit dem Österreich an internationale pädagogische Standards im Schulbau anschließt und das Fasch und Fuchs Architekten in eine ebenso international konkurrenzfähige lichtdurchflutete, stimulierende Lernlandschaft übersetzten.

Alles andere als Routine ist ein Schulbau in kleineren Gemeinden wie Lauterach in Vorarlberg, wo es den politisch Verantwortlichen Courage abverlangt, neue Wege zu gehen. In einem langjährigen Entwicklungsprozess wurden ab 2005 die pädagogischen und räumlichen Grundlagen in mehreren Arbeitsgruppen entwickelt. Es ist den intensiven Diskussionen und der Testplanung im Vorfeld zu danken, dass das Bestandsgebäude aus den 1930er-Jahren nicht kurzerhand einem Neubau weichen musste, sondern in eine Erweiterungsplanung integriert wurde. Man betrat zweifach Neuland: mit dem offenen Raumkonzept, aber auch architektonisch, da die Wettbewerbssieger, das Grazer Architekturbüro Feyferlik/Fritzer, mit einem lockeren Pavillon-Gefüge mit direkt von außen betretbaren Unterrichtsclustern landläufigen Vorstellungen von typisch „Vorarlberger Architektur“ nicht entsprachen. „Die Architektur macht den Kindern nichts vor, sondern schenkt ihnen einfach Raum für Erfahrung“, resümierte die Jury. Ums Vormachen geht es oft im Tourismus, wo mit auf alt getrimmtem Holz Klischees vom gemütlichen Urlaub in der Alpenrepublik bedient werden. Hotelier Robert Hollmann ging mit den Architekten Winkler und Ruck einen anderen Weg. Die in Holzblockbauweise und mit Sockeln und Stiegenhäusern aus brettgeschaltem dunklem Beton auf wenig Grundfläche errichteten Häuser Luki, Toni und Franzi auf der Turracher Höhe zelebrieren traditionelle Handwerkskunst und bringen Archaik und Moderne souverän in Einklang. Aus einer Katastrophe geboren ist ein Siegerprojekt, das sich als Ausflugsdestination empfiehlt. Am Rindberg in Sibratsgfäll im Bregenzer Wald setzte 1999 heftiger Regen einen ganzen Hang samt Almdorf in Bewegung. Die große Rutschung hinterließ tiefe Spuren in der Landschaft und im Bewusstsein der Einwohner, und es ist gewiss, dass der Boden weiter in Bewegung bleiben wird. Zur Bewältigung und Akzeptanz dieser Situation trägt die „Georunde Rindberg“ bei, ein Erinnerungspfad, initiiert vom ehemaligen Bürgermeister Konrad Stadelmann und gestaltet vom Architekturbüro Innauer-Matt mit dem Designteam Super BfG. Acht Installationen in der Landschaft zeichnen die Geschehnisse nach und deuten die Geschichte positiv um. Auch so kann Dorferneuerung praktiziert werden.

„Was immer Sie vorschlagen, ich sage Ja.“ So ein Deal wird auch für erfolgsverwöhnte Architekten wie Wolf D. Prix selten angeboten. Und so kam es, dass ein schillerndes, mit Edelstahlschindeln verkleidetes Gebilde von Coop Himmelb(l)au gleich einem aufgehenden Teigling an der Westautobahn bei Asten hinter den Leitplanken emporwächst. Backmittelerzeuger Peter Augendopler macht hier in der „Wunderkammer des Brotes“ seine aus Tausenden Exponaten bestehende Sammlung zum Thema Brot zugänglich und konnte mit der exzellenten Präsentation im kühn nach oben gedrechselten Ausstellungsraum die Jury für sich gewinnen.

Solche Inszenierungen haben im Wohnbau nichts verloren, wenngleich der Name des steirischen Preisträgers glamourös und die Ausbildung des Wohn- und Geschäftshauses im Grazer Lendviertel von höchster Eleganz ist. Die „Prinzessin Veranda“ bildet mit dem weißen Kleid ihrer Fassadenschicht aus Loggien und Veranden einen eleganten Ruhepol im zerfransten Quartier. Licht in den tiefen Baukörper kommt über ein elliptisches Atrium, von dem Laubengänge die Wohnungen erschließen. Für die leicht zu merkende Binsenweisheit „Wohnungsbau ist Städtebau“ findet sich hier ein heute rares Musterbeispiel, dazu gute Grundrisse, konsequente Materialisierung und hohe Detailqualität: Geht so etwas wirklich nur dann, wenn – wie es die Schöpfer der Prinzessin, das Architekturbüro Pentaplan, es seit 20 Jahren erfolgreich praktizieren – Planer und Projektentwickler in Personalunion agieren?

Die sechs Bauherrenpreisträger setzen Maßstäbe, und dafür wurden sie jüngst im Orpheum in Graz gefeiert. Sogar der Bundespräsident sandte eine Grußbotschaft: „Raumordnungsfragen und Stadtentwicklungen beeinflussen alle Bereiche der Gesellschaft. Sie prägen den öffentlichen Raum, unser Lebensumfeld, das soziale Lebensgefühl.“ Fußballspielen und Skifahren haben jedenfalls deutlich weniger Auswirkungen. Für die Bauherren des Jahres bräuchte es wohl ein ähnliches Begleitbrimborium mit TV-Show und Publikumsvoting, wie es den Sportlern des Jahres zuteilwird, damit sie zu breitenwirksamen Vorbildern und Helden der Nation werden

Spectrum, Sa., 2018.10.20



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2018

22. September 2018Franziska Leeb
Spectrum

Wie muss Schule sein? Mehr Raum, mehr Pausen

Trotz verkehrstechnischer Tücken und städtebaulichem Autismus gelungen: die Wanda-Lanzer-Schule in Wien-Stammersdorf und die Volksschule in der Wagramer Straße 224. Ein Lokalaugenschein in Transdanubien.

Trotz verkehrstechnischer Tücken und städtebaulichem Autismus gelungen: die Wanda-Lanzer-Schule in Wien-Stammersdorf und die Volksschule in der Wagramer Straße 224. Ein Lokalaugenschein in Transdanubien.

Das Baugrundstück für die Errichtung der Wanda-Lanzer-Schule hatte seine Tücken: schmal und lang gestreckt auf dem Gleisgelände der aufgelassenen Stammersdorfer Lokalbahn gelegen, daneben bahnen sich auf der Brünner Straße der Autoverkehr und die Straßenbahn ihren Weg an die nördliche Stadtgrenze.

Nun hat die Stadt Wien in ihrem Neubauprogramm für Bildungsbauten den klassischen Gangschulen eine Absage erteilt. Wie sind aber hier mehrere Bildungsräume um eine gemeinsame Multifunktionsfläche anzuordnen, ohne einzelnen davon den Nachteil der Lage an der Straße zuzumuten?

Die Antwort der Silbermayr Welzl Architekten ist bestechend einfach. Sie nahmen die Länge nicht als zu bekämpfenden Nachteil, sondern erkannten deren Vorteile: Eine geringe Gebäudetiefe gestattet beste Versorgung mit Tageslicht sowie eine gute Verschränkung zwischen innen und außen, selbst wenn Terrassen nur an einer Seite sinnvoll sind. Rankgerüste und Lamellen bilden zur Straße einen Filter. Dahinter liegen weniger frequentierte Räume wie Nassräume und Garderoben. Zum Garten öffnet sich die Schule in allen drei Ebenen und über die ganze Länge raumhoch verglast zum vom Atelier Landschaft naturnah gestalteten Freiraum und auf die Balkonbänder. Zwischen der Nebenraumzone und der intensiv genutzten Flanke mit den Klassenzimmern legten die Architekten eine Promenade an, die sich zwischen den Raumgruppen nach beiden Seiten zu offenen Lern- und Aufenthaltszonen weitet, die gartenseitig auf die Loggien und Balkone ins Freie münden.

Die luftige Leichtigkeit der Schule versinnbildlicht sich am deutlichsten in der Aula, wo eine skulptural wirkende Stiege mit verschränkten Treppenläufen in die Geschoße führt. Hellroter Terrazzo am Boden, weiße Treppenwangen und Wände sowie Glasbrüstungen bilden einen eleganten Hintergrund. In den Bildungsbereichen setzen ein sonnengelber Bodenbelag und von Architektin Ulrike Lambert als Patchwork aus Regalen, Schränken und Laden mit verschiedenen Oberflächen maßgeschneiderte Einbaumöbel Akzente. Die Schule ist eine Offene Neue Musikmittelschule, also mit Nachmittagsbetreuung und Freizeitprogramm. Sie ist aber auch offen für andere Institutionen und Vereine. Eng zusammengearbeitet wird mit der Musikschule Floridsdorf, die auch die Band-Proberäume im Untergeschoß nutzt. Zahlreiche Sportvereine sorgen für abendliche Belebung des Turnsaals, dessen Foyer auch als zusätzlicher Veranstaltungsraum gute Figur macht.

„Total durchdacht“ lobt Direktorin Katja Kraml die Architektur der Schule. Schon im heißen August konnte sie feststellen, dass es trotz vieler Glasflächen weder zu Überhitzung komme noch Straßenlärm zu hören sei. Die Schüler seien begeistert, nicht nur, weil es nun zwei lange Pausen statt einer gibt, um die multifunktionalen Flächen und den Garten noch mehr genießen zu können. Rasch hat sich die Schulgemeinschaft eingelebt, sicher auch deshalb, weil sich Lehrerkollegium wie Schüler bereits davor mit dem neuen Gebäude vertraut machen konnten und die Architekten nicht für unbekannte Nutzer planen mussten.

Diesen Vorteil hatte Architektin Sne Veselinović bei der Volksschule in der Wagramer Straße nicht, zudem war weiteren Erschwernissen beizukommen. Schon 2012 hatte sie den Wettbewerb für einen Campus auf dem Eckgrundstück zur Maculangasse gewonnen. Realgymnasium und Volksschule sollten einen gemeinsamen Vorhof umschließen. Es änderten sich die Rahmenbedingungen und Besitzverhältnisse auf dem Areal, noch ehe die erste Baustufe, das Evangelische Realgymnasium an der Maculangasse, 2015 fertiggestellt war.

Die Ecke, an der die Volksschule entlang der Wagramer Straße ansetzen sollte, wurde – städtebaulich autistisch und auch sonst keine Zierde – von einer Geschäftsstelle des AMS besetzt. Dann wurde noch die Idee geboren, über der Schule ein Wohnheim aufzustocken. Also musste auf verkleinertem Grundstück sowohl mehr untergebracht werden als auch der Zutritt zur Schule von der Wagramer Straße erfolgen.

Ihr Anliegen, hier ein angenehmes Entree samt Schwellenraum zum Gehweg mit Verweilqualität zu schaffen, löste die Architektin einerseits mit dem Abrücken von der Baulinie und einer „Faltung“ der zweigeschoßigen Schulfassade. Es rhythmisiert die Länge und bringt durch schräg gestellte zweigeschoßige Verglasungen Licht und Außenbezug in die dahinter liegende interne Spiel- und Erschließungsstraße des kammförmigen Gebäudes, setzt sie aber nicht frontal der Straße aus. Ein Text der Künstlerin Ingeborg Kumpfmüller, der das Gemeinsame in den Vordergrund stellt (auf dem Foto noch nicht zu sehen) wertet zudem die Ansicht auf.

Schule und Wohnheim haben separate Zugänge, zwecks Raum- und Budgetökonomie hat Veselinović sie so ineinander verschränkt, dass ein Lift beide Einheiten erschließen kann. Die Bildungsräume organisierte sie als Cluster in den gartenseitigen „Fingern“, zwischen denen die kleinen, aber feinen Freiräume (gestaltet von DnD Landschaftsplanung) liegen. Der Luftraum der Aula und das Lichtatrium zwischen den Turnräumen im Untergeschoß verweben die Geschoße.

Über Eck gezogene Fensterbänder in den Bildungsräumen und raumhohe Verglasungen in den Allgemeinbereichen schaffen räumliche Weite, Ausblick und viel Tageslicht, und für Gartenbezug auch im Obergeschoß sorgen große Balkone. Deren elegante Geländer mit zarten, V-förmig angeordneten Rundstäben und ein subtiles Farbkonzept sind nur zwei der Details, die auch hier Herz und Auge erfreuen.

Spectrum, Sa., 2018.09.22



verknüpfte Bauwerke
VS und Wohnheim Wagramerstraße
Wanda Lanzer Schule

28. Juli 2018Franziska Leeb
Spectrum

Das Wiener Campusmodell: Bildung aus dem Regal

Alles unter einem Dach: Das Wiener Campusmodell sieht eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe in einem Gebäude vor. In der Wiener Attemsgasse ist ein solcher „Campus plus“ seit einem Jahr in Betrieb. Ein erster Erfahrungsbericht.

Alles unter einem Dach: Das Wiener Campusmodell sieht eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe in einem Gebäude vor. In der Wiener Attemsgasse ist ein solcher „Campus plus“ seit einem Jahr in Betrieb. Ein erster Erfahrungsbericht.

Die Abkürzungen „Biber“ und „Mufu“ gehören seit ein paar Jahren zum Wortschatz all jener, sie sich in der Bundeshauptstadt mit dem Neubau von Schulen befassen. Doch ist in vielen Fällen „Schule“ nicht mehr der korrekte Ausdruck, da das Wiener Campusmodell eine ganztägige Betreuung in Kindergarten, Volksschule und Unterstufe unter einem Dach vorsieht. Waren zunächst die einzelnen Stufen unter einem Dach als eigene Einheiten organisiert, wurde 2013 mit dem Konzept „Campus plus“ eine enge Verknüpfung zwischen Kindergarten und Schule angepeilt, um den Übergang zu erleichtern. Vier Schulklassen und zwei Kindergartengruppen werden zu Bildungsbereichen (Biber) zusammengefasst und nutzen gemeinsame Multifunktionsflächen (Mufu). Bis zu vier Biber beherbergt im Regelfall ein „Campus plus“, also 21 Schulklassen und zwölf Kindergartengruppen. Zudem werden weitere Einrichtungen integriert – etwa eine Musikschule beim Bildungscampus Attemsgasse, dem ersten nach diesem Konzept.

Wie alle Campus-plus-Projekte wurde auch dieses als PPP-Modell errichtet und war bereits lange vor seiner Erbauung Gegenstand hitziger Debatten (siehe „Wer braucht denn schon Details?“, „Spectrum“, 10. 3. 2018). Aus dem Architekturwettbewerb ging 2014 der Beitrag der Querkraft Architekten hervor. Diese präzisierten in der Folge im Auftrag der Stadt im Eiltempo den Entwurf bis zur Einreichplanung und erarbeiteten Hunderte von Leitdetails. Diese Planungen, die das Projekt bereits sehr genau, aber noch nicht bis in die letzten Feinheiten darstellen, dienten als Vorgabe für das Verfahren zur Findung eines PPP-Partners. Wegen der Befürchtung eines Vorteils gegenüber anderen Bewerbern und Ängsten, das Projekt laufe Gefahr, nicht mit den Maastricht-Kriterien konform zu sein, wurde dezidiert ausgeschlossen, dass der PPP-Partner mit dem Wettbewerbssieger weiterarbeitet. Den Zuschlag erhielt schließlich die Gesiba, mit der Ausführungsplanung wurde das Büro Skyline Architekten beauftragt – und Querkraft fortan nicht mehr eingebunden. In der Zwischenzeit wurden die Modalitäten geändert, und so ist bei den weiteren Campus-Projekten möglich, die Entwurfsarchitekten bis zum Schluss miteinzubinden, womit Entscheidungen über Gestaltungsfragen, die erst in späteren Phasen möglich sind, mit den Projektautoren getroffen werden.

Wie sich das neue Konzept und die von Querkraft entworfene Raumkonfiguration bewähren, interessierte auch Universitätsassistentin Corina Binder und 14 Studierende von der TU Wien. Im Zuge des Wahlseminars Gebäudelehre zum Thema Bildungsbau waren sie im Mai eine ganze Woche vor Ort, analysierten Raumstruktur und Nutzerverhalten, protokollierten den Tagesablauf und führten Gespräche mit Pädagoginnen und Architekten. Die Ergebnisse werden vertieft ausgearbeitet und danach der Stadt Wien als Feedback zur Verfügung gestellt. Dem „Spectrum“ wurde dankenswerterweise ein erster Einblick in die Erkenntnisse gewährt.

Wie ein riesiges Regal wirkt der quaderförmige Baukörper. Das kommt vom allseitig umlaufenden Stahlbetongerüst, das Balkonplatten, Pflanztröge sowie Fluchtstiegen aufnimmt. Die Architekten konzipierten es als Ereigniszone, die Kindern und Pädagogen eine Varianz an Bespielungsmöglichkeiten bietet, welche die Lebendigkeit des Betriebes nach außen abbildet. Drei Meter tief ist die äußerste Raumschicht, die Spielen und Aufenthalt im Freien in unmittelbarer Nähe zum Bildungsraum zulässt, wo kleine Gärten angelegt werden können, die mit entsprechendem Mobiliar wohnliche Freiluftzonen werden könnten. Wie gut die Aneignung gelingt, wird auch von der Bereitschaft und Kreativität des pädagogischen Personals und den finanziellen Ressourcen für diverse Zusatzausstattungen abhängen. Zudem gibt es Freiraum zu ebener Erde in Hülle und Fülle im abwechslungsreich gestalteten Schulgarten, der durch den unterirdisch mit der Schule verbundenen Turnsaaltrakt gegliedert ist.

Im Inneren setzt sich die Idee des variantenreich nutzbaren Regals fort. Die Ebenen wurden als Plattformen gesehen, auf denen innerhalb des Konstruktionsrasters die Räume nach dem Prinzip eines Hauses im Haus verteilt sind. Die Entscheidung gegen einen zentralen „Marktplatz“ für alle und für ein Gewirk an frei bespielbaren Bereichen sorgt für abwechslungsreiche Möglichkeiten der Nutzung. Weiß, Grau und Gelb sind die Leitfarben, die zusammen mit Sichtbetonflächen und unverkleideten Techniksträngen ein werkstattartiges Milieu entstehen lassen, das gut im Einklang mit der Veränderbarkeit und Flexibilität der Räume steht, aber auch erstaunlich wohnliche wirkende Räume anzubieten vermag. Im Kleinen wiederholt sich das Schema in den Wandverbauten. Es sind Patchworks aus unterschiedlich großen Regalfächern und Schränken, die neben Spiel- und Unterrichtsmaterial auch passgenau zugeschnittene Schaumstoffwürfel aufnehmen.

Herrscht nun Chaos, weil das Netzwerk an Erschließungs- und Multifunktionsflächen keine eindeutigen Wegeführungen vorgibt? Nein, so die Erkenntnisse der Studierenden. Es ergeben sich kaum Störungen zwischen den Zöglingen der verschiedenen Institutionen, da zum Beispiel der kürzeste Weg zu den Kindergartengruppen die Bereiche vor den Schulklassen nicht kreuzt. Zudem würden sich die ganz Kleinen auch nur zögerlich in die Reviere der Großen vorwagen. Mit dem Laufrad um die Lichthöfe Achterschleifen zu ziehen und durch die verglasten Flächen Einblick in den Schulunterricht zu bekommen hat aber eine Erlebnisqualität, die es sonst nicht gibt.

Ob umgekehrt die Verglasungen die Schulkinder dazu verleiten, sich ablenken zu lassen? Auch das haben die Studierenden untersucht. Nur ein paar lassen öfter als fünfmal den Blick auf das Geschehen vor dem Klassenraum schweifen, manche dafür gar nicht. Und ständiges Gewurl in den Mufus konnte auch nicht beobachtet werden. Das meiste spielt sich nach wie vor in den Klassen ab. Neuartige Gebäude ändern also nicht sofort langjährig eingeübte Verhaltensmuster. Aber, und das ist die wohl wichtigste Botschaft: Der Campus Attemsgasse lässt eine Fülle an Szenarien zu und ist baulich ein wichtiger Schritt in der oft an Lähmungserscheinungen leidenden Bildungslandschaft.

Spectrum, Sa., 2018.07.28

14. Juli 2018Franziska Leeb
Spectrum

Das neue Stadion der Austria: Fan-Glück ohne Kreischen

Die Wiener Austria eröffnet dieser Tage ihr altes neues Stadion. Statt auf eine spektakuläre Schüssel setzten Verein und Architekten auf robuste Eleganz und eine aktive Rolle bei der Stadtentwicklung um den Verteilerkreis Favoriten.

Die Wiener Austria eröffnet dieser Tage ihr altes neues Stadion. Statt auf eine spektakuläre Schüssel setzten Verein und Architekten auf robuste Eleganz und eine aktive Rolle bei der Stadtentwicklung um den Verteilerkreis Favoriten.

Nach einer Weile willst du nicht mehr von der Hand in den Mund leben, von Tag zu Tag, von Spiel zu Spiel, sondern willst den Rest deiner Tage abgesichert sein.“ So ähnlich wie Nick Hornby in seinem Fan-Roman „Fever Pitch“ das Gefühl nach dem Erwerb einer Sitzplatzdauerkarte im Stadion „seines“ Vereins, des Arsenal Football Club, schildert, muss es wohl nun auch der Wiener Austria ergehen. Denn eine echte Heimat hatte der 1911 gegründete Klub bislang so gut wie nie. Auf Initiative des sozialdemokratischen Abgeordneten und Präsidenten des Wiener Fußballverbandes Franz Horr landete die Austria schließlich 1973 in Favoriten, im ehemaligen Stadion des SK Slovan. Die Ausstattung war nicht besser als zur Errichtungszeit 50 Jahre zuvor. Da der projektierte Ausbau – auch dem Tod von Franz Horr geschuldet – auf sich warten ließ, musste die Austria erneut wandern. Erst Anfang der 1980er-Jahre wurden eine Nordtribüne und Flutlichtanlage errichtet, zögerlich folgten weitere Ausbauten.

Ab der Jahrtausendwende gab der Magna-Konzern ein einige Jahre währendes Gastspiel als Hauptsponsor. Mit dessen Rückzug erfolgte schließlich auch baulich ein Neustart. Zunächst 2008 mit einer neuen Osttribüne, 2010 folgte unweit des Stadions die Nachwuchsakademie (Franz Architekten/Atelier Mauch), die im Hinblick auf den Stadionumbau zuversichtlich stimmte. Austria-Vorstand Markus Kraetschmer nennt die Baumaßnahmen ein „Symbol für den neuen Stil nach Magna“. Dieser ist nicht von greller Zeichenhaftigkeit geprägt, wie sie heute im Stadionbau Usus ist. Fernsehtauglichkeit und Attraktivität für Fans und Geldgeber aus der Wirtschaft lassen sich auch ohne visuelles Gekreische realisieren, erkennen wir vor Ort.

Schon dass das Stadion nun per U-Bahn erreichbar ist, erhöht den Komfort für die Fans. Noch führt der Ausgang in die verkehrsumtoste Ödnis inmitten des Kreisverkehrs, und es fällt es schwer, sich hier – wie im Städtebau-Wettbewerb 2014 vorgesehen – einen Platz mit urbaner Aufenthaltsqualität vorzustellen. Es fehlt ein Fußgänger- und Radsteg zum Stadion und zum angrenzenden Entwicklungsgebiet, wo neben rund 800 Wohnungen auch die Wiener Ballsportakademie angesiedelt werden soll. „Viola Park“ heißt die Siedlung, und so lautet auch der werbefreie internationale Name des Stadions selbst, das sonst „Generali Arena“ heißt. (In diesem Zusammenhang fragt man sich ja, ob die Sitte, die Namensrechte von Stadien zu veräußern, sodass nun die meisten nach Versicherungskonzernen benannt sind und damit sprachlich austauschbar wurden, oft die Bauten exzentrischer werden ließ.)

Die „Generali Arena“ hat als erstes Stadion Mitteleuropas ein Nachhaltigkeitszertifikat, ist mit Fotovoltaik auf dem Dach und Regenwasserzisternen zur Platzbewässerung ausgestattet. Von den raffiniertesten Umwelttechnologien haben die Anrainer aber nichts, wenn ein Stadion Alltagswege behindert und die Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum beeinträchtigt. „Wir wollen ein guter Nachbar sein“, betont Austria-Chef Kraetschmer. Die städtebauliche Dimension stand stets im Fokus, betonen Architekt Reinhardt Gallister und Projektleiter Michael Mauch. Daher sind die Flächen um das Stadion nun öffentlich zugänglich.

Es galt, mehrere Bauphasen in ein Ganzes zu gießen, dazu noch einen einst frei neben der Nordtribüne stehenden, unverrückbaren Funkmasten zu integrieren und alles in ein Umfeld einzubetten, das es zum Teil noch nicht gibt.

„Eine große Schüssel passt nicht an diesen Ort“, erklärt Michael Mauch. Wichtig sei auch gewesen, verschiedene Milieus für unterschiedliche Publikumsgruppen zu schaffen. Die Notwendigkeit, Vorhandenes weiterzuverwenden, mag dieser Milieubildung sogar förderlich gewesen sein. Die Osttribüne von 2008 gab die neue Höhe für das gesamte Karree und die neuen Tribünen im Westen und im Norden vor. Sie ist die Heimat der Veilchen-Fans, auf der sich die Fa-Kultur auch künstlerisch in Form von Graffitis manifestiert. Der Lückenschluss an den vier Ecken erfolgt mit der Erschließung und einer kaschierenden, aber lichtdurchlässigen Hülle aus Streckmetall.

17.500 Zuschauer fasst das Stadion, nicht immer kommen alle in friedlicher Absicht. Das Nordwesteck ist daher jenen gegnerischen Fan-Gruppen vorbehalten, die potenziell für Ärger sorgen. Sie werden, ähnlich wie die Löwen in die Manege, über einen eigenen Eingang zu ihren Plätzen gelotst. Hohe Gitter zu den benachbarten Sektoren und eine Überdeckung mit einem Netz sorgen dafür, dass rundum niemand zu Schaden kommt. Damit gehen zwar Einschränkungen ästhetischer Natur einher, aber es dient der Sicherheit und Freiheit der anderen. Denn die sollen sich möglichst frei bewegen können. Im ersten Rang sind alle Tribünen miteinander verbunden, um das ganze Stadion im Rundgang erleben zu können. Die Tragstruktur des zweiten Ranges kragt weit aus, sodass vom Umgang und den oberen Sitzen sich das Spielfeld quasi im Cinemascope-Format präsentiert.

Ein Familienbereich mit Kindergarten zur Betreuung des Fan-Nachwuchses wurde eingerichtet. Rollstuhlgerechte Plätze finden sich nicht nur in der untersten Reihe, wo sie einfach unterzubringen, allerdings auch stärker der Witterung ausgesetzt sind, sondern genauso auf den oberen Rängen und im VIP-Bereich. Ohne VIPs geht im Fußball ja schon längst nichts mehr, wobei sich die bevorzugte Behandlung selbstverständlich erkaufen lässt. Das Ambiente ist in den Logen und „Skyboxen“ auf der Nordtribüne dank Holzböden, Vorhängen und lederbezogenen Sitzmöbeln recht elegant, stets sind aber auch der Stahlbeton der Konstruktion und das Flair der Fußballarena präsent. Die Oberflächen sind außen wie innen materialsichtig oder unbunt. Selbst die Vereinsfarbe Violett ist, abgesehen von den Zuschauersitzen und Kunstrasenstreifen, der das Spielfeld säumt, sparsam dosiert. Dezenz dominiert, außen wie innen, und nicht nur in den nobleren Zonen, sondern auch dort, wo Robustheit gefragt ist.

Die Erkenntnis: Ein Stadion, das auch der Nachbarschaft guttut, geht nicht aus Bieterverfahren unter Baufirmen und einschlägigen Planungsfabriken hervor. Das können architektonische Universalisten, denen vom Städtebau bis zur Gestaltung der Fuge zwischen Boden und Wand alles wichtig ist, viel besser.

Spectrum, Sa., 2018.07.14

19. Mai 2018Franziska Leeb
Spectrum

Der Gang als erster Therapeut

Es ist kein Geheimnis: Gebäude wirken sich auf das Wohlbefinden aus – und dafür müssen sie nicht einmal besonders originell sein. Das neue Kinderambulatorium in Mistelbach zeigt vor, wie es geht.

Es ist kein Geheimnis: Gebäude wirken sich auf das Wohlbefinden aus – und dafür müssen sie nicht einmal besonders originell sein. Das neue Kinderambulatorium in Mistelbach zeigt vor, wie es geht.

Der Ausblick aus dem Fenster kann die Genesung beeinflussen, stellte der amerikanische Architekturprofessor und Spezialist für Healthcare Design, Roger Ulrich, 1984 fest. Im Magazin „Science“ veröffentlichte er damals Studienergebnisse, die belegten, dass Patienten, die während der Rekonvaleszenz nach einer Operation aus dem Krankenhauszimmer auf Bäume sahen, weniger lang im Spital bleiben mussten und weniger Schmerzmittel benötigten als die Vergleichsgruppe, die auf eine Ziegelwand schaute. Seine Forschungen beeinflussten fortan die Gesundheitswissenschaften und die Gestaltung medizinischer Einrichtungen. Der Begriff „Healing Architecture“ ist heute fixer Bestandteil des Repertoires von Krankenhausplanern. Ausblick in die Natur, gute Orientierbarkeit, viel Tageslicht, helle Gänge und eine ruhige Umgebung tragen zum Wohlbefinden von Patienten, Personal und Angehörigen bei – darüber herrscht kein Zweifel. Trotz mittlerweile durchaus fundierter Forschung zum Thema, zum Beispiel von Architektin Christine Nickl-Weller, die an der TU Berlin das Fachgebiet „Architecture for Health“ leitet, basiert die Gestaltung von Bauten im Gesundheitswesen nicht immer auf klaren wissenschaftlichen Fakten. Geschwungene Formen, viel Holzoptik, Lichtinszenierungen und mehr oder weniger geschmackvolle Fototapeten mögen vielleicht manchen gefallen und als schick empfunden werden, tragen aber ähnlich wenig bei wie kuriose energetische Schutzringe. Es kommt auf mehr an, wenn die Umgebung nachweislich die Gesundheit fördern oder gar die Heilung beschleunigen soll. Einschlägige Studien gibt es, man müsste sie auch anwenden.

Dass es nicht auf Dekor oder besondere Originalität ankommt, wissen ebenfalls die Architekten Christa Prantl und Alexander Runser. Rationalität und zielstrebige Konsequenz kennzeichnet seit jeher ihre Herangehensweise. Schlanke, materialminimierte Konstruktionen, ein strenges Raster und klare Geometrien sind Merkmale ihrer Arbeiten. Beim Umbau des Pavillon 6 am Wiener Otto-Wagner-Spital in eine geriatrische Abteilung haben Runser/Prantl bereits 2001 bewiesen, dass diese Methodik nicht zu einem klinischen Ambiente führen muss, sondern damit durchaus – dank guter Lichtführung und Materialwahl – ein angenehmes Milieu zu schaffen ist.

Nun hatten sie mit einem Ambulatorium in Mistelbach erneut Gelegenheit, eine kleinere Bauaufgabe auf dem Sektor der medizinischen Betreuung zu realisieren. Bauherrin ist die 1975 gegründete, aus einem privaten Verein betroffener Eltern hervorgehende Organisation „VKKJ – Verantwortung und Kompetenz für besondere Kinder und Jugendliche“, die in neun Ambulatorien in Niederösterreich und Wien medizinisch-therapeutische Behandlung für Kinder und Jugendliche mit Entwicklungsverzögerungen, Verhaltensauffälligkeiten und Behinderungen anbietet. In Mistelbach war die seit 25 Jahren bestehende Einrichtung zu klein geworden. Auf einem ursprünglich für Einfamilienhäuser parzellierten Areal am Stadtrand nahe dem Bahnhof entstand daher ein Neubau, der den gestiegenen Raumanforderungen gerecht wird. Runser/Prantl legten den Auftraggebern einen Holzbau nahe – aus ökologischen Gründen, wegen der Möglichkeit der Vorfertigung und daher rascheren Bauweise und weil eine eventuelle Erweiterung rascher und den Betrieb weniger störend vonstattengehen kann. Das Ambulatorium ist ihre zweite Arbeit in der Stadt. Bereits beim 2009 eröffneten Neubau des Freibades konnten sie ihren Anspruch an Präzision im großen Ganzen wie im Detail vorexerzieren.

Und wie das Freibad präsentiert sich auch die Therapieeinrichtung in nüchternem Grau, jenem unbunten Ton, den Runser/Prantl gern als Leitfarbe wählen. Er ist neutral, vermittelt eine gewisse Autorität und Stabilität, unterstützt das Konzept der konstruktiven Rationalität also auf visueller Ebene. In diesem Fall fiel das Grau etwas dunkler aus als sonst. Es wirkt dadurch weniger kühl; die Farbe changiert je nach Sonneneinfall, erscheint zu mancher Zeit als warmes sattes Braun und trägt dazu bei, den flachen Bau durch das optische Gewicht des Kolorits gut im Boden zu verankern. Das Grau bleibt aber draußen – drinnen bilden helles Holz, weiße Wände und ein sandfarbener Boden einen neutralen, freundlichen Grundton. Buntes kommt durch die Einrichtung und die Nutzer ins Spiel.

Aus drei orthogonal zueinanderstehenden, um Mittelgänge angeordneten Flügeln setzt sich der Baukörper zusammen. Vorne, direkt am Parkplatz, der Verwaltungsbereich, Empfang und im Anschluss der Warteraum. Breite Fenster mit niedrigen Parapeten sorgen für Übersicht nach draußen. Linkerhand des Ganges liegt im Vordertrakt der Personalbereich, in dem auch ein Therapiebad Platz fand, und der sich nur vom Aufenthaltsraum an der Gartenseite großzügig nach außen öffnet. Die beiden Therapietrakte liegen abgesetzt vom öffentlichen Grund und beidseitig von überdachten Holzterrassen begleitet wie Gartenpavillons in der Wiese. Dank Fenstertüren an den Enden und Oberlichten sind die Mittelgänge lichtdurchflutet und von einer Weite, die es zulässt, Distanz zu halten, sich seinen Raum selbst zu definieren und leicht auszuweichen. Der Gang als „erster Therapeut“, sagen die Architekten. Aus den Therapieräumen führen Fenstertüren auf die Terrasse und in den Garten.

Konstruiert ist das Gebäude in Holzbauweise mit einer Brettschichtholzdecke auf Stützen aus weiß lasiertem Leimholz und mit in die Attika integrierten Oberzügen. Damit bleibt die Decke frei von Unterzügen, womit man sich maximale Optionen für eine spätere Änderung der Raumgrößen schafft. Die Fassaden sind unabhängig von der Tragkonstruktion aus vorgefertigten Holzständerwänden errichtet. Es ist ein nüchternes, auf rationalen Bauablauf – in vier Wochen war der Rohbau fertig –, Alltagstauglichkeit und langfristige Flexibilität ausgelegtes Gebäude. Das Spektakuläre daran ist die Präzision der Planung: der bewährte Ein-Meter-Raster, der es erlaubt, Tür und Fensteröffnungen präzise zu setzen, zudem schöne Fugenbilder überall dort, wo verschiedene Materialien aufeinandertreffen. Das alles schafft einen ruhigen Hintergrund für einen abwechslungsreichen und für alle Beteiligten fordernden Alltag – mit ganz einfachen Mitteln.

Spectrum, Sa., 2018.05.19



verknüpfte Bauwerke
Ambulatorium Mistelbach

17. März 2018Franziska Leeb
Die Presse

Gustav Peichl ist 90: „Ich finde, dass konservativ kein Schimpfwort sein kann“

„Avantgarde bin ich nicht gerne, aber wahrscheinlich bin ich es, wie unsere ganze Generation.“ Gustav Peichl über seine ORF-Landesstudios, den „Verdränger“ Holzmeister – und was der Architektur heute fehlt. Ein Gespräch zum 90. Geburtstag.

„Avantgarde bin ich nicht gerne, aber wahrscheinlich bin ich es, wie unsere ganze Generation.“ Gustav Peichl über seine ORF-Landesstudios, den „Verdränger“ Holzmeister – und was der Architektur heute fehlt. Ein Gespräch zum 90. Geburtstag.

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03. Februar 2018Franziska Leeb
Spectrum

„Kultur Quartier“: Wie Yves Klein nach Kufstein kam

Urbane Kultiviertheit, unkomplizierte Lässigkeit: Nur eine Handvoll Gestaltungselemente benötigte Johannes Wiesflecker, um Kufsteins neuem Theater- und Veranstaltungszentrum Atmosphäre zu verleihen.

Urbane Kultiviertheit, unkomplizierte Lässigkeit: Nur eine Handvoll Gestaltungselemente benötigte Johannes Wiesflecker, um Kufsteins neuem Theater- und Veranstaltungszentrum Atmosphäre zu verleihen.

Das Zentrum von Kufstein hat in den vergangenen Jahren einen stetigen Wandel erlebt. Diewichtige größere Operation im Herzen der Altstadt war die Generalsanierung und Neukonfiguration des Rathauses durch die Architekten Rainer Köberl, Thomas Giner und Erich Wucherer in den Jahren 2009 bis 2011. Im Zuge der Integration zweier weiterer Bestandsgebäude wurde damals der Rathauseingang vom Unteren Stadtplatz auf den Oberen Stadtplatz verlegt und in der Folge auch der öffentliche Raum der unmittelbaren Umgebung neugestaltet. Während beim Rathaus Alt und Neu eng ineinander verwoben sind und die Veränderungen nicht auf den allerersten Blick lesbar sind, ist das in unmittelbarer Nähe, zwischen Marktgasse, Oberem Stadtplatz, Hans-Reisch-Straße und Inngasse gelegene und vergangenen Herbst fertiggestellte Stadtquartier eindeutig als neu erkennbar. Es entstand auf einer rund 5000 Quadratmeter umfassenden innerstädtischen Brache – zuvor teils Parkplatz, teils mit niedriger, geschlossener Bebauung, unter anderem mit dem 1870 erbauten „Laad-Haus“, um das sich im Vorfeld eine heiße Diskussion für und wider den möglichen Abbruch entsponnen hat.

Im international besetzten Architekturwettbewerb, den die Grundstücksbesitzerin und Investorin, die ortsansässige Bodner-Gruppe, im Jahr 2011 für das Areal auslobte, wurde ein Abbruch des zwar desolaten, aber im Bewusstsein der Bevölkerung verankerten Gebäudes als nur dann denkbar erklärt, wenn ein überzeugender Vorschlag eine deutliche stadträumliche Qualitätssteigerung erwarten lässt. Die ist dem Wettbewerbssieger, Architekt Johann Obermoseraus Innsbruck, gelungen. Die neuen Gebäudeblöcke, integrieren sich, am Maßstab und den Wegeführungen des Umfelds orientiert, gut in die Umgebung. Dank abwechslungsreich bespielter Erdgeschoßzonen, Fußgängerzone mit angenehm zurückhaltendem, hellem Farbasphaltbelag und angrenzenden Shared-Space-Bereichen lässt es sich dort nicht minder fein flanieren wie in den historischen Altstadtgassen.

Bereits im Architektenwettbewerb war die Integration eines Theaters vorgesehen, später wurde auch der Wunsch nach einem stadteigenen Veranstaltungssaal laut. Im Gemeinderat beschlossen wurde der Ankauf der fassadenfertigen Hülle allerdings erst nach langen Diskussionen vier Jahre später, als der Rohbau bereits fertig war und das neue Ensemble längst als „Kultur Quartier“ vermarktet wurde.

Dass es nun diesen Namen zu Recht trägt, ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sich die neue Kultur- und Veranstaltungsstätte im Herzen des Quartiers als wahres Kleinod entpuppt. Auch das Gesamtpaket funktioniert mit einem Nutzungsmix aus Geschäfts- und Büroflächen, Gastronomie und Wohnungen als kultiviertes Stück Stadt. Es wurde kein Leerstand produziert, nicht zuletzt wohl auch deshalb, weil es keine großen Einzelhandelsflächen am Stadtrand gibt und die Innenstadt daher ein attraktiver Standort ist.

Johannes Wiesflecker verantwortet den Innenausbau und schuf einen Ort von urbaner Kultiviertheit und zugleich unkomplizierter Lässigkeit, wie man ihn in einer Kleinstadt – noch dazu in einer so mit romantisierenden Klischees behafteten – nicht vermuten würde. „Ein kleines, feines Theater sollte es werden“, so der Architekt, „kein rotziges Kellertheater.“ Sichtbeton, dunkel gebeiztes Eichenholz, leuchtendes Blau, Metallgewebe: Schon im Foyer, das ein großzügiges Entree für den multifunktionalen Veranstaltungssaal und den Theatersaal bildet, kündigt sich jenes Material- und Farbkonzept an, das die sinnliche Atmosphäre des Ortes trägt und dafür sorgt, dass man sich unmittelbar nach Eintritt in einer anderen Welt fühlt.

Die unterschiedlichen Oberflächen akzentuieren die vorgefundene Baustruktur, definieren Bereiche und fügen sich in beinahe Rietveldscher Manier zu einer geometrischen Komposition. Dem niedrigeren Raumteil entlang sind in Längsrichtung drei unterschiedlich lange Quader angeordnet, die je nach Bedarf als Kassentheke, Rezeption oder Bar fungieren; monochrom in Blau gehalten, mit einer Fuge abgesetzt leicht über dem Holzboden schwebend. Im Gegensatz zur Holzdecke im größeren und höheren Aufenthaltsbereich wurde die Betonuntersicht der Decke mit einem rauen Putz in einem satten Ultramarin versehen. Das „International Klein Blue“, jene Farbmischung, die Yves Klein in den 1950er-Jahren auf der Suche nach dem perfekten Blau entwickelte, stand dafür Pate. Durch die Putzstruktur und die Intensität der Farbe bekommt sie nahezu textile, leicht flauschige Anmutung. Ursprünglich wollte Wiesflecker die Decke sogar mit einem Teppich belegen, es ließ sich jedoch kein brandschutztaugliches Material in der gewünschten Qualität auftreiben, und so lag es an den Malern, beste Arbeit zu leisten.

An der gegenüberliegenden Längsseite öffnet sich die Holzwand in den Veranstaltungssaal, der 450 Besucher aufnimmt und mittels mobiler Wandelemente mit dem Foyer gekoppelt werden kann. Auch in seinem Inneren zieht sich das dunkle Holz über die Stirnwand bis zur Decke. Das den Seitenwänden vorgehängte Metallgewebe kaschiert dahinterliegende haustechnische Installationen, wirkt sich akustisch günstig aus und trägt auf beiläufige Weise dazu bei, dass es dem Saal in angenehmer Weise an jener unverbindlichen Fadesse fehlt, die Multifunktionssälen, die von Firmenfeiern über Kongresse bis hin zu Kulturveranstaltungen allem gerecht werden müssen, oft anhaftet. Hier braucht man keine Dekoration, damit der Raum festlich wirkt.

Ein ebensolches „Kettenhemd“, wie der Architekt den Metallvorhang nennt – in der Festungsstadt Kufstein eine zulässige Assoziation –, kündigt an der Stirnseite des Foyers den dahinterliegenden Theatersaal an. Er ist die neue Spielstätte des Kufsteiner Stadttheaters, das 1908 als „Tiroler Volkstheater Kufstein“ gegründet wurde und zu den aktivsten und mit rund 150 Mitgliedern größten Laienensembles des Bundeslandes zählt. Die 175 Sitze in Blau gepolstert, dunkel gebeizte Eiche auf Boden und Galeriebrüstung und an den Seiten wieder der Kettenvorhang, dem die eingewebten Beleuchtungskörper ein verheißungsvolles Glitzern verleihen, das den Raum mit Theaterzauber erfüllt, noch ehe sich der Bühnenvorhang öffnet.

Spectrum, Sa., 2018.02.03

29. Dezember 2017Franziska Leeb
Spectrum

Was die Website nicht kann

Welche Funktion erfüllen Architektenmonografien in Zeiten, da jedes Architekturbüro einen eigenen Internetauftritt betreibt? Ein Blick auf drei sehr unterschiedliche Architektenmonografien – und ein Plädoyer für das Buch.

Welche Funktion erfüllen Architektenmonografien in Zeiten, da jedes Architekturbüro einen eigenen Internetauftritt betreibt? Ein Blick auf drei sehr unterschiedliche Architektenmonografien – und ein Plädoyer für das Buch.

Ein Architekturbüro, das auf sich hält, leistet sich ein eigenes Buch. Ob als Akquise-Instrument, zur Selbstreflexion oder aus dem Bedürfnis, sich mitzuteilen – sie wertedie unterschiedlichen Gründe nicht, meint Eva Guttmann, die seit 2015 die Verlagsrepräsentanz des schweizerischen Architekturverlags Park Books in Österreich innehat. Denn selbst dann, wenn die Motivation schlicht darin läge, neue Märkte zu erschließen, passiere im Zuge der Entstehung des Buches die Reflexion automatisch. Zu finanzieren sind die Monografien generell von den Architekturbüros. Das Risiko für die Verlage ist also gering. Publizieren sie daher alles, was ihnen angetragen wird? „Nein“, betont David Marold vom Birkhäuser Verlag,„wir lehnen durchaus Bücher ab, die unseren Qualitätskriterien nicht entsprechen.“ Die Bearbeitung durch ein unabhängiges Redaktionsteam sei wichtig; nicht gern gesehen ist allzu Eitles, das an der Leserschaft vorbeigeht. Ein Patentrezept für eine erfolgreiche Architektenmonografie gibt es nicht. Wie vielgestaltig Architektenmonografien sein können, sei anhand dreier Beispiele, die2017 erschienen, belegt.

Opulent und mit einem offensichtlich ausgeprägten Willen, etwas Besonderes vorzulegen, präsentiert sich „Gohm Hiessberger vis-à-vis“, erschienen bei Park Books. Der Titel bezieht sich auf das 25-jährige Zusammenarbeiten von Markus Gohm und Ulf Hiessberger an einem Tisch. Getragen wird das Buch von den großformatigen Fotografien von Markus Gohm. Nur jeweils getrennt von weißen Seiten mit Angaben wie Entstehungsjahr, Ort, Projektname und einem poetischen Zwischentitel zeigen die Bilder 24 Bauten im Gebrauch und zeugen davon, wie sich individuelle Lebensstile und die Wohnkultur der Bewohner entfalten. Die Kuckucksuhr und der geschnitzte heilige Florian im Feuerwehrhaus werden ebenfalls zu Hauptdarstellern wie ein anmutiges Spiel von Licht und Schatten. Wem die Aussage der Bilder nicht reicht – drei für sich stehende Essays sind als kleinformatige Einhefter eingefügt: zu Beginn „Minima Tabernacula“ von Michael Köhlmeier über das Wesen des Hauses und des Hausens, am Ende des Fotoessays einer von Herausgeberin Marina Hämmerle zu einigen der abgebildeten Bauten; und schließlich ein Essay von Architekturkritiker Otto Kapfinger, der sich mit der „Fotografie als Kardiogramm von Baukunst“ befasst. Ein überraschendes Architekturbuch, das vor allem durch die sehr spezifische Bildsprache überzeugt. Will man aber rasche Informationen, muss man sie sich mitviel Blättern und Suchen erarbeiten – oder ins Internet gehen.

Ganz anders verhält es sich bei „Diagonale Strategien – Berger + Parkkinen Architekten“, erschienen bei Birkhäuser. Das seit 1995 entstandene Werk des Architektenpaars Alfred Berger und Tiina Parkkinnen ist relevanter, als es der schmale und an Gewicht leichte Band vorgibt. Hier stehen die Texte im Vordergrund, insbesondere der titelgebende Essay des Architekten und Theoretikers Francisco Barrachina Pastor, der Entwurfsstrategien der Protagonisten darlegt und ausgewählte Bauten rezensiert und kontextualisiert. Bilder der besprochenen Bauten – darunter die Nordischen Botschaften in Berlin (1999), die Fachhochschule Hagenberg (2005), der Holzwohnbau in der Seestadt Aspern (2015, mit Querkraft Architekten) oder das in Bau befindliche Paracelsusbad in Salzburg – begleiten den Text. Zum Abschluss gibt ein vom Herausgeber August Sarnitz und dem Künstler Hubert Lobnig geführtes Interview mit den Architekten vertiefenden Einblick in die Arbeitsweise von Berger + Parkkinen und trägt zur Lebendigkeit bei. Es braucht also nicht unbedingt schwere Schmöker, um den Spirit eines Architekturbüros darzustellen. Und es bleibt Spielraum, in Zukunft etwas Üppigeres nachzulegen.

Im Salzburger Müry Salzmann Verlag erschien mit „Walter Stelzhammer – Vierzig Werkjahre“ eine Architektenmonografie, die im Vergleich zu den heute üblichen, ästhetisch elaborierten Architektenbüchern in ihrer Normalität und ihrem Anspruch auf Vollständigkeit beinahe antiquiert erscheint. Der Schutzumschlag zeigt das eigene Ferienhaus, die von 1982 bis 2000 entstandene Maison Turquoise. Warum die Wahl gerade auf dieses im Selbstbau auf einem extrem steilen Hang ohne Infrastruktur an der türkischen Mittelmeerküste fiel, erschließt sich in der Zusammenschau des gesamten bisherigen Schaffens: Raumbezüge zwischen Innen und Außen, Atrien, Durch- und Ausblicke, abwechslungsreiche Wegführungen sowie generell südliche Stadtbautraditionen finden sich auch in Stelzhammers Wohnhausanlagen und Siedlungskonzepten. Stelzhammer ließ nicht schreiben. Verlegerin Mona Müry hat ihn dazu ermuntert, dies selbst zu tun. Wir haben also eine Architektenmonografie vorliegen, die ungefiltert durch den distanzierten Blick und die Interpretationen eines professionellen Architekturschreibers die Projekte erläutert. Im Vorwort, in dem er von prägenden Persönlichkeiten und Inspirationen erzählt, ist Stelzhammers O-Ton am stärksten zu spüren, während man sich in den sehr sachlich gehaltenen Texten zu den einzelnen Projekten bisweilen mehr Emotion wünschen würde. Gegliedert in die Kapitel Einfamilienhäuser, Bauen im Bestand und Wohnungsneubau laufen im Hauptteil Text, Fotos (Rupert Steiner) und Pläne miteinander ohne große Inszenierung.

Das Werkverzeichnis leistet einen ausführlichen Überblick über das gesamte bisherige Schaffen: Beginnend mit Studentenarbeiten aus den 1970er-Jahren, werden alle realisierten Bauten sowie Wettbewerbsprojekte und Studien detailreich mit ein bis drei Bildern oder Plänen und kürzeren Texten vorgestellt. Ein lückenloses Publikationsverzeichnis und ein ausführlicher biografischer Teil komplettieren das Buch, das vom Zeitgeist unbeeinflusst ein noch nicht abgeschlossenes Lebenswerk eines verdienstvollen Stadt- und Raumgestalters darlegt. Ohne Zweifel ein Buch von großem Nutzen; keine Website könnte ein Architektenwerk in so geballter Form zugänglich machen.

Marina Hämmerle (Hrsg.): „Gohm Hiessberger vis-à-vis“ (372 S., geb., € 58; Park Books, Zürich); August Sarnitz (Hrsg.): „Diagonale Strategien – Berger + Parkkinen Architekten“ (144 S., geb., € 29,95; Birkhäuser Verlag, Basel); „Walter Stelzhammer – Vierzig Werkjahre“ (576 S., geb., € 55; Müry Salzmann Verlag, Salzburg).

Spectrum, Fr., 2017.12.29

18. November 2017Franziska Leeb
Spectrum

Offen für das Besondere

Eine Bank, drei Kirchen und eine Brücke auf Wolke sieben: Seit 50 Jahren vergibt die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs den Bauherrenpreis. Das heurige Best-of.

Eine Bank, drei Kirchen und eine Brücke auf Wolke sieben: Seit 50 Jahren vergibt die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs den Bauherrenpreis. Das heurige Best-of.

Für fast 300 Bauten wurden seit 1967 Bauherrenpreise vergeben. Mancher ist heute vergessen, einige sind verändert oder nicht mehr erhalten, wie Hans Holleins Verkehrsbüros, manches ist vernachlässigt oder von der Zerstörung bedroht, wie das Kongresszentrum Bad Gastein von Gerhard Garstenauer oder die Schule am Kinkplatz von Helmut Richter. Auch daran sei erinnert, wenn wir die verdienten Bauherren der Gegenwart würdigen. 82 Einreichungen wurden heuer im Lauf des Sommers von Nominierungsjurys besichtigt, maximal drei Bauten pro Bundesland vorgeschlagen, die im Sinn der Auslobung als „exzeptionelle Lösungen, realisiert in intensiver Kooperation von BauherrInnen und ArchitektInnen“ eingestuft wurden. 23 Nominierungen waren es schließlich, die wir – TU Wien-Professorin Tina Gregorič aus Ljubljana, Architekt Richard Manahl und die Autorin – auf der Agenda einer viertägigen Tour durch Österreich hatten. Zu Beginn der Reise stand die Frage: Wodurch sollen sich die Bauherrenpreise aus dem Kreis der bereits Auserwählten hervorheben? Nicht nur nach regionalen Maßstäben sollen es herausragende Beiträge mit Strahlkraft sein, auch im internationalen Vergleich müssen sie bestehen können, so unser Konsens.

Sechs wurden es schließlich, davon vier an dieser Stelle in der Vergangenheit bereits besprochen: der Erste Campus in Wien, wo sich eine Bank nicht mit Logos und Firmenfarben in Szene setzt, sondern mit einer städtebaulich klugen Konfiguration, einer großzügigen, öffentlich zugänglichen Mall mit hohem Aufenthaltswert und besten Konditionen für alle Arbeitsplätze. Generaldirektor Andreas Treichl hegte vor Start des Wettbewerbs die Hoffnung, das neue Hauptquartier möge den Beginn einer neuen Ära für Wiens Architektur markieren. Mit den Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck legte er als Bauherr die Latte jedenfalls hoch.

Auffallend viele Sakralräume und Einrichtungen kirchlicher Institutionen gab es zu besichtigen. Darauf zu schließen, „die Kirche“ sei gegenwärtig eine relevante Bauherrin, wäre gewagt. Die drei ausgezeichneten Projekte sind kein Ausdruck eines Architekturwollens übergeordneter Institutionen, sondern glückliche Fügungen und Einzelinitiativen. Die Renovierung und räumliche Klärung der evangelischen Kirche in Mitterbach durch die Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer macht den Geist der Gründer des ältesten Bethauses Niederösterreichs wieder bewusst und geht Hand in Hand mit den seelsorgerischen Anliegen von Pfarrerin Birgit Lusche, die den Architekten ein inspirierendes Gegenüber war. Nur wenige Kilometer entfernt war in der katholischen Wallfahrtshochburg Mariazell Superior Pater Karl Schauer ein Vierteljahrhundert lang Spiritus Rector eines mit ungeheurer Empathie betriebenen Sanierungs- und Revitaliserungsprojektes. Die Architekten Wolfgang Feyferlik und Susanne Fritzer realisierten eingebettet in ein visionär anmutendes Gesamtkonzept in und um die Basilika und das geistliche Haus zahlreiche kleinere und größere Maßnahmen voll Raffinement: jede davon maßgeschneidert, aber immer das Ganze und den wertvollen Bestand im Blick, mit dem die neuen Interventionen auf höchstem gestalterischem Niveau eine kongeniale Symbiose eingehen.

In Krumbach im Bregenzerwald initiierten Bewohner benachbarter Parzellen den Neubau der Kapelle Salgenreute anstelle eines nicht mehr sanierbaren 130-jährigen Holzkirchleins. Unter Federführung des ortsansässigen Architekten Bernardo Bader entstand im Zusammenspiel von Fachleuten und Freiwilligen ein spiritueller Ort in der Landschaft; formal zurückgenommen und dennoch ausdrucksstark, konstruktiv ausgetüftelt und handwerklich meisterhaft.

Bei Regen und im dichten Frühverkehr stand die Besichtigung der Sägerbrücke in Dornbirn an. Trotz der widrigen Bedingungen erlebten wir einen Ort von hoher Aufenthaltsqualität, der dem gemeinsamen Bemühen von Land und Stadt um die Aufwertung eines hochfrequentierten Ortes und einem brillanten Konzept der Architekturwerkstatt Dworzak-Grabher zu danken ist. Breiter als lang in seiner Proportion schufen sie nicht nur einen Verkehrsweg, sondern einen öffentlichen Platz über der Dornbirner Ache, der unterschiedlichen Formen der Mobilität gleichberechtigt Raum gibt. Wie aus einem Stück aus Beton mit hellem Granitzuschlag geformt geht die Fahrbahn mit minimalem Niveauunterschied in das Trottoir über, das an den Rändern zu Brüstungen hochgezogen wird. Gestockt auf den Fahrbahnen, sandgestrahlt im Fußgänger- und Fahrradsektor, geschliffen im Haltestellenbereich und poliert an der Dachunterseite der Bushaltestellen zur Reflexion der Beleuchtung tragen verschiedene Oberflächenbehandlungen den unterschiedlichen Anforderungen Rechnung. Man vermisst leichten Herzens die im Verkehrsbau gängigen Standardlösungen und die Vereinnahmung durch Werbung und erfreut sich an Nischen in den Brüstungen und Holzlehnen, die zum Verweilen einladen. In strahlendem Gelb setzt in der Brückenplatzmitte eine Skulptur von Hubert Lampert ein vertikales Zeichen am Eingang zur Innenstadt.

Am Ende der 2.500 Kilometer langen Tour kommen wir im Schlosspark Grafenegg an. Vor zehn Jahren schufen the nextENTERprise Architects hier die beeindruckende Konzertarena und zugleich ein StückLand-Art, das seinen Zauber auch außerhalb der Festival-Saison zu entfalten vermag. Einen weniger erbaulichen Anblick boten stets die Buden der Veranstaltungsgastronomie. Lang hat es gedauert, bis die zuständige Kulturbetriebsgesellschaft das bewährte Architektenteam mit einer Verbesserung der Situation betraute, aber dafür wurde nun Einzigartiges möglich. Mit einem geschwungenen, zweifach gekrümmten Dachschirm aus Ortbeton, der auf zarten Stützen lagernd den natürlichen Biegeverlauf zum konstruktiven Prinzip erhebt, schmiegt sich der Catering-Pavillon Wolke 7 zwischen die Bäume. Ein Raum im Freien, der sich je nachNutzungsintensität neu konstituiert: als Bar und gesellschaftlicher Treffpunkt; unbewirtet erfreut er als extravagantes Folly, Rastplatz oder Unterstand.

Das sind die Bauherrenpreisträger 2017. Sie alle haben dazu beigetragen, ein Stück Umwelt zu verschönern und zu verbessern. Sie eint, dass in ebenbürtiger Zusammenarbeit aller Beteiligten für die jeweilige Aufgabespezifische, individuelle Lösungen gefunden wurden – stets dank beherzter Bauherren, die für das Besondere offen waren.

Spectrum, Sa., 2017.11.18



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2017

14. Oktober 2017Franziska Leeb
Spectrum

Grüner Block mit Balkonen

Im zwölften Wiener Gemeindebezirk gelang einer privaten Bauherrin gemeinsam mit dem Architekturbüro Gerner Gerner plus ein vorzüglicher Beitrag zur Stadterneuerung. Nachmachen erwünscht!

Im zwölften Wiener Gemeindebezirk gelang einer privaten Bauherrin gemeinsam mit dem Architekturbüro Gerner Gerner plus ein vorzüglicher Beitrag zur Stadterneuerung. Nachmachen erwünscht!

Die Wiener Wolfganggasse ist eine unspektakuläre, aber auffallend grüne Gasse, der eine Allee aus Ahornbäumen und gut gepflegten Grünstreifen eine angenehme Atmosphäre verleihen. Die Bebauung stammt mit wenigen Ausnahmen aus der Gründerzeit. Im Gebäudeblock nördlich der Flurschützstraße ist seit Jahrzehnten ein pharmazeutisches Unternehmen ansässig. Mit der Entscheidung, die Produktion zu verlagern und nur noch das Büro am Ort zu belassen, war das Firmenareal frei für eine neue Nutzung, womit nun in baugeschichtlicher Hinsicht auch die Gegenwart Einzug gehalten hat. Die Bauherrin lud fünf Architekturbüros zum Wettbewerb für einen ökologisch korrekten Wohnbau mit viel Frei- und Grünraum, den das Architekturbüro Gerner Gerner plus für sich entscheiden konnte.

Gegartelt wird in der Wolfganggasse schon länger, zunächst im Zuge eines 2009 von Jutta Wörtl-Gössler initiierten Kunstprojektes, aus dem der Verein „Garten Wolfganggasse“ hervorging, der sich zu einem weit über die Bezirksgrenzen beachteten Nachbarschaftsprojekt entwickelte und für die prächtigen Beete verantwortlich ist. Eine Idylle, die mit einem den gesamten Mittelteil des Blocks zwischen Wolfganggasse und Schallergasse umfassenden Neu- und Umbauprojekt durchaus hätte ins Ungleichgewicht geraten können. Zur Genüge kennt man die Neubau- und Sanierungsprojekte in den Gründerzeitvierteln mit ihren leblosen Erdgeschoßzonen, wo dann mit poppig aufgemotzten Fassaden versucht wird, der Tristesse irgendwie Herr zu werden.

Es geht auch anders, wie das jüngst fertiggestellte Ensemble von Gerner Gerner plus zeigt. Allerdings musste einiges an alter Substanz weichen, wie das aus den 1960er-Jahren stammende Bürohaus an der Wolfganggasse und auch ein parallel dazu gelegenes Gründerzeithaus an der Schallergasse. Beide wurden durch Neubauten, die formal die gleiche Sprache sprechen, ersetzt. Das Haus Schallergasse 42, das im Jahr 1913 als Wohn- und Fabrikshaus für die Spiegelglasfabrik Johann Arminger von Baumeister Jaroslav Bubik erbaut wurde, bildet nun mit den beiden Neubautrakten ein stimmiges Ensemble um einen abwechslungsreich gestalteten Innenhof.

Der „Wolfshof“, so wurde es getauft, gibt sich schon aus der Ferne zu erkennen. Unterschiedlich weit ausgezogenen Schubladen gleich, strecken sich Balkone aus Betonfertigteilen mit integrierten Pflanztrögen oder Pflanztröge allein mehr oder weniger tief in die Luft über dem öffentlichen Gut der Wolfganggasse, als würden sie nach den Baumkronen greifen wollen. Im Erdgeschoß öffnen sich die Büros raumhoch verglast zur Straße und erhalten Sichtschutz durch einen langen Pflanztrog. Die Fassade wurde nicht in ein Wärmedämmverbundsystem gepackt, erstens weil man mit möglichst natürlichen Materialien arbeiten wollte, und zweitens weil der zwölfte Bezirk ein Ziegelbezirk ist, wovon zum Beispiel noch die nahe Remise der Badner Bahn, mit der einst die Ziegelöfen im Süden Wiens mit dem Zentrum verbunden wurden, Zeugnis ablegt. Daher griff man zu einer Dämmung aus Mineralwolle und einer Hülle aus Tonziegelpaneelen. In einem ähnlichen Farbton wie die Balkone gehalten und einem Verlegemuster aus gerillten und glatten Elementen entsteht ein schönes Hell-dunkel-Spiel, das durchaus Verwandtschaften zu historischen Wiener Fassaden aufweist. Denn auchdie waren stets überwiegend monochrom und in diversen hellen, steinfarbenen Tönen verputzt ausgeführt, womit sich auch bei vonHaus zu Haus unterschiedlichen Dekoren und Stilen ein einheitliches harmonisches Stadtbild erzeugen lässt. Es bleibt ein Rätsel, warum in Wien außerhalb der Schutzzonen dem bunten Patchwork, das so viel visuelle Unruhe verursacht, nicht beizukommen ist. Die Gerners haben jedenfalls verstanden, worauf es ankommt.

Balkone sind auch ein Hauptthema im Hof, wo die Fassaden der Neubauten ebenso hochwertig wie an der Straße ausgeführt wurden. Die Wiener Stadtgestaltungsmaxime, dass Stadtbild nur das sei, was man von der Straße aus sieht, fand also nicht Anwendung. Aus dem früheren, mit diversen Nebengebäuden, Abstell- und Rangierflächen zugebauten Hof wurde eine Parklandschaft mit Hochbeeten, Wasserbecken, Liegeflächen sowie einer Sitzstufenanlage. Dazu kommen noch kleinere gestaltete Freiräume wie der Hof des Büros oder der „verborgene Garten“ im Lichthof zur Tiefgarage. Davon profitieren nicht nur die Mieter und Eigentümer des Wolfshofs, sondern auch jene der benachbarten Häuser, für die das neue Ensemble Aussicht, Ambiente und Mikroklima verbessert.

Die Altbautrakte wurden naturgemäß anders behandelt als die Neubauten, was der Harmonie keinen Abbruch tut. Vor die weißen Fassaden gestellte Stahl-Holz-Konstruktionen erweitern die Wohnungen großzügig ins Freie. Im Gegensatz zu den optisch wie haptisch härteren Neubaufassaden wirken sie wie Weichzeichner, was sich noch verstärken wird, sobald die Rankpflanzen hochgewachsen sind. Auch an der ruhigerenSchallergassenseite hat man sich bemüht, der Anlage keinen Hintaus-Charakter zu geben. Auskragende Balkone waren hier nicht möglich, dafür gibt es vorgehängte Pflanztröge, damit das Erdgeschoß nicht zu abgeschottet ist, öffnete es man mit einem großen horizontalen Fenster zur Straße.

Sorgfalt im Detail, aber ohne zu kapriziöszu werden, kennzeichnet auch das Innere. Die 70 Wohnungen sind hochwertig und solide ausgestattet. Von besonderem Flair sind die Lofts im Altbau, wo die Ast-Molin-Rippendecken freigelegt wurden und die Sanitärzellen als niedrigere in den Raum gestellte Boxen den Grundriss gliedern, ohne die Großzügigkeit des Raumflusses zu unterbinden. Erwähnt seien noch ein riesengroßer Fahrradabstellraum und der geräumige Kinderspielraum mit Küche und Sanitärbereich,die zusammen mit dem Hof ein Angebot an gemeinschaftlichen Einrichtungen bereitstellen, wie es im üblicherweise zunächst aufRendite bedachten frei finanzierten Wohnbau in solchem Umfang und solcher Qualität äußerst selten ist.

In nächster Nähe steht die Entwicklung des Areals um den aufgelassenen Betriebsbahnhof der Wiener Lokalbahnen, die ihre Anlagen nach Wien-Inzersdorf übersiedeln, an. Die professionellen Entwickler im Eigentum der Stadt sind gut beraten, sich am privaten Wolfshof ein Vorbild zu nehmen.

Spectrum, Sa., 2017.10.14



verknüpfte Bauwerke
wolf - Wohnbau Wolfshof

22. Juli 2017Franziska Leeb
Spectrum

Blick nach vorn zurück

„Retroperspektive – Architekturprojekte im historischen Kontext“: In einer ersten Werkschau zeigen die Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy ihre Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz. Zu besichtigen im Stift Altenburg, Niederösterreich.

„Retroperspektive – Architekturprojekte im historischen Kontext“: In einer ersten Werkschau zeigen die Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy ihre Auseinandersetzung mit historischer Bausubstanz. Zu besichtigen im Stift Altenburg, Niederösterreich.

„Retroperspektive“ übertiteln die Architekten Christian Jabornegg und András Pálffy ihre Ausstellung im Stift Altenburg. Der Blick nach vorn zurück war bereits 1997 das Leitmotiv von Catherine David für die Documenta X in Kassel, für die Jabornegg & Pálffy damals die Ausstellungsräume im Südflügel des Hauptbahnhofes und im Fridericianum umbauten: Mit besonnenen Eingriffen spielten sie die jeweilige Substanz von überflüssigen späteren Eingriffen frei, gestalteten einheitliche Oberflächen, schufen trotz – oder vielmehr gerade wegen – unaufdringlich im Hintergrund bleibender Interventionen eine angenehme Atmosphäre und sorgten auf funktionaler Seite zudem für ein gutes Ausstellungsklima und ausgezeichnete Orientierung für die Besucher.

Aufbauend auf der genauen Lektüre und Reflexion des Bestandes das Potenzial eines Eingriffes ausloten, dies kennzeichnet so gut wie alle Arbeiten des Wiener Architekturbüros, das sich seit 25 Jahren mit dem Weiterbauen historischer Bausubstanz beschäftigt. Die Ausstellungsräume für die Documenta X sind eines von 17 Projekten, anhand derer im Stift Altenburg die Logik ihrer Herangehensweise verständlich gemacht wird.

In drei Bauphasen waren sie bislang von 2002 bis 2012 im Benediktinerstift im Waldviertel tätig. Im Zuge der barocken Transformation der im 12. Jahrhundert gegründeten Klosteranlage lagerte Joseph Munggenast der über 200 Meter langen monumentalen Ostansicht eine Altane vor, die kurzerhand auf einer Beschüttung über dem mittelalterlichen Vorgängerbau errichtet wurde. Als aufgrund des Erddrucks entstandene Risse Untersuchungen notwendig machten, kamen wesentliche Teile der mittelalterlichen Bausubstanz zutage, und es stellte sich neben der Frage nach der statischen Sicherung des gesamten Bereiches auch jene nach einem adäquaten, für Besucher zugänglichen Schutzbau für die archäologischen Ausgrabungen. Jabornegg & Pálffy entschieden 2002 den dafür ausgelobten Wettbewerb für sich, womit eine äußerst fruchtbare Beziehung zwischen den klösterlichen Bauherren und den stets ein Gesamtkonzept und nicht nur die schnelle Reparatur im Auge habenden Architekten ihren Anfang nahm. Unter einer ausgefeilten Brückenkonstruktion aus Stahlbeton entstanden von oben und über freigelegte historische Fenster belichtete archäologische Schauräume; darüber wurde mit den Mitteln der Gegenwart die Altane als wesentlicher Bestandteil des barocken Hauptprospekts wiederhergestellt. Bedacht wurden damals schon die weiteren Ausbauschritte, die schließlich eine räumliche Verbindung vom Bereich unter der Altane zum barocken Kaiser- und Bibliothekstrakt herstellten. Der über zehn Jahre entstandene Parcours macht auf sehr intuitive Weise, die kaum weiterer didaktischer Erläuterungen bedarf, die Baugeschichte des Klosters nachvollziehbar und stellt Sichtbeziehungen sowohl innerhalb der Anlage als auch zur Landschaft her. Nun nutzen ihn Jabornegg & Pálffy, um in ihrer ersten großen Werkschau in Österreich ebenso eindrücklich Kontinuitäten in ihren Projekten aufzuzeigen. Dies geschieht anhand von 41 Modellen; der Bestand jeweils aus Holz gebaut, aus Edelstahl oder Aluminium jene Teile, die baulich neu sind. Raumressourcen im oder am Bestand finden, um darin erforderliche neue Nutzungen aufzunehmen, wenn möglich, den Bestand von nachträglichen Einbauten zu befreien und zugleich Orientierungshilfen zu schaffen – diese Vorgehensweise lässt sich parallel an den Modellen in den Ausstellungsräumen ablesen. Manche der gezeigten Projekte werden ungebaut bleiben, wie die Wettbewerbsbeiträge zum Umbau des Eastman Gebäudes zum Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel (2010) oder zur Erweiterung des Städel Museums in Frankfurt (2008) – andere harren noch der Umsetzung wie die Neugestaltung des Domplatzes in St. Pölten. In den Holz-Metall-Modellen wirken sie als Architektur bestechend real. Positioniert auf Tischen aus Stahlformrohren und maßgeschneiderten Podesten aus MDF-Platten, zeigen und verkörpern die sorgfältig gefertigten Architekturmodelle Methodik und Handschrift der Architekten. Keine farbigen Visualisierungen, keine Pläne, keine Texttafeln stören visuell die Konzentration auf die Baustrukturen. Zusätzliche Information bieten ein Leporello mit Fotos und Texten sowie ein Audioguide, sofern man ein geeignetes Smartphone besitzt.

Der Zeitpunkt für die Schau ist gut gewählt, startet doch diesen Sommer die Generalsanierung des österreichischen Parlamentsgebäudes. Diesem Großprojekt ist der Barockraum der Veitskapelle gewidmet. Anhand eines großen Grundrissmodells und zweier Schnittmodelle wird deutlich, wie sie kongenial zum architektonischen Konzept Theophil Hansens die ebenso komplexe wie rationale Struktur des Bestandes nutzen, um neue Funktionen und Strukturen präzise einzufügen.

„Man schaut in den Rückspiegel, wenn man nach vorn fährt, besonders wenn man schnell fährt“, so hat Catherine David einst ihr kuratorisches Konzept anschaulich erklärt. Und wie beim Autofahren der Blick nach hinten klugerweise besser an Fakten orientiert sein sollte, als sich auf Nebenschauplätzen zu verlieren, so sind auch beim Bauen im Bestand analytisches Denken und die Gabe, Zusammenhänge zu erkennen, gefragt. Denn nur so lassen sich geeignete Planungsstrategien entwickeln, die jenseits der Konservierung eines Status quo und damit der Musealisierung dazu geeignet sind, die Geschichte und Struktur eines Baudenkmals oder Ensembles fort- und nicht umzuschreiben. Ob Museumsgebäude, Bürohaus oder Platzgestaltung – dank des unsentimental-kritischen Blicks zurück gelingt es Jabornegg & Pálffy bei all ihren Bauten im historischen Kontext inhaltliches Programm, räumliche Qualität und konstruktive Logik in Einklang zu bringen.

Inwiefern dies beim ersten realisierten Kunstraum von Jabornegg & Pálffy, der Generali Foundation im denkmalgeschützten Habig-Hof in der Wiedner Hauptstraße, der seit Übersiedlung der Sammlung in das Museum der Moderne in Salzburg einer Nachnutzung harrt, gelingen wird, ist ungewiss. Denn wie András Pálffy, der sich selbstverständlich eine kulturelle Nutzung wünschen würde, berichtet, führt die Generali mit dem Bundesdenkmalamt seit Längerem intensive Verhandlungen über die Umwandlung in einen Supermarkt.

Spectrum, Sa., 2017.07.22

27. Mai 2017Franziska Leeb
Spectrum

Wohnen am Rand des Dschungels

Das urbane Wachstum kratzt zusehends an den letzten Flecken Wildnis am Rande der Großstadt. Patricia Zacek-Stadler gelingt es, Nachverdichtung und den Charme der Au in Einklang zu bringen. Besuch in Wien-Donaustadt.

Das urbane Wachstum kratzt zusehends an den letzten Flecken Wildnis am Rande der Großstadt. Patricia Zacek-Stadler gelingt es, Nachverdichtung und den Charme der Au in Einklang zu bringen. Besuch in Wien-Donaustadt.

Um zu erkennen, dass ein beachtlicher Anteil des Wiener Stadtwachstums im flächenmäßig größten Bezirk, der Donaustadt, stattfindet, muss man nicht die Statistiken studieren. Ab und zu eine Fahrt mit der U2 reicht, um die Dynamik des Wandels, der hier von einem besonderen Tempo ist, zu spüren. Ein Teil der Nachverdichtung findet auch dort statt, wo es noch versteckte Wildnisse entlang der Altarme der Donau gibt. Hier zu bauen ist verlockend, Ruhe und Naturnähe lassen sich vorzüglich vermarkten, und so knabbert die bebaute Stadt oft recht unsensibel an den Rändern des Landschaftsschutzgebietes.

Gelungen ist die Gratwanderung zwischen Verdichtung und Landschaftsgerechtigkeit am Otterweg, wo Patricia Zacek-Stadler für den Bauträger BUWOG eine Siedlung aus Reihenhäusern und Geschoßwohnungen geplant hat, die im vergangenen Jahr bezogen wurde und so schon Zeit hatte, sich zu bewähren. Es ist ja so, dass unsereins meist zu einem Zeitpunkt zur Besichtigung gebeten wird, wenn man die frische Wandfarbe noch riecht und die neuen Mieter und Eigentümer noch keine Zeit hatten, Spuren ihres Alltagslebens zu hinterlassen. Wie tatsächlich alles funktioniert, wieweit das Neue mit dem Bestehenden zusammengewachsen ist, und wie die Stimmung in der Anlage ist, erspürt man aber erst, wenn sie eingewohnt ist. Gut also, dass wir den Lokalaugenschein zu einem Zeitpunkt vornehmen, da Terrassen möbliert, Gärten bepflanzt unddie Menschen bereits im Siedlungsalltag angekommen sind.

Patricia Zacek-Stadler war schon in einer frühen Phase der Flächenwidmung an Bord und konnte Einfluss nehmen, dass die Neubebauung auf dem stark segmentierten, an den Rändern gezackten und stellenweise sehr schmalen Baufeld eine verträgliche Koexistenz mit dem Vorhandenen eingeht und die Dimensionen der einzelnen Bauvolumenebenso moderat bleiben wie die für den Pkw-Verkehr erschlossenen Flächen. Vorgefunden hat sie hier das Dickicht des Donau-Dschungels an der Uferzone des Schillochs, ein paar verstreute Einfamilienhäuser und Keuschen – ein Szenario, angesiedelt irgendwo zwischen romantischer Idylle und dem leichten Schauder der Abgelegenheit, wie man es inmitten der Großstadt kaum noch vermuten würde.

120 Wohneinheiten fanden Platz. Davon wurden 24 als frei finanzierte Reihenhäuser, acht als frei finanzierte Dachgeschoßwohnungen errichtet. Alle anderen sind Mietwohnungen nach den Konditionen der „Wiener Wohnbauinitiative“, die eine spezielle Variante des frei finanzierten Wohnbaus ist, bei der die Stadt günstige Darlehen an Bieterkonsortien vergibt, die sich im Gegenzug zu zehn Jahre gültigen Mietobergrenzen verpflichten, die unter den Marktpreisen im frei finanzierten Wohnbau und etwas höher als im geförderten Wohnbau liegen. Im konkreten Fall bedeutet dies eine Bruttomiete inklusive Betriebskosten von 8,50 Euro. Die Reihenhäuser fügte Zacek-Stadler in die kleinen engen Flecken im Norden des Bauplatzes und auf einer kleinen Fläche an der Kanalstraße im Süden. Sie flankieren den zentralen, weitläufigeren Bereich im Herzen der Anlage. Hier fanden acht Punkthäuser Platz, deren Baukörper auf unregelmäßigen kristallinen Grundrissen wie große Kreisel wirken, die sich maßgeschneidert auf die Gegebenheiten in das Grundstück hineindrehen. Durch dieses Vermeiden von geradlinigen Fassadenfluchten gelang es, jeder der über Eck gehenden Wohnungen und den ebenso wenig orthogonal geformten Balkonen mehrere Aussichten ins Grüne und in verschiedene Himmelsrichtungen freizuspielen.

Ein Merkmal aller Wohnanlagen von Patricia Zacek-Stadler sind attraktive, einladende Entrées. So auch hier. Durch die vom Untergeschoß bis oben offenen Stiegenhäuser wird die gesamte Haushöhe erfassbar und erhält selbst der Zugang zu den Lagerräumen im Untergeschoß noch Tageslicht. Das Verschwenken der oberen Stiegenläufe gegenüber dem im Erdgeschoß setzt die außen angekündigte Bewegung im Inneren fort, und dank breiter Verglasungen ist die Atmosphäre nicht nur lichtdurchflutet luftig, sondern stets auch der Blickbezug zur Nachbarschaft da. Die jeweilige Außenwandfarbe zieht sich an einer Stiegenhauswand ins Innere, ansonsten sind hier die Wände in einem hellen, warmen Grau gehalten. Das sind keine Spielereien, die unnötige Kosten verursachen, sondern wohlüberlegte Details, die das Ankommen und Verweilen in den gemeinschaftlichen Zonen angenehm machen. Es sei leider nicht alltäglich, so die Architektin, dass Bauträger derartige Farbkonzepte zulassen, selbst wennsie nur einen geringen Mehraufwand bedeuten, aber ganz wesentlich zur guten Atmosphäre beitragen.

In einem hellen Beige, akzentuiert von vertieft liegenden dunkleren Flächen, sind die Reihenhäuser gehalten. Drei verschiedene Typen hat Patricia Zacek-Stadler entwickelt und stets die Zeilen so gestaltet, dass auf den ersten Blick das Additive der einzelnen Häuser sich nicht abzeichnet, sondern sie eine Gesamtkomposition ergeben. Eine dem Eingang vorgelagerte Loggia schafft jeweils einen gedeckten Schwellenraum zum öffentlichen Raum, der Platz genug bietet, um ein Tischchen mit Stühlen zu platzieren oder Fahrräder nah am Eingang abzustellen. Manche Häuser haben zusätzlich einen ebenerdigen, von außen begehbaren Abstellraum und wie kleine Penthäuser wirkende Zimmer mit Bad mit Zutritt auf Terrassen im Dachgeschoß.

Auch im Freiraum finden sich etliche an sich unaufwendige, nur Denkarbeit in der Planung und Empathie für die künftigen Bewohner bedingende Elemente, die Freude machen. Dazu zählen die beiden runden, mit einem Baum bepflanzten Öffnungen in die Tiefgarage, die Frischluft und Tageslicht in die Tiefgarage bringen. Einige der üblichen Garagenlüftungsschächte erhielten einen Zusatznutzen als Sitzbank. Der große Spielplatz wurde in einer Mulde zur Au eingebettet und so ausgestattet, dass Kinder verschiedenen Alters animiert sind, Bewegungsfreude und Entdeckergeist zu entwickeln; nächst dem Kleinkinderspielplatz im Süden eine Art Gartenhaus mit Pergola-überdecktem befestigtem Vorplatz für Grillfeste und andere Aktivitäten.

Von hoher Alltagstauglichkeit und schön mit dem Umfeld verwoben, entstand ein Ensemble mit hübschen Plätzen und Wegen, das einem gar nicht mehr das Gefühl gibt, in einer entlegenen Gegend zu sein.

Spectrum, Sa., 2017.05.27

22. April 2017Franziska Leeb
Spectrum

Plus an Platz

Ein Solitär, ein Tiefbau und ein Dachausbau: Für die Erweiterung der Volksschule in Absam, Tirol, verstanden es die Architekten Schenker Salvi Weber, Flächen- und Raumressourcen geschickt zu nutzen.

Ein Solitär, ein Tiefbau und ein Dachausbau: Für die Erweiterung der Volksschule in Absam, Tirol, verstanden es die Architekten Schenker Salvi Weber, Flächen- und Raumressourcen geschickt zu nutzen.

Von „solider Bauart und Einrichtung“ sei das Absamer Schulhaus, wussten die „Innsbrucker Nachrichten“ anlässlich der Einweihung des Gebäudes im Oktober 1905 zu berichten. Eine vorausschauende Einschätzung, denn noch immer ist im altehrwürdigen Gebäude, das am nordwestlichen Ortsrand mit etwas Abstand zum Friedhof errichtet wurde, die Volksschule Absam-Dorf untergebracht. In den Jahren 1978 bis 1980 wurde der alten denkmalgeschützten Schule ein neues Gebäude, das Kindergarten sowie Musikschule beherbergte, beigestellt. Von weitaus weniger wertbeständiger Qualität als das alte Haus war es schon länger in einem schlechten baulichen Zustand; auch in der alten Volksschule entsprach manches – etwa der kleine Turnsaal – nicht mehr dem Stand der Technik. Rund 5000 Quadratmeter auf einer freien Fläche zum westlich angrenzenden Friedhof und im Süden des Bestandes wurden daher verfügbar gemacht, um Kinderkrippe und Kindergarten, eine Musikschule, eine Turnhalle und entsprechende Freiräume unterzubringen. Jeder Teil des Neubauprogrammes sollte separat funktionieren, aber an die Schule, die von den Neubauten möglichst nicht in ihrer Fernwirkung beeinträchtigt werden sollte, angebunden sein.

„Wir brauchten eine dienliche Architektur, die sich hier einordnet“, beschreibt Bürgermeister Arno Guggenbichler die Herausforderungen an die Architekturbüros, die sich 2013 am EU-weit ausgelobten Architekturwettbewerb beteiligten. Das in Wien ansässige Büro Schenker Salvi Weber war das einzige, das vorschlug, die Sporthalle völlig unter die Erde zu bringen. Mit diesem Befreiungsschlag konnte auf der knappen Fläche oberirdisch viel Freiraum gewonnen werden: einerseits um einen Platz für die Schulkinder und die Öffentlichkeit zu schaffen, andererseits um mit dem Neubau den denkmalgeschützten Bestand nicht in Bedrängnis zu bringen.

Mit Abstand zur Schule, an der Grundstücksgrenze zum Friedhof, wurde der Kindergarten in einem zweigeschoßigen Solitär situiert, der durch das Gefälle des Bauplatzes nach Norden nur eingeschoßig in Erscheinung tritt. Zwischen den beiden Bauten führt eine Freitreppe, an deren Antritt sich der Blick auf den Turm der spätgotischen Basilika St. Michael eröffnet, nach unten, wo sich der neue Platz nach Süden und zum Dorf hin weitet. Von der Turnhalle im Untergrund ist außer dem von einer Sitzbankgesäumten Oberlichtband, das den Platz nach Süden abschließt, nichts zu sehen. Die Weite und Ruhe des von DnD Landschaftsplanung (Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic) gestalteten Platzes fördern die hellen Betonfelder auf dem Boden und die Platzwände nach Norden und Westen bildenden Fassaden von Schule und Kindergarten.

Der Altbau wurde im Zuge der Sanierung farbig etwas aufgehellt, der Holzbau der Schule mit einem weißen Kratzputz versehen. Geglättete Faschen um die locker verteilten größeren und kleineren Öffnungen verleihen ihm eine unaufgeregte Lebendigkeit und binden ihn durchaus harmonisch in das von Putzfassaden geprägte dörfliche Ambiente ein.

Um einen zentralen Luftraum mit umlaufender Galerie und Oberlicht ist das Kinderhaus äußerst übersichtlich organisiert. Der Kreativraum kann über die raumhohen Fenstertüren auf den Platz erweitert werden und ist – wie auch der Speisesaal – nicht starr vom restlichen Organismus des Hauses abgeschottet, sondern kann dank Raumteilung durch einen Vorhang mit dem angrenzenden Erschließungsbereich zusammengeschaltet oder davon abschirmt werden.

Die vier verschiedenen Fensterformate auf drei verschiedenen Höhen – von außen könnte man sie als Formalismus deuten – erklären sich im Inneren als wohlgesetzte Bilderrahmen für die Schönheiten der Umgebung, die den Blick auf Kirche oder Friedhof, das Karwendelgebirge im Norden und die Tuxer Alpen auf der anderen Talseite fokussieren. Bei den großformatigen Fenstern mit niedrigen Parapethöhen dienen holzumrandete Gewände zugleich als beliebte Sitznischen.

Helle Töne bilden zusammen mit viel Eichenholz und grobfaserigen Akustikplatten an der Decke einen ruhigen Hintergrund. Akzente setzen ab und an die grünen Raumteiler-Vorhänge und sonst nur die Nutzer, deren Spielsachen und kreative Erzeugnisse. Es ist ein wertschätzendes Ambiente, in dem die Absamer Kinder und Pädagoginnen arbeiten dürfen; keines, das die Institution Kindergarten verniedlicht. Das drückt sich auch im Mobiliar aus, das von den Architekten entworfen und in sorgfältiger Tischlerarbeit ausgeführt oder bei einer Tiroler Manufaktur geordert wurde.

Die Sporthalle dient nicht nur dem Schulsport, sondern auch den Sportvereinen der Gemeinde. In den Zugängen dominiert Sichtbeton, der den Höhlencharakter betont. Die Halle selbst ist mit einem Spielfeld aus Eichenparkett und Prallwänden aus Birke als hölzerne Schatulle in die Betonwanne eingelegt. Dank verschiedener Raum-und Blickbezüge wie dem Oberlicht über dem Gang hinter der Tribüne, Öffnungen zum Stiegenhaus oder Fenstern im Geschoßeverbindenden Kletterschacht ist die Sportwelt im Untergrund vom Rest des Geschehens nicht völlig abgeschlossen.

Ursprünglich sollte im Neubau auch die Musikschule untergebracht werden. Da sich aber im Planungsprozess der Bedarf an Kindergartenplätzen erhöhte und sich im riesigen Dachraum der denkmalgeschützten Schule einiges Ausbaupotenzial anbot, wurde kurzerhand die Musikschule dorthin verlegt. Das Dach wurde von außen nach innen bauphysikalisch ertüchtigt und zwecks Belichtung mit Dachfenstern – eine Reihe knapp am First, eine direkt über dem Kniestock – versehen. Entlang des Mittelganges belichten die oberen Fenster jeweils über einen in die Tiefe führenden Trichter einen Übungsraum auf der Gegenüberliegenden Dachseite, in der gleichen Achse liegt das Ausblick bietende Fenster im Raum. Im erschließenden Mittelgang wird durch diese verschränkte Anordnung strickmusterartiges Geflecht erzeugt. Die sichtbar gebliebenen Dachbalken wurden weiß gestrichen und die Deckenuntersichten mit weiß lasierten Holzlatten verkleidet. Erneut wurde solide gearbeitet – im Bestand ebenso wie im Neubau, im Detail ebenso wie städtebaulich –, und so ist das neue Ensemble nicht nur den Nutzern, sondern auch dem Ortsbild dienlich.

Spectrum, Sa., 2017.04.22



verknüpfte Bauwerke
Volksschule Absam Dorf

18. März 2017Franziska Leeb
Spectrum

Häuser im Dialog

Raffiniert hineingewebt. Kein Lückenbüßer, sondern eine gelungene Aufwertung für das ganze Quartier ist die neue Wohnanlage f49 in Innsbruck, verantwortet von Johannes Wiesflecker und Michael Kritzinger.

Raffiniert hineingewebt. Kein Lückenbüßer, sondern eine gelungene Aufwertung für das ganze Quartier ist die neue Wohnanlage f49 in Innsbruck, verantwortet von Johannes Wiesflecker und Michael Kritzinger.

Nah zum Stadtzentrum und zur Universität am Innrain gelegen, ist der Stadtteil Höttinger Au eine der attraktiven Wohngegenden Innsbrucks. Erst ab dem 20. Jahrhundert dichter bebaut, finden sich hier immer noch Bauplätze, die nach und nach vor allem mit Wohnbebauungen gefüllt werden. Eine der architektonisch ambitioniertesten unter den jüngeren Eigentumswohnanlagen ist die Wohnanlage f49 zwischen Fürstenweg und Ampfererstraße. Der schmale z-förmige Bauplatz war zuvor Standort einer Tankstelle samt Tiefgarage, also locker bebaut. Um für das 4.800 Quadratmeter große Grundstück bei höherer Dichte eine qualitativ hochwertige Lösung zu finden, verlangte die Stadtplanung die Auslobung eines Architekturwettbewerbs. Das ist in heikleren städtebaulichen Situationen und immer dann, wenn eine Neubebauung eine Änderung des Bebauungsplans bedingt, in der Tiroler Landeshauptstadt gute Praxis.

Die Herausforderung für die zehn geladenen Wettbewerbsteilnehmer bestand darin, die neue Anlage in die bestehende Baustruktur aus Fragmenten älterer Blockrandbebauungen und zeilenförmigen, durchgrünten Bebauungen, denen städtebauliche Überlegungen und Bebauungspläne aus den 1960er- und 1970er-Jahren zugrunde liegen, einzufügen und trotz hoher Dichte hohe Wohnqualität zu schaffen. Johannes Wiesflecker in Arbeitsgemeinschaft mit seinem früheren Mitarbeiter Michael Kritzinger konnte die Jury mit einer schlüssigen Weiterentwicklung der bestehenden Zeilenbebauung und einer Verdichtung zur Mitte hin überzeugen. Die Entwicklung in die Vertikale spielt Platzräume frei, unterschiedliche Höhen und Haustypen erzeugen Vielfalt: So kann man die städtebauliche Strategie der Architekten knapp zusammenfassen.

Die Art, wie sie die Lücke füllten, wirkt fast intuitiv und spielerisch. Parallel zu den Grundstücksgrenzen in Längsrichtung gesetzte lange Riegel und Fragmente von Riegeln stricken das Bebauungsmuster der Umgebung fort und docken an die Feuermauern der Nachbarhäuser an. Ein langer Siebengeschoßer führt vom Fürstenweg in die Tiefe, in der Mitte kumuliert die Bebauung in einem neungeschoßigen Turm. Häuserpaare sind mit je einem Stiegenhaus erschlossen und über raumhochverglaste Zwischenglieder miteinander verbunden. Durch die versetzte Stellung der Baukörper entstehen Plätze und schmälere Durchgänge unterschiedlichen Charakters. Der weitläufigste Freiraum entfaltet sich um den Turm. Mauern mit integrierten Sitzbänken geben den Gärten der Erdgeschoßwohnungen Sichtschutz. Das hochwertige Ambiente des Außenraumes mitattraktiven Wegen und Verweilorten kommt auch den Nutzern des öffentlichen Geh- undRadweges zugute, der das Grundstück in Ost-West-Richtung quert.

Ebenso unverkrampft und fantasievoll wie die städtebauliche Konfiguration wurden die Fassaden komponiert. Eine gewisse Affinität zur Material- und Formensprache der Architektur der 1960er-Jahre, die Johannes Wiesflecker schon an anderen Gebäuden, zum Beispiel dem in der Nähe gelegenen Bischof-Paulus-Heim für Studierende, erkennen ließ, ist auch der Wohnhausanlage f49 zu eigen. Das äußert sich zum Beispiel in den runden Stiegenhausfenstern mit konturierenden Metallmanschetten oder demrecht kräftig strukturierten Modellierputz, mit dem die Vollwärmeschutzfassade veredelt wurde. Ohne ästhetische Unruhe zu verursachen, sorgen auch die unterschiedlichen Balkonbrüstungen für Abwechslung: Teilweise bestehen sie aus eigens für das Projekt entwickelten Fertigteilen aus glasfaserverstärktem Beton, deren Lochung sich nach außen konisch weitet, um innen nicht als Steighilfe zu wirken. Kontrastierend dazu kamen Brüstungen aus schwarzem Lochblech zum Einsatz, die zusammen mit den gleichfarbigen Fensterrahmen dem Haus markante Gesichtszüge zeichnen. Unterschiedliche Fensterformate, mitunter zu Feldern oder vertikalen Bändern zusammengefasst, was den Maßstab der Bauten bricht, bilden gemeinsam mit den gelegentlich gegeneinander versetzten Balkonen spannungsreiche Kompositionen, die wiederum für ein abwechslungsreiches Schauerlebnis sorgen.

Variantenreich sind auch die Wohnungszuschnitte. Sie reichen von kompakten Einzimmerwohnungen über ökonomisch organisierte 45-Quadratmeter-Wohnungen mit Essküche, Bad und zwei Zimmern über größere Familienwohnungen, bis hin zu Vier-Zimmer-Maisonetten. Alle haben Balkone, die jeweils mit mindestens 2,5 Metern Tiefe sehr geräumig sind und von überaus gut nutzbaren 14 Quadratmetern bei den kleinsten Wohnungen mit der Wohnungsgröße mitwachsen, sodass sie durchaus als zusätzliches Wohnzimmer aufgefasst werden können.

Materialität und Farbigkeit sind reduziert: Beton, Putz, Metall, Holz. Sparsame Farbakzente in Signalfarben à la Le Corbusier finden sich nur in den Stiegenhäusern, wo wie in den Gängen Sichtbeton dominiert. Brüstungen aus schwarzem Stahlblech, Handläufe aus Holz und raumhohe Eichentüren, in deren Holzverblendung die Gangbeleuchtung integriert ist, sorgen für ein edel anmutendes Ambiente. Von den Erschließungszonen aus, wo raumhohe Verglasungen von schwarzen Lüftungsflügeln begleitet werden, offenbart sich die Raffinesse des detailreichen Siedlungsgewebes noch eindrücklicher als auf dem Gartenniveau. Durchblicke und Fugen geben Ausschnitte der Siedlung und schöne Aussichten auf die Umgebung frei. Es ist ein äußerst wohlgestalteter Wohnbau, der sich nicht arrogant gegenüber den älteren Nachbarn aufspielt, sondern mit ihnen in einen Dialog tritt und damit auch sie stärkt.

Und es gelang der Beweis, dass trotz der vielbeklagten zu erfüllenden Vorschriften und Normen eine Wohnanlage ein Stück Baukunst sein kann. Dazu braucht es anspruchsvolle Bauherren, die das überhaupt wollen. Der Bauträger Weinberg, der in diesem Fall den überwiegenden Part verantwortet, sei so ein Bauherr, meint Architekt Wiesflecker. Für den Bauteil an der Ampfererstraße, der eine Kinderkrippe und Wohnungen beherbergt, war ein anderer Auftraggeber zuständig, der meinte, an Details einsparen zu können. Zusammengestutzte Manschetten bei den Rundfenstern und um ein paar Zentimeter verkürzte Geländer: Ob das den Gewinn um so viel aufgefettet hat, wie es ästhetisch schmerzlich ist?

Spectrum, Sa., 2017.03.18



verknüpfte Bauwerke
Wohnbebauung f49

04. Februar 2017Franziska Leeb
Spectrum

Ensemble français

Neue Transparenz im Altbestand, dazu ein Neubau, betont schlicht, beides verantwortet von Dietmar Feichtinger Architectes. Wie man formal und städtebaulich die Situation an der Wiener Liechtensteinstraße verbessert: eine Nachschau im Lycée Français.

Neue Transparenz im Altbestand, dazu ein Neubau, betont schlicht, beides verantwortet von Dietmar Feichtinger Architectes. Wie man formal und städtebaulich die Situation an der Wiener Liechtensteinstraße verbessert: eine Nachschau im Lycée Français.

Das Lycée Français de Viennenahm seinen Anfang 1946 in ein paar Klassen im Gymnasium in der Amerlingstraße, wo Kinder der französischen Besatzungssoldaten unterrichtet wurden. Ab 1947, dem Jahr der Unterzeichnung des Französisch-Österreichischen Kulturabkommens, war die Schule im Palais Lobkowitz, das bis 1979 das französische Kulturinstitut beherbergte, untergebracht. Im Jahr 1951 wurde das 1834/35 erbaute Palais Clam-Gallas an der Währinger Straße samt fünf Hektar großer Parkanlage von Frankreich unter der Bedingung gekauft, dass die Stadt Wien im östlichen, von der Liechtensteinstraße zugänglichen Teil der Gartenanlage einen Schulbau genehmigt. Das Kulturinstitut übersiedelte erst 1980 ins Palais Clam-Gallas, das 2015 von der Republik Frankreich – begleitet von heftigen Protesten – an das Emirat Katar verkauft wurde.

„Sie vermag den Vergleich mit dem alten gräflichen Palast wohl auszuhalten, ist sie doch selbst ein Palast“ zeigte sich die „Arbeiter-Zeitung“ anlässlich der Eröffnung des Lycée Français de Vienne am 8. Mai 1954 von damals Wiens modernster Schule mit „lichtdurchfluteten Räumen, die auch mit allem hygienischen Komfort ausgestattet sind“, beeindruckt. Geplant vom französischen Chefarchitekten für öffentliche Gebäude, Jacques Laurent, sowie von Karl Kupsky, Professor an der Technischen Hochschule, ist sie ein Klassiker der Wiener Nachkriegsmoderne. 1971 wurde der Schule auch das Studio Molière angegliedert. Das Theater wurde im Gebäude der ehemaligen Dietrichstein'schen Reitschule aus dem beginnenden 18. Jahrhundert, das im 19. Jahrhundert mit großen gotisierenden Spitzbogenfenstern versehen wurde, eingerichtet. Bereits 1921 hatte es als „Flieger-Kino“ – der Name bezieht sich auf den Initiator dieses Lichtspieltheaters, den kriegsinvaliden Flieger Rudolf Eder – eine kulturelle Funktion bekommen.

Für längst notwendige Verbesserungen auf dem Schulareal wurde 2011 ein Wettbewerb ausgelobt. Es galt, das über die Jahrzehnte stark in Mitleidenschaft gezogene Studio Molière zu revitalisieren und in einem Neubau Platz für zusätzliche Klassen zu schaffen. Siebzig Jahre nach Gründung des Lycée Français wurden im vergangenen Herbst die neuen Räumlichkeiten feierlich eröffnet. Dietmar Feichtinger, der seit 1994 sehr erfolgreich sein Büro in Paris führt, konnte den Wettbewerb, für den er neben weiteren vier französischen Architekturbüros mit Bezug zu Österreich, darunter Dominique Perrault und Nasrine Seraji, geladen wurde, für sich entscheiden.

Das Studio Molière erhielt durch das Öffnen von drei Fassadenachsen bis unter das Gesims und das Entfernen zweier bestehender Zwischendecken ein großzügiges neues Entree mit offener Vorhalle als gedecktem Ankunfts- und Verweilort; die zurückgesetzte Verglasung des Kassen- und Garderobenbereichs bewirkt eine neue Transparenz, die das Gebäude zum öffentlichen Raum hin aufmacht und neue Durchblicke zum Dahinter eröffnet. Der Proportion der Straßenfassade, an der die Spitzbogenfenster aus dem 19. Jahrhundert nicht mehr erhalten waren, wurde damit ein guter Dienst erweisen. Daneben, in der Achse des ehemaligen Theatereinganges, wurde ein Gassenlokal mit Schaufenstern eingerichtet, das der Schule als Präsentationsraum dienen wird. Die straßenseitig angekündigte Großzügigkeit setzt sich im gartenseitigen Foyer, das sich über die großen, neu verglasten Spitzbogenfenster zum Schulgelände öffnet, fort. Der 240 Plätze fassende Theatersaal wurde von seiner düsteren Atmosphäre befreit. Ebenso wie das Gassenlokal ist er vom Foyer barrierefrei zugänglich, womit eine vielfältig nutz- und koppelbare Raumfolge hergestellt wurde. Über der Sanitärgruppe wurden eine vom neuen Hauptstiegenhaus aus zugängliche Maisonettewohnung für den Hausmeister und ein Gästezimmer eingebaut und mittels Schattenfugen und feiner Farbkontraste vom Bestand abgesetzt. Sowohl für kulturelle als auch schulische Veranstaltungen jedweder Art steht somit an diesem traditionsreichen Ort mit wechselhafter Geschichte nach Jahren des Stillstands wieder eine zeitgemäße Infrastruktur bereit.

Die erforderlichen neuen Klassenräume brachten die Architekten in einem schlichten quaderförmigen, parallel zum Studio Molière situierten Baukörper auf einer zuvor als Parkplatz genutzten Fläche exakt innerhalb des für die Neubebauung gewidmeten, recht sparsam bemessenen Volumens unter, dessen Höhe sich am Gesims des Studio Molière orientiert. Dem Untergeschoß wurde südlich ein großes Atrium mit Holzboden vorgelagert, womit die hier untergebrachten Säle für Musik und Werken nicht nur viel Licht erhalten, sondern der Unterricht auch ins Freie verlagert werden kann.

In den drei Geschoßen darüber äußern sich die Regeln des französischen Schulbaus in den zwei Eingängen, die für jedes Klassenzimmer vorgeschrieben sind, aber auch in einer mit 2,80 Metern etwas niedrigeren Raumhöhe als in Österreich. Letzteres kam den Architekten allerdings insofern entgegen, als so auch die vorgeschriebene Bauhöhe leichter einzuhalten war. Der pavillonartige Bau ist betont schlicht. Beton, Holz, Glas und in einem zartgoldenen schimmernden Ton eloxierte Aluminiumpaneele und Fensterrahmen bilden einen zurückhaltenden Hintergrund. Holzwolle-Dämmplatten an den Decken und den Wänden zum Gang sorgen für die Verbesserung der Akustik. Trotz der materiellen und farblichen Reduziertheit ist das dank rundum großzügiger Verglasung luftig wirkende Ambiente angenehm wohnlich. Dafür sorgen natürlich die Holzböden, sehr stark aber auch die Exaktheit im Detail, wie die mit den Wänden bündigen Holztüren und die generell sehr sorgfältig gefügten Flächen.

Während die dem Lycée zugewandte Westfassade mit horizontalen Fensterbändern und Fassaden aus Betonfertigteilen in aktualisierter Weise auf die Formensprache des Gebäudes aus den 1950er-Jahren Bezug nimmt, reagiert die Ostfassade vis-à-visdem Studio Molière mit gegeneinander versetzten Abfolgen von geschoßhohen Glasflächen und schlanken, teils mit Lüftungsflügeln versehenen Alupaneelen auf dessen Vertikalität. So gelang es, ein Ensemble zu schaffen, das stimmig ist und nicht nur funktionale Verbesserungen mit sich bringt, sondern auch formal und städtebaulich die Situation an der Liechtensteinstraße verbessert.

Spectrum, Sa., 2017.02.04



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Erweiterung Lycée Français und Umbau Studio Molière

07. Januar 2017Franziska Leeb
Spectrum

Im Geist der Erbauer

Die älteste evangelische Kirche Niederösterreichs blickt auf eine spannende Geschichte zurück. Die Architekten Beneder und Fischer erweisen den Gründern, Holzarbeitern, die lange Zeit als „Geheimprotestanten“ bezeichnet wurden, mit dem neu gestalteten Sakralraum Reverenz. Besuch in Mitterbach am Erlaufsee.

Die älteste evangelische Kirche Niederösterreichs blickt auf eine spannende Geschichte zurück. Die Architekten Beneder und Fischer erweisen den Gründern, Holzarbeitern, die lange Zeit als „Geheimprotestanten“ bezeichnet wurden, mit dem neu gestalteten Sakralraum Reverenz. Besuch in Mitterbach am Erlaufsee.

Als Ernst Beneder und Anja Fischer im Jahr 1999 die Osterkapelle im Stift Herzogenburg fertiggestellt hatten, zeichnete sich noch nicht ab, dass der Kirchbau einmal einen elementaren Teil ihrer Arbeit ausmachen würde. Sechs Jahre später realisierten sie den Neubau der Pfarrkirche Gallspach (2005), es folgten Umgestaltungen der Pfarrkirchen von Lingenau (2010), Weidling (2012) und Dornbirn-Oberdorf (2013). Es handelt sich jeweils um kleine Kirchenbauten, keine mächtigen Kathedralen – Beneder und Fischer gelang es dennoch, sie zu besonderen Orten zu machen, die einer Raumbühne gleich eine Vielfalt an Inszenierungen zulassen, und wo Andachten in kleinen Gruppen gleichermaßen den richtigen Rahmen finden wie feierliche Hochämter. Während es bislang katholische Kirchenbauten waren, die das Architektenduo bearbeitete, allesamt aus Architektenwettbewerben hervorgegangen, bauten sie nun erstmals eine evangelische Kirche um.

Die evangelische Kirche in Mitterbach am Erlaufsee ist die älteste ihrer Art in Niederösterreich und die einzige Toleranzkirche im Bundesland. Errichtet wurde sie von Holzknechten aus dem Dachsteingebiet, die Ende der 1740er-Jahre vom Stift Lilienfeld angeworben wurden, um in den Wäldern des Ötschergebiets Holz für Wien zu schlägern. Die Holzarbeiter und ihre Familien waren „Geheimprotestanten“; erst 1781 gestattete ihnen das Toleranzpatent Kaiser Josephs II. die Religionsausübung und die Errichtung von Bethäusern, die jedoch mit etlichen diskriminierenden Einschränkungen verbunden war. So durften sie keinen Turm besitzen, und der Eingang musste von der Hauptstraße abgewandt sein. Es dauerte einige Zeit, bis die Nachricht vom neuen kaiserlichen Gesetz in die abgelegene Gegend vordrang. Ab Februar 1782 meldeten sich die ersten Mitterbacher offiziell als evangelisch, zu Weihnachten 1785 wurde ihr Bethaus eingeweiht. 1849 wurde es mit einem Holzturm mit Glocken versehen, die letzten maßgeblicheren Eingriffe erfolgten 1970.

Mit der Landesausstellung 2015, die sich mit einer Ausstellung vor Ort der Geschichte der evangelischen Gläubigen in der Region widmete, geriet die spannende Geschichte des Bethauses wieder in den Blickpunkt der Öffentlichkeit, was gemeinsam mit dem Lutherjahr 2017 eine günstige zeitliche Konstellation bot, die längst fällige Renovierung der Kirche in Angriff zu nehmen.

Ernst Beneder und Anja Fischer, die zunächst mit einer Studie beauftragt wurden, fanden die Kirche im Wesentlichen in jenem Zustand vor, in den sie 1970 gebracht worden war. Damals wurden die Seitenemporen abgetragen und wurde die Hauptempore weit nach vorn gezogen, was die Blick- und Klangbeziehung vom Altarraum zur Orgel beeinträchtigte. Feuchtes Mauerwerk, eine Lamperie an den Seitenwänden, eine Collage billiger Leuchten und ein Filzboden trugen zudem zu einer eher bedrückenden Raumstimmung bei. Nach eingehender Auseinandersetzung mit der Bautradition evangelischer Bethäuser war für Beneder und Fischer klar, dass im praktischen wie konzeptionellen Sinn den Emporen eine wesentliche Bedeutung zukommt. Eine neue Empore sollte das wichtigste Element der neuen Raumkonzeption sein, für die die Architekten nach einer aktuellen Sprache suchten, dieim Geist der alten Holzfällerkirche – sachlich, mit geringen Mitteln, auf Materialechtheit und Schlichtheit setzend – die Funktionalität und Dramaturgie des Kirchenraums verbessert. Das erhöht liegende Fußbodenniveau des Altarraums wurde in das Kirchenschiff verlängert und damit um den Taufstein ausreichend Raum für Abendmahl und Taufe geschaffen. Ein neuer, gedämmter Dielenboden aus Lärchenholz wurde hergestellt, wodurch frühere Barrieren zu Vorraum und Sakristei minimiert wurden. Die Wände wurden einheitlich weiß gefasst und alle Holzoberflächen der bestehenden Ausstattung von Lackschichten befreit sowie auf ihren ursprünglichen Charakter zurückgeführt.

Die Westempore wurde zurückgebaut; zwei neue Längsemporen kompensieren nicht nur die entgangene Fläche, sondern bringen zudem den durch die Lage der Kanzel asymmetrisch disponierten Raum wieder in Balance. Um die Sichtverbindungen aus den Bankreihen nicht mit Stützen zu behindern, wurde die Tragkonstruktion der neuen Emporen von einer vom Dachstuhl unabhängigen Holzkonstruktion im Dachraum mit zarten Zugstangen aus Stahl abgehängt. Diese tragen u-förmige Bügel, an denen jeweils zwei Längsträger befestigt sind. Wandseitig bilden sie die Rückenlehne der Klappbänke. Wiederum u-förmige Flachstahlelemente, die in die Längsbalken eingehängt sind, tragen die Bodenplatte. An der Südseite gibt es gemäß der Bautradition der evangelischen Bethäuser einen direkten Aufgang aus dem Kirchenraum, wie er bereits in der ursprünglichen Kirche vorhanden war, der allerdings Mitte des 19. Jahrhunderts in den Vorraum verlegt wurde – womöglich wegen des Lärms, den die Nagelschuhe der Holzarbeiter verursachten.

Das feine, an Laubsägearbeiten erinnernde Gitterwerk der Brüstungen – zunächst industriell aus Platten gefräst und dann Buchstabe für Buchstabe händisch nachbearbeitet – setzt sich aus den Namen der ersten evangelischen „Bekenner“ aus dem Jahr 1782 zusammen und erweist somit den Pionieren die Ehre. Das wirkt bewusstseinsbildend und identitätsstiftend, viele der Familiennamen existieren in der Gemeinde bis heute. Die so leichtfüßig wirkende Empore ist eine raffinierte Konstruktion, die auf Basis akribisch genau ausgearbeiteter Detailpläne in engem Zusammenwirken von Zimmerer, Schlosser, Tischler und Architekten entstand. Diese Art des handwerklichen Arbeitens und gemeinsamen Entwickelns sei heute wohl nur noch in Kirchen möglich, meint Ernst Beneder.

Neben Optik und Funktionalität haben sich durch den Umbau auch die Tageslichtverhältnisse deutlich verbessert. Darüber hinaus ermöglicht eine gleichermaßen gefinkelte wie einfache Konstruktion in Form eines beweglichen Spiegels hinter dem Altar, der das vom Ostfenster in der Apsis einfallende Licht reflektiert, eine variable natürliche Beleuchtung des Altarraums. Was vorher ein Patchwork aus verschiedenen Ebenen und Raumzonen war, von den Ausstattungsdetails gar nicht zu sprechen, wurde nun zu einer raumplastischen Komposition, in der Bestehendes und Neues wie selbstverständlich verschmelzen.

Spectrum, Sa., 2017.01.07



verknüpfte Bauwerke
Evangelische Kirche Mitterbach

26. November 2016Franziska Leeb
Spectrum

Glanz in der neuen Zeit

Die Wiener City leidet am modernen Goldrausch, ihre Dachlandschaft an unsensiblen Erwei-terungen. Es geht aber auch anders, so man guten Willens ist: zu entdecken in der Herrengasse Nummer 19 und 21.

Die Wiener City leidet am modernen Goldrausch, ihre Dachlandschaft an unsensiblen Erwei-terungen. Es geht aber auch anders, so man guten Willens ist: zu entdecken in der Herrengasse Nummer 19 und 21.

Die einheitliche Stimmung, die vornehme Stille und ein Jahrhundertder Poesie aus der Großväterzeit, sie sind aus der Herrengasse gewichen“, schrieb die Schriftstellerin Auguste Groner Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren heimatkundlichen Skizzen „So war mein Wien“. Heute darf man behaupten, dass wieder einiges an Vornehmheit in die Herrengasse zurückgekehrt ist. Daran hat die unaufgeregte Umgestaltung der Straße in eine Begegnungszone mit neuer Pflasterung auf einheitlichem Niveau und Rückführung der Straßenbeleuchtung auf Wandkandelaber nach historischem Vorbild großen Anteil. Es lässt sich entspannt flanieren, man muss sich nicht mehr auf schmalen Gehsteigen die Fassaden entlangdrücken, deren Pracht man früher höchstens von der gegenüberliegenden Straßenseite gewahr wurde.

Die Planung verantwortet Architekt Clemens Kirsch; die Initiative für die Neugestaltung ging von Anrainern aus. Die Kosten tragen die Eigentümer der angrenzendenLiegenschaften, den Löwenanteil trägt die Karl Wlaschek Privatstiftung, die entlang der Gasse die Palais Ferstel, Hardegg, Harrach, Kinsky sowie Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff besitzt. Dass aus der Herrengasse keine Luxusmeile à la Goldenes Quartier wurde, ist posthum dem Billa-Gründer Karl Wlaschek danken, der in der Stiftungsurkunde als Stiftungszweck „die Begünstigung der Allgemeinheit“ festschreiben ließ, die „beispielsweise durch den Erwerb, die Sanierung und die Erhaltung denkmalgeschützter sowie sonst für das Stadtbild Wiens bedeutsamer Gebäude“ erfolge.

Dies zeigte sich zuletzt sehr löblich bei der Adaption der Häuser Herrengasse 19 und 21. Die beiden Palais Batthyány-Strattmann und Trauttmansdorff harrten nach Auszug der Redaktion der Tageszeitung „Der Standard“ einer neuen Nutzung. Der Fantasie, was hier alles reichlich Gewinn hätte abwerfen können, sind keine Grenzen gesetzt. Man entschied sich für Wohnungen. Mietwohnungen zu marktkonformen Preisen wohlgemerkt, denn die Stiftung agiert weitsichtig und verkauft nicht. Den beiden ehemaligen herrschaftlichen Residenzen wieder jenen Glanz zurückgeben, der durch zahlreiche Umbauten abhandengekommen war, lautete der Anspruch.

Um hier nicht zu scheitern, brauchte es eine Strategie. Mit dem Bestand in Dialog zu treten und Räume zu schaffen, in denen das Gebäude in einer architektonischen Kontinuität weiterleben kann, die nicht bloßimitiert, ist jene, die Architekt Martin Mittermair für den Umbau der beiden geschichtsträchtigen Palais wählte. Dazu wurde zunächst von den Besitzern eine gründliche Gebäudeuntersuchung beauftragt, die wertvolle Erkenntnisse zur Baugeschichte lieferte und eine hervorragende Basis bildete, um im Pingpong mit Bauforschern und Denkmalpflegern zu planen und zu bauen.

Die meisten der im 20. Jahrhundert vorgenommenen Öffnungen wurden geschlossen, Zumauerungen wieder aktiviert, undder zur Nutzung als Archiv mit Kunststoffkuppeln überdeckte Innenhof im Palais Batthyány-Strattmann wurde geöffnet. Tragkonstruktionen in unterschiedlichen Techniken, die von zahlreichen Umbauten herrühren, galt es in ein statisches Gefüge zu bringen, das den Erfordernissen gerecht wird. Von all der Mühsal des Planungs- und Bauprozesses ist nun nichts mehr zu spüren.

Schon an der Farbgestaltung der restaurierten Fassaden kündigen sich die wiedergewonnene Lebendigkeit und Noblesse des Barock an. Da im Zuge der Putzuntersuchungen zwar Dutzende Anstriche vorgefunden wurden, aber keine authentische Fassung nachgewiesen werden konnte, entschied mansich für Weißtöne, die den an Fenstergewänden und bei der Bauplastik verwendeten Sandsteinen nahekommen; die Fensterrahmen erhielten einen kühlen, hellen Blauton. Unter den Gewölben der ehemaligen Stallungen und Wagenremisen entstanden Geschäftslokale, kleinteilig genug, um für internationale Ketten als Standort nicht infrage zu kommen. Um Eingangsportale und Schaufenster zu schaffen, wurden in Abstimmung mit dem Denkmalamt einzelne Fensterparapete geöffnet.

Von den 22 Wohnungen gleicht keine der anderen. Zuschnitt und Größe reagieren jeweils auf die spezifische Lage im Bestand, auf vorhandene Öffnungen, Niveauunterschiede und Raumhöhen. Einer besonderen Behandlung bedurfte jene in den Prunkräumen der Beletage des Palais Trauttmansdorff, deren Ausstattung sorgfältig restauriert wurde und in neuer Herrlichkeit erstrahlt. Und auch sonst wurde bis ins letzte Detail auf palaisgemäße Ausführung geachtet. Küchen und Bäder wurden nach Entwürfen des Architekten maßgefertigt. Die historischen Fenster wurden in den Prunkräumen zur Gänze erhalten, ansonsten wurden neue Kastenfenster mit Innenflügeln aus Isolierglas und mit nach altem Vorbild gegossenen Beschlägen angefertigt.

Die Dächer wurden unter hohem konstruktiven Aufwand für den Ausbau mit Wohnungen samt zugeordneten Terrassen und Loggien gewappnet. Die denkmalgeschützten, rund 300 Jahre alten straßenseitigen Kehlbalkendachstühle waren selbstverständlich zu erhalten. Um den Brandschutzanforderungen gerecht zu werden, wurden sie jedoch von ihrer tragenden Funktion befreit. Diese Aufgabe übernimmt nun die Stahlkonstruktion der neuen Dachhülle. Viele Details spielen zusammen, damit das im Grunde völlig neue Dach aus der Vogelschau nicht als störend wahrgenommen wird. Sämtliche Außenwände der Dachzone sind im gleichen Rostrot wie die Dachdeckung verputzt, womit sie als homogener Körper erscheint. Technikaufbauten wurden gut verborgen, und dank elektrochromer Verglasung der Dachfenster konnte auf Außenjalousien verzichtet werden. Qualität manifestiert sich auch in jenen Dingen, die man nicht sieht!

Eine ordentliche Bauforschung im Vorfeld; die Möglichkeit, auf handwerklichhöchstem Niveau, mit dauerhaften Materialien und ohne das Schielen auf Moden oder schnelle Rendite zu bauen – das sind Voraussetzungen, wie sie heute in Immobilienwirtschaft und Baubetrieb rar sind. Klar, dass bei solch einem kulturellen Statement eine umfassende Gebäudemonografie, die Geschichte und Gegenwart beleuchtet, nicht fehlen darf. Demnächst erscheint im Birkhäuser Verlag das Buch „Palais Batthyány-Strattmann. Palais Trauttmansdorff. Zwei Wiener Palais – Geschichte und Gegenwart“.

Spectrum, Sa., 2016.11.26

15. Oktober 2016Franziska Leeb
Spectrum

Gut Ding braucht nicht viel Geld

Kostengünstiges muss nicht billig aussehen. Trotz geringen Budgets gelangen den PPAG Architekten für ein Caritas-Wohnprojekt in Wien Räume, die mehr bieten als nur Unterschlupf.

Kostengünstiges muss nicht billig aussehen. Trotz geringen Budgets gelangen den PPAG Architekten für ein Caritas-Wohnprojekt in Wien Räume, die mehr bieten als nur Unterschlupf.

Die Aufteilung in „Wohnbau für Flüchtlinge“ und „Wohnen für andere Menschen“ halte sie für eine unselige Trennung, betont die Architektin Anna Popelka, die mit Georg Poduschka das Büro PPAG Architekten in Wien führt. Es brauche generelle Aussagen, wie man vorgehen könne, um Wohnraum zu schaffen, der kostengünstig heutigen Lebensentwürfen und Bedürfnissen entspricht. „Wohnprojekt für eine Willkommenskultur für alle, die Menschen sind“ übertitelten PPAG daher ihren Vorschlag für eine modulare Neubaustruktur, die sie als hoch elastisch bezeichnen. Sie beruht auf dreiseitig um einen zentralen belichteten Raum angeordneten Minimalzimmern und ermöglicht es, Individualraum für mehr Bewohner als in gängigen Wohnungszuschnitten anzubieten.

Eine 65-Quadratmeter-Wohnung bestehtnach diesem System aus einem 27 Quadratmeter großen Wohnzimmer, um das acht Zimmer von jeweils 2,2 mal 2,2 Meter Grundfläche angeordnet sind. Zwei dieser Kammern nehmen Küche und Bad auf, die übrigen sechs sind Rückzugsräume zum Schlafen oder Arbeiten. Durch einfache Umbaumaßnahmen lassen sich Zimmer vergrößern und verkleinern, und generell lässt sich das System an den jeweiligen Ort in Ausdehnung und Höhe anpassen. Ähnlich provokant wie die Grundrisslösung ist auch die Idee, das Bausystem nicht irgendwo in peripheren Lagen, sondern mitten in der Stadt, aufgestelzt über Verkehrsflächen, Parkplätzen oder Grünstreifen, zu errichten. „Es ist weder egal, wie das aussieht, was jetzt in Massen und rasch hochgezogen wird, noch ist die Umsetzung inhaltlicher Qualität notgedrungen teurer“, sind PPAG überzeugt, die880 Euro netto pro Quadratmeter als Baukosten ermittelten.

Noch ist dieser aus eigenem Antrieb entstandene Vorschlag fernab jeder Realisierung. Was sie aber mit „elastisch“ meinen, und dass es sehr wohl möglich ist, um wenig Geld ansprechende Räume von hoher Alltagstauglichkeit und guter Grundstimmung zu schaffen, konnten sie nun bei einer Wohngemeinschaft der Caritas für junge Flüchtlinge in Wien zeigen. Die architektonische Strategie wäre aber ebenso für allerhand andere Wohnbedürfnisse temporärer oder längerfristiger Natur geeignet.

Eingerichtet wurde die WG in einem ehemaligen Tageszentrum für Senioren. Bei engem Zeit- und Kostenrahmen galt es, mit minimalen Eingriffen – im Wesentlichen durch Möblierung – drei betreute Wohngruppen für Kinder und Jugendliche unterzubringen. Materielle Extravaganzen waren nicht drin – was die PPAG Architekten (Projektleitung: Christian Wegerer) sich aber leisteten, waren eine profunde Auseinandersetzung mit den Bedürfnissen der künftigen Bewohner und der Einsatz von enorm viel Gehirnschmalz und Kreativität, um dem etwas trostlos wirkenden Bestand die bestmöglichen Konditionen für die neue Nutzung abzuringen. So wurden die Gänge mit Bänken, Nischen mit Arbeitsplätzen, Gemeinschaftsküche und Esstischen in eine großzügige Gemeinschaftszone verwandelt. Große Räume wurden zu Wohnzimmern, in denen gemeinsame Aktivitäten in kleineren und größeren Gruppen möglich sind; eines wurde mit einem blütenförmigen Podest ausgestattet, das Spiel-, Liegefläche oder eine Bühne sein kann. In einem anderen fügten sie Regale und Truhen aus Grobspanplatten (OSB-Platten) mit orangen Deckflächen zu einer Landschaft, die fantasievoll zu nutzen ist und zugleich viel Stauraum anbietet. Die kleineren Räume wurden in Einzel- oder Zweibettzimmer verwandelt. Kein Raum gleicht dem anderen, was den unterschiedlichen Bestandsgrundrissen zu schulden ist, viel mehr aber noch der Kreativität und Empathie der Architekten. Sie waren bestrebt, den von der Flucht traumatisierten jungen Menschen Rückzugsorte zu schaffen, die mehr sind als nur ein Dach über dem Kopf: Räume, die Aneignungspotenzial haben, flexible Nutzungsszenarien zulassen und wohnlich sind.

Als Baumaterial wählten PPAG eine Kombination aus verschiedenen Holzwerkstoffplatten: erstens, um der Eintönigkeit vorzubeugen, und zweitens, um für den jeweiligen Zweck das passende Material einzusetzen. OSB-Platten wurden vor allem für die Konstruktion der Betten und als partielle Wandverkleidungen eingesetzt. UnbehandelteMDF-Platten wurden für die Kästen verwendet, beschichtete Spanplatten für Tische und andere waagrechte, stärker beanspruchte Oberflächen. Dass diese spröden, preiswertenMaterialien nicht billig wirken, gewährleisten die sorgfältige Ausführung und die Raffinesse, mit der die einzelnen Komponenten zu überraschenden Räumen im Raum gefügt wurden.

Um auch in Zweibettzimmern Rückzugsmöglichkeiten zu schaffen, wurden in Räumen, in denen die Tür in der Mittelachse liegt, Bett-Schrank-Kombinationen in der Raummitte angeordnet und so verschränkt, dass Schlafhöhlen entstehen, die in entgegengesetzten Richtungen offen sind. Die entlang der Fensterfronten durchlaufenden Schreibtischplatten und schmale Durchgänge an den Stirnseiten verbinden die Zimmerhälften; Schiebetüren oder Vorhänge gestatten es, den Grad der individuellen Abschottung zu regulieren. In anderen Räumen wurden große farbige Podeste eingebaut, die der Vorliebe jüngerer Kinder, auf dem Boden zu spielen, entgegenkommen. Ein anderes Mal sind in einem recht verwinkelten Zimmer die Betten hintereinander angeordnet, aber durch ein von zwei Seiten zugängliches Regal getrennt, und zusätzlich ist eine Hochebene als Rückzugsecke eingefügt. „Kalkulierte Zufälligkeiten“ nennt Anna Popelka dievariantenreichen Möbelstellungen.

Einen wesentlichen Beitrag zur Wohnlichkeit leisten in allen Räumen die Vorhänge, die in der Kreativwerksatt ReStart, einem Beschäftigungsprojekt der Caritas, genäht wurden. Die verschiedenen abstrakten Ornamente hat der Künstler Stefan Nessmann für die stoffbezogene Version der Enzis entworfen, die PPAG ursprünglich als Möblierung für das Wiener Museumsquartier entwickelt hatten. Die abstrakten Muster sorgen nicht nur für eine heitere Grundstimmung, sie regen auch an, die Fantasie spielen zu lassen, sich in das Ornament „hineinzuträumen“, wie es die Architekten formulieren. Traumhaft ist die Situation für die jungen Bewohner, die hier fernab von Heimat und Eltern einen Platz zum Wohnen gefunden haben, trotzdem nicht. Aber es bleibt die Hoffnung, dass ihnen Räume wie diese das Ankommen in unserer Gesellschaft erleichtern.

Spectrum, Sa., 2016.10.15

10. September 2016Franziska Leeb
Spectrum

Zierden der Gegend

Den historischen Bestand nicht überformen, sondern mit heutigen Mitteln weiterbauen: Gut Hochreute in Bayern und Gut Gasteil in Niederösterreich, ländliche Idylle und städtisch-bürgerliche Baukultur im Einklang – bis heute.

Den historischen Bestand nicht überformen, sondern mit heutigen Mitteln weiterbauen: Gut Hochreute in Bayern und Gut Gasteil in Niederösterreich, ländliche Idylle und städtisch-bürgerliche Baukultur im Einklang – bis heute.

Knecht, der mit Pferden und landwirtschaftlichen Maschinen umgehen kann, wird für mittleren Besitz in der Goggnitzer Gegend gesucht.“ Kein Landwirt, sondern der Chemiker und Industrielle Max Silberberg schaltete dieses Inserat in der „Wiener Landwirtschaftlichen Zeitung“ vom 4. März 1922. Er befasste sich nach dem Verlust des an Erdölquellen reichen Galizien im Verlauf des Ersten Weltkrieges unter anderem mit der Suche nach Erdölvorkommen auf österreichischem Boden. Die große Not der Kriegsjahre war es wohl auch, die Silberberg und seine Frau Ernestine bewogen, das Gut Gasteil in Prigglitz zwecks Aufbaus einer eigenen Landwirtschaft zu erwerben. Mit der Adaptierung des desolaten Anwesens beauftragten sie Hubert Gessner, der zuvor eine Arbeiterwohnanlage im nahen Gloggnitz planteund später zu einem der prägenden Architekten des Roten Wien avancierte.

Für Gut Gasteil projektierte Gessner neben Wirtschaftsbauten einen dreigeschossigen Wohntrakt mit einer Fassade aus Bruchsteinmauerwerk vom grundeigenen Steinbruch. Die Bauherren legten Wert auf Luxus und Komfort und gingen ambitioniert an das Projekt heran, das in der Region Arbeitsplätze und Einkommen schaffen sollte. Lang konnten sie ihren Landsitz nicht genießen. Bereits 1925 wurde das Anwesen verkauft, und 1939 floh das Ehepaar nach Italien, von dort weiter nach Palästina.

Es folgten mehrere Eigentümerwechsel, nach dem Zweiten Weltkrieg diente das Gut als russische Kommandatur, ehe es an den Vorbesitzer, Oberst Richard Jary, zurückging. Von dessen zweiter Frau wurde das Anwesen schließlich vom Künstlerpaar Charlotte und Johannes Seidl übernommen, das hier sein Atelier und eine Biolandwirtschaft betreibt und mit der Galerie und dem Skulpturenpark die Liegenschaft zu einem kulturellen Treffpunkt etablierte.

Gut Gasteil ist nur ein Beispiel für das kreative Milieu in der Schwarzataler Sommerfrische. Von Nathaniel Rothschild, der mit seinem von Bauqué & Pio geplantenSchloss Hinterleiten daantrat, das nahe gelegene Schloss Wartholz des Erzherzogs Karl Ludwig von Heinrich Ferstel zu übertrumpfen, bis hin zum Loos'schen Landhaus des Lebensmittelfabrikanten Paul Khuner: Mehr über die gesellschaftlichen und politischen Verflechtungen der Akteure erzählt das Buch „Liebe im Grünen“ (Edition Mokka), in dem die Kulturhistorikerin Lisa Fischer detailreichGeschichte und Geschichten um die ländlichen Refugien vermögender Städter undAdeliger aufbereitet.

Weitaus weniger wechselhaft als die Besitzergeschichte von Gut Gasteil ist jene des landwirtschaftlichen Mustergutes, das Walter Martini, Spross einer Augsburger Textilindustriellenfamilie, 1910/11 im Allgäu errichtete. „Eine ganze Summe von Arbeit, Können und Geschmack ist in diesem Werk vereinigt; Bauherr, Architekt und Werkstättenhaben hier vorbildlich zusammengewirkt, um eine Anlage zu schaffen, die unbestritten eine Zierde der ganzen Gegend, mehr noch, eine Krönung der herrlichen Natur durch Menschenhand geworden ist“, schrieb R. A. Linhof 1913 in der Zeitschrift „Die Kunst“ über das über dem Großen Alpsee gelegene Gut Hochreute in Immenstadt. Architekt KarlSurber schuf um einen 3000 Quadratmeter großen Hof ein Ensemble aus damals nach aktuellsten Erfahrungen errichteten Wirtschaftsgebäuden, Dienstwohngebäuden und einem von der Münchner Hofmöbelfabrik Ballin ausgestatteten Herrensitz. Mit Bedachtauf die Topografie unter „besonderer Berücksichtigung der vorherrschenden Nordwestwinde“ in den Hang integriert, ist das handwerklich sorgfältig ausgeführte Anwesen ein Musterbeispiel für nachhaltiges Bauen.

Eine buddhistische Stiftung hat das Gut im Jahr 2007 erworben, um einen Ort für Zusammenkünfte von Buddhisten aus aller Welt zu schaffen. Eine heikle Angelegenheit, besonders im Hinblick auf den denkmalgeschützten Bestand. Zusätzliche Räumlichkeiten zur Beherbergung von Langzeitbewohnern und Gästen, eine Küche samt Speisesaalund Raum zur Meditation mussten geschaffen werden. Nach ersten planerischen Lösungsversuchen aus den eigenen Reihen entschied man sich schließlich zu einem geladenen Wettbewerb, bei dem der Vorschlag von Roland Gnaiger und Untertrifaller ∣ Dietrich Architekten überzeugte. Deren Entwurfsprämisse: möglichst geringe Eingriffe in die gut erhaltene Substanz.

So wurde das Karree im Osten, wo eine Mauer den Hof begrenzt, nicht bebaut; vielmehr wurden die neuen Anbauten in einem L-förmigen Winkel außerhalb des Gutshofs in den Hang integriert. Es entstand ein zweiter Hof, der das historische Ensemble unangetastet lässt und als ruhiger Wohnhof das Freiraumangebot ergänzt. Die Stallungen im Erdgeschoss des Wirtschaftsgebäudes nehmen Küche und Speisesaal auf. Im Heulager richteten die Vorarlberger Architekten den Meditationsraum – die Gompa – ein. Zur Befreiung von Schädlingen wurde das Dachgebälk komplett abgebaut, in originaler Form wiedererrichtet und der Raum mit Gespür für den Bestand bauphysikalisch den neuen Erfordernissen angepasst. Das historische Gebälk, die Wandverkleidung aus Weißtanne und ein kostbarer Boden aus stammbreit verlegten, 30 Millimeter starken Eichendielen erinnern an die frühere landwirtschaftliche Nutzung.

Im Zusammenspiel mit gezielt platzierten Fensteröffnungen, die für eine wohldosierte Menge an Tageslicht sorgen, entstand ein Raum von hoher Spiritualität. Bis zu 1000 Personen finden im 550 Quadratmeter großen Einraum Platz. Um dessen denkmalgerechte Erhaltung und die Erfüllung der genehmigungsrechtlichen Auflagen in Einklang zu bringen, erschließen vier Stahltreppen in einem unter die hintere Traufe geschobenen, verandaartig verglasten Anbau den Raum. Den historischen Bestand nicht überformen, sondern mit heutigen Mitteln weiterbauen: diese seit je gute Tradition im landwirtschaftlichen Bauen!

Spectrum, Sa., 2016.09.10

17. Juli 2016Franziska Leeb
Spectrum

Neues Rapid-Stadion: Nicht Himmel, nicht Hölle

Das Vergabeverfahren war intransparent, weder architektonische noch städtebauliche Qualität ist vorhanden. Das neue Stadion des SK Rapid in Wien-Hütteldorf wird wohl kaum den Status einer baulichen Ikone erreichen. Schade!

Das Vergabeverfahren war intransparent, weder architektonische noch städtebauliche Qualität ist vorhanden. Das neue Stadion des SK Rapid in Wien-Hütteldorf wird wohl kaum den Status einer baulichen Ikone erreichen. Schade!

Das Timing war nicht schlecht: Kurz vor Eröffnung der Fußballweltmeisterschaft in Brasilien gab der SK Rapid im Juni 2014 die Neubaupläne für sein neues Stadion bekannt. Ein paar Tage nach dem Finalspiel der Europameisterschaft wird es nun mit einem Spiel gegen den FC Chelsea eröffnet. „The Blues“ haben den Stadionneubau noch vor sich. Herzog & de Meuron haben als Ersatz für das 1877 errichtete und seitdem etliche Male umgebaute und erweiterte Londoner Stamford Bridge Stadion eine Kathedrale aus Backstein konzipiert. Noch befindet es sich in der Bewilligungsphase, einen Spitznamen hat es schon: „Eierschneider“ – wegen des die Arena umgebenden markanten Strebewerks. Ob das „Joggeli“ in Baden, das Pekinger „Nest“, der „Schwimmreifen“ des FC Bayern München oder das höchst elegante, von 900 grazilen Stützen umwaldete neue Stadion von Bordeaux: Keines der Stadien der Schweizer Architekten gleicht dem anderen, alle sind maßgeschneidert, charakteristische Wahrzeichen für die Stadt, Ikonen der Populärkultur.

Dazu reicht es beim neuen Rapid-Stadion nicht. Eingehaust in eine Hülle aus grünen Polycarbonatplatten, begleitet von der zur Keißlergasse hinausragenden silbernen Röhre entlang der Westtribüne, die als Display für ein riesiges Rapid-Emblem dient, hat es die Ausstrahlung einer routinierten Shoppingcenter-Architektur. Zur Imagebildung bedient man sich der simplen und plakativen Mittel der Vereinsfarben und Details, wie dem Vereinslogo auf den Kanaldeckeln. Es ist kein Bemühen um das Herstellen größerer Bezüge zur Stadt, zum Thema Sport zu erkennen, kein Witz, kein Alleinstellungsmerkmal, das tauglich wäre, den Ort über die engere Fangemeinde hinaus anziehend zu machen. Keine Spur von Eleganz.

Eine „grüne Hölle“ sollte der Neubau sein. Dafür muss und wird wohl der harte Kern der Anhänger sorgen, der Bau vermittelt eher die Atmosphäre eines läuternden Fegefeuers. Himmel und Hölle müssen sich anders anfühlen. Zu einer Kathedrale des Fußballs hat es ohnedies nicht gereicht, dazu waren von Anbeginn die Ambitionen zu gering. Nachdem der Vorgängerbau, das 1977 in Betrieb genommene Weststadion, das 1981 nach seinem Architekten, dem legendären Rapid-Kapitän Gerhard Hanappi benannt war, als nicht sanierbar erklärt worden war, schrieb der Verein ein Totalunternehmer-Verfahren aus.

Vier Bieter nahmen teil, ein vierköpfiges Projektteam, dem weder Architekten noch Vertreter der Stadtplanung angehörten, empfahl, das Projekt der STRABAG, die im Tandem mit dem auf Multifunktionshallen und Sportarenen spezialisierten deutschen Büro „Architektur Concept Pfaffhausen & Staudte GbR“ antrat, zu realisieren. Immerhin enthielt sich Rapid-Präsident Michael Krammer bei der Entscheidung über den Zuschlag der Stimme, sein Bruder Peter ist schließlich Mitglied im STRABAG-Vorstand. Wer die übrigen drei Bieter sind und welche architektonisch-städtebaulichen Antworten sie vorschlugen, wurde bis heute nicht öffentlich. Ein privater Bauherr unterliegt nicht dem Vergabegesetz und kann beauftragen, wen, was und wie er will. Stimmt, ist aber nicht zwangsläufig in Ordnung.

Dass die Stadt Wien es weder für notwendig hielt, ein transparenteres Vergabeverfahren einzufordern, noch in irgendeiner Form auf architektonische und städtebauliche Qualität zu pochen, ist mehr als befremdlich. Es ist vielmehr skandalös. Erstens, weil aus der Stadtkassa 20 Millionen Euro ins Baubudget von offiziell 53 Millionen flossen. (Das ist, wenn es stimmt, im Vergleich mit anderen Stadionneubauten zwar ein Pappenstiel. Aber die Frage, ob nicht eine asketische statt einer billigen Lösung drin gewesen wäre, muss zulässig sein.) Zweitens, weil die Stadt nach wie vor Besitzerin des Grundstücks ist. Eigentümer der Sportstätte ist seit Abschluss eines Baurechtsvertrags der SK Rapid. Drittens, weil die Lebensqualität und das Prestige einer Stadt nicht nur davon abhängen, wie und was in den Schutzzonen der inneren Stadtbezirke gebaut wird. Das Stadion liegt inmitten von Wohnbebauung prominent an der westlichen Wiener Stadteinfahrt, schon allein das rechtfertigt mehr baukulturelle Sensibilität. Zudem hätte eine architektonische Ikone dieser Stadt auch wieder einmal gutgetan. Wien hält sich einen Fachbeirat für Stadtplanung und Stadtgestaltung, dem die Dienststellen der Stadtplanung einzelne Bauvorhaben, die maßgeblichen Einfluss auf das Stadtbild haben, vorlegen. Was bekommt der zu sehen, wenn nicht einen Stadionbau mit 24.000 Sitzplätzen?

Schade, dass keine Lehren aus der Vergangenheit gezogen wurden. Schon Gerhard Hanappi, der sich mit dem Fußballspielen das Architekturstudium verdiente, hat mit seinem prestigereichsten Auftrag gehadert. „Von dem ursprünglichen Sportzentrum ist nur ein Sparstadion übergeblieben“, kommentierte er anno dazumal in der „Kronen Zeitung“. Denn vom „großen und modernen Sportzentrum West“ mit Stadion, Leichtathletikanlage, Tennisplätzen und Sporthalle, das 1970 projektiert wurde, realisierte man angesichts der Ölkrise nur das Stadion, und auch das litt unter Einsparungen, Bauverzögerungen, Abänderungen und Schlampereien bei der Bauausführung. Bald nach der offiziellen Eröffnungsfeier im Herbst 1977 traten schwere Baumängel zutage, das Stadion musste gesperrt werden, Korruptionsgerüchte machten die Runde.

Mit Rapid hat sich Hanappi zerstritten. Der Verein wünschte zum Beispiel mehr VIP-Bereiche – unvereinbar mit der Tradition eines Arbeitersportvereins in den Augen des überzeugten Sozialisten Hanappi, erzählt der Architekt Christoph Lechner, der an einer Monografie über den als Spieler Unvergessenen, als Architekt aber zu wenig Beleuchteten arbeitet, die im Frühjahr 2017 erscheinen soll. Von seinem Stadion, das sich vom ungeliebten Skandalbau nach seinem Tod zu einer Kultstätte entwickelte, wanderte sein Name auf den Vorplatz. Man kann das als Akt der Pietät deuten. VIP-Logen und Angebote für sogenannte Businesskunden gibt es heute mehr, als sich Hanappi jemals hätte vorstellen können. Leidenschaft und Geschäft liegen im Fußball wie beim Bauen eng beisammen. In den Sternen steht, ob das Stadion jemals wieder Weststadion heißen wird, wie eine Fan-Kampagne fordert. Eine Versicherung zahlt dafür, dass das Gebäude unter ihrem Namen läuft. Schade, dass es keine Versicherung gegen Beschädigungen der Baukultur gibt.

Spectrum, So., 2016.07.17

11. Juni 2016Franziska Leeb
Spectrum

Lernen vom Ländle

Frankreich, wir kommen? Frankreich, wir sind schon da! Innerhalb weniger Jahre konnte das österreichische Büro Dietrich∣Untertrifaller sechs Wettbewerbe in verschiedenen Regionen Frankreichs gewinnen.

Frankreich, wir kommen? Frankreich, wir sind schon da! Innerhalb weniger Jahre konnte das österreichische Büro Dietrich∣Untertrifaller sechs Wettbewerbe in verschiedenen Regionen Frankreichs gewinnen.

Französisch ist im Büro Dietrich∣ Untertrifaller zur Zweitsprache avanciert: Innerhalb weniger Jahre konnten sie sechs Wettbewerbe in verschiedenen Regionen Frankreichs gewinnen. Seit den 1990er-Jahren haben sich Helmut Dietrich und Much Untertrifaller – zunächst in ihrer Heimat Vorarlberg – für nachhaltige Bauweisen engagiert. Dabei ging es ihnen stets darum, neben den messbaren bauphysikalischen Aspekten auch städtebauliche, kulturelle und soziale Obliegenheiten nicht zu vernachlässigen. Während sich das ökologische Bauen in Österreich sukzessive etablierte und Vorarlberg generell zur diesbezüglichen Musterregion wurde, herrschte in Frankreich diesbezüglich Nachholbedarf. Ökologisches Bauen wurde erst ab der Jahrtausendwende zum halbwegs ernsthaften Thema.

Die im Jahr 2000 vonseiten des Staates und verschiedener Berufsverbände unterzeichnete Charta „Holz, Bau, Umwelt“ (Charte „Bois, Construction, Environnement“) und schließlich das 2010 verabschiedete Umweltschutzgesetz „Grenelle 2“, in dem unter anderem Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden festgelegt wurden, lösten einen veritablen Holzbauboom aus – und großes Interesse am Bauen in Holz in anderen Ländern. Ausstellungen über Vorarlberger Architektur in Frankreich oder das Buch „L'architecture écologique du Vorarlberg“ von Dominique Gauzin-Müller trugen dazu bei, dass Legionen von französischen Architekten, Ingenieuren und Handwerkern nach Vorarlberg reisten, um sich Know-how zu holen, das im eigenen Land noch kaum vorhanden war.

Für das rasche Fußfassen eines österreichischen Architekturbüros in Frankreich wäre das allein zu wenig Erklärung. Werfen wir also auch einen Blick auf das französische Wettbewerbswesen: Es werden so gut wie immer zweistufige Verfahren ausgelobt – zuerst ein Bewerbungsverfahren und dann ein Realisierungswettbewerb, auch bei kleineren Bauaufgaben. Vorzulegen sind ziemlich punktgenau passende Referenzen. Wenn also eine Sporthalle mit hohem ökologischem Anspruch gefragt ist, ist es ratsam, eine ebensolche in seinen Unterlagen vorweisen zu können.

Es ist Usus, dass sich kleinere, jüngere Büros Partnerbüros, die Entsprechendes vorzuweisen haben, suchen, und wenn diese nicht im eigenen Land zu finden sind, dann im Ausland. In der Regel reichen pro Ausschreibung 100 bis 300 Architekturbüros aus ganz Europa ihre Mappen ein. Eine Handvoll wird sehr sachbezogen – weniger auf klingende Namen setzend – ausgewählt und zum Projektwettbewerb zugelassen. So stellten sich auch Einladungen bei Dietrich∣Untertrifaller ein, die mittlerweile den französischen Markt aktiv bearbeiten und seit 2010 prompt sechs Volltreffer landeten. Seit Februar dieses Jahres ist die Beziehung zu Frankreich auch im Firmenbuch festgeschrieben. Nach Bürostandorten in Bregenz, Wien und St. Gallen firmiert das Büro Dietrich∣Untertrifaller auch an einem Pariser Standort.

Das erste in Frankreich – mit den Partnerarchitekten Colas-Durand – fertiggestellte Projekt ist das Collège Jean Monnet im bretonischen Broons. Die vergangenen Sommer eröffnete Ganztagsschule für rund 600 Schüler liegt etwas außerhalb des Ortes, wo sie von den vielen Schulbussen, mit denen die Kinder täglich zum Unterricht anreisen, gut erreichbar ist. Auf einem Sockelgeschoß aus Stahlbeton, das Aula, einen Multifunktionssaal und die Verwaltung beherbergt, setzt der zweigeschoßige Klassentrakt beiderseits der von geschoßübergreifenden Lufträumen durchwirkten horizontalen Erschließung auf. Jeder Klassenraum erhält somit Tageslicht von mindestens zwei Seiten. Die an der Südseite angeordneten Stammklassen profitieren zudem von den an den Gebäudeenden und zwischen den Klassen eingefügten zweigeschoßigen Gewächshäusern, die zur Erschließungszone hin offen und von den Klassen über waagrechte Fensterbänder einsehbar sind.

Es finden sich etliche Merkmale der 2003 fertiggestellten Mittelschule im vorarlbergischen Klaus wieder, wie die um eine Mittelzone zweihüftig angeordneten Klassen, die Brücken zu den Klassen oder die zweiteiligen Fensterbänder, bei denen die großen, von außen beschattbaren Glasflächen von einem zweiten schmalen, zurückversetzten Fensterstreifen in Kopfhöhe der Kinder begleitet werden, sodass stets der Blick auch nach draußen schweifen kann. Ein beeindruckendes Schauspiel ist es, wenn mit Erklingen der Pausenglocke gleichzeitig Hunderte Schülerinnen und Schüler aus den Klassen auf die Erschließungsbrücken und über die Stiegen hinunter in die Aula, auf den überdachten Freibereich und in den Hof strömen. Das geht dank der Großzügigkeit und Helligkeit der Mittelzone und der Einsehbarkeit aller Ebenen ohne Gefühl der Beengtheit vonstatten.

Das Konzept scheint gut anzukommen. Kommenden Herbst ist 30 Kilometer weiter, in der Kleinstadt Lamballe, Baubeginn einer weiteren Schule von Dietrich∣Untertrifaller, die wiederum aus einem mit Raphaël Colas und David Durand gewonnenen Wettbewerb hervorging.

Holz spielt auch die materielle Hauptrolle bei zwei in diesem Frühjahr fertiggestellten Sporthallen. Vor einer Woche wurde in Longvic bei Dijon ein mit Sénéchal-Auclair Architectes aus Chalon sur Saône geplantes Sportzentrum eröffnet. Ebenso kürzlich in Betrieb ging eine in Holzskelettbauweise mit Strohdämmung errichtete multifunktionale Sporthalle im Herzen des neuen Stadtquartiers Bon Lait in Lyon.

In den nächsten Wochen und Monaten geht der französische Eröffnungsreigen weiter. In Straßburg nähert sich das bei durchgängigem Betrieb umgebaute und erweiterte Palais de la Musique et des Congrès der Komplettierung. Dietrich∣Untertrifaller haben im Juni 2011 den von der Stadt Straßburg ausgelobten Wettbewerb gemeinsam mit dem französischen Büro Rey-Lucquet & Associés gegen starke internationale Konkurrenz wie UN Studio, Sauerbruch Hutton und Baumschlager-Eberle gewonnen. Und im Herbst werden auf dem neuen Universitätscampus in Nancy die Lehrenden und Studierenden der Kunsthochschule ENSA einen Neubau der österreichischen Architekten beziehen: einen souveränen Betonbau mit edel-rohen Ateliers und Werkstätten, der die Kette der von verschiedenen Architekten nach einem Masterplan von Nicolas Michelin errichteten Fakultäten komplettiert.

Spectrum, Sa., 2016.06.11

02. April 2016Franziska Leeb
Spectrum

Aus Mangel kreativ

Findige Planung und Finanzierung, günstige Angebote seitens der Bauindustrie und viele freiwillige Helfer: Dank dieses Zusammenspiels wurde aus einem ehemaligen Internat ein Heim für Flüchtlinge. Geschehen in Innsbruck.

Findige Planung und Finanzierung, günstige Angebote seitens der Bauindustrie und viele freiwillige Helfer: Dank dieses Zusammenspiels wurde aus einem ehemaligen Internat ein Heim für Flüchtlinge. Geschehen in Innsbruck.

Seit 1839 ist die Ordensgemeinschaft der Barmherzigen Schwestern in Innsbruck ansässig. Mit Bildungseinrichtungen von der Kinderkrippe über ein Gymnasium bis zu einer Bildungsanstalt für Kindergartenpädagogik, einem Sanatorium und einem Seniorenpflegeheim ist sie ein wichtiger Faktor im sozialen Leben der Stadt. Das durchgrünte Ordensareal ist weitläufig, eine kleine Stadt in der Stadt, die immer wieder den Erfordernissen der Zeit entsprechend ergänzt wurde. Als die Verwertung des seit 2000 leer stehenden ehemaligen Mädcheninternats anstand, zog der Orden die Architektin Barbara Poberschnigg (Studio Lois) als Beraterin bei. Eine Adaptierung für betreutes Seniorenwohnen wäre im überalterten Stadtteil Saggen eine naheliegende und lukrative Option gewesen, doch 2014 entschieden sich die Schwestern dafür, das Haus als Heim für Flüchtlinge bereitzustellen.

Das Land Tirol beauftragte eine Belegungsstudie und projektierte eine provisorische Adaptierung um 2,5 Millionen Euro. Dieses Provisorium hätte den kasernenartigen Charakter des Hauses alles andere als verbessert. Es hätte eben „nur eine Belegung, aber kein Wohnen“, so Poberschnigg, gewährleistet. Kurzum, eine suboptimale Situation, nicht nur für potenzielle künftige Bewohner, sondern auch für die Atmosphäre auf dem Ordensareal. Um diese Summe, so ihre Überlegung, müssten die 2500 Quadratmeter Nutzfläche auch besser als bloß minimalste Standards erfüllend umzubauen sein – etwas Kreativität bei Planung und Finanzierung vorausgesetzt.

Bei der Bauindustrie wurde daher zunächst abgefragt, welche Bauelemente günstig zu haben wären. So gut wie alle Firmen waren kooperationsbereit und boten Materialien, die entweder nicht mehr ganz den heute üblichen Standards entsprechen oder Auslaufprodukte waren. So kamen bei den Fenstern Zwei- statt Dreischeibenverglasungen zum Einsatz, als Rahmenfarbe blieb die günstigste Variante in Weiß, und bei den Bodenbelägen reduzierte sich aus Kostengründen die Auswahl auf verschiedene Grautöne. Für die Wände stellte ein Tiroler Hersteller farbige Anstriche zum Preis eines weißen zur Verfügung. Auf dieser Basis machte sich das Studio Lois daran, aus dem Vorhandenen und kostengünstig Verfügbaren das Bestmögliche herauszuholen.

Anstatt eine Fluchttreppe außen liegend anzufügen, erhielt das Gebäude nach Osten eine Verlängerung um eine Achse, die ein zweites geschlossenes Treppenhaus birgt und darüber hinaus pro Geschoß Platz für eine kleine Familienwohnung mit Eckbalkon bietet. Weitere Balkone vor den gemeinschaftlich genutzten Räumen lockern die einst monotone Lochfassade des Bestandes auf und zeigen: „Hier wird gewohnt.“ Entlang der Sennstraße ist ein niedriger, zwei geschützte Höfe umschließender Zubau projektiert. Er wird in Angriff genommen, sobald die Finanzierung gesichert ist. Ein Fenster und das alte Eingangsportal wurden nicht erneuert, da an diesen Stellen die Erweiterung andocken wird. „Der einzige Luxus, den wir uns geleistet haben, war nachzudenken“, betont Barbara Poberschnigg.

Trotz knapper finanzieller Ressourcen ist hier keine Mangelarchitektur entstanden, bei der aus jeder Ecke und jedem Detail der Sparstift winkt. Das Studio Lois hat bewiesen, dass die Architektenarbeit nicht die teure Zutat ist, als die sie landauf, landab von Bauträgern und Wohnbauabteilungen denunziert wird, sondern die Hauptsache. Mit wenigen, klug eingesetzten Gestaltungsmitteln gelang es, Wohnlichkeit zu schaffen. Zu diesem Nachdenken gemeinsam mit den Bauherrinnen gehörte auch die Namensfindung. „HERberge für Menschen auf der Flucht“ wurde das Haus benannt. Der Grafikdesigner Thomas Schrott hatte schon vor Baubeginn ein Logo entworfen, was laut Architektin Poberschnigg den Auftritt vor potenziellen Sponsoren erleichterte. Von Schrott stammt auch das nur aus Piktogrammen und Ziffern bestehende Leit- und Orientierungssystem.

Die Zimmer sind klein, der Raster des Bestands gab die Größen der Zimmer vor, die jeweils mit dem Notwendigsten – Betten, Tisch, Stühlen, Stauraum und einer Waschgelegenheit – ausgestattet sind. Für größere Familien können jeweils zwei Zimmer über Verbindungstüren gekoppelt werden. Pro Geschoß gibt es eine Wohnung mit Bad für Frauen mit Babys sowie gemeinsame Sanitärräume, für Frauen und Männer getrennt. Vor den gemeinsamen Wohnzimmern, die von anderen gemeinschaftlichen Einrichtungen wie Spielzimmern, einem Nähzimmer und den Gemeinschaftsküchen flankiert sind, weitet sich der Gang auf. Hier kamen raumhohe Schiebetüren aus transluzenten Kunststoffstegplatten zum Einsatz, die offen und einladend wirken, aber der Umwandlung in Wohneinheiten vorbeugen. Mehr als 25 bis 27 Personen pro Geschoß würden die Hausgemeinschaft zu sehr belasten.

Die Wandfarben – wärmendes Gelb an den Wänden der nordseitigen Zimmer, kühlendes Blau an der Südseite, in den Gemeinschaftsräumen gedecktes Grün oder Violett – tragen mit den weißen Vorhängen viel zum wohnlichen Milieu bei, das gewiss auch die Bereitschaft, in der HERberge mitzuarbeiten, fördert. Bereits 70 Personen engagieren sich in verschiedenen Projekten. In einer anderen Flüchtlingsunterkunft fiel Barbara Poberschnigg auf, dass die Gänge mit Schuhen vollgestellt sind. Schuhgarderoben aus Baustahlgitter neben den Wohnungstüren schaffen daher dem Chaos Abhilfe. Fenster am östlichen Ende der Gänge bringen Licht in die Gebäudemitte, gemusterte Tapeten und Sitzgruppen machen diese Zonen zu gemütlichen Treffpunkten.

Die Möbel in den Gemeinschaftsräumen stammen vom Klosterdachboden und aus dem Fundus von Altwarenhändlern – so ergab sich ein apartes Ambiente im Stil der Sixties. Finanziert wurde die Einrichtung aus Spenden; zur Ausstattung der Räume mobilisierte man 200 Personen, die an einem Wochenende unter der Regie der Architektin je nach Fähigkeit die vom Studio Lois entworfenen Möbel aus Schichtstoffplatten zusammenschraubten, Vorhänge anbrachten oder Zimmer putzten.

Seit Fertigstellung des Hauses hätten sichdie Bedenken aus der Nachbarschaft wegen der Flüchtlingsunterkunft gelegt, berichtet Max Holzhammer, Finanzverwalter des Ordens. Und jenen, die meinen, es sei eine Luxusunterkunft, entgegnet er, dass „zu dritt auf 17 Quadratmetern zu wohnen wahrlich kein Luxus“ sei.

Spectrum, Sa., 2016.04.02

23. Januar 2016Franziska Leeb
Spectrum

Reduktion und Rituale

Keine Beamtenburg, kein Protzpalast und doch nicht nur pragmatisch nüchtern: das neue Bürogebäude der Arbeiterkammer in Wien von ČPPA/Fellerer-Vendl.

Keine Beamtenburg, kein Protzpalast und doch nicht nur pragmatisch nüchtern: das neue Bürogebäude der Arbeiterkammer in Wien von ČPPA/Fellerer-Vendl.

Das Haus mache mit seiner klaren Geometrie gute Figur, auch wenn es stilistisch und typologisch eher an die 1990er-Jahre erinnere, kommentierte vor einigen Monaten Christian Kühn an dieser Stelle („Spectrum“, 26. September 2015) in seinem Porträt der Plößlgasse in Wien-Wieden die jüngste bauliche Erweiterung der Wiener Arbeiterkammer.

Anstelle eines Wohnhauses aus den 1960er-Jahren entstand hier am Rand der Parkanlage hinter dem Arbeiterkammer-Hauptgebäude an der Prinz-Eugen-Straße ein neues Bürogebäude, das ein Beratungszentrum der Arbeiterkammer Niederösterreich, die IT-Abteilung der AK Wien und Niederösterreich, die interne Verwaltung der AK Wien, Konferenzräume, eine sogenannte „Chill-out-Zone“ für Teilnehmer der AK-Bildungsakademie und diverse Archiv- und Lagerräume beherbergt.

Stimmt – das Profilglas, das die äußerste Hülle der zweischaligen Fassade bildet, war in den 1990er-Jahren ebenso angesagt, wie generell der Einsatz purer Materialien mit der damit einhergehenden rauen Ästhetik eine Tendenz der Zeit war. Eine leicht herbe Direktheit, mit einem Schuss Poesie und charmantem Witz, nie unüberlegt verspielt, stets städtebaulich sensibel zeichnet schon die damaligen Arbeiten sowohl von Eva Češka und Fritz Priesner (ČPPA) als auch des befreundeten Architektenduos Andreas Feller und Jiři Vendl aus.

Immer wieder arbeiteten die beiden Teams zusammen, zuletzt bei besagtem Gebäude für die Arbeiterkammer, dem zweifellos besten neuen Beitrag zur Transformation der Plößlgasse und wohl auch einer der erfreulichen Wiener Neubauten der jüngsten Zeit, selbst wenn er wenig mit topaktuellsten Modeerscheinungen zu tun hat – vielmehr sogar gerade deshalb. Es ist keine Beamtenburg, auch kein Protzpalast und dabei trotzdem nicht nur pragmatisch nüchtern. Mit einer rationalen Formensprache wird der Charakter einer Interessensvertretung und Servicestelle von hoher Bedeutung ohne Schnörkel, frei von theatralischen Gesten, aber reich an räumlichen Erlebnissen vermittelt.

Das Gebäude ist Resultat eines im Frühjahr 2012 ausgelobten zweistufigen Verhandlungsverfahrens. Alleinstellungsmerkmal des Wettbewerbsbeitrags von ČPPA/Fellerer-Vendl war das Abrücken des neuen Gebäudes von der angrenzenden Häuserzeile. Ursprünglich sahen sie in diesem Zwischenraum einen mit auskragenden Balkonen überspannten, begrünten öffentlichen Durchgang in den Park vor, der in einer Überarbeitungsphase aus grundstücksrechtlichen Gründen ad acta gelegt wurde. Um dennoch eine Zäsur beizubehalten, wurde das Stiegenhaus in diesen Zwischenraum verlagert, das nun straßen- und hofseitig verglast Distanz schafft und Durchblick gewährt. Somit bleibt der Charakter des Solitärs erhalten. An der Ost- und der Westseite sind dem Untergeschoß attraktive Lichthöfe vorgelagert, die den Kopfbau am Abschluss der Gründerzeitzeile mit dem weitläufigen Gartenareal verschränken.

Es ist die Aufgabe der gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitnehmer in Österreich, „die sozialen, wirtschaftlichen, beruflichen und kulturellen Interessen der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen zu vertreten und zu fördern“, heißt es im Paragraf eins des Arbeiterkammergesetzes. ČPPA/ Fellerer-Vendl haben diesen Anspruch in Architektur gegossen und kongenial durch baubezogene Kunstprojekte ergänzt, die aus einem Kunstwettbewerb hervorgegangen sind. Die spektakulärste und weithin sichtbare Intervention am Neubau stammt von Peter Sandbichler, der für die Feuermauer in der Zäsur zum Nachbarhaus eine Wand konzipierte, die Bezug auf die Bossenstrukturen der Gründerzeitfassaden nimmt, in diesem Fall aber nicht als Geschoßgliederung eingesetzt, sondern sich als Abschluss der Gründerzeitzeile und Beginn des Neubaus in minimalistischer Weise über die ganze Wand erstreckend.

Barbara Höller schuf für das gartenseitige Atrium eine Wandarbeit mit in die Betonwand eingelassenen Paaren von verschieden langen Barren aus Glas, die die ungleichen Einkommensverhältnisse zwischen Männern und Frauen veranschaulichen. Im Inneren thematisiert Andreas Siekmann in großformatigen, piktogrammartigen Grafiken, die an die Bildsprache des Ökonomen und Sozialreformers Otto Neurath erinnern, unter dem Titel „Wirtschaftsweisen“ Inhalte aus der Welt der Wirtschaft.

Die Architekten vermieden es, mit neuen Bürotypologien zu experimentieren, wasauch dem Wunsch des Auftraggebers nach kleinteiligen Büros entspricht. Konventionell oder gar langweilig sind sie dennoch nicht. Sie öffnen sich teilweise mit Fixverglasungen zu einer großzügigen Mittelzone, die stellenweise bis an die Außenhülle führt und den Ausblick ins Freie gewährt und die sich über drei Geschoße verbindende, abteilungsinterne Treppenläufe und die begleitenden Lufträume auch in die Vertikale öffnet.

Das Konzept, mit materialsichtig belassenen Oberflächen zu arbeiten, wurde innen fortgesetzt. Nur ein gelbgrüner Kautschuk-Boden in den Bürobereichen setzt – neben Bildern aus der Kunstsammlung der Arbeiterkammer – einen farbigen Akzent. Ansonsten dominieren einfache, unbehandelte Materialien – Sichtbeton, Holzwolle-Akustikplatten, Glas, naturfarben eloxiertes Aluminium.

Die IT-Abteilung versorgt von hier aus 600 Arbeitsplätze, das Haus ist damit sozusagen das technische Herz der Arbeiterkammer. Dem entsprechen die klare Tektonik und die technoide Ausstrahlung, die Hand in Hand gehen mit einer einfachen Adaption der Bürogrößen, falls doch einmal größere Einheiten gewünscht werden sollten, und einem unkomplizierten Zugang zum technischen Innenleben in den Decken.

Die gewählte Materialität stellt eine Verbindung zur Arbeitswelt und damit zum Wirkungsfeld der beherbergten Institution her. Das Haus gaukelt nichts vor, ist reduziert – das passt in eine Zeit, in der Prunk nicht angebracht ist. Mangelarchitektur ist es dennoch keine, denn an Inhalt wurde nicht gespart; und es ist auch keine Büromaschine, sondern ein Haus, das die für das Wohlbefinden im Arbeitsleben wichtigen Rituale – den kurzen Tratsch bei der Kopierinsel, Kaffeepausen in angenehmemAmbiente, die Rauchpause auf einem der Balkone im Stiegenhaus, das Öffnen eines Fensters – fördert.

Spectrum, Sa., 2016.01.23

12. Dezember 2015Franziska Leeb
Spectrum

Etwas schönes anderes

Ansehnliche Gewerbegebiete sind Mangelware. Der Betriebscluster in Theresienfeld im niederöster-reichischen Industrieviertel ist eines der raren Vorzeigebeispiele. Nachahmung erwünscht!

Ansehnliche Gewerbegebiete sind Mangelware. Der Betriebscluster in Theresienfeld im niederöster-reichischen Industrieviertel ist eines der raren Vorzeigebeispiele. Nachahmung erwünscht!

Die Hässlichkeit der Gewerbegebiete, die landauf, landab die Peripherien der Städte und Ortschaften prägen, fällt gar nicht mehr auf, weil sie zum Normalfall geworden ist und positive Beispiele rar sind. Steinmetze, Tischlereien, Spenglereien, Reparaturwerkstätten, Autohäuser brauchen viel Platz, verursachen Lärm und wurden daher aus den Zentren hinaus an die Stadtränder komplimentiert. Dort bauen sie sich in der größtmöglich vorstellbaren Trostlosigkeit zwischen Tankstellen und Großmärkten in (auto-)verkehrsgünstiger Lage ihre Betriebsanlagen. Alles halbwegs praktisch, jeder mehroder weniger unbeholfen um Aufmerksamkeit buhlend. Schön ist anders.

Daran ist oft weniger die formale Gestaltung der Einzelobjekte schuld – die zum Großteil allerdings ebenso zu wünschen lässt – als vielmehr das gedankenlose Nebeneinander von Supermärkten, Betriebsstätten, den zugehörigen Zufahrten, Lagerflächen und Parkplätzen und dazwischenliegenden Abstandsflächen. Die Schuld für das hässliche Ausfransen der Stadt- und Dorfränder den einzelnen Unternehmern zuzuschieben wäre zu einfach. Denn zu gering bis gar nicht vorhanden sind in den meisten Fällen die Ambitionen der zuständigen Baubehörden, bei Betriebsansiedlungen im Vorfeld städtebauliche und gestalterische Kriterien vorzugeben und entsprechende Konzepte zu überlegen. Längst scheinen sie vor den Individualinteressen der Betriebe kapituliert zu haben, und so herrscht in den Gewerbezonen eine Mentalität der Wurschtigkeit, in deren Windschatten alles an Plan- und Belanglosigkeiten wuchert, was man sich nur ausdenken kann.

Rar sind die gelungenen Beispiele, wie zum Beispiel der Millenniumpark in Lustenau, wo die Gemeinde Grundstücke angekauft hat und sich innerhalb eines städtebaulichen Gesamtkonzepts diverse Betriebe mit bemerkenswert guten Bauten angesiedelt haben. Leider nur ein Rumpf geblieben ist das Konzept von Architekt Johannes Wiesflecker für das Unternehmerzentrum Aldrans-Lans-Sistrans, wo es bis dato bei einem – 2007 fertiggestellten – Gebäude blieb. Die steirische Gemeinde Lang startete 2013 gemeinsam mit dem Grundstückseigentümer und Projektentwickler Bertran Conrad-Eybesfeld den Planungsprozess für ein Gewerbegebiet mit einem Studienauftrag an drei Architekturbüros (West 8, Gangoly & Kristiner mit Kersten Geers David Van Severen sowie Thomas Pucher), bei dem der Vorschlag des niederländischen Büros West 8 erstgereiht wurde. Ein gebautes Ergebnis gibt es hier bis dato nicht.

Angesichts einer spärlichen Ausbeute an Vorzeigebeispielen verdient daher die Initiative eines niederösterreichischen Unternehmers umso mehr Beachtung. Vor einigen Jahren begann Josef Kampichler im Gewerbegebiet von Theresienfeld bei Wiener Neustadt ausgehend von einer bestehenden Industriehalle gemeinsam mit dem Wiener Architekturbüro gerner°gerner plus nicht nur seinen eigenen Betrieb für Naturstein-Verarbeitung zu erweitern, sondern innerhalb des stetig wachsenden Ensembles auch Räumlichkeiten zur Vermietung an andere Firmen zu errichten. Der Auftrag an die Architekten bestand zunächst darin, in den Bestand Büroflächen zu integrieren und schließlich mit sukzessiver Vergrößerung des Betriebsareals für dasselbe auch ein formales Ende zu entwickeln. „Gestaltung geht diesem Bauherrn über alles“, erzählt Architekt Matthias Raiger, Partner im Büro gerner°gerner plus, voll des Lobes über die Zusammenarbeit. „Jemanden, der so detailverliebt ist, so kompromisslos Qualität sucht, findet man selten“, ergänzt Andreas Gerner. Denn Kampichler forderte nicht nur eine Aneinanderreihung von praktikablen Betriebsstätten, er wünschte ein gut proportioniertes Ganzes in hoher gestalterischer Qualität.

Die Bestandshalle wurde um weitere Hallenabschnitte zu einer 180 Meter langen Box erweitert, deren östliches Ende mit einer verglasten Erdgeschoßzone zurückspringt. Je nach Anforderungen der Mieter – darunter eine Betontechnikfirma, eine Glaserei, eine Dreherei und eine Firma für Antriebstechnik – wurden Büros und direkt von den Hallen zugängliche Meisterkabinen, Sanitärräume und Arbeitergarderoben eingerichtet. Allesamt gleich hochwertig ausgestattet, mit Eichenparkett, Stufen und Parapetverkleidungen aus Naturstein in den Büros und Terrazzoböden in den hallenseitigen Einbauten. Felder aus dunkel geöltem Holz beiderseits der Sektionaltore zu den einzelnen Firmenhallen sorgen für eine gute Proportionalität der langen Hallenschachtel. Es gibt kein Wirrwarr an Firmenschildern und Aufschriften; wo und in welcher Typografie beschriftet wird, ist vorgegeben.

Beton als Baumaterial war naheliegend, weil erstens durch den Bestand schon vorgegeben und zweitens vom eigenen Steinmetzbetrieb gut bearbeitbar. Seine Qualitäten wurden vor allem bei der straßenseitigen Fassung des Geländes voll ausgespielt. Ortbeton in Sichtbetonqualität ummantelt sowohl die Reihe der Lagerhallen mit Holzschiebetoren als auch die offenen, nur teilweise überdachten Lagerflächen. Die Sichtschutzwinkel für Letztere erwachsen spitzwinkelig aus dem Boden, Tore oder begrenzende Zäune gibt es nicht. Je nach Standpunkt gibt es Durch- und Ausblicke zwischen den auf nicht orthogonalen Grundrissen errichteten Lagerhallen zur Straße, oder die Front scheint sich ganz zu schließen, womit die Lagerbauten für Intimität auf dem Gelände sorgen, ohne es völlig abzuschotten.

Es handelt sich um einen Industriebau, überkandidelt veredelte Oberflächen gibt es nicht, aber das Einfache wurde denkbar minimalistisch und präzise ohne überflüssiges Beiwerk ausgeführt. Die Schalungsbilder wurden exakt geplant, der Ortbeton sandgestrahlt und hydrophobiert, damit es keine unschönen Feuchtigkeitsflecken gibt. Auf Verblechungen, die den skulpturalen Charakter gestört hätten, wurde verzichtet. Das Wasser wird über die schrägen Dachflächen und sparsame Öffnungen sowie eine innen liegende Entwässerung bei den geschlossenen Hallen abgeführt. Sehr schön, sehr aufgeräumt, eine gute Arbeitsumgebung.

Die Zufriedenheit der Mieter ist groß, keiner beschwert sich über zu rigide Vorgaben. „Architecture sells“: Das gilt nicht nur in der schicken Boutique oder im Nobelbeisl, sondern offensichtlich auch im Handwerksbetrieb, selbst wenn hier die Kundenfrequenz geringer und Laufkundschaft ohnedies nicht zu erwarten ist. Nachahmung dringend empfohlen!

Spectrum, Sa., 2015.12.12

14. November 2015Franziska Leeb
Spectrum

Werk im Bild

Friedrich Achleitners Architektenporträts aus sechs Jahrzehnten und ein Standardwerk zur Architekturfotografie: zwei Buchempfehlungen.

Friedrich Achleitners Architektenporträts aus sechs Jahrzehnten und ein Standardwerk zur Architekturfotografie: zwei Buchempfehlungen.

Man solle keinen Architekten entwerfen. Die ersten Striche würden schon an der Entwurfsmethode scheitern, sodie Conclusio Friedrich Achleitners am Ende des Porträts von Boris Podrecca, das zugleich eine brillante Reflexion über die Schwierigkeit ist, mit Sprache einen Menschen einem anderen zu vermitteln. „Wie entwirft man einen Architekten?“ ist auch die Textsammlung betitelt, die die Herausgeberinnen Eva Guttmann, Gabriele Kaiser und Claudia Mazanek kürzlich vorstellten. Aus rund 500 von Achleitner aus verschiedenen Anlässen verfassten Ausstellungsrezensionen, Eröffnungsreden, Laudationes, Katalogbeiträgen oder Nachrufen wählten sie 86 „Porträts von Aalto bis Zumthor“, viele davon bislang nie gedruckt veröffentlicht, mittlerweile vergriffen oder schwer zugänglich. Wie der Untertitel ankündigt, sind die zwischen 1963 und 2011 entstandenen Beiträge alphabetisch gereiht. Es finden sich alte Unbekannte, Überraschungskandidaten, Männer und Frauen, Alte und Junge – wobei aus heutiger Sicht manch alter Herr zum Zeitpunkt der Achleitner'schen Befassung mit ihm ein Jungspund war.

Es ist eigentlich kein Architekturbuch, eher eine Abfolge von Prosaminiaturen – von scheinbar leichter Hand souverän hingeworfenen verbalen Bildnissen. In Wirklichkeit ging dieser Leichtigkeit der Texte mit großer Sicherheit nicht nur eine eingehende Befassung mit den jeweils Porträtierten voran, sondern auch qualvolles und sorgfältiges Abwägen des Gesagten und Geschriebenen. Denn selbst bei intimer Kenntnis der Porträtierten sind Achleitners Texte nie distanzlos, nie anbiedernd, nie unterwürfig, nie selbstgefällig.

Die Auswahl haben sich die Herausgeberinnen nicht leicht gemacht. Sie sollten einerseits durch die Spanne ihrer Entstehungszeit Achleitners Entwicklung und die damit verbundenen Interessen und Beziehungen abbilden, quasi so etwas wie eine indirekte Biografie von Friedrich Achleitner sein, erklärt Eva Guttmann. Etliche stammen aus Friedrich Achleitners frühen Jahren als Architekturkritiker für die „Presse“. Man könnte vorschnell hinterfragen, wen heute noch Texte über Antonio Gaudí oder Eileen Gray interessieren, deren Werke längst Eingang in den Bildungskanon gefunden haben. Wenn aber Achleitner im Jahr 1970 feststellt, dass die Architektin, deren Tisch E 1027 seit Jahrzehnten in jedem populären Einrichtungsmagazin zu sehen ist, „bis vor Kurzem in Wiener Architektenkreisen nicht einmal ein Geheimtipp“ gewesen sei, werden auch Texte über heute Berühmte zu wichtigen Dokumenten der jeweils zeitgenössischen Architekturrezeption. Besonders erfreulich ist es, Würdigungen von auch heute noch nur in Fachkreisen bekannten Persönlichkeiten zu finden, wie jene zum 70. Geburtstag des Bau- und Siedlungsforschers Adalbert Klaar (1900– 1981), dessen Bauaufnahmen und Baualterpläne österreichischer Dörfer und Städtenicht nur Architekturgeschichte dokumentieren, sondern auch eine wichtige Grundlage für die denkmalpflegerische Praxis sind.

Unglaublich inspirierend und erkenntnisfördernd ist diese Zusammenstellung, deren Aufmachung (Buchgestaltung: Peter Duniecki) ebenso unprätentiös und griffig ist wieAchleitners Architektenentwürfe. Ein großartiges Lesebuch und ein wertvoller Beitrag zur österreichischen Architekturgeschichtsschreibung!

In die Architekturgeschichte geht nur ein, was beschrieben, dokumentiert und – seit dem 19. Jahrhundert – fotografiert wurde. Während das Geschriebene Gefahr läuft,nicht gelesen zu werden, kann man sich dem Bild schwer entziehen. Die Vermittlung von Architektur über Bilder ist nicht dasselbe wie das Erleben des Originals oder eine gut reflektierte Architekturkritik. Aber wie sehr architektonische Handschriften undikonische Gebäude in unseren Köpfen präsent sind, hängt in erster Linie mit deren fotografischer Dokumentation zusammen. Um den „professionellen Umgang mit dem Medium Architekturbild zu verbessern“ und zur „allgemeinen Sensibilisierung für den kulturellen und ideellen Wert der Architekturfotografie“ beizutragen, haben sich vor zwölf Jahren österreichische Architekturfotografinnen und -fotografen zur IG Architekturfotografie zusammengeschlossen. Schon allein dieses gemeinsame Auftreten hat viel dazu beigetragen, Bewusstsein für den Wert ihrer Arbeit zu schaffen. Mit einem Buch, herausgegeben von der Kulturtheoretikerin Angelika Fitz und der Buchgestalterin Gabriele Lenz, hat die Szene nun ein Statement gesetzt, das weit mehr als eine Leistungsschau mit schönen Architekturbildern ist. „Vom Nutzen der Architekturfotografie“ lautet sein Titel, und diesen Nutzen bildet das Buch in vielfacher Hinsicht ab.

Dabei geht es aber nicht allein darum, wie die Architekturfotografie der Architektur in einem dokumentarischen und propagandistischen Sinne dienlich ist, was sie zweifelsohne ist. Mit der medialen Verbreitung steigt nicht nur der Wert des Gebäudes, sondern auch der Ruf derer, die es geplant haben. In den meisten Fällen ist Architekturfotografie Auftragsarbeit. Architekten brauchen die Bilder für ihre Portfolios, sie dienen der Akquise, und ohne eine Serie guter Fotografien ist die Publikation eines Bauwerks in Fachmagazinen heute undenkbar. Dennoch sind die Fotografen nicht bloße Erfüllungsgehilfen. Ihr Blick ist auch ein interpretierender und kritisierender. Oft erzählen die Hintausansicht eines Gebäudes oder ein Detail mehr über sein Wesen als die Cover-taugliche Totale der Fassadenfront. Das Bild einer Seilbahnstation aus Perspektive des Skitouristen, der sich in der Gondel der Bergstation nähert, zeigt zwar den praktischen Nutzen der Bergstation für den Skibetrieb. Jenes Bild, bei dem bloß ein Stück Gebäudehülle hinter einer schroffen Felsformation hervorblitzt, inspiriert aber viel mehr zu Reflexionen über die Konditionen des Bauens in hochalpinen Gefilden.

Welche Rolle spielen Nutzungsspuren, Menschen und Tiere, wie werden Bilder inszeniert, wie kann der richtig gewählteStandpunkt des Fotografen architektonische Intentionen unterstreichen, was kann er über den städtebaulichen Kontext erzählen? Welche Rolle spielt der Fotograf als Komplize oder Kritiker? Jedem professionell in der Architektur Tätigen, sei es planend und bauend,sei es publizistisch, bietet das Buch mannigfaltige Erkenntnisse. Das gelingt schon durch die Choreografie der ausgewählten Fotos auf der Bildebene. Ein Standardwerk zur Architekturfotografie wollten die Protagonistinnen vorlegen – das ist ihnen gelungen. Den Schau-und Lesegenuss erhöht, dass sie nicht auf einer technoid-didaktischen Ebene blieben, sondern ein hochgradig sinnliches Werk zustande brachten.

Spectrum, Sa., 2015.11.14



verknüpfte Publikationen
Vom Nutzen der Architekturfotografie
Wie entwirft man einen Architekten?

24. Oktober 2015Franziska Leeb
Spectrum

Vom Mut, das Lebendige zu wählen

„Im innovatorischen Charakter vorbildlich“ sollen sie sein und „einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten“: jene Bauten, die alljährlich mit den Bauherrenpreisen geehrt werden. Die Preisträger der Saison: ein Überblick.

„Im innovatorischen Charakter vorbildlich“ sollen sie sein und „einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten“: jene Bauten, die alljährlich mit den Bauherrenpreisen geehrt werden. Die Preisträger der Saison: ein Überblick.

Um den seit 1967 von der Zentralvereinigung der Architektinnen und Architekten ausgelobten Bauherrenpreis zu bekommen,reicht es nicht, ansehnliche Gebäude hinzustellen. „Im innovatorischen Charakter vorbildlich“ sollen die preisgekrönten Bauten sein und „einen positiven Beitrag zur Verbesserung unseres Lebensumfeldes leisten“. Eugen Wörle, unter dessen ZV-Präsidentschaft der Preis ins Leben gerufen wurde, verlangte nach einem Bauherrn, „der seine Aktivität nicht auf den wirtschaftlichen Bereich beschränkt und im Architekten nur einen Vollzugsgehilfen sieht“. Ein Bauherr müsse von sozialer Verantwortung sein und „den Mut haben, Lebendiges, Positives und Zukunftsweisendes zu wählen anstatt Bequemes, Steriles oder Mode-Schönes“.

Betrachten wir also die heurigen Preisträger, die vergangenen Freitagabend im Werkraumhaus in Andelsbuch geehrt wurden, nach diesen Gesichtspunkten. Sechs an der Zahl hat die Jury, bestehend aus dem Südtiroler Architekten Walter Angonese, Architektin Hemma Fasch und Architekturkritiker Otto Kapfinger, ausgewählt.

Bei der Wohnhausanlage „Wohnzimmer Sonnwendviertel“ beim Wiener Hauptbahnhof hat sich das Bauträgerkonsortium „win4win“, vor allem in Person von Michaela Mischek-Lainer, von Anfang an die Latte hoch gelegt. Drei Architektenteams – Klaus Kada, Bernd Vlay mit Karoline Streeruwitz und Riepl Kaufmann Bammer – wurden zusammengespannt, um innerhalb eines Gebietes mit drei Bauplätzen kooperativ ein stadträumliches Ganzes mit 450 Wohnungen zu planen. Um das Einsparen individueller Wohnfläche zu kompensieren, wurden großzügigst gemeinschaftliche Einrichtungen wie Indoor-Spielplätze, Musikraum, Kinosaal, Gemeinschaftsküche, Fahrradwerkstatt und sogar ein auch von externen Besuchern nutzbares Schwimmbad errichtet. Die im Masterplan vorgesehene Blockrandbebauung wurde zwecks besserer Vernetzung mit dem Umfeld aufgebrochen, die interne Freifläche blieb von trennenden Maschendrahtzäunen verschont. Städtebaulich und sozialräumlich modellhaft und absolut weiter verfolgenswert befand die Jury die hier formulierten Ansätze für zeitgemäße urbane Wohnquartiere.

Geehrt wurden auch die Stadt Innsbruck, der Bauträger Innsbrucker Stadtbau und die sozialen Dienste für das Wohn- und Pflegeheim im Olympischen Dorf von Artec Architekten. Am Ufer des Inns überspannt es in fünf bis acht Meter Höhe einen Park und schafft für die Öffentlichkeit neue Angebote, wie attraktive überdachte Flächen zum Aufenthalt im Freien, die durch die entsprechende Lage von Café, Mehrzweckraum und Kapelle mit der Heimsphäre verbunden sind. Obwohl an einem nebeligen Morgen vor Ort, konnte die Jury ein „lebhaftes Ineinander aller Ebenen, ein anregenden Spiel von Innen und Außen, von Raum und Bau und einmaliger Landschaft“ erleben. – Die Tiroler Wasserkraft AG unterliegt nicht den Vergaberichtlinien öffentlicher Auftraggeber, zeigte aber dennoch baukulturelle Verantwortung und führte zur Projektfindung für die neue Leitstelle in Silz ein EU-weites Bewerbungsverfahren durch. Bechter Zaffignani Architekten positionierten den Bau als „wohlgerüsteten Wächter“ gegenüber der bestehenden Turbinenhalle und überzeugten mit der strikten Klarheit des kraftvollen Monolithen aus Sichtbeton, der auf den Kontext der Umgebung Bezug nimmt und zudem auch in energetischer Hinsicht sparsam ist.

Im Spannungsfeld Technik und Landschaft gelang Marte.Marte Architekten mit Bauingenieur Josef Galehr im Auftrag der Stadt Dornbirn ein Beispiel für Ingenieurbaukunst vom Feinsten. Gerade bei Infrastrukturbauten gehen die Ansprüche über das Notwendigste, das Bequeme und Sterile selten hinaus. Die neue Schaufelschluchtbrücke an der spektakulär über Abgründe und durch Naturtunnel führenden Straße in den entlegenen Ort Ebnit schmiegt sich wie ein skulpturales Passstück in die Natur. Eine kongeniale Zusammenarbeit zwischen Architekten und Ingenieuren und ein Musterbeispiel für einen kommunalen Bauherren, der Wert auf gestalterische Qualität legt!

Das Wettrüsten kommerzieller Interessen, gepaart mit der ästhetischen Inkompetenz zahlreicher im öffentlichen Raum agierender Behörden, die ihre Verkehrsflächen, Hinweistafeln, Blumentröge, Fahrradständer oder Mistkübel eher nach den Prämissen der (eigenen) Bequemlichkeit als jenen der Schönheit platzieren, beeinträchtigt Stadtbild und Aufenthaltsqualität. In der Salzburger Altstadt haben sich Anrainer, allen voran Franz Modrian, Bauträger und Hauseigentümer – auch mit erklecklicher finanzieller Beteiligung –, gemeinsam mit den Architekten Eduard Widmann und Erich Wagner für eine formale und funktionale Verbesserung in der rechten Altstadt eingesetzt. Die Vorschläge der engagierten Gruppierung wurden seitens der Stadt unterstützt; die gestalterischen Mittel sind wohlüberlegt und bleiben im Hintergrund. Als erfrischende Draufgabe bereichern die mit ausgetüftelter Technik in der Tradition der Salzburger Wasserkunst installierten Wasserspiele den städtischen Alltag.

Wo Steuergelder investiert werden, sollten höchstmögliche soziale und gestalterische Kriterien selbstverständlich sein und von der Bevölkerung auch eingefordert werden. Allgemeine Praxis ist in unserem angeblich für das Schöne begnadeten Volk weder das eine noch das andere. Umso mehr stechen private Unternehmen hervor, die Bauen auf sehr umfassende Weise als soziale Verantwortung verstehen. Der Firma Omicron, Weltmarktführer in der elektrischen Prüftechnik, ging es bei der Erweiterung ihres Hauptsitzes in Klaus, Vorarlberg, nicht nur darum, weitere 200 Arbeitsplätze und zusätzliche Lager- und Laborflächen in einer ansehnlichen Firmenarchitektur gut zu organisieren. Als fordernder Bauherr im besten Sinne war man Dietrich Untertrifaller Architekten ein kongenialer Sparringpartner, vertraute auf die „Kraft des Teams statt auf das Genie des Einzelnen“, agierte sozial und lupenrein ökologisch.

Das von Mitarbeitern getragene Solidaritätsprojekt „Crossing Borders“ zur Verbesserung der Ausbildung von Kindern in Schwellenländern wird in Materialien und Techniken aus dem Umfeld dieser Initiativen sichtbar. So ist einer der geschoßübergreifenden Rekreations- und Denkräume von Anna Heringer und Martin Rauch mit einem textilumspannten Zeppelin und einem Schicht für Schicht von Hand geformten Kuppelbau ausgestattet. Die flache Unternehmenshierarchie findet ihren Widerhall in – vom Reinigungspersonal bis zur Chefetage – gleichen Bürozellen mit sensuell und klimatisch wohltuenden, sägerauen Eichenböden und Wänden aus Weißtanne. Von den öffentlich zugänglichen Innenhöfen bis auf das Dach fördert eine naturnahe Freiraumgestaltung nicht nur die Entfaltung der Menschen, sondern auch jene der regionalen Flora und Kleinfauna. Man hat an alle und alles gedacht. Eugen Wörles Bauherrenideal ist nicht besser zu verkörpern.

Spectrum, Sa., 2015.10.24



verknüpfte Auszeichnungen
ZV-Bauherrenpreis 2015

25. Juli 2015Franziska Leeb
Spectrum

Gestapelt und gereiht

Eine kleine feine Wohnanlage in Brunn am Gebirge, geplant vom Büro Češka Priesner, schafft den Spagat zwischen Wohnqualität, Sparsamkeit und architektonischem Anspruch.

Eine kleine feine Wohnanlage in Brunn am Gebirge, geplant vom Büro Češka Priesner, schafft den Spagat zwischen Wohnqualität, Sparsamkeit und architektonischem Anspruch.

Das Atriumreihenhaus in Brunn sei vom Plan her sympathisch gewesen, erzählt eine junge Mutter. Weit und breit sei nichts Vergleichbares – ein modernes Reihenhaus mit sichtgeschütztem Freiraum – zu finden gewesen. Zwar seien sie anfangs skeptisch gewesen, ob über das Atrium ausreichend Licht in die Wohnräume gelange, die Bedenken hätten sich aber nach der Besichtigung als unbegründet herausgestellt. Glück gehabt, denn Atriumhäuser sind eine aussterbende Spezies. Das läge daran, so Georg Hurka vom Büro Češka Priesner Partner Architektur (ČPPA), dass bei diesem Haustypus die Relation zwischen Nutzfläche und Hüllfläche relativ groß sei und sich ungünstigere Werte bei Berechnung der Energieeffizienz ergeben. Im geförderten Wohnbau werden daher Atriumtypen kaum noch realisiert. Neun konnten in einer Siedlung von ČPPA (Eva Češka, Friedrich Priesner und Georg Hurka) in Brunn am Gebirge dennoch gebaut werden – frei finanziert, im Gegensatz zum geförderten zweiten Siedlungsteil, in dem Geschoßwohnungen und Maisonetten zu einem kompakten Dreigeschoßer gestapelt wurden.

Die Siedlung an der Friedrich-Kranzelmayer-Gasse schließt westlich an die Terrassenhaussiedlung Goldtruhe von Hans Puchhammer und Gunther Wawrik an, die in den Jahren 1967 bis 1969 von der gleichen Wohnbaugesellschaft, der Gewog, errichtet wurde. Zehn Jahre, nachdem sie die nach einer alten Flurbezeichnung benannte Siedlung entworfen haben, und sieben Jahre nach Fertigstellung resümierten Puchhammer und Wawrik 1976 in der Schweizer Zeitschrift „Bauen + Wohnen“: „Die Durchsetzung von Veränderungen an dem gemeinsamen Eigentum, die Bildung einer aktionsfähigen Gemeinschaft ist vorläufig in Versuchen steckengeblieben – wie anderenorts auch. Aber die Durchdringung von Außen- und Innenräumen, die halböffentlichen Übergangsbereiche, die Möglichkeiten zum Auswuchern der Wohnungen in den Freiraum und zum Zeigen von Präsenzsymbolen nach außen werden offensichtlich sehr gern angenommen.“ Ihren ersten größeren Wohnbau haben die damals jungen Architekten als Beginn einer Entwicklung gesehen, er blieb allerdings, wie so viele Innovationen im Wohnbau, ein Exot. Allerdings einer, dessen mehrfach gewürdigte Qualitäten bis heute – trotz etwas geschmäcklerischer Färbelung im Zuge einer Sanierung – Bestand haben.

Die weitaus kleinere Anlage von ČPPA nimmt durch die parallele Stellung der zwei Siedlungsteile entlang eines Mittelweges auf das Wegenetz der Goldtruhen-Siedlung Bezug. Durchwegung zwischen den Siedlungen gibt es allerdings keine – dafür sorgt ein Maschendrahtzaun. Zäune grenzen auch die Gärten der erdgeschoßigen Wohnungen untereinander und zum Weg hin ab. Das ist der größte Wermutstropfen in der kleinen feinen Anlage. Die von ČPPA ursprünglich vorgesehenen Wände zwischen den Gärten beziehungsweise Zaun-Wand-Kombinationen zum Weg hin hätten nicht nur den Privatgärten Schutz vor Einsehbarkeit gegeben, sondern auch dem Freiraum mehr Halt gegeben. Zäune sind billiger zu errichten und deshalb nicht auszurotten, die Mieter investieren dafür das Ersparte in Sichtschutzlösungen, die sie im Baumarkt finden. Zumindest einige Relikte wie die an den Enden abschließenden Mauern und die in Sitzhöhe mit Betonwänden umfangenen Grüninseln geben eine vage Idee davon, was die Architekten vorgehabt hätten. Strukturell und in der Höhenstaffelung leitet die Siedlung von der Goldtruhe zum benachbarten kleinteiligen Einfamilienhaussiedlungsgebiet und zum Grüngürtel über. Straßenseitig geben die fensterlose Wand der Atriumhauszeile und vor dem Geschoßwohnungstrakt, ein niedriger Winkel, der Tiefgarageneinfahrt, Müllraum sowie Fahrradabstellraum zusammenfasst und zugleich die Besucherparkplätze umgrenzt, eine städtebaulich beruhigende Fassung. Dies schafft mit einfachen Mitteln Distanz zur Öffentlichkeit und ein angenehmes Entree. Ein direkter Durchgang vom Parkplatz zwischen Müllraum und Fahrradabstellraum zur siedlungsinternen Freifläche sorgt für kurze Alltagswege.

Bei den 99 Quadratmeter Wohnfläche umfassenden Atriumhäusern entstanden durch Rücksprünge kleine Vorplätze um die überdachten Eingänge. Die langgestreckten Grundrisse erlauben die Unterteilung in Drei- oder Vierzimmerwohnungen. Wohnraum und jeweils zwei Zimmer haben Zugang zum 15 Quadratmeter großen Atrium. An der Eingangsseite wurden im Süden sichtgeschützte Terrassen ausgebildet, die in die Gärten übergehen.

Ein abwechslungsreiches Freiraumangebot ergänzt den Trakt mit den Geschoßwohnungen. Das von oben belichtete Treppenhaus bildet eine Zäsur zwischen dem Kopfbau mit Kleinwohnungen und führt auf den nordseitigen Laubengang, von dem aus die Maisonetten im zweiten und dritten Stock erschlossen sind. Im unteren Geschoß öffnen sie sich auf Terrassen, die durch Sichtbetonwände zum jeweiligen Nachbarn hin und semitransparent gelochte, leicht nach vorn geneigte Metallbrüstungen genug Intimität bieten. Zwecks Betonung der Horizontalen wurde in die Brüstung ein durchlaufender Pflanztrog integriert, der nach Belieben mit Blumentöpfen und Kisten ausgestattet werden kann. Das erleichtert den Bewohnern die Wahl der Pflanzgefäße, die somit nicht sichtbar sind, und trägt zur visuellen Beruhigung bei. Mittlerweile ist der Trog über die ganze Länge gut bestückt: Es zeigt sich, wie mit ganz kleinen Maßnahmen eine große Wirkung – ästhetisch wie praktisch – erzielt werden kann. In den oberen Maisonettegeschoßen öffnen sich die Fenster der südlichen Zimmer auf vom Flur aus begehbare Terrassen mit massiven Brüstungen, die fast Hofcharakter haben.

Große Experimente sind im geförderten Wohnbau heute – leider – nicht mehr möglich. Wie schon bei früheren Wiener Siedlungen zeigt ČPPA aber, dass der Wohlfühlfaktor in einer Siedlung nicht von spektakulären Zeichen, sondern kleinen Gesten abhängt. Empathie für die Bedürfnisse der Bewohnerschaft und das Wissen um die Wichtigkeit der oft nebensächlich bis gar nicht behandelten Schnittstellen zwischen privatem Rückzugsraum und der Umgebung bewirken mehr als Farb- und Materialschlachten. Ebenso wie der Nachbar aus den Sechzigerjahren, auch eines der raren gelungenen Beispiele im niederösterreichischen Siedlungsbau.

Spectrum, Sa., 2015.07.25

20. Juni 2015Franziska Leeb
Spectrum

Mit Auto keine Wohnung

Die Siedlung auf dem Hunziker-Areal in Zürich ist ein Experimentierfeld für neue Standards des genossenschaftlichen Wohnbaus: Inspirationen für eine soziale Quartierentwicklung.

Die Siedlung auf dem Hunziker-Areal in Zürich ist ein Experimentierfeld für neue Standards des genossenschaftlichen Wohnbaus: Inspirationen für eine soziale Quartierentwicklung.

Nicht nur weil sie für Zürcher Verhältnisse günstig sind, zählen die Wohnungen in der kürzlich bezogenen Siedlung auf dem Hunziker-Areal zu den begehrtesten in der Stadt. Die Siedlung für 1300 Menschen ist ein Experimentierfeld für neue Standards im Wohnbau. Anlässlich des Jubiläums 100 Jahre gemeinnütziger Wohnungsbau in Zürich im Jahr 2007 blickten die Wohnbaugenossenschaften in die Zukunft und luden zum offenen Ideenwettbewerb „Wie wohnen wir morgen?“. Aus ihm ging ein Handbuch des Architekturbüros Futurafrosch als Siegerprojekt hervor. Die zwei jungen Architektinnen Sabine Frei und Kornelia Gysel formulierten darin Bausteine städtischer Lebensqualität abseits üblicher Regularien und lenken auf den Maßstabsebenen von Wohnung, Quartier und Stadt den Blick auf Phänomene und Qualitäten, die der Aufmerksamkeit traditioneller architektonischer und städtebaulicher Entwurfsverfahren strukturell entgehen.

Davon inspiriert, schlossen sich über 50 bereits bestehende Baugenossenschaften zurneuen Genossenschaft Mehr als Wohnen zusammen, um so das kollektive Know-how zu nutzen und ein wegweisendes Siedlungsprojekt zu entwickeln, bei dem visionäre Ideen erprobt werden können, die für kleinere Genossenschaften in der Regel zu riskant sind. Auf dem aufgelassenen Gelände einer Betonwarenfabrik sollte ein von Beginnan lebendiger, mit Gewerbeflächen durchmischter Stadtteil für alle Generationen und Bevölkerungsschichten entstehen. Beim Projektwettbewerb, der Vorschläge für ein städtebauliches Konzept ebenso abfragte wie exemplarische Einzelgebäude, siegten abermalsFuturafrosch im Team mit den Duplex Architekten. Unter ihrer Federführung entstandgemeinsam mit Müller Sigrist Architekten, dem Architekturbüro Miroslav Šik und den Pool Architekten die aus dreizehn Einzelgebäuden bestehende Siedlung.

In einer halbjährigen Dialogphase, in der unter den Projektbeteiligten die Inhalte und Themen verhandelt wurden, entstand das Regelwerk, dem die Siedlung trotz der unterschiedlichen Architektenhandschriften und der reichhaltigen Varianz an Wohnungstypen und Nutzungen das – zumindest aus Wiener Sehgewohnheit – harmonische Erscheinungsbild verdankt. Ergänzend zu den geltenden Bebauungsvorschriften ist es die städtebauliche Leitlinie für die Siedlung. In Form einer dreidimensionalen Mantellinie wurden maximale Gebäudevolumina definiert sowie das Ausmaß von Hof- und Fassadeneinschnitten zur besseren Belichtung der bis zu 32 Meter tiefen Gebäude festgelegt. Vorgegeben sind darin auch eine dreiteilige horizontale Gebäudegliederung mit erkennbarer Ausbildung von Sockel und Dachabschluss sowie die Situierung der verschiedenen Nutzungen. Überwiegend sind die kompakten Wohnhäuser um zentral gelegene, von oben belichtete Erschließungskerne organsiert, an die die Nebenräume anschließen, außen liegen die Wohn- und Schlafbereiche. Um Belebung und Versorgung des Quartiers zu gewährleisten, gibt es mit einer Ausnahme in allen Häusern Gewerbeflächen.

Das Wohnungsangebot reicht von Studios über Mehrzimmerwohnungen bis zu sogenannten Satellitenwohnungen mit neun bis dreizehn Zimmern. In letzteren gruppieren sich kleine Individualeinheiten mit Kochnische und Sanitärzelle um einen großen, mit Bad und Küche ausgestatteten Gemeinschaftsbereich. Wohngruppen für Kinder und Jugendliche sowie Wohnangebote für Studierende ergänzen das Angebot. Teil des umfassenden Testfeldes waren ebenfalls die Bauweisen, und so war es möglich, dass die drei Häuser von Pool Architekten völlig unterschiedlich konstruiert sind.

Das optisch gewichtigste Haus im Zentrum des Quartiers ist das bislang größte mit Dämmbetonwänden errichtete Haus in der Schweiz. Mit tragenden Elementen aus Ortbeton, die in höheren Räumen mit Stahlstützen ergänzt wurden, und mit den aus einem isolierenden Zuschlagstoff aus Schaumglasgranulat versehenen Außenwänden kommt man bei dieser Bauweise ohne zusätzliche Dämmschichten aus. Das bringt baulogistische Vorteile mit sich, ist jedoch handwerklich anspruchsvoll, da Fehler nicht hinter Styropor- und Putzschichten versteckt werden können. Balkone oder umlaufendeLoggienbänder hätten die konsequente Kompaktheit und Reduziertheit wohl zunichtegemacht.

Den fehlenden Außenraum kompensieren überhohe Wohnräume, deren Öffnungen das Tageslicht in die Tiefe leiten. Auch beim benachbarten, im Vergleich zum monumentalen Betonhaus bescheiden wirkenden, Holzhaus verzichtete Pool Architekten auf private Balkone. Dafür gibt es einen wintergartenartigen großen Gemeinschaftsraum mit anschließender Gemeinschaftsterrasse im dritten Obergeschoß. Mit der fünfgeschoßigen, im Inneren unverkleideten und außen mit Faserzementschindeln umhüllten Holzkonstruktion – Sockelgeschoß und Treppenhäuser sind betoniert – wagte man auch hier technologisch wie ästhetisch im Wohnbau Unübliches.

Im Haus beim Quartierseingang (Müller Sigrist Architekten), an dessen Fassade Pflanztröge einen vertikalen Garten bilden, befindet sich neben einem Restaurant und der Geschäftsstelle der Baugenossenschaft eine Rezeption als Informations- und Anlaufstelle für die Quartierbewohner. Regelmäßig fanden sogenannte Echoräume statt, wo Bauherrschaft, Architektenteams, Fachplaner, hinzugezogene Experten und zukünftige Bewohner Erfahrungen austauschten und von bautechnischen Fragenstellungen bis hin zu Ideen für die künftige Bespielung die Inhalte der Siedlung erarbeiteten.

Die Genossenschaft, und damit alle Bewohner, die zugleich Genossenschafter sind, haben sich zu den energiepolitischen Zielen der 2000-Watt-Gesellschaft verpflichtet. Ressourcenschonung spielt nicht nur bei Errichtung und Erhaltung der Gebäude eine Rolle, sondern auch die Bewohner sind dazu angehalten, ein entsprechendes Konsum- und Mobilitätsverhalten an den Tag zu legen. Die Bereitschaft, sich in das Quartier und die Genossenschaft einzubringen, ist ebenso Bedingung wie der Verzicht auf ein Auto. Bei der Wohnungsvergabe wird auf eine der Größe entsprechende Belegung geachtet. Sollte im Lauf des Mietverhältnisses die Sollbelegungszahl – das entspricht einer Person pro Individualzimmer – unterschritten werden, wird ein Unterbelegungsbeitrag fällig. Klingt streng, aber vernünftig.

Spectrum, Sa., 2015.06.20

24. April 2015Franziska Leeb
Spectrum

Am Anfang war Grillparzer

Den Ausstellungsarchitekten des neuen Wiener Literaturmuseums gelangen Räume der Verführung und eine überzeugende Klammer zwischen alter und neuer Nutzung. Der atmosphärisch dichte Ort macht Lust auf Lesen.

Den Ausstellungsarchitekten des neuen Wiener Literaturmuseums gelangen Räume der Verführung und eine überzeugende Klammer zwischen alter und neuer Nutzung. Der atmosphärisch dichte Ort macht Lust auf Lesen.

Mit dem Ausstellen von Literatur verhält es sich ähnlich wie mit dem Ausstellen von Architektur oder Musik. Denn nie vermag die Ausstellung dem Erleben des Originals – dem sinnlichen Erlebnis eines beeindruckenden Raumes, den Klang eines Orchesterwerks im Konzertsaal oder die Lektüre eines guten Romans – das Wasser zu reichen. Gute Ausstellungen können jedoch neben der Vermittlung von Wissen den Besuchern auch ein auratisches Erlebnis bereiten, das überhaupt erst Interesse und Begeisterung zu entfachen vermag.

Im Fall des jüngst eröffneten Literaturmuseums der Österreichischen Nationalbibliothek bot schon die räumliche Ausgangslage günstige Voraussetzungen für dieses Erlebnis: Das von Hofbaurat Paul Sprenger geplante Gebäude in der Johannesgasse6 beherbergte ab 1848 das Hofkammerarchiv. Die Übersiedlung des Archivs aus dem Kaiserspital am Ballhausplatz fand unter Franz Grillparzer statt, der von 1832 bis 1856 als Archivdirektor amtierte. In den 1980er-Jahren wurden die zahlreichen Standorte des Staatsarchivs im neuen Zentralarchivgebäude im dritten Bezirk zusammengeführt. Das Hofkammerarchiv mit zigtausenden Archivalien hingegen verblieb bis 2006 im Biedermeierhaus in der Innenstadt. Ein Segen, denn so blieb auch die originale Inneneinrichtung erhalten. Darunter nicht nur Grillparzers Arbeitszimmer, sondern auch die Archivregale, die eine beeindruckende Raumstruktur bilden. Sie zu erhalten war Pflicht. Zur Kür zählt, wie die aus einem zweistufigen Wettbewerb hervorgegangenen Ausstellungsgestalter sich die Regallandschaft für die neuen Zwecke zunutze gemacht haben. Die beiden in Ausstellungs- und Museumsangelegenheiten bereits mehrfach positiv aufgefallenen Wiener Architekturbüros BWM und Planet haben es gemeinsam mit dem Grafikdesignbüro Perndl+Co geschafft, die Aura des historischen Archivs trotz neuer Nutzung auf eindrückliche Weise zu erhalten.

Im Wesentlichen unternahmen sie nichtsanderes, als die Regale wieder zu befüllen: Vitrinen, Displays, Guckkästen oder Hörstationen wurden maßgeschneidert so eingefügt, dass sie eine Symbiose mit dem Bestand eingehen, diesen aber nicht überlagern. Bis oben hin bestückt sind die Regale, wobei alle wesentlichen Elemente, wie die Vitrinen mit den Originalen, in einer für den Betrachter leicht zu erfassenden Ebene angebracht sind. Darüber und darunter findet sich ergänzend Illustrierendes.

Es ist eine dichte Packung an Eindrücken, abwechslungsreich und doch aus einem Guss. Einheitlich schwarze Metallrahmen wirken homogenisierend und heben die neuen Interventionen – stets mit Abstandfugen – von der historischen Einrichtung ab. Als unaufdringliches Leitsystem fungieren die hinterleuchteten Einführungen in die Kapitel und die aus der obersten Regalebene in den Raum ragenden quaderförmigen „Reiter“, die wie herausgezogene Bücher wirken. „Sackgassen sind der Tod eines Museums“, sagt Johann Moser von BWM Architekten. Die dichte Anordnung der Archivregale hielt etliche davon bereit. Daher schuf man an einigen Stellen neue Durchgänge und entschied sich im Bereich der Entrees der Ausstellungsgeschoße zu geringfügigen Entfernungen von Regalen, um Raum zum Verweilen zu schaffen.

Gut – nämlich sparsam – eingesetzt ist das Licht. Ermüdende Kunstkabinettstimmung tritt dennoch nie auf, was daran liegt, dass die untersten – oft leer gelassenen Regalreihen heller ausgeleuchtet sind. Das wirft auch Licht auf den schönen alten, von den Trampelpfaden von Generationen an Archivaren ausgetretenen Holzboden und betont die unprätentiöse Tischlerarbeit der historischen Regale, die ein Meisterwerk im Hinblick auf Effizienz und Sparsamkeit sind, was sich unter anderem darin äußert, dass die Stellflächen nur im vordersten Drittel lackiert sind. Im dritten Stock, der den Wechselausstellungen vorbehalten ist, kann man derzeit noch den Raumeindruck des unbefüllten Archivs mit seinen mannigfaltigen Durchblicken auf sich wirken lassen. Erst im kommenden Jahr, wenn sich hier zehn junge österreichische Autorinnen und Autoren vorstellen werden, müssen die historische Regalstruktur und das Gestaltungskonzept ihre Robustheit und Flexibilität für temporäre, wohl auch aus budgetären Gründen weniger aufwendig zu produzierende, Präsentationen beweisen.

Das Literaturmuseum ist ein attraktiver Ort, um sich niederschwellig erste als auch vertiefte Informationen zur österreichischen Literaturgeschichte abzuholen – dank der Ausstellungsgestaltung, die anregend inszeniert ist und dennoch nicht ins oberflächliche Spektakel abgleitet, in einem Ambiente, das Lust macht zu verweilen. Und es animiert zum Lesen. Deshalb ist es bedauerlich, dass es gerade hier keinen Museumsshop gibt, den man sich gut in Form einer kleinen Buchhandlung mit ausgewähltem Sortiment vorstellen könnte. Platz dafür gäbe es theoretisch noch im Erdgeschoß, das die atmosphärische Dichte, die einen in den Ausstellungsgeschoßen erwartet, derzeit kaum erahnen lässt. Rechter Hand der ehemaligen Einfahrt befindet sich der Kassenbereich des Museums, der nicht den ganzen Raum ausfüllt. Links davon zeigt das Staatsarchiv noch Präsenz und unterhält hier eine Veranstaltungslocation, die vermietet wird. Auch die beiden Türpaare, die diese Räumlichkeiten vom Foyer trennen, sind ein Wermutstropfen im sonst im Detail sehr sorgfältig von der Planungsgemeinschaft Wehdorn Architekten und dem Ingenieurbüro Ste.p sanierten Gebäude. Die in die Wände der ehemaligen Einfahrt zwischen die Pfeilerstellungen eingefügten Glasportale schaffen zwar einerseits Durchblicke und einen hohen Grad an Offenheit. Im geöffneten Zustand, und das wird wohl öfter der Fall sein, ragen ihre Flügel jedoch weit in das Foyer und bilden unangenehme Barrieren.

Keine Hürde sollte es allerdings sein, das Literaturmuseum zu finden, obwohl an der Fassade nur zarte Schriftzüge den Inhalt des Hauses kundtun und kein Schild in den Straßenraum ragt. Zum Zwecke des Aufmerksamkeitsgewinns bediente man sich des Stückes Feuermauer, das aus der Baulinie der jüngeren Nachbarhäuser hervorsteht. In ähnlicher Manier, wie man es von Aufnahmen Wiener Straßenzüge um 1900 kennt, feiert hier in plakativer Typografie ein typisches Element des Wiener Straßenbildes seine Auferstehung und macht weithin sichtbar auf das Museum aufmerksam.

Spectrum, Fr., 2015.04.24

14. März 2015Franziska Leeb
Spectrum

In Wald und Wiese gewürfelt

Drei Baukörper mit 31 Gartenhäusern und 31 Geschoßwohnungen bilden ein heterogenes Siedlungsgebiet zwischen Stadt und Land: Essling als architektonische Collage, die Gelassenheit und Wärme ausstrahlt.

Drei Baukörper mit 31 Gartenhäusern und 31 Geschoßwohnungen bilden ein heterogenes Siedlungsgebiet zwischen Stadt und Land: Essling als architektonische Collage, die Gelassenheit und Wärme ausstrahlt.

Essling wurde 1938 Teil von Groß-Wien. Bis 1970, als das Umland des dörflichen Kerns noch recht ländlich war, erreichte man Essling per Straßenbahn. Heute öffentlich nur per Bus, der immerhin von der nach Aspern verlängerten U-Bahn keine Viertelstunde braucht, vom innerstädtischen Busfahrtakt ist jedoch keine Rede, aber das nimmt man in Kauf, wenn man es ländlich will. In den 1990er-Jahren wurde am Rand des ehemaligen Schlossgartens die Stadterweiterung in Angriff genommen, für die ein EUROPAN-Wettbewerb für junge Architekten Bebauungsvorschläge lieferte. Sieger Martin Feiersinger variierte damals das Thema „Stadtgärten“ mit einer dichten, zweigeschoßigen Bebauung mit innenliegenden Freiräumen zum dörflichen Kern hin und einem Teppich aus flachen Doppelhäusern mit Gartenhöfen Richtung Grünland. Am Rand des ehemaligen Schlossgartens sollten acht aufgestelzte Laubenganghäuser entstehen, unter denen der Park liegt. Von Letzteren realisierte Feiersinger in modifizierter Form vier Blocks. Die übrigen Flächen vergab die Stadt an Bauträger, die mit diversen Architekten eine heterogene Collage an Siedlungsteilen umsetzten.

Für die jüngste Besiedlungswelle in Essling sorgte die vor zehn Jahren ausgerufene Neue Siedlerbewegung, die sich nach Grün sehnende Jungfamilien von der Abwanderung in den niederösterreichischen Speckgürtel abhalten sollte. Mit der alten Siedlerbewegung der Zwischenkriegszeit hat sie nichts gemein, sie musste keinem Notstand abhelfen, sondern populäre Sehnsüchte à la „My home is my castle“ via geförderten Mietwohnungsbau befriedigen. Die letzten Ableger dieses Programmes finden sich an der Seefeldergasse, die nicht etwa wegen der angrenzenden Felder und der nahen Gewässer der Lobau so heißt. Ihren durchaus malerischen Namen erhielt die zuvor naheliegender Weise Gärtnergasse genannte Straße 1955 zu Ehren des Ophthalmologen Richard Seefelder, Professor für Augenheilkunde in Innsbruck. Wie die von der Stadt eingesetzte Kommission zur Untersuchung der Wiener Straßennamen dokumentierte, war er für das NS-Regime, unter anderem als SS-Untersturmführer, aktiv und hatte zudem mit Wien gar nichts zu schaffen.

Die Kommission führt die Gasse folglich als einen von 28 „Fällen mit intensivem Diskussionsbedarf“. Das trübt das Idyll am Stadtrand, der vom niederösterreichischen Groß-Enzersdorf gerade einmal eine Ackerlänge entfernt ist. Wäre das Autokino nicht jüngst in die Insolvenz geschlittert, es wäre nur ein kurzer Fußmarsch dorthin. Für alles andere – abgesehen vom Radfahren und Spazierengehen in der Natur, aber wer hat dazu schon den ganzen Tag Zeit – ist der Besitz eines Autos ratsam.

Wie schafft man es, in diesem Umfeld siedlungsstrukturellen Halt zu geben und mitten im Wald- und Wiesengürtel eine attraktive Adresse zu schaffen, die so etwas wie Nachbarschaft ermöglicht und nicht nur ein anonymes Nebeneinander? Unter den gegebenen Umständen ist die von Ulrich Huhs und Anna Wickenhauser geplanteSiedlung eine, die den Spagat zwischen Stadt und Land, Privatheit und Miteinander gut bewerkstelligt. Die beiden haben mit der Genossenschaft EBG im Jahr 2009 den Bauträgerwettbewerb gewonnen, umgesetzt haben sie 31 Geschoßwohnungen und 31 Gartenhäuser, alles zur Miete, getrennt. Anna Wickenhauser kombinierte variantenreich gegeneinander versetzt jeweils einen Baukörper auf quadratischem Grundriss und einen langgestreckten Haustyp unter flachen Zeltdächern zu einem Paar. Damit verhinderte sie Monotonie und machte die dazwischen liegenden Wege und Abstände als Raum spürbar. Pergolen und Terrassen schaffen Übergänge zum Privaten. Die dunkel lasierte Fassade und die goldfarben eloxierten Fensterrahmen verleihen den Holzhäusern Charakter und eine gewisse Noblesse.

Ulrich Huhs bleibt bei seinen Viergeschoßern an der Straßenseite in der gleichen Materialität, entschied sich aber für eine helle Lasur der in unterschiedlich breite Streifen strukturierten Lärchenholzfassade und einen stimmigen Beigeton bei den Fenstern. Die Wegführung ist abwechslungsreich und auf jene der benachbarten Siedlung von Junger-Beer abgestimmt. Die Stellung der drei Häuser auf parallelogrammförmigem Grundriss sorgt in den Zwischenräumen für ein angenehmes Entree in die Freiräume der Siedlung und eine spannende Abfolge von Engen und Weiten. Da sich das Esslinger Stadterweiterungsgebiet im Wesentlichen aus kleineren oder größeren Gebäuderiegeln mit Erdgeschoßgärten formiert und außer großen Kinderspielplätzen kaum offener Raum in den Siedlungen vorhanden ist, war hier die letzte Chance, ebensolchen anzubieten. Anna Detzlhofer (DnD Landschaftsplanung) zeichnet für die Gestaltung verantwortlich.Um das hübsche Müllhäuschen entstand ein Vorplatz, Betonbänke begleiten die Bauten, den Innenhof, der sich zum Gemeinschaftshaus mit Dachterrasse aufspannt, gliedern begrünte Rondelle. Er ist nicht als Kinderspielplatz definiert, bietet sich aber auch als solcher an.

Ursprünglich in Massivbauweise konzipiert, entschied man sich während der Planungszeit bei den Geschoßbauten für eine Holzmischbauweise. Stiegenhaus und Sanitärkern sind massiv, der Holzriegelbau umfängt sie dreiseitig wie ein Regal, was den Vorteil mit sich brachte, dass alle Wohnräume komplett in Trockenbauweise errichtet werden konnten und dank nichttragender Innenwände allfällige spätere Adaptionen erleichtert werden. Wie im mehrgeschoßigen Holzwohnbau kaum vermeidbar, wirkten sich die Brandschutzvorschriften formgebend aus, was der guten Form keinen Abbruch tut. Die kräftigen Gesimsbänder aus Stahlblech gliedern horizontal und verhindern den Brandüberschlag zwischen den Geschoßen. Die massiven Brüstungen der Loggien geben Sichtschutz und Distanz zum Freiraum, in den Balkongeländern findet sich die Struktur der Fassaden wieder. Das Benutzen der Stiegenhäuser, die mit großen Fenstern nicht nur gut belichtet sind und Aussicht gewähren, sondern auch ein räumliches Kunstwerk sind, wie man es im Wohnbau selten findet, macht Freude.

Dass die Siedlung schlussendlich eine so wohltuende Gelassenheit und Wärme ausstrahlt, hat mit Anstrengung und sorgfältiger Überlegung zu tun. Die Absenz plakativer Elemente und dennoch kein Funken Monotonie – das würde auch im größeren Maßstab guttun.

Spectrum, Sa., 2015.03.14

07. Februar 2015Franziska Leeb
Spectrum

Fels und Fluidum

Eine in Österreich wenig präsente Religionsgemeinschaft, die Neuapostolische Kirche, macht zusehends als ambitionierter Bauherr auf sich aufmerksam. Jüngst in Wien-Penzing.

Eine in Österreich wenig präsente Religionsgemeinschaft, die Neuapostolische Kirche, macht zusehends als ambitionierter Bauherr auf sich aufmerksam. Jüngst in Wien-Penzing.

„Der beste Bauherr ist die Kirche“, hat vor etlichen Jahren ein Kärntner Architekt die Situation in seinem Bundesland umrissen. Er bezog sich natürlich auf die katholische Kirche und meinte damit, dass dort Akteure anzutreffen sind, die ihre Baupolitik nicht nach den Kriterien der Bequemlichkeit und des Populismus ausrichten. Der Grad des Kunstverstandes und die Auffassung von Baukultur sind natürlich – wie in der profanen Welt auch – im kirchlichen Bereich nicht allerorts gleich hoch ausgeprägt. „Die Kirche“ hat diesbezüglich aber noch immer einen guten Ruf, und eine Kirche zu bauen zählt zu den begehrten Bauaufgaben vieler Architektinnen und Architekten.

Für Susanne Veit-Aschenbrenner und Oliver Aschenbrenner, die seit 2001 das gemeinsame Büro Veit Aschenbrenner Architekten in Wien betreiben, zieht sich der Sakralbau wie ein roter Faden durch die berufliche Vita. Begonnen hat es für die beiden Bayern während des Studiums an der Technischen Universität München, wo sie mit Friedrich Kurrent in Kontakt kamen, der dort den Lehrstuhl für Kirchenbau innehatte. Aschenbrenner diplomierte bei ihm zum Thema „Kathedrale unserer Zeit“ mit einem „Haus der Gegensätze und der Einheit“ – einem Hyperboloid in der Wüste, von oben indirekt belichtet, außen glatt und maßstabslos, innen ein facettenreich strukturierter gerichteter Zentralraum.

Danach verschlug es die beiden nach Wien ins Atelier von Heinz Tesar – mit der Projektleitung der Kirche in der Donaucity. Es folgten ein paar Beteiligungen an Sakralbau-Wettbewerben mit dem eigenen Büro. Der erste Erfolg, eine Altarraumgestaltung in der Pfarrkirche von Mistelbach: Altar und Ambo als pure orthogonale Körper aus grob geschliffenem, strahlend weißem Marmor, schlichte Sedien aus unbehandeltem, gehobeltem Eichenholz; reduziert und doch sehr symbolgeladen.

Ihren ersten kompletten Kirchenbau verdanken Veit Aschenbrenner der Neuapostolischen Kirche, die sich im 19. Jahrhundert von England und Deutschland aus entwickelte, in Österreich, wo sie derzeit 5100 Mitglieder hat, aber erst 1975 staatlich anerkannt wurde. Drei Jahre zuvor baute man sich in Wien-Penzing an der Ecke Hochsatzengasse/Lautensackgasse eine von Anton Wiltschnig (1913–1977) geplante Kirche. Ein schlichter Bau wie alle Kirchen dieser Religionsgemeinschaft, der zuletzt schwer sanierungsbedürftig war. Als „Bezirkskirche“ für ganz Ostösterreich bot er an die 400 Sitzplätze, die nur bei den selten stattfindenden Bezirks-Gottesdiensten besetzt waren. Also entschloss man sich 2011 zum Abbruch des Altbaus und lud zum Architektenwettbewerb für einen passend dimensionierten Neubau, den Veit Aschenbrenner für sich entscheiden konnten.

Neuapostolische Kirchen sind in der Regel turm- und schmucklos. Als Erkennungszeichen nach außen fungiert nur das Kirchenemblem. „Eine typisch neuapostolische Kirchenarchitektur gibt es nicht. Der sakrale Hauptraum des Kirchengebäudes ist in seiner Gestaltung zentral auf den Altar als der Stätte der Wortverkündigung und der Feier des heiligen Abendmahls ausgerichtet. Nebenräume für gemeindliche Aktivitäten außerhalb der Gottesdienste stehen häufig zur Verfügung.“ Heißt es auf der Kirchenwebsite unter dem Stichwort „Kirchenarchitektur“.

Diese Vorgaben nahmen Susanne Veitund Oliver Aschenbrenner sehr ernst, konnten aber doch nicht umhin, in einem quasi barocken Gestus dem Bau skulpturale Zeichenhaftigkeit zu verleihen. Indem der kompakte Baukörper über dem Altarbereich in die Höhe gezogen wird, entsteht das Zitat eines Turms, das den Bau als Kirche dechiffrierbar macht. Erst von innen werden wir erkennen, dass dank dem erhöhten Teil eine grandiose Tageslichtregie im Kirchenraum gelingt und der von der Straßenseite bei flüchtiger Betrachtung so hermetisch wirkende Bau von einer besonders klugen Choreografie der Öffnungen gekennzeichnet ist.

Der Eingang liegt witterungsgeschützt in die Nordostecke eingeschnitten, durch das Foyer gibt es eine Blickachse zum Garten. Das Tageslicht fließt förmlich entlang der zehn Meter hohen, leicht geneigten Stirnwand, strömt durch die große Oberlichte über die Stirnwand in den Raum und bildet ein immaterielles Altarbild. Zu den Gottesdienstzeiten gibt es keine direkte Sonneneinstrahlung und das schönste – weil indirekte – Licht, betont Oliver Aschenbrenner. Die Bauweise aus dicken Dämmbetonwänden mit Schaumglasschotter als Zuschlag bringt mit sich, dass die Wandoberflächen außen und innen gleich sind, dazu entsprechend im ganzen Gebäude ein Boden aus geschliffenem Estrich. Natürlich drängt sich durch den monolithischen Charakter das biblische Bild vom Fels, auf dem die Kirche gebaut ist, auf. Das Mobiliar stammt selbstverständlich von den Architekten: ein Altarblock in der Materialität des Bodens, Bänke und andere Holzarbeiten in Eiche. Alles ist wohlüberlegt, präzis gesetzt und unterstützt das starke sakrale Fluidum des Raumes.

Auch in ihrer Tauglichkeit für das Gemeindeleben erweist sich die Kirche als robust. Das Begrüßen vor dem Gottesdienst hat in der Gemeinde einen hohen Stellenwert, dem das Foyer einen würdigen Rahmen bietet. Es ist Empfangsraum und zugleich Verteiler in die vielen Nebenräume: Nach oben geht es auf die Empore und zu einem Raum für Kinder mit Blickverbindung in den Hauptraum, beide mit Oberlicht. Räumlichkeiten für Unterricht und Verwaltung finden sich ebenso hier. Nach unten gelegt alles, was man zur Bewirtschaftung braucht – Technik, Lager, Küche, Sanitär – sowie ein schöner Mehrzweckraum, der dank halbgeschoßig abgesenktem Gartenterrain sich raumhoch nach Süden öffnet und ebenerdig ins Freie übergeht.

Mit der Penzinger Kirche hat sich die Glaubensgemeinschaft ein weiteres Mal als Auftraggeber ambitionierter Architektur bewiesen. Vor zehn Jahren schon ließ man sich in Zuchwil bei Solothurn in der Schweiz von den smarch Architekten einen exzentrischen Kirchenbau errichten, der an eine liegende, aufgestelzte Wärmeflasche erinnert und ob seiner räumlichen Qualitäten vielfach gewürdigt wurde. Und auch der vor anderthalb Jahren fertiggestellte Neubau in München-Laim von Haack + Höpfner ist von der feinen Sorte. Scheint ganz so, als würde die Minikirche sich mit den Mitteln der Architektur gegen die mächtigeren Mitbewerber behaupten wollen.

Spectrum, Sa., 2015.02.07

03. Januar 2015Franziska Leeb
Spectrum

Achtung, Licht!

2015 ist das „Jahr des Lichts“: Die Gestalter des öffentlichen Raumes sind gefordert, denn die Geschäftemacher haben längst Lunte gerochen. Die Künstlerin Siegrun Appelt befasst sich mit dem Medium Licht sowohl in ökologischer als auch ästhetischer Hinsicht.

2015 ist das „Jahr des Lichts“: Die Gestalter des öffentlichen Raumes sind gefordert, denn die Geschäftemacher haben längst Lunte gerochen. Die Künstlerin Siegrun Appelt befasst sich mit dem Medium Licht sowohl in ökologischer als auch ästhetischer Hinsicht.

Mama, warum hängen da oben Lichter?“, fragt der Fünfjährige, als sich die Straßenbeleuchtung bei Einbruch der Dunkelheit einschaltet. „Damit die Straße hell ist.“ – „Die Autos haben Scheinwerfer. Die brauchen das gar nicht!“ – „Auch Fußgänger müssen etwas sehen.“ Er: „Es leuchten ja sowieso die Auslagen der Geschäfte!“ Schon interessant, wie das Stadtkind plötzlich längst selbstverständlich geglaubte Errungenschaften infrage stellt.

Was für kindliche Verwunderung sorgt, beschäftigt die Wissenschaft seit Längerem. Astronomen, Biologen und Mediziner warnen seit Jahrzehnten vor der Lichtverschmutzung, wobei der Terminus ähnlich ungenau ist wie zum Beispiel „Klimaschutz“. Denn genauso wenig wie das Klima schutzbedürftig ist, sondern es vielmehr um die Reduktion des vom Menschen verursachten Klimawandels geht, geht es bei der Lichtverschmutzungnicht um verschmutztes Licht, sondern um negative Auswirkungen von zu viel künstlichem Licht auf die Umwelt.

Spätestens seit der Abschaffung der Glühbirne ist die Diskussion um die Umweltauswirkungen von elektrischem Licht in der Gesellschaft angekommen. Neue Umsetzungsrichtlinien zwingen die Kommunen zu neuenAußenbeleuchtungskonzepten und sorgen zugleich für Goldgräberstimmung bei den Herstellern. Die Aussicht auf einen radikal reduzierten Energieverbrauch durch moderne Leuchtmittel wie LED und damit verbundene langfristige positive Auswirkungen auf die Gemeindebudgets verleiten zu Investitionen, die oft überhastet und unüberlegt sind, wie kritische Beobachter anmerken.

Siegrun Appelt ist eine dieser kritischen Stimmen. Die Künstlerin befasst sich seit etlichen Jahren mit dem Medium Licht. Im Rahmen ihres künstlerischen Forschungsprojekts Langsames Licht/Slow Light geht es ihr nicht um die Inszenierung der Beleuchtung im Sinne einer (dekorativen) Lichtkunst, sondern um das Bewusstmachen ihrer Auswirkungen sowohl in ökologischer als auch räumlich-ästhetischer Hinsicht. Mit der Arbeit „64 kW“ thematisierte sie im Deutschen Pavillon bei der Architekturbiennale in Venedig 2008 den Zusammenhang zwischen Energienutzung und -verbrauch und führte vor, dass Energieeinsparung nicht zwangsläufig Verzicht bedeuten muss, sondern auch einen Mehrwert bringen kann. Für Plätze in Berlin und Luzern schlug sie – unrealisiert gebliebene – Lichtkonzepte vor, die auf dem Prinzip des Lichtrecyclings beruhen: Unerwünscht vorhandenes Streulicht wird als Basisbeleuchtung genutzt und behutsam dort ergänzt, wo es nötig ist, den öffentlichen Plätzen Charakter und Kontur zu geben. Im Zuge all ihrer Projekte ist es Appelt wichtig, nicht bloß eine Beleuchtungsaufgabe zu erfüllen, sondern auch auf vorhandene Lichtphänomene hinzuweisen, um anhand dieser das Bewusstsein für die unterschiedlichen, meist alltäglichen Situationen zu schaffen, in denen Licht die Wahrnehmung unserer Umwelt verändert und prägt. Im Zusammenhang mit dem Lichtprojekt Wachau, für das sie im November den Anerkennungspreis des Niederösterreichischen Kulturpreises in der Sparte Architektur erhielt, machte sie zum Beispiel auf – in Tourismusregionen seltene – Fälle von Absenz elektrischer Beleuchtung aufmerksam, oder auf das Schauspiel, das die Scheinwerferkegel fahrender Autos bieten.

Besonders an den Beleuchtungen historischer Architekturen ist signifikant nachzuvollziehen, dass weniger Licht bei richtigem Einsatz mehr zeigen kann als üppiges Lichtspiel. Indem Appelt mit minimierter Lichtstärke LED-Lichtpunkte gezielt auf die Bauten – darunter etliche Wachauer Kirchen oder der Bahnviadukt von Emmersdorf – richtet und so bewusst Schatten setzt, gelingt es ihr, die charakteristischen architektonischen Strukturen zu akzentuieren. Während anderswo, an touristischen Leitbetrieben ebenso wie an Baudenkmälern, im Ringen um die Aufmerksamkeit kitschige Illuminierungs-Spektakel die Bauwerke im Licht ersäufen, ist Siegrun Appelts Arbeit ein Plädoyer dafür, nicht nur die energetischen Effekte der neuen Leuchtmittel, sondern auch die ästhetischen, emotionalen und physischen Wahrnehmungsebenen zu beachten. „Nicht einmal ein Kleinkind blickt freiwillig minutenlang in direktes Sonnenlicht. Alle schauen weg, sobald die Adaption der Augen nicht mehr genügend Schutz vor Schäden bieten kann“, sagt die Künstlerin und zieht Parallelen zu den Blendpunkten von LED-Leuchtmitteln. „Deren Leuchtdichten reizen unsere Augen stärker als herkömmliche künstliche Lichtquellen. Es wäre ratsam, über die Konsequenzen nachzudenken.“

Dabei ist sie die Letzte, die von den Licht emittierenden Dioden abraten würde. Sie hätten neben der Energieeffizienz weitere große Vorteile. Man könne damit das Licht exakt führen, sie sind vielfältig steuerbar und dimmbar. Auch die Farbtemperaturen hat man längst in den Griff bekommen. Das kalte Licht, das den LEDs Kritik einbrachte, sei heute kein Thema mehr. Sehr wohl aber die starken Blendeffekte. Wenn man effizientes Licht will, seien die Chancen auf Blendfreiheit gering, meint Siegrun Appelt. Die Entwicklung blendfreier Leuchten müsse unbedingt forciert werden.

Noch gar nicht beachtet seien die Auswirkungen des Zusammenspiels von Straßenbeleuchtung und Autolicht. Immer heller und präziser gerichtete Scheinwerfer führten, so Appelt, aufgrund des Adaptionsverhaltens unserer Augen dazu, dass Bereiche außerhalb des Scheinwerferlichts nur noch dann gut wahrgenommen werden können, wenn auch das Umgebungslicht sich den Lichtstärken der Scheinwerfer anpasst. „Wenn ein Licht heller wird, muss das andere reagieren. Wird eines gedimmt, stellt das andere eine potenzielle Gefahr dar.“ Es sei wichtig, die Sinne zu schärfen und Zusammenhänge zu erkennen, um dem Wetteifern der Lichter Einhalt zu gebieten.

Nicht die Menge des Lichtes ist wichtig, um Dinge sichtbar und Räume sicher zu machen, sondern seine bewusste Setzung – ein Thema, dem auch in Architektur, Städtebau und Denkmalpflege mehr Beachtung gewidmet werden könnte. Da trifft es sich gut, dass die UNESCO das Jahr 2015 zum „Internationalen Jahr des Lichts“ erkoren hat. Im November wird aus diesem Anlass und ergänzend zum Lichtprojekt Wachau im Rahmen von Kunst im öffentlichen Raum Niederösterreich ein Symposium stattfinden, das die Thematik umfassend behandeln soll.

In Mühldorf in der Wachau bewies Siegrun Appelt, was reduziertes Licht zu leisten vermag. Anstelle einer herkömmlichen Straßenbeleuchtung „malte“ sie auf dem Weg zur Burg Oberranna mit gezielt auf signifikante Landschaftsausschnitte gerichteten LED-Strahlern dreidimensionale Landschaftsbilder in die Nacht. Sie machen Raumsequenzen neben der Straße sichtbar und geben so Orientierung und Sicherheit. Es wird kein Licht in den Himmel gestrahlt, weder die Sterne noch das Leuchten der Glühwürmchen erhalten Konkurrenz. Damit die Fauna in den alten Obstwiesen nicht zu lang irritiert wird, ist die Beleuchtung bei Bedarf per Knopfdruck einschaltbar. Poetisch und pragmatisch zugleich.

Spectrum, Sa., 2015.01.03

29. November 2014Franziska Leeb
Spectrum

Nobel durch das Haus

Es lässt sich auch im verdichteten Wohnbau so fein wie im eigenen Haus wohnen – wenn nicht gar noch feiner. Der Wiener Speckgürtel goes Haute cuisine. Ein Lokalaugenschein in Mödling.

Es lässt sich auch im verdichteten Wohnbau so fein wie im eigenen Haus wohnen – wenn nicht gar noch feiner. Der Wiener Speckgürtel goes Haute cuisine. Ein Lokalaugenschein in Mödling.

Eine Eigentumswohnanlage, freifinanziert, im Wiener Speckgürtel? Gibt es nichts Relevanteres, worüber man an dieser Stelle berichten könnte, noch dazu wo gerade das Einfordern eines finanzierbaren Wohnbaus beziehungsweise das Bewerben desselben bei Politikern aller Couleurs – Vorwahlkampfzeit ist – wieder groß in Mode ist und selbstverständlich diskutiert werden muss, an welchen Schrauben zu drehen wäre, um die Wohnungskosten zu senken? Nun, der heute vorzustellende Wohnbau liegt ihn Niederösterreich, wo eine Geschoßwohnung noch immer mit einem gewissen Hautgout behaftet ist. Wer sozial und wirtschaftlich halbwegs in der Mitte der Gesellschaft angesiedelt ist, wohnt in den Kleinstädten und Dörfern bevorzugt im nach wie vor gut mit öffentlichen Förderungsmitteln bedachten Einfamilienhaus anstatt im pluralistischen Geschoßwohnungsbau.

In den peripheren Regionen, wo Baugründe um weit unter 50 Euro pro Quadratmeter zu haben sind, stellt sich spätestensdann, wenn eine Familiengründung angesagt ist, im Normalfall gar nicht die Frage, ob Haus oder Wohnung. Die Folgen sind bekannt: zersiedelte Gegenden, gegen die ein Fertighaus-Ausstellungsgelände ein harmonisches Ensemble ist. Dazu kommen Infrastrukturkosten und Aufwendungen für Sozialversorgung wie Schülerbus oder Heimhilfen, die ein Mehrfaches von jenen in verdichteten Gebieten ausmachen. Allein die durch die technische Erschließung für ein freistehendes Einfamilienhaus verursachten Mehrkosten werden zu maximal 37 Prozent vom Bauwerber bezahlt werden, hat der Architekt und Raumplaner Friedrich Schindegger im Rahmen einer Diskussion in Graz vor wenigen Jahren vorgerechnet, der Rest werde von der Allgemeinheit getragen.

Den Schaden, den die im Einfamilienhausbau übliche Schattenwirtschaft anrichtet, mag man sich gar nicht vorstellen. Solange diese Umstände zu wenig thematisiert werden, wird sich kaum etwas ändern. Es sei denn, die Grundstückspreise ziehen an – was im Bezirk Gmünd wohl kein Thema sein wird, in Bezirken rund um Wien hingegen sehr wohl. Doch auch in den teuren Lagen sind die verdichteten Wohnformen als wahre Alternativen zum Einfamilienhaus mit rundherum eigenem Garten rar, und deshalb soll ein kluges Projekt, das in diesem Segment des feinen, großzügigen Geschoßwohnungsbaus angesiedelt ist, durchaus vor den Vorhang geholt werden.

Geplant haben ihn die Geiswinkler & Geiswinker Architekten, deren Entwurf siegreich aus einem vom Wiener Bauträger Neues Leben im Jahr 2011 ausgelobten Wettbewerb hervorgegangen ist. Am bisherigen Werk von Markus und Kinayeh Geiswinkler haben Wohnbauten – vor allem geförderte Wohnhausanlagen in Wien – den größten Anteil. Das 23 Wohnungen umfassende Haus in Mödling ist ihr erster Wohnbau in Niederösterreich. Das Grundstück zwischen dem denkmalgeschützten Litschauerhof und demGebäude des heute als Jugendzentrum genutzten Mädchen-Lyzeums des Otto-Wagner-Schülers Sepp Hubatsch aus dem Jahr 1905 reicht bis an den Mödlingbach. Die Geiswinklers entschieden sich, die Gunst der Lage zu nutzen und organisierten den Wohnbau gleichsam als Durchhaus mit einer Voraus- und einer Hintausseite. Ein Vorplatz mit Brunnen, eine „große Geste“ in Form eines großen Bügels und die nach außen über alle Geschoße verglaste Erschließungszone bilden ein repräsentatives Entree zur inneren Gasse, die geradlinig durch das Gebäude in den Garten führt und dort in einen Gartenweg übergeht, der in einer neu errichteten Brücke über den Mödlingbach mündet und das Grundstück an die Promenade am andern Bachufer und somit fußläufig ans Stadtzentrum anbindet.

Beiderseits der inneren Gasse stapelten sie von außen nach innen gestaffelt in vier Ebenen die Geschoßwohnungen und Maisonetten. Was auf den ersten Blick aufwendig und kompliziert aussieht, folgt einem raffiniert einfachen Schema. Die tragende Primärstruktur mit konsequent entlang den Erschließungszonen liegenden Sanitärschächten erlaubte dank der Absenz tragender Trennwände eine hohe Flexibilität an Wohnungstypen. Von einem 45 Quadratmeter großen Grundmodul ausgehend, konnten ganze und halbe Module horizontal und vertikal so gut wie beliebig kombiniert werden. Die vom Lift und den Treppenläufen wegführenden Brücken und Gänge bilden im nach obenhin durch die Stapelung sich verjüngenden Luftraum ein schönes räumliches Gefüge von Wegen und Durchblicken. Eine ähnlich großzügig wirkende Methode der Erschließung haben Geiswinkler & Geiswinkler auch bei ihrem Wohnbau auf den Wiener Mautner-Markhof-Gründen gefunden, und auch in ihrem Wohnbau im Karrée Sankt Marx geht einem angesichts der völlig unbeklemmenden, inneren Erschließung das Herz auf.

Im etwas eleganteren Mödlinger Wohnbau ist es nicht nur die Großzügigkeit, die besticht, sondern auch die Ausbildung der Oberflächen und Details. Während außen mit dem Weiß der Fassadenverkleidung aus Aluminiumverbundplatten, den kontrastierenden dunklen Fenstern sowie dem Sichtbeton an Umfassungsmauern, Brunnen und Spielplatzüberdachung eher eine distanzierte Kühle waltet, macht sich innen elegante Gediegenheit bemerkbar. Im stärker frequentierten Erdgeschoß wurde die durchführende interne Gasse mit einem schönen dunklenTerrazzo belegt, alle Treppen, Gänge und Brücken in den Obergeschoßen sind mit einem dunklen Hartholzboden belegt. Fußmatten sind bündig in den Holzboden eingearbeitet, die verchromten Handläufe liegen vertieft in der Wand. Die rahmenlose Glasbrüstung, bündig in die Decken eingefügte Lichtbänder – alles ist akkurat und sorgfältig gelöst, nirgendwo „knirscht“ es.

Es ist ein Haus, in dem die Menschen individuell leben möchten, das spürt man. Es gibt zwar den Vorplatz, den gemeinsamen Garten und einen Kinderspielplatz und die großzügigen internen Erschließungsflächen. Es ist aber fast nicht vorstellbar – oder zumindest zeichnet es sich jetzt noch nicht ab –, dass hier die Bewohner nennenswerte individuelle Spuren hinterlassen werden. Dazu gibt es die großzügigen Terrassen mit Holzboden, die allerdings von außen kaum einsehbar sind. Dennoch sind die halbprivaten Bereiche wichtig, einerseits für das schöne Gefühl, das ein gut inszeniertes Entree bereitet, und auch als zufälliger, ungezwungener Begegnungsraum ohne Verpflichtungen. Waschküche gibt es keine, in diesem Wohnungssegment hat man, wie im Einfamilienhaus, seine eigene Waschmaschine. Dafür gibt es nächst dem Eingang einen Raum mit Fitnessgeräten – die machen sich auch in einer größeren Wohnung nicht so gut. Weiters soll hier noch eine Ausstattung mit gekühlten Zustellboxen erfolgen, dann kann der Einkauf unabhängig von der persönlichen Anwesenheit ins Haus geliefert werden.

Schon in den späten 1960er-Jahren hat Eugen Wörle mit der Terrassensiedlung „Goldene Stiege“ Mödling eine bis heute frisch und elegant wirkende Siedlungsanlage beschert. Geiswinkler & Geiswinkler schließen mit ihrer kleineren Anlage ein wenig daran an und beweisen, dass es sich auch verdichtet fein wohnen lässt.

Spectrum, Sa., 2014.11.29



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Wohnbau Eisentorgasse

11. Oktober 2014Franziska Leeb
Spectrum

Abgeholt wird später

Viel Holz, viel Raum, viel Gelassenheit: Der Susi-Weigel-Kindergarten drückt Wertschätzung für die jüngsten Bludenzer ebenso aus wie für eine verdienstvolle Wahl-Vorarlbergerin.

Viel Holz, viel Raum, viel Gelassenheit: Der Susi-Weigel-Kindergarten drückt Wertschätzung für die jüngsten Bludenzer ebenso aus wie für eine verdienstvolle Wahl-Vorarlbergerin.

Es ist nicht nur deine Angelegenheit! Es ist auch unsere. Sehr sogar“, lässt Mira Lobe die Kinder des Bürgermeisters in ihrem 1970 erschienenen Kinderbuch „Das Städtchen Drumherum“ sagen. Der Wald nahe der kleinen Stadt soll nämlich den Stadterweiterungsgelüsten des Bürgermeisters zum Opfer fallen. „Der tiefere Sinn der Schreiberei für Kinder ist meiner Meinung nach der, dass sie zur Selbstbestimmung gebracht werden sollen“, war die 1995 verstorbene Kinderbuchautorin überzeugt. In Bludenz, der Vorarlberger Kleinstadt mit ebenfalls viel Wald drumherum, löste in den 1960er-Jahren sogar Schreiberei für Architekten eine kluge Siedlungsinitiative aus: ein in der Presse erschienener Text von Friedrich Achleitner über den horrenden Bodenverbrauch von Einfamilienhäusern motivierte zur Errichtung der „Siedlung Halde“, einem gemeinschaftlichen Siedlungsprojekt auf einem steilen Hanggrundstück am Stadtrand, mit der Architekt Hans Purin eine Pionierleistung im ökonomischen Siedlungsbau in Holzbauweise erbrachte.

Für den neuen Kindergarten wirkte die Kinderliteratur inspirierend. Bernardo Bader, 40-jähriger Architekt mit Bürositz in Dornbirn, zählt zu den kulturell sensibelsten Baukünstlern der jüngeren Generation. Das konnte er bislang hauptsächlich erst bei zahlreichen kleineren Bauaufgaben unter Beweis stellen, vor allem aber beim vielfach rezensierten und mit dem Aga-Khan-Preis ausgezeichneten Islamischen Friedhof in Altach. Der Bregenzerwälder ist ein leidenschaftlicher Verfechter des Bauens mit Holz. Beim neuen fünfgruppigen Kindergarten in Bludenz hat er kulturelle Weitsicht und ökonomisch sinnvollen Holzeinsatz überzeugend verbinden können.

Zwei Ausgangspunkte waren für den neuen Standort am Stadtrand wesentlich: Zum einen war Sparen angesagt. Dem kam einerseits die kompakte Bauform entgegen, andererseits die Bauweise. Denn Bader empfahl das Bauen mit stadteigenem Holz. Bludenz ist der drittgrößte Waldbesitzer im Ländle, verbaut hat man das Holz bislang jedoch selten. Zum anderen wollte der Architekt Susi Weigel ein Denkmal setzen. Der aus Mähren gebürtigen, in Wien an der Hochschule für angewandte Kunst und der Akademie ausgebildeten Illustratorin und Trickfilmzeichnerin wurde Vorarlberg in den 1950er-Jahren bis zu ihrem Tod im Jahr 1990 zur neuen Heimat. Bernardo Bader war es ein Anliegen, seinen Kindergarten, der in der Wettbewerbsausschreibung noch „Kindergarten Klosterbühel“ hieß, nicht nur nachSusi Weigel zu benennen, sondern ihre Arbeit im Gebäude spürbar werden zu lassen – was in vielerlei Hinsicht gelungen ist.

Der von außen nüchtern wirkende kompakte Quader entpuppt sich als sehr sorgfältig überlegtes Raumgefüge, bei dem nichts überinszeniert ist, aber dennoch sinnliches Erleben und vor allem Bewegungsfreiheit gewährleistet sind. Rund um das Gebäude blieb viel Freiraum – und auch der alte Nussbaum – erhalten. Der Eingangsbereich liegt in einem Einschnitt des von Föhrenholz umhüllten Quaders entlang des vorbeiführenden Weges und ist mit diesem völlig niveaugleich. So wird ein witterungsgeschützter Zugang geschaffen, in dem sich auch Fahrräder und Kinderwagen abstellen lassen, ohne eine Stufe überwinden zu müssen.

Innen fällt zuerst die zentrale zweigeschoßige Halle auf. Es ist ein schöner Raum, schlicht und ein bisschen feierlich, mit nach oben führender Treppe und viel Tageslicht, das ebenfalls von oben einfällt. Hier merkt man, dass es keine reine Holzkonstruktion ist, sondern ein Mischbau in Kombination eines Stahlbetonkerns in Sichtbeton-Ausführung und einer Holzelementbauweise. Mittig ein dekorativer Luster als einziger ornamentaler Akzent, dazu große Rundkissen in Gelb und Blau. Weit und hell ist es; es riecht gut. Der Eschenboden zeigt sich nicht geschliffen und dicht versiegelt, sondern sägerau im Bandsägeschnitt und geölt. Wand- und Deckenverkleidungen sind aus Tannenholz, das mit dem Sichtbeton gut harmoniert. Die Brüstungen der Treppe und der Galerie wurden als durchlässiges Stabgeländer und nicht geschlossen ausgeführt, das ist dem Eindruck der Weite förderlich und ganz besonders dem Durchblick der Kinder.

Drei Raumgruppen sind jeweils um das Zentrum angeordnet. Im Erdgeschoß befinden sich Büro, Besprechungsraum und Kantine sowie zwei Kindergartengruppen. Darüber drei Kindergartengruppen plus einem Bewegungsraum. Jeder Gruppenraum liegt in einem Gebäudeeck und ist von zwei Seiten belichtet. Die großen, fixverglasten Fensterflächen mit kindgerecht niedrigen Parapeten rahmen Ausschnitte der Umgebung. Begleitend dazu gibt es schmale Lüftungsflügel aus Holz. Jedem Gruppenraum ist ein kleinerer Ruheraum beigestellt, der vorbei an Lagerraum und Sanitärzelle erreichbar ist und ebenso einen direkten Zugang auf die Galerie oder in die Halle hat.

„Es ist wichtig“, so Bernardo Bader, „dass bei einem Kindergarten alle Flächen nutzbar sind“, also nicht nur monofunktional als Gang oder Garderobe taugen. Bei einer linearen Anordnung der Räume sei dies schwieriger zu bewerkstelligen. In gewisser Weise hat somit auch er ein kleines Städtchen Drumherum für die Kinder geschaffen – mit dem zweigeschoßigen Zentralraum als vielseitig verwendbarem Hauptplatz in der Mitte, der – wie sich beim Besuchan einem regnerischen Tag erweist – perfekt als Fläche für Gruppenspiele und zum Erproben der ersten Fahrkünste geeignet ist. Andere vertraute Figuren und Motive Susi Weigels finden sich auf den Glasflächen wieder. Sie sind Teil des Gestaltungskonzeptes der Farbdesignerin Monika Heiss, das dezentAkzente setzt, aber weder Architektur noch Kindern Konkurrenz macht.

Gut proportionierte Räume, viel Platz, hohe Funktionalität – schon allein darüber wäre man in den meisten Kindergärten froh. In jeder Fuge und bei jeder Kante spürt man überdies, dass jedes Detail wohlüberlegt ist. Auch einen Teil der Möbel hat Bernardo Bader entworfen, wie die Schränke mit den Spielzeugkisten, und ebenso die wunderbar ausgeklügelten Garderoben, in deren obere Ablage eine indirekte Beleuchtung integriert ist, die den Zentralraum noch heller und weiter wirken lassen. Trotz der vielen Raffinessen wirken die Räume nicht Ehrfurcht gebietend, sondern alles zusammen ist von einer unangestrengten Gelassenheit. Das fördert gewiss die Selbstbestimmung der Kinder, und Susi Weigel hätte wohl genauso ihre Freude daran gehabt.

Spectrum, Sa., 2014.10.11



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Kindergarten Susi Weigel

13. September 2014Franziska Leeb
Spectrum

Die Bühne als Skulptur

Ein weißes Etwas in der Landschaft, das auffällt, aber nicht stört: die neue Freiluftbühne in Königsbrunn am Wagram. Erst aus der Nähe erschließt sich die eigentliche Bedeutung.

Ein weißes Etwas in der Landschaft, das auffällt, aber nicht stört: die neue Freiluftbühne in Königsbrunn am Wagram. Erst aus der Nähe erschließt sich die eigentliche Bedeutung.

Niederösterreich zählt im Bereich der Kunst im öffentlichen Raum zu den qualitativ und quantitativ produktivsten Bundesländern in Österreich. Neben permanenten und temporären künstlerischen Interventionen sind es immer wieder auch Aufgaben an der Schnittstelle zwischen Architektur, Kunst und Design wie Platzgestaltungen oder verschiedene Kleinarchitekturen der kommunalen Infrastruktur, die im Zuge dieses Programmes seit den 1980er-Jahren auf durchwegs hohem künstlerischen Niveau entstehen. Auch die Marktgemeinde Königsbrunn am Wagram trat an die Kulturabteilung des Landes heran, um für die gewünschte Freiluftbühne nicht nur die entsprechende Förderung, sondern im Zuge eines Wettbewerbs, zu dem Architekten, Architektinnen und Künstler geladen waren, auch einen hochkarätigen Entwurf zu bekommen. Als Bauplatz war eine gemeindeeigene, direkt an den Sport- und Spielplatz von Kindergarten und Volksschule angrenzende Wiese vorgesehen. Konkrete Vorstellungen für deren regelmäßige Bespielung gab es wenige. Jedenfalls sollte sie dem Königsbrunner Kammerchor ein Podium bieten und bei diversen Dorffesten dienlich sein.

Für Martin und Werner Feiersinger – der eine Architekt, der andere Künstler – war mangels konkreter Programmatik und anfänglicher Unklarheit darüber, wie häufig die Bühne in Zukunft genutzt wird, von Anfang an wichtig, dass das Objekt auch zweckfrei funktionieren muss, also auch im unbespielten Zustand seine Daseinsberechtigung haben muss. In erster Linie sollte es daher eine Skulptur sein. Als Aufstellungsort wählten sie einen Platz möglichst nah am vorbeiführenden Weg, knapp an der Hangkante. Die weithin sichtbaren Geländestufen sind charakteristisch für die aus sandigem, mineralreichem Löss bestehenden Höhenzüge des Wagrams nördlich der Donau. Bäuerlich geprägt ist die Umgebung, schlichte Gehöfte, mächtige Scheunen aus Holz und malerische Kellergassen prägen die Ortsbilder der Weinbauregion. Die Bühnenskulptur sollte in Maßstab und Einfachheit dieser anonymen bäuerlichen Architektur adäquat sein.

Ausgehend von einer Art Guckkastenbühne, in den ersten Skizzen noch mit rechteckigem Umriss, entwickelten sie ein Faltwerk aus acht Zentimeter starken Brettsperrholzplatten und gelangten schließlich zur Form eines zur Wiese hin sich aufweitenden Schirms aus neun Dreiecksflächen, der wie ein überdimensionales Origami am Wegrand steht. Seine Dimension wurde sorgfältig überlegt – einerseits im Hinblick auf seine Nah- und Fernwirkung in der Landschaft, aber gleichzeitig auch, was mögliche Nutzungsszenarien angeht. Ein großer Chor sollte ebenso Aufstellung nehmen können wie ein einzelnes Piano nicht in einem zu großen Raum verloren wirken sollte, und so kam man schließlich zu einer Bühnenfläche von rund 32 Quadratmetern und Höhen und Breiten von 6,50 m x 10 m an der Bühnenvorderseite und 3,00 m x 2,50 m an der Rückseite. Zwei Stahlrohrrahmen halten wie ein kräftiger Muskelstrang das leichte Holzfaltwerk in der Fundamentplatte und dienen zugleich als Halterung für Scheinwerfer und andere technische Infrastruktur.

Ein wasserdichter Überzug aus Polyester – übrigens ein Material, das in Weinbaugegenden von den Kunststoffweintanks vertraut ist, und mit dem sich Werner Feiersinger bereits in den 1990er-Jahren viel beschäftigte – bildet an den Außenflächen einen schützenden Regenmantel. Innen wurde mit einem diffusionsoffenen Acrylat beschichtet, damit das Holz „atmen“ kann. Mit dieser strahlend weißen Haut erhielt der Schirm einen festlichen Anzug, der ihn aus der ländlichen Gebrauchsarchitektur als etwas Besonderes hervorhebt. Schon von Weitem sieht man das Objekt markant auf der Hangkante sitzen. Worum es sich tatsächlich handelt, ist aus der Ferne nicht wirklich erkennbar. Ein weißes Etwas, das auffällt, aber nicht stört. Ein Zelt, eine große, ausgesprochen schöne Satellitenschüssel oder gar eine Luftraumüberwachungsstation? Ein Merkzeichen in der Landschaft jedenfalls. Seine Ausmaße überragen aber nicht die kleinen Baumgruppen, die in der Landschaft Akzente setzen. Erst aus der Nähe erschließt sich sein Zweck.

Die Rückwand bleibt im unbespielten Zustand offen. Dann ist die Bühne Skulptur, Aussichtsplattform oder einfach Unterstand. Um bei Aufführungen die notwendige Intimität und einen Windschutz herzustellen, kann die Öffnung mit einem Rollvorhang geschlossen werden, womit aus dem Fenster in die Landschaft ein zur Wiese gewandter, konzentrierter Aufführungsort wird. Der ursprünglich zu diesem Zweck vorgesehene klassische Rollbalken hätte wahrscheinlich mehr Charme und Witz gehabt, wurde aber leider mangels TÜV-Zertifizierung von der gestrengen Baubehörde abgelehnt.

Die Objekte und Fotografien des Künstlers Werner Feiersinger (*1966) zeugen von einer Passion für die Architekturgeschichte. Seine Skulpturen erinnern häufig an Architekturfragmente, sind aber stets ohne Gebrauchszweck. Sein Interesse gilt besonders der Materialität und den skulpturalen Qualitäten der Architektur der Moderne, ohne diese zu idealisieren. Der Architekt Martin Feiersinger (*1961) überzeugte wiederholt mit formal zurückhaltenden Bauten, die seine hohe Sensibilität im Umgang mit Bautraditionen und deren adäquater Interpretation für die Gegenwart belegen. Fallweise arbeiten die aus Brixlegg (Tirol) gebürtigen und in Wien lebenden Brüder zusammen. An diesem Hybrid aus Skulptur und Bühne konnten sie ihre jeweiligen Stärken ausspielen. Es ist ihnen die Definition eines zugleich signifikanten wie poetischen Ortes gelungen, eine Loggia am Wagram, die einzelnen Ausflüglern ebenso ein Raum- und Landschaftserlebnis zu bieten imstande ist wie sie ein festlicher Rahmen für größere und kleinere Veranstaltungen sein kann. Den Kindergarten- und Schulkindern steht zudem das ganze Jahr eine robuste Struktur für Aufführungen jedweder Art – oder einfach als witterungsgeschützte Spielfläche – zur Verfügung.

Was seine Dimension und Errichtungskosten angeht, ist es kein großes Projekt. Aber es ist eines, das ganz gewiss große Wirkung entfalten kann und das kulturelle Leben im Ort zu unterstützen vermag. Gerade in Niederösterreich sind es sehr oft diese aus dem Kunstbudget geförderten räumlichen Interventionen und Kleinarchitekturen, deren Wert im Hinblick auf den Nutzen im dörflichen Alltag und die Identitätsbildung in den Orten in Relation zu den meist knappen Budgets enorm hoch ist.

Wie großartig wäre es, wenn auch bei anderen kommunalen Bauten, wie den zahlreichen Kindergarten- und Schulneu-/zu- und Umbauten, aber auch bei den vielen Ortsrandsiedlungen und Kleinwohnhausanlagen auf diesem Niveau operiert werden könnte! Erste Anerkennung durch eine Fachjury hat das Kleinod am Wagram bereits kurz nach Fertigstellung erhalten: Es ist unter den 27 Bauten, die für den Bauherrenpreis 2014 der Zentralvereinigung der Architekten nominiert wurden.

Spectrum, Sa., 2014.09.13



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WagramBühne

26. Juli 2014Franziska Leeb
Spectrum

So billig kann nicht billig sein

Welche Autorität hat Autorschaft? Nicht lange ist es her, da wurde die Nachtwallfahrtskapelle am Tiroler Locherboden „eines der eindrucksvollsten Zeugnisse sakralen Bauens“ der 1990er genannt. Mittlerweile hat man sie durch einen Zubau verschandelt.

Welche Autorität hat Autorschaft? Nicht lange ist es her, da wurde die Nachtwallfahrtskapelle am Tiroler Locherboden „eines der eindrucksvollsten Zeugnisse sakralen Bauens“ der 1990er genannt. Mittlerweile hat man sie durch einen Zubau verschandelt.

Welche Autorität hat Autorschaft? Wer entscheidet über den Umgang mit sakralen Bauten? Wie beliebig dürfen Bau- und Kunstwerke, Ensembles und Landschaften stümperhaft beeinträchtigt und zerstört werden? Wie gestört ist das Verhältnis zwischen Religion und zeitgenössischer Kunst?

Diese Fragen stellen sich angesichts dessen, was sich im Umfeld der Nachtwallfahrtskapelle Locherboden in Tirol zugetragen hat. Am Fuß der aus dem 19. Jahrhundert stammenden Wallfahrtskirche steht die vom Architekten Gerold Wiederin gemeinsam mit dem Künstler Helmut Federle gestaltete Kapelle aus dem Jahr 1996. Aus einem von der Tiroler Dorferneuerung betreuten Wettbewerb hervorgehend, wurde sie errichtet, um den traditionellen Nachtwallfahrten einen Rahmen zur Messfeier zu bieten, da die Kirche nicht alle Pilger aufnehmen kann.

Gerold Wiederin wählte den Platz am Fuße einer Felswand nächst dem Pilgerweg. Die Lichtung davor bietet den Wallfahrern Aussicht auf die Kirche auf der Anhöhe. Er wollte keinen Baukörper im engeren Sinn schaffen, sondern „eine präzise geometrische Struktur, die die Abfolge der Sakralbauten am Locherboden in logischer Weise fortsetzt und auf die temporäre Nutzung hinweist“. Es ist ein schlichter Pavillon aus ortgegossenem Beton. Im Zentrum der Rückwand befindet sich eine aus farbigen Glasbrocken und einem Eisengitter in Form eines Geästs gebildete Arbeit des Künstlers Helmut Federle. Ein Gitter mit dem gleichen Astmotiv setzte Federle vor die Öffnung der Grotte in der seitlich der Kapelle liegenden Felswand. Sehr behutsam haben Wiederin und Federle topografische Setzung, Detaillierung und Symbolik in engem Dialog entwickelt, sodass ein Ort von großer Faszination und Spiritualität entstand.

„In der steil zum Baukörper abfallenden Felswand entdeckt man ein Loch – ein Zugang zu einer Höhle oder zu einem unterirdischen Stollen? Der eckige Baukörper steht vor diesem Höhleneingang, als wäre er gerade aus dem Bauch der Erde ausgestoßen worden und könnte auch jederzeit im selben Erdschlund wieder verschwinden. Die räumliche Nähe von Pavillon und Höhle erzeugt eine Spannung. Etwas Geheimnisvolles, etwas Unerklärliches geht von diesem Ort aus“, schrieben die Basler Architekten Herzog & de Meuron in einer Publikation über die Nachtwallfahrtskapelle.

Wer heute zum Locherboden fährt, wird all dies nur noch rudimentär nachvollziehen können. Vor dem Grotteneingang macht sich nun ein Anbau in Form einer plumpen Karikatur von Wiederins Pavillon breit. Helmut Federles Gitter ist verschwunden, die Zwiesprache zwischen Kapelle und Grotte brutal unterbrochen, die magische Kraft des Ortes vernichtet.

„Die Kapelle ist eines der eindrucksvollsten Zeugnisse sakralen Bauens der vergangenen Jahre“, schrieb die „Neue Zürcher Zeitung“ über dieses Kleinod sakraler Baukunst im Nachruf auf den viel zu jung und viel zu früh verstorbenen Architekten Gerold Wiederin (1961–2006). Der Architekt kann sich nicht mehr gegen die Verschandelung seiner Arbeit wehren. Das müssen nun andere tun. Der Künstler Helmut Federle ist entsetzt. Schließlich haben die beiden Autoren der Kapelle die Höhle bewusst so belassen, als Metapher für Geburt und Armut im Gegensatz zum „Tempel“, der präzise gestalteten, frei stehenden Kapelle. „Man kann doch die Inhaltlichkeit nicht willkürlich zerstören“, sagt Federle, den am meisten die Pseudo-Analogie des neuen Vorbaus zur Nachtwallfahrtskapelle stört. Abgesehen davon, dass der Zubau die harmonische Setzung des ganzen Ensembles stört, mangelt es ihm konstruktiv und im Detail an gestalterischer Souveränität. Hätte es keine andere Lösung gegeben?

Der Zubau soll im Wesentlichen den Zweck eines Unterstandes für den Chor bei Regenwetter erfüllen, ist vom Pfarrer zu erfahren. Diese „der Nachtwallfahrtskapelle angepasste“ Lösung habe das Denkmalamt präferiert. Der zuständige Referent im Denkmalamt war vor Redaktionsschluss urlaubsbedingt nicht erreichbar. Abgesehen davon, dass der Zubau grundsätzlich infrage zu stellen ist, wurde hier ganz und gar nichts angepasst. Wiederin hat jede Fuge, jede Kante präzise überlegt, die auf den vier Stützen ruhende Dachplatte mit einander kreuzenden Rippen ausgesteift, in die an der Untersicht Lichtbänder eingelegt sind und die in der Draufsicht eine schöne Fassade bilden. Beim Grottenzubau hingegen setzte man mit Stützen dort, wo es sich gerade ausgeht, mit gewöhnlichen Deckeneinbauleuchten und einem Kiesdach auf Billigästhetik. Neben einer Marienstatue, die Architekt und Künstler an diesem Ort immer für richtig gehalten haben, befindet sich in der Grotte nun auch eine Kreuzigungsgruppe. Ursprünglich stand sie auf dem Hügel. Irgendwann wurde der Christuskorpus gestohlen, die beiden Schächer verwahrte man auf dem Dachboden des Pfarrhofes, berichtet der Pfarrer, der schon länger den Wunsch hegte, die Gruppe wieder aufzustellen. Nachdem 2008 ein neuer Christus geschnitzt und alle Figuren neu gefasst worden waren, platzierte man die Kreuzigungsgruppe kurzerhand in der Grotte.

Zu ihrer Sicherung wurde ein neues, banales Gitter angebracht. Ausstaffiert mit Kniebänken, einem Opferkerzenständer und einem Opferstock, konkurriert nun der Vorbau mit der Nachtwallfahrtkapelle. Der schlichten Volksfrömmigkeit kommt dieses Setting wahrscheinlich entgegen. Wohl besser als die Nachtwallfahrtskapelle, über die bereits zu Anfang ihrer Existenz ein Ortsansässiger gemeint haben soll, dass man die „Faust im Sack ballt“, wenn man sie sieht. Nun hat man dem solchem Geschmacksempfinden nachgegeben. Wirklich empörend ist, dass seitens kunsthistorisch, architektonisch und liturgisch gebildeter Personen aus Diözese oder Denkmalamt nicht rechtzeitig vehement Position gegen diesen Dilettantismus eingenommen wurde. Kunst und Architektur müssen vermittelt werden – durch gute Argumente und besser noch durch gute Anschauungsbeispiele. Das ist langwierig und mühsam, macht sich aber irgendwann daran bemerkbar, wie einzelne Gebäude, Ortschaften und ganze Landstriche aussehen.

Aus dem bischöflichen Bauamt in Innsbruck ist zu erfahren, dass es in den dortigen Akten wohl ein Projekt für die Grotte am Locherboden gebe, dies allerdings völlig anders konzipiert gewesen sei, als die nun umgesetzte Lösung. Dass bereits etwas gebaut wurde und wie es aussieht, war dem Bauamt bis zum Zeitpunkt unserer Anfrage unbekannt.

Wahrscheinlich haben es die Verantwortlichen gut gemeint. Gut gemacht ist anders. Die Situation am Locherboden muss jedenfalls rückgebaut und neu bedacht werden. Spätestens jetzt ist es an der Zeit, mit Helmut Federle in Kontakt zu treten und nach einer Lösung zu suchen, die dem künstlerischen Werk ebenso gerecht wird wie den offensichtlich vorhandenen praktischen Bedürfnissen.

Spectrum, Sa., 2014.07.26

28. Juni 2014Franziska Leeb
Spectrum

Platz braucht Zeit

Mödling hat ein Verkehrsproblem und einen unattraktiven Bahnhofplatz. Für Letzteren gäbe es schon eine Lösung.

Mödling hat ein Verkehrsproblem und einen unattraktiven Bahnhofplatz. Für Letzteren gäbe es schon eine Lösung.

Am Mödlinger Bahnhofplatz soll ein Bürogebäude entstehen und im Zuge dessen auch der Platz neu geordnet und gestaltet werden. Die Stadtgemeinde agierte vorbildlich, lobte einen zweistufigen Wettbewerb aus, setzte eine kompetent besetzte Fachjury ein und kürte Ende November 2013 ein Siegerprojekt. Bei den Beurteilungskriterien setzte die Jury den Fokus auf den Platz als Visitenkarte der Stadt. Das gewünschte Bürohaus sollte ein „Haus am Platz“ sein und nicht der Platz als Vorbereich des Bürogebäudes aufgefasst werden. Natürlich galt auch der Funktionalität des Verkehrskonzepts hohes Augenmerk. Dem Entwurf des in Wien ansässigen Architekturbüros Stiefel & Company (Hannes Stiefel und Patrick Krähenbühl) wurde diesbezüglich vom Preisgericht unter Vorsitz von Bettina Götz das höchste Potenzial zugesprochen. So weit, so gut. Im April wurde das Projekt öffentlich präsentiert. Auch das ist lobenswert, schließlich treffen auf einem öffentlichen Platz zahlreiche Interessen von Anrainern und Nutzern aufeinander, die Gehör verdienen. Was bislang noch nicht stattgefunden hat, ist eine sachliche Diskussions- und Weiterbearbeitungsphase.

Dafür setzte sich die Lokalpresse mit dem Projekt auseinander und fokussierte vor allem auf die Kritik einzelner Bürger und das in Mödling generell weiträumig ungelöste Verkehrsproblem, das mit einem neu gestalteten Platz allein nicht maßgeblich zu entschärfen sein wird. Der Platz könne das „falsche Publikum“ anziehen, das man vor Jahren bereits durch das Abmontieren von Bänken und das Anbringen von Sprinkleranlagen in den Grünflächen vertrieben hat. Weiters befürchtet man Geschäftseinbußen durch die Baustelle, bekrittelt, dass damit das Verkehrsproblem nicht gelöst sei, und generell passe das Projekt nicht zu Mödling.

Anlass genug, den Status quo und den Gestaltungsvorschlag anzusehen: Selbst wenn nicht Hochbetrieb herrscht und Hunderte Schüler auf einmal von und zu den Bahnsteigen und Bussen strömen, sind die Nöte des Platzes offenkundig. Der Autoverkehr zwängt sich vor dem Bahnhof über den Platz, weder auf den Grünflächen noch an den Bushaltestellen oder vor den Kiosken gibt es attraktive Aufenthaltsbereiche für Wartende. Im Gegensatz zu anderen Mödlinger Stadtplätzen hat der Platz architektonisch und atmosphärisch wenig zu bieten.

Ihn irgendwie attraktiver zu machen und Funktionalitäten zu optimieren wäre keine große Kunst. Ihn aber so zu ertüchtigen, dass er sowohl den Erfordernissen einer wachsenden Stadt im Wiener Umland gerecht werden als auch in der Reihe der urbanen Plätze der Stadt qualitativ mithalten kann und strukturell angebunden wird, braucht es mehr als die Neuorganisation von Busspuren und ein wenig Grün.

Stiefel & Company legten ihrem Entwurf eine stadtstrukturelle Analyse zugrunde und reagierten folgerichtig im Besonderen auf die Topografie Mödlings. Die zentralen Orte der Stadt liegen zwischen und entlang zweier parallel in Ost-West-Richtung verlaufender Achsen – einerseits der landschaftlich geprägten parkartigen, ruhigen Achse entlang des Mödlingbaches, andererseits der belebten Verkehrsachse, an der wie an einer Perlenschnur die verschiedenen Stadtplätze aufgefädelt sind. Hannes Stiefel sieht am Bahnhofplatz, der sich zwischen diesen beiden Achsen erstreckt, die Chance, Mobilität und Landschaft ineinanderfließen zu lassen. Der geforderte Bürozubau wird in Distanz zum bestehenden Verwaltungsgebäude „mit minimalem Fußabdruck“ angeordnet. So entsteht ein durchlässiger Raum, der mit öffentlich zugänglichen Rampen, Stiegen und Terrassen sowohl den Bürokomplex an den Bahnhofplatz angliedern als auch die notwendige Eingangsfunktion Richtung Stadtzentrum leisten kann.

Für den Platz entschieden sich die Architekten für eine unkonventionelle, aber schlüssige Konfiguration, bei der der vorhandene Baumbestand Regie führte. Analog zu den vielfach ein Gefälle aufweisenden alten Mödlinger Plätzen schaffen sie eine neue Platztopografie aus entsprechend haltbarem Holz, deren Form nicht dekorativen Gründen geschuldet ist, sondern in der die verschiedenen funktionalen und sozialräumlichen Anforderungen zusammengeführt sind. Die Bäume wachsen durch Öffnungen in dieser neuen Platzoberfläche in die Höhe. Auf den hochliegenden begehbaren Decks, die den neuen Bushaltestellen Schutz geben, wandelt man tatsächlich zwischen Baumkronen. Das ist ungewöhnlich und mag auf manche Bürger irritierend wirken, schließlich entsteht durch die veränderten Niveaus eine neue Relation zwischen dem öffentlichen Raum und der umgebenden Bebauung.

Bloß weil etwas ungewöhnlich ist, muss es nicht untauglich sein. Der Platz ist übersichtlich strukturiert, die unterschiedlichen Geschwindigkeiten von motorisiertem Individualverkehr, öffentlichem und Fahrradverkehr sowie Fußgängern werden entflechtet. Für alle weiteren Funktionen, die auch jetzt schon da sind, wie Kioske oder die Jugendberatung, wird es weiter Platz geben. Die Aufenthaltsfläche am Platz wird aber flächenmäßig verdoppelt, und die entschleunigende Wirkung des Materials Holz wird dem hektischen Ort sicher auch guttun. Derzeit müssen sich zahlreiche Nutzergruppen auf engstem Raum organisieren. Das Siegerprojekt des Wettbewerbes hingegen schafft eine Vielfalt an räumlichen Angeboten. Darüber wurde bislang kaum diskutiert. „Der Platz muss sukzessive zu Ende gedacht werden“, sagt Thomas Proksch, der als Landschaftsplaner mit im Boot ist, und plädiert dafür, dass ein Teil des Budgets für den Platz für das Management der künftigen Bespielung beiseitegelegt werden soll. Aus langjähriger Erfahrung ist ihm auch vertraut, was nun in Mödling passiert: „Sobald ein Vorschlag für eine Platzgestaltung da ist, geht die Verkehrsdiskussion los.“ Vorher großräumig die Verkehrsprobleme zu lösen würde es natürlich einfacher machen, ein treffsicheres Verkehrskonzept für den jeweiligen Platz zu finden. Dies muss in Mödling nun Hand in Hand geschehen.

Auch beim Innsbrucker Eduard-Wallnöferplatz, den Stiefel mit dem Architekturbüro LAAC und dem Künstler Christopher Grüner konzipierte, gab es anfangs Skepsis. Dank professioneller Begleitung seitens der Stadtplanung ist er heute ein gut akzeptierter und gern genutzter Platz, der es sogar in die Auswahl von „Europas besten Bauten“ (zu sehen vom 10. Juli bis 15. September im Architekturzentrum Wien) geschafft hat.

Spectrum, Sa., 2014.06.28

07. Juni 2014Franziska Leeb
Spectrum

Vor dem Parlament sind alle gleich

„Orte der Macht“: Mit feiner Ironie präsentiert Christian Kühn anlässlich der 14. Architekturbiennale in Venedig die Parlamente dieser Welt. Der von ihm verantwortete Österreich-Pavillon zeigte sich wahrscheinlich noch nie unver-krampfter und schöner als heuer.

„Orte der Macht“: Mit feiner Ironie präsentiert Christian Kühn anlässlich der 14. Architekturbiennale in Venedig die Parlamente dieser Welt. Der von ihm verantwortete Österreich-Pavillon zeigte sich wahrscheinlich noch nie unver-krampfter und schöner als heuer.

„Fundamentals“ gab Rem Koolhaas als Motto der diesjährigen Architekturbiennale aus. Also schlicht um die Grundlagen der Architektur möge es dieses Mal gehen. Die Schau im zentralen Pavillon in den Giardini, „Elements of Architecture“, ist das Ergebnis eines zweijährigen Forschungsprojekts von Koolhaas' Entwurfsklasse an der Harvard University und befasst sich mit jenen elementaren Bestandteilen, aus denen sich Architektur konstituiert. Und so erfahren wir auch von der bisher öffentlich wenig beachteten Scalologie, der Wissenschaft von den Eigenheiten und Wirkungen von Treppen, begründet vom deutschen Denkmalpfleger Friedrich Mielke. Keine Starparaden? Keine eitlen Nationalitätenshows?

Tatsächlich kaum. Erstmals in der Geschichte der venezianischen Architekturbiennale wurde den Ländern nicht nur ein schwammiger Slogan, sondern ein recht konkretes Thema vorgegeben. „Absorbing Modernity 1914–2014“ lautet es, und mehr oder weniger hielten sich alle Länderkuratoren daran und reflektierten auf ihre Weise fesselnde oder kontroverse Aspekte der Moderne in den jeweiligen Ländern. Manche scheiterten am Thema, bekamen es ausstellungsmacherisch nicht ganz in den Griff, verfielen einer zu altmodischen Didaktik und hätten vielleicht besser einfach nur ein Buch gemacht. Das einheitliche Thema bringt aber – und das ist sein eigentliches großes Verdienst – zahlreiche Querverweise mit sich, die durchaus erhellend wirken, wenn man ihre Spuren aufnimmt. Immerhin sind ja die meisten der Pavillons selbst innerhalb dieser zur Debatte stehenden Epoche entstanden und Ausdruck des jeweiligen nationalen Selbstverständnisses und kulturpolitischen Willens.

An der Architektur des 1938 von Ernst Haiger umgebauten deutschen Pavillons rieben sich wiederholt die kuratorischen Konzepte. Die diesjährigen Kuratoren, Alex Lehner und Savvas Ciriacidis, kreuzten den in der Architektenschaft ungeliebten Nazi-Bau mit einer Ikone der deutschen Nachkriegsmodernde, dem 1964 von Sep Ruf in Bonn erbauten Kanzlerbungalow, den sie eins zu eins nachbauen und in den Pavillon einschreiben ließen. Die Collage visualisiert die Bedeutung von Architektur als Ausdrucksträger der jeweiligen staatlichen Selbstverständlichkeiten. Keine ideologischen Differenzen evoziert der vor der Tür wartende schwarze Mercedes, ihm könnten die Herren beider Häuser entsteigen.

Noch weitreichender wird im Österreich-Pavillon unter der Federführung von Christian Kühn das Thema des architektonischen Stils als Transporteur staatlichen Selbstverständnisses abgehandelt. Und prompt zeigt sich, dass es Bauaufgaben gibt, für die Koolhaas' These, dass die Moderne international alles absorbiert habe, nicht zutrifft. „Plenum. Orte der Macht“ lautet der Ausstellungstitel. Der bevorstehende Umbau des österreichischen Parlaments und die damit einhergehenden Debatten über die heute adäquate Form eines Parlamentsgebäudes hat Kühn dazu veranlasst, sämtliche Parlamente dieser Welt im Pavillon vergleichend zur Schau zu stellen. Als weiße Modelle im Maßstab 1:500 sind sie nun in den beiden Gebäudeflügeln in alphabetischer Reihenfolge in regelmäßigem Raster über die Wände verteilt. Um 90 Grad gekippt werden sie ihrer Monumentalität beraubt und erhalten sie maskenhaften Charakter. Diese Anordnung könnte man als kuratorische Despektierlichkeit gegenüber den Hohen Häusern der Welt auslegen, tatsächlich aber werden mit feiner Ironie erstaunliche Fakten ins Bewusstsein geholt, wird eine ambivalente Haltung gegenüber Nationalismen jedweder Art zum Ausdruck gebracht.

Die vergleichende Recherche befördert Bemerkenswertes zutage: Die meisten Parlamente der Welt stammen aus der Zeit nach 1950, und nicht die Moderne, sondern der Historismus ist der bevorzugt eingesetzte Stil, egal auf welchem Kontinent sich der Bau befindet und gleichermaßen in vorbildlich regierten Demokratien wie den verschiedenen Spielarten antidemokratischer Regierungsformen. Eigenständige architektonische Schöpfungen auf der Höhe der Zeit wie Oscar Niemeyers brasilianisches Parlament sind die Ausnahme. „Copy and paste“ scheint auch so wichtigen nationalen Angelegenheiten eine bewährte Methode zu sein, die dazu führt, dass sich das Jubelsystem von Nordkorea 1984 mit einem ähnlichen Bau identifizieren kann wie die mustergültige finnische Demokratie.

Aufschlussreich ist die gelassene Präsentation der Modelle in Kombination mit dem in der Art eines Farbfächers aufgemachten Pocketkatalog. Erstaunliche Fakten tun sich auf, wie zum Beispiel dass die Größe eines Parlaments weder mit der Größe des jeweiligen Landes noch mit der Qualität seines Parlamentarismus korrelieren muss. Auffallend häufig werden Parlamente übrigens von ausländischen Architekten gebaut. Dem österreichischen Parlament des Dänen Theophil Hansen ist in gleicher Aufmachung wie dem noch zu bauenden Parlament von Albanien sowie dem Konferenzzentrum in Dalian von Coop Himmelb(l)au eine detailreiche, kuppelförmig von der Decke abgehängte Installation gewidmet.

Der Hof des Pavillons steht im Zeichen von weniger machtstrotzenden, aber zusehends mächtiger werdenden Manifestationen modernen Demokratieverständnisses. Auf die „Arbres de la liberté“ der französischen Revolution anspielend, haben Auböck & Kárász einen Hain aus exotischen Bäumen und Stauden gepflanzt, der Vielfalt und Internationalität symbolisiert. In Richtung der 200 Parlamente schickt die von Kollektiv/Rauschen aus Twittermeldungen generierte Soundinstallation anschwellende Töne menschlichen Protests in fünf Sprachen, während von der anderen Seite Redesequenzen autoritärer Staatschefs in den Hof dröhnen.

Christian Kühn als Kommissär des Pavillons und Kurator Harald Trapp widerlegen die Mär von der wiederholt kolportierten schwierigen Bespielbarkeit des Hoffmann/Kramreiter-Baus. Sie lassen die Böden frei, um den Raumfluss nicht zu behindern, lassen die Mittelachse zur Wirkung kommen und nutzen die anstehende Sanierung, um vorläufig die begrenzende Mauer und das nierenförmige Wasserbecken zugunsten der Bepflanzung zu entfernen. Der 1934, also zur Zeit der autoritären austrofaschistischen Regierung fertig gestellte und 20 Jahre später ebenfalls von Hoffmann modernisierte Pavillon präsentierte sich wahrscheinlich nie unverkrampfter und schöner als heuer

Spectrum, Sa., 2014.06.07

26. April 2014Franziska Leeb
Spectrum

Golden Nugget, weicher Kern

In der Außenansicht verschlossen, innen höchst variantenreich: Nach etlichen Jahren gelang es PPAG, ein Europan-Projekt von ehedem zur Reife zu führen. Nachrichten aus der Simmeringer Fickeystraße.

In der Außenansicht verschlossen, innen höchst variantenreich: Nach etlichen Jahren gelang es PPAG, ein Europan-Projekt von ehedem zur Reife zu führen. Nachrichten aus der Simmeringer Fickeystraße.

Die Wohnbauten des von Anna Popelka und Georg Poduschka gegründeten Architektenteams PPAG zeichnen sich stets durch äußerst eigenständige Raumkonfigurationen aus. Dies war schon so bei einer ihrer ersten größeren Arbeiten in einem Hinterhof an der Praterstraße, wo sie durch das geschickte Verzahnen der Wohnungen Räume unterschiedlichster Charakteristikzuwege brachten. Beim Wohnriegel am Rudolf-Bednar-Park mit den signifikanten pinkfarbenen Balkonbrüstungen oder dem Wohnhof Orasteig in Floridsdorf – beide 2009 fertiggestellt – sind ihnen Raumzuschnitte gelungen, die üblicherweise in der Rationalität des geförderten Wohnungsbaus schwer durchzusetzen sind.

Mittlerweile ist auch jener Wohnbau von den Mietern bezogen, mit dem sie 2001 beimEuropan-Wettbewerb, einer internationalen Konkurrenz für Architekten unter 40, am Standort in der Fickeystraße in Wien-Simmering den Sieg davontrugen. Die Realisierung zog sich hin, obwohl damals von Beginnan alles auf Schiene zu sein schien. Bereits im Vorfeld kooperierte Europan Österreich mit der Bauträgerfirma Mischek, die das Grundstück zur Verfügung stellte, den Wettbewerb finanzierte und schließlich die Absichtserklärung gab, das ungewöhnliche und anspruchsvolle Projekt zu realisieren. PPAG bebauten als einzige Teilnehmer die gesamte Grundstücksfläche mit dem maximal möglichen Bauvolumen und schnitzten dieses unter Berücksichtigung der Belichtung der Nachbargebäude, der Aussicht und bestimmter Freiraumkonditionen zu. Das daraus entstandene kristalline Gebilde nannten sie im Wettbewerb „golden nugget“, das sich aus einer äußeren Schicht aus Wohnungen und innen liegender Mischnutzung zusammensetzte. PPAG kritisieren mit dieser Art der Formfindung die Blockrandbebauung als gängige Praxis innerstädtischer Bebauungsplanung als überholt: „Eine grundrissgrafische Auffassung von Stadtraum und damit die Vorwegnahme von späteren Planungsprämissen kann den vielfältigen Qualitätsanforderungen an Immobilien nicht gerecht werden“, formulierten sie.

Zwar wurde damals in der Jury die Frage nach der Relevanz von Megastrukturen gestellt und auch angemerkt, dass „dem Projekt ein Autismus inhärent“ sei. Man betonte aber auch, dass kein anderes Projekt im Wettbewerb sich tiefgründiger mit dem Wohnen auseinandersetze als dieses, dem man Entwicklungsfähigkeit und mögliche Veränderbarkeit im Realisierungsprozess attestierte.

Diese von der Jury angesprochenen Stärken wurden dann tatsächlich einer ziemlichen Belastungsprobe unterzogen. Gemeinsam mit der Bauträgerin wurde das Projekt vertieft, um als Grundlage für die Erstellung eines Flächenwidmungs- und Bebauungsplanes zu dienen. In der Folge erwies sich allerdings bald der vorgesehene Nutzungsmix, der auch große Geschäftsflächen enthielt, als unrealistisch. Die Investoren sahen ob des hohen Konfliktpotenzials zwischen Wohnungs- und Gewerbemietern ganz und gar keinen Goldklumpen, sondern ein Risiko undwollten es wegen zu geringer erwartbarer Renditen nicht finanzieren.

Im Grundstücksbeirat wiederum blitzte das Projekt wiederholt, unter anderem wegen zu vieler nach Norden orientierter Wohnungen, ab. Zudem änderte sich nach einem Verkauf der Bauträgerfirma die Bauherrschaft. Dass so manche Überlegung aus dem Wettbewerb auf dem Weg zu Realisierung verlorenging, ist daher kein Wunder, dass das Projekt in seiner formalen Grundkonzeption jedoch sehr wohl realisiert werden konnte, spricht hingegen nicht nur für die Robustheit des Konzepts, sondern auch für jene von Popelka und Poduschka.

Anstatt eines bunten Nutzungsmixes wurde es nun ein monofunktionaler „Wohnhügel“, bei dem die rund 230 Wohnungen als „Kruste“ um die innen liegenden Erschließungszonen angeordnet sind. Als einzige Nichtwohnnutzung gibt es einen sechsgruppigen Kindergarten im Erdgeschoß, der sich über einen dreigeschoßigen Luftraum mit den Wohngeschoßen verschränkt und zusätzliches Tageslicht aus dem Atrium bezieht.

Durch die standortspezifisch modellierte Außenform entstanden abwechslungsreiche Raumsequenzen. Direkt an die Atrien angegliedert sind alle Gemeinschaftsflächen wie Wintergarten, Indoor-Spielplätze, Waschküchen oder Kinderwagenabstellräume. Mannigfaltige Durchblicke von Geschoß zu Geschoß tun sich im internen Netz aus Gassen und Plätzen auf. Ebenso reich ist die Varianz der Wohnungen, die im geförderten Wohnungsbau ihresgleichen sucht. Pragmatiker, denen an möglichst neutral angelegten Wohnungen gelegen ist, mögen sich daran stoßen. Entgegenhalten kann man, dass diese besonderen Wohnungen, darunter auch Maisonetten mit überhohen Räumen und Galerien, die etwa als Kinderspielfläche dienen können, ein sehr spezifisches Angebot bereitstellen, das aus dem Einheitsbrei ausbricht.

Temporäres Wohnen ist in meist drei Wohnungen pro Geschoß in möblierten „Heimwohnungen“ möglich, weiters werden Einheiten auf zwei Ebenen und mit zwei Eingängen angeboten, in denen sich die Wohn- und Arbeitsstätte koppeln lassen. Für Außenbeziehungen sorgen einerseits die Loggien, die jeder Wohnung über die gesamte Wohnungsbreite als private Freiflächen zugeordnet sind, aber auch die zum internen Wegesystem hin orientierten Küchenfenster, die – wenn von den Bewohnern nicht verbarrikadiert, sondern klugerweise mit Jalousien versehen – für Belichtung sorgen und auch Aus- wie Einblick gewähren können.

Im Grunde passt die neuerdings gern verwendete Metapher vom Dorf im Haussehr gut auf die Anlage, deren aufgeweiteten Gangbereiche sich als soziale Treffpunkte anbieten und über deren Gemeinschaftsraumnutzung die Bewohnerschaft höchst engagiert via Internetplattform entscheidet. Nach außen hin sind die räumlichen und gemeinschaftlichen Potenziale nicht sichtbar, auch das Geschehen auf den privaten Loggien, wird gut abgeschottet. Da wird der Wohnhügel zum für Außenstehende neungeschoßigen Wehrdorf, was in dieser Lage zwischen der Straßenbahnremise Simmering und der von Josef Frank und Oskar Wlach geplanten Großwohnanlage des Rosa-Jochmann-Hofs aus den 1930ern auch eine durchaus angemessene städtebauliche Reaktion ist. Freundlich kommuniziert wird lieber nach innen

Spectrum, Sa., 2014.04.26

29. März 2014Franziska Leeb
Spectrum

Besessen, treibend, kämpfend

In den 1960er-Jahren begann er, die Welt der Architektur nach Österreich und österreichische Architektur in die Welt zu tragen. Diesen Sonntag wird Hans Hollein 80 Jahre alt.

In den 1960er-Jahren begann er, die Welt der Architektur nach Österreich und österreichische Architektur in die Welt zu tragen. Diesen Sonntag wird Hans Hollein 80 Jahre alt.

Diese Beiträge sind spärlichst! Die österreichische Architektur ist in die Fußnoten verdrängt. Während die Tätigkeit der österreichischen Architekten vor 1938 in durchwegs allen einschlägigen Publikationen als äußerst bemerkenswert empfunden wird, (?) findet man offensichtlich, dass später wenig Erwähnenswertes geschah.“ Diese Feststellung traf Hans Hollein, damals knapp über 30, im Jahr 1965, und er selbst trug schließlich wesentlich dazu bei, dass sich dies änderte, Österreich im Diskurs der Architektur-Avantgarde wieder eine Rolle zu spielen begann und zugleich internationale Tendenzen hierzulande publik wurden. Aus diesem Grund soll an dieser Stelle anlässlich seines 80. Geburtstages seine bis heute nachwirkende Rolle als Impulsgeber gewürdigt werden.

In der Zeit des pragmatischen Funktionalismus der Nachkriegszeit formierte sich eine Architektur-Avantgarde, die gegen eben diesen aufbegehrte. 1962 hielt Hans Hollein in der Galerie St. Stephan seinen grundlegenden Vortrag „Zurück zur Architektur“, in dem er zur Besinnung auf die elementaren Qualitäten der Architektur aufrief. 1964, in seinem ersten Jahr als selbstständiger Architekt, stieß er zur Zentralvereinigung der Architekten, die sich damals in einer Phase des Umbruchs und der Öffnung befand. Wie sich Architekt Franz Kiener, langjähriger Kassier der ZV erinnert, war Hans Hollein, den er als „absoluten Perfektionisten“ beschreibt, die treibende Kraft. Dank seiner frühen Kontakte in die USA, wo er am IIT in Chicago und an der University of California in Berkeley studierte, brachte er neue, einflussreiche Gedanken nach Wien. Die Zentralvereinigung hätte ohne Hollein wahrscheinlich einen etwas anderen Weg gemacht, meint Kiener heute. Die seit 1946 bestehende Vereinszeitschrift „Der Bau“ wurde von einem jungen Team bestehend aus Sokratis Dimitriou, Günther Feuerstein, Hans Hollein, Gustav Peichl und Walter Pichler völlig umgekrempelt und gehörte ab März 1965 sechs Jahre lang unter dem Titel „Bau“ zu den wesentlichsten Architekturmedien des Landes. Die erste Nummer war nach fünf Tagen vergriffen. Zu dieser Zeit entstand das Kerzengeschäft Retti auf dem Kohlmarkt, dessen Zweck „keine simple, mechanische Funktion, sondern Anlass zur Interpretation eines Vorgangs und zur Selbstdarstellung eines Architekten“, also „der erste Hollein“ sei, so Friedrich Achleitner damals.

1968 stand schließlich eine Ausgabe ganz im Zeichen von Holleins Manifest „Alles ist Architektur“. Architekten müssten aufhören, nur in Bauwerken zu denken, postulierte Hollein. Auf das Titelbild collagierte er ein den Stephansdom weit überragendes, riesiges Stück Emmentaler hinter ein Panoramafoto von Wien. „Lassen Sie Ihre Phantasie arbeiten und Ihren Assoziationen freien Lauf“ empfahl das Editorial, und es folgte eine Bildstrecke mit Abbildungen von Entwürfen von Hollein oder Haus-Rucker-Co, Werken von Künstlern wie Christo, Claes Oldenburg oder Marcel Duchamp sowie mit Modefotos, Zeitungsbildern und Computerzeichnungen, mit denen Hans Hollein das Ende der herkömmlichen Definition von Architektur ausrief. Der „Bau“ widmete sich aber auch – entgegen dem Geist der Zeit – historischen Vorbildern wie Rudolf M. Schindler, Friedrich Kiesler oder Adolf Loos.

1971, als die Proponenten zusehends nicht mehr in der Lage waren, die ehrenamtliche Redaktionsarbeit zu leisten, wurde der „Bau“ eingestellt. Hollein blieb weiter im Vorstand der ZV. Nachdem er bereits Ausstellungen im MOMA in New York und in der Chicagoer Richard Feigen Gallery, deren New Yorker Filiale er gestaltet hatte, gehabt hatte, wurde er 1972 mit der Rauminstallation „Werk und Verhalten, Leben und Tod“ Österreichs Vertreter bei der 36. Kunstbiennale in Venedig. Ab 1978 war er Kommissär des Österreich-Pavillons auf der Architekturbiennale, zu deren Direktor er 1996 bestellt wurde. Nach dem Tod Eugen Wörles im Jahr 1996 ging die Präsidentschaft der ZV auf Hollein über, eine Position, die er bis 2007 innehatte. Zu dieser Zeit war er längst das, was man einen „internationalen Stararchitekten“ nennt. Seit den 1960er-Jahren auch in der Lehre tätig, zunächst als Gastprofessor an verschiedenen amerikanischen Universitäten, später in Düsseldorf und schließlich als Meisterklassen-Leiter an der Universität für angewandte Kunst, erhielt er 1985 als bislang einziger Österreicher für sein umfangreiches und vielseitiges Œuvre den Pritzker-Preis. „Seine Grundeinstellung hat mir immer imponiert“, so Architekt Martin Kohlbauer. „An Hollein war nichts Nebuloses, es ging ihm stets um etwas, und einmal Begonnenes hat er mit Sorgfalt zu Ende geführt.“

Als einer, der keine Tages- und Nachtzeit gekannt habe, sei er als Einziger der berühmten Wiener Architekten immer bei vielen Veranstaltungen präsent und stets bestens informiert gewesen. Wie Kohlbauer bekam auch Marta Schreieck 1980 als Studentin die Gelegenheit, in den Vereinsräumlichkeiten in der Salvatorgasse ihre Arbeiten auszustellen. Seit sechs Jahren ist sie Holleins Nachfolgerin als Präsidentin. Als Studentin von Roland Rainer an der Akademie der bildenden Künste wurde sie von einer völlig konträren Schule geprägt. Hollein hat sie als ZV-Präsidenten schätzen gelernt. Sein Beitrag zur Internationalisierung sei nicht hoch genug zu würdigen: „Ich war immer beeindruckt von seiner Besessenheit, Intensität und Genauigkeit, wobei er durchaus Widerspruch vertragen hat.“

Zum fünften Geburtstag des „Bau“ bemerkte Hans Hollein über die Usance, Jubiläen zu begehen: „Daß irgendetwas vor 100 Jahren geschehen ist, bedeutet nicht unbedingt eine Stimulation . . . Deshalb hat es Bau nicht immer für nötig befunden, Jubiläen zu feiern“. Sein Achtziger wird dennoch zu Recht mehrmals Anlass zu Feierlichkeiten sein. Kommenden Donnerstag zollt ihm das Architekturzentrum Wien mit einem Festvortrag von Peter Weibel Tribut. Ab April richtet das Museum Abteiberg in Mönchengladbach seinem Entwerfer eine Ausstellung aus, im Juni folgt eine große Schau im Wiener MAK. Zur Einstimmung sei die Lektüre des „Bau“ und weiterer Schriften Hans Holleins besonders empfohlen.

Herzlichen Glückwunsch zum 80. Geburtstag!

Spectrum, Sa., 2014.03.29



verknüpfte Akteure
Hollein Hans

01. März 2014Franziska Leeb
Spectrum

Retter der Donau City?

Vor wenigen Tagen feierlich eröffnet, ist der von Dominique Perrault entworfene DC Tower der unumstrittene Star in der Wiener Donau City. Noch ein böses Hochhaus mehr – oder tut es der Gegend sogar gut?

Vor wenigen Tagen feierlich eröffnet, ist der von Dominique Perrault entworfene DC Tower der unumstrittene Star in der Wiener Donau City. Noch ein böses Hochhaus mehr – oder tut es der Gegend sogar gut?

Die Wiener Donau City, gedacht als neues urbanes Zentrum am nördlichen Donauufer, hat es nach nunmehr fünfzehn Jahren ihrer Existenz noch immer nicht geschafft, tatsächlich als solches wahrgenommen zu werden. „Wien ans Wasser“ lautete die Devise. Allein, vom Wasser ist nicht viel zu spüren, wenn man zwischen den beziehungslos nebeneinander aufragenden monofunktionalen Hochhäusern – entweder reine Büro- oder reine Wohntürme – durchspaziert („flanieren“ wäre ein zu feiner Ausdruck und mit mehr Genuss verbunden). Ein Anspruch an urbanistische Qualität wurde nie eingelöst, es fehlt ein erkennbares Gesamtkonzept, es mangelt an Aufenthaltsqualität in den Zwischenräumen, nicht nur wegen der häufig auftretenden starken Windströme zwischen den Türmen, sondern auch wegen der Lieblosigkeit, mit der der öffentliche Raum gestaltet – oder besser: nicht gestaltet wurde. Bezeichnend auch, dass es weder ein einzelnes Gebäude noch die ganze Skyline geschafft hätte, besondere ikonische Wirksamkeit zu erzielen.

Mit dem diese Woche offiziell eröffneten DC Tower hat die Donau City nun endlich ein Symbol. Der vom französischen Architekten Dominique Perrault geplante Turm ist mit 250 Metern das höchste Gebäude Österreichs. Trotz Fertigstellung ist er gewissermaßen noch ein Fragment. Vorgesehen ist ein 44 Geschoße niedrigerer Zwillingsturm, der laut Thomas Jakoubek, Vorstand des Bauträgers WED, abhängig von der Verwertungslage, voraussichtlich aber in zwei Jahren in Angriff genommen werden soll. Das projektierte Gegenüber ist denn auch ein Mitgrund für die Form des Turms mit der mehrfach geknickten, plastischen Ostfassade. Das Duo soll am Ende durch die gegenüberliegenden reliefierten Oberflächen wirken wieein in zwei Teile gebrochener Monolith, so Perrault.

Der „Faltenwurf“ soll aber auch auf die Wellen der vorbeifließenden Donau anspielen. Durch die Ausbildung einer plastischen und drei glatten Fassaden und mit 59 Metern Länge an den Breitseiten und nicht ganz halb so viel an den Schmalseiten ändert sich die Anmutung des Turmes, die je nach Blickpunkt von einer geradezu fragil wirkenden Schlankheit bis zu muskulöser Stämmigkeit variiert. Und die Nichtfarbigkeit der Fassade changiert je nach Tageszeit und Witterung von schimmerndem silbergrau zu finsterem Schwarz. Es lässt sich streiten, ob es aus städtebaulichen oder anderen Gründen eines so hohen Turms an der Stelle bedurft hätte.

Formal gibt es nichts zu beanstanden. Aus der Nähe erschließt sich die fein überlegte Fassadenstruktur, und erst dann bemerkt man auch, dass der schwarze Monolith an den drei planen Fassadenflächen von bronzefarbenen, linear nach oben strebenden Streifen durchzogen sind. Die mit Schlitzen durchbrochenen Alubleche sind dem Bau nicht nur eine dezente Zierde, sondern vor allem von praktischen Nutzen. Sie dienen als Absturzsicherung vor den dahinter liegenden, manuell zu öffnenden Lüftungsflügeln. An der geknickten Fassade waren solche öffenbaren Flügel nicht möglich. Direkte Frischluftzufuhr kommt hier durch eine in die Fensterprofile integrierte Lüftung, die ebenso einfach und nutzerfreundlich wie ein normaler Drehflügel zu aktivieren ist.

Innen führt Perrault – seit jeher ein Meister im Umgang mit puren Materialien – vor, dass harte, unbunte Stein- und Metalloberflächen durchaus imstande sind, eine angenehme Atmosphäre zu verbreiten. An Boden und Wänden findet sich ein österreichischer Granit, der je nach Oberflächenbehandlung – geflämmt auf dem Boden, sandgestrahlt an Wänden, poliert in den Restaurantbereichen – von unterschiedlicher Textur und Farbigkeit ist. Alles sehr klar und sehr schön erdacht und sauber umgesetzt. Dass der ambitionierte Entwurf des französischen Architektenstars sich nun so präsentiert, ist auch der Verdienst seines hiesigen Partnerbüros Hoffmann-Janz, das laut Franz Janz von der Einreich- über die Ausführungs- und Detailplanung etwa 70 Prozent der gesamten Architektenplanungsleistung erbracht hat. Aber wie sieht es mit dem Beitrag des Turms zum Quartier aus? Vermag er noch etwas zu retten?

Grundsätzlich hat man von Beginn an schon eines besser gemacht als bei den übrigen Türmen und eine gemischte Nutzung gefordert. Noch sind nicht alle Flächen vermietet und ausgebaut und harren noch – so wie die im 53. und 54. Stock liegenden zweigeschoßigen Lofts, die sowohl als Arbeits- als wie auch Wohnräume tauglich wären – des Endausbaus für wohlbestallte Nutzer. 18 Etagen beansprucht das bereits in Betrieb gegangene Hotel der spanischen Kette Meliá. Die Dachterrasse, durch die hochgezogene Fassade windgeschützt, wird zum Teil von der Bar darunter beansprucht, soll aber auch ohne Konsumzwang öffentlich zugänglich sein. Der Ausblick ist naturgemäß grandios, wenn man den Blick in die Weite schweifen lässt.

Senkt man ihn nach unten, offenbart sich hingegen selbst aus einer Distanz von einem Viertelkilometer das urbanistische Elend, in das dieses Juwel an Hochhaus hineingesetzt wurde. Dominique Perraults Kommentaren ist anzumerken, dass es ihm ein Anliegen und eine Herausforderung war, sein Möglichstes zur Verbesserung des Umfelds beizutragen. „Step by step“, meint er, wird sich nun die Qualität der trockenen und harten Umgebung verbessern. Der DC Tower ist das erste Hochhaus in der Donau City – wenn nicht überhaupt das erste in Wien –, bei dem man sich um die Gestaltung des unmittelbaren Umfelds bemüht hat.

Auf der Fußgängerebene äußert sich dies in mit Bambus bepflanzten Rabatten, die umrandet von Sitzbänken den Vorplatz strukturieren, und in den großen schwarzen Metallschirmen, die an Nord-, Ost- und Westseite dicht gesetzt nicht nur die Aufgabe haben, Schatten zu spenden und den Wind zu brechen, sondern dem Freiraum auch einemenschenfreundliche Dimension geben und die „Eruption des Turms abschwächen“, wie Perrault es ausdrückt. Eine Terrasse Richtung Donau und eine Abfolge an Treppenanlagen, die vor dem niedrigeren, bronzefarbenen Annexbau im Westen eine Verbindung auf die Straßenebene herstellen, tragen dazu bei, dass das Gebäude nicht ungespitzt in der Erde – oder besser gesagt: in der Betonplatte – verschwindet, sondern einen Dialog mit der Umgebung aufnimmt.

Des Autofahrers Orientierung erleichtern die Hotelvorfahrt und Garagenzufahrt unter freiem Himmel. Das schwarz-weiße Streifenmuster in der Garagenzufahrt wirkt apart, ist aber keine künstlerische Intervention von Daniel Buren, sondern schlichtweg eine gestreifte Färbelung. Wiewohl: bei einer Investitionssumme von 300 Millionen Euro hätte man schon mehr Kunst erwarten dürfen. Immerhin ist das Foyer mit einer Videoinstallation der amerikanischen Experimentalfilmerin Kasumi ausgestattet. „Schritt für Schritt“, sagt Perrault. Gerettet hat er die Donau City nicht, er hat ihr aber immerhin erstmals einen attraktiven Ort geschenkt.

Spectrum, Sa., 2014.03.01

01. Februar 2014Franziska Leeb
Spectrum

Mehr als nur Schule

Wenn Lehrer gerne länger als nötig in der Schule bleiben. Gabu Heindl verschaffte dem BG Zehnergasse in Wiener Neustadt nicht nur die geforderten zusätzlichen Räume, sondern auch neue Nutzungsmöglichkeiten.

Wenn Lehrer gerne länger als nötig in der Schule bleiben. Gabu Heindl verschaffte dem BG Zehnergasse in Wiener Neustadt nicht nur die geforderten zusätzlichen Räume, sondern auch neue Nutzungsmöglichkeiten.

In einer Schule, die auch einen Zweig als Sportrealgymnasium führt, mag es nicht verwunderlich sein, trotz der bekannt sparsamen Budgets im Schulbau einen bestens ausgestatteten Fitnessraum vorzufinden. Die Geräte wurden von einer Firma gesponsert. Gut, das zeugt von Eigeninitiative und Geschick der Verantwortlichen. Blasses Erstaunen allerdings dann, als Direktor Werner Schwarz erläutert, wie, wann und von wem der „Fitness & Health Club“ genutzt wird. Er dient nämlich nicht nur dem Sportunterricht an der Schule, sondern er kann außerhalb der Kernunterrichtszeiten einmal die Woche sogar bis 22 Uhr von allen Schülern, Lehrern, Eltern und Absolventen, die gegen einen höchst moderaten Mitgliedsbeitrag Klubmitglieder werden können, genutzt werden.

Noch die Klagen angesichts der Mehrstunden, die dem Lehrpersonal das neue Dienstrecht beschert, im Ohr, ein kaum für möglich zu haltendes Angebot. Die Lehrergewerkschafter können beruhigt sein, die Trainings betreuen nicht die Kollegen, sondern Schülerinnen und Schüler, die im Zuge des Unterrichts eine Zusatzausbildung als Fitnessinstruktor erwerben können und somit an der Schule ihre ersten Jobs ausüben können.

Was das alles in einem Architekturbericht verloren hat? Allerhand. Der Fitnessklub ist nur eine Facette im Spektrum der Zugewinne, die das BG Zehnergasse in Wiener Neustadt seit der Erweiterung nach Plänen der Wiener Architektin Gabu Heindl verzeichnen kann. Er zeigt aber sehr gut auf, dass ein Raumprogramm nicht alles ist und dass die Architektenaufgabe mehr sein kann, als es möglichst ansehnlich zu erfüllen.

Containerklassen und Wanderklassen gehörten jahrelang zum Schultag. Akuter Platzmangel, nicht das Bedürfnis nach einer großzügigeren Ausstattung, war daher Anlass für die Bundesimmobiliengesellschaft, einen geladenen Wettbewerb für die Erweiterung der Schule um acht weitere Klassenräume und eine Normturnhalle auszuloben. Der Bestand stammt aus dem 1960er-Jahren, ist ein Spätwerk von Theiß & Jaksch und wurde 2002 von deren Nachfolgebüro Schwalm-Theiss & Gressenbauer saniert. „Unter Schonung des Bestandes“ soll die Erweiterung erfolgen, hieß es in der Ausschreibung.

Siegerin Gabu Heindl hat dies befolgt, indem sie den offenen Kreuzgrundriss der Schule weiterführt und es vermeidet, formal in Konkurrenz zu treten. Keineswegs geschont hat sie sich allerdings selbst in der Ambition, ein möglichst modernes, für neue pädagogische Konzepte taugliches Raumgefüge anzubieten. In einem zweigeschoßigen und damit gegenüber dem Bestand niedrigeren Baukörper ordnete sie die geforderten Klassenräume an. Leicht aus der rechtwinkeligen Ordnung des Bestandes gedreht, bildet der neue Trakt mit den bestehenden Flügeln einen zur Umgebung wie zur Sonne geöffneten Hof und bricht zudem die Linearität der langen Gänge. Terrassen auf allen Ebenen und Holzflächen, die in der Art von Tanzböden in die Gartenfläche eingelassen sind, machen ihn zum vielfältig nutzbaren Lern- und Aufführungsort im Freien.

Er ist einer von fünf Schulhöfen, auf denen sich die über 900 Schülerinnen und Schüler gut für die diversen Aktivitäten verteilen lassen. Ein weiterer neuer Hof entstand zwischen altem und neuem Turnsaaltrakt. Hier wurde der Sportbelag der Freianlage weitergezogen und das Ganze mit einer Pergola überdacht. Auf dem Boden werden in Zukunft wetterfeste Koordinationsgeräte wie zum Beispiel Wippen ein von allen nutzbares Zusatzangebot bereitstehen. Etwas höher gelegen sollen Slacklines den Unterricht um Balancierübungen ergänzen, und ganz oben sind die schuleigenen Kletterer gefragt, die für den Projektunterricht die Pergola dank vorbereiteter Ösen zum Hochseilgarten verwandeln.

Das alles war im Anforderungsprofil nicht vorgesehen. Möglich wurde es sowohl dank eines effizient und wirtschaftlich umgesetzten Raumprogramms als auch in Folge eines intensiven Dialoges, den die Architektin auf eigene Initiative in Form von Workshops mit hundert Lehrern und den Schülerinnen und Schülern führte, um die Bedürfnisse auszuloten und das Wettbewerbskonzept dahin gehend zu schärfen.

Wenn von wirtschaftlicher Umsetzung die Rede ist, heißt das nicht, dass das Innere nicht mehr bietet als entlang schmaler Gänge aufgefädelte Normklassenzimmer. Diese Art von Effizienz, wie sie in den meisten Schulen nach wie vor vorhanden ist, weist zwar der Bestandsbau auf, bei dem die Klassentrakte von den drei Aulen im Zentrum wegführen.

Gabu Heindl erdachte für den neuen Klassentrakt vielfältigere und vielfältiger nutzbare Raumfolgen. Der Erschließungsbereich ist kein enger Gang mehr, sondern zur Pausenfläche aufgeweitet, in der Sitzbänke, Garderobenschränke und Trinkbrunnen Platz finden. Die neue Bibliothek im Erdgeschoß liegt an zentraler Stelle nächst der Aula, ist gut einsehbar und an die Terrasse angebunden.

Jeweils zwei Klassen können mit dem dazwischenliegenden Modulraum, einem kleineren Arbeits- oder Besprechungsraum, dank mobiler Trennwände zu größeren Raumgefügen verbunden werden. Bis zu 160 Quadratmeter große Räume können somit entstehen, was die Möglichkeiten innerhalb der Schule ohne zusätzlichen Raumverbrauch enorm erhöht. Breite, tiefe Fenster bieten nicht nur Aussicht, sondern sind zugleich gern genutzte Sitznischen.

Auch Verwaltungstrakt mit Konferenzzimmer in einem Bestandsflügel galt es um 100 Quadratmeter zu vergrößern. Indem Wände aufgebrochen und Räume mit dem Gang gekoppelt wurden, ist das Konferenzzimmer nun ein durch Pfeiler gegliederter Großraum. Es ist nichts Neues, dass die Schularchitektur viel zum Klima an einer Schule beiträgt.

Wie sich aber auch am BG Zehnergasse zeigt, sind dazu nicht nur zahlungsfähige Bauherren und ein guter Entwurf notwendig. Es braucht auch ein gemeinsames Wollen und Zusammenwirken von Architekten, Direktion, Lehrern, Schülern bis zum Elternverein. Am BG Zehnergasse scheint dies gut funktioniert zu haben. Jedenfalls bleibennun mehr Lehrer länger an der Schule als zuvor, erzählt Direktor Schwarz. Ein im Sinne der anstehenden Schulreformen wünschenswerter Nebeneffekt – und wohl auch ein Kompliment für die Architektin.

Spectrum, Sa., 2014.02.01



verknüpfte Bauwerke
Erweiterung BRG Zehnergasse

04. Januar 2014Franziska Leeb
Spectrum

Wider den Kleingeist

Baustelle Parlament: Sanierung und Denkmalpflege? Das muss kein Widerspruch sein. Mögen die Parlamentarier endlich den Mut aufbringen, einem der wichtigsten Baudenkmäler in Österreich eine würdige Zukunft zu bereiten.

Baustelle Parlament: Sanierung und Denkmalpflege? Das muss kein Widerspruch sein. Mögen die Parlamentarier endlich den Mut aufbringen, einem der wichtigsten Baudenkmäler in Österreich eine würdige Zukunft zu bereiten.

Man könnte es als gutes Zeichen werten: In keiner anderen Legislaturperiode sind im österreichischen Parlament so oft die Begriffe „Architektur“ und „Baukultur“ gefallen wie in der im vergangenen Herbst abgelaufenen. Das ergibt zumindest eine Recherche auf der Website des Hohen Hauses, bedeutet aber noch lange nicht, dass tatsächlich Substanzielles zur Materie debattiert wurde. Der nach den Wahlen neu gebildete Nationalrat wird in dieser Hinsicht schon bald mehrfach stärker gefordert sein.

Seit einem Jahr läuft das zweistufige Vergabeverfahren um die Generalplanerleistungen für das österreichische Parlament. Im Sommer soll feststehen, welches der zehn für die zweite Stufe ausgewählten Architekturbüros den Zuschlag erhält. Noch ehe diese Entscheidung bekannt ist, also während die Architekten und Architektinnen noch das umfangreiche Programm ausarbeiten, gilt es im Parlament zu entscheiden, wie umfangreich und gründlich die Baustelle Parlament bearbeitet werden soll. Dazu wurde bekanntlich den Parlamentsklubs im November eine vom mit der Projektsteuerung beauftragten Zivilingenieurbüro Vasko+Partner ausgearbeitete Entscheidungsgrundlage vorgelegt, die den Parlamentariern insgesamtsechs mögliche Varianten über den weiteren Umgang mit dem sowohl baulich als auch funktional sanierungsbedürftigen Parlamentsgebäude vorgibt. Deren Bandbreite reicht von einer Restnutzung des bestehenden Parlamentsgebäudes ohne weitere Maßnahmen, was de facto einer Nicht-Entscheidung und Vertagung auf den Sankt-Nimmerleins-Tag gleichkäme, bis zur Errichtung eines neuen Gebäudes und Umnutzung des bestehenden Baues von Theophil Hansen aus dem Jahr 1883.

Zwischen diesen beiden Extremvarianten gelangen vier Varianten unter der Überschrift „Sanierung“ zur Abstimmung. Realistischerweise werden sich die Parlamentarier wohl für eine dieser Lösungen entscheiden. Für all jene, denen die rund 80-seitige Entscheidungsgrundlage eine umfangreiche Lektüre ist, wurde auch ein handlicher Folder mit dem Titel „Sanierung Parlament – Quo vadis?“ ausgearbeitet. Beides ist auf der Website des Parlaments abrufbar und enthält auch eine klare Empfehlung für eine „nachhaltige Sanierung“, die über die akut notwendige Herstellung eines den Gesetzen entsprechenden Zustandes des Gebäudes, Schadensbehebungen und absolut notwendige funktionale Verbesserungen hinausgeht. Sie enthält neben der Aktivierung vorhandener Raumreserven wie etwa des beeindruckenden Dachbodens weitere Verbesserungen der räumlichen Bedingungen für alle, die im Parlament arbeiten und es besuchen.

Als finanziell aufwendigste Sanierungsvariante wird auch ein „architektonisches Zeichen“ nach außen angeboten. Diese stößt unter gestaltungswilligen Baukünstlern und bei all jenen, die gern den Vergleich mit der touristisch attraktiven Kuppel von Norman Foster auf dem Berliner Reichstagsgebäude herstellen, auf große Sympathien und klingt nicht völlig absurd. Aber abgesehen davon, dass der Hansen-Bau von ungleich höherer Grandeur und Großzügigkeit ist, als es das Berliner Pendant war, und zudem der Denkmalschutz die Beibehaltung der Konturen verlangt, ist der Hansen-Bau auch nach heutigen Maßstäben repräsentativ und zeichenhaft genug. Ohnehin ist so eine spektakuläre Lösung auch nicht Gegenstand des laufenden Generalplaner-Verfahrens. Hier werden im Grunde die Varianten „Grundsanierung“ und „nachhaltige Sanierung“ abgefragt.

Ersteres wäre wohl eine sehr pragmatische Reparaturlösung, ohne auf besondere Antworten auf zeitgemäße Ansprüche inhaltlicher Natur hinzuarbeiten. Die „nachhaltige Sanierung“ hingegen würde sehr wohl Spielräume für eine umfassende Neustrukturierung und Neudefinition des Parlaments erlauben. Unter einem vorparlamentarischen Regime vor 130 Jahren entstanden, hat sich seine Nutzung ebenso intensiviert, wie sich der Parlamentarismus verändert hat. Die Herausforderung, dies architektonisch auf höchstem Niveau – mit Respekt vor dem Baudenkmal, aber dem Bewusstsein für heutige Ansprüche – umzusetzen, ist eine durchaus beachtliche. Es ist also, wie auch der Vorsitzende der Auswahl- und Bewertungskommission Architekt Ernst Beneder betont, in der Ausschreibung mehr verlangt als eine bloße Reparatur. Politisch offensiv kommuniziert wird dies allerdings kaum. Zu groß scheint die Angst zu sein, der Verschwendungssucht geziehen zu werden.

Dabei wäre dies – nach den viel zu wenig wertgeschätzten Interventionen von Max Fellerer und Eugen Wörle aus den 1950er-Jahren – die längst fällige Chance, das österreichische Parlament zu erneuern und seine Geschichte weiterzuschreiben: was die Baulichkeit und das demokratische Selbstverständnis angeht. Auch das 2005 fertiggestellte Besucher- und Pressezentrum von Geiswinkler & Geiswinkler hat gezeigt, dass Sanieren durchaus denkmalverträglich mit neuen Impulsen Hand in Hand gehen kann.

Leider besteht derzeit die Gefahr, dass vorlauter Kleingeist und als Zeichen des Sparwillens bei der Abstimmung über das weitere Schicksal des Gebäudes das Pendel in eine andere Richtung – nämlich die einer reinen Notlösung – ausschlägt. Dies könnte nicht nur den zehn Architekturbüros, die derzeit ihre Vorschläge bearbeiten, die Motivation nehmen, alle Spielräume auszuschöpfen und sorgfältig durchgearbeitete Beiträge abzuliefern, sondern wäre auch ein Armutszeugnis für unsere Republik. Seit dem abgesagten Umbau des Plenarsaals, der bereits 2008 Gegenstand eines Architekturwettbewerbs war, zugunsten einer größeren Lösung wurde auf allen möglichen Seiten bereits genug Porzellan zerschlagen. Mögen die Parlamentarier endlich den Mut aufbringen, einem der wichtigsten Baudenkmäler in diesem Land eine würdige Zukunft zu bereiten. Der monströse juristische Aufwand, mit dem das Projekt betrieben wird, und die Kontrolle durch Transparency International können im besten Fall für Rechtssicherheit und Korruptionsfreiheit sorgen. Architektonische Qualität ermöglicht oder verhindert in erster Linie das Wollen oder das Desinteresse der Entscheidungsträger.

Seit ein paar Wochen erhalten die Abgeordneten regelmäßig „Urlaubsgrüße aus Österreich“. Die von der Plattform Baukultur verschickten Postkarten zeigen keine Bilder, die den Schmäh von der gern beschworenen Idylle des Umweltmusterlandes Österreich untermauern, sondern solche, die veranschaulichen, in wie vielen Bereichen eine verantwortungsvolle Bau- und Raumordnungspolitik dringend nottäte. Missstände wie die fortschreitende Zersiedelung und Flächenversiegelung verschandeln nicht nur die Landschaft, sondern stellen auch enorme Kostenfaktoren für die Allgemeinheit dar, gegen die der Preis einer ordentlichen Parlamentssanierung eine Petitesse ist. Die Baukultur hat im Plenum des Nationalrates zwar keine große Lobby, vernunftbegabte Menschen an den entscheidenden Positionen sollten aber langsam erkennen, dass es Handlungsbedarf gibt, und daher den schönen Worten zur Baukultur Taten folgen lassen.

Spectrum, Sa., 2014.01.04

09. November 2013Franziska Leeb
Spectrum

Turm mit Sinn

Die Frage nach der Verträglichkeit von Hochhäusern ist ein stadtplanerischer Dauerbrenner. In Innsbruck führte eine lange Vorgeschichte zu einem ziemlich guten Ende.

Die Frage nach der Verträglichkeit von Hochhäusern ist ein stadtplanerischer Dauerbrenner. In Innsbruck führte eine lange Vorgeschichte zu einem ziemlich guten Ende.

Schon lang bevor ab den 1960er-Jahren die Hochhausbauten für das erste olympische Dorf anlässlich der Winterspiele emporwuchsen, entstand mit Lois Welzenbachers Stadtwerke-Gebäude in der Salurnerstraße 1926/27 Innsbrucks erstes Hochhaus. „Generell gibt es für Innsbruck kaum rationelle Gründe für Hochhäuser“, stellte hingegen 2002 das von der Stadt Innsbruck mit einer Hochhausstudie beauftragte Autorenteam, dem unter anderen die Architekten Pietro Caruso, Hermann Czech, Jourdan & Müller, Rainer Pirker, Rainer Köberl und Max Rieder angehörten, fest, um zugleich Potenzial aufzuzeigen, wo und unter welchen Bedingungen hohe Häuser möglich seien. Dabei wurden Zonen für „normale“ Hochhäuser ausgewiesen, aber auch ein spezieller Hochhaustyp namens „Urbanissima“ definiert, der überall widmungsfähig ist, sofern bestimmte Bedingungen der Qualitätssicherung und des sozialen Mehrwerts erfüllt werden. Die Innsbrucker Studie stieß auch im Ausland als mögliches Modell für den Umgang mit Hochhausprojekten auf Interesse. Aber just die Stadt, die sie beauftragt hat, glaubte sie schon wenige Jahre später nicht mehr ernst nehmen zu müssen.

Für das nächst dem Bahnhof gelegene Areal des im Jahr 2006 aufgelassenen Postverteilerzentrums wurde 2008 vom Investor PEMA ein Entwurf eines 60 Meter hohen Turms vorgelegt, mit dem der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser direkt beauftragt wurde. Das forsche Vorgehen des Bauwerbers, der versuchte, die gängige Praxis der Stadtplanung, bei Bebauungsplanänderungen von städtebaulich relevantem Ausmaß einen Architekturwettbewerb voranzustellen, zu umgehen, stieß auf heftigen Widerstand. Entgegen aller Bedenken wurde dasProjekt zwar im Bauausschuss genehmigt, nach neuerlichen Protesten aber anlassbezogen ein Fachbeirat einberufen. Dessen Vetogegen das Projekt machte schließlich im Herbst 2009 den Weg frei für einen Wettbewerb, zu dem neben ausgewiesen hochkarätigen heimischen Architekturbüros auch der Franzose Dominique Perrault geladen war, der mit den Rathausgalerien in der Altstadt schon zu Anfang des Jahrtausends zu einem angenehmen Stück Stadt beigetragen hat. Gewonnen haben den Wettbewerb aber Dieter Henke und Marta Schreieck, die als junge Architekten mit dem Neubau der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät beim Hofgarten vor rund 15 Jahren ebenfalls bereits ein gutes Sensorium für Innsbruck unter Beweis gestellt haben.

Ihnen gelang es nun, für den lange unter Negativ-Schlagzeilen besprochenen Standort ein dem Stadtbild zuträgliches Bauwerk zu erdenken, für das die Marketingexperten sinnigerweise den Namen „Headline“ gefunden haben. Es besteht aus einem lang gestreckten Sockelbau zwischen Bahngeleisen und Bruneckerstraße, der sich an den Traufhöhen der gegenüberliegenden Bebauung orientiert und schließlich vor der querenden Museumsstraße mit einem Turm einen vertikalen Akzent erhält. Das Gebäude sitzt knapp am Bahnviadukt. Von der nördlichen Grundstücksgrenze hält es so viel Distanz, dass der Kopfbau, der 49 Meter hoch wurde, die Blickachse aus der Museumsstraße nicht beeinträchtigt. So nimmt das Gebäude den Dialog mit der Umgebung auf: Der Schwung der Stirnfassade geleitet die Fußgänger durch die neu geschaffene Passage unter der Bahn durch und schafft eine attraktivere fußläufige Verbindung zwischen den Stadtquartieren dies- und jenseits der Bahn.

Entlang der Bruneckerstraße verjüngt sich der Sockelbau in einem sachten Knick zur Mitte hin, schwillt gegen Ende noch einmal an, um sich am Ende wieder verschmälert zum Bahnhof zu wenden. Das alles ist der Aufenthaltsqualität im Bahnhofsquartier sehr zuträglich. Bislang hatte man, auf dem Bahnhof angekommen, angesichts der heruntergekommenen Gegend um die Bruneckerstraße nur im Sinn, via einer der Passagen am Südtirolerplatz die Direttissima in die Altstadt zu nehmen. Nun bietet das Headline-Gebäude einen Anlass, die Route über die Museumsstraße zu nehmen, zu der es sich dank der auskragenden Obergeschoße witterungsgeschützt flanieren lässt, während man sich freut, dass es den Architekten gelungen ist, den Werbewildwuchs der im Haus ansässigen Unternehmen einzudämmen. Von der Untersicht der Auskragung abgehängte schmale Zylinder übernehmen die Funktion von Firmenschildern und beleuchten zugleich den Weg.

Während aus der Passantendistanz diese kleinen fußgängerfreundlichen Annehmlichkeiten das Gebäude sympathisch machen, ist es aus der Fernwirkung verblüffend, wie sehr sein Volumen im Weichbild der Stadt aufgeht. Das liegt einerseits natürlich daran, dass es sorgfältig in die Struktur der Stadt hineinmodelliert wurde, aber auch an der Art der Fassadengestaltung. Im Wettbewerb war noch Cortenstahl vorgesehen, um mit einem warmen Rostton die Farbtemperatur der Umgebung aufzunehmen. Vom Stahl ist man im Zuge der Planungsphase abgekommen und entschied sich schließlich für Keramik, bei der sich durch die Art der verwendeten Tone und Glasuren die gewünschte Farbigkeit sehr fein justieren lässt. Die Wahl fiel auf einen orange-braunen Ton, der je nach Witterung und Tageszeit leicht variiert.

Stark charakterbildend ist die Struktur dieser Verkleidung, deren aus drei unterschiedlich dimensionierten Kurven gebildeten Profile eigens von den Architekten entworfen wurden. Am Turm werden die Keramikstreifen nach oben schmäler, ehe eine wiederum breitere Attika als Abschluss deutlich signalisiert, dass hier keinerlei Ambition bestand, in den Himmel wachsen zu wollen. Die Keramikbänder fassen Turm und Flachbau zusammen und erhöhen so auch die hierarchische Stellung des Flachbaus, der von seiner Grundkonzeption her ein Raumangebot offeriert, das leider von den Mietern nur zum Teil genutzt wird. Einzig die Moser Holding bewies hohe Auftraggeberkompetenz. Die Räumlichkeiten des Verlagshauses wurden von den Innsbrucker Architekten Schlögl & Süß gestaltet, die es sehr gut verstanden, die vorgegebene Grundstruktur mit eingeschnittenen Atrien und hohen Erdgeschoßzonen zu nutzen.

Im Hotelturm, der schließlich nach einem Betreiberwechsel doch kein YOO-Hotel von Philipp Starck geworden ist, sondern der Designhotel-Ableger eines lokalen Traditionshotels, macht am meisten die Aussicht her. Eingelullt vom Gebirgs- und Stadtpanorama ist man milde gestimmt und bedauert gleichzeitig, dass sich die neuen Betreiber bei der Konzeption des Hotels nicht der Henke Schreieck Architekten bedienten. Es vielleicht nicht ganz das geworden, was in der Hochhausstudie mit dem Fantasiebegriff „Urbanissima“ benannt wurde – eine „schwammartige Struktur..., deren Hohlräume öffentliches Leben bis in große Höhen geradezu ansaugt“. Dafür bräuchte es entsprechende programmatische Vorgaben der Stadtplanung und einen dazu bereiten Investor. Aber es ist dennoch ein in der Stadt gut geerdetes Gebäude geworden. Wichtig ist, dass die Dachterrasse wie vorgesehen öffentlich und ohne Konsumationszwang zugänglich bleibt.

Spectrum, Sa., 2013.11.09

28. September 2013Franziska Leeb
Spectrum

Wohnen nach Wahl

Wohnen für jene, denen sich nicht die Frage nach „finanzierbar“ stellt, und eine neue Wohntypologie für das 21. Jahrhundert. Zwei Modelle, die Wohnbedürfnisse ernst nehmen: Vinzi-Dorf und „Wohnbau 5.0“.

Wohnen für jene, denen sich nicht die Frage nach „finanzierbar“ stellt, und eine neue Wohntypologie für das 21. Jahrhundert. Zwei Modelle, die Wohnbedürfnisse ernst nehmen: Vinzi-Dorf und „Wohnbau 5.0“.

Wohnen muss für alle leistbar bleiben. Wahlkampfzeit! Das Thema Wohnbau hatte also ein paar Monate Hochkonjunktur. Ja, es liegt einiges im Argen, und im Wohnbau gibt es etliche Schrauben, an denen zu drehen wäre. Zwei aus völlig unterschiedlicher Motivation entstandene Projekte von Wiener Architekturbüros zeigen auf, dass Wohnen in erster Linie bedeutet, seine – anonyme – Bauherrschaft ernst zu nehmen, aber auch, dass nicht die dicken Regelwerke die Welt besser machen.

Alexander Hagner und Ulrike Schartner vom Büro Gaupenraub bemühen sich seit Jahren darum, auf einem kirchlichen Grundstück in Wien-Hetzendorf ein Wohnprojekt für Menschen zu realisieren, denen sich nicht die Frage nach „leistbar“ stellt, sondern danach, ob sie überhaupt wohnen dürfen. Je nach Quelle divergieren die Zahlen, aber ob es nun 100 oder 700 Menschen sind, die in Wien unter Brücken oder in Abbruchhäusern dahinvegetieren – jeder ist einer zu viel.

Nach dem Vorbild des von Pfarrer Wolfgang Pucher in Graz eingerichteten Vinzi-Dorfes soll ein solches auch in Wien realisiert werden. Hagner hat sich damit auseinandergesetzt, wie eine Unterkunft beschaffen sein muss, damit Menschen, die nicht in der Lage sind, sich in die Bedingungen und Strukturen von Notschlafstellen oder Heimen einzugliedern, sich damit arrangieren können. Sie brauchen einen sicheren Rückzugsort, der ihr Bedürfnis nach Individualität erfüllt, und ein Umfeld, das Hilfe leisten kann, wenn sie notwendig ist. Er akzeptiert diese Bedürfnisse und entwickelte dafür ein taugliches Raumprogramm.

Je kleiner, umso besser, sagt Hagner und scheitert damit schon an den vorgegebenen Raumvolumina. Eine Raumhöhe von 2,20 Meter sei besser als die vorgeschriebenen 2,50 Meter, weil ein kleiner, niedriger Raum ein erster Anreiz sein kann, einen Unterschlupf aus Pappe, Ästen und Plastiksäcken zu verlassen. Jemand, der jahrelang nicht „richtig“ gewohnt hat, ist mit vielem überfordert, was Bauordnung und gesellschaftliche Konventionen vorsehen. Wichtig sei, dass es sich um einzeln stehende Module handelt, die möglichst wenig dazu zwingen, sich mit anderen auseinandersetzen zu müssen.

Nun sieht die Flächenwidmung aber für den Bauplatz eine „geschlossene Bauweise“ vor. Also wurde der Widerspruch zur raumprogrammatischen Notwendigkeit mit einem gemeinsamen Dach mit Oberlichten über den Zwischenräumen, das alle Module überspannt, gelöst. Hagner plädiert auch für sanitäre Anlagen außerhalb der Wohnzellen, damit sie gewartet werden können, ohne dass dazu jemand in die Intimsphäre der Bewohner eindringen muss. Sein Credo: Je mehr so eine Unterkunft auf die Bauordnung zugeschnitten ist, umso weniger entspricht sie dem potenziellen Bewohner. Wiederholt war das Projekt zwar von den Behörden positiv beurteilt worden, weil aber der Bezirk dagegen Einspruch erhob, landete der Fall bei der städtischen Rechtsabteilung, der offenbar nichts anderes übrig blieb, als die Baugesetzgebung zu bemühen, um gegen das (ausschließlich privat finanzierte) Projekt zu entscheiden.

„Nach sechs Jahren zeichnet sich nun ein Licht am Horizont ab“, ist Alexander Hagner froh, denn seit wenigen Tagen sieht es so aus, als würden ein paar Abänderungen im Sinn der Bauordnung ausreichen, damit das Projekt umgesetzt werden kann. Der Kompromiss tut der Baugesetzgebung Genüge, optimal für die Zielgruppe sei er aber nicht. Die praktizierten Lösungen im Wohnbau generell als nicht optimal erachtet das Architektenteam Češka Priesner Partner Architektur (ČPPA). Überwiegend sind es nur drei Modelle, die im Wohnbau der letzten 100 Jahre praktiziert wurden: das Einfamilienhaus, das Reihenhaus und der in städtischen Strukturen etablierte Geschoßwohnbau.

Als vierter Typus fand schließlich Mitte des 20. Jahrhunderts der verdichtete Flachbau seine Befürworter. Alle vier haben Nachteile – ökologisch, ökonomisch oder qualitativ. „Wohnbau 5.0“ übertitelten ČPPA daher eine umfassende Studie, die einen fünften Lösungsansatz propagiert, der die Vorteile der gängigen Typologien vereint und deren Nachteile minimiert. Während die Nachfrage nach kleinen Wohnungen mit Grünbezug parallel mit zunehmenden Singlehaushalten, Alleinerziehern oder kinderlosen Paaren steigt, stießen die Architekten beim Versuch, solche Wohnungen innerhalb eigener Siedlungen umzusetzen, immer wieder an Grenzen.

Als Ziel setzten sie sich daher die Entwicklung einer verdichteten Bauform, die überwiegend zweigeschoßig ist und damit eine relativ hohe Dichte erreichen kann, neue Grundrisslösungen für Kleinwohnungen mit Gartenbezug anbietet, die Nachteile des Reihenhauses – wie zu große Wohneinheiten und einsehbare private Freiräume – vermeidet und dank kompakter Baukörper die Baukosten verringert. Für zentrale Lagen in großstädtischen Agglomerationen ist eine derartige Siedlungsstruktur weniger geeignet. An den Stadträndern und in den ländlichen Gebieten ist es aber eine attraktive Alternative zum flächenfressenden Einfamilienhaus mit all seinen negativen Begleiterscheinungen.

Was nach der sprichwörtlichen eierlegenden Wollmilchsau klingt, ist ČPPA – vorerst auf dem Papier – tatsächlich gelungen. Anhand eines Katalogs von zehn Wohnungstypen und deren Kombinationen zeigen sie auf, dass die angepeilten Eigenschaften erfüllbar sind. Teure Tiefgaragen werden vermieden, stattdessen entstehen auf den Dächern der Parkplätze Wege, Gärten und Spielflächen. Sie entwickelten sogar einen Typus, der individuelles Wohnen in der Gruppe gestattet. Damit könnte der Kommunengedanke im geförderten Wohnbau Auferstehung feiern, realitätsnäher ist aber sein Einsatz im betreuten Wohnen, daher wurde vorsorglich darauf geachtet, dass er den Anforderungen an ein Wohnheim entspricht.

Oft genug stehen Reglements baurechtlicher oder fördertechnischer Natur und deren Auslegung einem wirtschaftlichen und zugleich humanen Wohnbaus entgegen, was auch die Erkenntnis aus dieser Studie ist. Zugleich belegt sie aber ebenso wie das Engagement von Gaupenraub, dass baukünstlerische Kreativität sich nicht in Fassadenbehübschung erschöpfen muss.

Spectrum, Sa., 2013.09.28

10. August 2013Franziska Leeb
Spectrum

Strengere Regeln, schönere Orte

Kann das durchorganisierte Gestaltungsregime in einer Ferienhaussiedlung zum Vorbild für den Umgang mit den Siedlungskernen werden? Hundstage in Neusiedl am See.

Kann das durchorganisierte Gestaltungsregime in einer Ferienhaussiedlung zum Vorbild für den Umgang mit den Siedlungskernen werden? Hundstage in Neusiedl am See.

Seit den 1920er-Jahren ist das „Meer der Wiener“ ein Anziehungspunkt für die hitzegeplagten Städter. Nehmen wir also die Hundstage zum Anlass, den Badeausflug mit einer Nachschau in Sachen Architektur zu verbinden. Denn im Gegensatz zu Österreichs westlichstem Bundesland Vorarlberg taucht das an Fläche wenig größere Pendant im Osten eklatant seltener im Architekturfeuilleton auf.

Und während der Vorarlberger Landeshauptmann zu Beginn dieses Jahres via Presseaussendung bekannt gab, dass das Land die Arbeit des Vorarlberger Architektur Instituts mit 155.000 Euro im Jahr unterstütze und den Beitrag der Architektur zu einem attraktiven Lebensraum für die Menschen wie auch deren Rolle als touristisches Zugpferd würdigte, wird der 1993 gegründete Architekturraum Burgenland kurz gehalten. Er erhält vom Land keine Basisförderung. Finanzielle Unterstützung gibt es bloß für einzelne Projekte, wie die Organisation des Architekturpreises des Landes Burgenland, den der Verein seit 2002 biennal abwickelt. Nun ist es gewiss nicht so, dass eine höhere Zuwendung an den trotz knapper Ressourcen recht aktiven Verein automatisch den Zustand der Baukultur verbessern würde. Dieser Zustand ist aber symptomatisch für ein allgemeines politisches Desinteresse an baukulturellen Anliegen, die über Prestigebauten hinausgehen.

Lässt man die Liste der Architekturpreisträger Revue passieren, so findet sich darunter doch manches, was auch in Vorarlberg gute Figur machen würde, schließlich arbeiten auch im Burgenland gute Architekten. Die Masse und auch der Durchschnitt des neu Gebauten bewegen sich aber weit entfernt am unteren Ende der Qualitätsskala. Dabei wären bauliche Kuriositäten wie die spiegelverglaste Großbäckerei mit Kipferlportal am Ortseingang von Neusiedl am See oder die schmucke Burg beim Frauenkirchner Erlebniscampingplatz ganz locker zu verschmerzen, würde sich nicht zusehends unverschämter ein baukulturelles Elend ausbreiten, das an der Schönheit der Ortsbilder saugt wie weiland die Reblaus an den Weinstöcken. Während man sich gegen das Insekt mit resistenten Direktträgern und der Rebveredelung zu wehren wusste, mangelt es noch an Mitteln, die geeignet sind, die Ortsbilder nachhaltig vor weiterer Verschandelung zu schützen und eine qualitätsvolle Entwicklung der Siedlungsstrukturen sicherzustellen.

Das Klischee vom charakteristischen burgenländischen Ortsgefüge mit seinengiebelständigen Streckhöfen existiert eher in der Erinnerung, in der Realität ist es nur noch in wenigen Orten vorzufinden. Es fehlten über Jahrzehnte wohl das notwendige Wissen und vor allem der Wille, diese bäuerlichen Strukturen für heutige Anforderungen zu erhalten und zu adaptieren. In der Broschüre „Pannonisch Wohnen“ der Tourismusinformation findet sich eine Reihe alter Winzer- und Bauernhäuser, die als Ferienunterkünfte adaptiert wurden. Hätte sichkeine touristische Nutzung gefunden, wären sie wohl dem Verfall preisgegeben. Unter „Verlust“ zu verbuchen sind auch die Bauten aus der Anfangszeit des Badetourismus. Um das Flair von damals wiederherzustellen, das uns eine Ansichtskarte aus dem Jahr 1929 vermittelt, die es gerade bei Ebay zu kaufen gibt, wären heute radikale Rück- und Neubaumaßnahmen vonnöten. Besagte Karte zeigt das Seebad Neusiedl am See, eine Anlage aus Pfahlbauten und Holzstegen, durchaus beeindruckend in der Größe. Seitdem einwandfrei designte Lokalitäten wie die an die Tradition der frühen Seebadarchitekturen anschließende Mole West in Neusiedl dem urbanen Volk wieder einen stilvollen Auftritt ermöglichen, scheint um den Neusiedler See nach den Jahrzehnten der Pusztaromantik ein frischer Wind zu wehen, der sich auch architektonisch – nicht immer zur reinen Freude der Naturschützer – niederschlägt.

So nähert sich derzeit in Neusiedl die Lagunensiedlung „Am Hafen“ der Fertigstellung, wahrscheinlich eine der letzten direkt am See möglichen Wohnbebauungen. Dass die Errichtung trotz des Welterbe-Status der Kulturlandschaft Fertö/Neusiedler See und trotz der strengen Kriterien des Naturschutzes überhaupt möglich ist, liegt daran, dass der Untergrund bereits in den 1970er-Jahren aufgeschüttet wurde. Nun ließen sich das Für und wohl noch mehr das Wider für Immobilienprojekte in den Uferzonen trefflich diskutieren, was die Entwurfskultur angeht, ist hier allerdings Beachtliches gelungen. Geplant von den Architekten der Mole West, Halbritter & Hillebrand, konstituiert sich die Siedlung aus einem dichten Gewebe unterschiedlicher ein- bis zweigeschoßiger Reihenhaustypen mit privaten Freiräumen und direktem Seezugang auf zwei Inseln und einem Streifen entlang der Seestraße.

Ein ambitioniertes Grün- und Freiraumkonzept zeugt von Bedachtnahme auf die Zwischenräume und das Umfeld. Damit die Homogenität des Siedlungsbildes gewahrt bleibt und nicht von den Eigentümern schon von vornherein oder in Hinkunftdurch eigene Gestaltungsaktivitäten verwässert wird, erarbeiteten die Architekten ein strenges Reglement, das Oberflächenmaterialien und Farben definiert und weitere Anbauten verbietet. Wie es scheint, unterwerfen sich die Siedlungsbewohner diesem Gestaltungsregime bereitwillig. Der Status der Eigentümerschaft im hochwertig gestalteten Ganzen trägt schließlich auch zum Distinktionsgewinn des Einzelnen bei. Nun stellt sich aber gleichzeitig die Frage, warum dieser Mechanismus bei den Hauseigentümern auf dem Festland nicht funktioniert beziehungsweise ob gleichermaßen strenge Regeln nicht auch dem Wildwuchs überall anders Einhalt gebieten könnten.

Es gibt zwar einen Welterbe-Gestaltungsbeirat, der Vorhaben prüft, die maßgebliche Auswirkungen „auf die räumliche, funktionelle und strukturelle Entwicklung des Welterbes und seines Erscheinungsbildes haben“, ansonsten herrscht das freie Spiel der Kräfte und Geschmäcker. Einzig Neusiedl leistet sich einen Gestaltungsbeirat. Dort wurden immerhin Spielregeln für das Bauen in der Hauptstraße aufgestellt, denen zufolge die Bauhöhe mit einem Obergeschoß limitiert wurde und Dachgaupen untersagt sind. Rein ästhetisch argumentierte Regulative greifen aber wahrscheinlich zu kurz. Es gibt wohl erst eine Chance, von einem Status des „Anything goes“ zu einem kollektiven Verständnis für das Bauen im Kontext zu gelangen, wenn auch die sozialen, ökonomischen und ökologischen Folgen von Zersiedelung und Verschandelung deutlich kommuniziert werden.

Die burgenländischen Siedlungsstrukturen bergen viel Potenzial für eine zeitgemäße und zugleich ensemblegerechte Weiterentwicklung innerhalb der Siedlungskerne. Dieses zu aktivieren ist ein Gebot der Stunde, wenn man das Ausfransen der Ortsränder stoppen und die Kompetenz für harmonische Gefüge nicht vollends an die Community der betuchten Ferienhausbesitzer abgeben möchte.

Spectrum, Sa., 2013.08.10

20. Juli 2013Franziska Leeb
Spectrum

Botanik, Bauten, Bücher

Weinviertler Kleinode, internationale Gartenkunst, Vorarlberger Architektur aus neuen Blickwinkeln – und ungebrochen aktuelle Texte von Josef Frank: die Architekturbücher der Saison.

Weinviertler Kleinode, internationale Gartenkunst, Vorarlberger Architektur aus neuen Blickwinkeln – und ungebrochen aktuelle Texte von Josef Frank: die Architekturbücher der Saison.

Zu keiner Jahreszeit ist es im Weinviertel schöner als im Sommer, wenn die Luft über den Getreidefeldern flirrt und nach reifem Korn und frisch geschnittenem Stroh duftet. Mit dem neuen Architekturführer aus der vom Verein Kunstbank Ferrum und ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich herausgegebenen Serie „Architekturlandschaft Niederösterreich“ gibt es nun auch einen guten Grund, die Feriensaison zur Entdeckung architektonischer Werte im Viertel unter dem Manhartsberg zu nutzen. Die Autorinnen Theresia Hauenfels, Elke Krasny und Andrea Nussbaum stellen Bauten seit 1919 bis heute vor. Darunter befinden sich lokale Ikonen, wie die einst berüchtigte Leobendorfer Kurven-Bar, ein Tankstellen-Espresso aus dem Jahr 1960 von Johann Staber, das von den Salzburger Architekten Axel Hupfauer und Simon Speigner inklusive originalem Terrazzoboden in die Gegenwart gerettet wurde und ein Anlass ist, sich dem Weinviertel zu nähern. Selbst Kenner der Region assoziieren mit Baukunst im Weinviertel wohl zuallererst die anonyme Architektur der Kellergassen und Kleindenkmäler.

Die Ausbeute an architektonischen Attraktionen hält sich durch die dörflich-kleinstädtische Struktur der einkommensschwachen Gegend tatsächlich in Grenzen. Die Freilichtbühne von the next Enterprise in Grafenegg hat geradezu ein Alleinstellungsmerkmal. Gleich viel Raum widmen die Autorinnen regionstypischen Zweckbauten wie dem mächtigen Getreidespeicher an der Korneuburger Donaulände oder den zahlreichen Kunstinterventionen im öffentlichen Raum. Eine Entdeckungsreise sei jedenfalls dringend empfohlen, auch um dem baukulturellen Bewusstsein in der Region auf die Sprünge zu helfen, dessen Mangel sich zusehends an den zersiedelten Ortsrändern und den wuchernden Gewerbegebieten abzeichnet. Sachkundig und kritisch tragen Essays zur Ressource Landschaft und ihrer Zerstörung (Dominik Scheuch), über die Transformation durch den Erdölabbau (Gerhard A. Stadler), die Bezüge zu den Nachbarregionen (Michael Stavarič, Henrietta Moravčíková) sowie ein Gespräch mit dem Lehmbauexperten Andreas Breuss zum Verständnis der Landschaft und des Bauens im Weinviertels bei.

Wen es über die Botanik des Weinviertels hinauszieht, dem sei als Vademekum das Buch „Der Garten als Wissensraum“ ans Herz gelegt, mit dem die Landschaftsarchitektin Karin Standler zu einer Reise zu den Gärten der botanischen Sammlungen in Europa einlädt. Aus 140 recherchierten Beispielen hat die Autorin auch nach architektonischen und gestalterischen Kriterien ein Best-of von 22 Sammlungsgärten zusammengestellt, darunter einige wohlbekannte wie Kew Gardens in London oder der moderne Jardí Botànic in Barcelona und mehrere viel weniger im touristischen Fokus stehende, wie die botanischen Gärten von Breslau, Zagreb oder Gießen. Allesamt sind sie Orte des Wissens ebenso wie des Experiments, aber auch der Rekreation und Inspiration. Städtebaulich relevant sind sie allein durch ihre Größe, oft waren sie zum Zeitpunkt ihrer Entstehung integraler Bestandteil urbanistischer Konzepte. Ein übersichtliches Buch, Text und Bilder in angenehmer Balance, das Lust macht, sich in die Materie zu vertiefen.

Karin Standler zeichnet auch für die Herausgabe des Katalogs „Best Private Plots – Die besten Gärten 2012“ verantwortlich, der anlässlich des gleichnamigen, von ihr initiierten und vom Land Niederösterreich ermöglichten international ausgelobten Preises erscheint. Rund 30 herausragende grüne Refugien aus aller Welt werden vorgestellt – vom Minigarten im Fastfood-Karton über Gemeinschaftsgärten bis zu eleganten Privatparks und Land-Art-Projekten. Einleitende Essays der Juroren betrachten unterschiedliche Aspekte von Gartenarchitektur und liefern nicht nur Ideen für den eigenen Garten jeglichen Maßstabs, sondern erinnern daran, dass auf den hiesigen Freiräumen viel Potenzial zu heben wäre.

Im Gegensatz zu Niederösterreich ist in Vorarlberg Architektur längst ein touristisches Zugpferd. Neue Blickwinkel aus soziologisch-ethnografischer Sicht steuert der Architekt und Architektursoziologe Günther Prechter bei. „Architektur als soziale Praxis – Akteure zeitgenössischer Baukulturen: Das Beispiel Vorarlberg“ heißt das jüngst erschienene Buch. Dass der Band außer dem Titelbild ohne Illustrationen auskommt, ist schon das erste Indiz, dass es sich um kein Architekturbuch handelt. Dennoch eröffnet es für alle an den Bedingungen zur Entstehung von Baukultur Interessierten aufschlussreiche Aspekte. Mit 16 Personen – Bauherren, Gemeindevertretern und Architekten – führte Prechter Interviews, die sich in Zitatform im Buch wiederfinden.

Diese „Zeugenaussagen“ vermitteln am besten die Atmosphäre, in der sich das, was gern als „Vorarlberger Architekturwunder“ betitelt wird, zusammenbrauen konnte. Gern würde man sie zur Gänze lesen oder hören, doch ist das Werk überkomplett. Denn während das Inhaltsverzeichnis mit schlicht übertitelten Hauptkapiteln Klarheit und Übersichtlichkeit suggeriert, ist es aufgrund der detaillierten Informationen leider lesetechnisch kaum in den Griff zu bekommen. Die zahlreichen Fußnoten nehmen gelegentlich halbe Seiten und mehr ein. Es ist jedenfalls einen Versuch wert, sich mit dem Buch ins Ländle zu begeben. Vermutlich gelingt es im Bregenzerwald leichter als in der Wiener Innenstadt, sich bei diesem achtbaren Werk den richtigen Lesefluss zu erarbeiten.

Gar nicht mühevoll hingegen ist die Lektüre eines Beitrags zur österreichischen Architekturbuchlandschaft. Tano Bojankin, Christopher Long und „Spectrum“-Autorin Iris Meder fassten alle auffindbaren veröffentlichten Texte von Josef Frank (*1885 Wien; + 1967 Stockholm) in einem zweibändigen Kompendium zusammen und machen das umfangreiche schriftliche Oeuvre des international anerkannten Architekten nun auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich. Dass das von Peter Duniecki gestaltete Werk auch bibliophile Interessen befriedigt, ist eine geradezu luxuriöse Draufgabe, denn allein die ungebrochene Aktualität von Franks kulturkritischen, oft auch witzigen und bissigen Texten ist wertvolle Stimulans zum klärenden Nachdenken über Architektur.

Spectrum, Sa., 2013.07.20

15. Juni 2013Franziska Leeb
Spectrum

Platte mit Präsenz

Aufgestockt und frisch eingefärbt, mutiert ein Studentenheim zum trendigen Hotel und ein tristes Eck zu einer pointierten Setzung in der Stadt: Wiens „25hours Hotel“ am Weghuberpark – eine Visite.

Aufgestockt und frisch eingefärbt, mutiert ein Studentenheim zum trendigen Hotel und ein tristes Eck zu einer pointierten Setzung in der Stadt: Wiens „25hours Hotel“ am Weghuberpark – eine Visite.

Anton Wildgans beschreibt 1928 in „Musik der Kindheit“ den heute als Zweierlinie bekannten Straßenzug von Museumstraße und Auerspergstraße, der zur Entlastung der Ringstraße vom Güterverkehr angelegt war und folglich Lastenstraße genannt wurde, als „Zeile der Lebendigen und Toten“. Er berichtet „vom ewig fließenden Strom des Verkehres“, der schweren Fuhrwerke, von den kaiserlichen Garden, die über die Lastenstraße zum Dienst in der Hofburg antraten, und von Trauerkondukten, die auf dieser „Heerstraße, Landstraße und dennoch Großstadtstraße“ vorbeizogen.

Wenn auch heute das Geschehen dort weniger pompös abläuft – die Mischung von Prunk und Banalität, die Wildgans in seinen Kindheitserinnerungen schildert, ist um den Weghuberpark, wo dem Dichter später ein Denkmal gesetzt wurde, immer noch nachvollziehbar. Auch eine gewisse Unwirtlichkeit ist in diesem Bereich spürbar: Dagegen richten weder die beiden Palais – das Trautson im Süden des Parks und nördlich davon das Auersperg – noch die Grünflächen viel aus, sofern man sich nicht in oder auf ihnen aufhält. Schräg gegenüber vom Weghuberpark mündet der Schmerlingplatz, den Camillo Sitte schon als „unrhythmische Stelle“ kritisiert hat, in die Auerspergstraße. Wenn der erste Bezirk ein Hintaus hat, dann liegt es hier.

Tritt man in die Lerchenfelder Straße ein, sind es nicht die Palais, die einem den Empfang bereiten, sondern Bauten, wie sie nüchterner kaum sein könnten. Rechter Hand wird im Anschluss an das Palais Auersperg das aus den frühen 1980ern stammende Amtshaus der Stadt Wien immer grauer. Vis-à-vis bot bis vor Kurzem das Ende der 1960er erbaute Studentenwohnheim einen kaum attraktiveren Auftakt, was gar nicht an der grundsätzlichen Qualität des von KurtSchlauss geplanten Gebäudes lag, sondern eher daran, dass es nicht ausreichend dominant den Beginn der Zeile besetzte.

In Betrieb ging das Haus 1969 nicht als Studentenwohnheim, sondern als Bürogebäude der Unido, die es bis zur Fertigstellung der UNO-City nutzte. Nach der Übersiedlung der UN-Organisation in die Donaustadt wurden die von Anfang an in jedem Zimmer vorgesehenen Badezimmer nachgerüstet und wurde das Haus seinem ursprünglichen Zweck übergeben, den es bis zum Sommer 2011 behielt. Damals thronte schon etliche Monate eine mittels parkseitig angebautem Liftturm erschlossene Glasbox über dem sechsstöckigen Stahlbetonbau, in der Hotelsuiten und eine Bar die Transformation des Hauses in ein Hotel ankündigten.

Verantwortet wird der Umbau von den Wiener BWM-Architekten, die vom Bauträger Jelitzka und Partner ab 2007 ins Boot geholt wurden, das Studentenheim zu einem Bürohaus umzubauen, ehe die Finanzkrise eine Hotelnutzung als lukrativere Option erscheinen ließ. Ein weiser Entschluss, wie sich im Nachhinein zeigt: Der Laden brummt. Was hat aber nun diese Umgestaltung abseits des wirtschaftlichen Erfolges von Besitzer und Pächter für das Gebäude und sein Umfeld in architektonischer und städtebaulicher Hinsicht gebracht? Aufbauten können den darunterliegenden Bestand ebenso arg beeinträchtigen wie das Stadtbild, wie uns der Wildwuchs an Aufstockungen mittlerweile in allen inneren Stadtbezirken vor Augen führt. Zudem sind gestalterisch gelungene Adaptierungen von Bauten der 1960er und 1970er eine Rarität. Deren strukturelle Qualitäten verschwinden beim Versuch, die Gebäude bauphysikalisch auf heutige Standards zu bringen meist hinter fetten Vollwärmeschutzfassaden. Energetisch mag das Vorteile bringen, ästhetisch sicher nicht.

Die BWM-Architekten waren sich dieser Gefahren bewusst und hatten sich neben diesen Herausforderungen auch noch mit einer sehr speziellen Baustellenlogistik zu arrangieren. Denn während das Studentenheim noch in Vollbetrieb war, galt es, den neuen dreigeschoßigen Aufbau zu errichten. Nach Auszug der Studierenden erfolgte dann die Adaptierung der bestehenden Substanz. Und die zeigte viele Qualitäten sowohl in der Gestaltung der Details als auch in der Raumökonomie. Kurt Schlauss hat das Gebäude durchaus zukunftsfähig konzipiert, meinen die Architekten, und daher war es – bei allen aus heutiger Sicht bauphysikalischen und schalltechnischen Makeln – sehr gut zu einem neuen Leben zu erwecken.

Sein größter Mangel, so Markus Kaplan –Partner der Bürogründer Erich Bernard, Johann Moser und Daniela Walten –, war, dass es städtebaulich zu defensiv war. Die Aufstockung verleiht ihm nun die notwendige Höhe, um mit der Umgebung in Dialog treten zu können. Mit dem gläsernen Aufbau wird das System des Bestandes weitergestrickt. Der Rücksprung wird zur Fuge, und obenauf dockt in neuer Materialsprache, aber ähnlicher Gelassenheit der neue Quader an, dessen oberstes Geschoß – eine Dachbar – wiederum zurückspringt. Die großartige Aussicht wurde medial bereits ausgiebig gewürdigt. Ebenso das sich um das Thema „Zirkus“ drehende Gestaltungskonzept, das die „25hours Hotel Company“ beim Augsburger Interiordesign-Büro Dreimeta beauftragt hat.

Kümmern wir uns lieber um die Gebäudehülle. Denn während innen radikal entkernt wurde, blieb an der Fassade das meiste beim Alten, auch wenn sie gründlich überabeitet wurde. „Von Anfang an war klar, dass der Waschbeton erhalten bleiben muss“, betont Erich Bernard. Also wurde innen gedämmt und außen nur lasiert. Die schwarze Farbschicht, die einheitlich über die Platten und Fugen gelegt wurde, unterstützt die Sichtbarkeit des Gebäudes im Stadtbild bedeutend. Die alten Fenster mussten ersetzt werden, keines der heutigen Produkte konnte mit den fein detaillierten alten Profilen mithalten, denn mag man es gut gedämmt, muss man statt der zarten Optik im besten Fall eine vollschlanke in Kauf nehmen. Eine Sonderanfertigung ließ das Budget nicht zu. Also baute man die neuen schwarzen Fensterrahmen so hinter der Betonfassade ein, dass die Proportion der Fassade gewahrt blieb.

An der Kante zur südlichen Seitenfassade endet das Schwarz, was nicht inkonsequent ist, sondern dazu beiträgt, dass sich das aufgemöbelte Gebäude gut mit dem Komplex des dahinterliegenden Mechitaristenklosters verwebt. Zur Öffentlichkeit hin pointiert in der Gestik, zur hochkarätigen Nachbarschaft hin respektvoll. Was der Bestand nicht so recht einzulösen vermochte, ist nun in seiner Überarbeitung gelungen.

Spectrum, Sa., 2013.06.15



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25hours Hotel

04. Mai 2013Franziska Leeb
Spectrum

Eintritt in eine andere Welt

Wohnatmosphäre statt Krankenhausgeruch lautet heute die Devise bei den Pflegeheimen. Im Pflegewohnhaus Wien-Liesing ist sie besonders nobel ausgefallen.

Wohnatmosphäre statt Krankenhausgeruch lautet heute die Devise bei den Pflegeheimen. Im Pflegewohnhaus Wien-Liesing ist sie besonders nobel ausgefallen.

Die Bewohner und Bewohnerinnen hätten sich sofort zu Hause gefühlt, erzählen die Pflegefachleute fast überrascht darüber, dass sich ihre betagten Schützlinge so rasch eingelebt haben. Schließlich sagt man älteren Menschen gemeinhin nach, nicht veränderungsfreudig zu sein. Das ist vermutlich sowieso ein Vorurteil, im Falle der Bewohnerschaft des Pflegewohnhauses Liesing aber gar kein so großes Wunder. Das alte Geriatriezentrum, aus dem sie vor wenigen Wochen hierher übersiedelten, bot wahrlich kein besonders behagliches Ambiente.

Der Schlosspark Liesing ist einer der traditionsreichsten Standorte der kommunalen Wiener Altenpflege. Bestehend aus einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert und dem 1878 nebenan errichteten „Versorgungsgebäude“ war – wie auch bei den anderen aus der Monarchie stammenden Pflegeheimen – die Zeit für einen Neubau überreif. Eine wohnliche Atmosphäre, die möglichst die vorhandene Maschinerie der Krankenhausinfrastruktur in den Hintergrund drängt, war auch hier eine Grundanforderung.
Weitere Anforderungen waren die Errichtung von überwiegend Einzelzimmern, Doppelzimmer nur für Paare und für jedes davon eine Loggia, die so barrierefrei ausgebildet sein muss, dass die Schwelle auch mit Pflegebetten leicht zu überwinden ist.

Die Arbeitsgemeinschaft bestehend aus dem Dornbirner Architekten Johannes Kaufmann und den Riepl Riepl Architekten aus Linz, die bereits bei Pflegeheimen in Dornbirn und Frankenmarkt kooperierten, hat den EU-weit ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen. Im Team mit dem vormaligen Mitarbeiter und Projektleiter Daniel Bammer firmieren sie mittlerweile unter Riepl Kaufmann Bammer Architektur auch in Wien.

Ihr Konzept zielt darauf ab, die Qualitäten der Parklage mit jenen der lebendigen Umgebung nächst dem Liesinger Bahnhof zu verknüpfen. Indem sie den Neubau als kompaktes Karree mit großen Innenhöfen entlang der Haeckelstraße anordnen, spielen sie Flächen für eine großzügige Parklandschaft um das Schloss frei und organisieren zugleich das Areal neu, in das nun auch das bestehende Parkbad im Süden des Geländes eingebunden werden kann. Der Pflegeheimtrakt aus dem Jahr 1878 wird abgerissen.

Der Neubau gewährt viele Schnittstellen und Durchdringungen zwischen Park und Pflegewohnhaus. Schon die Vorzone an der Straße ist landschaftsplanerisch gestaltet. Parkseitig blieb das verglaste Erdgeschoß etwa zur Hälfte zum von den 3:0 Landschaftsarchitekten sehr erlesen gestalteten Garten hin frei. Damit wurde unter dem Gebäude hindurch ein gefühltes und tatsächliches Freiraumkontinuum vom Vorplatz über die Höfe mit altem Baumbestand bis in den öffentlichen Park geschaffen.

Im Grundriss mag das Gebäudekonzept nüchtern erscheinen, und man konnte sich vom Plan weg gar nicht so leicht vorstellen, dass innerhalb dieser pragmatischen Geradlinigkeit tatsächlich ein wohnliches Milieu entstehen könnte. Nun, fertiggestellt und bewohnt, erweist es sich nicht zuletzt durch die sorgfältige und handwerklich präzise ausgeführte Materialisierung enorm behaglich und von einer Hochwertigkeit, die Wertschätzung gegenüber jenen, die dort wohnen und arbeiten, ausdrückt.

Die Fassadenverkleidung aus Messingtrapezlochblech erdet das Gebäude farblich in der Parklandschaft und bildet zudem für die benachbarte Bebauung aus der Zeit um 1900 ein wertiges Gegenüber. Das Material setzt sich im Erdgeschoß als Deckenverkleidung fort. In Kombination mit dem Bodenbelag aus schwarz-weißem Terrazzo mit einer Gesteinskörnung aus Carrara-Marmor, der sich in Form der Treppen nach oben fortsetzt, und den mit Ulmenfurnier belegten Wandverkleidungen wurde ein elegantes, einladendes Ambiente geschaffen. In den drei Obergeschoßen des Karrees sind jeweils vier l-förmige Pflegewohnbereiche angesiedelt.

Zwei gläserne Spangen, die den internen Freibereich in drei Höfe unterteilen, sorgen für kurze Wege innerhalb der Geschoße. Zudem ermöglichen sie Rundgänge, die jeweils über zwei Pflegewohnbereiche – so werden die Stationen jetzt genannt – führen. Die Orientierung innerhalb wird durch subtile Maßnahmen unterstützt: Alle Gänge führen zum Tageslicht. Die abgehängten quadratischen Leuchten in den Tagräumen wurden in den Gangbereich erweitert und zeigen so schon von Weitem die Lage der Gemeinschaftsflächen an. In die Gänge wurden die nach Station unterschiedlich farbigen Zimmerböden unter den Türen ein Stück hinausgezogen und dienen nun ebenso als dezente Markierungen wie die im Bereich der Türdrücker mit einem dunklerem Nussholzstreifen versehenen Eichenportale der Zimmer.

Die Doppelzimmer sind paarweise zueinander gespiegelt nach Norden angeordnet und teilen sich jeweils eine Loggia. Die Einzelzimmer sind auf durchlaufende, mit Paravents voneinander abgeschotteten Balkonbändern zum Park oder Hof hin orientiert. Messingverkleidete Schiebepaneele, trotz massiver Optik erstaunlich leicht zu bedienen, gestatten die individuelle Beschattung der Freiräume.

Dass den Menschen der Umzug leichtfiel, liegt gewiss auch an Bele Marx und Gilles Mussard. Die beiden haben über viele Monate lang die alten Leute besucht, mit ihnen gekocht und auf diese Weise viel über die verschiedenen Lebensgeschichten und Sorgen erfahren. Auf etlichen Glasflächen sind die Ergebnisse dieser gegenseitig bereichernden Besuche sichtbar. „Wisst ihr, ich habe Sternenstaub auf mich rieseln lassen.“ Die Buchstaben dieses Zitats eines Bewohners bilden das nach Art eines Kaleidoskops strukturierte Muster, das am Eingang zum Sinnbild für den Eintritt in eine andere Welt wird, während das Buchstabengewirr zur Metapher für das Innenleben der Menschenwird.

Im Vorraum des Andachtsraumes schaffen sie mit einem kaleidoskopartigen Rapport einer Häkelarbeit aus der Ergotherapiegruppe eine ruhige Atmosphäre von heiterer Grundstimmung. Der Andachtsraum selbst liegt als holzverkleidete Schatulle unter dem aufgeständerten Gartentrakt. Innen mit Holzboden und gestockten Sichtbetonwänden ausgestattet, strahlt er eine erdige Ruhe aus. Die Künstlerin Svenja Deininger verlieh ihm mit einem strahlend weißen Faltobjekt, einer Textilarbeit und einem schlanken Holzkörper Akzente, die eine sakrale Ausstrahlung unterstützen.

Ein schöner Ort ist das. Und er könnte auch jenen einmal gefallen, die jetzt gern zu Zumthor baden gehen oder in Hotels von Nouvel logieren.

Spectrum, Sa., 2013.05.04



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Geriatriezentrum Liesing

23. März 2013Franziska Leeb
Spectrum

Vom AzW zum AmÖ?

Das Architekturzentrum Wien präsentiert Teile seiner Archivbestände in einer Ausstellung: „Das Gold des AzW“ – ein starkes Argument für ein österreichisches Architekturmuseum.

Das Architekturzentrum Wien präsentiert Teile seiner Archivbestände in einer Ausstellung: „Das Gold des AzW“ – ein starkes Argument für ein österreichisches Architekturmuseum.

Kennen Sie Rolf Geyling? In Wien plante der aus einer Glasmalerfamilie stammende Wagner-Schüler Remisen und Wartehallen für die Städtischen Verkehrsbetriebe, gründete danach eine Fertigteilfabrik in Bukarest. 1920 floh er aus russischer Kriegsgefangenschaft nach China, wo er zu einem der „wichtigsten Vertreter der europäischen modernen Architektur in der 1.Hälfte des 20. Jahrhunderts“ wurde. Quelle: das online frei verfügbare Architektenlexikon des Architekturzentrum Wien (AzW). Exzellent recherchiert entwickelte es sich seit 2005 zum wichtigsten Nachschlagewerk über die österreichischen Architekten aus der Zeit zwischen 1770 und 1945. Viel darin enthaltenes Detailwissen wird gespeist aus den Nachlässen, die das AzW sammelt, archiviert und aufarbeitet. Zusammen mit Vorlässen noch lebender Architekten, dem Achleitner-Archiv und über die Jahre zusammengetragenen Einzelobjekten bilden sie die Sammlung des AzW. Mangels entsprechender Möglichkeiten in Wien lagern Tausende Pläne, Zeichnungen, Modelle und Dokumente aus über 50 Vor- und Nachlässen in Möllersdorf.

Zum 20-jährigen Bestandsjubiläum der Institution wird ein Teil der Schätze nun erstmals der Öffentlichkeit unter dem Titel „Das Gold des AzW“ in einer Ausstellung präsentiert. Selbst für Zeitgenossen, die über die wissenschaftliche Arbeit des AzW informiert sind, tun sich bislang ungeahnte Weiten eines kulturhistorischen Universums auf. „Etwas vollmundig“ nennt die Architekturplattform baunetz.de den Ausstellungstitel, wohl ohne sich um tieferen Einblick bemüht zu haben. Denn auch wenn man sich im AzW nicht an Glanz und materiellem Wert von Schaustücken aus Edelmetall delektieren kann, macht die Ausstellung erstmals physisch spürbar deutlich, wie hochkarätig die Sammlung und wie umfassend und ambitioniert die wissenschaftliche Arbeit seiner Mitarbeiter ist.

Das Team der BWM-Architekten zeichnet für die Gestaltung der Schau verantwortlich, die ihre Aufmerksamkeit nicht nur auf die Exponate, sondern auch auf den Vorgang des Sammelns und Archivierens lenkt. Ein Archiv ist mehr als die Summe der Objekte, so der federführende Ausstellungsgestalter Johann Moser, und deshalb war es BWM wichtig, auch die Arbeit, die dahintersteckt, vorzustellen. Monika Platzer, Sammlungsleiterin, und mit Sonja Pisarik, Katrin Stingl und Ute Waditschatka eine der Kuratorinnen der Ausstellung, weiß von abenteuerlichen Rettungsaktionen zu berichten: etwa als man in letzter Minute, als schon die Bagger den Abriss der „Stadt des Kindes“ vorbereiteten, die Fotografin Pez Hejduk losschickte, das Baudenkmal fotografisch zu dokumentieren, und das Team des AzW noch Einrichtungsgegenstände rettete. Oder von Nachlassübernahmen, die mit Schutzkleidung ausgerüstet vonstatten gingen, um sich vor den Schimmelpilzen zu schützen, der sich über Jahrzehnte zwischen Plandokumenten ausgebreitet hatte.

Ein großes Metallregal, das fast die gesamte Länge der Alten Halle des AzW einnimmt, wurde an einer Seite in Form abstrahierter Archivschränke gestaltet, die einen Überblick über die Sammlungsbestände geben. In Auszügen und Laden werden mittels Videos, Fotos und Einzelobjekten einige besonders eindrucksvolle Akquisitionshistorien erzählt. An der Rückseite werden thematisch gegliedert und in Petersburger Hängung Zeichnungen, Pläne und Modelle aus der Sammlung präsentiert. Die Objekte unterschiedlicher Autoren beginnen miteinander zu kommunizieren, liefern Parallelen und Querverweise und eine Übersicht über die Fülle der Sammlung.

Die gelieferten Impressionen und Informationen sollten genügen, um zu verstehen, warum das AzW schleunigst mit mehr Raum und mehr Geld ausgestattet werden muss, um seinem Selbstverständnis als nationalem Architekturmuseum nachzukommen. An keinem anderen Ort wird mit dieser Expertise und in diesem Ausmaß zur Architektur des 20. Jahrhunderts gearbeitet. Architekturvermittlung ist seit etlichen Jahren in aller Munde. Es lässt sich aber nur vermitteln, was man weiß. Neben dem Ausstellungs-, Vortrags, Exkursions- und Diskussionsprogramm hat das AzW in den vergangenen Jahren an die 500 Workshops für Kinder, Jugendliche und Erwachsene in seinen Räumlichkeiten abgehalten. Diese nicht hoch genug zu schätzende Arbeit stand bisher mehr im Blickpunkt der Öffentlichkeit als das, was im Hintergrund geschah und von vielleicht noch eminenterer Bedeutung für das baukulturelle Wissen und Gewissen unseres Landes ist.

Um die Sammlung öffentlich zugänglich zu machen, fordert das AzW seit Jahren neue Räumlichkeiten und mehr Budget. Die Begehrlichkeiten nach dem derzeit von der Akademie der bildenden Künste genutzten Semperdepot sind bekannt – solange die Akademie nicht ausziehen will, aber fern der Erfüllung. AzW-Geschäftsführerin Karin Lux beziffert den Raumbedarf mit rund 9.000 Quadratmetern und das notwendige Programmbudget mit 5,5 bis 6,5 Millionen Euro. Vom derzeitigen, seit 2001 stagnierenden Gesamtbudget von 2,8 Millionen kommen 1,45 Millionen Euro von der Stadt Wien und beschämende 360.000 vom Bund.

An eine Aufarbeitung, Präsentation und Publikation der Nach- und Vorlässe, etwa von Raimund Abraham, Wilhelm Holzbauer, Josef Lackner, Eva und Karl Mang, Anton Schweighofer, Heinz Tesar, Rudolf Wäger, Traude und Wolfgang Windbrechtinger oder dem Architekturpublizisten Walter Zschokke, ist dabei nicht zu denken. Monika Platzer träumt neben mehr Raum und Geld auch von Stipendien, die Wissenschaftlern aus dem Ausland die Arbeit zur österreichischen Architektur überhaupt ermöglichen. Denn erst, wenn ein Werk wissenschaftlich untersucht ist und publiziert wurde, hat es eine Chance auf Wertschätzung. Diese ist für die Architektur nach Otto Wagner hierzulande unterentwickelt. Möge die Gold-Schau mit ihrem Begleitprogramm dazu beitragen, dass diese Schätze irgendwann dauerhaft adäquat präsentiert werden können. Es wäre kein Schaden für Stadt und Republik, wenn das AzW nach 20 Jahren zum AmW oder gar zum AmÖ, einem Architekturmuseum Österreichs, mutierte.

Spectrum, Sa., 2013.03.23



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Architekturzentrum Wien

22. Februar 2013Franziska Leeb
Spectrum

Zubau mit Folgen

Wien-Döbling: Wenn schnelle Lösungen auf den Tisch sollen, wird auf die Qualität oft vergessen. Es geht aber auch anders: Lokalaugenschein in der Ferstel-Volksschule.

Wien-Döbling: Wenn schnelle Lösungen auf den Tisch sollen, wird auf die Qualität oft vergessen. Es geht aber auch anders: Lokalaugenschein in der Ferstel-Volksschule.

Viele der Wiener Volksschulen stammen aus der Gründerzeit. Für ihre Qualität spricht, dass sie mehr als ein Jahrhundert lang Potenzial für Anpassungen geboten haben, auch wenn die Veränderungen selten das gleiche baukulturelle Niveau der Bestandsbauten erreichten. Evident ist, dass die Gebäude sich nicht in dem Ausmaß verändert haben wie die pädagogischen Konzepte. Der Ausbau der Nachmittagsbetreuung, ganztägige Schulkonzepte und neue Unterrichtsformen erfordern zusätzliche Räumlichkeiten, die es in vielen Schulen schlichtweg nicht gibt. Die Volksschule Mannagettagasse im 19. Bezirk wurde inden Jahren 1871/72, als Grinzing noch eine eigenständige Gemeinde war, errichtet. Geplant hat die unweit von seiner Villa in der Himmelstraße gelegene Schule der Ringstraßenarchitekt Heinrich Ferstel im Stil einer der damals ländlichen Umgebung entsprechenden typischen Dorfschule. Man spürt die Bemühungen des Personals, das Haus für die Kinder zu pflegen und hübsch zu gestalten, was aber im Inneren nicht darüber hinwegtäuschen kann, dass es die Stadt viele Jahre lang versäumt hat, das Baudenkmal als solches zu behandeln.

Rechtzeitig zum heurigen Schuleinschreibungstermin haben für die Ferstel-Schule dank einer Erweiterung durch die Architekten Runser und Prantl wieder bessere Zeiten begonnen. Ehe die Sanierung des Bestands in Angriff genommen wird, fügten sie einen Zubau mit vier Volksschulklassen, einer Vorschul- und einer Freizeitklasse sowie entsprechenden Nebenräumen hinzu. Nach einem 2011 bezogenen Zubau in Holzbauweise von Architekt Michael Schluder in der Prückelmayergasse ist die Grinzinger Schule die zweite in Wien, die sich freuen darf, dass Holz statt Blech zum Einsatz kam. Denn ansonsten ist es Praxis, sich bei schulischer Raumnot mit Containern zu behelfen, denen man den verschleiernden Titel Mobilklassen gegeben hat. Es versteht sich fast von selbst, dass der Holzbau damit konkurrenzfähig sein musste. Nun sind Runser und Prantl als sehr akribisch auf exakt ausgeführte Details achtende Architekten bekannt. Kann das bei einem Schulgebäude, bei dem unterschiedliche Magistrate, die Nutzer und vor allem das Zeit- und Kostenkorsett den Architekten das Leben schwer machen, gut gehen? Ja, es kann und ist ein Segen, dass gerade hier, wo die Umstände zur Rationalität drängten, Planer engagiert wurden, die genug Energie haben, sich für scheinbare Kleinigkeiten einzusetzen und zugleich bedachten, auch Probleme des Altbestandes zu lösen.

Sie stellten den zweistöckigen Neubau in Distanz zum Bestand auf das gleiche Niveau wie jenes des Altbau-Erdgeschoßes und deckten den Weg dazwischen mit einem Flugdach, das im Zuge der Bestandssanierung zu einer gedeckten Brücke aufgerüstet werden kann. So erreichen sie auf beiden Ebenen eine barrierefreie Verknüpfung. Da das alte Gebäude sowohl von der Straßenseite als auch vom Garten bisher nur über Treppen zugänglich war, schufen sie mit einem Garteneingang und einer entsprechenden Wegführung einen stufenfreien Zugang. Sobald die Brücke, die mit möglichst geringfügiger Beeinträchtigung des Altbaus an denselben über bestehende Fensteröffnungen angeschlossen werden soll, errichtet ist, kann die Schule als einheitlicher Gebäudeorganismus genutzt werden. Währendin den gängigen Containerbauten eineRaumhöhe von 2,50 Metern vorgegeben ist, konnten hier dank der Vorgaben des Bestandes drei Meter realisiert werden. Die Stellung des neuen Bauteils nimmt Rücksicht darauf, dass viel Gartenfläche erhalten bleibt. Durch die Überdachung und die Gestaltung des Übergangs zwischen den beiden Freiraumniveaus entlang der neuen Wegführung mit einer flachen kleinen Treppenanlage entstand ein Freiraumangebot, das auch bei schlechter Witterung für Pausen im Freien nutzbar ist.

Die Konstruktion des neuen Schultraktes wurde in vorgefertigten Teilen Brettschichtholz gelöst. Innerhalb von vier Tagen war der Rohbau aus Holz montiert. Die Fassade wurde mit anthrazitfarbenen Faserzementplatten verkleidet, der eine ähnliche Anmutung hat wie alter Dachschiefer und so auch in der Farbsprache eine Verbindung zum Altbestand herstellt. Die Holzwände blieben innen dort, wo weder Schall- noch Brandschutzanforderungen eine zusätzliche Beplankung erforderten, sichtbar. Sie sind weißlasiert, und die durchschimmernde Holzmaserung sorgt für eine feine Atmosphäre. Es gab keinen Spielraum für Extravaganzen.

Dass die Schule dennoch als angenehmer Ort empfunden wird, hat damit zu tun, dass die Architekten nichts dem Zufall überließen und in einigen Detailfragen beharrlich blieben. So durften die Klassentüren nureine Öffnung von 90 mal 200 Zentimetern haben. Um eine spätere Aufweitung nicht von vornherein unmöglich zu machen, sahen die Architekten breitere Löcher in den Wandscheiben vor, in die sie Portalnischen setzten, die nun eben den vorschriftsmäßigen Türflügel enthalten, deren geschlossene Seitenteile aber leicht entfernbar wären und durch breitere Türen oder transparente Teile ersetzt werden können. Dass die Schränke in den Klassenzimmern auf die Höhe dieser Türelemente abgestimmt sind, ist Ehrensache. Ansonsten gab es in Hinblick auf die Möblierung wenig Gestaltungsfreiheit. Was als lächerliche Marginalie erscheinen mag, trägt gerade an einem Gebäude, von dem die Bauherren nicht mehr als die Erfüllung eines in Kosten, Kubatur und Termine gezwängten Bedarfs verlangen, dazu bei, dass die Zwänge nicht an allen Ecken und Enden spürbar sind.

Viel ist von Nachhaltigkeit die Rede; meist ist damit nur die Ökobilanz eines Gebäudes gemeint. Gerade bei Schulen sollte – wie Runser und Prantl es machten – auch auf so etwas wie eine gestalterisch-pädagogische Nachhaltigkeit geachtet werden. Immer wieder berichten Lehrerinnen, die mit ihren Klassen aus alten Räumen in neue (Holz-)bauten übersiedeln, dass die Kinder ausgeglichener seien. Hat irgendjemand bereits untersucht, ob Kinder, die in gut ausgestatteten, gesunden und inspirierenden Räumen ihren Schulalltag verbringen, nachweislich bessere Ergebnisse bei den Leistungsfeststellungstests erbringen?

Spectrum, Fr., 2013.02.22



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Zubau Volksschule Mannagettagasse

12. Januar 2013Franziska Leeb
Spectrum

Wer hat Angst vor der Kunst?

Interventionen gegen die visuelle Verschmutzung der Stadt: Unter der Erde präsentiert sich Wiens öffentlicher Raum urbaner als darüber. Eine Reise durch den Untergrund.

Interventionen gegen die visuelle Verschmutzung der Stadt: Unter der Erde präsentiert sich Wiens öffentlicher Raum urbaner als darüber. Eine Reise durch den Untergrund.

Blumentöpfe von rustikal bisgrellpink, Leuchtplakate, Schanigartenumrandungen, die Hüttendörfer der Saison und dieEventkultur besetzen die Zwischenräume der Stadt längst in einem Ausmaß, das körperlichen Schmerz bereitet. Sie behindern den fußläufigen Verkehrsfluss und machen aus Flaneuren Hindernisläufer. Die visuelle Verschmutzung macht selbst vor den schönsten Ecken der Stadt nicht halt und verschluckt sie wie eine Riesenkrake, die alles frisst, wovon sie nicht gefressen wird.

Sie hätte noch nie zuvor gesehen, wie der Rathausplatz wirklich aussieht, meinte eine Elfjährige irgendwann im Herbst, als uns ein glücklicher Zufall just an dem Tag (zu der Stunde?) zum Rathaus führte, als davor nicht nur nichts stattfand, sondern nicht einmal der Aufbau für die nächste Veranstaltung im Gang war. Wie wäre es, den leeren Platz ins Veranstaltungsprogramm aufzunehmen, damit die Kinder dieser Stadt ihn einmal im Leben gezielt frei von den Verlockungen des Konsums erleben können?

Wie erfreulich gestaltet sich hingegen neuerdings eine Reise durch den Untergrund! Ja, gewiss: Das sogenannte „Station Branding“, mit dem der Plakatier-Platzhirsch Gewista in stark frequentierten Stationen „unterirdische Werbewelten inszeniert“, quält, auch wenn es viele Zeitgenossen für einen Ausdruck von Urbanität halten. Wenigstens sind die Projekte zeitlich begrenzt. Berechtigte Hoffnung auf dauerhafte Werbefreiheit besteht jedoch dort, wo künstlerische Interventionen die unterirdischen Räume besetzen und wo Wien sich weltstädtischer präsentiert, als man es gewohnt ist.

Seit einigen Jahren kooperieren sowohl die Wiener Linien als auch die für Brückenbau und Grundbau zuständige Magistratsabteilung 29 mit der städtischen Förderungsorganisation KÖR (Kunst im öffentlichen Raum GmbH). Seit 2004 ist dort die Kunst für den öffentlichen Raum der Hauptstadt institutionalisiert und damit auch der Wildwuchs an Gefälligkeitsaufträgen für Kunstprojekte in der Stadt etwas eingedämmt. 130 Projekte wurden in diesen Jahren umgesetzt. Zurzeit liegt im Zuge der U-Bahnausbauten und Sanierungen sowie der Errichtung des Hauptbahnhofs ein Schwerpunkt bei der Gestaltung von Passagen.

Wie Ricky Renier, KÖR-Projektkoordinatorin, erzählt, erwiesen sich die Wiener Linien als sehr guter Auftraggeber, der noch nicht vom Virus der Angst vor der Kunst befallen sei. Den Beginn einer neuen Ära der U-Bahnkunst markiert die Karlsplatz-Westpassage, wo die Arbeit „Pi“ des in Kanada lebenden Künstlers Ken Lum die Passanten mit kontinuierlich aktualisierten globalen und lokalen Fakten auf raumhohen Spiegelpaneelen durch den Untergrund begleitet. Ebenfalls am Karlsplatz, im Zwischengeschoß, das zu den U-Bahnlinien U1 und U2 führt, ist seit etwa einem Jahr die alle Wände umfassende Arbeit von Peter Kogler eine erfreuliche Intervention. Das flächendeckend aufgebrachte – aus dem Œuvre des Künstlers vertraute – verzweigte Röhrenmotiv definiert den architektonischen Raum, erweitert ihn und schafft ein völlig neues Erlebnis in einem zuvor wenig attraktiven Transitraum.

Der Südtiroler Platz, zwei Stationen weiter, war bislang auch kein Ort, an dem man gern verweilte. Auf vier auf unterschiedlichen Niveaus befindlichen Flächen in der Passage zum neuen Hauptbahnhof und zum Bahnsteig der Unterflurstraßenbahn hat Franz Graf eine bunte Mischung aus Fotografien, Zeichnungen und Textfragmenten zur Installation „SUED“ collagiert. Ihr Titel erinnert an den nicht nur baulich, sondern auch namentlich nicht mehr existenten alten Südbahnhof und macht irgendwie auch bewusst, dass die U-Bahnstation durchaus die direkte schnelle Anbindung an den Bahnhof ist, selbst wenn die Stationsbezeichnung „Südtiroler Platz“ Ortsunkundige nach wie vor irritiert. Das Verwirrspiel hat in Wien ja auch an anderen relevanten Verkehrsknoten System. Dass die U-Bahnstation Landstraße direkt zum Bahnhof Wien Mitte führt und die Station Philadelphiabrücke den Bahnhof Meidling mit Reisenden speist, haben gelernte Wiener Öffi-Benützer verinnerlicht, Touristen und Gelegenheitsreisende werden aber regelmäßig in schwere Verunsicherungen gestürzt.

Für die Realisierung von Franz Grafs Kunstwerk haben die Österreichischen Bundesbahnen und die Wiener Linien immerhin einträchtig mit KÖR kooperiert. SUED reflektiert die Stimmung des Raums, in dem die Passagiere sich ihre Wege zu den lokalen, regionalen und bald auch internationalen Verkehrsverbindungen bahnen. Die bunte Mischung einzelner Motive, eine Art Auszug aus Grafs Gesamtwerk, entspricht dem Charakter des Ortes mit seinem heterogenen Nutzerspektrum. Sie wird auch im Vorbeigehen wahrgenommen, und doch gibt es genug Plätze, an denen es sich verweilen lässt, um genauer hinzuschauen und einen Versuch der Dechiffrierung zu unternehmen.

Mit der Straßenbahnlinie 18, die am Margaretengürtel in den Untergrund abtaucht und diesen am Wiedner Gürtel wieder verlässt, setzen wir von hier die Reise zu einem der jüngsten Passagenkunstwerke fort. Vorbei an den Großbaustellen um den Hauptbahnhof geht es zur Station Heinrich-Drimmel-Platz, wo eine neue Passage der Unwirtlichkeit des städtischen Umfelds entgegenwirkt. Sie wurde von der MA 29 an der Kreuzung des Gürtels zwischen Ghegastraße und Adolf-Blamauer-Gasse als fußgängerfreundliche Querverbindung von der Straßenbahn zum Stadtentwicklungsgebiet Eurogate auf den Aspanggründen errichtet. Hier bot sich der glückliche Fall, dass das Kunstprojekt parallel zum Bauprojekt entstehen konnte, also bereits vor Baubeginn des Fußgängertunnels das Ergebnis des Kunstwettbewerbs feststand.

Gerold Tagwerker entwickelte in einer schlichten, nichtfarbigen Materialisierung eine Arbeit, die der Aura des schlichten Tiefbauwerks einerseits durchaus entspricht, sie andererseits aber subtil in einen städtischen Erlebnisraum überführt. Felder aus grauen keramischen Platten und ein Raster aus vertikalen und horizontalen Streifen aus Spiegelfliesen bilden ein dezentes Ornament, dasden Durchgangsraum in Länge und Höhe rhythmisiert. Farbreflexe steuern die Spiegelungen der Passanten bei, die zu Hauptdarstellern eines Kopfkinos werden, das sich wie in abgehackten Filmsequenzen in den regelmäßig wiederkehrenden Spiegelstreifen abspielt.

Das Tageslicht an den Tunnelausgängen und das Kunstlichtband, das am Wandabschluss die Installation begleitet, sorgen für ein vielfältig changierendes Lichtspiel. Meist ist der Durchgang wenig frequentiert, die zurückhaltende Gestaltung ist hier also im Gegensatz zu den vorhin erwähnten Verkehrsknotenpunkten durchaus angemessen. Dennoch bietet sie den Durchschreitenden auf raffinierte Weise ein Schauspiel dar, das sie durchaus ignorieren können, das aber ebenso unterhaltsam und bereichernd sein kann, wenn man sich bewusst als Darsteller integriert.

Spectrum, Sa., 2013.01.12

22. Dezember 2012Franziska Leeb
Spectrum

Neues Milieu für alte Leute

Grinzinger Allee, Wien: Ein Seniorenheim vollzieht den Wandel, die Architektur reagiert darauf – so gut sie kann. Das neue „Haus Döbling“ bietet nicht nur ein Altersheim, sondern auch ein Ärztezentrum, einen Kindergarten und Privatwohnungen für Ältere.

Grinzinger Allee, Wien: Ein Seniorenheim vollzieht den Wandel, die Architektur reagiert darauf – so gut sie kann. Das neue „Haus Döbling“ bietet nicht nur ein Altersheim, sondern auch ein Ärztezentrum, einen Kindergarten und Privatwohnungen für Ältere.

Im Jahr 1960 wurde der gemeinnützige Fonds „Kuratorium Wiener Pensionistenheime“ gegründet, um Wohnheime für ältere Menschen zu errichten. Die Zielgruppe waren damals gesunde Menschen ab 60, denen man im Alter komfortable Wohnungen anbieten wollte. In den 1990er-Jahren ging mit der Umbenennung in „Kuratorium Wiener Pensionisten-Wohnhäuser“ samt neuem Logo „Häuser zum Leben“ auch eine Erhöhung der Ausstattungsstandards und ein Ausbau der Betreuungs- und Pflegeeinrichtungen einer. Nach einem halben Jahrhundert stellt sich nun wieder die Frage nach der Adäquatheit des Angebots für Bedürfnisse der heutigen und künftigen Alten. Der Begriff „Innovatives Wohn- und Pflegehaus“ für eine neue Generation von Seniorenwohnheimen fokussiert nach wie vor auf das Wohnen, impliziert aber auch den Aspekt der Pflege im Titel. Der erste Neubau ist nun fertig und verkörpert tatsächlich eine architektonisch neue Interpretation des Themas, die mit Abstrichen im Detail von Rüdiger Lainer & Partner recht gut durch die Mühlen der Projektentwicklung gerettet werden konnte.

Der Neubau in der Grinzinger Allee entstand anstelle der Betriebsgarage Grinzing, die 2007 nach Inbetriebnahme der Großgarage in der Leopoldau geschlossen wurde, und ersetzt das bisherige „Haus Döbling“ aus dem Jahr 1970 in der Pfarrwiesengasse. Schon von außen kündigt sich der neue Charakter an. Hier erinnert nichts mehr an die Bauten der vorangegangenen Jahrzehnte, deren Ästhetik zwischen Gemeindebau und Provinzspital oszillierte. Das neue „Haus Döbling“ erinnert mit seiner verzweigten Struktur und der zart beige getönten Fassade mit den markanten Fensterumrandungen für eine Beschränkung der direkten Sonneneinstrahlung eher an eine Hotelanlage der besseren Kategorie. Durch die Gliederung der großen Baumasse in miteinander verknüpfte und jeweils unterschiedlich ausgebildete Solitäre fügt sie sich gut in das durchgrünte städtebauliche Umfeld aus Wohnblocks aus der Nachkriegszeit und älteren villenartigen Bebauungsstrukturen. Im Norden grenzt unmittelbar der 1909 in Betrieb genommene Wasserbehälter Hungerberg und damit eine weitläufige, überirdisch unbebaute Fläche an, dahinter die gleichnamige Weinriede.

Das Haus bietet nicht nur Platz für 252 Bewohner, sondern inkludiert weitere Einrichtungen, die eine soziale Durchmischung und Verschränkung mit dem Grätzel herstellen sollen. So wurden in einem Bauteil an der Grinzinger Allee ein Ärztezentrum vorgesehen, ein Kindergarten und 52 private Mietwohnungen im vierten und fünften Stock. Sie sind für ältere Menschen vorgesehen, die noch selbstständig leben können und wollen, hier aber die Möglichkeiten haben, Serviceleistungen in Anspruch zu nehmen. Durch den Nutzungsmix ergeben sich etliche Schnittstellen zum Alltag des Stadtlebens, die in der Erdgeschoßzone aufeinandertreffen. Das Foyer ist als großzügiger, einladender Ort mit Ausblicken in begrünte Patios konzipiert. In Rezeptionsnähe empfangen auch Frisör und Fußpflege sowie eine Cafeteria. Tiefer im Gebäude liegen ein introvertierter Andachtsraum und für das gesellige Leben ein Mehrzwecksaal, der Gasthaus genannt wird. Hier wird gemeinsam gegessen, und hier können größere und auch externe Veranstaltungen stattfinden. Mit Ziegeln aus der abgerissenen Remise wurde ein Kellergewölbe mit Ausgang zum hauseigenen Weingarten im Park eingerichtet. Ebenso gibt es eine Verbindung zum Kindergarten, um die Kleinen und die Alten direkt zusammenzubringen. Die Orientierung ist in so einem großen Haus ein wichtiges Thema. Hier wird sie vor allem durch die signifikant ausgebildete Holztreppe erleichtert. Bequem im Steigungsverhältnis, elegant anmutend in einem rötlichen Holzton, der akzentuierend immer wieder im Haus eingesetzt wurde und großen Anteil an einer warmen Grundstimmung hat, wird sie dem Lift gern vorgezogen.

30 Quadratmeter inklusive Bad und Kochnische stehen allen Bewohnern als persönlicher, individuell möblierbarer Raum zur Verfügung. Vierzehn Einheiten sind um eine gemeinsame Raumsequenz bestehend aus einem gemeinsamen Ess- und Wohnbereich sowie einer Loggia als privatem Freibereich gruppiert. So entstehen überschaubare Cluster, in denen sich eine Wohngemeinschaft aus miteinander vertrauten Menschen aufbauen lässt. Auf Wunsch können zwei Apartments zu Zwei-Zimmer-Einheiten gekoppelt werden.

Es sind längst nicht mehr die fidelen 60- bis 70-Jährigen, die in ein Haus des KWP übersiedeln. Das Eintrittsalter der Bewohnerinnen wird immer höher und damit auch der Grad der notwendigen Betreuung. Daher können in diesem neuen Typ Pensionistenwohnhaus die Bewohner auch dann noch bleiben, wenn sie nicht mehr mobil sind und ganztägige Pflege benötigen. Die große Kunst, sowohl aufseiten der architektonischen Gestaltung als auch des Pflegebetriebs, ist es, auch dann noch einen wohnlichen Charakter aufrechtzuerhalten, wenn in den Apartments statt der individuellen Möbel die Pflegebetten Einzug halten. Die Grundrisse sind so angelegt, dass die Betten im Pflegefall wie in einem Krankenhaus auch um 90 Grad in den Raum gedreht werden können. Die Grundstimmung passt.

Es gibt Wermutstropfen, die man als Phänomen aus dem Hotelbau kennt, bei denen konzerneigene Corporate Identities gute architektonische Grundstrukturen und Material- und Ausstattungskonzepte verwässern. So hatten auch Rüdiger Lainer und sein Partner Oliver Sterl kaum Einfluss auf die Möblierung der Gemeinschaftsbereiche. Besonders im Foyer fällt dies auf, wo das in dunklen Holz- und Lilatönen gehaltene Ambiente der Cafeteria ganz und gar nicht mit dem elegant-heiteren Grundton des übrigen Raumes in Einklang steht. Wie sehr dem Freiraumkonzept von Auböck & Kárász Vereinfachungen zusetzen, lässt sich jetzt in der kalten Jahreszeit noch nicht zweifelsfrei beurteilen. Ihr Entwurf sah vor, die einzelnen Gartenbereiche nach dem Leitbild markanter Kulturlandschaften zu gestalten und abwechslungsreiche Erlebnisräume mit vertrauten Bildern zu schaffen. Wie human ein Milieu wahrgenommen wird, hängt nicht zuletzt auch davon ab, wie viel Empathie für seine Gestaltung aufgewendet wurde.

Spectrum, Sa., 2012.12.22

03. November 2012Franziska Leeb
Spectrum

Der schönste kleine Bahnhof

Remise und Bahnhof in einem: Lamprechtshausen erhielt eine nicht nur bequeme, sondern auch bemerkenswert fein gestaltete Bahnstation. Vorbildliches aus Salzburg.

Remise und Bahnhof in einem: Lamprechtshausen erhielt eine nicht nur bequeme, sondern auch bemerkenswert fein gestaltete Bahnstation. Vorbildliches aus Salzburg.

Beim jährlichen „Bahntest“ des Verkehrsclubs Österreich wurde heuer der Wiener Westbahnhofzum „schönsten Bahnhof Österreichs“ gekürt. Der Lokalbahnhof Lamprechtshausen belegte Platz 20. Nun ist einerseits der Vergleich zwischen dem derzeit größten Bahnhof der Bundeshauptstadt und der Lokalbahnstation einer Flachgauer 3600-Einwohner-Gemeinde von Haus aus zum Hinken verurteilt und andererseits die aus architektonisch-städtebaulicher Sicht ganz und gar nicht mehr vorhandene „Schönheit“ des größeren der beiden an dieser Stelle bereits beklagt worden (Christian Kühn, 30.04.2011). Daher gilt heute die Konzentration dem kleineren Bahnhof, um ihn als vorbildliches Beispiel eines Bahnhofsgebäudes in der Provinz zu preisen.

Seit 1896 besteht die Bahnverbindung zwischen der Stadt Salzburg und dem etwa 25 Kilometer nördlich liegenden Lamprechtshausen. Dort ist Endstation. Eine ursprünglich geplante Verlängerung der Trasse nach Braunau wurde nie realisiert, definierte aber die vom Ortszentrum etwas abgelegene Lage des Bahnhofs. Mit der Einführung des Halbstundentaktes in den 1980er-Jahren wurde eine Wagenhalle errichtet, in der die Züge übernachteten. Der Bahnhof entwickelte sich zu einer wichtigen Verkehrsdrehscheibe für den nördlichen Flachgau und das Innviertel, und so war für die Betreiberin, die Salzburger Lokalbahn, die Zeit gekommen, den Bahnhofsumbau in Angriff zu nehmen.

Der Architekt, mit dem man das passende Konzept erarbeiten wollte, Udo Heinrich, hatte bereits das Vertrauen der Bauherrschaft und bekam den Auftrag dafür direkt. Er war Projektleiter im Büro des Kölner Architekten Joachim Schürmann im Zuge der Neuerrichtung der Salzburger Lokalbahnstation und der Gestaltung des Bahnhofsvorplatzes. Seit 2001 betreibt er sein eigenes Architekturbüro in Salzburg. Der neue Bahnhof sollte dem Stellenwert der Haltestelle Lamprechtshausen Rechnung tragen, ein für die Fahrgäste bequemeres und attraktiveres Ambiente bereitstellen und Synergien zwischen den Funktionen Bahnhof und Remise herstellen. Das grundsätzlichste Entwurfskriterium bestand darin, eine Bahnhofshalle zu schaffen, die zugleich die Aufgaben einer Wartehalle, eines Bahnsteiges und einer Remise übernimmt. Diese Entscheidung, alle Funktionen nicht hintereinander, sondern unter einem Dach anzuordnen, brachte eine Verringerung der Gehdistanz vom Ort zum Bahnsteig von 300 Metern Länge mit sich. Es blieb nicht allein bei einer pragmatischen, technisch und logistisch gut funktionierenden Lösung: Mit durchaus einfachen, aber über das Gewohnte hinausgehenden Maßnahmen schuf Udo Heinrich mehr als einen schön designten Bahnhof – ein angenehmes Milieu, das auf die gesamte Umgebung ausstrahlt. Anstelle der alten Halle entstand eine neue, konstruktiv schlichte Halle mit einer Länge von 105 Metern und einer Breite von 14,5 Metern. Die dünne Dachplatte aus vorgespanntem Stahlbeton ruht auf einfachen Rundstützen. Nach Süden ist die Halle verglast und einsehbar. Zusätzlich sorgen verglaste kreisförmige Oberlichten über dem Mittelbahnsteig für eine ausgezeichnete Durchflutung mit Tageslicht. An der nördlichen Längsseite liegt sie auf kiemenartig angeordneten, skulptural genickten Sichtbetonscheiben auf, die das dahinter liegende Gewerbegebiet abschotten, aber nicht ganz ausblenden. Mit einer Matrizenschalung wurde in die raue Oberfläche eine Bambus-Struktur eingearbeitet, die der Halle ein dezentes Ornament verleiht. Je eine dreieckige Deckenöffnung leitet zusätzlich Licht von oben über die begrünten Kiemen.

Ein wohldurchdachtes Kunstlichtkonzept, das den Raum zoniert und Akzente setzt, bewirkt, dass der Raum auch bei Dunkelheit als angenehm empfunden wird und der zur Remise gewordene Bahnhof noch nach Betriebsschluss nach außen leuchtet. Der Hauptzugang liegt an der östlichen Schmalseite, die Halle ist aber auch von Westen zugänglich, womit der Weg zum Bahnsteig von den Parkplätzen und den überdachten Fahrradabstellplätzen kurz gehalten wird. Diese notwendigen Parkflächen sind ebenso Teil des gestalterischen Ganzen wie der Vorplatz und der breite Gehsteigbereich, die mit Baumgruppen und Bodenleuchten akzentuiert wurden.

Im Osten wurde unter das Bahnhofsdach ein eingeschoßiger, an den Enden abgerundeter Baukörper aus rötlich gefärbtem Beton eingeschoben, der die Anlage wie ein Korken abschließt. Neben den Toiletten beherbergt er Räume für Personal und Technik. Bemerkens- und lobenswert ist, dass diegute Detail- und Oberflächenqualität auch im Inneren bis in den letzten Winkel durchgehalten wurde und so die Räumlichkeiten zu einem angenehmen Arbeits- und Aufenthaltsort für die Mitarbeiter werden.

Während anderswo Lokalbahnhöfe verwahrlosen, Nebenbahnen eingestellt werden und unwirtliche Zustände in den Stationen sowie schlechte Verbindungen Pendler von der Schiene auf die Straße zwingen, beschreitet die Salzburger Lokalbahn den umgekehrten Weg und macht den Bahnhof nicht nur zum Anreizgeber für den Umstieg auf die Bahn, sondern auch zum Inkubator der Siedlungsentwicklung in Bahnhofsnähe, was in naher Zukunft im Fokus liegen wird.

In der Fachwelt wurde dem Bahnhof mit einer Anerkennung beim Architekturpreis des Landes Salzburg sowie der Auszeichnung mit einem von sechs Bauherrenpreisen der Zentralvereinigung der Architekten bereits wiederholt Würdigung zuteil. Viel wesentlicher ist aber die Akzeptanz in der Bevölkerung, die seit Inbetriebnahme des Bahnhofs im Mai anhand der gestiegenen Fahrgastzahlen erkennbar ist.

Spectrum, Sa., 2012.11.03



verknüpfte Bauwerke
Lokalbahnhof Lamprechtshausen

06. Oktober 2012Franziska Leeb
Spectrum

Geliebt? Ungeliebt? Ikone!

Der ORF will nun doch auf dem Wiener Küniglberg bleiben. Wie er mit seinem gebauten Erbe umgeht, ist noch nicht entschieden. Ein Diskussionsbeitrag zum Denkmalschutz.

Der ORF will nun doch auf dem Wiener Küniglberg bleiben. Wie er mit seinem gebauten Erbe umgeht, ist noch nicht entschieden. Ein Diskussionsbeitrag zum Denkmalschutz.

Zweimal wurde der ORF mit dem Bauherrenpreis der Zentralvereinigung der Architekten ausgezeichnet. Zuerst 1973 für die von Gustav Peichl geplanten Landesstudios Linz, Salzburg, Innsbruck und Dornbirn, die vor einigen Jahren von Peichl selbst saniert wurden. Den drei Erstgenannten kam dabei die charakteristische Außenwandstruktur aus silbrig gestrichenen Betonfertigteilen unter einer weiß verputzten Wärmedämmung abhanden.

Die zweite Bauherrenehrung konnte der ORF 1975 entgegennehmen: Nicht für ein Gebäude, sondern für den Film „Gott schütze uns vor Otto Wagner“ von Jörg A. Eggers, der die Wertvorstellungen der Gesellschaft im Zusammenhang mit der Architektur diskutierte. Damals protestierten Architekten gegen den drohenden Abriss von Wagners Stadtbahn-Pavillon am Karlsplatz. Jener in Hietzing wurde – weil als funktionsuntüchtig angesehen – abgerissen. „Noch ein Jahrzehnt, dann wird die gesamte öffentliche Meinung hinter diesen Bauten stehen, wie sie nach 1945 hinter jenen der Ringstraße stand. Dann wird die Stadtbahn geschätzt werden als das, was sie ist: neben der Ringstraße die bedeutendste städtebauliche Leistung Wiens“, prophezeite der Architekt Hermann Czech in den 1960er-Jahren.

Mittlerweile hat der ORF seinen Ruf als verdienter Bauherr aufs Spiel gesetzt, ausgerechnet im Umgang mit seinem Flaggschiff, dem ORF-Zentrum am Wiener Küniglberg. Für Architekturexperten eine der Paradebauten der Nachkriegsmoderne, für Historiker eine der Signaturbauten der damals jungen Republik. Architekt Roland Rainer (1910–2004) hat den 1968–1976 errichteten Großbau in einer Fertigteilbauweise konzipiert, die ihm geeignet schien, „Wesen und Eigenart des Betriebes in seiner Mischung von kultureller und technischer Atmosphäre“ ablesbar zu machen. Ab den 1980er-Jahren folgten in mehreren Bauetappen ebenfalls von Rainer geplante Erweiterungen. Es entstand über die Jahre ein Konglomerat an unterschiedlichen Baukörpern, die sich zu einer großen Masse, der bekannten „Burg“, formieren. Studios, Büros, Hallen, Werkstätten etc. bilden in sich ein lebendiges Gefüge verschiedenartiger Funktionen. Es ist kein fescher Bau aus einem Guss, mit dem leicht der Geschmack einer Mehrheit zu befriedigen wäre. Bei aller Rationalität und trotz des enormen Volumens fiel das Ergebnis aber nicht pragmatisch plump aus, sondern dank Roland Rainers unbändigen Willens zur Qualität gelang eine plastisch durchgebildete architektonische Form, die ihre Konstruktion nicht verleugnet, sondern unverkleidet darlegt. „Verpackungsarchitektur“ war Rainer zuwider.

Diese drohte dem ORF-Zentrum schon ein Jahr nach Roland Rainers Tod angesichts anstehender Sanierungsmaßnahmen. Seither geisterten Absiedlungsszenarien durch die Medien. Die gute Lage der „Burg“ würde sich ja auch für ein Sanatorium oder Altersheim eignen, lautete eine der Nachnutzungsideen. Vom Aufbruch des ORF in eine neue Zukunft im Media Quarter St. Marx und vom sanierungsbedürftigen Millionengrab Küniglberg ist seither die Rede. Aktueller Stand ist, dass der ORF auf dem „Berg“ bleibt; wie er mit seinem architektonischen Erbe umgehen wird, ist nicht geklärt. Dass überhaupt eine Diskussion über eine adäquate Form der Sanierung öffentlich wurde, ist Jürgen Radatz, Rainers Mitarbeiter bei der letzten Bauetappe am ORF-Zentrum, zu danken. Angesichts einer 2005 erstellten Probefassade mit außen liegendem Vollwärmeschutz äußerte er begründete Bedenken, ob mit dem notwendigen Sachverstand für die Prinzipien von Rainers Architektur agiert würde. Gemeinsam mit Rainers Tochter, Architektin Eva Rubin, erarbeitete er ein Sanierungskonzept, das ohne Styroporverpackung auskommt und den Charakter des Gebäudes bewahrt.

Als im Eigentum einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft befindliches Bauwerk galt für das ORF-Zentrum der Denkmalschutz kraft gesetzlicher Vermutung, der mit der Novelle des Denkmalschutzgesetzes im Jahr 2000 endete, das dem Bundesdenkmalamt (BDA) die Möglichkeit gab, Objekte durch Verordnung unter Schutz zu stellen. Seit Februar 2007 gilt dies auch für den Rainer-Bau auf dem Küniglberg. Um einen endgültigen Bescheid zu erwirken oder die Denkmalwürdigkeit zu widerlegen, bedarf es eines Feststellungsverfahrens. Ein solches wurde 2009 unter Planungsstadtrat Schicker seitens der Stadt Wien beantragt. Bis zum noch nicht absehbaren Abschluss dieses Verfahrens steht der Bau rechtmäßig unter Denkmalschutz. Das BDA sei in die Entscheidung über alle bereits jetzt als notwendig erachteten Sanierungsschritte eingebunden, so Landeskonservator Friedrich Dahm und der zuständige Referent Oliver Schreiber, der ebenfalls betont, dass nur ein funktionierendes Gebäude ein gutes Denkmal sei. Der ORF funktioniere jedenfalls.

Die Diskussion über den Umgang mit Bauten der (Nachkriegs-)Moderne wird seit jeher mit hoher Expertise geführt. Jüngst präsentierte die Österreichische Gesellschaft für Architektur die verdienstvolle Publikation „Bestand der Moderne“, die auf einer gleichnamigen Fachtagung aufbaut. Der Band artikuliert die Spannungsfelder, die im Zusammenhang mit der Frage nach dem adäquaten Umgang mit dem modernen Erbe zutage treten, und stellt Referenzbauten vor. Der Schweizer Architekt und Autor Bruno Reichlin fordert als Voraussetzung für jede Umnutzung, Instandsetzung oder Restaurierung eines Gebäudes die Erstellung einer monografischen Studie. Die Zusammenarbeit von Architekten und Historikern sollte zur gängigen Praxis werden und so schließlich zu einem neuen Kenntnisstand verhelfen. Das ORF-Zentrum wäre ein Paradeprojekt für eine solche interdisziplinäre Analyse gewesen, die sich nicht auf Probleme bauphysikalischer oder statischer Natur beschränkt. Sie hätte die Basis für eine visionäre Weiterentwicklung eines ikonischen wie lebendigen Ensembles ebenso sein können wie eine Übung zur Stärkung der eigenen Identität. Denkmalschutz ist keine Bedrohung, sondern eine Herausforderung. Noch ist es nicht ganz zu spät.

Spectrum, Sa., 2012.10.06



verknüpfte Bauwerke
ORF Zentrum Küniglberg

24. August 2012Franziska Leeb
TEC21

Neue Geriatriezentren in Wien

Seit 2010 baut die Stadt Wien eine Reihe neuer Geriatriezentren.1 Sie sollen die medikalisierte Pflege in einem Umfeld erlauben, in dem die Patienten so wenig Spitalambiente wie möglich vorfinden. Man orientierte sich an Komfortkriterien des Wohnbaus, und wohl deshalb kamen Architekturbüros zum Zug, die sich im Geschosswohnungsbau profiliert haben. Die Gleichzeitigkeit der Entstehung und der Pilotcharakter des Bauprogrammes, für das es auch international kaum Referenzprojekte gab, sorgte für einen regen Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Projektteams. Die drei bereits fertiggestellten Häuser Leopoldstadt, Simmering und Liesing zeigen, wie unterschiedlich die Architekten das enge Korsett an Vorgaben interpretierten.

Seit 2010 baut die Stadt Wien eine Reihe neuer Geriatriezentren.1 Sie sollen die medikalisierte Pflege in einem Umfeld erlauben, in dem die Patienten so wenig Spitalambiente wie möglich vorfinden. Man orientierte sich an Komfortkriterien des Wohnbaus, und wohl deshalb kamen Architekturbüros zum Zug, die sich im Geschosswohnungsbau profiliert haben. Die Gleichzeitigkeit der Entstehung und der Pilotcharakter des Bauprogrammes, für das es auch international kaum Referenzprojekte gab, sorgte für einen regen Erfahrungsaustausch zwischen den einzelnen Projektteams. Die drei bereits fertiggestellten Häuser Leopoldstadt, Simmering und Liesing zeigen, wie unterschiedlich die Architekten das enge Korsett an Vorgaben interpretierten.

Das als Stadt im Grünen konzipierte «Versorgungsheim Lainz» am westlichen Stadtrand von Wien galt bei seiner Erbauung zu Beginn des 20. Jahrhunderts als internationales Vorzeigeprojekt (Abb. 1). Im Vergleich zu allen vorher bestehenden Einrichtungen zur Betreuung alter und armer Menschen boten die ansehnlichen Bauten mit gut belüfteten und belichteten Schlafräumen, Etagenbädern, Balkonen und Tagräumen einen bis dahin unüblichen Komfort. Andererseits wurde der abgelegene Standort wohl nicht nur wegen der guten Luft gewählt, sondern auch, um die Klientel aus dem Stadtzentrum fernzuhalten. Der inhaltliche Wandel der institutionellen Altenpflege lässt sich auch an der Namensgebung ablesen: In den 1960er-Jahren wurde das Versorgungsheim zum «Pflegeheim» und in den 1990er-Jahren zum «Geriatriezentrum am Wienerwald» umgebaut.

2015 wird das Wiener Flaggschiff der Altenpflege geschlossen und neu als Wohnquartier genutzt.2 Die rund 1200 Pflegeplätze werden dann in insgesamt neun neuen Häusern – teils an schon bestehenden Standorten – untergebracht sein, die nicht mehr im Westen der Stadt konzentriert sind, sondern dezentral über das Stadtgebiet verteilt werden. So wird den zukünftigen Patienten der Verbleib in der vertrauten Wohnumgebung ermöglicht. Die Klientel besteht aus betagten Menschen, die einen Pflegebedarf von mehr als 160 Stunden pro Monat haben und für die eine Pflege zu Hause oder in einem Seniorenwohnheim aufgrund der medizinischen Indikationen nicht zu bewerkstelligen ist. Die Wiener Pflegeplätze – sowohl jene in den kommunalen wie auch jene in Institutionen von privaten Trägern – werden über eine Clearingstelle nach pflegerischer und medizinischer Notwendigkeit vergeben und entweder aus dem Vermögen der Betroffenen oder über die Sozialhilfe finanziert.

Wohnlichkeit trotz Krankenhausinfrastruktur

Die Grössenordnung der neu errichteten Geriatriezentren, die nur an bestehenden Standorten weiterhin so heissen, an neuen Standorten aber «Pflegewohnhäuser» genannt werden, bewegt sich um je 300 Betten. Das Wiener Wohn- und Pflegeheimgesetz vom März 2005 gibt mit 350 Betten die Grenze nach oben vor, mit 240 Betten wurde eine wirtschaftlich sinnvolle Untergrenze definiert. Im Schnitt bleiben die Menschen zwei bis drei Jahre in den Einrichtungen, manche auch Jahrzehnte, jedenfalls so gut wie alle bis an das Ende ihres Lebens.

Um ihnen eine wohnliche Atmosphäre zu bieten und die Maschinerie des Krankenhauses in den Hintergrund zu drängen, gibt es Vorgaben: In den Pflegewohnbereichen, wie die Stationen nun genannt werden, soll der Aspekt des Wohnens im Vordergrund stehen. Die Zimmer sind überwiegend Einzelzimmer, etwa zu einem Viertel werden Doppelzimmer angeboten. Eine private Loggia für jedes Zimmer ist Pflicht und muss so ausgebildet sein, dass die Schwellen zwischen Zimmer und Freiraum auch mit Pflegebetten leicht überwunden werden können. Neben den Anforderungen an die Wohnlichkeit gelten für alle Häuser einheitliche strukturelle Vorgaben: So sind pro Geschoss mindestens zwei Pflegewohnbereiche unterzubringen, damit Therapieräume von mehreren Stationen nutzbar sind. Die Konstruktion soll eine hohe Flexibilität zum einfachen Umbau auch in der Betriebsphase gewährleisten. So sind zwischen allen Zimmern «Sollbruchstellen» vorzusehen, um den späteren Einbau von Verbindungstüren zu ermöglichen. Die maximal 28 Plätze pro Wohnbereich werden in zwei bis drei Wohngruppen gegliedert, denen gemeinsame Wohnzimmer zugeordnet sind.

Pro Haus sind überdies zwei Demenzstationen (mit insgesamt max. 56 Plätzen) für schwer Demenzkranke vorgesehen. Zudem sind Überschaubarkeit und kommunikations- und kontaktfördernde Strukturen sowie Inszenierungen gefordert (in Form künstlerischer Interventionen oder Aquarien), die zum passiven Beobachten animieren. Da etwa 80 % der Bewohnerinnen und Bewohner als Zusatzdiagnose Demenz aufweisen, muss auf den Bewegungsdrang dementer Menschen Rücksicht genommen werden. Wegführungen sollen als «Demenzschleifen» ausgebildet werden – also als Rundgänge ohne Sackgassen, damit die alten Leute ihre Runden drehen können.

Ein einheitliches visuelles Leitsystem für alle Häuser, für das die Grafikerin Gabriele Lenz und die Architektin Anja Mönkemöller (beide aus Wien) verantwortlich zeichnen, hilft zudem bei der Orientierung. Es variiert in einzelnen Aspekten wie in der pro Haus unterschiedlichen Farbigkeit oder in den Symbolfamilien zur Kennzeichnung der verschiedenen Stationen. Die Gartengestaltung soll abwechslungsreiche Spazierwege und Rückzugsorte anbieten, mit Duftkräutern, Blumen und Gräsern die Sinne stimulieren und ergotherapeutische Arbeitsplätze sowie Strecken für Gehtrainings zur Verfügung stellen. Sie ist verpflichtend an Landschaftsarchitekten zu vergeben. Die Bewohnerinnen und Bewohner der Häuser sollen – auch wenn sie nicht mehr mobil genug sind, um die Anlage zu verlassen – so viel wie möglich vom Leben rundherum mitbekommen. Daher sollen die Häuser gut in den Stadtquartieren verankert werden und keine Monostrukturen sein. Sie beherbergen weitere Nutzungen wie geriatrische Tageszentren, betreutes Wohnen, Mietwohnungen, Mehrzwecksäle auch für externe Veranstaltungen und allgemein zugängliche Cafeterias.

Pflegewohnhaus Leopoldstadt: Eine Stadt in einem Haus

Das Wohn- und Pflegehaus Leopoldstadt des Wiener Architekten Helmut Wimmer entstand auf dem Areal einer ehemaligen Buseinstellhalle im Stadtentwicklungsgebiet am ehemaligen Nordbahnhof. Die mächtige U-Form folgt den Vorgaben des Masterplans für das Quartier. Neben zwei Demenzstationen im ersten Obergeschoss und zehn Pflegestationen in den fünf Geschossen darüber beherbergt sie im zurückspringenden obersten Geschoss ein Heim für betreutes Wohnen sowie 22 geförderte Mietwohnungen in den Kopfbauteilen. Die Eingangshalle ist als zur Umgebung offene, multifunktionale Zone ausgebildet. Eine schleifenförmige Erweiterung in den Park birgt das Mitarbeiterrestaurant mit fernöstlich anmutendem Innenhof und einem Garten auf dem Dach, der es den Bewohnerinnen und Bewohnern der Demenzbereiche im ersten Stock erlaubt, ohne Begleitperson sicher ins Freie zu kommen.

Der Architekt überführte etliche seiner konzeptuellen Ansätze aus dem Wohnbau in das Pflegewohnhaus – zum Beispiel die Betrachtung der einzelnen Geschossebenen als übereinandergestapelten Baulands, auf dem innerhalb eines schlichten konstruktiven Systems aus Platten und Stützen Zwischenwände und Einbauten weitgehend frei disponiert werden können. Indem Zimmer und Funktionseinheiten zu kleinen «Häusern im Haus» (Abb. 6) zusammengefasst sind, schuf der Architekt eine vertikale Stadtlandschaft, innerhalb der den Bewohnerinnen und Bewohnern ein überschaubares, identifikationsstiftendes Umfeld geboten wird. Nach einem Farbkonzept des Wiener Künstlers Oskar Putz, der auch für die farbige Gestaltung in der Erdgeschosszone verantwortlich zeichnet, sind die einzelnen Hausgruppen unterschiedlich gefärbt und zeichnen sich so auch in der Fassade nach aussen ab. Dazwischen bildete Wimmer Gassen, Plätze und Sichtachsen.

Die Zimmer sind über die gesamte Breite mit Faltschiebetüren zum Loggienband hin zu öffnen, wodurch der Freiraum als Teil des Zimmers erfahren werden kann und der Wahrnehmungsradius der Bewohner über das Zimmer hinausgeht (Abb. 4). Kleine Fenster zu den Gängen hin gestatten die Teilnahme am Stationsleben, umgekehrt aber auch den Einblick von aussen, sofern die Jalousien nicht geschlossen sind. In jedem Fall tragen sie dazu bei, Isolation zu vermeiden. Die Materialisierung des Inneren ist stark von den für Krankenhäuser geltenden Hygienevorschriften und den für die Betreuung stark Pflegebedürftiger notwendigen Einrichtungen geprägt. Mit der hellen Grundfarbigkeit und den pastellfarbigen Fassaden der internen Häuser, den Markisen und dem Holzbelag auf den Loggien strahlt das Haus insgesamt dennoch das heitere Flair eines Erholungsheimes aus.

Pflegewohnhaus Simmering: Unkonventionelle Grundrisse

Ebenfalls in einem städtebaulichen Entwicklungsgebiet auf dem Areal einer ehemaligen Senf- und Essigfabrik liegt das Pflegewohnhaus Simmering des Wiener Architekten Josef Weichenberger. Die Umsetzung unterscheidet sich in Bezug auf Grundriss und Materialisierung dennoch stark von derjenigen in Leopoldstadt. Der Bauplatz grenzt an einen bewaldeten Park, der nach einem Konzept der Wiener Landschaftsarchitekten Auböck & Kárasz sowie den 3:0 Landschaftsarchitekten für die speziellen Anforderungen der betagten Klientel gerüstet wurde. Weichenbergers Entwurf trachtet danach, trotz dem grossen Gebäudevolumen Eintönigkeit zu vermeiden. Für eine optische Verkürzung sorgen die Gliederung in einen Mitteltrakt und zwei Seitenflügel sowie die leichten Knicke nach innen (Abb. 9). Die weiss verputzten Mäander an der Fassade gliedern im Wechselspiel mit der anthrazitfarbigen vorge- hängten Ziegelfassade und den Loggienöffnungen die Grossstruktur (Abb. 7). Die Brüche in der Linearität des Baukörpers kommen vor allem den offenen Raumsequenzen in den Pflegewohnbereichen zugute. Über eine geschosshohe Verglasung und vorgelagerte Terrassen öffnen sich die Tagräume zum Park hin. Die Nebenräume sind pro Station zu kompakten Inseln mit amorphem Grundriss gebündelt (Abb. 11), gliedern den weiten Raum zwischen den Zimmerfolgen und ermöglichen die Bildung von Wegschleifen. Mit einer offenen Küche samt Bar werden diese Binnenbauten auch zu sozialen Mittelpunkten jedes Wohnbereichs.

Bei den Zimmergrundrissen entschied sich der Architekt gegen die übliche Variante, das Badezimmer gangseitig anzubringen, sondern setzte es an die Aussenwand, um eine natürliche Belichtung zu ermöglichen. Auf diese Weise entstehen zwischen den Bädern an den Aussenfassaden Loggienpaare, die die Kommunikation zwischen jeweils zwei Nachbarn gestatten. Einige der Zimmer sind mit grossen Blumenfenstern zu den gemeinsamen Flächen in den Wohnbereichen versehen, bequeme Sitzbänke in den Zimmern machen Besucherinnen auch den längeren Aufenthalt angenehm (Abb. 8). Im Halbatrium, das die drei Gebäudeflügel zum Garten hin umschliessen, liegt als solitäre skulpturale Form der Andachtsraum aus Sichtbeton. Während auf seinem Dach zum Park hin ein beschaulicher Garten ausgebildet wurde, entstand über der Vorfahrt eine von beiden Demenzstationen zugängliche Terrasse, von der aus auch schwer desorientierte Menschen das Leben draussen ungefährdet beobachten können.

Geriatriezentrum Liesing: Sorgfältige Materialisierung

Auch bestehende Standorte sind Teil des Bauprogramms. Im Schlosspark Liesing im Südwesten von Wien ist seit 1876 ein Pflegeheim der Stadt in Betrieb. Bestehend aus einem Schloss aus dem 18. Jahrhundert und dem 1878 nebenan errichteten Versorgungsgebäude, entsprach es längst nicht mehr den heutigen Erfordernissen. Ein Neubau am Nordrand des Parks ersetzt nun das Versorgungsgebäude, das abgerissen wird. Das denkmalgeschützte Schloss wird instand gesetzt und wird die örtliche Musikschule beherbergen. Damit schufen die Architekten Riepl Kaufmann Bammer (Wien) zugleich eine Neuorganisation des Parkareals, in das nun auch das bestehende Parkbad im Süden des Geländes eingebunden ist. Der Neubau selbst zielt darauf ab, möglichst viele Schnittstellen und Durchdringungen zwischen Park und Gebäude zu ermöglichen.

Die Fassadenverkleidung aus Messingtrapezlochblech erdet das Gebäude farblich in der Parklandschaft und bildet für die benachbarten Amtsgebäude und Villen aus der Zeit um 1900 ein wertiges Gegenüber. Das Material setzt sich im Erdgeschoss als Deckenverkleidung fort. In Kombination mit dem Bodenbelag aus schwarz-weissem Terrazzo mit einer Gesteinskörnung aus Carraramarmor und mit den mit Ulmenfurnier belegten Wandverkleidungen wurde ein elegantes Ambiente geschaffen.

In den drei Obergeschossen des Karrees sind jeweils vier Lw-förmige Pflegewohnbereiche angesiedelt (Abb. 16). Zwei gläserne Spangen, die den internen Freibereich in drei Höfe unterteilen, sorgen für kurze Wege innerhalb der Geschosse. Zudem ermöglichen sie Rundgänge, die jeweils über zwei Pflegewohnbereiche führen. Die Orientierung wird durch subtile, aber wirksame Massnahmen unterstützt: Alle Gänge führen zum Licht hin, die abgehängten quadratischen Leuchten in den Tagräumen wurden in den Gangbereich erweitert und zeigen so schon von weitem die Lage der gemeinschaftlichen Flächen an. In die mit braunem Linoleum belegten Gänge wurden die je nach Station unterschiedlich farbigen Zimmerböden unter den Türen ein Stück hinausgezogen und dienen nun als dezente Markierungen der Zimmer. Die überwiegende Zahl der Zimmer ist nach Süden – zum Park oder Hof hin – orientiert. Messingverkleidete Schiebepaneele, die trotz massiver Optik leicht zu bedienen sind, gestatten die Beschattung der jedem Zimmer zugeordneten Freiräume (Abb. 17). Parkseitig blieb das zum Garten hin verglaste Erdgeschoss etwa zur Hälfte unbebaut, wodurch unter dem Gebäude hindurch ein Freiraumkontinuum vom Vorplatz über die Innenhöfe mit dem altem Baumbestand über die als «hortus conclusus» gestalteten, gedeckten Sitzbereiche unter dem Gebäude in den öffentlichen Park geschaffen wurde.

Im Grundriss erscheint das Gebäude nüchtern, vor Ort erweist es sich durch die sorgfältige und handwerklich präzise ausgeführte Materialisierung jedoch enorm wohnlich und von einer Hochwertigkeit, die Wertschätzung gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern und den übrigen Nutzerinnen und Nutzern ausdrückt.

Ambitioniertes Bauprogramm

Im Zeitraum von 2010 bis 2012 sind insgesamt sechs neue Pflegewohnhäuser fertiggestellt worden. Ab 2015 soll kein einziger der stationären Langzeitpflegeplätze in einem alten Gebäude untergebracht sein. Abgesehen von den unterschiedlichen städtebaulichen Gegebenheiten waren die Qualitätsdefinitionen sowie das Raum- und Funktionsprogramm bei allen Häusern annähernd gleich. Aus den Mitteln der Wohnbauförderung wird für 1800 Euro pro m² ein Basisgebäude hergestellt, weitere 1500 Euro sind für die über das Wohnen hinausgehenden Anforderungen kalkuliert. Umgerechnet auf einen einzelnen Bewohnerplatz schlägt dieser etwa mit den Kosten einer 70 m² grossen Wohnung im geförderten Wohnbau zu Buche. Bemerkenswert ist, dass die Architekten, vor allem was die Ausbildung der inneren Strukturen betrifft – z. B. bei den Zimmergrundrissen und der Anlage der Gemeinschaftsbereiche –, variantenreiche Lösungen entwickelten. Auch die Grundstimmung variiert – von der cleanen Sanatoriumsatmosphäre über eher auf Gemütlichkeit abzielende Gestaltungen bis zu elegantem Hotelambiente. Welches Konzept für die Bewohnerinnen und Bewohner das bessere ist, hängt sicher von individuellen Vorlieben ab. Nach der relativ kurzen Betriebszeit gibt es noch keine evaluierten Erfahrungswerte. Die Nutzerzufriedenheit scheint jedoch hoch zu sein und aus architektonisch-gestalterischer Sicht sind die städtischen Häuser ähnlich dimensionierten Pflegeheimen privater Betreiber um Längen voraus.


Anmerkungen:
[01] Die Stadt Wien stellte 2004 ihr Geriatriekonzept vor, dass sich mit der erhöhten Lebenserwartung der Menschen und damit auch mit einer Zunahme der nötigen Pflegeplätze befasst. Es sieht vor, die Pflegeplätze bis 2015 dezentral über insgesamt 13 Standorte (vier davon als Wohn- und Pflegehäuser) im ganzen Stadtgebiet zu verteilen. Dafür ist ein Gesamtbudget von 400 Mio. Euro vorgesehen. Weitere Informationen: www.wienkav.at/kav/ZeigeText.asp?ID=37307
[02] Das 25 ha grosse Areal des Geriatriezentrums Am Wienerwald soll ab 2015 zu einem Wohnstandort im Grünen umgestaltet werden. Den Ideenwettbewerb gewann Ende Oktober 2009 das Wiener Büro Veit Aschenbrenner

TEC21, Fr., 2012.08.24



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TEC21 2012|35 Gepflegt Wohnen

04. August 2012Franziska Leeb
Spectrum

Mehr als nur versorgt

Architektur kann das Wohlbefinden erhöhen – auch gegen Ende des Lebens, wenn spirituelle und emotionale Bedürfnisse nicht zugunsten der medizinischen hintangestellt werden dürfen. Der neue Palliativ-Pavillon des Wiener Wilhelminenspitals.

Architektur kann das Wohlbefinden erhöhen – auch gegen Ende des Lebens, wenn spirituelle und emotionale Bedürfnisse nicht zugunsten der medizinischen hintangestellt werden dürfen. Der neue Palliativ-Pavillon des Wiener Wilhelminenspitals.

Das Schwedische Architekturmuseum in Stockholm zeigt derzeit eine Ausstellung mit dem Titel „Room for Death” und widmet sich damit einem Thema, das in der Gesundheitspolitik längst eines ist, als architektonische Aufgabe hingegen noch wenig wahrgenommen wird. Sie zeigt Ergebnisse eines Forschungsprojekts, bei dem Künstler, Handwerker und Designer Vorschläge für Räume ausarbeiteten, die zu einem fürsorglichen und respektvollen Milieu für Menschen beitragen, deren Lebensende nah ist.

Als Begründerin der Palliativmedizin, die sich als eigenständige Disziplin erst ab den späten 1980er-Jahren etablierte, gilt die englische Krankenschwester und Ärztin Cicely Saunders. Sie setzte sich nach bitteren Erfahrungen mit dem Sterben eines Lungenkranken dafür ein, das Leiden sterbender Menschen nicht nur medizinisch zu lindern, sondern auch auf soziale, emotionale und spirituelle Bedürfnisse Rücksicht zu nehmen. Das 1967 von ihr gegründete St. Christopher's Hospiz in London gilt als Ursprung der modernen Hospizbewegung, die sich um eine ganzheitliche Betreuung von Menschen mit unheilbaren Krankheiten annimmt. Auch in Österreich wird seit etlichen Jahren sowohl der Ausbau mobiler Palliativteams als auch jener von eigenen Palliativstationen in Krankenhäusern forciert. In Wien wurden laut Auskunft des Büros der Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely 1.360 Patienten zu Hause betreut. In den städtischen Krankenhäusern und den Ordensspitälern stehen insgesamt 76 Betten bereit, bis 2020 sollen die Kapazitäten auf 92 stationäre Plätze erhöht werden.

Beim Wiener Wilhelminenspital wurde nun ein eigener Palliativ-Pavillon errichtet, dessen architektonisches Konzept sehr umfassend auf das Wohlbefinden der Patienten jedes Alters ausgerichtet ist, aber auch auf jenes der Angehörigen und des nicht minder belasteten Personals. Geplant hat ihn eine Arbeitsgemeinschaft aus den zwei Architketurbüros Raum-Werk-Stadt (Lucia Dorn, Ferenc Horvath, Martin Janecek, Rupert Königswieser) und Share (Hannes Bürger, Silvia Forlati, Thomas Lettner). Für Share war es das erste Krankenhausprojekt, die Raum-Werk-Stadt brachte schon Erfahrungen vom Bau des Dialysezentrums am Wilhelminenspital mit. Für die Gestaltung der Freiräume zeichnet der junge Landschaftsarchitekt Dominik Scheuch (Yewo) verantwortlich. Die junge Truppe setzte sich unter sieben geladenen Büros erfolgreich gegen die durchwegs aus arrivierten Krankenhausplanern bestehende Konkurrenz durch (und widerlegte damit wieder einmal die Einladungspraxis zahlreicher Wettbewerbsauslober, die auf Referenzprojekten im jeweiligen Sektor bestehen). Erfahrene Planer haben vielleicht einen Vorsprung, wenn es darum geht, Abläufe möglichst ökonomisch zu strukturieren. Vertieft man sich ein wenig in Projektbeschreibungen anderer Bauten auf dem gleichen Sektor, ist ganz häufig von optimierten Abläufen und von der Ermöglichung einer guten Versorgung die Rede. Das ist wichtig, aber nicht alles. Im Bewusstsein, dass es mehr braucht als nur eine gediegene Umsetzung ökonomischer und funktioneller Rahmenbedingungen in eine solide Architektur, hat das Team ein Milieu geschaffen, in dem man sich gerne aufhält – auch wenn man hofft, es nie in Anspruch nehmen zu müssen. Der Solitär ist eine der kleineren Einheiten in der ab 1890 in mehreren Bauetappen im damals üblichen Pavillonsystem errichteten Anlage. Ab 1900 wurde das von Franz Berger, einem der angeblich kompetentesten Spitalsarchitekten der Zeit, geplante Kinderspital errichtet, 1910–12 der „Lupuspavillon“ von Otto Wagner, 1935–36 die Spitalskirche Hl. Kamillus von Heinrich Anton Paletz. Es folgten bis in die jüngste Vergangenheit zahlreiche Adaptierungen und Neubauten unterschiedlicher Qualität.

Der Palliativ-Pavillon fügt sich gut ein, hat aber sowohl im Volumen wie in seinem Gehabe nichts mit seinen mächtigeren Nachbarn gemein. Aus ihm spricht ein Zugang, der nicht die Institution Krankenhaus, sondern die Menschen, die sie aufsuchen müssen, im Fokus hat. Er ist schleifenförmig in eine Grünfläche mit alten Föhren eingefügt, mit der er dank der ambitionierten Freiraumgestaltung verbunden wird.

Die Flucht der Stationsnebenräume im Westen und die Patientenzimmer im Osten (zehn Einzel-, zwei Doppelzimmer) umschließen einen inneren Kern, der sowohl als Tag- und Verabschiedungsraum dient als auch als holzbeplankter Innenhof mit integrierten Sitzbänken und kleiner Grüninsel ausgebildet ist. Über die raumhohen Verglasungen zu den angrenzenden Bereichen ist er einerseits stets präsent und liefert andererseits viel Tageslicht ins Innere. Licht ist generell ein wesentliches Thema. Die künstliche Deckenbeleuchtung wird ergänzt durch ein schmales Lichtband, das in einer Deckenfuge parallel zum Handlauf verläuft und zusätzlich Orientierung gibt. Das elegante Stationsbad ist in verschiedene Lichtstimmungen getaucht. Die Badezimmer profitieren durch opak gemusterte Gläser in der Wand zum Zimmer vom Tageslicht. Generell wird bewiesen, dass pflegebedürftige Menschen sich nicht zwangsläufig mit plumpem Design abfinden müssen. Die Ausstattung ist bei aller Zweckmäßigkeit schön, fein abgestimmt und frei von Krankenhausmief. Holzböden sind in Krankenhauszimmern aus Hygienegründen tabu. Hier gibt es einen Zimmerboden aus Bambus, das ist ein Gras. Eine Wand schmückt ein dezentes florales Ornament, das von den Architekten selbst entworfen wurde. Vier der Einzelzimmer lassen sich mittels Schiebewänden zu Doppelzimmern koppeln. Aus allen Zimmern gibt es über die Terrasse direkten Zugang zum barrierefreien Spazierweg durch einen mit Gräsern, Farnen und Duftkräuter-Hochbeeten abwechslungsreich gestalteten Regenerationsgarten.

In den nächsten Jahren soll das Wilhelminenspital neu strukturiert werden. Es gibt bereits einen Masterplan, der die Lage der neuen Zentralklinik und weiterer Neubauten festlegt. Mögen ins Haus stehende Wettbewerbe so barrierefrei sein, dass auch von der Routine der Spitalsplanung unverdorbene Geister Zugang haben!

Spectrum, Sa., 2012.08.04

14. Juli 2012Franziska Leeb
Spectrum

Heile Welt, verwaist

Bezirk Murau: Wenn nicht nur Stühle leer stehen, sind auch die Architekten gefragt. Die „Regionale 2012“ gibt Impulse für die (Neu-)Planung und Wiederbelebung der Region.

Bezirk Murau: Wenn nicht nur Stühle leer stehen, sind auch die Architekten gefragt. Die „Regionale 2012“ gibt Impulse für die (Neu-)Planung und Wiederbelebung der Region.

Die „Zukunft“ strahlt in weißen Lettern und in Hollywoodmanier vom Lärchberg hinunter in die obersteirische Bezirkshauptstadt Murau. Es handelt sich um eine Arbeit der Berliner Architektengruppe Raumlabor, die für das gegenwärtig im Bezirk stattfindende biennale Kunstfestival „Regionale“ erarbeitet wurde. Die Stärken und Ressourcen jener Region, die am heftigsten in ganz Österreich vom Bevölkerungsrückgang betroffen ist, sind Gegenstand etlicher Veranstaltungen. Seit 1971 schrumpften die Einwohnerzahlen um 9,2 Prozent, und der Trend soll sich verschärfen: Bis 2050 ist ein weiterer Rückgang von 19,7 Prozent prognostiziert. Die Zahlen veranschaulichen, was auf den ersten Blick nicht sichtbar ist. Eine gepflegte Landschaft und schmucke Orte vermitteln dem Urlauber eine heile Welt. Vereinzelt avantgardistische Architekturen wie das Gebäude der Murauer Bezirkshauptmannschaft von Wolfgang Tschapeller oder eine spektakulär über der Mur auskragende Café-Bar des jungen Architektenteams Steinbacher-Thierrichter zeugen durchaus von lokalem Selbstbewusstsein und Fortschrittlichkeit. Der Wintertourismus boomt, und eine innovative Holzindustrie demonstriert ihre Fähigkeiten anhand zahlreicher kommunaler wie privater Bauten und wirbt damit unter der Marke „Steirische Holzstraße“. Lokales Potenzial ist also vorhanden. Dennoch wandern mangels ausreichender Arbeitsplätze und Aufstiegschancen die besser ausgebildeten Jungen ab – nach Graz, nach Wien oder anderswohin.

Erst auf den zweiten Blick erfasst man die Folgen ihrer Absenz: In der nach der einstigen Herrin von Murau, der verdienstvollen, reichen und schönen Anna Neumann, benannten Einkaufsstraße steht die Mehrzahl der Geschäfte leer. Vereine und aktuell die Protagonisten der Regionale sorgen dafür, dass die Auslagen nicht ganz verwaist sind. Den öffentlichen Personennahverkehr frequentieren – sofern nicht gerade Regionale-Besucher und Radtouristen Hochsaison haben – im Wesentlichen Schulkinder und Pensionisten. Kino gibt es im ganzen Bezirk keines mehr. Jenes in Scheifling wurde aufgelassen, nachdem im 30 Kilometer entfernten Fohnsdorf ein Multiplex-Kino das Interesse der Landjugend abgezogen hat. Die roten Kinosessel sind derzeit Bestandteil der Installation „Neubesetzung“. Die steirische Architektin Alexandra Stingl hat für jeden Einwohnerverlust der letzten fünf Jahre einen Sessel gesammelt und stellt an verschiedenen Orten im öffentlichen Raum das Ausmaß des Abgangs eindrücklich dar.

Das Projekt ist Teil des vom „Haus der Architektur Graz“ für die Regionale konzipierten Programmschwerpunktes „Faktum ist – Murauer Bestandsaufnahmen“, das dem Phänomen der Abwanderung mit mehreren Formaten auf die Spur zu kommen versucht. Ausstellungen in Graz und Murau präsentieren anhand umfangreichen statistischen Materials die Wahrheit der Statistik. Martina Frühwirth, Tex Rubinowitz und Kurt Zweifel berichten in Bild, Text und Ton von ihren persönlichen 24 Stunden in Murau. So lange bereisten sie die Gemeinden im Bezirk unter ausschließlicher Verwendung öffentlicher Verkehrsmittel, was sich als veritable Herausforderung erwies.

Das steirische Architekturhaus nimmt sich damit einer Materie an, die bislang in den Architekturinstitutionen wenig thematisiert wurde. Nun, da zeitgenössische Bauten – in unterschiedlicher Dichte längst auch auf dem Land angekommen sind und sie nicht mehr von Fremdenverkehrsvereinen als Touristenschreck qualifiziert werden, scheint ausreichend Luft vorhanden zu sein, sich verstärkt auch Fragen der in Österreich seit Jahrzehnten vernachlässigten Raum- und Regionalplanung anzunehmen. Raumplaner machen seit vielen Jahren auf die Folgen des demografischen Wandels aufmerksam und warnen vor verödeten Innenstädten und Ortskernen, steigendem Individualverkehr, ausgedünnten öffentlichen Verkehrsnetzen sowie der stetig fortschreitenden Zersiedelung und entwerfen Strategien, die entgegenwirken. Da diese aber mit der Mentalität der Konsumgesellschaft selten vereinbar sind, werden sie von einer Politik, die sich eher ihrer Klientel als dem Gemeinwohl verpflichtet fühlt, nicht mit dem notwendigen Verantwortungsbewusstsein durchgesetzt. Richtig verstandene Regionalplanung ist Gemeinwohlvorsorge, lautete ein Appell im Zuge einer der Diskussionsveranstaltungen im Rahmen von „Faktum ist . . .“. So würden nur 36 Prozent der Mehrkosten, die ein frei stehendes Einfamilienhaus gegenüber einer verdichteten Bebauung verursacht, von den Bauwerbern selbst bezahlt, für den Rest komme die Allgemeinheit auf. Ein Kompetenzwirrwarr bringe mit sich, dass niemand die wahren Kosten der aktuellen Entwicklungen kenne oder benenne. So steigt in Architektenkreisen das Bewusstsein dafür, dass für eine Trendwende ein interdisziplinärer Schulterschluss der planenden Disziplinen Not tut.

Das Kunst- und Diskursprogramm der heurigen Regionale zeigt vortrefflich die mannigfachen Herausforderungen und Potenziale im ländlichen Raum – auch für die Architektur – auf. Ob das Festival Spuren hinterlassen wird? Ulrike Böker, Bürgermeisterin von Ottensheim und davor jahrelang Geschäftsführerin des oberösterreichischen Pendants zur Regionale, dem Festival der Regionen, ist überzeugt, dass die Kunst nachhaltig wirken und ein Katalysator für das Denken und Handeln in den jeweiligen Regionen sein kann. Als konkretes Beispiel führt sie das Linzer „Pixel Hotel“ an, ein dezentrales Hotel, das im Kulturhauptstadtjahr 2009 als Architekturprojekt ungenutzte Orte in der Stadt besetzte und nach wie vor in Betrieb ist, oder das in ihrer eigenen Gemeinde am Donauufer gelandete Parkhotel des Künstlers Andreas Strauss, ein „Gastfreundschaftsgerät“ aus Betonröhren, das, funktionell ausgestattet als Unterkunft, als sichere Gepäckverwahrung und Ladestation für elektronische Geräte dient. Alle darüber hinaus gehenden Hotelleistungen werden von vorhandenen Einrichtungen im öffentlichen Raum abgedeckt.

In Murau geht die Anzahl der privaten Zimmervermieter zurück. Viele konnten wohl den steigenden Ansprüchen der Urlauber nicht mehr entsprechen und sich die notwendigen Investitionen nicht leisten. Andererseits stehen viele Häuser und Wohnungen leer und böten durchaus ein Raumreservoir für neue, ressourcenschonende Beherbergungskonzepte als Alternative zu flächenfressenden Ferienparks. Hier ist nicht nur die Kreativität der Touristiker, Politiker und Förderstellen gefragt. Es tut sich auch ein weites Betätigungsfeld für Architekten auf. Alternative, gestalterisch attraktive Angebote werden wahrscheinlich auch neue Zielgruppen anlocken und vielleicht Auswanderer zur Rückkehr bewegen – nicht nur temporär als Erholungssuchende.

Spectrum, Sa., 2012.07.14

26. Mai 2012Franziska Leeb
Spectrum

Mehr als Glück und Zufall

Wie lernen Kinder Baukultur? Leider selten durch eine flächendeckende bildungs- und baupolitische Praxis. Wie eine solche Praxis aussehen kann, zeigen zwei Beispiele in Niederösterreich.

Wie lernen Kinder Baukultur? Leider selten durch eine flächendeckende bildungs- und baupolitische Praxis. Wie eine solche Praxis aussehen kann, zeigen zwei Beispiele in Niederösterreich.

Die Auseinandersetzung mit der gestalteten Umwelt ist Bestandteil der österreichischen Schullehrpläne, und selbst der Bildungsrahmenplan für Kindergärten legt Wert auf ästhetische Bildung und eine Lernumgebung, die diese fördert. Dank verpflichtenden Kindergartenjahres und diverser Förderinitiativen haben sich in den vergangenen Jahren hunderte Gelegenheiten geboten, gut gestaltete, stimulierende Räume für diese wichtige Entwicklungsphase bereitzustellen. Nicht überall wurden die Chancen genutzt. Kindergartenbauten sind Kommunalangelegenheiten, ihre Qualität daher stark von der baukulturellen Kompetenz der Auftraggeber abhängig.

Der Kindergarten von Anton Schweighofer in St. Andrä-Wördern stellte 40Jahre lang ein sinnlich anregendes Milieu für Kleinkinder zur Verfügung. Obwohl eine Pionierleistung seiner Art in Niederösterreich, musste er als Kindergarten aufgegeben werden, weil die mit Ziegelmauerwerk ausgefachte ungedämmte Stahlbetonkonstruktion nicht mehr den heutigen bauphysikalischen Anforderungen Genüge tut, und für einen Weiterbetrieb des Kindergartens hätte saniert werden müssen. Jede Dämmung, jeder Umbau hätte das Bauwerk verschlechtert, gar zerstört. Insofern ist es ein Glück, dass die Gemeinde mit einer neuen Nutzung als Seniorentreff und Bibliothek sich für den Erhalt entschieden hat.

Für die Kinder wurde stattdessen ein neuer Kindergarten auf der benachbarten ehemaligen „Stierwiesen“ errichtet. Die Entscheidung, ihn aus vorgefertigten Massivholzelementen zu konstruieren, fällten die Architekten Schermann & Stolfa aufgrund des engen Zeitkorsetts von weniger als einem Jahr. Geschickt integrierten sie den eingeschoßigen Baukörper so in die Wiese, dass möglichst viele der vorhandenen alten Bäume erhalten werden konnten und nun wesentlich zur Raumbildung im Freien beitragen, trotzdem aber viel Spielfläche im Freien erhalten bleibt. Großzügig, hell und übersichtlich ist das Gebäude und dennoch heimelig, wozu das Holz beiträgt, aber auch die geschickte Anordnung der Funktionen und die sachten Verschwenkungen aus dem rechten Winkel. Dadurch werden zum Beispiel die Garderoben zu in den Gruppenraum leitenden Trichtern, während sich die kleinen zweigeschoßig ausgebildeten Rückzugsbereiche daneben in Richtung Großraum leicht weiten oder Knicke in den Außenwänden den tiefen Terrassenbereich gliedern, ohne ihn zu unterteilen. Durch- und Ausblicke sind ebenso wichtig wie viel Tageslicht, das zusätzlich über Scheddächer und Lichtkuppeln den Baukörper durchdringt. Nichts an der Architektur ist verspielt, aber es lässt sich vorzüglich damit spielen. Der verglaste Bewegungsraum kann mit dem Foyer zu einem gemeinsam nutzbaren Bereich gekoppelt werden, ebenso sind die vier Gruppenräume untereinander mit Schiebetüren verbunden. Der Stauraum unter der Galerie lässt sich flugs in ein Kasperltheater verwandeln, und Fenster auf den kleinen Galerien gestatten das Beobachten des Geschehens in der Halle. Es ist eine Umgebung geworden, die sich die Kinder erobern können, und das Erdbeerpflücken im Naschgarten geht unmittelbar neben einem Stück Architekturgeschichte vonstatten.

Solche gestalterischen Qualitäten sind schwer zu artikulieren und in Rechentabellen darzustellen, und es gibt dafür keine amtlichen Zertifikate, wie es für ökologische Parameter längst Usus ist. Mannersdorf am Leithagebirge ist eine der Gemeinden, die stolze Besitzerin eines mit dem klima:aktiv-Zertifikat des Lebensministeriums versehenen Kindergartens ist. Der Kriterienkatalog dieses Labels sei eine gute Hilfestellung in der Planung, so Architekt Leo Dungl, der das Zertifikat auch als gute Unterstützung für die Argumentation verschiedener Materialentscheidungen gegenüber den Bauherren schätzt, der am Ende die Richtigkeit seiner Entscheidungen amtlich bestätigt bekommt. Ein Holzbau wäre an diesem traditionsreichen Standort der heimischen Kalk- und Zementindustrie geradezu ketzerisch gewesen. Leo Dungl (Mitarbeit: Dolphi Danninger) setzte den gar nicht sehr „öko“ aussehenden Öko-Kindergarten als Gefüge von weißen Quadern auf die Hangkuppe. Das Volumen sprengt nicht die Maßstäblichkeit der umgebenden Einfamilienhäuser, wird aber durch das strahlende Weiß zur leicht auszumachenden Landmarke.

Den richtigen Abstand braucht es auch, um die Kugelkalotten an der Stützmauer zu dechiffrieren, die das Gebäude als etwas Besonderes markieren und sich bei richtigem Hinsehen als eine Art Vexierbild erweisen, das lapidar „Kindergarten“ (!) mitteilt. Das Terrain unter dem aufgestelzten Turnsaal wurde zu einem ungewöhnlichem Spielort im Freien, wo der Stützenwald und Kies in unterschiedlichen Körnungen einen gedeckten Freibereich anbieten, der Gstätten- und Baustellencharakter verbindet – Orte, die vielen von uns Erwachsenen wichtige Schauplätze des Abenteuers Kindheit waren, heutigen Kindern aber meist verwehrt sind.

Jeder dieser beiden Kindergärten bietet auf seine Art den Kindern nicht zu dominante Räume, die vielfältig nutzbar sind und zum selbstständigen Erobern anregen. Das ist schon eine gute Basis für eine baukulturelle Bildung. Schade, dass sie nicht selbstverständlich ist. Denn das Glück, in einer wohlgestalteten Einrichtung betreut zu werden, haben nicht alle Kinder, und die in den Lehrplänen verankerte Architekturvermittlung bleibt meist Theorie. Einen Gutteil der diesbezüglichen Aktivitäten erfolgt nicht im öffentlichen Schulwesen, sondern durch die niedrig dotierte und oft ehrenamtliche Arbeit von Architekturvereinen.

Sie sind auch die wichtigsten Träger der kommenden Freitag und Samstag bundesweit stattfindenden Architekturtage, die unter dem Motto „Anders als gewohnt“ kostenlos Gelegenheit geben, Architektur nicht bloß aus der Zeitung, sondern in echt und mit allen Sinnen zu erfahren. Umfangreich ist das Kinder- und Jugendprogramm, das zur Inspiration auch allen Pädagogen ans Herz gelegt sei. In Wien wagt sich die ÖGFAsogar in die Lugner City und wird dort eine jugendliche Klientel erreichen, die sonst wenig in den Genuss solcher Programme kommt.

Spectrum, Sa., 2012.05.26

03. März 2012Franziska Leeb
Spectrum

Alle für einen

Ein Projekt im europäischen Geist: Leidenschaftliche Lehrer und ambitionierte Architekturstudenten von sechs Universitäten zeigten, wozu sie imstande sind. Die Aufgabe: ein Archiv für den Fotografen Mimmo Jodice in Neapel zu entwerfen. Zu sehen demnächst im Wiener Künstlerhaus.

Ein Projekt im europäischen Geist: Leidenschaftliche Lehrer und ambitionierte Architekturstudenten von sechs Universitäten zeigten, wozu sie imstande sind. Die Aufgabe: ein Archiv für den Fotografen Mimmo Jodice in Neapel zu entwerfen. Zu sehen demnächst im Wiener Künstlerhaus.

Mimmo Jodice ist ein weltbekannter italienischer Fotograf. In den Veduti di Napoli hat er die Architektur und Stimmung seiner Heimatstadt Neapel auf unvergleichliche Weise eingefangen. András Pálffy, Professor für Gestaltungslehre und Entwerfen an der Technischen Universität Wien, lernte sein Werk anlässlich einer großen Ausstellung in Rom kennen und erfuhr vom Herzenswunsch des betagten Künstlers, dass sein beachtliches Archiv in seiner Geburtsstadt bleiben möge. In der Zwischenzeit entstand daraus ein europäischen Großprojekt der Architekturlehre: Ein Gebäude für das „Archivio Jodice“ stand auf Pálffys Initiative seit dem Wintersemester 2010 auf dem Entwurfsprogramm von sechs europäischen Universitäten. Unter der Ägide von neun Professoren und zahlreichen Assistenten nahmen 250 Studierende daran teil.

Trotz der durch die Semesterferien bedingten Ruhe ist an der Abteilung für Gestaltungslehre die Produktivität der letzten anderthalb Jahre in Form der Modelle im Maßstab 1:50 oder 1:33 spürbar. Von Mitte Dezember bis Mitte Jänner wurden sie gemeinsam mit den Arbeiten der Studenten aus Berlin, Dublin, Glasgow, Neapel und Weimar im repräsentativen Ambiente des „Gran Salone della Meridiana“ im Archäologischen Nationalmuseum von Neapel präsentiert. Bald erscheint das Buch zum Projekt, und ab 23. März wird die Ausstellung der 65 besten Projekte für zwei Wochen im Wiener Künstlerhaus zu sehen sein. Schon allein diese Ausstellungspräsenz samt Publikation ist eine Wertschätzung, die Studentenarbeiten nicht oft zuteil wird. Sie sind die sichtbare Zusammenfassung eines bemerkenswert intensiven Prozesses, der entgegen aller immer wiederkehrenden Kritik an der Architekturausbildung aufzeigt, was eine engagierte Architekturlehre heute zu leisten imstande sein kann.

Im Zuge einer Exkursion lernten die angehenden Architekten Neapel und die möglichen, von Jodice selbst ausgesuchten Bauplätze kennen und wurden von den beteiligten Professoren in das Thema eingeführt. Adrian Meyer, zuvor Professor an der ETH Zürich und einer, der immer wieder Meisterschaft im zeitgemäßem Umgang mit dem gebranntem Ton bewies, hatte zeitgleich an Palffys Institut eine von der Ziegelindustrie finanzierte Gastprofessur in Wien inne. Frei nach einer Parabel von Louis I. Kahn („What do you want, Brick?“ And Brick says to you: „I like an Arch.“) übertitelte er seinen Entwurfskurs mit „Der Backstein will ein Bogen sein“ und stellte das Baumaterial Ziegel und die Ausführung gewölbter Haupträume als Bedingung seines Kurses. Es galt, den Backstein „als kleinstes gemeinsames Vielfaches für das konstruktive Entwerfen“ zu verstehen und seine spezifischen Eigenschaften auszuloten. Interessanterweise wählte schließlich nicht nur Meyers Entwurfsgruppe, sondern die Mehrheit der Studenten den Ziegel, das tradierte und typische Baumaterial der europäischen Altstädte, und es scheint, als wurde hier eine neue Leidenschaft für einen heute oft vorschnell als unmodernen und antiquierten Baustoff geweckt.

Prominente internationale Professoren- und Architektenkollegen wie Nicola di Battista, Ferruccio Izzo oder Martin Steinmann konnten für die Schlusskritik in Wien gewonnen werden. Heinz Tesar stellte sich von neun Uhr morgens bis ein Uhr nachts unermüdlich den Studierenden zur Verfügung. Die Kapazunder machen dies übrigens unentgeltlich, bloß die Reisekosten werden ihnen ersetzt. Und dann der Höhepunkt wieder in Neapel: Der Ausstellungseröffnung in einem der schönsten Räume der Stadt ging ein Studienprogramm mit Vorträgen von Theoretikern und Kritikern zum Thema „Archive der Gegenwartskunst und die historische Stadt“ voran. Auch der Kunstsammler Egidio Marzona, jetzt „Bauherr“ der aktuellen Semesteraufgabe, nahm teil, ebenso Alberto Campo Baeza und Tony Fretton, zwei weitere Charismatiker aus der Zunft der Architekten, die aus ihrem Erfahrungsschatz zum Thema beitragen konnten.

Den Ergebnissen sieht man die intensive Auseinandersetzung mit der Stadt und ihren viel zitierten Reibungen, mit Jodices Fotografien und den verschiedenen Professoren und Gästen an, auf die sich die Studierenden einlassen durften. An der Art der Darstellung kann man mit ein wenig Übung die Lehrer erkennen, aber keine Spur von Epigonentum. Adolf Krischanitz' Studenten lieferten kompakte, wie minimalistische Skulpturen anmutende Gussmodelle, aus Weimar kommen die zeichnerisch hoch anspruchsvollen Beiträge, bei Pálffy entstandene repräsentative Modelle aus Holz, Adrian Meyer bestand auf Karton und brachte die Architekturschüler dazu, zigtausende Ziegelsteinmodelle aus Pappe zu Kubaturen mit archaisch anmutenden, feinst strukturierten Oberflächen zu fügen. Mit Dienst nach Vorschrift ist das auf beiden Seiten nicht getan. Während der vorlesungsfreien Zeit wurde ebenso gearbeitet wie in vielen Nachtstunden.

Das Programm für Neapel nimmt an Ausmaß und Intensität zwar eine Sonderstellung ein. Den Studierenden die gesamte Spannweite einer Bauaufgabe und die Vielseitigkeit des Architektenberufs näherzubringen, renommierte Kollegen zu entmystifizieren und sie zu Gesprächspartnern der Studierenden zu machen zieht sich aber durch alle Semesterprogramme am Wiener Lehrstuhl für Gestaltungslehre. Ebenso die Arbeit mit Modellen, wie sie in der beeindruckenden Galerie hunderter studentischer Kartonmodelle, die in den Regalen des Instituts fein säuberlich angeordnet zu besichtigen sind, ist dort wesentlicher Teil des Entwerfens. Schon im Grundkurs gilt es Quader von vorgegebener Größe nach bestimmten Kriterien zu zerschneiden, zu verschieben oder zu verschwenken. In einer Grundform stecken tausende Lösungen. Enge Regeln binden nicht das Resultat, so die Erkenntnis. Es geht darum, kein Bild von Architektur zu schaffen, sondern Ideen konsequent in räumliche Tatsachen zu übersetzen.

Für die fortgeschrittenen Semester definieren die Regeln der Entwurfsaufgaben dann konkrete Bauherren und ihre Bedürfnisse, das städtische Umfeld, eine vorhandene Bausubstanz, die Historie eines Ortes und seine mögliche Zukunft. „Man muss das ganze Metier und seine Bestandteile kennen“, sagt Palffy, um Verständnis für das komplexe Zusammenspiel aller konstituierenden Elemente und aller beteiligten Akteure zu schaffen, inklusive der Erkenntnis, dass der Architekt nicht immer in der ersten Reihe stehen muss. Wenige Tage nach der Eröffnung der Ausstellung im Künstlerhaus präsentiert das Institut am 28. März im Wittgensteinhaus sein Buch über die bisherigen Entwurfsprogramme. Vormerken, hingehen und nicht mehr über die Architekturlehre und die Studenten schimpfen!

Spectrum, Sa., 2012.03.03

04. Februar 2012Franziska Leeb
Spectrum

Betreten geboten

Würdig erinnern und zugleich einen öffentlichen Raum für alle schaffen: Ob dieses Konzept gelingen kann, wird am „Gedenkort Turnertempel“ in Wien zu überprüfen sein.

Würdig erinnern und zugleich einen öffentlichen Raum für alle schaffen: Ob dieses Konzept gelingen kann, wird am „Gedenkort Turnertempel“ in Wien zu überprüfen sein.

Vor einem halben Jahr noch war an der Ecke von Turnergasse und Dingelstedtgasse eine mit einem niedrigen Zaun umgrenzte Grün fläche mit ein paar Bäumen und einem Hinweis, die Grünfläche sauber zu halten. Verlegenheitsgrün, ohne Anmut, funktionslos, nicht betretbar und gerade dazu gut, im dichtverbauten Grätzel für ein wenig Freiraum zu sorgen. Es bedurfte schon eines besonderen Forscherdrangs, die schlichte Tafel auf dem angrenzenden Gemeindebau zu entdecken, die auf die ehemalige Existenz einer Synagoge anstelle der Grünfläche und deren Zerstörung in der Reichspogromnacht hinwies. Das abschließende „Niemals vergessen“ wirkte angesichts der Unsichtbarkeit der Inschrift wie eine leere Formel.

Erst als ausgehend vom Interesse an der Geschichte des Gebäudes ihres Arbeitsplatzes in der Herklotzgasse 21 vor ein paar Jahren eine Gruppe von Menschen ein umfangreiches Forschungsprojekt startete, wurde die Geschichte der Juden im 15. Wiener Gemeindebezirk und damit auch der Ort, an dem die Synagoge stand, zum Thema. Unter dem Titel „Das Dreieck meiner Kindheit“ haben Michael Kofler, Judith Pühringer und Georg Traska in einer Ausstellung und einem begleitenden Buch (Mandelbaum Verlag, 2008) sichtbar gemacht, was im kollektiven Gedächtnis der Stadt und des Bezirks verdeckt war. Ihnen ist der Anstoß dazu zu verdanken, dass die städtische „Kunst im öffentlichen Raum GmbH“ fünf Teams aus Künstlerinnen und Landschaftsarchitektinnen zum Wettbewerb für einen Erinnerungsort lud. Das Siegerprojekt des Künstlerduos Iris Andraschek/Hubert Lobnig und der Landschaftsarchitekten Maria Auböck/János Kárász verkörpert einen neuen Typus von Gedenkstätte, dem Verschämt- wie Unverschämtheit banaler, über den Charakter einer Pflichtübung nicht hinauswirkenden Gedenktafeln ebenso fremd sind wie Pathos.

Die „Turnertempel“ war ein wichtiges Identifikationsprojekt der Kultusgemeinde Sechshaus. Sein Architekt Karl König war Schüler und Mitarbeiter von Friedrich von Schmidt, Assistent von Heinrich von Ferstel an der Technischen Hochschule, deren Rektor er später wurde. Die 1872 fertiggestellte Synagoge war sein erstes eigenes Gebäude und wäre heute ein wichtiges Baudenkmal des Historismus. Im Morgengrauen des 10. Novembers 1938 wurde der Tempel von SS-Mitgliedern in Brand gesetzt. Im Mai 1940 ging die Liegenschaft durch „Arisierung“ an einen in der Nachbarschaft wohnhaften Transportunternehmer, der dort eine Garage errichtete. Das Rückstellungsverfahren endete 1950 mit einem Vergleich. Kurz darauf wurde die Garage um eine Tankstelle erweitert. 1973 erwarb die Gemeinde Wien das Grundstück, es folgten siebengeschoßiger Gemeindebau, Abstandsgrün und Gedenktafel. Die notorischen Geschichtsverdreher lassen sich weder durch den Geschichtsunterricht noch von Tafeln und Denkmälern beeindrucken, das ist immer wieder aufs Neue widerlich, aber Realität. Für die Menge derer, die ihnen aus Gedankenlosigkeit auf den Leim geht, ist jeder Versuch der Aufklärung nicht vergebens und eine entsprechende Erinnerungskultur von ungebrochener Notwendigkeit. Nach einer Form, in der dies sinnvoll - und vor allem für ein breites Segment an Rezipienten - geschehen kann, haben Andraschek/Lobnig und Auböck/Kárász mit ihrem Wettbewerbsbeitrag gesucht. Es sollte kein „Mahnmal“ werden, sondern ein Ort der Erinnerung, der auch im Alltag nutzbar ist.

Wesentliches Gestaltungselement sind Balken aus schwarz eingefärbten Betonfertigteilen mit der Struktur einer Holzmaserung, die an den verbrannten und eingestürzten Dachstuhl der Synagoge erinnern und die in ihren Dimensionen etwa jenen der realen Balken entsprechen. Sie liegen entweder bündig im sandfarbenen Stabilizer-Belag - einer gebundenen, sickerfähigen Oberfläche - oder ragen teilweise oder bis zur Gänze darüber heraus. Sie bilden Wegführungen und Plätze aus, sind selbst begehbar und können als Sitzgelegenheit dienen. Sie durchschneiden auch noch die oberste der beiden Stufen aus hellem Beton, die den Platz vom Gehsteigniveau abheben, und verzahnen damit den Platz mit dem Umfeld. Einen barrierefreien Zugang gibt es über eine Rampe entlang der Feuermauer des angrenzenden Hauses in der Dingelstedtgasse. Sechs bestehende Lindenbäume wurden in die Gestaltung integriert. Erst beim Durchwandern der Anlage fallen die wie beiläufig in den Boden eingelassenen Mosaike auf. Mit ihren Darstellungen von Lebensmitteln erinnern sie an Mosaikreste, wie wir sie aus frühchristlicher Zeit oder den Ausgrabungen in Pompeji kennen. Feigen, Oliven, Datteln sind erkennbar, Überreste eines Festmahls vielleicht, aber auch eine Dose eines bekannten Energydrinks, Obst in einem Plastiksackerl oder Kerne in einem Becher. Es sind Früchte aus südlichen Gefilden, die in der Thora erwähnt werden und im jüdischen Jahreskreis eine Rolle spielen, es sind aber auch Lebensmittel, die den heute in der Umgebung wohnhaften Migranten aus ihrer Heimat vertraut sind und auch längst Eingang in den Speiseplan autochthoner Wiener gefunden haben. Die Geschichte der Synagoge und der hier von den Nazis - unter dem Beifall der nichtjüdischen Nachbarn - vollbrachten Gräueltaten wird auf einer Tafel nächst der Rampe erklärt.

Der Platz animiert zum Betreten und Benutzen ebenso, wie er zum Innehalten und Gedenken einlädt. Er ist niederschwellig, weil zitathaft Gegenständliches wie die Mosaike und die Holzbalken neugierig machen und im besten Fall auch bislang Ignorante oder Unwissende dazu veranlassen, sich eingehender mit dem Sinn des Kunstwerks und der Geschichte des Ortes zu befassen. Was den Leuten gefällt, ist oft schwer mit den aktuellen Konventionen der Kunst in Einklang zu bringen. Ein hoher Grad an Abstraktion ist vielen nicht zugänglich, Pathos nicht mehr opportun, die Gefahr in Banalität und Kitsch abzugleiten groß. Dass in der Turnergasse ein Ort des Gedenkens, der das Geschehene mit Nachdruck vor Augen führt, zugleich ein Ort der Identifikation für die Anrainer geworden ist, hat auch damit zu tun, dass sich die vier Autoren offensichtlich mit dieser Problematik befasst haben.

Spectrum, Sa., 2012.02.04

07. Januar 2012Franziska Leeb
Spectrum

Gut fürs Geschäft

Über Räumlichkeiten, die den Innsbruckern und ihren Besuchern dringende und andere Bedürfnisse erfüllen: zwei Gestaltungen des Architekten Rainer Köberl.

Über Räumlichkeiten, die den Innsbruckern und ihren Besuchern dringende und andere Bedürfnisse erfüllen: zwei Gestaltungen des Architekten Rainer Köberl.

Immer wieder verstand es der Innsbrucker Architekt Rainer Köberl, auch ihrem Zweck nach kommerziell orientierten Bauaufgaben so etwas wie „kulturellen Mehrwert“ zu verleihen. Ob ihm das in letzter Zeit nicht dennoch schön langsam zu wenig Inhalt sei, als Bauaufgaben vor allem Supermärkte, Boutiquen, Lokale und nun auch eine Bank zu gestalten? Klar, ein Museum, eine Kirche oder eine Moschee wären schon auch tolle Bauaufgaben, über die er sich freuen würde. Aber jede Aufgabe, so Köberl, habe einen wahren Inhalt. Den herauszuschälen, zu interpretieren und ihm Form zu geben hatte er im vergangenen Halbjahr anhand von recht weltlichen Bauten dreimal Gelegenheit.

Am Innsbrucker Mitterweg schuf er zwei Bauten für Auftraggeber, die beide mehrfach baukulturelles Verantwortungsbewusstsein bewiesen haben. Für M-Preis, jene Lebensmittelmarktkette, die kontinuierlich architektonisch ordentliche, oft auch herausragende Filialen realisiert, schuf Köberl seinen nun bereits vierten Markt, und in der gleichen Straße, näher am Stadtzentrum, eine Geschäftsstelle der Bank für Tirol und Vorarlberg (BTV). Beide sind Oasen im heterogenen Dickicht der beginnenden Stadtperipherie, wo ein wilder Mix an Gewerbe- und Wohnbauten wenig städtebaulichen Halt gibt und gestalterisch dem Motto „anything goes“ gehuldigt wird. Mit dem sehr luftigen, die Horizontale betonenden Supermarkt, den er mit Durchblicken auf begrünte Dachflächen und anderen Feinheiten veredelte, absorbiert Köberl recht geschickt den rauen Charme der Umgebung.

Mit der Bank hingegen, mit der wir uns hier ausführlicher befassen wollen, schuf er eine Stadtmarke, die aus dem unmittelbaren Rundherum ungeniert hervorsticht, sich davon distanziert und in großräumigerem Kontext gedacht ist.

Die BTV schreibt regelmäßig in den namensgebenden Bundesländern einen Bauherrenpreis aus. Mehrfach hat man sich selbst als verdienter Auftraggeber hervorgetan. Für das Grundstück am Mitterweg, auf dem es in einem Neubau zwei bestehenden Filialen in eine neue Geschäftsstelle überzuführen und zusätzliche vermietbare Geschäftsflächen zu schaffen galt, wurde ein geladener Architekturwettbewerb ausgelobt. Wiewohl es Signale gab, „etwas Kubisches“ im Sinn zu haben, widersetzte sich Köberl den Wünschen der Banker und schuf eine Art Pyramidenstumpf, der markant in die Höhe ragt. Nach einer ersten Wettbewerbsphase kam man zur Erkenntnis, das Grundstück sei zu knapp bemessen, um im Erdgeschoß der Bankfiliale ausreichend Entfaltungsmöglichkeit zu geben, und kürte keinen Sieger. Nachdem der Bauplatz um einen Zwickel erweitert werden konnte, schrieb man den Wettbewerb unter den gleichen vier Teilnehmern erneut aus. Köberl (Mitarbeit: Christopher Perchtold) bewarb sich wie zuvor mit einem extravaganten, völlig „unkubischen“ Entwurf und reüssierte.

Die auffällige Form gibt dem Gebäude Präsenz im Wirrwarr der frequentierten Vorstadtstraße. Köberl stellt sie in Bezug zu anderen markanten Baulichkeiten in der weiteren Umgebung, wie der weithin sichtbaren Allerheiligenkirche von Clemens Holzmeister, Josef Lackners Schule am Fürstenweg oder dem ehemaligen Pulverturm, der in Verlängerung der Achse des Mitterweg beim Flughafen liegt. Die sichtbare Gebäudehülle ist ein durchlässiger Filter, der das eigentliche – verglaste – Gebäude umhüllt.

Sie besteht aus schachbrettmusterartig auf einer Stahlkonstruktion angeordneten Platten aus glasfaserverstärktem Beton, deren Größe variiert, um trotz der geneigten Flächen durchgehend die horizontalen Linien beizubehalten. Der weiße Schleier wirft Licht-Schatten-Muster auf die Umgrenzungsmauer und in die Innenräume. Er schützt vor Einblicken und bewahrt von innen vor dem direkten Blick auf die wenig attraktive Nachbarschaft, lenkt diesen aber auch durch einzelne Fenster in die „schöne“ Umgebung – auf die Berge und in den Himmel.

Geerdet wird die luftige Figur durch eine Betonwand, die sich um das Gebäude windet. Sie begleitet die Zufahrt in die Tiefgarage und umgrenzt zwei Refugien im Freien: ein begrüntes Atrium an der Rückseite und eine mit zwei Fächerahornbüschen ausgestattete Terrasse, die östlich an die Besprechungsräume im Obergeschoß anschließt. Die verbaute Fläche ist knapp, Köberl wusste sie raffiniert zu nutzen und hat das Kunststück zuwege gebracht, dass sich das Gebäude von innen größer anfühlt als von außen, dies auch dank einer schlichten, aber edlen Innenausstattung mit Böden aus grau-weißem Terrazzo und von Köberl maßgeschneidert entworfenem Mobiliar im Schalterbereich. „Hirnförmiges“ Nussholz hat der Architekt hier sinnigerweise eingesetzt, und damit spielt er auch auf das bei Bankgeschäften notwendige Vorausdenken an, wie auch der karierte Schleier als Metapher für das „durchaus nicht nur sichere, sondern auch fragile Bankwesens“ zu deuten wäre.

Einem anderen Geschäft dient Köberl jüngstes Projekt. An die 20 Jahre schon suchte die Stadt nach einem Raum für eine öffentliche Toilette, bislang ein Manko in der prosperierenden Altstadt. Rainer Köberl, der es immer wieder verstand, unauffälligen Orten neue Reize zu verleihen, half bei der Suche und wurde im Parterre des historischen Stadtturms, wo seit den 1970er-Jahren die Stadtturmgalerie angesiedelt war, fündig. Vor etwa zehn Jahren wurde sie erweitert. Köberl ärgerte sich bereits damals darüber, dass man Geld in die Erweiterung steckt, anstatt den Künstlern bessere Räumlichkeiten zu beschaffen. Er schlug vor, die Bedürfnisanstalt hier unterzubringen, und durfte sie auch gestalten: in Gold und Schwarz, sehr großzügig, wobei Köberl die damalige Erweiterung nun recht gelegen kam, stellte sie ihm doch helle Räume zur Verfügung, wie man sie ansonsten für ein WC kaum anzudenken wagt. Eine Bank zum Rasten im Kassenbereich und der dahinter liegende Hof werten das stille Örtchen zu einem Ort der Stille auf, an dem es sich ein paar Schritte abseits des Trubels gut ausruhen lässt. Und die Stadtturmgalerie? Sie bekam neue Räume in der nahen Hofburg.

Spectrum, Sa., 2012.01.07



verknüpfte Bauwerke
MPREIS Mitterweg
BTV - Zweigstelle Mitterweg
WC Altstadt

15. Oktober 2011Franziska Leeb
Spectrum

„Der Platz vor dem Ring ist verhaut“

Friedrich Kurrent im Gespräch. Über seine Gewinn- und Verlustrechnung, Freund- und Feindschaften – sowie seinen noch offenen großen Wunsch: eine Synagoge am Wiener Ring.

Friedrich Kurrent im Gespräch. Über seine Gewinn- und Verlustrechnung, Freund- und Feindschaften – sowie seinen noch offenen großen Wunsch: eine Synagoge am Wiener Ring.

Friedrich Kurrent, den Prolog zu Ihrem ersten autobiografischen Buch beschließen Sie mit dem Satz: „Der Bach rauscht vorbei, das Leben rauscht vorbei“, den zur kürzlich erschienenen Fortsetzung über „Die Nullerjahre“ mit den Worten: „Das Wasser stürzt herab.“ Wie wichtig ist Ihnen das Wasser?

Mir war es immer wichtig, dass eine Siedlung an einem Bach ist.

Warum?

Weil man Schnee hineinschaufeln kann!

Schmerzt es Sie, nie einen größeren Wohnbau realisiert zu haben?

Ja, das ist bedauerlich. Schade ist es um ein Haus in einer Baulücke am Spittelberg. Der Einreichplan war genehmigt, es wäre ein zeitgemäßes Spittelberg-Haus geworden. Rudolf Wurzer hat es umgebracht. Sein Vorgänger als Planungsstadtrat, Fritz Hofmann, musste nach dem Reichsbrücken-Einsturz 1976 zurücktreten. Auf dem Bauplatz sind dann Bäume aufgeschossen. Wenn ich gewusst hätte, was kommt, hätte ich sie damals ausgerissen. Die gleiche Gemeinde Wien, die mir mit der einen Hand den Auftrag gegeben hat, hat ihn mir mit der anderen genommen.

Es gab auch noch andere Wohnbaukonzepte.

Für ein Gutachten an der Brünner Straße, 1970, habe ich ein einen Kilometer langes Haus vorgeschlagen. Abgestuft, um wenig Schatten zu erzeugen, und hinten waren lange Rampen, weil jede Wohnung den Autoabstellplatz direkt bei der Wohnung gehabt hätte. Heute mit den Elektroautos überhaupt kein Problem, damals zu utopisch. Also kann ich nicht sagen, es war ein Verlust.

Auch die Wohnraumschule, die Sie 1953 mit der Arbeitsgruppe 4 entwickelt haben, wäre nach heutigen Maßstäben aktuell.

Ja, genau so etwas sucht man heute: eine ganglose Schule, wo es nicht nur Klassen und Freiluftklassen gibt, sondern auch Wohnraum, wo alles stattfinden kann. Eine Schule mit Tierhaltung und Pflanzen, Nischen zum Basteln und so weiter.

„Ich glaube, er sieht die verrückte Alte noch immer gern“, beschrieb Michael Guttenbrunner Ihr Verhältnis zu Wien.

Ich habe Wien nie ausgelassen, wollte nie weggehen. Aber plötzlich hat man mich für das Bewerbungsverfahren für die Nachfolge von Johannes Ludwig an der TU München geladen. Nach drei Jahren bekam ich auch den Sakralbau-Lehrstuhl, den zuvor Josef Wiedemann innehatte.

Sie scheuen sich nicht, Kritik an Kollegen zu üben. Kommt das mit dem Alter?

Nein, das habe ich immer gemacht. Peichl ist mein Lieblingsfeind. Ich bin aus der von ihm organisierten Ausstellung „Die Sieben vom Schillerplatz“ ausgestiegen (Anm.: weil Ottokar Uhl und Anton Schweighofer nicht mit einbezogen wurden). Dann waren es nur noch sechs. Auf dem Sechser-Foto hat Peichl jedem eine rote Rose angesteckt – wie bei der Mafia. 20 Jahre später wurden in einem Fernsehfilm auch „Die vom Schillerplatz“ gezeigt, und man sah eine Einstellung mit diesem Foto, aus dem Spalt, Gsteu und Lackner ausgeblendet und Peichl, Holzbauer und Hollein zusammengerückt waren. Peichl war immer Karikaturist, und seine Architektur hat einen Stich ins Karikaturistische. Roland Rainer, der ihn bei der Stadthalle dazugenommen hat, hatte immer großen Respekt vor den Medien, aber Peichl hat das noch geschickter verstanden.

Das heißt, die Medien haben über Erfolg und Misserfolg mitentschieden.

Das hat damals begonnen. Wenn sie in München nach Rainer gefragt haben, sagte ich: „Er ist eine Kapazität, die mir aus der Entfernung lieber ist.“

Hat das auf Gegenseitigkeit beruht?

Ja, mit Schwankungen. Wir waren gut miteinander. 1990 hat mich Rainer angerufen und gefragt, ob ich für den „Kurier“ Architekturkritiken schreiben will. Ja, aber nicht ständig, habe ich gesagt. Wirklich meldet sich der Kulturressortchef Endler am nächsten Tag. „Machen Sie's?“, fragte er, und ich sagte, ja, hie und da. „Es muss nächste Woche sein, da wird das Haas-Haus eröffnet.“ Das „Haas-Haus“ hatte Rainer nicht erwähnt. Ich habe geantwortet, das kann ich nicht, weil ich noch nicht drin war. „Na, dann muss sich der Professor Rainer wen anderen suchen“, war die Antwort.

Sie haben etliche Gedenktafeln gestaltet.

Ja, für Adolf Loos und Josef Hoffmann zum 100. Geburtstag, dann für Plischke und für Josef Frank und die letzte für Anna Lülja Praun. So viele waren es nicht.

Zum 200. Geburtstag von Theophil Hansen 2013 wüssten Sie auch ein posthumes Geschenk – die Verlängerung der Hansenstraße.

Sie muss dann „Theophil-Hansen-Straße“ heißen, er hat hier gewohnt. Die Straße ist kurz, aber nicht zufällig so breit angeordnet, sie richtet sich nach der Flucht der Seitenrisalite der Museen. Aber der Platz vor dem Justizpalast bis zum Ring ist verhaut. Camillo Sitte kritisierte schon die „unrhythmische Stelle“ und schlug einen mächtigen Rundbau als Gelenk zwischen Parlament und Palais Epstein vor. Ich denke, dort müsste eine Synagoge hin. In den ersten Bezirk, nicht in die Leopoldstadt. Erstens war Leopold I. ein Antisemit, zweitens schrieb Ferdinand Kürnberger schon im 19. Jahrhundert: „Die Juden und die Praterhirschen wurden abgedrängt in Richtung Donau.“ An der Breitseite des Zwickels, gegenüber vom Justizpalast, nächst dem Parlament, wäre die ideale Stelle für ein „Haus der Geschichte“. Das muss natürlich ein Wettbewerb werden.

Seit wann arbeiten Sie an der Synagoge?

Schon im Jahr 2000 habe ich einen Typus für den Wettbewerb in München entwickelt, den man überall verwenden kann – größer, kleiner oder woanders. Dann hatte ich in der Neujahrsnacht 2006 den Geistesblitz, man könnte den Typus in Wien verwenden. Ich möchte, dass sie Wirklichkeit wird. Heuer im Februar habe ich Bürgermeister Häupl um einen Termin gebeten. Immerhin hat er mir zum Geburtstag gratuliert

Spectrum, Sa., 2011.10.15



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Kurrent Friedrich

01. Oktober 2011Franziska Leeb
Spectrum

Lernen in der Kiste

Der Zubau für die Hauptschule Rattenberg, Tirol: ein cooles Ambiente für die Schüler, trotzdem eine würdige Ergänzung des klösterlichen Bestandes. Und das alles mit einem Hauch Retro-Charme.

Der Zubau für die Hauptschule Rattenberg, Tirol: ein cooles Ambiente für die Schüler, trotzdem eine würdige Ergänzung des klösterlichen Bestandes. Und das alles mit einem Hauch Retro-Charme.

Der Innsbrucker Architekt Daniel Fügenschuh (Jahrgang 1970) begab sich mit seinem Vater einst zwecks Suche eines passenden Gymnasiums auf eine Tour durch mehrere Innsbrucker Schulen. Am damals noch jungen Gymnasium Reithmannstraße, geplant vom Architektenpaar Charlotte und Karl Pfeifer, imponierten dem jungen Fügenschuh die Modernität der Anlage sowie die Großzügigkeit der Gangflächen, und somit entschied das Gebäude die Schulwahl. Wie sehr Schulgebäude Persönlichkeiten und Karrieren prägen, würde sich schwer nachweisen lassen. Den Geruch seiner Schule, bestimmte Lichtverhältnisse, Räume, die eingeschüchtert haben, oder solche, in denen man sich frei fühlte, kann aber wohl kaum jemand aus seiner Erinnerung löschen.

Aus dem jungen Fügenschuh wurde immerhin einer der viel versprechenden Architekten der jüngeren Tiroler Generation. Noch als Student hat er seinen Eltern ein bemerkenswertes Haus in Igls geplant, um dann Architektenlehrjahre bei West 8 in Rotterdam und Michael Hopkins in London zu verbringen. Seit einigen Jahren wieder zurück in Innsbruck, kann er bereits auf ein respektables eigenes Werk verweisen. Sein erster Schulbau – eine Erweiterung der Hauptschule Rattenberg – ging kürzlich in Betrieb.

Seit den 1970er-Jahren ist die Hauptschule im ehemaligen Augustinerkloster, einem ab dem Ende des 14. Jahrhunderts errichteten Klosterkomplex, zwischen Stadtzentrum und Innufer untergebracht. Schon damals wurde ein neuer Trakt mit Turnsaal und darüber liegenden Klassen angebaut, der mit dem historischen Ensemble einen zur Stadt hin orientierten U-förmigen Hof umschließt. Das Feuerwehrhaus, das sich als „letzter Schandfleck“ der Stadt mitten auf dem Platz befand, musste weichen, um den sieben zum Wettbewerb geladenen Projektanten Raum für einen Erweiterungsvorschlag zu bieten. An Funktionen waren vor allem Infrastruktur für die Nachmittagsbetreuung der Kinder gewünscht, neue Umkleiden für den Turnsaal, ein zusätzliches Klassenzimmer und ein Kreativraum, der in der Ausschreibung noch etwas despektierlich „Bastelraum“ genannt wurde. Aus architektonisch-städtebaulicher Sicht war ein „Beitrag zur Bereinigung einer stadträumlichen Schwachstelle von Rattenberg“ gefragt, bei dem „Kontinuität im Sinne eines Weiterbauens“ Gegenstand des architektonischen Diskurses sein sollte. Ein Gegenstück, kein Gegenteil zum Bestand, so die Stellungnahme des Bundesdenkmalamtes, sollte der notwendige Erweiterungsbau werden.

Daniel Fügenschuh verstand es unter allen Wettbewerbsteilnehmern am besten, die notwendige neue Kubatur in jeder Hinsicht schlank zu halten und den Neubau so zu integrieren, dass viel Fläche im Freien erhalten bleibt. Oberflächlich gesehen, könnte man meinen, er hat nicht mehr gemacht, als eine schlichte Kiste parallel zum Anbau aus den 1970ern gestellt und die notwendigen Anschlüsse an den Bestand hergestellt zu haben. Aber was für eine Kiste! Und wie er sie mit dem Rest verwirkt, sodass auch die Nahtstellen attraktive Raumkonfigurationen werden! Raffiniert in der Materialisierung, in den Details und mit Räumen, die womöglich vieles von der Freiheit und Großzügigkeit vermitteln, die der Schüler Fügenschuh in den 1980er-Jahren in seiner Schule erfahren hat, wirkt der Zubau wie ein selbstverständlicher Teil des Ganzen und kein aus der Raumnot geborener Annex.

Der dreigeschoßige neue Flügel ergänzt die mächtige Klosteranlage respektvoll, aber ohne Scheu. Die Felder der äußeren Hülle der zweischaligen Betonkonstruktion bilden eine präzise austarierte Gliederung, die durch die feldweise unterschiedlichen Methoden der Oberflächenausbildung – schalglatt, poliert und gestockt – unterstützt wird. Das große quadratische Fenster wird mit seiner Umrahmung aus Kupfer zu einem Schule und Öffentlichkeit, Alt und Neu integrierenden Symbol.

Auf den ersten Blick wirkt der Zubau zur Stadt hin monolithisch und verschlossen, bietet aber mit seiner freien Erdgeschoßzone variantenreiche Möglichkeiten einer verschränkten Bespielung von Innenraum, überdachtem Freibereich und Platz. Den überdeckten Freibereich, der zum Beispiel als Freiluftklasse – eine Möblierung dafür ist in Arbeit – genutzt werden kann, geht über in das Foyer im zweigeschoßigen verglasten Gelenk, das den Neubau mit dem Turnsaaltrakt verbindet. An der Außenseite öffnet sich der einem gründlichen Lifting unterzogene Turnsaal Richtung Klostergarten und erweitert somit nochmals das mögliche Aktionsfeld ins Freie. Generell löst sich in der Art der Verschränkung die von außen als additiv wahrgenommene Aneinanderreihung von Turnsaal, Verbindungs- und Erschließungsglied und Betonriegel in ein wie selbstverständlich wirkendes Raumkontinuum auf. In erster Linie ist dies der Tatsache zu danken, dass Fügenschuh in der bestehenden Kubatur viele vorhandene „tote“ Flächen aktiviert hat. Die existierende Galerie des Turnsaals, die ehemals schwer zugänglich und nicht adäquat bespielt werden konnte, wurde zum Luftraum über dem Foyer hin geöffnet. Flächen für die Nachmittagsbetreuung mit einem zentralen blockhaften Tresen für die Essensausgabe sind auf dieser Ebene um den neuen Lichthof angeordnet.

Eine nonchalante Eleganz kennzeichnet alle offenen Bereichen und den Turnsaal, der auch extern und für kulturelle Veranstaltungen genutzt wird. In den Klassenräumen dominiert eine durchaus unbeschwerte Robustheit, der man einen gewissen Retro-Charme nicht absprechen kann: Die Wandtextur bildet die Lattenstruktur der Stulpschalung im naturbelassenen Beton ab, die im Zusammenspiel mit der Holzwollestruktur der Dämmplatten an der Decke akustisch vorteilhaft und optisch einfach lässig wirkt.

Erst wenige Wochen ist der Zubau in Betrieb – wie er den Schulbetrieb verändert und Persönlichkeiten zu prägen imstande ist, lässt sich also noch nicht sagen. Klar ist, dass hier einer sein gesamtes Wissen und sein ganzes Gespür dafür, was Schule sein kann – pädagogisch, gesellschaftlich, kulturell – in diesem Annex konzentriert hat.

Spectrum, Sa., 2011.10.01



verknüpfte Bauwerke
Erweiterung Hauptschule Rattenberg

30. Juli 2011Franziska Leeb
Spectrum

Umbau light gemacht

Aufeinandertreffen der Epochen. Das Rathaus in Kufstein wurde einer vorsichtigen baulichen Annäherung an die modernen Anforderungen eines Amtsgebäudes unterzogen.

Aufeinandertreffen der Epochen. Das Rathaus in Kufstein wurde einer vorsichtigen baulichen Annäherung an die modernen Anforderungen eines Amtsgebäudes unterzogen.

So friedlich und still, wie die „Perle Tirols“ besungen wird, präsentiert sich Kufstein derzeit nicht. Die Stadt befindet sich im Wandel und verspricht architektonisch um einige Projekte angereichert zu werden. Prägten die letzte größere Umgestaltung des Stadtzentrums ab 1900 vermehrt Architekten aus dem süddeutschen Raum, findet heute die Tiroler Architekturszene ein vielfältiges Arbeitsgebiet im Spannungsfeld zwischen historischer Substanz und modernen Anforderungen vor. Die Fachhochschule Kufstein von Henke/Schreieck geht in die dritte Erweiterungsphase. Zwischen Unterem Stadtplatz und Fischergries nimmt ein Komplex mit Geschäfts-, Büro- und Wohnflächen, geplant von Daniel Fügenschuh, Form an. Johannes Wiesflecker zeichnet für die Erweiterung des Gymnasiums – erbaut 1907 vom Stuttgarter Willy Graf – verantwortlich.

Das Herzstück des Kufsteiner Erneuerungsbooms wurde im Frühjahr fertiggestellt: die Sanierung und Erweiterung des Rathauses durch Rainer Köberl in Arbeitsgemeinschaft mit dem Büro von Thomas Giner und Erich Wucherer. Schon bei der Adaptierung des Sudhauses des Innsbrucker Adambräus von Lois Welzenbacher zu einem Architekturzentrum – abgeschlossen im Jahr 2004 – bewies sich diese Konstellation als baukulturell segensreich. In Kufstein überzeugen sie nun mit dem alten neuen Rathaus, das aus einem 2008 ausgelobten Wettbewerb hervorging. Das bestehende, im Kern aus dem Mittelalter stammende Rathaus am Unteren Stadtplatz erfuhr seine letzte wesentliche Umgestaltung 1923/1924 von Willy Graf. Längst war es zu klein geworden und entsprach nicht mehr den Anforderungen eines modernen Amtshauses. Die Aufgabenstellung bestand darin, diesen Bestand einer Generalsanierung zu unterziehen und mit dem an der Rückseite angrenzenden und dem Oberen Stadtplatz zugewandten Bildsteinhaus sowie dem in Richtung Pfarrkirche angrenzenden Paramentenstöckl zu einem zeitgemäßen Verwaltungsgebäude zu verbinden.

Die Jury unter Vorsitz von Walter Angonese konnte sich damals nicht durchringen, einen ersten Preis zu vergeben. Köberl/Giner/Wucherer landeten zwar ganz vorne, aber eben bloß auf dem zweiten Platz. Grund dafür war wohl, dass sie die Vorgabe ignorierten, den bestehenden Ratssaal zu erhalten, und stattdessen mit einem neuen Saal das Bildsteinhaus bekrönten.

In der Überarbeitung des Konzepts gewann es an Homogenität und inhaltlicher Schlüssigkeit, wobei aber doch alle wesentlichen vorgeschlagenen Maßnahmen erhalten blieben und dem Wunsch der Auslober entsprochen wurde, den bestehenden gewölbten Rathaussaal zu erhalten. Mit seinen zwei Zugängen und dem alten Gewölbe, das von neuen, zurückhaltenden Interventionen wie einem hellen Terrazzoboden betont wird, versinnbildlicht er die Planungsphilosophie, die hinter dem Gebäude steht. „Nicht unsympathisch, sondern besonders – aber doch lapidar“ sollte die Anmutung des Hauses sein, formulierte Rainer Köberl in einer Notiz während der Planungsphase. Das ist gelungen und vor allem dem bewussten Umgang mit Materialien und der detailplanerischen Sorgfalt an allen Nahtstellen zwischen Alt und Neu zu danken.

Die essenziellste Überlegung bestand darin, den Haupteingang vom Unteren Stadtplatz in den neu hinzugekommenen Teil am Oberen Stadtplatz in unmittelbarer Nachbarschaft zum Aufgang zur Pfarrkirche zu verlegen und dem Rathaus ein neues Gesicht zu geben. Ein Vorbau, der den Platz einengte und den Aufgang zur Kirche verstellte, wurde entfernt, dem Gebäude eine hellgraue Farbe verpasst. Über dem Gesims thront eine neue Gebäudekrone in Form ei- ner Wand aus weißen, im Zickzack angeordneten Lamellenwänden aus Metall, die den dahinter liegenden Rathaussaal beschatten und ab der Dämmerung hinterleuchtet zu einem schlichten, aber doch signifikanten urbanen Zeichen werden. Das Rundbogenportal mit verglasten Seitenteilen führt in ein Foyer, in dem ein Serviceschalter als erste Kontaktstelle fungiert. Dieser tonnengewölbte Raum geht über in das neu geschaffene Verbindungs- und Verteilergelenk des Komplexes. Die Treppen begleiten den eine vertikale Spange nach oben schaffenden Lichthof, wo es das Aufeinandertreffen der Konstruktionen aus unterschiedlichen Epochen zu lösen und das ganze Gefüge in ein Gleichgewicht zu bringen galt.

Der grob strukturierte Putz der alten Rathausfassade wurde ins Innere gezogen und sorgt nun in vertrauter Ockerfarbe für eine subtile und leicht deutbare Orientierungshilfe. Sonst dominieren Weiß an Böden und Wänden und Sichtbeton bei allen Maßnahmen, die dem alten Gemäuer konstruktiven Halt geben. Sobald die Raumfunktionen individueller gewidmet sind, kommt als Oberflächenmaterial robuste Kupfereiche dazu, aus der einzelne vom Innsbrucker Tischlermeister Gerhard Höckner ausgeführte Möbelstücke angefertigt wurden. Ein verglaster Liftschacht mit einer Intervention des Kufsteiner Fotokünstlers Nikolaus Schletterer und mannigfaltige Durchblicke über die Bauteile hinweg ermöglichen von jedem Geschoß aus Ausblicke in alle Richtungen. Alle Anschlüsse zwischen den verschiedenen Bauteilen und Materialien sind sehr präzise ausgeführt. Zuweilen verschwimmen die eindeutigen Grenzen zwischen Alt und Neu, weil man nicht die Strategie verfolgte, hundertprozentig alles Neue neu wirken zu lassen. Der Homogenität des Ganzen war diese Suche nach dem atmosphärisch Richtigen sicher förderlicher als eine sture, von korrekten archäologischen Kriterien bestimmte Strategie.

Fast alle Bürotüren sind transparent gehalten. Das fördert nicht nur die Kontaktaufnahme zwischen den Mitarbeitern, sondern auch zu den Besuchern, die nun nicht mehr anklopfen und fragen müssen, ob man eintreten dürfe, sondern schon vom Vorbereich aus erkennen, ob Warten angesagt ist.

Die Realisierung hat die Versprechungen des Wettbewerbsprojekts mehr als erfüllt. In der Zwischenzeit durften sich Köberl/Giner/Wucher auch mit der Verbesserung des unmittelbaren Umfelds, der Gestaltung des Unteren Stadtplatzes, befassen, die 2012 abgeschlossen sein wird.

Spectrum, Sa., 2011.07.30

25. Juni 2011Franziska Leeb
Spectrum

Die Lust am Faltenrock

Allerbeste Energiekennzahlen mit guter Gestaltung vereinen. Das geht. Ein Passivhaus vom Architektenteam Querkraft in Wien-Brigittenau.

Allerbeste Energiekennzahlen mit guter Gestaltung vereinen. Das geht. Ein Passivhaus vom Architektenteam Querkraft in Wien-Brigittenau.

Nüchterne Effizienz, aufgepeppt mit nutzerfreundlichen Zusatzangeboten und das Ganze gepaart mit viel Sportsgeist bei der Ausreizung gängiger Regeln, zeichnet seit jeher die Architekturkonzepte des Wiener Architektenteams Querkraft aus. Im Wohnungsbau mit seinen beschränkten Mitteln – sei es, weil die Wohnbauförderung eine bestimmte Kostenobergrenze festsetzt, ein Investor die Rendite maximieren möchte oder ein privater Häuslbauer auf sein Budget schauen muss – macht sich dieses Talent besonders bezahlt.

Als die Heindl Holding für das Grundstück an der Ecke von Universumstraße und Kampstraße nach geeigneten Architekten zur Umsetzung eines Passivhauses suchte, hielt man bewusst nicht nach Planern Ausschau, die als Passivhausarchitekten bekannt sind, betont Projektleiter Rainer Tietel. In erster Linie wollte man eine besondere, clevere Architektur. Ein energiesparendes Haus zu errichten, das die Kriterien eines „klima:aktiv Passivhauses“ erfüllt, war quasi die Zusatzaufgabe. Dieser Gebäudestandard verfügt über einen Heizwärmebedarf, der mindestens 80 Prozent unter jenem normaler Neubauten liegt. Anhand des Gesamt-Primärenergiebedarfs wird die energetische Qualität von Gebäudehülle, Wärmeversorgungssystem und Energieträger bewertet. Zudem ist der Einsatz besonders klimaschädlicher Baustoffe zu vermeiden, gute Raumluftqualität und Benutzerkomfort müssen gesichert sein. Die Herausforderung für die Architekten liegt dabei darin, trotz unumgänglicher Notwendigkeiten, die in einem Kriterienkatalog definiert sind, nicht ihre ureigensten Kompetenzen als Gestalter eines räumlich attraktiven Lebensumfelds zugunsten der bauphysikalischen Erfordernisse hintanzustellen.

Mit einem dick gedämmten Würfel mit kleinen Löchern ist der angepeilte technische Standard am leichtesten zu erreichen. Für das Team von Querkraft – Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp und Projektleiter Dominique Dinies – wäre dies allerdings eine unbefriedigende Lösung gewesen. Sie „kneteten“ dieses theoretische technische Optimum so lange, bis die Form gefunden war, die auch einen räumlichen und städtebaulichen Mehrwert anbieten konnte, und das Vorurteil entkräftet, Passivhäuser müssten zwangsläufig unelegant klobige, hermetisch abgeschlossene Gebäude sein.

Auf einem unregelmäßigen Rechteck entwickelten sie einen Baukörper mit zentralem Stiegenhaus, der den Blockrand nicht ganz schließt, sondern zum benachbarten – noch unbebauten – Grundstück eine Fuge lässt, durch die sowohl ein angenehmer, von der Straße abgesetzter Zugang entsteht als auch die Nachmittagssonne sich den Weg zu den hofseitig gelegenen Wohnungen bahnen kann. Entlang der Kampstraße schließt es an ein vom gleichen Bauträger errichtetes und von Françoise-Hélène Jourda geplantes Wohn- und Bürohaus an. An allen drei Seiten durchgehend umlaufende Balkone sorgen dafür, dass aus sämtlichen Zimmern der direkte Zutritt ins Freie möglich ist. Keine Fensterluken also, sondern pro Wohnung zwei bis vier bis zum Boden reichende, unterschiedlich breite Öffnungen. Um diesen privaten Freiräumen einen abwechslungsreicheren und räumlich angenehmeren Zuschnitt zu geben, wurden sowohl die Gebäudehülle als auch die Balkonplatten einer Verformung unterzogen: Indem die Außenwände Knicke nach innen und die Balkonzone Knicke nach außen erhielten, entstanden Balkontiefen, die eine sinnvolle Möblierung und bequeme Nutzung begünstigen und zudem die Begrenzungsflächen zu den jeweiligen Nachbarn gering halten. Selbst die kleineren Wohnungen verfügen so noch über einen zehn Quadratmeter großen Freiraum, bei den 74 Quadratmeter großen Eckwohnungen sind es gar 25 Quadratmeter.

Balkone oder Loggien sind immer eine jener Zone, in der die einzelnen Bewohner individuelle Gestaltungsambitionen ausleben, oft nicht zur Freude der Architekten. Querkraft hingegen lieferte den Bewohnern gleich ein passendes Instrument, um diese Kreativität zu befriedigen und zugleich dafür zu sorgen, dass eine rasche und unkomplizierte Begrünung ermöglicht wird. In den Geländerstäben wurden Lochungen vorgesehen, in die Halterungen zur Befestigung von Blumentöpfen und Pflanzkästen eingehängt werden können. Ein entsprechendes Sortiment an Schellen und Bügeln wurde an die Bewohner bereits ausgegeben und auf so gut wie allen Geländersegmenten arrangiert. Das Thema des Begrünens wurde nicht ausschließlich an die Bewohner delegiert: Vor den Büros der Erdgeschoßzone säumt entlang des Gehsteigs ein bepflanzter Streifen das Haus, und im hauseigenen Hof wuchern Blumen, Kräuter, Gräser, Sträucher und Bäume, dass es eine Freude ist. Begrünt sind auch all jene Dachflächen, die nicht von der riesigen Dachterrasse eingenommen werden, und zwar nicht in der üblichen konventionellen, gleichförmigen Art, sondern bewusst gestaltet.

Flächen zur individuellen Aneignung stehen auch in der internen Erschließung in hohem Ausmaß bereit. Das Entree ist kein winziger Schluf, sondern eine geräumige Halle. Ein Trinkwasserbrunnen sorgt für eine rasche Erfrischung außerhalb der eigenen vier Wände. Das Stiegenhaus ist so großzügig, dass es einlädt, zu Fuß zu gehen, und mit den breiten Gangflächen zu einem angenehmen, wohl auch als Begegnungsort tauglichen Binnenraum wird. Über der Eingangszone liegt ein zwei Geschoße hoher Gemeinschaftsraum mit vorgelagerter Terrasse. Genau darüber wurde nochmals ein – diesmal zum Stiegenhaus hin offener – Raum vorgesehen, der zur Bespielung durch die Hausgemeinschaft, zum Beispiel als Wintergarten, bereitsteht.

Es sind keine gestalterischen Kinkerlitzchen, die dieses Energiesparhaus zu einem angenehmen, sympathischen Wohnort machen, sondern wohlüberlegte Raumangebote, die über das Übliche hinausgehen, ohne für Kostenexplosionen zu sorgen. Das Haus offeriert eine robuste Struktur, die den frisch eingezogenen Nutzern die Möglichkeit gibt, sich auch außerhalb der eigenen Wohnung vielfach im Haus aufhalten zu können und im Idealfall zu einer Hausgemeinschaft zu werden, die diese Räume aktiv bespielt und gestaltet.

Spectrum, Sa., 2011.06.25



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Passivwohnhaus Universumstraße

09. April 2011Franziska Leeb
Spectrum

Wie Schafe auf der Wiese

Sanfte Faltungen, beiläufige Nettigkeiten, gut strukturierte Freiräume: Eine neuer Stadtteil an der U2 wartet mit allerhand Erfreulichem auf. Ein paar Enttäuschungen gibt's auch.

Sanfte Faltungen, beiläufige Nettigkeiten, gut strukturierte Freiräume: Eine neuer Stadtteil an der U2 wartet mit allerhand Erfreulichem auf. Ein paar Enttäuschungen gibt's auch.

Während man sich am künftigen Ende der U-Bahn-Linie U2 noch bis mindestens 2013 per Smartphone-Anwendungin die erweiterte Realität wird begeben müssen, um die Seestadt Aspern in ihren Dimensionen zu erfassen, braucht es in anderen Teilen des Donaustädter Stadtentwicklungsgebietes entlang der U-Bahn-Trasse keinerlei Wahrnehmungshilfen mehr, um die Wirklichkeit zu begreifen. Vorläufig endet die U2 an der Aspernstraße. Eva Česka und Friedrich Priesner (gemeinsam mit Georg Hurka „Česka Priesner Partner Architektur“ – kurz ČPPA) haben im Jahr 2000 ein städtebauliches Gutachterverfahren für das Areal gewonnen. Als Vorgaben hatten sie damals nur die Trassenführung der U-Bahn und die Lage der Station, aber keine Bebauungsdichten zu berücksichtigen. Die nicht unheikle Aufgabe, am Stadtrand ein neues Wohnquartier mit sämtlicher notwendiger Infrastruktur zu etablieren und die Themen Wohnen am Stadtrand und Urbanität in Einklang zu bringen, lösten sie durchaus überzeugend. Westlich der Trasse sahen sie einen breiten Grünzug vor, der im Bereich der Station zum Platz wird. Entlang dieser öffentlichen Freiräume sollte soziale Infrastruktur wie Kindertagesheime angesiedelt werden. Zur Erzherzog-Karl-Straße hin war ursprünglich ein Block mit Freizeit- und Sporteinrichtungen vorgesehen. Dreigeschoßige Randbebauungen sollten die Wohnquartiere entlang der Lavaterstraße und den Querachsen säumen, dazwischen schlugen sie in lockerer Struktur ein Gewirk aus niedrigen Baukörpern mir vielen privaten und halböffentlichen Freiflächen vor. Als städtische Geste war entlang des Platzes eine Spange aus oberirdischen Parkdecks mit Bürogeschoßen und einem Studentenheim vorgesehen, die dem zentralen Platz ein bauliches Rückgrat gibt und, indem sie die Trasse überbrückt, die Barrierewirkung derselben aufhebt.

Etwas mehr als zehn Jahre nach diesem einstimmig entschiedenen Wettbewerb ist vorerst von diesem Leitprojekt nicht mehr viel zu spüren. Es wurde nachverdichtet, und Wohnbau macht sich dort breit, wo im Wettbewerb gewerbliche oder öffentliche Bauten sinnvoller wären. Die Büro-Spange kam nicht. Stattdessen entsteht hier im Anschluss an den vom Architekten der U-Bahn-Stationen, Paul Katzberger, wunderbar großzügig als Spiel- und Aktionsfläche konzipierten Platz ein Wohnblock mit sieben über einer Geschäftszone gestapelten Geschoßen. Einen Block weiter westlich ersetzte man die vorgesehenen Sporteinrichtungen durch einen apart anmutenden Wohnbau, der die Widmung mit einer abgetreppten Gebäudefront schlau ausnützt und von pool Architektur stammt. Laut Beschreibung der Architekten dient er als „Lärmschutzwand für das dahinterliegende Wohngebiet“. Leider hat es aber trotz Höhenabstufungen auch die Sonne schwer, zu den niedrigen Bauten im Anschluss durchzudringen. Dahinter aber geht es im Sinne des Leitprojektes von ČPPA weiter, die wie üblich als Sieger des städtebaulichen Wettbewerbes mit der Planung eines Quartiers beauftragt wurden, dem wir uns hier ausführlicher widmen wollen. Gleichzeitig entstanden zwei weitere Quartiere, für die Room8 sowie AllesWirdGut gemeinsam mit feld72 verantwortlich zeichnen.

Ihre Bauherren durften sich Česka und Priesner selbst wählen und schätzen sich mit der Auswahl von GEWOG und WBV-GPA auch im Nachhinein glücklich, weil sie von ihnen nicht genötigt wurden, die mögliche Dichte auszunutzen. Andreas Fellerer und Jiři Vendl wurden als Kooperationspartner ins Boot genommen.

Ein schlichter Riegel mit vier Wohngeschoßen über einer mit Gemeinschaftsräumen und Büros genutzten Erdgeschoßzone fasst die Siedlung zur Lavaterstraße hin. Man kommt ohne spektakuläre Gesten aus. Statt dessen: sanfte Faltungen, wie in der Loggienzone des Straßentrakts oder den hölzernen Brüstungen der Terrassenhäuser dahinter, die der strengen Orthongonalität der Baukörper die Härte nehmen. Auffallend ist, mit welcher Feinfühligkeit zahlreiche Nettigkeiten ganz beiläufig Aufenthaltsqualität und Nutzbarkeit der privaten Freiräume verbessern. Dazu zählen die Ablagebretter unter den Terrassen- und Balkonbrüstungsoberkanten, die Blumentöpfe und andere Dinge von außen unsichtbar aufnehmen.

Die dreigeschoßigen Terrassenhäuser bilden das Zentrum der Anlage. Nach Südwesten orientieren sich die Zimmer und Aufenthaltsräume an Terrassen und Gärten. Westlich abschließende Kopfbauteile bergen Fahrrad- und Kinderwagenabstellräume in sinnvoller zentraler Position und zuoberst Waschküchen mit angrenzenden Gemeinschafts-Dachterrassen. Im Gegensatz zur wohnlichen, sonnigen Seite mit den Holzbrüstungen präsentiert sich die schattigere Laubengangseite kühler, besticht aber trotz der offensichtlich notwendigen Pragmatik mitsorgfältig überlegten Details und dezenten Stimmungsmachern, wie den weißen Lochblechbrüstungen mit Lilienornament.

Schön gelöst sind auch die Vorbereiche der locker, wie grasende Schafe angeordnetenReihenhäuser. Betonscheiben formen und überdecken ein attraktives Entrée in den Garten und stellen einen uneinsehbaren Winkel für Spiel- und Gartengeräte bereit. Eine weitere schmale Sichtbetonscheibe überdeckt den Hauseingang und das breite Wohnzimmerfenster, dem außen noch ein Holzwinkel als Sitzbank vorgelagert ist.

Großen Anteil daran hat die Freiraumgestaltung von Maria Auböck und János Kárász,die sich bauplatzübergreifend durch alle vierQuartiere zieht. Eibisch- und Hainbuchenhecken säumen die Mietergärten, von denenjeder mit einem Obstbaum bedacht wurde. Teilweise ist das Gelände sanft moduliert, Baumgruppen setzen Akzente, die Spielplätze sind mehr als nur eingezäunte Ebenen mit den ewiggleichen Standardgeräten. Die Erdgeschoßzone an der Lavaterstraße erhielt durch große Pflanzvitrinen grüne Akzente. Auch wenn das Grün noch Zeit zur Entfaltung braucht: Dank der Stellung der Baukörper zueinander, ausreichender Distanzen dazwischen und gut strukturierter Freiräume, erlebt man den Freiraum auch als siedlungsfremde Passantin schon jetzt mit Wohlgefühl. Schade nur, dass das städtebauliche Konzept im Lauf der Jahre so erodiert ist.

Spectrum, Sa., 2011.04.09

05. März 2011Franziska Leeb
Spectrum

Chance vertan

Eine Wiener Mustersiedlung hätte es werden sollen, nördlich des Heeresspitals. Sieben österreichische Biennale-Architekten haben daran gearbeitet. Gescheitert ist das Projekt, weil der Bauträger eine Erhöhung der Bebauungsdichte verlangte.

Eine Wiener Mustersiedlung hätte es werden sollen, nördlich des Heeresspitals. Sieben österreichische Biennale-Architekten haben daran gearbeitet. Gescheitert ist das Projekt, weil der Bauträger eine Erhöhung der Bebauungsdichte verlangte.

Es ist ziemlich genau zwei Jahre her, dass der Wiener Wohnbaustadtrat Michael Ludwig „ die Entwicklung innovativer Bau- und Wohnkonzepte an der Schnittstelle von Architektur, Nutzerfreundlichkeit und Leistbarkeit“ als „ein Gebot der Stunde“ beschwor und zugleich ein Projekt, dass eben diese Innovationen leisten möge, vorstellte. Die sieben zum Thema Wohnbau im österreichischen Pavillon bei der Architektur- Biennale 2008 in Venedig vertretenen Architekturbüros, Maria Flöckner und Hermann Schnöll, Henke und Schreieck, Jabornegg & Pálffy, Marte.Marte, Wolfgang Pöschl/Tatanka Ideenvertriebsgmbh., Riegler Riewe und Gerhard Steixner, wurden beauftragt, rund 200 Wohnungen umzusetzen. Laut der österreichischen Biennale-08- Kommissärin und Anstoßgeberin für die Mustersiedlung, Architektin Bettina Götz, waren die Ansprüche an das Projekt hoch. Von Hinterfragung gängiger Bebauungsplanung im Wohnbau über neue Wohntypologien bis hin zu technologischen Innovationen sollten aus dem Projekt neue Erfahrungen und Rückschlüsse gewonnen werden. Auf die wird man weiterhin warten müssen. Die Architekten sind aus dem Werkvertrag mit dem Bauträger ausgestiegen, weil sie die verlangte Bebauungsdichte für den Standort nicht vertreten können.

Im März 2009 traf man sich mit der für den geförderten Wohnbau zuständigen Magistratsabteilung 50 und den Vertretern der Bauträger, um die Weichen für eine Realisierung auf einem Grundstück im Stadtentwicklungsgebiet nördlich des Heeresspitals zu stellen. Zwei Monate später folgte ein Workshop im Architekturzentrum, bei dem auch die für die Flächenwidmung zuständige Magistratsabteilung 21 vertreten war. Bei diesen Gelegenheiten deponierten die Architekten, dass die vorgegebenen Parameter für die Bebauung in hohem Ausmaß definiert sind und daher die Entwurfsfreiheiten stark einschränken. Eine Widmung, innerhalb deren eine maximale Dichte frei durch die Architekten verteilt werden könne, wäre wünschenswert, auch um später Ausnahmeregelungen, sprich „ unwesentliche Abweichungen von den Bebauungsbestimmungen“ nach Paragraf 69 der Wiener Bauordnung, zu vermeiden. Die zu diesem Zeitpunkt bestehende Widmung wurzelte in einem 1999 abgehaltenen städtebaulichen Wettbewerb. Gewonnen hatte diesen Architekt Johannes Kastner-Lanjus, der 2008 mit einer Verdichtung von 450 auf mehr als doppelt so viele Wohnungen auf dem Gesamtareal beauftragt wurde.

Nachdem das Baufeld für die Mustersiedlung, ein Grundstücksstreifen im Süden des Entwicklungsgebietes, definiert war, wurde fortan an einem gemeinsamen Ganzen gearbeitet. Einfach war es nicht, sieben unterschiedliche Positionen in einem Projekt zu vereinen, das geben alle Beteiligten zu. Dennoch war die Stimmung gut, das Arbeitsklima produktiv, und man habe in den Diskussionen voneinander profitiert. Geeinigt haben sie sich schließlich auf eine zusammenhängende Bebauung mit offener Hofstruktur, in der jedes Architekturbüro einen Abschnitt bearbeitet. Herausgekommen ist ein durchaus bemerkenswertes Konglomerat unterschiedlicher Wohnungstypen mit einem starken Fokus auf ein attraktives Wohnumfeld. In einer weitgehend für gemeinschaftliche Nutzungen freigehaltenen Erdgeschoßzone sollte man von einem Milieu zum anderen gelangen. Für benachbarte Abschnitte wurde jeweils eine gemeinsame Erschließung erarbeitet, was wirtschaftlich sinnvoll ist und die Verschränkung in den oberen Geschoßen gewährleistet. Ein außerordentlich hoher Anteil von Gärten, Loggien und Terrassen, als Wohnräume im Freien, war selbstverständlich. Eine geeignete bautechnische Variante konnte nicht mehr gefunden werden, angepeilt wurde jedoch ein modulares System, das auf alle Wohnungstypen angewendet wird, um den Bau wirtschaftlich abzuwickeln. Immer wieder wurde das Projekt mit der Wohnbaugesellschaft, der Kabelwerk Bauträger GmbH, besprochen und schließlich der Magistratsabteilung 21 zur Anpassung der Widmung vorgelegt. Spätestens als ein großzügigerer Rahmen in Aussicht gestellt wurde, als zur Realisierung des vorgelegten Projektes notwendig gewesen wäre, hätten die Alarmglocken schrillen müssen. Im guten Glauben, dass somit Luft für eine einfachere Umsetzung des vorgelegten Konzeptes geschaffen würde, verschwendeten die Architekten keinen Gedanken an eine weitere Verdichtung. Man hatte sich schließlich auf ein Projekt geeinigt, das über eine aus städtebaulicher Sicht für die Stadtrandlage angemessene Dichte verfügt, und wähnte sich zudem durch den Architektenwerkvertrag und das initiale Interesse des Wohnbaustadtrates abgesichert.

Ein Irrtum, wie sich Anfang September 2010 herausstellte, als die Wohnbaugesellschaft den Architekten mitteilte, dass die höhere Widmung auszunutzen sei. Statt 208 Wohnungen, wie im kaum mehr als zwei Monate zuvor abgeschlossenen Architektenvertrag festgehalten, sollten nun 340 realisiert werden. Kabelwerk-Geschäftsführer Peter Fleissner begründet die Verdichtung mit den durch die unerwartet hohe Widmung gestiegenen Grundstückskosten, deren Bewertung sich an der erzielbaren Nutzfläche orientiert. Zudem hätte in der letzten Widmungsphase die Stadtplanung im südlichen Teil zusätzliche Grundstücksfläche der Widmung zugeschlagen, die vom Bauträger dazugekauft werden musste. Würde die Wohnungsanzahl nicht erhöht, werden die einzelnen Wohnungen teurer.

Eine derartige Auftragsvergrößerung löst im Normalfall große Freude bei den Planern aus. Nicht so in diesem Fall, wo sich die Architekten bereits an der Grenze der in dieser Lage für sie vertretbaren Dichte bewegten und man überdies zuvor nie darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass das Widmungspotenzial auszunützen sei. Ein Schreiben, das Wohnbaustadtrat Michael Ludwig von der „ unerwarteten Wende“ des Projektes in Kenntnis setzte und das Interesse an der Realisierung einer Musterwohnanlage in Wien bekräftigte, blieb unbeantwortet. Ob der Unvereinbarkeit von Bauherrenwunsch und architektonischem Konzept stiegen die Architekten aus dem Vertrag mit dem Bauträger aus. Es sei ein idealistisches Projekt gewesen, so Bauträger Fleissner, das man gern realisiert hätte. Leider wurde die Widmung höher und waren die Architekten nicht flexibel genug, darauf zu reagieren. Ein Lapsus mit Folgen oder doch Kalkül? Wer profitiert davon, dass die räumliche Qualität für Anrainer und künftige Bewohner gemindert wird? Eine Chance ist vertan. Wie auf Anfrage der „ Presse“ das Büro des Wohnbaustadtrates mitteilt, werde es kein neues Grundstück für dieses Projekt geben. Mit der Vermittlung der Architekten an den Bauträger habe man seinen Teil erfüllt. Bedauerlich, dass sich diese nicht einigen konnten. Leistbares Wohnen, Wohnzufriedenheit und mehr Nachhaltigkeit seien die aktuellen Schwerpunkte. Genau das und noch mehr wollten die sieben Architekten. Es bleibt die Hoffnung, dass das Scheitern dieses so engagiert in Angriff genommenen Projekts zumindest einen Anlass liefert, über Instrumentarien nachzudenken, die den geförderten Wohnbau aus der Geiselhaft der Bodenpreise befreien.

Spectrum, Sa., 2011.03.05

29. Januar 2011Franziska Leeb
Spectrum

Der schöne Schutz

Bei Gefahr kümmert es niemanden, wie ein Hochwasserschutz aussieht. Halten muss er. Das heißt nicht, dass er in Trockenzeiten nicht auch etwas fürs Auge sein kann. Wie etwa im niederösterreichischen Persenbeug an der Donau.

Bei Gefahr kümmert es niemanden, wie ein Hochwasserschutz aussieht. Halten muss er. Das heißt nicht, dass er in Trockenzeiten nicht auch etwas fürs Auge sein kann. Wie etwa im niederösterreichischen Persenbeug an der Donau.

Von jeher war der Donauabschnitt zwischen Persenbeug und Gottsdorf gefürchtet. Wilde Strudel, Wirbel und Untiefen machten die „Böse Beuge“ zu einer Herausforderung für die Schiffer, ehe ab dem 18. Jahrhundert die bedrohlichsten Felsen gesprengt wurden und schließlich Ende der 1950er-Jahre das Kraftwerk Ybbs-Persenbeugzu einem Sinnbild für die Macht des Menschen über das Wasser wurde. Aber das Leben am Strom birgt bis heute Gefahren. Die Kombination von Tauwetter und Regen sorgt regelmäßig für Alarmbereitschaft. Die nach der Jahrhundertflut von 2002 im großen Stil in Angriff genommenen Hochwasserschutzbauten sind noch nicht lückenlos umgesetzt. Die Gemeinde Persenbeug-Gottsdorf konnte bereits einen ersten wichtigen Abschnitt zu Ende führen, für den zweiten haben Bund und Land die Mittel noch nicht freigegeben.

Es ist in Österreich nicht üblich, besondere Überlegungen auf die Gestaltung technischer Infrastrukturbauten zu verwenden. Kein Wunder, dass vorerst die Planung des Hochwasserschutzes an der Donau ohne architektonische und landschaftsplanerische Kompetenzen in Gang kam. Wasserbauingenieure sind darin geschult, die Kraft des Wassers mit allen technischen Finessen in die richtigen Bahnen zu lenken. Der Großteil davon – Pumpwerke, Fundierungen und Drainagen – tritt ohnedies nicht zutage. Den sichtbaren Dämmen, Schutzmauern und Wänden, in die bei Hochwassergefahr mobile Schutzelemente eingehängt werden, gesteht man zu, zwar nützlich, aber nicht schön sein zu müssen. Gerade in den reizvollen Landschaften des Nibelungengaus und der Wachau gänzlich ohne Gestaltungskompetenz zu agieren erschien wohl auch den zuständigen Landesbehörden fahrlässig, und so schlug man den Gemeinden Architekten und Landschaftsplaner vor, die für die Gestaltung der sichtbaren Elemente Sorge tragen sollten. Bürgermeister Manfred Mitmasser erinnert sich daran, dass er anfangs wenig darüber erbaut war, sich neben den Ingenieuren auch noch mit Architekten befassen zu müssen. War die Bauaufgabe doch beieiner pragmatisch ingenieurbaumäßigen Herangehensweise schon aufwendig und teuer genug. Immerhin hatte die Gemeinde 20 Prozent der Kosten zu tragen. Heute ist er froh darüber, einen hartnäckigen Architekten an seiner Seite gehabt zu haben.

Das zugeordnete Gestalterduo, der Wiener Architekt Karl Langer und der Landschaftsplaner Georg Schumacher, begnügte sich nicht mit der Rolle der Mauer-Verschönerer. Konfrontiert mit den Vorstellungen der Ingenieure und den örtlichen Gegebenheiten, erstellten sie statt eines Vorentwurfes eine Bestandscharakteristik. Diese illustrierte offenbar verständlich genug, welche Auswirkungen die geplanten Maßnahmen ohne gestalterische Intervention hätten. Parallel dazu entwickelten sie Maßnahmen zur besseren Integration des Hochwasserschutzes in die Landschaft und stellten Überlegungen zu Ausbildung der Übergänge zwischen den einzelnen Bauteilen an.

Dabei beschränkten sich Langer und Schumacher nicht auf die reine Formgebung einzelner Elemente, sondern bedachten stets die Auswirkungen des Gesamten auf Festland wie Flusslandschaft. Es ging um eine architektonische Haltung, die einerseits der Landschaft gerecht wird, andererseits aber auch den Sinn der technischen Zweckbauten nicht verleugnet und auf lange – auch optische – Haltbarkeit abzielt. Sie nahmen Einfluss auf die Linienführung der Mauern, schufen Torsituationen, gepflasterte Plätze und Fenster in die Landschaft, integrierten Sitzgelegenheiten und ergänzten ein Pumpwerk zur Rastinsel für Radtouristen. Am skulptural wirkenden Tor beim Pumpwerk die historischen Pegelstände ablesend, spürt man, dass mit der Donau nicht zu spaßen ist. Wenn der Pegel des hundertjährigen Hochwassers überschritten wird, muss der Polder geflutet werden. Die Fertigteile der Überlaufstrecke wurden in Form einer angedeuteten Welle ausgebildet. Das Wasser fließt deshalb nicht schneller darüber hinweg, aber ohne zu geschwätzig zu wirken, erzählt uns der Bauteil auch im trockenen Zustand von seiner Aufgabe.

Von einer außerordentlichen Anmut ist die Ausführung des Betons: Dunkles Hartgestein aus dem nahen Steinbruch Loja und Eisenoxid verleihen ihm eine Färbung, die jener des Felsens von Schloss Persenbeug nahekommt. Ecken wurden sandgestrahlt, Flächen gestockt. Das wirkt edel und altert schöner als schalreine Oberflächen. Was passiert wäre, wenn Gemeinde und Ingenieure die Kooperation mit den Architekten verweigert hätten, mag man sich gar nicht ausmalen. Der Wachau weiter flussabwärts wäre eine ähnlich sorgfältige Behandlung der Schutzbauten ebenfalls gut zu Gesicht gestanden.

Spectrum, Sa., 2011.01.29



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Hochwasserschutz Persenbeug

13. November 2010Franziska Leeb
Spectrum

Bau, Herren, Preis

Ob Kleinod oder Großbaustelle: Routine und große Budgets sind zu wenig, um zum illustren Kreis zu gehören. Leidenschaft und Einsatz sind Voraussetzung. Ein Blick auf die diesjährigen Bauherrenpreisträger.

Ob Kleinod oder Großbaustelle: Routine und große Budgets sind zu wenig, um zum illustren Kreis zu gehören. Leidenschaft und Einsatz sind Voraussetzung. Ein Blick auf die diesjährigen Bauherrenpreisträger.

Was ist ein guter Bauherr, eine gute Bauherrin? Seit 1967 würdigt die Zentralvereinigung der Architekten Österreichs Persönlichkeiten, die vorbildliche Bauten ermöglichen, mit dem Bauherrenpreis. „Exzeptionelle Lösungen, die in intensiver Kooperation von Bauherren und Architekten realisiert wurden“, sind gefragt. Das schließt Projekte, die ohne aktives Engagement der Bauherrschaft dennoch gut gelingen, aus. Um alle der eingereichten 114 Bauten gründlich unter die Lupe zu nehmen zu können, wurde das Beurteilungsverfahren des Bauherrenpreises heuer reformiert. Erstmals wurden Vorjurien eingesetzt, die bundesländerweise Baugeschichten vor Ort erhoben und maximal fünf Bauten pro Bundesland zu nominieren hatten. Die Hauptjury – Landschaftsarchitektin Maria Auböck, Architekturkritiker Otto Kapfinger und die Architekten Andreas Meck und Gerhard Mitterberger – kürte im Zuge einer viertägigen Reise durch Österreich daraus die verdienstvollsten Auftraggeber der Republik.

Von Architektur, Kunst und Kultur, die manchmal die Idylle stören, aber animieren, sich auf Neues einzulassen, schrieb Ulrike Böker, Bürgermeisterin des oberösterreichischen Ottensheim, in den Gemeindenachrichten anlässlich der erfolgten Eröffnung des neuen Amtshauses. Sie würdigte mit viel Empathie das Haus, lässt in der Danksagung an alle Beteiligten und vor allem an die Architekten, die bei solchen Gelegenheiten oft nur als Randnotiz aufscheinen, Wertschätzung für die geleistete Arbeit deutlich werden. Das aus einem offenen Wettbewerb hervorgegangene Gebäude der jungen SUE Architekten aus Wien erlangte als „authentische Union von politischem und planerischem Engagement, von ungeschönter Renovierung mit eindeutiger Modernität“ einen der sechs vergebenen Bauherrenpreise. Ein historisches Anwesen wurde unter strengen denkmalpflegerischen Auflagen zum Gemeindehaus ausgebaut. Pfleglich behandelt wurde das Alte, selbstbewusst, aber respektvoll angefügt der Neubau, der den öffentlichen Raum durch den Saal barrierefrei in den Arkadenhof und damit in das Herz der Anlage weiterführt. Im Wettbewerbsprojekt hatten die Architekten neben der sanften Renovierung des stark sanierungsbedürftigen Gebäudekomplexes aus dem 16. Jahrhundert ein davon abgesetztes gläsernes Forum auf dem Platz vorgesehen. Bei der Bevölkerung stieß der so deutlich exponierte Gemeinderats- und Mehrzwecksaal nicht auf ungeteilte Gegenliebe, und so wanderte – durchaus zum Vorteil des Gesamtprojektes und ohne die Intention eines offenen Amtshauses aufgeben zu müssen – der Neubau direkt in die Baulücke neben dem Bestand.

Ein historisches Denkmal gab auch den Anlass für eine zeitgemäße baukünstlerische Intervention im steirischen Eichberg. Dort ackerte vor fast 30 Jahren Altbauer Vinzenz Hammerl Fragmente eines Römersteins aus, meldete, wie es sich geziemt, den Fund und löste damit eine lange Geschichte mit Happy End aus. Es fügte sich, dass Architekt Klaus Kada sich bereit erklärte, einen Schutzbau für das wiederhergestellte römerzeitliche Doppelgrab zu konzipieren. Die winzige Landgemeinde unter Bürgermeister Uhl bewerkstelligte es mit viel persönlichem Einsatz, das Projekt zu finanzieren. Das skulpturale Stahldach spannt sich als schützender Raum über das Denkmal, spielt in seiner Zweigeteiltheit auf das hier begrabene Paar an, bildet eine Eingangssituation aus, fokussiert durch den verglasten Deckenschlitz das Tageslicht und „markiert lokal einen Wendepunkt der Akzeptanz moderner Baukunst“, wie Otto Kapfinger für die Jury formulierte.

Präzise Vorstellungen, ein befruchtender Diskurs zwischen den Beteiligten und Angemessenheit in der Wahl der Mittel, gepaart mit dem Anspruch, Betriebskonzept, Wirtschaftsgebäude und Landschaft auf hohem Niveau in Einklang zu bringen: Das Weingut Claus Preisinger im burgenländischen Gols von propeller z ist kein modernes Weinschloss, bei dem die Effekthascherei zelebriert wird, sondern ein landwirtschaftliches Betriebsgebäude, das bei hoher Alltagstauglichkeit und einem geerdeten Ambiente dem Sein und nicht dem Schein verpflichtet ist. – Auch größere Budgets, umfangreiche Bauvolumen und routinierte Auftraggeber sind durch die Schwerfälligkeit der daraus resultierenden Strukturen meist keine Garanten für herausragende Ergebnisse. Drei Fälle, in denen es dennoch klappte, sind die weiteren drei Bauherrenpreisträger.

Das Wohnhaus „Die Bremer Stadtmusikanten“ in der Wiener Tokiostraße von den ARTEC Architekten und der Wohnbaugenossenschaft Neues Leben – an dieser Stelle bereits gewürdigt – beweist, dass im geförderten Wohnbau bei einiger Anstrengung durchaus abwechslungsreiche Gebäudevolumina mit differenzierten Raumtypologien und attraktiven privaten Freiräumen und Zusatzangeboten realisierbar sind.

Künftige Bauherren in einem der wichtigen Wirtschaftszweige unseres Landes werden in der Tourismusschule Bad Hofgastein der Wirtschaftskammer Salzburg ausgebildet. In ihrem neuen Erweiterungsbau von Fasch & Fuchs wird ihnen nun nicht nur eine enorm verbesserte Lern- und Wohnumgebung geboten, sondern auch vermittelt, wie Architektur die atmosphärischen Potenziale eines Ortes zu nutzen und zu betonen vermag. Die Schule als Lehrer für eine moderne, umweltverträgliche und stimulierende Freizeitarchitektur!

Auch die neue Universitäts- und Landesbiblitothek Tirol an der Universität Innsbruck von den Architekten Eck & Reiter und Rossmann unter Bauherrschaft der Bundesimmobiliengesellschaft leistet mehr als bloß die längst überfällige Bereitstellung einer notwendigen Bildungsinfrastruktur. Sie verkörpert ein vorbildliches Verständnis von öffentlichem Bauen zum Wohle der ganzen Umgebung. Außerdem verbindet der Bau die einst hermetisch zum öffentlich Raum hin wirkenden Universitäts-Hochhäuser mit dem Stadtraum, bietet attraktive Freibereiche und lässt die Universität im Stadtraum präsent werden.

Eines ist allen gemeinsam: Routine allein reicht nicht, Leidenschaft für die Sache und ein überdurchschnittlicher Einsatz war notwendig, um all diese so gut angenommenen Bauten in die manchmal nicht sehr kunst- und architekturfreundliche Welt unserer Kulturnation zu setzen. Gratulation!

Spectrum, Sa., 2010.11.13



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ZV-Bauherrenpreis 2010

18. September 2010Franziska Leeb
Spectrum

Wider den Horror Vacui

Aufwendig in der Detailarbeit, im Ergebnis überzeugend: zwei schlichte Plätze in Niederösterreich, frei von jedem „visuellen Lärm“.

Aufwendig in der Detailarbeit, im Ergebnis überzeugend: zwei schlichte Plätze in Niederösterreich, frei von jedem „visuellen Lärm“.

Wenn die Grundstruktur und gestalterischen Rahmenbedingun-sgen nicht stark genug sind, passiert es leicht, dass ein Platz durch stetiges Aufmöbeln an Form und Großzügigkeit verliert, keine Orientierung bietet und in funktionaler Hinsicht schwächelt. Wenn sich Moden ändern und der Erhaltungsaufwand steigt, stehen meist Neugestaltungen an. In ländlichen Gegenden versucht man dann gern den Mythos von der Qualität des alten Dorfplatzes aufleben zu lassen. Der Platz soll belebt sein, Infrastruktur für alle Eventualitäten anbieten, und dann werden noch Begriffe wie Identität und Identifikation bemüht. Wenn auf Planerseite nicht die Kraft da ist, die Einzelinteressen in ein demokratisches Ganzes zu kanalisieren, sondern diverse Sehnsüchte mit reicher Symbolik und üppiger Möblierung befriedigt werden müssen, ist am Schluss meist kein Platz mehr auf dem Platz. sDass der Horror Vacui kein Naturgesetz des Städtebaus ist und Aufgeräumtheit Qualität hat, lässt sich anhand zweier Plätze in Niederösterreich nachvollziehen.

Am Kirchenplatz in Stetteldorf am Wagram verursachten diverse Bäume und Stauden, unterschiedliche Platzniveaus, Restgrün und allerhand Platzmobiliar zu viel „visuellen Lärm“, wie Architekt Christian Knechtl die Problematik auf den Punkt bringt. Ihm war es ein Anliegen, „den planerischen Eingriff nach Fertigstellung des Platzes möglichst nicht sichtbar werden zu lassen“. In erster Linie wurde also aufgeräumt, die Lärmverursacher beseitigt und dem Platz eine Ordnung gegeben. Ein einheitliches Niveau ohne Bordsteinkanten, der Verzicht auf Poller und andere vertikale Trennelemente erlaubt die ungehinderte Nutzung des ganzen Platzes. Er ist barrieres-6;0frei, damit sowohl kinder- und kinderwagen-s als auch fahrradfreundlich und vereinfacht so notwendige Dinge wie Reinigung und Schneeräumung.

Neue Zonierungen markieren im Wechselspiel der Materialien – Granit, Asphalt, Grün – unterschiedliche Nutzungszonen, definieren einen Raum um die Gebäude und Artefakte am Platz, setzen sie einander in Beziehung und führen Gemeinde-, Schul- und Pfarrleben zusammen. Die Kirche erhielt eine Sonderbehandlung und wurde von einem Kreis aus Granitpflaster gefasst. Wie nebenbei und ganz organisch schmiegen sich befestigte Verkehrsflächen und begrünte Zonen aneinander, erzeugen einen Raumfluss, der durch das einheitliche Niveau der Oberfläche verstärkt wird. Den Gemeindewunsch, nächst der Kirche in irgendeiner Form die sieben Sakramente zu versinnbildlichen, erfüllte Knechtl mit Pragmatik und frei von Pathos. Sieben Lichtstelen erfüllen somit nicht nur ihre Funktion als Leuchtkörper, sondern werden für alle, die darin eine Bedeutung sehen wollen, unprätentiös zum Träger der gewünschten Symbolik.

20 neu gepflanzte rot blühenden Kastanien, die im Gegensatz zu den weiß blühenden Rosskastanien widerstandsfähiger gegen Miniermotten sind, beschreiben mit den umgebenden Gebäuden den dreidimensionalen Platzraum. Bei Dunkelheit kommt noch als immaterieller Raumbildner die Platzbeleuchtung dazu. Das Licht der Säulen wird ergänzt durch in die Platzoberfläche eingelassene LED-Leuchten, die mit weißem Licht das Kirchenschiff und die Bäume akzentuieren und in Orange dem Turm eine signifikante Fernwirkung geben. Die Lichtintensität ist steuerbar und somit an verschiedene Anlässe anpassbar.

Um die Kosten schlank zu halten (rund 200.000 Euro) galt es von vornherein zu berücksichtigen, dass ein guter Teil der Arbeiten als Eigenleistung der Gemeinde erbracht werden konnte und primäre Infrastruktur wie das Platzgefälle und die Position der Regen-Einlaufgitter weiterverwendet oder mit nur minimalen Mitteln adaptiert werden können. Knechtl hat mit den vorhandenen Ressourcen gut gearbeitet und einen robusten Platz geschaffen. Die Strukturierung erlaubt viele Nutzungsszenasrien und hat im menschenleeren wie im gut gefüllten Zustand passende Dimensionen. Die Art der Platzgestaltung und die verwendeten Materialien erfüllen ökologische und ökonomische Kriterien, indem darauf geachtet wurde, geringe Betriebskosten zu verursachen, aber auch möglichst lokale Materialien einzusetzen. Kurzum, ein angenehm kitschfreier Dorfplatz. So schön wie früher, aber mit heute tauglichen Mitteln gemacht.

In Neu-Guntramsdorf entstand ein Platz quasi als Begleiterscheinung eines Neubaus. Das bestehende Pfarrgemeindezentrum aus den 1960er-Jahren (Architekt Bruno Tinhofer) sbedurfte adäquater neuer Räumlichkeiten, um die gestiegenen Bedürfnisse der durch Zuzug wachsenden Gemeinde zu erfüllen. Das Architektenteam Runser/Prantl ersetzte den alten Pfarrsaal durch einen attraktiven eingeschoßigen Neubau mit einem unterteilbaren Saal und großzügigem Foyer, der an das bestehende zweistöckige Pfarrhaus angebunden wurde. Der einst kleinteilig strukturierte Vorplatz mit zahlreichen Niveausunterschieden und einem Patchwork aus Pflasterungen und Grünflächen war als Freifläche für Zusammenkünfte und Feierlichkeiten nicht brauchbar. Zur Straße hin mit einer beinahe mannshohen Mauer abgeschirmt, war er von der Straße aus kaum einsehbar. Auch hier musste die Bevölkerung von Elementen, die über die Jahre vertraut wurden, Abschied nehmen – besonders schwer dürfte es nicht gefallen sein. Auf ein einheitliches Niveau gebracht und mit einem schlichten Granitbelag versehen, der den Ein-Meter-Raster des Neubaus aufnimmt, wurde der Platz nicht nur nutzbar, sondern auch großzügig gemacht.

Die abschirmende Mauer ist gefallen, den Niveausprung zum Gehsteig bewältigen im Vorfeld der Kirche mit Betonmauern umsäumte Beete, aus denen die alten Bäume emporwachsen. Das Platzzentrum ist barrierefrei zugänglich. Ein paar Poller sind offenbar notwendig, um das unbefugte Befahren zu verunmöglichen. Das gestalterisch wichtigste Element ist ein als minimalistissche, weiß verputzte Stahlbetonkonstruktions ausgeführter Umgang, der dem Platz Halt und Fassung am Übergang zur dahinterliegenden Gartenfläche gibt und eine gedeckte Verbindung zwischen Kirche und Pfarrsaal herstellt. Fahrradständer wurden dahinter angeordnet und unterbrechen damit auch nicht die Kontinuität der ebenen Fläche. Beleuchtet wird mittels schlichter Stelen, die weder physisch noch optisch viel Raum einnehmen. Aus einem klein karierten Vorhof wurde ein öffentlicher Platz, der zwar nicht groß ist, aber viel Spielraum lässt.

Spectrum, Sa., 2010.09.18



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Pfarrgemeindezentrum Neu Guntramsdorf

21. August 2010Franziska Leeb
Spectrum

Ohne Speck und Spektakel

Schwarz und pur, ohne modisches Dekor und auffallend unauffällig in die Landschaft eingefügt: das jüngst erweiterte Weingut Loimer in Langenlois.

Schwarz und pur, ohne modisches Dekor und auffallend unauffällig in die Landschaft eingefügt: das jüngst erweiterte Weingut Loimer in Langenlois.

Als der Langenloiser Winzer Fred Loimer vor einem Jahrzehnt den Architekten Andreas Burghardt mitder Planung eines Präsentations- und Bürogebäudes beauftragte, stand er am Beginn seiner Karriere als einer der besten Weinmacher Österreichs. Burghardt hatte bisdahin noch kein Gebäude unter eigenem Namen geplant, mittlerweile fällt sein Name in so gut wie jeder Zusammenschau über die interessantesten Bauten für den Wein. Loimer hatte den Haindorfer Schlosskeller aus dem 18. Jahrhundert erworben, ein unterirdisches Netz aus geometrisch angeordneten Ziegelgewölben. Dort, wo die breite Treppe aus der Unterwelt nach oben führt, wurde damals das erste neue Gebäude – genannt Weinloft – realisiert. Straßenseitig ein Degustationsraum und im rechten Winkel dazu Büroräumlichkeiten umschließen einenHof. Das Ganze ist im Maßstab verträglich zur Umgebung, sogar niedriger als manch benachbartes Presshaus, kurzum ein Musterbeispiel für gut in die Ortsstruktur und die Landschaft integriertes zeitgemäßes landwirtschaftliches Bauen.

Zum Hof hin offen über großflächige Schiebefenster, zur Straße hin bis auf eine quadratische Verglasung nächst dem Eingang uneinsehbar und – das schreckte selbsternannte Ortsbildhüter wohl am meisten – rundum schwarz verputzt. Diese kompromisslose Reduziertheit unterscheidet sich von der bis heute in der landauf, landab in der neuen Weinarchitektur gepflegten Geschwätzigkeit mit ihren Zitaten und Anspielungen – sei es an feudale Architektur der französischen Chateaus oder in Form von vermeintlich weinbauspezifischen Materialien wie grünem Glas, Flaschen, Kork, Naturstein, Eichenholz oder was marketingbeflissenen Menschen sonst einfällt. Burghardt und Loimer haben sich nicht dazu verleiten lassen, Funktion und Inhalt zu überhöhen und als Ausdruck des im Zuge des Weinbooms erstarkten Selbstbewusstseins der jungen Winzerszene eine dekorierte Hütte zu bauen. Vor wenigen Jahren noch der letzte Schrei, sehen manche davon nämlich schon wieder ziemlich alt aus.

Heuer wurde die nächste Bauetappe fertig. Grund genug für einen Lokalaugenschein im neuen Keller, um zugleich die „Haltbarkeit“ des ersten Teils zu überprüfen. Der Nicht-Farbigkeit mit schwarzem Putz und Sichtbeton blieb man konsequent treu, dem Anspruch, möglichst große Teile der Kubatur im Gelände zu verbergen, ebenfalls. Angeordnet wurde der neue Bauteil dort, wo eine der unterirdischen Röhren des Reifekellers unter dem Weingarten durchsticht und sich so auf kurzem Weg Abfüllung und Auslieferung der edlen Tropfen praktisch bewerkstelligen lassen.

Eine schwarze Kiste umhüllt das Erdgeschoß. Über den innerhalb der Mauern gelegenen Hof wird das Lesegut angeliefert, um im Inneren per Sortiertisch und Rebler von allem befreit zu werden, was einer hohen Weinqualität abträglich sein könnte. Die Anlage auf drei Ebenen hat produktionstechnische Gründe, weil Trauben und Most nicht gepumpt werden müssen, sondern schonend per Schwerkraft in die Tiefe befördert werden, ist aber noch mehr dem Wunsch geschuldet, möglichst wenig Bauvolumen überirdisch zutage treten zu lassen. Im ersten Untergeschoß befindet sich die Presse und zuunterst der Tankkeller für an die 50 Edelstahltanks sowie das Flaschenlager, Abfüllung und Expedit, alles zum überwiegenden Teil von neu ausgesetzten Rebzeilen und begrünten Böschungen überdeckt.

Man spürt, dass eine auf das Wesentliche beschränkte und die Bedürfnisse maßgeschneiderte Funktionalität die Konzeption bestimmte und man wenig davon hält, Besuchermassen ein Spektakel darzubieten. Beeindruckend ist das Ganze dennoch, weil mit einfachen Mitteln vorexerziert wird, dass gute Gestaltung nicht in teuren Zutaten besteht, sondern bei der sorgfältigen Bedachtnahme auf das Notwendige beginnt. Kreuzförmig angeordnete Leuchtstoffröhren und schlanke, raumhohe Türen sowie die direkt in einer ästhetisch ansprechenden Typografie auf die Sichtbetonwändeangebrachten Raumbezeichnungen und Sicherheitshinweise sind Ausdruck einer gepflegten Betriebskultur.

Nur einen Ort gibt es, der nicht einzig dem Betriebsablauf zu Diensten steht: eine Aussichtsterrasse im Erdgeschoß, auf der mit Disziplin und Dezenz ein angemessener Rahmen zur Huldigung des Terroirs geschaffen wurde. Die Hermeneutik des von Wänden umgebenen Raums unter freiem Himmel wird nur durch eine bis zur Wandoberkante reichende Glasscheibe unterbrochen, die den Blick auf die bekannteste Lage der Region, den Heiligenstein, freigibt. Zusätzlich lenken Gucklöcher dosiert die Aufmerksamkeit auf weitere Punkte in der Umgebung.

Einziges Möbel ist ein mächtiger Tisch aus wetterfestem Baustahl, der mit seiner charakteristischen Rostschicht der Roheit dieses ungedeckten Raums Rechnung trägt. „Affig“ würde hier ein fein ausgearbeiteter Tisch mit weißer Oberfläche aussehen, wie er üblicherweise zur richtigen Beurteilung der Weinfarbe als Muss gilt, so Architekt Burghardt. Zudem steht ein solcher Tisch mit beeindruckenden acht Metern Länge ohnedies im Weinloft bereit.

Die Architektur des Weingut Loimer erscheint vorerst radikal in ihrer Reduziertheit, ist aber durchaus bodenständig und schlüssig. Wie die traditionellen niederösterreichischen Presshäuser mit gekalktem Ziegel- oder Lehmmauerwerk und ihren winzigen Lüftungsluken Nutzbauten von archaischem Charme sind (der durch Umrüstungen zu Kellerstüberln und den Verschönerungswahn von Freizeitwinzern sukzessive abhanden kommt), ist sie nichts anderes als eine moderne Entsprechung, funktional und ohne überflüssigen Speck. Die Geschlossenheit, der schwarze Putz außen und der Sichtbeton innen hat viele verstört, aber andere angezogen. „Das Gebäude sucht sich die Kunden aus“, sagt Loimer.

Die Bedenken ob der Richtigkeit des Konzepts, die den Architekten vor zehn Jahren plagten, kann er getrost ablegen. Das Weinloft hat immer noch Würde, es ist gealtert, ohne Schaden zu nehmen, der schwarze Putz frei von Rissen, die Holzböden altern sowieso schön. Man spürt, dass hier viel Betrieb ist, aber auch die Kinder der Familie willkommen sind und sich hier wohlfühlen. In einem kultivierten Umfeld wird gelebt und gearbeitet, Gebäude und Menschen biedern sich nicht an, veranstalten kein Spektakel. Weinloft und Keller, eine bestehende Maschinenhalle, die einst nur saniert und zwecks optischer Kompatibilität schwarz verputzt wurde, und die historischen Keller im Untergrund sind kommunizierende Gefäße und ein Beweis dafür, dass betriebtechnische Vernunft und Sinn für Ästhetik einander nicht ausschließen.

Spectrum, Sa., 2010.08.21



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Weingut Loimer

31. Juli 2010Franziska Leeb
Spectrum

Schwarzes Doppel

Großzügige Raumflächen und erstaunliche Homogenität bis in den letzten Winkel: ein Wohnhaus für zwei Familien in Hadersfeld am Rand des Wienerwalds.

Großzügige Raumflächen und erstaunliche Homogenität bis in den letzten Winkel: ein Wohnhaus für zwei Familien in Hadersfeld am Rand des Wienerwalds.

Ein Carport, der über die gesamte Breite dem Haus vorgelagert ist, dann ein rechteckiger Hof, an drei Seiten umgeben von praktischen Nebenräumen und schließlich das Wohngebäude für zwei Familien – außen alles einheitlich aus schwarz lasiertem Holz: Was so ungewöhnlich scheinen mag, erweist sich bei genauer Betrachtung als landschaftsgerechtes und alltagstaugliches Modell für das Wohnen im Grünen. Es stammt aus dem Atelier Triendl und Fessler Architekten, geplant für zwei Familien aus der Großstadt, die sich der Kinder zuliebe für das Wohnen auf dem Land entschieden haben. Der Bauplatz mit Aussicht auf hügelige Wälder, Felder und Wiesen liegt in Hadersfeld, einer Ortschaft am nördlichen Rand des Wienerwaldes, zwischen Klosterneuburg und Greifenstein, abseits der Hauptverkehrsrouten. Eine wunderbare Gegend zum Wandern und Radfahren, es gibt viele Wochenendhäuser, und zusehends siedeln sich auch Stadtflüchtlinge wie die beiden Bauherrenfamilien dauerhaft hier an. Nirgendwo in Niederösterreich ist die Dichte anspruchsvoller Wohnhausarchitektur so hoch wie im Speckgürtel rund um Wien. Im Vergleich mit etlichen anderen schicken Wienerwaldresidenzen, die in den letzten Jahren errichtet wurden, zählt das hier besprochene mangels expressiv gekrümmter Fassaden und extremer Auskragungen zu den weniger spektakulären Objekten, besticht stattdessen sympathischerweise aber durch eine erstaunliche Homogenität, die in formalästhetischer wie funktionaler Hinsicht bis in den letzten Winkel durchgehalten wurde.

Die beiden Bauherrenfamilien sind einander beruflich und freundschaftlich verbunden, man ist designaffin und wusste, was man wollte: für jeden die in Größe, Zuschnitt und Ausstattung maßgeschneiderte Wohneinheit, ausreichend Intimität für die einzelne Familie, üppig Freiflächen zur gemeinschaftlichen Nutzung und qualitätsvolle Architektur.

Karin Triendl und Patrick Fessler stehen am Anfang ihrer Karriere als selbstständige Architekten. Die gebürtigen Innsbrucker haben nach internationalen Lehr- und Wanderjahren vor fünf Jahren das eigene Büro gegründet. Die Praxis im Atelier von Adolf Krischanitz – der sie gelegentlich immer noch zu Kooperationen einlädt – war gewiss auch eine gute Schule. Wie sie das Schlichte und Praktische mit Sinnlichkeit erfüllen, könnten sie bei ihm gelernt haben. Bei diesem Haus haben sie dieses Talent jedenfalls perfekt eingesetzt.

Der Sinn für das Pragmatische beginnt beim Carport, der eine gute, weil elegantere und preiswertere Alternative zu den dicken Garagen ist, die ansonsten wie gutartige, aber hässliche Geschwülste die Siedlungen durchsetzen. Ihn so breit wie möglich auszubilden ist angemessen in einer Lage, die ohne Auto schwer zu erreichen ist. Abstellräume und eine Werkstatt sind nicht in ein Kellergeschoß verbannt, sondern liegen dort, wo man sie braucht und täglich vorbeikommt. Verbunden und begleitet von einer Pergola, umfassen sie einen grünen Hof, der als Pufferzone zur Straße ebenso wirksam ist, wie er sich als umgrenzter sichtgeschützter Platz zum Spielen, Feste feiern oder Herumwerkeln nützlich macht. Er ist ein Schwellenbereich, der Besucher langsam an das Haus heranführt und den Bewohnern Zeit gibt, sich auf die Ankommenden vorzubereiten.

Der südliche Garten – unaufdringlich mit viel Gespür für den Ort gestaltet vom jungen Landschaftsarchitekturbüro LindleBukor – leitet von der großen Südterrasse über in die Landschaft. Im hausnahen Bereich wurde das Gelände in miteinander verzahnten Schichten terrassiert und bietet hier propere Rasenflächen und Rabatte zur geordneten Kultivierung, um dann sukzessive in einen wild bewachsene Wiese überzugehen. Ursprünglich war zwar überlegt worden, die Freibereiche klarer zu trennen und jeweils einer Familie zuzuordnen. Schlussendlich ist dies unterblieben, weil es, so wie es ist, gut klappt. Und der guten Form sind unzerteilte Terrassen- und Gartenflächen sowieso immer zuträglich.

Um die Bauzeit möglichst kurz zu halten, wurde der Rohbau aus Fertigteilen in Holzriegelkonstruktion mit massiven Holzdecken errichtet. Die beiden Einheiten sind denunterschiedlichen Familiengrößen entsprechend verschieden groß, haben den individuellen Gewohnheiten gemäß unterschiedliche Grundrisse. Hülle und gestalterisches Konzept sind hingegen weitgehend homogen. Im Erdgeschoß verfügt jede Wohnung über einen großen Einraum zum Kochen, Essen, Wohnen, Spielen, der über die Fenstertüren Ausgänge auf alle Freiflächen hat. Die offenen Küchen und dahinter die Nebenräume sowie die Treppen ins Obergeschoß sind zentral positioniert. Die kleinere Einheit verfügt über einen Luftraum über dem im Süden gelegenen Essbereich, der die sparsam bemessene Raumfläche mit einer wohltuenden Großzügigkeit aufwertet.

Zwischen den beiden Wohneinheiten war ursprünglich daran gedacht, ein Atrium einzufügen, man hat sich aber dann für einen Gemeinschaftsraum mit eigenem Sanitärbereich entschieden, der von beiden Einheiten aus zugänglich ist und gegenwärtig vor allemfür die Kinder ein geräumiger, das ganze Jahr über nutzbarer gemeinsamer Indoor-Spielbereich mit Terrassenzugang ist. Die Rückzugsorte – Schlaf- und Kinderzimmer sowie Bäder – liegen jeweils im Obergeschoß. An der großzügigen Wirkung im Inneren und der Homogenität der Außenhaut haben die Fensteröffnungen großen Anteil. Sie sind einheitlich als Fenstertüren ausgebildet, die durch ihre Gleichartigkeit eine flexible, den Bedürfnissen entsprechende Anordnung zuließen und dennoch keine Unruhe im Fassadenbild entstehen lassen. Die Glasflächen samt den außen liegenden schwarzen Rollos und im Obergeschoß die Absturzsicherungen aus Edelstahlgewebe ordnen sich unauffällig in die Fläche ein. Im Kontrast zur dunklen Haut sind die Oberflächen innen hell. Mineralisch beschichtete Böden in Hellgrau gehen einen schönen Dialog mit den weiß lasierten Holzdecken ein.

Das Haus ist als einzelnes, orts- und nutzerspezifisches Projekt geplant. Die Koppelung der beiden Einheiten ist aber so klug gelöst und die Unterschiedlichkeit der Innenraumkonzepte angesichts des homogenen Äußeren so überraschend, dass man dazu verleitet wird, in Gedanken das Gefüge weiterzustricken. Denn trotz seiner Prägnanz und Einzigartigkeit wohnt dem Gebäude etwas Prototypisches inne, das durchaus addierbar wäre.

Spectrum, Sa., 2010.07.31



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Zweifamilienhaus Hadersfeld

26. Juni 2010Franziska Leeb
Spectrum

Kulturgut Freiraum

Der Wiener Yppenplatz ist ein robuster, flexibler Platz. Besser gesagt: Er war es. Eine Sanierung hat ihn bunter gemacht. Ist er auch besser nutzbar?

Der Wiener Yppenplatz ist ein robuster, flexibler Platz. Besser gesagt: Er war es. Eine Sanierung hat ihn bunter gemacht. Ist er auch besser nutzbar?

Der öffentliche Raum wird bei euch nicht wirklich gestaltet, oder?“, so der vorsichtig formulierte kritische Kommentar eines niederländischen Architekten nach einer dreitägigen Tour durch unsere Bundeshauptstadt. Stimmt, meistens wird nur eifrig möbliert. Ausnahmen gibt es. Aus jüngerer Zeit zum Beispiel den 2008 fertiggestellten Rudolf-Bednar-Park am Nordbahnhofgelände, geplant vom Züricher Büro Hager Landschaftsarchitektur. Hier wird auf über drei Hektar deutlich, was qualitätsvolle Landschaftsplanung leisten kann. Ein weitaus kleineres und unter engeren Rahmenbedingungen entstandenes früheres Beispiel ist, besser gesagt: war der Yppenplatz.

Die Wiener Landschaftsarchitektinnen Ursula Kose und Lilli Lička entwickelten auf dieser Leerstelle im Gründerzeitraster des 16. Bezirks vor zehn Jahren einen robusten, flexiblen und widerstandsfähigen städtischen Platz. Die praktischen Anforderungen dafür wurden in einem einjährigen Bürgerbeteiligungsverfahren erarbeitet. Offen und übersichtlich sollte der Platz sein, um für die Bedürfnisse aller Generationen und Geschlechter ausreichend Platz für Bewegung und Erholung bereitzustellen. Das Platzzentrum, unter dem sich ein Luftschutzbunker aus dem Zweiten Weltkrieg befindet, wodurch im Boden wurzelnde Bepflanzung unmöglich ist, wurde als „harte“ Fläche freigehalten, mit niedrigen, als Sitzbänke nutzbaren Betonwänden wurden drei Segmente markiert. Der Platz blieb als Ganzes nutzbar, auch diagonal durchlässig und erlaubte es einzelnen Gruppen, temporär Felder in Beschlag zu nehmen und für diverse Aktivitäten zu nutzen. An den Rändern wurden weiche Zonen mit Baumbestand angelegt und spezifischer definierte Bereiche wie ein Kinderspielplatz oder Möglichkeiten für Bocciaspiele angesiedelt. Auf der einen Schmalseite wurde der Ballspielkäfig untergebracht, gegenüber neben dem Marktamt ein von Bäumen beschatteter und von einer halbhohen Mauer geschützter Sitzplatz. Dadurch sollte nicht der ganze Platz von mächtigen und aggressiven Nutzergruppen wie adoleszenten Fußballern akustisch und raumgreifend dominiert werden, sondern auch weniger durchsetzungsfähigen Personen die Inanspruchnahme adäquaten Raums – nicht nur als passive Beobachter – erleichtert werden.

Der von Fachwelt und dem Vernehmen nach auch von den Nutzern positiv aufgenommene Platz wurde nun nach Plänen des Wiener Stadtgartenamtes neu gestaltet. Die Platzmitte wurde mit zwei mächtigen Pergolen aus Stahl, mandorlaförmigen Hochbeeten aus Beton, einem Wasserspiel und Wellenliegen ausgestattet. Der Asphalt erhielt wellenförmige Intarsien aus violettem und türkisem Gummigranulat. Im Fußballkäfig, für den KoseLička schon anno dazumal einen grauen Gummigranulatboden vorgesehen und budgetiert hatten, gibt es nun endlich einen solchen in sattem Türkis. Besondere Überlegungen flossen in die kreative Gestaltung des bestehenden Kinderspielplatzes. Eine in penibler Tischlerarbeit ausgeführte Karikatur eines windschiefen Marktstands dient als Eingang. Nebenan am richtigen Markt werden die alten Verkaufsbuden übrigens gerade nach und nach durch coole Metallkonstruktionen ersetzt. Birnenrutsche, Fruchtspieß, Bananenskulptur und eine Waagen-Wippe (der Zeiger ist nur aufgemalt und vermittelt daher kein physikalisches Vorschulwissen) ergänzen den sentimentalen Markt-Themenpark.

Wer im alten Yppenplatz eine fade Betonwüste gesehen hat, dem gefällt die neue Inszenierung womöglich besser. Der Platz ist nun bunter und auch dann nicht leer, wenn er menschenleer ist. Ist er auch besser nutzbar? Selbst wenn sie einmal bewachsen sind,werden die Pergolen nur minimale Flächen beschatten. Billiger und sinnvoller hätte man die Sandkiste überdacht, wo sich jene aufhalten, denen die Sonne am gefährlichsten wird. Das neue Platzmobiliar behindert das Passieren des Platzes in den Diagonalen. Vor dem Ballspielkäfig wurden Verweilmöbel für Jugendliche in Form entrindeter Baumstämme aufgebaut. Offenbar versucht man damit, dem Bedürfnis Pubertierender entgegenzukommen, die sich lieber auf die unbequemen Lehnen der Bänke als auf deren Sitzflächen hocken. Es ist lang her, aber tat man das nicht, weil es verboten war, und weniger aus Bequemlichkeit?

Gewiss war eine Sanierung des stark frequentierten Platzes notwendig. Die Graffiti zum Beispiel beschränkten sich zuletzt längst nicht mehr auf die dafür vorgesehenen Rückwände der Marktbauten. Jetzt erhielten sie „Bilderrahmen“ aus wildem Wein und Glyzinien. Ob das tatsächlich, wie erhofft, die Leidenschaft der Jugend zügeln wird, auf nicht gestatten Flächen zu sprayen? Blumen gibt es nun mehr als vorher. Die von KoseLicka konzipierten Kletterrosen am Marktamt, für die unter lose darübergelegten Betonplatten bereits Beete bereitet sind, wurden nie gepflanzt. Die geschmäcklerische Neugestaltung ist eine fragwürdige Oberflächenkosmetik, die Freiheiten in der Nutzung einschränkt und Historie negiert. Ja, der öffentlichen Raum ist – nicht nur in Wien – dilettantisch gestaltet und bedient kurzsichtige Interessen.

Auch was die historischen Gärten angeht, orten Landschaftsarchitekten, vertreten durch ein „Komitee zur Unterstützung der Gartendenkmalpflege im Bundesdenkmalamt“ unter der Regie von Eva Berger, Professorin für Gartenkunst an der Technischen Universität Wien, samt über 2000 durchwegs fachlich qualifizierten Unterzeichnern einer Petition an die Kulturministerin, kulturelle Kurzsichtigkeit. Die 1986 im Bundesdenkmalamt begründete Abteilung für historische Gartenanlagen existiert nicht mehr und soll mit einer Reihe weiterer Fachgebiete in einer „Abteilung für Kunstdenkmalpflege“ aufgehen. Für die Initiatoren signalisiert diese Neustrukturierung alles andere als eine Perspektive für eine Verbesserung der Situation des höchst sparsam und zögerlich behandelten Kulturgutes Freiraum. Zwar ist es vermutlich, ökonomisch gedacht, tatsächlich nicht sehr effizient, für jede Materie kleinste Ein-Personen-Abteilungen zu erhalten. De facto sind laut Berger rund 1700 Gartendenkmäler vorhanden. Nur 56 historische Park- und Gartenanlagen fallen aber in die Kompetenz des Bundes, nicht alle davon sind denkmalgeschützt, weil bei Anlagen in Privatbesitz zur Unterschutzstellung die Zustimmung der Eigentümer erforderlich ist.

Parks und Gärten im öffentlichen Besitz seien weniger bedroht als unzugängliche Anlagen in Privatbesitz, plädiert Eva Berger für umfangreichere Kompetenzen der Gartendenkmalpflege. Es braucht Budget und kompetentes Personal, um Eigentümer wertvoller Gartenanlagen zu beraten, den Bestand zu erforschen, Schutzmaßnahmen zu untersuchen oder Wiederherstellungskonzepte zu erarbeiten. Die Pflege von Gärten kostet Geld. Für viele Besitzer geht sie an die Grenzen der wirtschaftlichen Tragbarkeit. Gestaltete Freiräume jeglicher Art und Größe sind wertvolles Kulturgut und ein Beitrag zur Lebensqualität. Ihre Pflege und Erhaltung überwiegend von ökonomisch-kommerziellen Bedürfnissen abhängig zu machen ist kultur- und bildungspolitisch fahrlässig.

Spectrum, Sa., 2010.06.26

22. Mai 2010Franziska Leeb
Spectrum

„Ich war einfach goschert“

Friedrich Achleitner über Sinn und Unsinn der Kritik und seine Arbeit für die „Presse“, über das konservative Wien und das Interessante am Mittelmäßigen. Ein Gespräch zu seinem 80. Geburtstag.

Friedrich Achleitner über Sinn und Unsinn der Kritik und seine Arbeit für die „Presse“, über das konservative Wien und das Interessante am Mittelmäßigen. Ein Gespräch zu seinem 80. Geburtstag.

Herr Achleitner, in Ihrem Architekturführer vorzukommen ist für Architekten sehr wichtig, weil quasi nicht existiert, was nicht drinsteht.

Das ist ja das Furchtbare! Wenn das Bundesdenkmalamt etwas im „Achleitner“ findet, sagt man „Vorsicht!“, und wenn nicht, dann nicht.
Das ist Unsinn. Mir geht es nicht darum, eine Liste wertvoller Sachen zu erstellen. Ich wollte immer zu bestimmten Problemen hinführen.

Gab es konkrete Erfolgserlebnisse?

Kaum. Punktuell merkt man, dass es nicht ganz umsonst ist. Die Textilschule in Dornbirn ist nur nicht abgerissen worden, weil in meinem Architekturführer fünf Zeilen enthalten waren. Meine erste Kritik in den „Bausünden“ in der „Abend-Zeitung“ war über diese grausliche Einzäunung, diese Werbefläche, am Stephansdom. Das wird jetzt nach 50 Jahren gemacht.

Die Literatur sei ein Vergnügen, die Architekturschreiberei Knochenarbeit, haben Sie einmal gesagt. Was war am mühsamsten?

Das Damosklesschwert, jeden Donnerstag etwas liefern zu müssen, damit es am Samstag in der Zeitung steht. Nach den zehn Jahren „Presse“ war ich total ausgepowert. Ich habe das von 1962 bis 1972 gemacht. Wöchentlich, oft auch zweimal die Woche.

Gab es Zurufe und Begehrlichkeiten?

Nein. Chefredakteur Otto Schulmeister war großzügig und musste sich viel anhören, weil sich damalige Platzhirsche ständig beschwert haben. Der Innsbrucker Bürgermeister hat alle Inserate gecancelt, weil ich kritisch über das Olympische Dorf geschrieben habe.

Sie sind aber der Architekturkritiker mit der besten Nachrede. Woher kommt das?

Ich glaube, das liegt nicht an den Kritiken, sondern daran, dass ich jahrelang in den Bundesländern herumgekrebst bin. Wenn in der Beilage der „Presse“ eine ganze Seite erschienen ist, dann war das was. In Wien ist es ja so: Wenn man einen kritisiert, hat man hundert Freunde. Wenn man einen lobt, hundert Feinde. Kritik ist leichter möglich, wenn man nichts weiß.

Unfundiert war Ihre Kritik ja nicht.

Ich trau mir heute nicht zu sagen, dass sie fundiert war. Ich war einfach goschert. Jetzt ist für mich persönlich Kritik überhaupt nicht mehr möglich.

Warum?

Solang ich Architekturkritik gemacht habe, war ich anders fokussiert. Nicht dass man Fehler sucht, aber man schaut kritisch, was falsch war. Sobald man einen Architekturführer macht, schaut man, was positiv ist, was man auswählen und in einem Kontext erwähnen kann. Das ist eine andere Blickweise.

Erwarten Architekten nicht automatisch eine affirmative Berichterstattung?

Mitte der 60er-Jahre hat Ferdinand Kitt in der Zentralvereinigung der Architekten eine Aktion gestartet, damit mehr über Architektur publiziert wird. Was geschrieben wird, hat er gesagt, ist wurscht, Hauptsache viel. Dann kam die Zeit, wo das Interessante und die Personen im Vordergrund standen. Vorher war die Diskussion eher thematisch orientiert. Es gab eine U-Bahn-Diskussion oder Kirchenbauaustellungen. Dann kamen Architekten wie Zünd-Up, Haus-Rucker-Co, Coop Himmelb(l)au, deren Namen ja fast Werbeslogans waren. Da begann es, dass mit der Architektur um Aufmerksamkeit gerungen wurde.

Hat sich mit dem Bauen auch das Schreiben darüber verändert?

Ein Teil der Architekturschreiber ist immer noch am Bauen dran. Aber es gibt viele Wellenreiter, die theoretisch herumspielen, was ja gerade modern ist, und die sich nichts mehr anschauen. Das habe ich nie verstanden. Aber die, die sich die Mühe machen, die Leute zu kontaktieren und sich Bauten anzuschauen, die sind natürlich im gleichen Boot. Was mir gefällt, ist: dass man an der Kunst-Uni Linz Projekte in Entwicklungsländern macht, wieder viel auf Baustellen arbeitet.

Diese Welle der großen Blasen hat ja im Wiener Stadtbild nicht so gegriffen.

Wien ist ein konservatives Pflaster. Hier hat auch die Postmoderne fast nichts angerichtet. Die großen Knüller gibt es halt nicht.

Sollte die eine Weltstadt nicht auch haben?

Ein paar schaden sicher nicht. Wenn zum Beispiel auf die Platte noch ein paar vernünftige Kulturbauten hinkommen würden! Das hätte schon die Grammatik einer Stadt. Ich habe dort einen neuen Stadtbegriff gelernt. Es gibt Punkte, wo man sich wie am Michigansee fühlt. Dann die vielen kleinen Einheiten und Siedlungen, die einen eigenen Charakter haben. Es gibt den fatalen Terminus, den Wolf Prix so gerne verwendet, die „Mittelmäßigkeit“. Die halte ich für interessanter als das Außergewöhnliche, weil damit eine andere Erfahrungswelt verbunden ist und auch Konventionen Bestätigungen für Qualität sind. Man darf nicht glauben, dass die Architekten, die in einer Stadt leben und sie gut kennen, die besten Entwürfe für die Stadt liefern. Das sind meistens die, die von außen kommen und andere Qualitäten erkennen.

In Wien bauen aktuell verhältnismäßig wenige Architekten von außen.

Man muss auch sagen, diese heutige Generation der Superstars ist eine, die goldene Eier ablegt und mit den Städten keinen Kontakt aufnimmt. Frank Gehry sagte allen Ernstes, Prag sei eine heitere Stadt. Was hat der gesehen? Es gibt keine finsterere Stadt als Prag. Das gab es schon früher. Fischer von Erlach hat sich bei seinem Festsaal im Stift Herzogenburg einen Schmarrn darum gekümmert, was Prandtauer rundherum gemacht hat.

Auf Architekten Ihres Alters reagieren manche jüngeren Architekten allergisch. Sie hingegen genießen in allen Generationen Respekt.

Das hat vielleicht damit zu tun, dass ich das Glück habe, mir eine Arbeit angefangen zu haben, die so lange braucht. Dadurch kenne ich drei Generationen von Architekten. Wenn ich etwas sehr Persönliches sagen darf: Ich mag die Leute. Sie üben einen Selbstausbeuterberuf aus und werden nie zu ihrem Wert gehandelt. Auf Wienerisch gesagt ist es wirklich eine Scheißhackn. Es ist ganz selten, dass die Architekten genannt werden. Wenn es geglückt ist, dann tun die Bauherren, als hätten sie es selbst entworfen.

Spectrum, Sa., 2010.05.22



verknüpfte Akteure
Achleitner Friedrich

10. April 2010Franziska Leeb
Spectrum

Zum Glück doch kein Schlössl

Das ehemalige Männerheim in der Wiener Meldemannstraße wurde zum Pflegeheim umgebaut. Es heißt zwar „Seniorenschlössl Brigittenau“, bietet aber ein schönes Ambiente aus Unaufdringlichkeit und Gelassenheit.

Das ehemalige Männerheim in der Wiener Meldemannstraße wurde zum Pflegeheim umgebaut. Es heißt zwar „Seniorenschlössl Brigittenau“, bietet aber ein schönes Ambiente aus Unaufdringlichkeit und Gelassenheit.

Als das Männerwohnheim in der Meldemannstraße im Jahr 1905 errichtet wurde, galt es für die damals üblichen Wohnumstände der Arbeiterschicht als Unterkunft der kommoden Art. Ein Dutzend Personen, die unter desaströsen hygienischen Bedingungen in einer Zimmer-Küche-Wohnung hausten, das war kein seltenes Wohnszenario in dieser Zeit. Wer keine Wohnungsmiete bezahlen konnte, war darauf angewiesen, als Bettgeher zu leben. Im von Leopold Ramsauer und Otto Richter nach dem Vorbild englischer Billig-Unterkünfte für Arbeiter – nach ihrem Erfinder, dem Philanthropen Lord Rowton als „Rowton Houses“ bezeichnet – geplanten Haus gab es immerhin rund vier Quadratmeter große Schlafkojen, die ein Minimum an Intimität boten, Fließwasser, elektrisches Licht, Aufenthaltsräume, ja selbst eine Bibliothek.

Fast ein Jahrhundert lang diente das ursprünglich für 544 Bewohner ausgelegte Gebäude, das unter der allgemein üblichen Bezeichnung „die Meldemannstraße“ zum Synonym für eine letzte Zuflucht wurde, als Logis für Männer, für die „richtige“ Wohnungen unleistbar waren. Erst im Jahr 2003 wurden die letzten rund 230 Bewohner in neue Einrichtungen übersiedelt, und das vom Stadtzentrum gut erreichbare Haus wurde von der Stadt Wien versteigert. Ein privater Pflegeheim-Betreiber sorgte nun dafür, dass das Gebäude nicht nur eine neue Funktion und einen neuen Namen, sondern auch eine neue Adresse bekam. Der neue Haupteingang liegt nun an der Winarskystraße, womit zugleich Neonazis und sonstigen einschlägig interessierten Touristen eine potenzielle Pilgeradresse entzogen wurde, die gelegentlich hier auftauchten, weil Adolf Hitler drei Jahre lang in der Meldemannstraße Quartier bezogen haben soll. „Seniorenschlössl Brigittenau“ heißt das Haus nun nicht ganz passend. Das mit der Planung betraute Villacher Architektenduo Gasparin Meier hat sich nämlich auf keine süßliche Schlossarchitektur eingelassen, um bestimmte Emotionen zu bedienen und den alten Leuten eine anständige Wohnqualität in ihren letzten Lebensjahren zu bieten. (Warum unzählige Altenwohn- und Pflegeheime den lächerlichen Namen „Residenz“ verpasst bekommen, bleibt angesichts vieler Einrichtungen, die mit ihrer erbärmlichen Wohnqualität mehr zum Vegetieren als zum Residieren taugen, übrigens auch ein Rätsel.)

Sonja Gasparin und Beny Meier haben den Bestand, dessen Fassade an der Meldemannstraße unter Denkmalschutz steht, mit einem Zubau zu einer Funktionseinheit gekoppelt. Indem sie den neuen, siebengeschoßigen Bauteil in einem Respektabstand von einem Meter parallel zum Altbau entlang der Gartenseite anordneten, thematisieren sie die Dualität von Alt und Neu. Mit seiner mittlerweile Patina ansetzenden Kupferverkleidung an den Schmalseiten, dendunklen Stabgeländern der Loggien und Kompaktplatten in Holzoptik an der dem Park zugewandten Längsseite hebt sich der neue Trakt materiell von der weißen Putzfassade des Altbaus ab. Über Eck von der Meldemannstraße aus betrachtet, bemerkt aber, wie fein die Brauntöne mit der partiell in bräunlichem Backstein ausgeführten Straßenansicht des Bestandes harmonieren. Auch die Baukörperkonfiguration nimmt miteinem Mittelrisaliten Bezug auf die strenge Axialität des Bestandes, sodass der neue Annex bei aller formalen, zeitgemäßen Eigenständigkeit dem Alten durchaus eine gewisse Achtung entgegenbringt.

Im Erdgeschoß liegen Verwaltungs- und Serviceeinrichtungen sowie ein vom Fonds Soziales Wien betriebenes Tageszentrum, in dem untertags alte Menschen aus der näheren Umgebung betreut werden. Die Geschoße darüber schließlich sind der – meist allerletzte – Lebensraum für insgesamt 199 pflegebedürftige Senioren und Seniorinnen. Während fast 100 Jahre lang zuvor eine reine Männergesellschaft den Ort belegte, sind es nun überwiegend Frauen, die hier betreut werden. Im Neubau gibt es ausschließlich Einzelzimmer von rund 16 Quadratmetern mit direktem Zugang auf den Balkon. Im Altbau finden sich auch Doppelzimmer, von denen manche geteilt werden könnten, was zum Beispiel eine sinnvolle Maßnahme zum Schutz vor einem schnarchenden Zimmergefährten sein kann.

Das Gemeinschaftsleben spielt sich im Wesentlichen im Herz des Gebäudes ab. Hier bringt ein Atrium Licht von oben in die Tiefe und ermöglicht geschoßübergreifende Kontaktaufnahme. Hier liegt der Erschließungskern, hier befinden sich an strategisch günstiger, weil guten Überblick bietender Stelle die Stationsstützpunkte sowie Aufenthaltsbereiche, in denen zum Beispiel gemeinsam gegessen wird. Dieser Bereich grenzt an die Naht zwischen den beiden Bauteilen, wo der Dialog zwischen Alt und Neu im Inneren besonders spürbar ist. Denn hier lässt es sich im Neubau entlang der dreiseitig verglasten „Trennfuge“ am Altbau vorbeipromenieren, dessen Fassade in ihrer ursprünglichen Form erhalten blieb und nun zugleich Gebäudeabschluss des einstigen Männerwohnheims und Innenraumbegrenzung des neuen Teils ist.

Pro Geschoß überbrücken zwei Stege die Schlucht zwischen den Häusern. Die inneren Scheiben der Kastenfenster wurden aus Brandschutzgründen mit Fixverglasungen versehen. Sie sind aus Mattglas, um den Einblick in die dahinterliegenden Bäder undEingangsbereiche von Zimmern zu verhindern. Die äußeren Flügel wurden saniert undblieben erhalten. So entstand eine Situation,die den oft nicht mehr mobilen Bewohnern eine städtische Hausfassade in das Innere des gemeinsamen, halbprivaten Wohn- und Aufenthaltsbereiches holt, die in ihrer schlichten Schönheit Erinnerungen an das frühere Leben „draußen“ zu wecken imstande ist. Kommunikation nach außen und über Geschoße hinweg ermöglichen auch die beiden Fassadeneinschnitte im Mittelrisaliten an der Gartenfassade, wo durch das Aussparen von jeweils zwei Zimmern übereinander geräumige Loggien entstanden sind.

Vielleicht wird man das Haus den Menschen auch wieder 100 Jahre lang zumuten können – aber nur, wenn man sich irgendwann von den hausbackenen pseudonoblen Vorhängen und Möbeln in den Zimmern trennt, die auf künftige, von Ikea & Co. geprägten Pfleglingsgenerationen gewiss nicht stimmungsaufhellend wirken. Die architektonische Struktur in ihrer Unaufdringlichkeit und Gelassenheit ist jedenfalls frei von modischer Attitüde und Verspieltheit und daher robust genug, um längerfristig ein taugliches Ambiente für den letzten Lebensabschnitt zu bieten.

Spectrum, Sa., 2010.04.10



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Seniorenschlössl Brigittenau „Wie Daham“

16. März 2010Franziska Leeb
zuschnitt

Welche Räume sind uns die Kinder wert?

Wohl kaum zuvor war das Thema der Kinderbetreuung im Vorschulalter auf der politischen Agenda Österreichs so präsent wie in den vergangenen anderthalb...

Wohl kaum zuvor war das Thema der Kinderbetreuung im Vorschulalter auf der politischen Agenda Österreichs so präsent wie in den vergangenen anderthalb...

Wohl kaum zuvor war das Thema der Kinderbetreuung im Vorschulalter auf der politischen Agenda Österreichs so präsent wie in den vergangenen anderthalb Jahren. Ab 2009 bzw. 2010 ist der Kindergartenbesuch in Österreich für alle Fünfjährigen verpflichtend 1 und halbtags gratis, wobei der Föderalismus eifrig gepflegt wird und in den Bundesländern unterschiedliche Regelungen gelten, ab welchem Alter und in welchem Ausmaß Kostenfreiheit gewährt wird. Allein in Niederösterreich sind bereits 400 neue Kindergartengruppen in Betrieb gegangen, stolze 250 Millionen Euro wurden investiert.

Im Zuge der stark ideologisch geführten Debatte um die Rahmenbedingungen der Betreuung von Kindern im Vorschulalter trat die Frage nach adäquaten Räumen bloß am Rande in Erscheinung und wurde im Wesentlichen nur in der Architekturpresse 2 thematisiert. Nüchtern betrachtet sollten sich aus den politischen Initiativen für einen raschen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen zwei Annahmen ableiten lassen:

Annahme eins: Wenn die Beteuerungen, der Kindergarten sei keine Aufbewahrungsanstalt, sondern eine pädagogisch hochwertige Bildungseinrichtung, ernst gemeint sind, dann muss dies auch in baukultureller Hinsicht gelten.

Annahme zwei: Die flotte Umsetzung neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen führt zu einer raschen Umsetzung der Bauten. Effiziente Bauweisen, mit denen sich auch in ästhetisch anspruchsvoller Weise und den Kriterien der Humanökologie und Nachhaltigkeit entsprechend arbeiten lässt, müssten demzufolge Hochkonjunktur haben. Eine tolle Chance für Holzbauweisen!

Ernüchterung macht sich breit Die Suche nach ambitionierten Kindergartenbauten aus der jüngsten Zeit endet aber rasch in Ernüchterung. Jene Bauten, die unter dem Siegel „architektonisch wertvoll“ subsumiert werden können, kann selbst ein Vorschulkind an seinen zehn Fingern leicht abzählen. Österreich unternimmt endlich eine Nachjustierung an seinem Bildungssystem und löst damit ein so enormes Bauvolumen aus, wie man es eher in einem Katastrophengebiet als in einem der reichsten Länder der Welt vermuten würde. Ungefähr hundert Kindergartengruppen sollen allein in Niederösterreich bereits in adaptierten Metallcontainern untergebracht sein.

Mobile Kindergärten, kurz „Mobiki“, nennen sich diese auf den ersten Blick attraktiven Lösungen: Die Baukosten sind niedriger als jene fixer Bauten (wobei manche Fachleute daran zweifeln), die Errichtungszeit ist kürzer. Später kann die Gemeinde den vom Land bis zu hundert Prozent geförderten Container anderweitig einsetzen und kommt so kostenlos zu Sportplatzumkleiden oder anderen kommunalen Infrastrukturen. Auf einer Serviceseite der Oberösterreichischen Landesregierung findet sich sogar eine Liste mit dem Titel „Auswahl Container-Firmen die Kindergärten-Lösungen anbieten“ (sic!) 3. Diese erleichtern mit einer Reihe von Serviceangeboten zur einfacheren Abwicklung den Kindergartenerrichtern die Entscheidung. Die Pädagoginnen bemühen sich redlich, das unwirtliche Ambiente dieser Container freundlich zu gestalten. Grundsätzliche Mängel lassen sich damit aber nicht beheben, wie z. B. nicht kindgerechte Parapethöhen, suboptimale klimatische, akustische und atmosphärische Bedingungen.

Lösungen sind vorhanden – aber in Vergessenheit geraten

Beispielhafte Lösungen in Holz, die man allenfalls adaptieren müsste, wären vorhanden. In Wien hat, ermuntert von den Behörden, die sich statt eines Provisoriums ein rasch errichtbares System in Holzbauweise wünschten, das Architekturbüro Schluder/Kastner ein solches entwickelt. Diese Kindertagesheime in der Anton-Schall-Gasse (1992, in Kooperation mit Dietrich/Untertrifaller), in der Schrebergasse (1999) und der Andersengasse (2000) haben bewiesen, dass die Bauweise für die Bauaufgabe ohne qualitative Einbußen funktioniert. Aus derselben Zeit stammt auch das in Holzleimbinder-Konstruktion errichtete Kindertages heim in der Gschweidlgasse (1995) von Geiswinkler & Geiswinkler Architekten. Es wehte in Wien also bereits einmal ein für Holzbauweisen günstiger Wind. Nachfolgeprojekte sind dennoch nicht in Sicht. Es mag an der Uninformiertheit der Zuständigen liegen, dass man an diese Erfahrungen nicht anknüpft. Man kann sich aber des Eindrucks nicht erwehren, dass es die Holzbaubranche verabsäumt hat, das Thema für sich zu besetzen. Immerhin wird das aus einem offenen Wettbewerb hervorgegangene Kindertagesheim in der Schukowitzgasse von Clemens Kirsch in Holzbauweise errichtet; prototypisches Potenzial hat dieses Projekt allerdings wenig. Das vorrangige Argument für den Holzbau war der Zeitdruck. Auch in Niederösterreich sind offene Wettbewerbe dünn gesät. Immer wieder stößt man auf Planungsauswahlverfahren, die nicht dazu angetan sind, Qualität hervorzubringen. Trotzdem kommt es singulär zu herzeigbaren und sogar vorzüglichen Ergebnissen.

Kindergarten mit Vorbildfunktion Eines der herausragenden ist der von Gabu Heindl geplante Kindergartenzubau in Rohrendorf bei Krems. Mit puren, ungekünstelten Materialien schuf sie ein anregendes Umfeld. Dass es kein reiner Holzbau wurde, ist dem Umstand zu schulden, dass die Planungszeit extrem kurz war und aufgrund des angrenzenden Bestandes sehr kontextspezifisch, also wohl auch mit einigem Improvisationstalent zu agieren war. Planung und Bau liefen zum Teil parallel und boten keine Chance für einen Holzsystembau. Die Sheddächer bestehen aus einer Leimbinderkonstruktion. Der Ziegelbau ist in eine Lärchenholzfassade gehüllt. Heindl machte sich die leichte Manipulierbarkeit des Holzes zunutze und integrierte nicht nur Abstellräume in die Fassade. Sie bildete daraus Nischen, Bänke und Sitzgelegenheiten. Hier können die Kinder unter dem auskragenden Dach witterungsgeschützt die Jahreszeiten erleben und haben Gelegenheit, taktile Erfahrungen zu machen und Prozesse der Alterung nachzuvollziehen. Tiefe, breite Fensternischen stehen auch im Inneren als Rückzugsorte mit Gartenblick zur Verfügung. Zusätzliches Licht kommt von oben durch die Sheds oder durch „Lichtkamine“ in den Nebenräumen, die zu beliebten Räumen für das In-den-Himmel-Schauen wurden. Auch bei der Ausstattung wurde Wert auf Qualität gelegt: Geöltes Eichenparkett und – zwar nicht von der Architektin geplante, aber von der Tischlerei Lechner aus Gföhl eigens angefertigte – Vollholzmöbel und Aufbewahrungsboxen aus verschiedenen Holzarten zeugen von Respekt vor den Bedürfnissen der Kinder und der Pädagoginnen. Viel gestalterische Energie floss in das Bemühen, sinnliche Erlebnisse zu stimulieren und dem Kindergartenalltag eine robuste Struktur zur Verfügung zu stellen.

Der Kindergarten ist ein öffentliches Gebäude und hat Vorbildfunktion. Wenn die Kindergartenoffensive auch einen bildungs- und kulturpolitischen Auftrag erfüllen will, darf die gestalterische Qualität der Kindergärten nicht ignoriert werden – egal in welchem Baustoff. Für Holz sind jedenfalls die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft.

zuschnitt, Di., 2010.03.16



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Kindergarten Rohrendorf



verknüpfte Zeitschriften
zuschnitt 37 Im Kindergarten

30. Januar 2010Franziska Leeb
Spectrum

Wein, Löss, Landschaft

Keine der protzigen Kubaturen, wie sie anderswo aus den Weinbergen wachsen. Sondern ein Zeugnis des Respekts vor Landschaft und Dorfkultur: die Gebietsvinothek in Kirchberg am Wagram.

Keine der protzigen Kubaturen, wie sie anderswo aus den Weinbergen wachsen. Sondern ein Zeugnis des Respekts vor Landschaft und Dorfkultur: die Gebietsvinothek in Kirchberg am Wagram.

Dass repräsentative Gebäude der Vermarktung des Rebensaftes nicht abträglich sind, hat Tradition. Ob die imposanten Chateaux der Franzosen oder deren moderne Versionen – die um die Jahrtausendwende entstandenen Weingüter internationaler Stararchitekten ebenso wie die architektonischen Ambitionen in ostösterreichischen Winzerhöfen: Ein repräsentatives Umfeld zu schaffen und bauliche Zeichen zu setzen gehört für viele Weinmacher zum guten Ton.

Vor ziemlich genau vier Jahren ging im Architekturzentrum Wien die Ausstellung „WeinArchitektur – Vom Keller zum Kult“ zu Ende, die einen so gut wie vollständigen Überblick über die österreichische zeitgenössische Architektur im Auftrag von Winzerfamilien bot. Das Gros der Beispiele stammte aus dem Burgenland, dicht gefolgt von der Südsteiermark. Die Entscheidung, in signifikante Architektur zu investieren, haben die diesen Förderzielgebieten zugestandenen EU-Gelder, mit denen bis zu 30 Prozent des Investitionsvolumens abgedeckt werden konnten, gewiss erleichtert. Ein Ende des Architekturbooms ist in der Weinszene noch nicht zu erkennen, und mit Verzögerung scheint nun auch in Niederösterreich die Paarung Wein und Architektur an Exotenstatus zu verlieren.

Eines der bemerkenswertesten Weingebäude der jüngsten Vergangenheit ist in einer ebenso bemerkenswerten Gegend zu finden. Das Wiener Architektenteam gerner°gerner plus hat in Kirchberg am Wagram eine Gebietsvinothek realisiert. Für den namensgebenden Banal-Marketingslogan „In Wagram Weritas“ – können die Architekten nichts, das Gebäude ist aber wahrlich dazu angetan, dem Ort und der Region nicht nur im Hinblick auf Weinmarketing und Tourismus gute Dienste zu leisten, sondern scheint schon jetzt, einige Monate nach Eröffnung, ein wichtiger Identifikationsfaktor für die Bevölkerung zu sein.

Der Wagram, eine aus sandigem, mineralreichem Löss bestehende Geländeformation nördlich der Donau, zwischen Krems und Stockerau gelegen, bietet klimatisch und geologisch allerbeste Bedingungen für den Weinbau. Engagierte Winzer und Winzerinnen nutzten in der jüngeren Vergangenheit diese Voraussetzungen und weckten die regionale Weinszene – vor allem mit den Hauptsorten Grüner und Roter Veltliner – aus dem Dornröschenschlaf. Mit auffällig schicken Gebäuden haben sie sich bislang zurückgehalten. Die Energie floss vor allem in die Qualitätssteigerung und Markenpflege. Seit 2007 ist die Region Wagram – einst unter der wenig eindeutigen Bezeichnung Donauland gemeinsam mit Klosterneuburg geführt – ein eigenständiges Weinbaugebiet. Die besten Winzer der Region – immerhin 54 – präsentieren und vermarkten nun unter einem gemeinsamen Dach im wortwörtlichen Sinn ihre Weine.

Spätestens seit ihren Bauten für die burgenländischen Weingüter Wellanschitz und Hillinger zählen Andreas und Gerda Gerner zu den in der Weinszene etablierten Baukünstlern. Große Gesten und gewagte Konstruktionen sind ihnen nichts Fremdes. Bei der Kirchberger Gebietsvinothek hingegen punkten sie in erster Linie nicht mit dem offensichtlich Spektakulären, sondern mit Gespür und Umgang mit dem Ort und seinen topografischen Eigenheiten.

Weil Gemeinden, besonders die landwirtschaftlich geprägten kleinen, sparsam sein müssen, ist es schlau, wenn Funktionen gebündelt werden. Und so wünschte man sich ins „Weritas“ nicht nur eine Vinothek mit Platz für Lagerhaltung, Degustation und Verkauf, sondern auch Flächen für einen Gastronomiebetrieb, ein Tourismusbüro undVeranstaltungsräume. Nicht nur den Fotos nach, auch noch vor dem Gebäude stehend, erschließt sich nicht gleich, wo und wie all diese Funktionen in einem so kompakt und klein scheinenden Gebäude Platz finden.

Der Bauplatz, im Wesentlichen ein Park mit altem Baumbestand nächst dem Ortskern fällt nach Westen etwa zehn Meter steil in einen Graben ab. Die Architekten situierten den zweigeschoßigen Baukörper im Süden der zur Verfügung stehenden Fläche, scharf an der westlichen Hangkante. Das Parkgelände wurde derart modelliert, dass es vom bereits bestehenden Parkplatz zum verglasten Erdgeschoß sanft überleitet und das Gebäude quasi in der Umgebung aufgeht. Die Bäume durften im Mutterboden bleiben. Durch die Fugen der schützenden Baumscheiben blickend, lässt sich das ursprüngliche Geländeniveau noch erahnen.

Das an drei Seiten raumhoch verglaste Hauptgeschoß weist einen Rücksprung auf, dem entlang die Zugangsrampe unter Dach ins Innere leitet. Ähnlich logisch und die Ergonomie der vinophilen Kundschaft berücksichtigend geht es weiter. An die Rückwand schmiegen sich in einem Guss hinterleuchtete Präsentationsflächen für die besten Rebsäfte der Gegend, ausziehbare Tablare und Laden, dann ein kleiner Knick und das wandintegrierte Möbel geht in eine Sitzbank über. Dahinter öffnet sich ein mit einer tiefer Laibung versehenes Südfenster in die Landschaft. In der Mittelachse des Raumes zoniert ein Barmöbel den Raum in einen Degustations- und Verkaufsbereich und einen vom „schnellen Geschäft“ unbehelligten Restaurantteil mit 30 locker arrangierten Sitzplätzen. Im schmäleren, östlichen Bereich liegt auf gleicher Ebene das Tourismus- und Regionalbüro.

Die Bar umfängt auch den Abgang ins Untergeschoß, wo die Seminarräume nach Westen über die gesamte Fassadenfläche mit Ausblick in die Weingärten gesegnet sind. Introvertierter, weil ins Gelände integriert, befinden sich hier auch die Küche und das Herz des Hauses, das Weinlager, in dem 108 regionale Weine als Hauptdarsteller kein großes Bühnenbild brauchen, sondern, schlicht in Regalen gestapelt, auf die – wie man erzählt – eifrig anströmende Kundschaft warten.

Es sind nicht nur Weinliebhaber von auswärts, die das Haus frequentieren. Es braucht gar kein besonderes Glück, um den einen oder anderen Winzer im Restaurant anzutreffen, und wie es scheint, wurde das Weritas auch zu einem beliebten Ausgeh-Ort für die lokale Bevölkerung.

Kein Wunder. Denn so neu und gewagt diese Architektursprache in der Gegend auchsein mag, die Gebietsvinothek fremdelt nicht. Sie hat keine Gemeinsamkeiten, mit den riesigen Kubaturen, die anderswo aus den Weinbergen wachsen, marktschreierisch vom Prestige ihrer Bauherren und deren Weinen künden und dabei wenig Respekt vorLandschaft und Dorfstruktur zeigen. Den Architekten gelang ein Gebäude, das die feinen Tropfen vieler unterschiedlicher Winzer adäquat präsentiert, in dem ein Sonntagnachmittagskaffee ebenso Freude macht wieein abendliches Diner, wo sich architekturgeeichte Städter ebenso wohlfühlen wie bodenständige Winzer. Kein Firlefanz, nur angenehme Räume und schöne Aussicht.

Zur Info für alle Bürgermeister und Bürgermeisterinnen: Man bekommt so ein Gebäude, wenn man einen ordentlich vorbereiteten Wettbewerb ausschreibt, zu dem man fähige Architekturbüros einlädt. Ganz einfach, oder?

Spectrum, Sa., 2010.01.30

05. Dezember 2009Franziska Leeb
Spectrum

Norden so grün

Dänemark gilt als Musterland der Baukultur und Nachhaltigkeit. Dabei ist die Öko-Bilanz des Landes miserabel. Das soll sich nun ändern. Wie Kopenhagens Architektur und Stadtplanung versuchen, dazu einen Beitrag zu leisten.

Dänemark gilt als Musterland der Baukultur und Nachhaltigkeit. Dabei ist die Öko-Bilanz des Landes miserabel. Das soll sich nun ändern. Wie Kopenhagens Architektur und Stadtplanung versuchen, dazu einen Beitrag zu leisten.

Die dänische Hauptstadt hat sich in den letzen Jahren zu einem Hotspot für Architekturtouristen entwickelt. Neben den neuen Kulturgroßbauten im Binnenhafen wie der Oper von Henning Larsen und dem Königlichen Schauspielhaus von Lundgaard und Tranberg wurde ein umfangreiches Bauprogramm vor allem in Hafengebieten und aufgelassenen Industriearealen in Angriff genommen. Trotz des rapiden Wachstums scheint Kopenhagen nicht an Übersichtlichkeit, urbaner Qualität und der sprichwörtlichen Gemütlichkeit einzubüßen. Der demnächst zur Klimakonferenz eintreffenden internationalen Community muss sich die fußgänger- und radfahrerfreundliche Stadt in der grauen Winterzeit präsentieren, wo dievielen Hafenterrassen und Strandpromenaden nicht so mit Leben erfüllt sind wie während der wärmeren Jahreszeit. Bereits im Vorfeld wurde einiges unternommen, um zum Image als Musterland der Baukultur undNachhaltigkeit beizutragen. Dabei ist derzeitder ökologische Fußabdruck Dänemarks unter den weltweit schlechtesten. Das soll sich bald ändern. Bis 2025 hat sich Kopenhagen zum Ziel gesetzt, eine ausgeglichene CO2-Bilanz zu erreichen. Der Beitrag von Architektur und Stadtplanung wird in diesem Prozess intensiv thematisiert, schließlich ist der Gebäudesektor für 40 Prozent des Energieverbrauchs verantwortlich.

Das Dänische Architekturzentrum betreibtmit Unterstützung von Realdania, einem Fond, der sich die Verbesserung der Lebensqualität durch die gebaute Umwelt zum Ziel gesetzt hat, das Projekt Copenhagen X. Die Informationsplattform richtet sich an Bewohner und Besucher der Stadt und will denDialog zwischen professionelle Planern und Laien stimulieren und Stadtentwicklung transparent machen. Eine aufwendige Website informiert über abgeschlossene und geplante Bauprojekte und führt auch umfangreiche Programme für ein nachhaltiges Kopenhagen an. Publikationen, ein Angebot an geführten Bauvisiten und Fahrradtouren sowie Audioführungen, die kostenlos zum Download angeboten werden, komplettieren das Vermittlungsprogramm.

Schon im Vorjahr schickte man die Ausstellung „Building Sustainable Communities“, die 29 Architekten als Impulsgeber für eine bessere Welt präsentiert, auf eine internationale Reise. Thematisiert werden wenigerdie messbaren Fakten wie Energiekennzahlenund Dämmstoffdicken, sondern spürbare Annehmlichkeiten von Städten und Gebäuden wie Raumqualität und Tageslicht und auch, dass Bauen und Stadtentwicklung eineFrage von Respekt sowohl der Natur gegenüber als auch der Menschen untereinander ist. Umweltfreundlich agieren und gleichzeitig die Lebensqualität steigern ist die Botschaft, die stets mitklingt.

Noch bis zum 18. Dezember zeigt das Louisiana Museum für Moderne Kunst im Humlebæk, nördlich von Kopenhagen, die Ausstellung „Green Architecture for the Future“, die das komplexe Feld nachhaltigen Bauens anhand einer Fülle nationaler und internationaler Beispiele „intelligenter Architektur“ im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und Sozialem versammelt. Die an Themen und Beispielen dichte Schau im Untergeschoß des Museums endet im weitläufigen Skulpturenpark. Dort werden anhand architektonischer Strukturen nachhaltige Technologien und neue Materialien für die Besucher physisch erfahrbar gemacht. Eigens für die Ausstellung wurde unter Federführung der dänischen Architekten 3XN der Pavillon „Learning from Nature“ entworfen. Die heiter und unbekümmert wirkende, grellgrüne Konstruktion in Form einesendlosen Möbiusbandes wird mit Begeisterung von Jung und Alt als Klettergerüst in Beschlag genommen. Erst bei eingehenderer Auseinandersetzung erschließt sich das technische Innenleben. In und unter seiner poppigen Oberfläche birgt das Gebilde eine Reihe an innovativen Technologien.

Die energieautarke, biologisch abbaubare Struktur ist das Ergebnis eines intensiven Entwicklungsprozesses unter Beteiligung vonan die 20 Industrieunternehmen. Hauptbaumaterial ist schichtweise verklebter Kork. Verstärkend wirken Lagen eines Leinengewebes, das in Polyersterharz, gewonnen aus nachwachsendem Mais und Sojabohnen, eingebettet wurde. Auf die Oberfläche laminierte, nur einen Millimeter dünne Solarzellen liefern die Energie für die LED-Module zur Beleuchtung. Auch das Herumturnen der Besucher liefert Strom, indem die Energie aus Gewicht und Bewegungen mittels piezoelektrischer Kontakte in elektrische Energie umgewandelt wird. Eine Oberflächenbeschichtung sorgt dafür, dass sich die Hülle gleichsam von selbst sauber hält, und ist zudem in der Lage, 70 Prozent der Schadstoffe aus industriellem Smog im näheren Umfeld für die Menschen unschädlich zu machen.

Vor diesem Hintergrund an demonstrierter Leistungsfähigkeit von Planern und Industrie stellt während des Klimagipfels ein Symposium unter der Moderation von Peter Weibel und Hans-Ulrich Obrist die Frage, wie es von nun an weitergehen kann.

Viel näher an der Realität der Baupraxis und damit ein aus aktuellem Anlass beliebtes Demonstrationsobjekt ist das „Green Lighthouse“ des Architekturbüros Christensen & Co auf dem Kopenhagener Universitätscampus. Das zu Beginn des Herbstsemesters eröffnete Modellhaus ist Kopenhagens erstes CO2-neutrales öffentliches Gebäude. Die Initiatoren – die Universität in Kooperation mit dem VELUX-Konzern, dem Wissenschaftsministerium und der Stadtverwaltung – wollen damit ein internationales Leuchtturmprojekt nachhaltigen Bauens schaffen.

Der zylindrische Dreigeschoßer beherbergt auf rund 1000 Quadratmeter Nutzfläche Serviceeinrichtungen für Studierende der naturwissenschaftlichen Fakultät. Tageslicht als primäre Lichtquelle in allen Räumen und ein natürliches Lüftungs- und Kühlungssystem garantieren ein angenehmes und gesundes Raumklima. Die Energieversorgung erfolgt in einer Kombination aus Solarkollektoren, Fernwärme, einer Wärmepumpe und Photovoltaik. Das Gebäudekonzept fußt weniger auf revolutionären, kostenintensiven Technologien als vielmehr auf ausgeklügelter Planung unter Einsatz marktüblicher Komponenten. 70 Prozent der Energieeinsparung haben ihre unmittelbare Ursache im Entwurf, behaupten die Architekten. Die Botschaft: Wir haben bereits die Mittel, um den Klimawandel zu bremsen. Man muss sie nur richtig einsetzen.

Spectrum, Sa., 2009.12.05



verknüpfte Akteure
VELUX Österreich GmbH

24. Oktober 2009Franziska Leeb
Spectrum

Wein und Wiese

Um die Abwanderung ins Umland zu stoppen, hat die Wiener Wohnbaupolitik eine „Neue Siedlerbewegung“ ins Leben gerufen. Und damit Raum für ambitionierte Architektur und Freiraumgestaltung geschaffen.

Um die Abwanderung ins Umland zu stoppen, hat die Wiener Wohnbaupolitik eine „Neue Siedlerbewegung“ ins Leben gerufen. Und damit Raum für ambitionierte Architektur und Freiraumgestaltung geschaffen.

Um Wiener Jungfamilien vom Abwandern in Einfamilien- und Reihenhäuser im Umland abzuhalten, hat die städtische Wohnbaupolitik die „Neue Siedlerbewegung“ ins Leben gerufen. In den durchgrünten Gegenden vornehmlich des 21. und 22. Bezirkes entstanden unter diesem Titel etliche Siedlungen, die mit ambitionierter Architektur, Freiraumgestaltungen auf höherem als dem üblichen Niveau und mit guten Ideen zur Förderung der Gemeinschaft punkten können. Wiewohl „Neue Siedlerbewegung“ marketingtechnisch gewiss schlauer ist als ein einfallslos schlichtes „Wohnen im Grünen“, so fehlt der neuen Siedlerbewegung in jeder Hinsicht der visionäre Charakter ihrer aus einer Selbsthilfebewegung entstandenen historischen Namensvetterin aus der Zwischenkriegszeit. Allesamt sind die aus Bauträgerwettbewerben hervorgegangenen Gartensiedlungen jedenfalls qualitativ weitaus erfreulichere Erscheinungen als das, was sich in den unmittelbaren Nachbarschaften abspielt. Die wahre neue Siedlerbewegung manifestiert sich in nächster Nähe: Von findigen Baumeistern und Hausbau-Firmen auf das erlaubte Maximum aufgeblasene Häuser stehen dicht an dicht als Realität gewordene Alpträume vom eigenen kleinen Schloss auf der Gartenparzelle, für das Jungfamilien ihre gesamte Kauf- und Arbeitskraft verschwenden.

Dass Urbanität mit privatem, attraktivem gemeinschaftlichem Freiraum durchaus vereinbar ist, zeigt die 47 Wohnungen und zwölf Gartensiedlungshäuser umfassende Siedlung der Ganahl-Ifsits Architekten, eine von mehreren im Rahmen der „Neuen Siedlerbewegung“ errichteten Anlagen zwischen Hirschstetten und Breitenlee. Hanno Ganahl und Walter Ifsits zählen zu den routinierteren Wiener Wohnbauern. Ihre Architektur zeichnet sie dadurch aus, dass sie ohne großes Getöse auskommt, dafür aber viel Grips für interessante Wohnungstypologien und sinnvolle städtebauliche Lösungen aufgewandt wird.

Entlang der Ziegelhofstraße und der Pichlgasse situierten sie eine Blockrandbebauung, die an der Ecke durchbrochen ist, um eine bessere Harmonie mit der dahinterliegenden lockereren Bebauung herzustellen. Sie beherbergen einen Mix aus reihenhausähnlichen zweigeschoßigen Wohnungen mit Mietergärten sowie Geschoßwohnungen und Maisonetten mit Terrassen und Dachgärten, die geschickt gestapelt zwei angenehm proportionierte und gegliederte Baukörper von hoher Anmut ergeben. Die hochgezogenen massiven Brüstungen der Terrassen gewähren Intimität, Leichtbauwände im gleichen Anthrazit wie die Türen und Fensterrahmen trennen die privaten Freibereiche zwischen den Wohnungen. Die skulpturale Durchbildung der Baukörper mit Vor- und Rücksprüngen bringen zugleich praktischen Nutzen wie gedeckte Vorbereiche und Terrassenflächen.

Die Gemeinschaftseinrichtungen liegen inden verglasten Erdgeschoßzonen, dort, wo im Freibereich zwischen den beiden Riegeln ein kleiner Platz als Entree in die Anlage ausgebildet wurde. Dem Gemeinschaftsraumist eine teils überdeckte Holzterrasse mit integrierter beschatteter Sandkiste vorgelagert. Die Waschküche schließt nur durch eine Glaswand, die mit den Vornamen aller Bewohner versehen ist, getrennt daran an. So entstehen, ohne dass große Vereinbarungen und Umwege notwendig sind, im Alltag gut nutzbare Begegnungszonen und Aufenthaltsbereiche außerhalb des privaten Wohnbereichs. Das mögen Kleinigkeiten sein, selbstverständlich sind sie nicht, und der Wohnqualität sind sie allemal förderlich.

Die zwölf Häuser sind in zwei parallelen Zeilen angeordnet. Entlang der östlichen Grundstücksgrenze sind es Reihenhäuser, um durch die gekuppelte Bauweise dem Areal eine Fassung und einen Abschluss zum umgebenden Wirrwarr zu geben. Über den Eingängen kragen die Obergeschoße als markante, leicht abgeschrägte Kuben weit aus. Eine Etage höher geben sie der Terrasse des jeweiligen Nachbarn Rückendeckung.

Die innere Zeile besteht aus ebenfalls zweigeschoßigen, aber frei stehenden Haustypen mit Garten und Terrasse im zurückgestaffelten Obergeschoß. Alle Haus- und Wohnungstypen haben gute Grundrisszuschnitte, die frei von exaltierten Extravaganzen gut bespielbar sind.

„Wohnen im Weinspalier“ lautet der Projekttitel. Namensgebend dafür ist der markanteste Teil der Freiraumgestaltung, die von Jakob Fina gemeinsam mit „Rajek Barosch Landschaftsarchitektur“ konzipiert wurde und die sich in Form von mit Wegrandpflanzen bewucherten Streifen schon an der Straßenseite ankündigt. Das Herz des Freibereichs nimmt ein Weingarten ein, dessen Reben zwischen akkurat gesetzten Stahlprofilen aufgezogen werden. Abgerundet wird das Weinthema durch einen Sitzplatz unter einer Laube und einen vom Garten aus zugänglichen Weinkeller. Für eine weitere landwirtschaftliche Betätigung stehen dazumietbare Gemüsebeete samt Gartenhütten zur Aufbewahrung von Gerätschaften oder Sämereien bereit. Außer der Privatstraße zwischen den zwei Häuserzeilen, gibt es kein Wegesystem, das durch die Anlage führt. Nur Rasen- und Wiesenflächen strukturieren gemeinsam mit den Beeten und Rebzeilen den Raum zwischen den Gebäuden.

Die möglichen Nutzungsszenarien scheinen noch nicht völlig bis zu den Mietern durchgedrungen zu sein. Weder wurden in der vergangenen Saison die Beete bestellt, noch dürfte es Aktivitäten im Weinkeller geben. Damit das Angebot im Sinn seiner Erfinder genutzt wird, bedarf es einer Moderation, das war den Architekten von Anfang an klar. Und so hofft man nun allseits auf eine baldige Veranstaltung, um Ideen und Handlungsanweisungen zur Nutzung des Zusatzangebots zu kommunizieren, damit nicht auch in der zweiten Saison die Ernte ausbleibt. Die innen wie außen bereitgestellten Räumlichkeiten scheinen durchaus dazu geeignet, für eine selbstverwaltete Bespielung die notwendige Robustheit und Flexibilität zu haben.

Im Wildwuchs von Suburbia sind Anlagen wie diese Oasen der Erholung. Den Bewohnern ist dies deutlich bewusst, denn schon kommt das Bedürfnis nach einer besseren Abschottung zum Umfeld auf, um die Idylle zu schützen, weil nun auch schon Anrainer der Attraktivität der Freiräume in der Siedlung am Weinspalier gewahr wurden. Das ist vielleicht eines der besten Komplimente, macht aber auch deutlich, wie wichtig brauchbar gestaltete Parkanlagen als Aufenthaltsort für Kinder und Jugendliche auch am Stadtrand sind. Rasenstreifen hinter Thujenhecken sind zwar auch grün, sie ersetzen aber weder Wald und Wiese noch den Stadtpark.

Spectrum, Sa., 2009.10.24

22. August 2009Franziska Leeb
Spectrum

Härte und Noblesse

Symmetrie bis ins letzte Eck, viel Holz, aber ganz und gar nicht rural: das Weinlandbad in Mistelbach – ein Fest für Detailfetischisten.

Symmetrie bis ins letzte Eck, viel Holz, aber ganz und gar nicht rural: das Weinlandbad in Mistelbach – ein Fest für Detailfetischisten.

Christa Prantl und Alexander Runser zählen zu den Detailfetischisten unter den Architekten. Das freut alle Rezensenten ihrer Arbeit, die handwerkliche Qualität schätzen, ist aber jenen, die sie auszuführen haben, oft eine Last. Ihre jüngste fertiggestellte Arbeit, der Kabinentrakt des Weinlandbades in Mistelbach, wäre ohne diese Konzentration auf die Präzision wahrscheinlich bloß ein angenehm anzusehendes Gebäude. Dass trotz enormen Zeitdrucks dennoch ein Stück Baukultur entstehen konnte, ist kein Wunder, sondern harte Architektenarbeit – in der Planung wie in der Überwachung der Ausführung auf der Baustelle.

Das Weinlandbad Mistelbach wurde 1960 in Betrieb genommen. Historische Aufnahmen zeigen eine weitläufige ruhige Anlage am Stadtrand, die ohne viel Chichi angenehmes Flair zu haben scheint. In den 1990er-Jahren traf auch das Mistelbacher Bad die Modernisierungswelle, und es wurde zum größten Erlebnisbad im Weinviertel aufgerüstet. Die Notwendigkeit eines neuen Kabinentraktes als Ersatz für den nicht mehr adäquaten Bestand nahm die Stadtgemeinde zum Anlass, einen geladenen Wettbewerb auszuloben, der nicht nur die Erarbeitung eines Vorentwurfs für die neuen Umkleiden umfasste, sondern auch die Formulierung einer „Grundsatzidee“ für ein von einem privaten Betreiber zu errichtendes „Gesundheitszentrum“ im Anschluss an das bestehende Bad.

Der Wettbewerb wurde flott abgewickelt. Ausgelobt wurde Anfang Dezember 2007, Abgabe anderthalb Monate später, entschieden Ende Jänner 2008. Runser und Prantl überzeugten die Jury unter Vorsitz von Max Rieder in allen Punkten, vor allem aber durch die gute Einfügung des Kabinentrakts in den Kontext der Umgebung. Drei Monate nach der Entscheidung, ein Jahr vor dem angestrebten und eingehaltenen Eröffnungstermin, wurden die Architekten beauftragt. Nach einer knapp bemessenen, dafür umso intensiveren Planungszeit standen gerade sieben Monate für die Ausführung zur Verfügung. Diese Umstände und die Notwendigkeit, auch während der Wintermonate zu bauen, war ausschlaggebend für die Wahl der Bauweise. Die Konstruktion besteht aus bis zu 16 Meter langen Brettsperrholz-Elementen, die in der Werkstatt vorbereitet und innerhalb weniger Wochen montiert wurden. Rural mutet die Anlage trotz der Holzbauweise aber ganz und gar nicht an. Das hätte in dieser Lage auch nicht gepasst.

Das Bad liegt an der südlichen Einfallstraße gegenüber einem Gewerbegebiet. Runser und Prantl vermieden es, auf das Wirrwarr mit besonders signifikanten Gesten zu reagieren, und erzielten durch einen schlichten, leicht geschwungenen Baukörper dennoch eine Form, die präsent ist. Um glatte Flächen ohne Knicke zustande zu bringen, wurden gebogene Brettsperrhölzer mit einer Krümmung von vier Millimeter auf einem Meter verwendet. Die Holzoberflächen wurden mit einem platingrauen Anstrich veredelt, der dem Gebäude nicht nur hinsichtlich des Holzschutzes Robustheit verleiht, sondern ihn auch mit der notwendigen optischen Härte ausstattet, um in der Gegend Geltung zu erlangen. Zugleich sorgt der silbrig schimmernde Farbton für eine gewisse Noblesse, die dem schlanken, insgesamt etwa 85 Meter langen Bauwerk gut zu Gesicht steht.

Es wird damit die Stadteinfahrt akzentuiert, aber auch ein beruhigendes Element geschaffen, das dem Straßenraum eine Fassung gibt. Die Krümmung trägt auch stark dazu bei, für das Bad ein Binnenmilieu, in dem von der Hektik des Gewerbegebietes nichts mehr zu spüren ist, zu erzeugen.

Das Dach des zweigeschoßigen Kabinentraktes kragt über dem Eingang und dem gläsernen Kassenbereich weit aus. Richtung Norden wird der Bogen von einem eingeschoßigen Trakt, der den Personalbereich und verschiedene Technikräume birgt, fortgesetzt. Im Wettbewerbsbeitrag war das Dachdieses Bauteils als langes Flugdach weitergeführt. Es fiel dem Sparstift zum Opfer, hätte aber die Linearität der Anlage stärker betont und einen folgerichtigeren Abschluss gebildet. Vor dem Gebäude wurde mit sparsamen Mitteln ein Platz ausgebildet, auf dem auch um die 200 Fahrräder geparkt werden können. Im Kontrast zum Asphalt verläuft vor dem Gebäude eine unversiegelte Fläche in Form eines Trockenbiotops, das zum Naturraum der angrenzenden Zayawiesen überleitet. Als Landschaftsarchitekt wurde Jakob Fina hinzugezogen.

Innen bilden vor den barrierefrei zugänglichen Kabinen- und Kästchenbereichen im Erdgeschoß zwei Wandscheiben einen Paravent-artigen Schutz vor den Zugängen und zonieren den Vorbereich. Im Obergeschoß bilden ein tiefer Balkon und das auskragende Dach eine riesige Galerie, von der sich das Geschehen im Bad beobachten lässt. Sie dient auch als Begegnungszone und bietet bei Sommergewitter einen vortrefflichen Schutz. Verzinkte Stahlgitter formen die Brüstung und werden als luftige aber robuste Schiebeelemente zum Verschließen der einzelnen Raumsegmente verwendet. Fugenbild und Stöße zeugen von hoher Präzision in der Planung. Die Bauweise erlaubt weder Schlampereien noch Schummeleien. Jede Leitungsführung, jede Öffnung muss sorgfältig im Vorhinein festgelegt werden. Nachträgliches Zuschmieren geht nicht.

Bis ins letzte Eck wird der Symmetrie und der Flächenbündigkeit gehuldigt. Zum Beispiel beim von Stephanie Krieger gestalteten Schriftzug an der Fassade, der so geplant wurde, dass keine Fugen die Buchstaben durchkreuzen. Weiß der Kuckuck, warumdie Lettern dann doch nicht ganz an den gewünschten Stellen gelandet sind. Ein gutes Gebäude muss gewisse Applikationen ertragen können, heißt es oft. Stimmt schon. Auchdas bei aller Schlichtheit bestechend edel wirkende Kabinengebäude ist ein starkes Stück Architektur, das viel aushält, ohne an Qualität einzubüßen. Die bunt gefleckten Tische auf der Terrasse vor dem im Süden angeordneten Bistro haben nicht die Architekten, die kein Mandat für die Einrichtung hatten, ausgesucht. Runser und Prantl sind sicher dankbar, dass der Fotograf da war, bevor sie aufgestellt wurden. Wäre es aber nicht gerade bei öffentlichen Gebäuden – undwas ist öffentlicher als ein kommunales Freibad, das von allen Bevölkerungsschichten und Altersgruppen frequentiert wird? – wichtig, Vorbildwirkung auszuüben und auf allenLinien mit gestalterischer Sorgfalt auf einemhohen kulturellen Niveau zu agieren?

Spectrum, Sa., 2009.08.22



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Weinlandbad

01. August 2009Franziska Leeb
Spectrum

Wohnen bis 100 plus

Wie aus einem Sonderkrankenhaus mit 328 Betten ein wohnliches Milieu wird: zur Erweiterung des Geriatriezentrums in Wien-Ost.

Wie aus einem Sonderkrankenhaus mit 328 Betten ein wohnliches Milieu wird: zur Erweiterung des Geriatriezentrums in Wien-Ost.

Anfang Juli wurde der EU-weit ausgelobte Architektenwettbewerb um das beste Konzept zur Sanierung und baulichen Erweiterung des bestehenden Geriatriezentrums im Sozialmedizinischen Zentrum Ost entschieden: zugunsten von Delugan Meissl Associated Architects (DMAA). Die Wiener Baukünstler haben nicht nur fast zeitgleich auch den Wettbewerb um die neue Unternehmenszentrale der Bestattung Wien am Zentralfriedhof gewonnen, sondern reüssieren seit Jahren international auf hohem Niveau. In ihrem Portfolio befindet sich bislang kein Krankenhaus, aber gut ein Dutzend großvolumiger Wohnbauprojekte – ein Know-how, das beim Geriatriezentrum kein Nachteil war. Wohnatmosphäre statt Krankenhauscharakter lautet nämlich die Devise für die neuen Wohn- und Pflegeheime des Wiener Krankenanstaltenverbunds, die bis 2015 im Zuge der Geriatriereform fertiggestellt sein werden.

Das Geriatriezentrum beim SMZ Ost war das erste Haus für die geriatrische Pflege, das die Stadt Wien nach der Monarchie errichtete. Ab 1972 wurde das für knapp über 400 Betten ausgelegte Pflegeheim geplant, im Jänner 1982 ging es in Betrieb.

Delugan/Meissl befreien den aus drei in der Diagonale aneinandergeschobenen Türmen bestehenden Baukörper von zwei Annexbauten und schließen mittels L-förmiger Anbauten die zerklüftete Figur zu einem kompakten Baukörper. Zwei Pflegestationen können nun sinnvoll auf den zwei Karrees mit innen liegendem Atrium pro Geschoß sinnvoll organisiert werden. Das ganze Gebäude wird mit einer Loggienzone ummantelt, die jedes der Einzel- und Doppelzimmerum einen barrierefrei zu erreichenden Freiraum erweitert. Das geforderte neue Zentrum für Wachkoma-Patienten und Langzeitbeatmete bringen sie in einem winkelförmigen dreigeschoßigen Bau an der Langobardenstraße unter. Über einen eingeschoßigen Verbindungsbau erfolgt der Zugang in beide Häuser. Im städtebaulichen Kontext findet die Anlage nun besser Halt als bisher. Routiniert wurde das verborgene Potenzial der bestehenden Anlage entdeckt und in Form gebracht. Wie aber wird aus einer insgesamt 328 Betten umfassenden Sonderkrankenanstalt ein wohnliches Milieu? Die Bewohner und Bewohnerinnen sind hochbetagt, oft dement und bedürfen intensiver pflegerischer und medizinischer Betreuung. Im neu errichteten Bauteil werden Langzeitbeatmete und Wachkoma-Patienten jeden Alters betreut. Wie man einen Menschen in bestimmten Räumen zur Ruhe kommen lassen und ihm andererseits Motivation geben kann, sei ein interessantes Spannungsfeld, so Roman Delugan. Das Zimmer ist die Ruhezelle. Ausblick gibt es auch im Liegen, und die an Boden, Wänden und Decke in Holz gehaltene Loggia kann auch im Pflegebett befahren werden. Vorhänge schirmen die gläsernen Brüstungen ab und gewähren Sicht- wie Sonnenschutz. Die Loggientrennwand kann zum Nachbarn geöffnet werden, wenn der Wunsch nach Kommunikation und Gemeinschaft besteht.

Statt uniformer Krankenhausgänge mit Tagräumen an den Enden sind spannungsreiche Raumsequenzen ausgebildet. Die Atrien bringen Tageslicht, schaffen Durchblicke und sind Schauplatz von Inszenierungen mit luftbewegten Mobiles und aufsteigenden Wolken. Die Gärten, gestaltet von den Landschaftsarchitekten Isolde Rajekund Oliver Barosch, sind nicht nur von den Allgemeinbereichen aus zugänglich, sondernvon allen angrenzenden Räumen, ob Therapieraum oder Raucherzimmer, ob Personaldienstzimmer oder Angehörigenraum.

Trotz der Einschränkungen, die die bestehende Struktur mit sich bringt, gelingen in den Erschließungsbereichen abwechslungsreiche Raumsequenzen mit belebteren Zonenund Nischen, die außerhalb des Zimmers intime Refugien bilden. Der Zugang zum Thema sei leichter gefallen, so DMAA-Partner Dietmar Feistel, indem man so ein Geriatriezentrum zwar als eine ernste Angelegenheit, schlussendlich aber als doch nichts anderes als ein Wohnraum für einen bestimmten Lebensabschnitt betrachtete.

Zu Anfang der 1950er-Jahre kamen auf 120 Erwerbstätige zwei demente Personen. Hochrechnungen prognostizieren für das Jahr 2050 ein Verhältnis 15 zu eins. Geriatriezentren werden also zu normalen Wohnorten werden müssen. Wie und wo wohnen aber jene Senioren, die von der Demenz verschont bleiben und dank Pharma- und Kosmetikindustrie lange fit und fesch bleiben? Oder die, die in der eigenen Wohnung vereinsamen würden, oder jene, die gar keine eigene Wohnung haben? – Die Ausstellung „Ich wohne, bis ich 100 bin. Red Vienna, Grey Society“, die das Architekturzentrum Wien in Kürze eröffnet, transferiert die Erkenntnisse einer Studie des Wohnforums der ETH Zürich über die Wohnbedürfnisse der Alten in eine Inszenierung zum Mitmachen und Nachdenken.

Das Team Arquitectos (Heidi Pretterhofer, Dieter Spath) ergänzen die aus Zürich übernommene Schau und geben einen kurzen Überblick über die Entwicklung vom Siechenhaus zur Geriatrie mit Wohnambiente und zeigen ausgewählte aktuelle und geplante Beispiele vom Wohnheim für obdachlose Senioren über Mehrgenerationen-Wohnprojekte bis zu Pflegeheimen und Geriatriezentren. In Form von Piktogrammenliefern sie zu den vorgestellten Bauten schnellverständliche Zusatzinformationen, wie jene,dass der Pflegeheimbewohner in den meistenFällen weiblich ist. Ob dies so ist, weil zwar die Frauen ihre Männer pflegen, bis sie selber zum Pflegefall werden? Und umgekehrt? Diese Frage drängt sich auf. Auch die, ob man statt der vielen Themenwohnungen für Alte und Junge, Singles und Familien, Urbanisten und Insulaner nicht einfach dafür sorgen könnte, dass alle geförderten Wohnbauten so angelegt sind, dass sie unterschiedlichen Lebensstilen und -stadien gerecht werden. Den kühlen Einlagerungsraum neben der Wohnungstür, wo die gebrechliche Oma mühelos den vom Zustelldienst gelieferten Kartoffelsack einlagern kann, könnten alle anderen auch gut gebrauchen. Und wer wäre nicht froh, wenn sie beim Austritt auf ihre Loggia die Stolpergefahr gebannt wäre. Bitte mehr altengerechte Wohnungen, auch die Jungen werden dankbar sein!

Spectrum, Sa., 2009.08.01

12. Juni 2009Franziska Leeb
Spectrum

Form, Freiheit und etwas Farbe

Weder heimelig noch kuschelig,sondern flexibel, urban und weltgewandt: Das neue Wohnheim für Studierende in Innsbruck erinnert an die Sechzigerjahre, ohne mit der Retro-Mode zu flirten.

Weder heimelig noch kuschelig,sondern flexibel, urban und weltgewandt: Das neue Wohnheim für Studierende in Innsbruck erinnert an die Sechzigerjahre, ohne mit der Retro-Mode zu flirten.

Was hat ein Wohnheim für Studierende heute zu leisten, was kann es leisten? Das 1969 in Betrieb gegangene Studentenheim der katholischen Kirche in der Innsbrucker Santifallerstraße – ein architektonisch bemerkenswertes Gebäude von Horst Parson – musste vor einigen Jahren geschlossen und schließlich abgetragen werden, um einem Neubau Platz zu machen. Zu groß wäre der Sanierungsaufwand gewesen, und zu unterschiedlich sind die Anforderungen, die heute an ein Studentenheim gestellt werden. Knappe neun Quadratmeter betrug die Grundfläche eines Einzelzimmers, 17 hatten die Doppelzimmer, Bäder und Toiletten waren am Gang, dafür war das Gebäude großzügig mit Gemeinschaftsflächen ausgestattet.

Die Zimmer im neuen Wohnheim sind rund 20 Quadratmeter groß und verfügen – wie könnte es heute anders sein – über Bad, WC und Balkon. Architekt Johannes Wiesflecker hat sich dennoch nicht nur Gedanken über den Komfort der Studierenden gemacht, sondern auch über deren Sozialisierung. Das Studieren hat sich verändert und damit auch das Wohnen. Gelernt wird vor allem individuell, im Internet, weniger im Austausch mit der Kollegenschaft. Darauf nimmt Wiesfleckers Konzept Rücksicht, verzichtet aber nicht auf die Ausbildung großzügiger Gemeinschaftsräume und liefert vor allem in der architektonischen Attitüde ein Gegenkonzept zum konservativ anmutenden Wie-daheim-Flair manch anderer neuerer Studentenheime. Wollen sie es kuschelig, müssen die Bewohner selber dafür sorgen. Die Architektur des Bischof-Paulus-Heimes gewährt ihnen einen Rahmen, in dem sich viel mehr ausleben lässt als der Rückzug in die erste eigene Häuslichkeit.

In Hochschulseelsorger Monsignore Bernhard Hippler hat Wiesflecker einen guten Bauherren gefunden. Seinem Einsatz ist es erstens zu verdanken, dass anstelle des alten Heimes kein renditeträchtigerer Wohnbau entstanden ist. In ihm hat darüber hinaus der Architekt einen intellektuellen Ansprechpartner gefunden, der auch bei Anfeindungen stets hinter dem Projekt gestanden ist.

Wiesflecker (Jahrgang 1961), der seit 15 Jahren sein eigenes Architekturbüro in Innsbruck betreibt und zu den profiliertesten Architekten der zurzeit aktiven mittleren Generation zählt, verbirgt seine Sympathien für die Sechzigerjahre nicht. Dabei zählt er ganz und gar nicht zu jenen Architekten, die eine spezifische Handschrift kultivieren, und um einer kurzen Retro-Mode zu erliegen, dafür scheint der geerdet wirkende Wiesflecker nicht anfällig zu sein. In gewisser Weise erweist der Neubau dem vom revolutionären Aufbruchsgeist der Entstehungszeit getragenen Vorgängerbau seine Reverenz, es wird aber auch die Auseinandersetzung mit großen Kollegen wie Herman Hertzberger und Louis Kahn spürbar.

„Was wir entwerfen, muss ein Angebot sein, das immer wieder bestimmte Reaktionen als Antwort auf bestimmte Situationen hervorzurufen vermag, es darf also nicht einfach neutral und flexibel – und folglich ungeeignet – sein, sondern muss jene breitere Leistungsfähigkeit besitzen, die wir als polyvalent bezeichnen“, so Hertzberger, dessen Studentenheim in der Amsterdamer Weesperstraat – eines seiner frühen Werke – ungefähr so alt ist wie Wiesflecker.

Städtebaulich trägt der Komplex des nach Bischof Paulus Rusch benannten Innsbrucker Heimes der Lage zwischen der Uferzone des Inns und dem Stadtquartier Rechnung. Er reagiert aber auf den Kubus der nebenan liegenden, im Jahr 1972 eingeweihten Kirche Petrus Canisius, ebenfalls von Horst Parson.

In fein choreografierten Sequenzen erfolgt der Übergang vom übergeordneten Organismus der Universitätsstadt Innsbruck in ihre kleinste Einheit, das Heimzimmer. Eine Platzmulde schafft Distanz zur Straße, die verglaste Halle wirkt einladend. Ein auffallend schickes Sitzmöbel aus Sichtbeton mit kardinalrot gepolsterten Sitzflächen erweist sich als Zusatznutzung eines Lichtkamins für die darunter liegende Tiefgarage und ist eine formale Anspielung auf Mobiliar im Stil der 1960er und 70er.

Die zwei Baukörper, die sich über der vom Straßenniveau abgesenkten, transparenten Foyerzone erheben, sind unterschiedlich ausgebildet. An den fünf Obergeschoßen des sechsgeschoßigen Sichtbetonkubus bilden sich sowohl an der Straßenfassade als auch an der dem Fluss zugewandten Seite in einem Wechselspiel aus hölzernen und verglasten Flächen die Zimmer ab. Ton in Ton sorgen orangefarbene Vorhänge für Sichtschutz und leichte Bewegung im Raster.

Sein um ein Geschoß niedrigerer Nachbar hat, dem Grundstücksverlauf folgend, einen trapezförmigen Grundriss, Stiegenhaus und Allgemeinbereiche liegen an der Straßenseite und bilden sich ebendort in Form einer expressiven Collage aus Glas und Metall ab.

Die Zimmer liegen entlang eines großzügigen Allgemeinbereiches, dessen Herz eine werkbankähnliche Küchenzeile bildet. Diese Zonen sind nur spärlich möbliert. Die Tische in den Zimmern sind so gestaltet, dass sie einfach zu tragen sind und daher leicht zum Beispiel zur Bildung einer größeren Tafel hinausgetragen werden können. Generell ließ das architektonische Konzept in den weiten Allgemeinflächen viel Raum zur Aneignung. Die Studenten nutzen dies. Möbel vom Flohmarkt oder dem elterlichen Dachboden bilden eine weiche, temporäre, veränderbare Schicht. Sie wirkt improvisiert, und die meisten der Möbel sind nicht dazu geeignet, designaffine Geister zu befriedigen, aber das Gebäude erträgt diese Attacken wider den guten Wohngeschmack mit Leichtigkeit. Es bildet einen kräftigen Rahmen, der seine jungen Bewohner und Bewohnerinnen herausfordert, der ihnen einen Gegenentwurf zur ländlichen Behütetheit bietet. Möglichst urban wollte Wiesflecker sein Gebäude anlegen, das ist ihm gelungen, auch im Sinne einer gewissen weltgewandten Ausstrahlung, die dem Haus zu eigen ist.

Ohne die puren Materialien – der Sichtbeton wurde auch innerhalb der Zimmer nicht kaschiert – käme dieses Flair nicht zustande. Sie helfen bei der Konzentration auf das Wesentliche, sind längerfristig immun gegen Moden. Neutral ist hier nichts, das Gebäude ist ein Statement und verlangt Nutzern und Rezipienten Stellungnahme ab. Die Leistungsfähigkeit im Sinne Hertzbergers scheint aus heutiger Sicht gegeben. Sogar die Tiefgarage, so Wiesflecker, habe er so konzipiert, dass sie als Veranstaltungshalle verwendet werden kann.

Spectrum, Fr., 2009.06.12



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Bischof Paulus Heim

25. April 2009Franziska Leeb
Spectrum

Dem Kind gerecht, nicht kindlich

Viel Husch und Pfusch beim Bau von Kindergärten, doch hin und wieder ein Lichtblick. Zum Beispiel in Rohrendorf bei Krems: ein Bau mit ungekünstelten Materialien und Raum zum In-den-Himmel-Schauen.

Viel Husch und Pfusch beim Bau von Kindergärten, doch hin und wieder ein Lichtblick. Zum Beispiel in Rohrendorf bei Krems: ein Bau mit ungekünstelten Materialien und Raum zum In-den-Himmel-Schauen.

Am Nachmittag gehe sie gern in den neuen Trakt des Kindergartens, um einen Kaffee zu trinken und die Stimmung zu genießen, erzählt Karin Zorn, Leiterin des Kindergartens in Rohrendorf bei Krems mit sichtlichem Stolz auf die Räumlichkeiten. Zu verdanken hat sie diese der Architektin Gabu Heindl, die sich mit ihrem Beitrag in einem geladenen Wettbewerb gegen die Lokalmatadore durchsetzen konnte. Mit puren, ungekünstelten Materialien schuf sie ein Umfeld, das die Bedürfnisse der kleinen Nutzer und ihrer Betreuerinnen perfekt erfüllt, auch wenn die Formensprache auf den ersten Blick nichts Kindliches hat. Kindgerecht ist er dennoch – und wie. Heindl hat großen Wert darauf gelegt, den größten Standortvorteil, den Garten, so zu berücksichtigen, dass er das ganze Jahr über erlebbar ist.

Die neuen Gruppen wurden mittels eines neuen Zugangs im Bauwich zwischen Bestand und benachbarter Feuerwehr angedockt. Dem leicht abfallenden Gelände folgend, leitet ein langer, sich verjüngender Gang als Promenade mit Sogwirkung ins Innere, der auch als Abstandhalter zwischen den „privaten“ Gruppenräumen und dem „öffentlichen“ Foyer wirksam wird. Kein Anstrich, keine Farbe, keine formalen Spielereien treten in Konkurrenz zu den naturgemäß omnipräsenten Spielsachen und Basteleien. Die gestalterische Energie floss vor allem in das Bemühen, sinnliche Erlebnisse zu stimulieren und dem Kindergartenalltag eine robuste Struktur zur Verfügung zu stellen.

Besonders die zum Garten hin orientierten Wände der Gruppenräume haben es in sich. Tiefe Fensternischen stehen als Rückzugsorte zum Basteln und Träumen oder als Mini-Bühnen zur Verfügung. Zusätzliches Licht kommt von oben, einerseits durch die Oberlichten der Scheddächer über den Gruppenräumen, andererseits durch „Lichtkamine“ in den Nebenräumen, die dadurch zu beliebten kontemplativen Räumen zum In-den-Himmel-Schauen wurden.

Die das Gebäude säumende Holzterrasse stellt auch bei matschigem Gartenboden eine brauchbare Aktionsfläche im Freien bereit, und in die Fassade integrierte Abstellräume schlucken alle Gerätschaften, die zum Spielen im Garten benötigt werden. Die Kinder nehmen das Angebot, das auf unaufdringliche Weise da ist, mit großer Selbstverständlichkeit an.

Auch Kindergarteninspektorin Martha Denk ist erfreut über den Zubau und zeigt ihn gerne her. Oft beobachte sie, dass die Sichtweisen der Kinderpädagoginnen und jene der Architekten nicht in Einklang stehen und mehr Vertrauen der einen in die fachliche Kompetenz der anderen wünschenswert wäre. In Rohrendorf hingegen sei das Zusammenspiel zwischen den Akteuren von hohem gegenseitigem Respekt getragen gewesen.

Fast 600 Kindergartengruppen sollen laut Auskunft der Abteilung Kindergarten der Landesregierung bis zum Jahr 2010 in Niederösterreich errichtet werden. 180 Millionen Euro werden investiert, um flächendeckend den Raumbedarf für die Betreuung von Kindern ab zweieinhalb Jahren zu decken. Meist handelt es sich um Zubauten und Adaptierungen, aber auch rund 60 Neubauten werden errichtet. Ob sich die 1000 zusätzlich angeworbenen Betreuerinnen auf ihren neuen Arbeitsplätzen so wohlfühlen werden wie Frau Zorn, ist hingegen nicht garantiert.

Denn obwohl das Land im Rahmen der Kindergartenoffensive tüchtig fördert – zwei Drittel statt des üblichen einen Drittels der Baukosten werden übernommen –, erweisen sich die Gemeinden als knickrige Auftraggeber. Architekten erzählen von geladenen Wettbewerben, bei denen den Teilnehmern für die Ablieferung aufwendiger Beiträge keine oder lächerlich geringe Entschädigungen angeboten werden. In Jurygremien fehlen oft die Fachpreisrichter, und transparente Dokumentationen der Entscheidungsfindungen sind ohnehin rar. Es kommt auch vor, dass zwecks Planerfindung mittels einseitiger „Ausschreibung“ bei einem halben Dutzend Architekten und Baumeistern die Honorarvorstellungen abgefragt werden und dann kurzum der Billigste beauftragt wird. Öffentlich anprangern wollen die meisten Architekten diese Gepflogenheiten nicht, denn für viele kleine und junge Büros sind diese Aufträge aus den Gemeinden die einzige Möglichkeit, zu Referenzprojekten zu kommen. Diese erhöhen wiederum die Chance, zu Wettbewerben für größere öffentliche Projekte geladen zu werden. Sie sehen sich also gezwungen, auch zu nicht kostendeckenden Bedingungen zu arbeiten.

Das Auskommen der Planer soll nicht unsere Sorge sein. Ihre Misere haben sie sich durch die Bereitschaft zu Honorardumping und fehlende Solidarität untereinander im Wesentlichen selbst zuzuschreiben. Es kann auch nicht erwartet werden, dass in Orten, in denen bis dato die Bau- und Vergabekultur aufgrund schlichter Unbedarftheit der Entscheidungsträger kein Thema war, die Kindergartenoffensive zu baukünstlerischenMeilensteinen führen wird. Und es ist umgekehrt auch nicht immer so, dass mangelhaft vorbereitete Wettbewerbe oder Direktbeauftragungen zwangsläufig zu schlechten Resultaten führen. Die interessanteren und zweifellos besseren Ergebnisse gibt es aber bestimmt in jenen wenigen Gemeinden, die ordentlich vorbereitete Verfahren abhalten, zu denen sie der Aufgabe gewachsene Planer einladen. Zumindest sollte man verlangen dürfen, dass öffentliche Gelder für gute Gebäude, die tatsächlich die vollmundig angekündigten Qualitätsverbesserungen erfüllen, eingesetzt werden und nicht zur Förderung der Freunderlwirtschaft. Klar, es ist Eile geboten, und die Gemeinden wollen sich nicht mit umständlichen Verfahren aufhalten. Damit sind aber keine unsauberen Vergabepraktiken und schnell hingepfuschte Bauten zu entschuldigen.

Gabu Heindl wurde dank des gelungenen Zubaus zur Teilnahme an weiteren Wettbewerben gebeten. Eigentlich ein schöner Erfolg für die international tätige Architektin und Theoretikerin, deren Architekturbüro gerade in Schwung kommt. Der eine oder andere Folgeauftrag aus Niederösterreich hätte gut in das Konzept gepasst. Dennoch hat sie zwei Einladungen ausgeschlagen. Nicht ohne sich vorher einerseits gründlich zu überlegen, ob sie sich damit nicht die Aussicht auf weitere Aufträge schon am Beginn verbaue und ob sich die Gemeinden, die sich immerhin dazu durchringen, an eine ihnen noch unbekannte Architektin heranzutreten, vor den Kopf gestoßen fühlen könnten. Ein gewisser Stolz, das Wissen um den Wert der eigenen Arbeit und kollegiale Solidarität haben schließlich gesiegt. Warten wir also ab, wie schädlich es ist, ein starkes Rückgrat zu haben.

Spectrum, Sa., 2009.04.25



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Kindergarten Rohrendorf

21. März 2009Franziska Leeb
zuschnitt

Mehrgeschossiger Holzbau in Österreich

Politiker aller Couleurs haben das Bauen mit Holz für sich entdeckt. In Krisenzeiten wie diesen argumentiert man gern mit heimischer Wertschöpfung und...

Politiker aller Couleurs haben das Bauen mit Holz für sich entdeckt. In Krisenzeiten wie diesen argumentiert man gern mit heimischer Wertschöpfung und...

Politiker aller Couleurs haben das Bauen mit Holz für sich entdeckt. In Krisenzeiten wie diesen argumentiert man gern mit heimischer Wertschöpfung und Nachhaltigkeit. Gute Zeiten also für den Holzbau, könnte man meinen. In der Tat findet sich in den Hochbauprogrammen vieler Städte und Länder der verstärkte Einsatz von Holzbauweisen an vorderster Stelle. Fast jedes Bundesland hat seine Holzbau-Musterprojekte. Die werden dann so gut beworben und publiziert, dass man ob der medialen Omnipräsenz einiger weniger Holzbauten völlig übersieht, wie gering ihr Anteil am Gesamtbauvolumen nach wie vor ist.

Jüngste Gesetzesnovellen und neue Richtlinien sowie Erkenntnisse aus Musterprojekten und Forschungsarbeiten haben eine verbesserte Ausgangsbasis für den mehrgeschossigen Holzbau geschaffen. Dennoch scheinen sich viele Bauträger den Holzbau nur dann auf ihre Fahnen heften zu wollen, wenn entsprechender Druck durch die Politik da ist. Fehlt dieser Anschub, fehlt auch die Motivation, vom Gewohnten abzuweichen.

Unklarheiten, Unsicherheiten, manchmal auch nicht ganz nachvollziehbare Vorgaben in der Gesetzeslage und Schwierigkeiten bei deren Interpretation waren und sind für viele Bauträger ein weiterer Faktor, sich dem mehrgeschossigen Holzbau nur mit Vorbehalten zu nähern. Kommunale Bauherren – hier kommt die politische Verwertbarkeit in Sachen Ökologie, Regionalität und Behaglichkeit zum Tragen – und private Unternehmer haben, wie es scheint, weniger Berührungsängste.

Gerhard Leibetseder vom Institut für Brandschutztechnik und Sicherheitsforschung (IBS) in Linz kann dies bestätigen. Der Brandschutzprofi ortet vor allem im Bereich der öffentlichen Bauaufgaben eine stärker werdende Tendenz zu Holzbauweisen, wobei die aus Sicht der OIB-Richtlinie 2 (Brandschutz) unproblematische Viergeschossigkeit ohnedies selten überschritten wird. Eines der aktuellen großvolumigen Vorhaben ist zum Beispiel das agrarische Schulzentrum in Altmünster, ein dreigeschossiger Vierkanter von den Architekten Fink und Thurnher. Auch im Segment der Tourismusarchitektur ist Holz als Konstruktionsmaterial auf dem Vormarsch. Beim sechsgeschossigen Hotel Ammerwald (Architektur Oskar Leo Kaufmann und Albert Rüf) wurden die oberen drei Geschosse in Holzbauweise errichtet. Die Thematik des vertikalen Flammenüberschlags im Parapetbereich wurde hier unter anderem mit einer vertikalen Brandabschnittskonzeption gelöst.

Irmgard Eder, Leiterin des Dezernats Baulicher Brand-, Wärme- und Schallschutz in der Wiener Magistratsabteilung 37, erwartet sich nach den Erfahrungen aus der Techniknovelle 2001 im Zuge der aktuellen Neuerungen in der Gesetzeslage keinen großen Boom im mehrgeschossigen Holzbau. Die Anzahl der in der Zwischenzeit realisierten Bauten ist „enden wollend“, so Eder. Der Boom blieb also bislang aus und scheint auch nicht vor der Tür zu stehen.

Durch die Techniknovelle 2007 in Verbindung mit der Wiener Bautechnikverordnung, in der u.a. auf die OIB-Richtlinie 2 verwiesen wird, kann von den OIB-Richtlinien abgewichen werden, wenn der Bauwerber nachweist, dass das gleiche Schutzniveau wie bei Anwendung der Richtlinien erreicht wird. Damit können sowohl Behörde als auch Planer flexibler argumentieren, was Wiens oberste Brandschutzbeamtin positiv sieht. In Zukunft werde dadurch die Rolle der Brandschutzkonsulenten aber an Bedeutung gewinnen. Denn sobald ein Gebäude von den Anforderungen der Richtlinie abweicht, muss ein entsprechendes Brandschutzkonzept bzw. der Nachweis der Erfüllung der Schutzziele bei Einhaltung des Schutzniveaus vorgelegt werden.

„Den Brandschutz als einen wichtigen und herzeigbaren Teil des Bauens zu sehen und nicht als lästige Nebensache, die nur kostet“, das wünscht sich Irmgard Eder von Planern und Bauherren. Ihr Verständnis dafür, dass „um ein paar Brandschutztüren diskutiert wird, die Marmorfassade aber nicht in Frage gestellt wird“, hält sich sehr in Grenzen. Was sie sicher nicht akzeptieren will ist, „wenn Planer mit einem leeren Blatt Papier kommen und von der Behörde eine Brandschutzlösung für ein fertig geplantes Projekt erwarten“.

Neben einem Miteinander von Planer und Behörde, das von gegenseitigem Verständnis getragen sein soll, wünscht sie sich auch eine in verstärktem Maße wissenschaftliche Herangehensweise an Fragen der Sicherheit.

Beim Abweichen von beschreibenden Vorgaben der OIB-Richtlinien das äquivalente Erreichen der Schutzziele mittels Gutachten nachzuweisen, sei eine „saubere Lösung“, so Leibetseder. Hier ist es grundsätzlich sinnvoll und zielführend, brandschutztechnische Aspekte bereits im Vorfeld bzw. in der Entwurfsphase auf ihre Umsetzbarkeit zu überprüfen. Auch Irmgard Eder fände es oft durchaus sinnvoll, in einem frühen Stadium – zum Beispiel schon im Wettbewerb für Modellprojekte – eingebunden zu werden.

Was auf Planer und Bauherren zukommen kann, sind höhere Kosten. Dies nicht zwangsläufig wegen zum Teil „strengerer“ Vorgaben – unabhängig von der Bauweise –, beispielsweise hinsichtlich höherer Anforderungen an Fluchtwegbreiten in der OIB-Richtlinie 4. Jedenfalls auf Geschäftszuwachs hoffen dürfen Gutachter und Brandschutzkonsulenten, denen nicht nur die neue Gesetzeslage zu Aufträgen verhelfen wird. Wie Gerhard Leibetseder aus Erfahrung berichten kann, gibt es bei manchen Behörden noch Unsicherheiten bei der Auslegung der neuen Richtlinien, was dazu führt, dass auch in an sich vom Gesetz her klaren Fällen Brandschutzkonzepte gefordert werden.

Martin Teibinger von der Holzforschung Austria hat für proHolz Austria mit einem Zuschnitt Attachment zur OIB-Richtlinie 2 die in Österreich gültigen Brandschutzvorschriften zu einem anschaulich illustrierten, kompakten Leitfaden zusammengefasst, der einen guten Überblick über die aktuell gültigen Anforderungen bietet. Viele Unklarheiten können so von vornherein ausgeräumt werden.

zuschnitt, Sa., 2009.03.21



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zuschnitt 33 Holz stapelt hoch

15. Februar 2009Franziska Leeb
Spectrum

Das Raue und das Feine

Aus dem Einfachen das Bestmögliche herausgeholt, weitab vom aalglatten Mainstream: ein Wohnbau in Wien-Liesing, der einen zweiten Blick wert ist. Bitte künftig mehr davon!

Aus dem Einfachen das Bestmögliche herausgeholt, weitab vom aalglatten Mainstream: ein Wohnbau in Wien-Liesing, der einen zweiten Blick wert ist. Bitte künftig mehr davon!

Gerade im Wohnbau passiert es recht häufig, dass Computergrafiken und Architekturfotografien Eindrücke wiedergeben, die dann mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmen. Das liegt nicht nur daran, dass Bewohner sich mit diversen Interventionen Balkone, Loggien und Gärten aneignen, die manchen Puristen die Grausbirnen aufsteigen lassen. Es hat auch damit zu tun, dass aus bauwirtschaftlicher Pragmatik manche Finesse – ichwage zu behaupten: nicht immer aus Kostengründen, sondern oft aus purer Faulheit – eingespart wird. Verständlich, dass die Schöpfer und Schöpferinnen der Architekturen daran interessiert sind, das Haus so darzustellen, wie sie es gedacht haben. Bildbearbeitungsprogramme machen es zudem leicht, sattes Grün auf mager bewachsene Dächer zu zaubern oder unvorteilhaft verlaufende Regenrohre wegzuretuschieren.

Umgekehrt gibt es Bauten, die auch auf den besten Fotos nicht augenscheinlich schön sind, sich in Wirklichkeit aber als Baukunst im besten Sinn entpuppen. In der Welingergasse in Wien-Liesing wurde vergangenen Herbst so ein architektonisches Kleinodfertiggestellt, dessen Feinheiten fotografisch schwer zu vermitteln sind. (Es ist generell so,dass Architektur erst dann erfasst werden kann, wenn man sie im Original gesehen, durchschritten, gefühlt und gerochen hat.)

Eva Ceska und Friedrich Priesner betreiben ihr Architekturbüro seit nunmehr zwei Jahrzehnten. Im vergangenen Jahr wurde mit dem langjährigen Mitarbeiter Georg Hurka ein dritter Partner ins Boot genommen. Seit Beginn ist der Geschoßwohnbau eines ihrer Hauptarbeitsfelder, das sie mit einer Empathie und einer extrem konzeptuellen Herangehensweise betreiben, wie sie in diesem Segment des Bauens selten geworden ist. ?eska Priesner haben bislang keine richtig großen Projekte umgesetzt. In den lautstark vermarkteten Stadterweiterungsgebieten mit den meist sonderbaren, an Vergnügungsparks erinnernden Namen haben sie nichts gebaut. Meist handelte es sich um Baulücken in Gegenden außerhalb des Fokus. Rohe, industrielle Materialien finden sich immer wieder an ihren Bauten. Putze werden in dezenten Grau- und Beigetönen gehalten. Sparsame Farbakzente sind im Spannungsfeld zwischen Poesie und Ironie angesiedelt.

Der kleine Wohnbau neben dem Garten der Pfarrkirche Neuerlaa fügt sich in das heterogene, von Großwohnsiedlungen, kleinteiliger Wohnbebauung und Gewerbe geprägte Umfeld zwischen Erlaaer Straße und Perfektastraße so ein, als wäre er immer schon da gewesen. Etwas Aufmerksamkeit ist daher gefragt, um das Besondere daran auszumachen. – Von Norden kommend, fällt die dem Kirchgarten zugewandte, plastisch gegliederte Fassade auf. An der Straßenfassade wurde mit der Ästhetik von Gewerbebauten kokettiert. In ihrer Glätte entspricht sie dem Bebauungsplan, der keine Vorbauten vorsieht. Die Fensterreihen in den beiden Obergeschoßen sind identisch, bestehen aber aus jeweils fünf unterschiedlichen Fensteröffnungen, an denen sich die verschiedenen dahinterliegenden Funktionen – Schlafzimmer, Gangbereich, Küche, Wohnzimmer, Loggia – abbilden. Die beige Putzfassade erfuhr eine Veredelung mit Glimmerpartikeln, die Allgemeinbereiche im Erdgeschoß erhielten eine pastellviolette Verkleidung. Der Eingangsbereich ist witterungsgeschützt leicht nach innen versetzt.

Im Innenhof konzentriert sich dann auf engstem Raum eine Vielzahl an Feinheiten, die jedoch so beiläufig und selbstverständlich gesetzt wurden, dass sie eher fühlbar als sichtbar vorhanden sind.

Vier Brücken zerschneiden auf Höhe des ersten Obergeschoßes den nicht sehr großenHof, gliedern ihn und schaffen Bereiche von unterschiedlicher Eigenschaft und Funktion.Sie führen aus den Maisonettewohnungen zu „ausgelagerten“ Loggien an der Feuermauer des benachbarten Gewerbebetriebs. Es handelt sich dabei um aufgestelzteKabanen, deren Böden und Seitenwände aus Beton und deren Dächer und Rückwändeaus transluzenten Kunststoffwellplatten ausgebildet sind. Darunter gibt es – zwar im Freien,doch etwas witterungsgeschützt – Abstellplätze für Fahrräder. Durch die in Distanz zuden Wohnungen angebrachten Freiräume entsteht nicht nur eine neue, interessante Interpretation des Themas Loggia, sondern es wird auch der Luftraum über der Hofflächebespielt. Die angrenzenden Feuermauern verlieren damit an Dominanz und werden besser in das Ganze integriert.

Purer Beton, Kunststoff, verzinkte Metallgitter: Es sind nicht die Materialien – die edel sind, sondern eine Reihe an Details entweder in der Verarbeitung oder im besonderen Umgang mit an sich banalen Gebäudeelementen. Kleine Betonpodeste neben den Eingängen im Erdgeschoß markieren eine – wenn auch kleine – private Vorzone, die zum Beispiel als Stellfläche für Blumentöpfe genutzt werden kann. Die zweite Maisonettenreihe wird über einen Laubengang im zweiten Obergeschoß erschlossen. Die kleinen horizontalen Fensteröffnungen zur Belichtung der Innentreppe liegen hier in Bodennähe neben den Eingängen, weil sie so direkt das Treppenpodest erhellen, also für attraktivere Lichtverhältnisse innerhalb der Wohnung sorgen.

Ein zu Hof und Pfarrgarten hin offenes Treppenhaus erschließt die eingeschoßigen Wohnungen am Ende des Längsriegels und an der abschließenden Stirnseite. Hier wiederholt sich an der Brüstung der vom Eingang bekannte Violett-Ton, der übrigens auch bei den Wohnungstreppen Anwendungfand. Die Ränder der Sichtbetonstufen erhielten einen aufgerauten Randstreifen, und auch sonst wurde viel unternommen, die an sich groben Materialien mit handwerklicher Sorgfalt zu behandeln.

Sandkiste und Rasenfläche, die einen großen Teil des Hofes einnehmen, sind mit einer Umrandung aus einerseits Holz – als wärmerer Sitzfläche – und ansonsten Beton sauber gefasst. Die Hofbeleuchtung liegt verdeckt unter den dem Weg zugewandten Rändern dieser Flächen und verzaubert sie bei Dunkelheit in einen grünen Tisch.

Viel Präsenz auf der Baustelle und die Fähigkeit zum produktiven Dialog mit den ausführenden Firmen sind notwendig, um aus dem Einfachen das Bestmögliche herauszuholen. Ein Einsatz, der nicht extra bezahlt und wenig bedankt ist. – Bitte in Zukunft mehr von solchen Wohnhäusern, die sich dem aalglatten Mainstream verweigern! Damit der den mittlerweile üblichen Einheitsbrei produzierende Pragmatismus nicht länger die Oberhand behält.

Spectrum, So., 2009.02.15



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Wohnbau in Wien-Liesing

18. Januar 2009Franziska Leeb
Spectrum

Licht in der Schnecke

Eine Rarität im Architektenalltag: der Kirchenbau. In Oberrohrbach im Weinviertel glückte beim Neubau einer Kirche die Balance zwischen Spiritualität und pragmatischer Gelassenheit.

Eine Rarität im Architektenalltag: der Kirchenbau. In Oberrohrbach im Weinviertel glückte beim Neubau einer Kirche die Balance zwischen Spiritualität und pragmatischer Gelassenheit.

Es sei „ein seltenes Ereignis im Berufsleben der meisten Architekten“, so Konrad Schermann und Werner Stolfa, den Auftrag zur Planung eines Kirchenneubaus zu erhalten. Auch für den Bauherren ist es eine rare Aufgabe, kann man hinzufügen, schließlich handelt es sich bei der Kirche in Oberrohrbach im Weinviertel – nach der Kirche in der Wiener Donau-City von Heinz Tesar – um den ersten Kirchenneubau in der Erzdiözese Wien seit acht Jahren. Seit den 1960er-Jahren musste man sich im Ort mit einer „Notkirche“ zufriedengeben. Als Versammlungsraum erfüllte diese zwar halbwegs ihre Funktion, besonders feierlich war das Ambiente in der Baracke aber nie, und festliche Anlässe wie Taufen oder Hochzeiten begingen die Pfarrmitglieder daher lieber anderswo. Sechs Architekturbüros – eine Mischung aus lokalen Architekten, solchen, die dem Bauamt bereits bekannt waren, und „neuen“ Teams – wurden 2004 daher zum Wettbewerb für den Neubau der zur Pfarre Kleinwilfersdorf gehörenden Filialkirche geladen. Konrad Schermann und Werner Stolfa, die bis dahin noch keine Referenzen im Sakralbau aufweisen konnten, entschieden den Wettbewerb für sich.

Dem Bauplatz auf einer Hügelkuppe zwischen der erwähnten Notkirche und der Florianikapelle aus dem 19. Jahrhundert schrieben sie einen schlichten Baukörper ein, der von einem über eine flach ansteigende Freitreppe erschlossenen Platz gefasst wird. Der Kirchenraum selbst entwickelt sich über einem annähernd ellipsenförmigen Grundriss. Ein flacher kubischer Anbau birgt Eingang, Nebenräume und nördlich gelegene Vorhalle. Ein frei stehender Glockenturm auf kreuzförmigem Grundriss am imaginären Schnittpunkt von östlicher und südlicher Gebäudeflucht definiert eine unmittelbare Vorzone. Auch wenn die Öffnungen der Betonhülle, die im Ton des Lehms der lokalen Weinberge gefärbt ist, sparsam gesetzt sind, bieten sie schon von außen viel Einblick in den Kirchenraum. Der Zugang hingegen ist in einer wohlüberlegt choreografierten Abfolge in Spiralform gestaltet und führt über einen Vorraum vorbei an einem kleinen bekiesten Lichthof in die Vorhalle der Kirche. Hier befindet sich symbolträchtig gleich am Eingang als Zeichen des Anfangs eines christlichen Lebens der Taufbrunnen, der zugleich als Weihwasserbecken genutzt wird. In der Nordwand der zum Kirchenraum hin offenen Vorhalle sind in einer horizontalen Reihe aus 14 quadratischen Fenstern die Kreuzwegstationen dargestellt.

Das Innere ist im Gegensatz zur harten Betonschale mit Platten aus Buchensperrholz verkleidet, die für eine Atmosphäre der Geborgenheit sorgen. In drei Segmenten sind die Bankreihen im Halbkreis um den Altarbereich angeordnet. Selbst wenn die 140 Sitzplätze nur spärlich besetzt sind, kommt dank der Konfiguration und Dimensionierung des Raumes, der nach oben mit einer auch akustisch günstig wirksamen, konvex gekrümmten Holzdecke abgeschlossen wird, keinerlei Gefühl von Verlorenheit auf. – Es gehört zur Mindestanforderung eines Kirchenbaus, adäquaten Raum für die Liturgie bereitzustellen. Schermann und Stolfa gelang es darüber hinaus, bei aller Schlichtheit und formaler Zurückhaltung eine ausgesprochen vielseitige Bühne für Inszenierungen und Rituale zu schaffen. Zusätzlich zum bereits geschilderten etappenweisen Heranführen in das Kircheninnere können dank dem weiteren, westlichen Ausgang und dem ausreichend dimensionierten Platz im Freien zu den entsprechenden Gelegenheiten Prozessionen durch die Kirche und um sie herum geführt werden.

Wohlüberlegt ist auch die Lichtregie, die stark zum Ausdruck des Raumes beiträgt: Die Morgensonne dringt durch das Oberlichtband in den Raum und fällt durch den vertikalen Schlitz am östlichen Ende der Schnecke direkt auf den Altar. Durch einen Lichtspalt in der Decke ergießt sich das Tageslicht über das raumhohe Altarkreuz aus geschliffenem Aluminium. Das warme Licht der Abendsonne dringt durch die Öffnung im Westen, vor der sich das Podest für den Kirchenchor befindet. Auch die künstliche Beleuchtung, die mit dem Lichtplaner Bernhard Steindl erarbeitet wurde, ermöglicht mitrelativ simplen Mitteln von einer schummrigen Grundbeleuchtung bis zu glanzvoller Helligkeit ein breites Spektrum an Lichtstimmungen. Im Sockel wird verdeckt ein LED-Licht als Orientierungslicht geführt. 20 an der Wand angebrachte Strahler sind jeweils mit einer Natriumdampflampe und einer dimmbaren Halogenlampe bestückt und in mehreren Gruppen schaltbar.

Für das konsensfähig gestaltete liturgische Inventar zeichnen die Architekten nicht verantwortlich. Altarraumgestaltung (Otto Lorenz), Kreuzweg (Tobias Kammerer) und Taufbecken (Silvia Kropfreiter-Weihsbeck), die sich durchaus dezent in die Architektur einfügen, gingen aus geladenen Künstlerwettbewerben hervor.

Auch wenn die künstlerische Ausgestaltung – wahrscheinlich auch aus Rücksichtnahme auf die vermeintlich weniger aufgeschlossene Landbevölkerung – die Rezipienten wenig zur geistigen Auseinandersetzung provoziert, hat mit dem städtebaulich und formal sorgfältig konzipierten Neubau die Erzdiözese Wien als Bauherr ein Bekenntnis zu ihrer kulturellen Verantwortung abgelegt und eine gerade im ländlichen Raum wichtige Vorbildrolle übernommen. Der mit Gespür für Ort und Zweck konzipierte Wettbewerbsbeitrag erfuhr in der Planungsphase in der Abstimmung zwischen Architekten, Diözesanbauamt und Pfarrgemeinde seinen Feinschliff. Insgesamt spürt man an der Ausstrahlung des Gebäudes und den architektonischen Details, dass es ein konstruktives, konfliktfreies Zusammenwirken der Beteiligten gewesen sein muss. Resultat dessen sind aber wohl auch die beiden Türen in der Ostfassade des Anbaus, die auf Wunsch der Pfarrgemeinde der Sakristei und einem Nebenraum einen direkten Zugang ins Freie verschaffen, und die zwei kleinen Fenster. Zweckmäßig mag das sein, Ruhe und Harmonie der Gesamtanlage werden jedoch durch die im Vergleich zu den übrigen elegant detaillierten Öffnungen banal ausgefallenen Elemente ein wenig gestört. Dennoch, insgesamt überzeugt die Oberrohrbacher Kirche durch eine angenehme Balance zwischen Spiritualität und pragmatischer Gelassenheit. Es handelt sich zwar „nur“ um eine winzige Dorfkirche, diese behauptet sich aber auch als städtebauliche Dominante im Ortsbild und ist zugleich eine der raren zeitgenössischen architektonischen Kostbarkeiten in der Region.

Spectrum, So., 2009.01.18



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Kirche Oberrohrbach

16. Dezember 2008Franziska Leeb
zuschnitt

Holz mit Holz fälschen

Laut einem Bericht der Wochenzeitung »Die Zeit« am 6. Oktober 1967 hatte die deutsche Arbeitsgemeinschaft Holz damals einen großen deutschen Möbelhersteller...

Laut einem Bericht der Wochenzeitung »Die Zeit« am 6. Oktober 1967 hatte die deutsche Arbeitsgemeinschaft Holz damals einen großen deutschen Möbelhersteller...

Laut einem Bericht der Wochenzeitung »Die Zeit« am 6. Oktober 1967 hatte die deutsche Arbeitsgemeinschaft Holz damals einen großen deutschen Möbelhersteller auf Unterlassung der Bezeichnung »Kunststoff-Furnier« für die vom Unternehmen eingesetzten Laminate verklagt, da der Ausdruck Furnier, so die Begründung, auf Holz hindeute. Das Verfahren ging bis zum Bundesgerichtshof. Der Duden bot keine klare Hilfe, die Synonyme, die er für das Wort »Furnier« anbot, lauteten: Blattholz, Belag, Deckblatt. Dass es Holz sein müsse, war daraus also nicht abzuleiten.

Der Begriff »Furnier« kommt vom italienischen fornire – ausstatten oder dem französischen fournir – aufbringen. (Aber Vorsicht: Das französische Wort für »Furnier« lautet »feuille de placage«.) Inzwischen definiert der Duden den Begriff eindeutig: dünnes Deckblatt aus wertvollem [gut gemasertem] Holz, das auf Holz von geringerer Qualität aufgeleimt wird.

Dennoch bleibt die Terminologie auf dem Gebiet der unterschiedlichen Varianten, weniger wertvolles Holz oder Holzwerkstoffe mit dünnen Schichten optisch wertvollen oder wertvoll scheinenden Materials zu belegen, höchst unübersichtlich. Und selbst dem geschulten Auge bereitet es Probleme, die verschiedenen Qualitäten und Materialien einwandfrei auseinanderzuhalten.

Schon 3000 v. Chr. kannte man im mit Wäldern wenig gesegneten Ägypten ein Verfahren, weniger ansehnliche Untergrundmaterialien mit dünnen Brettern aus raren, edlen Hölzern zu belegen. Ihre Blütezeit erlebte die Furniertechnik in Renaissance, Barock und Rokoko. Das deutsche Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm nennt einen Georg Renner aus Augsburg, der im 16. Jahrhundert eine Furniermühle »zum Schneiden von Furnierplatten« erfunden hat.

Das erste Patent auf die maschinelle Herstellung von Furnieren hatte der englische Ingenieur Marc Isambard Brunel inne, der Anfang des 19. Jahrhunderts eine dampfbetriebene Furnierschneidemaschine entwickelte und so Arbeitszeit und Verschnitt verringerte. Mit der Industrialisierung blieben Furniere nicht mehr den wirtschaftlichen Eliten vorbehalten, sondern wurden für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich und dominierten vor allem mit dem zunehmenden Einsatz von Spanplatten nach dem Zweiten Weltkrieg bis in die 1960er Jahre die Oberflächen in Möbelbau und Innenausbau. Eine ernste Konkurrenz bekamen sie von Oberflächenbeschichtungen in Form von Laminaten, bestehend aus bedruckten Papierbahnen und Melaminharzen oder von Dekorfolien aus PVC.

»Anything goes« scheint heute im Überfluss der Möglichkeiten die Devise zu lauten. Dabei ist nicht alles aus Holz, was danach aussieht, und nicht alles pure Synthetik, was keine eindeutige Holzoptik aufweist. So genannte Fineline-Furniere werden aus Schälfurnieren von hellen Hölzern wie Pappel oder Abachi hergestellt. Von Verwachsungen und Ästen befreit, werden sie gebleicht und gefärbt, um danach in einer per Computer errechneten Reihenfolge gemäß der gewünschten »Holzart« oder Struktur zu Blöcken gepresst zu werden, aus denen schließlich die fertigen Furniere gemessert werden. So entstehen – in großen Mengen in konstanter optischer Qualität verfügbar – Nachbildungen aller denkbaren Holzarten oder jede andere gewünschte Ornamentik: Vom dezenten Streifenmuster über Fischgrätenmuster, Karos oder malerisch wolkige Dekors und Blumenmuster ist alles möglich. Es handelt sich um Furnier aus echtem Holz, sieht aber oft nicht danach aus.

Kai Stania ist beim Büromöbelhersteller Bene seit zwölf Jahren maßgeblich für Design und Entwicklung der meisten Serienprodukte des Unternehmens mitverantwortlich. Zu seinen Aufgaben zählt auch vorherzusehen, welche Farben und Furniersorten in einigen Jahren gefragt sein werden. Wie geht der »Dottore Colore«, so der Spitzname des erfolgreichen Produktdesigners, mit dieser unendlichen Vielfalt an verfügbaren Oberflächen um? Alle zwei Jahre ändert sich die Mode, und meistens ist es ein Wechsel zwischen hellen und dunklen Hölzern. Während seiner Anfänge bei Bene war Ahorn in, dann kamen bald die dunklen Töne. In der Bürowelt passiert der Trendwechsel allerdings langsamer als in der Wohnwelt, für die Stania auch tätig ist. Große Unternehmen legen schließlich Wert darauf, dass ein Produkt auch nach zehn Jahren noch lieferbar ist. Daher ist es wichtig, sowohl Hölzer und Farben im Programm zu haben, die kurzfristige Moden überdauern, als auch mit ausgewählten Produkten Akzente zu setzen und aktuelle Trends aufzunehmen.

Modehölzer wie Zebrano oder Makassar – dessen Beliebtheit übrigens schon wieder im Abflauen begriffen ist – seien weniger dazu geeignet, einen ganzen Raum zu tapezieren. Wichtig sei die Farbwirkung als Ganzes, egal ob es sich um echtes Holz oder bloß um ein Imitat handelt. Oft käme übrigens beides zugleich in gleicher Optik zum Einsatz. Das Echtholz-Furnier bleibt dabei meistens den Mitgliedern der Führungsetage vorbehalten, denen so das Bewusstsein vermittelt wird, auf echtem Holz zu sitzen.

Im Back-Office gibt es dann oft die gleiche Produktlinie in gleicher Optik, allerdings in der Laminat-Ausführung. Alles machen zu können, was man will, sei nicht das Thema. Wesentlich sei vielmehr, zu wissen, was man erreichen will. Berührungsängste hat Stania sehr wohl: zum Beispiel mit Absurditäten wie Laminaten, die eine Holzoptik vortäuschen und dann zum Beispiel eine Birnenmaserung mit der Farbe einer Eiche kombinieren. Farben haben viel mit Kommunikation zu tun, sie transportieren Unternehmenskultur und deshalb, so Stania, »versuche ich, den ehrlichen Weg zu gehen«.

zuschnitt, Di., 2008.12.16



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23. November 2008Franziska Leeb
Spectrum

Gönnen wir uns was Neues!

Ökonomisch? Ökologisch? Oder doch was fürs Auge? Und am Ende alles viel zu teuer? Experten debattieren über Zustand und Perspektiven des Wohnbaus.

Ökonomisch? Ökologisch? Oder doch was fürs Auge? Und am Ende alles viel zu teuer? Experten debattieren über Zustand und Perspektiven des Wohnbaus.

28. September 2008Franziska Leeb
Spectrum

Kein Bankomat und sieben Ziegen

Es gibt sie, die Ausnahmen im Einerlei der globalisierten Geschäftsarchitektur. Zwei Beispiele: eines aus Wien und eines aus Innsbruck.

Es gibt sie, die Ausnahmen im Einerlei der globalisierten Geschäftsarchitektur. Zwei Beispiele: eines aus Wien und eines aus Innsbruck.

Eva Fuchs hatte Sehnsucht nach etwas Neuem. Vor 14 Jahren hat sie ihr Geschäft „eva fuchs – einkleidung“ in der Wiener Neubaugasse eröffnet. Eingerichtet haben es Eva Ceska und Fritz Priesner. Das Geschäft ist gut gepflegt und schaut aus wie neu. Nicht nur physisch gibt es keine Abnutzungserscheinungen, auch gegen das Unmodernwerden zeigte sich der Laden resistent. Dennoch, es musste etwas Neues her, nicht statt dem Alten, sondern zusätzlich.

Ceska und Fuchs – beide Wiener Tschechinnen – kennen sich von Kindheit an aus dem tschechischen Turnverein. Sie seien unterschiedliche Persönlichkeiten, aber mit großen Ähnlichkeiten tief im Innersten, erzählen sie unisono. Konflikte gibt es immer wieder. Aber nie, wenn es ums Bauen geht. Und daher war es keine Frage, dass Eva Fuchs sich auch für das neue Vorhaben an „Ceska Priesner Architektur“ wandte. „Ich kann mich verlassen auf die zwei“, weiß sie aus Erfahrung. Auf jeden Fall brauchte sie ein Lager, weil die bisher dafür genutzte Wohnung aufgelassen werden musste. Gefragt war daher eine Räumlichkeit, die anfänglich als Depot dienen und das Entwicklungspotenzial haben sollte, zu einem zweiten „richtigen“ Geschäft zu werden.

Ums Eck, in der Neustiftgasse, fand sich ein Gassenlokal. Der Zustand war nicht desaströs, aber ausgesprochen trist. Ceska und Priesner setzten ihre baulichen Interventionen mit Bedacht. Irgendwie wirkt das Lokal so, als sei es schon immer so gewesen. Nach außen hat sich wenig verändert. Das alte Holzportal wurde bloß einer kosmetischen Bearbeitung unterzogen. Im Inneren wurden die hohen, schmalen Räume neu zoniert. Rampe, Podest und Brüstung reichten aus, um drei Bereiche zu schaffen, die emotional und funktional unterschiedlich besetzt sind. Vorne wird die Ware präsentiert. Kleiderständer und Spiegel stammen vom Vater der Bauherrin, der Schneidermeister war. Eine lange Rampe leitet durch den Mauerdurchbruch auf ein Podest im hofseitigen Raum des Ladens. Die Fuchssche „Kommandozentrale“ liegt links davon, abgeschirmt von einer mit weißem Kunstleder bezogenen Brüstung. Im Podest wurde Präsentations- und Ablagefäche gewonnen. Obendrauf entstand eine bequeme Ecke mit Sitzgruppe. Zum Hof hin leistete man sich eine neue Glastür, und wenn nachts im Hof das Licht brennt, leuchtet es bis in die Auslagen.

Zur Zeit nennt Frau Fuchs das Geschäft „Edellager“, weil sie dort vergangene Kollektionen abverkauft. „einkleidungzwei“ wird sich noch verändern. Was aber bleiben soll, ist die Stille. Es gibt keinen Bankomaten und vor allem kein Radio. Der unprätentiösen Raumgestaltung von Ceska und Priesner kommt diese Konzentration auf das Wesentliche nur entgegen.

Etwas Neues wollte auch Bernd Mühlmann, Schneider in Außervillgraten, Osttirol. Als 28-Jähriger hat er vor fünf Jahren den Betrieb übernommen, den sein Vater ab den 1960er-Jahren aus einem Ein-Mann-Betrieb zu einem Unternehmen mit etwa 60 Angestellten aufgebaut hat, das als reiner Konfektionsbetrieb für andere Firmen schneiderte. Als diese aus Kostengründen reihenweise die Produktion ins Ausland verlegten, waren neue Standbeine gefragt. Bernd Mühlmann schuf seine eigene Kollektion, und um die unters Volk zu bringen, schien ihm ein Laden in der Innsbrucker Altstadt der geeignete Anfang. Als er ein Geschäftslokal in der Seilergasse als potenziellen Standort in Augenschein nahm, wusste er noch nicht, wer die Einrichtung planen würde. Es war purer Zufall, dass Architekt Rainer Köberl, der den jungen Modemacher von früheren Begegnungen kannte, just zu diesem Zeitpunkt des Weges kam.

„Bernd, was machst du da?“ – „Ich überlege, ob ich das Geschäft hier mieten soll.“ – „Hast schon einen Architekten?“ – „Noch nicht.“ – „Wenn du etwas Gescheites willst, musst du mich nehmen!“

Heute sagt Mühlmann, er hätte Rainer Köberl vielleicht ohnedies gefragt, weil dessen Architektur auch seinen Vorstellungen entspricht und ihm schon klar war, dass das Geschäft etwas Besonders werden sollte. Jedenfalls spazierte der Architekt im richtigen Moment über die Straße, und bald darauf haben sich die beiden viel und oft miteinander unterhalten, „weil er mich, glaube ich, besser kennenlernen wollte“, so Bernd Mühlmann.

„Flagship“ tauften die beiden das Projekt, weil es das erste Geschäft und Aushängeschild des Modemachers ist, der dort neben der eigenen Kollektion auch eigenwillige, weniger bekannte Marken verkauft. Köberl und seiner Mitarbeiterin Daniela Kröss dienten allerdings nicht die von den internationalen Architekturstars gestylten Flaggschiffe bekannter Designer als Vorbild, sondern ein Beduinen-Kleidermarkt in der Wüste, der mit primären baulichen Elementen wie schlichten Kleiderstangen das Auslangen findet.

Schwarz durfte das Geschäft nicht werden, stellte der Bauherrn dem Architekten, dessen ?uvre bereits eine schwarze Buchhandlung, einen schwarzen Supermarkt und ein schwarzes Restaurant aufweist, als einzige Bedingung.

Also wurde alles weiß lackiert: der alte Fliesenboden, die Stahlbetonrippendecke und die neue Stahlstruktur. Die Arbeitsflächen wurden mit hellem Kautschuk überzogen. Bloß eine Schublade ist aus Eiche und auch die Stange, mit der man die Kleider von der als Depot dienenden hochgelegenen Kleiderstange herunterholt. Die wichtigere Stange, auf der die Mode griffbereit zur Auswahl hängt, wurde mit Ziegenfell nobilitiert. Sechs kurzhaarige Ziegen aus dem Tiroler Oberland und – damit es nicht zu eintönig wird – eine langhaarige Ziege aus dem Unterland haben dafür herhalten müssen.

Platz für eine Nähmaschine, um Prototypen zu fertigen oder Änderungen gleich vor Ort durchzuführen, findet sich auf der stählernen Plattform, die dem Raum Dynamik verleiht und mit den Rundungen der Portalbögen in Dialog tritt. Ein Türflügel macht den Raum vor der Stiege zur platzsparenden Umkleidekabine.

Oft heißt es, ein Geschäft wirkt erst im eingeräumten Zustand gut. Bei „einkleidungzwei“ und „Mühlmann“ haben auch die leeren Geschäfte schon fertig ausgeschaut. „Das Geschäft muss wachsen können“, sagt Eva Fuchs und meint damit nicht die Maximierung von Verkaufsfläche und Umsatz. Und deshalb darf eine Architektur nicht von kurzlebigen Gütern diktiert werden. Bernd Mühlmann nennt es „nachhaltig“ und meint damit, dass eine Architektur die aktuelle Mode überdauern muss, sonst sei das Risiko, dass man ohnedies mit einem Geschäft eingeht, noch größer.

Die zwei kleinen Läden sind wohltuende Ausnahmen im Einerlei der globalisierten Ladenarchitektur der Geschäftsstraßen. Beide sind gebaute Porträts der Geschäftsleute, die jeweils jene Architekten und Architektinnen gewählt haben, denen sie zugetraut haben, Räume zu schaffen, die noch länger brauchbar sind, auch wenn in Tirol der Zufall ein nützlicher Wahlhelfer war.

Spectrum, So., 2008.09.28



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Modegeschäft Mühlmann

07. September 2008Franziska Leeb
Spectrum

Grüne Ruhe vor dem Tosen

Entweder Lärm & Leben oder Ruhe weitab vom Schuss? Nicht unbedingt. Ein Mietshaus in Wien-Favoriten versucht den Kompromiss. Eine Gratwanderung zwischen grün und günstig.

Entweder Lärm & Leben oder Ruhe weitab vom Schuss? Nicht unbedingt. Ein Mietshaus in Wien-Favoriten versucht den Kompromiss. Eine Gratwanderung zwischen grün und günstig.

Wohnen in der Stadt, mittendrin, wo das Leben pulsiert und die Wege zur Erledigung der alltäglichen Notwendigkeiten kurz sind, ist gleichbedeutend mit Leben in Lärm, schlechter Luft und ohne Natur.

Wohnen im Grünen gestaltet sich ruhiger und in besserer Luftqualität, verursacht aber durch die weiten Entfernungen zu den Arbeits- und Ausbildungsplätzen, den Einkaufsmöglichkeiten, medizinischen Einrichtungen und kulturellen Angeboten eben diese Umweltverschmutzungen, unter denen jene, die in der Stadt wohnen, zu leiden haben.

Lebenswerte Wohnungen für Normalverbraucher sind innerhalb der Kernstadt Mangelware. Wer auf städtisches Wohnen mit exzellenter Infrastruktur inklusive dichtem öffentlichem Verkehrsnetz Wert legt und zugleich private Freiflächen in Form von halbwegs brauchbaren Loggien, Terrassen oder gar Gärten als unverzichtbaren Bestandteil seiner Wohnung ansieht, muss tief in die Tasche greifen. Günstig und grün zugleich gibt es fast nur am Stadtrand. Umso bemerkenswerter und wertvoller ist daher jede Verdichtung innerhalb der Stadt, die zu erschwinglichen Mieten und moderaten Baukosten – besonders Letzteres ist ja aktuell ein heißes Thema unter Fachleuten – Wohnungen anbietet, die mit Ruhe, viel Licht und ein bisschen eigenem Grün das Leben im Wirbel der Stadt erträglich machen.

Die verkehrsumtoste Ecke Herndlstraße/Quellenstraße im zehnten Wiener Bezirk scheint für solche Sehnsüchte nicht gerade der ideale Standort zu sein. Der unlängst fertiggestellte kleine Mietwohnungsbau, den Architekt Ernst Linsberger hier im Auftrag der Wohnbauvereinigung für Privatangestellte errichtet hat, wartet dennoch mit Eigenschaften auf, die an so einem Ort nicht zu erwarten waren.

Am weißen Kubus fallen die im Schachbrettmuster angeordneten Loggien auf. Am Übergang zur Nachbarbebauung an der Herndlgasse sind sie – um der Wiener Bauordnung Rechnung zu tragen – in die Fassade eingeschnitten, ansonsten kragen sie aber als erkerartige plastische Körper aus der weißen Putzfläche aus, akzentuieren den Baukörper und verleihen ihm eine gewisse Präsenz im Stadtbild. Was für die Bewohner aber vermutlich wichtiger ist als das passable Äußere, ist der eigentliche Zweck dieser vor die Fassade gesetzten Körper aus Betonfertigteilen und Glas. Sie gewähren Aussicht, leiten viel Licht in die Tiefe der Grundrisse und schotten durch die doppelte Verglasungsschicht gegen den Straßenlärm ab. Es ist erstaunlich, wie ruhig die Wohnungen dadurch im Inneren sind und wie beim Blick aus den Wohnzimmern das Treiben an der Straße wie ein Stummfilm vorüberläuft.

Schiebefenster an der äußeren Hülle erlauben die vor allem in der heißen Jahreszeit unbedingt notwendige Lüftung der Pufferzone. Die „graue Filterschicht“, wie Linsberger sie nennt, kann aber noch mehr. In etwa der Hälfte der vorkragenden Loggien birgt sie integrierte Pflanztröge, deren Vegetationsfläche sich auf Fußbodenniveau befindet und so das Gefühl vermittelt, ebenerdig ins Grüne gehen zu können. Die an ein Entwässerungssystem angebundenen Erdkoffer sind jeweils 70 Zentimeter tief und erlauben damit auch durchaus ambitionierte Bepflanzungskonzepte. Von Seiten des Bauträgers wurde ein Teil der Tröge bereits bepflanzt, über den Rest wurde vorläufig der Plattenbelag der Loggien weitergezogen. Den Bewohnern steht es frei, den Streifen als grüne Lunge zu aktivieren oder sich für eine größere Loggienfläche zu entscheiden. Wie sich jetzt einige Wochen nach Besiedelung zeigt, eignen sich die Bewohner und Bewohnerinnen die Loggien ganz gut an. In einigen grünt es üppig. Manche ziehen Topfpflanzen der Begrünungdes vorhandenen Troges vor oder konnten sich noch nicht entschließen.

Drei Wohnungen mit durchschnittlich etwas über 90 Quadratmeter Grundfläche fanden pro Geschoß Platz. Jene an den Ecken haben den Bonus, über jeweils mindestens zwei Loggien zu verfügen. Eine davon ist immer weniger tief und fast zur Gänze vom Blumentrog in Beschlag genommen, der aber damit unmittelbarer als Teil der Wohnung wahrgenommen wird. Die andere ist dafür so geräumig, dass auch ein Tisch mit ein paar Stühlen Platz findet. Eine Loggia pro Wohnung ist dabei von zwei Zimmern aus zugänglich – ein einfacher Kniff, um auch in einer Nicht-Luxus-Wohnung ein wenig Großzügigkeit zu erzeugen. Alle anderen Wohnungen haben jeweils eine Loggia an der Straßenseite, zusätzlich auch Fenster zum ruhigen Hof und können gut quer durchlüftet werden.

Man spürt zwar an allen Ecken und Enden, dass gespart werden musste. Besondersedle Details sucht man vergeblich. Aber manspürt auch, dass es dem Architekten gelungen ist, die wichtigsten Elemente in die Realisierung zu retten und das vorhandene Budget dort einzusetzen, wo es für die Gesamtqualität der Wohnungen wirklich wichtig ist. Nichts wäre einfacher gewesen, als die Erdkoffer in den Erkern wegzulassen und einfach gewöhnliche Loggien auszuführen. Vermutlich hätte sich niemand beschwert, weil die kleinen grünen Lungen mangels Wissen um die Möglichkeit niemandem gefehlt hätten. Wahrscheinlich wäre immer noch ein ganz erträglicher Wohnbau übrig geblieben, für den sich auch so Mieter gefunden hätten. Besonders wäre er nicht mehr gewesen, und das Leben an der Kreuzung wäre auch weitaus weniger attraktiv gewesen. Da verzichtete Linsberger schon lieber auf den Bodenbelag im Stiegenhaus, wo die Betontreppen aus Kostengründen einfach einen roten Anstrich erhalten haben.

Es mag schon stimmen, dass manche Extravaganzen im Wohnbau kaum zu finanzieren sind. Deshalb aber gleich von vornherein jede Innovation im Keim zu ersticken und die Wirtschaftlichkeit als oberstes Gut zu propagieren geht an den Notwendigkeiten vorbei. Sicher sind Kisten mit Löchern, ohne Balkone, ohne Gemeinschaftsflächen, ohne Möglichkeit, sich gärtnerisch zu betätigen, billiger als ambitionierte Architekturen, mit all diesen das Wohnen attraktiver machenden Extras. Aber dann treibt es die Leute zwangsläufig aus der Stadt ins Grüne, entweder in eine Siedlung mit schlechter Infrastruktur am Stadtrand oder an die Holzhütte aus dem Baumarkt am niederösterreichischen Baggerteich. Dazu brauchen sie ein Auto, mit dem sie den Lärm und Dreck verursachen, unter dem sie in der Stadt so leiden. Hat irgendjemand schonnachgerechnet, was das an Kosten und Folgeschäden verursacht?

Spectrum, So., 2008.09.07



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WHA Quellenstraße

27. Juli 2008Franziska Leeb
Spectrum

Kein Topf, kein Nest, kein Kessel

Der diesjährige Plischke-Preis wurde verliehen. The winner is: das Fußballstadion Letzigrund in Zürich. Zu Recht. Wie sich eine Jury einer aktuellen Doktrin widersetzt.

Der diesjährige Plischke-Preis wurde verliehen. The winner is: das Fußballstadion Letzigrund in Zürich. Zu Recht. Wie sich eine Jury einer aktuellen Doktrin widersetzt.

Eine differenzierte Architektur des zweiten und dritten Blicks“ zu würdigen ist Absicht der Initiatoren des Ernst-A.-Plischke-Preises. Ausgelobt hat ihn die vor fünf Jahren zum 100. Geburtstag des Architekten und langjährigen Lehrers an der Akademie der bildenden Künste gegründete Ernst-A.-Plischke-Gesellschaft, die mit dem Preis das Erbe Plischkes vergegenwärtigen möchte. Verliehen wurde er im Anatomiesaal, im Souterrain der Akademie der Bildenden Künste, wo Plischke von 1963 bis 1973 jeden Dienstag seine Vorlesung hielt. Etwas improvisiert, ein wenig schrullig, aber dennoch trotz großer Hitze recht würdevoll und herzerwärmend sympathisch zelebriert, glich die Veranstaltung einem großen Familientreffen, zu dem Mitglieder, Freunde und Sympathisanten der Plischke-Gesellschaft auch von fern angereist waren.

Bewerben kann man sich für den Preis nicht, sondern man wird dafür von den Mitgliedern des Vereins nominiert. Das wirkt vorerst eigen und riecht ein wenig nach Freunderlwirtschaft. Wer wen nominiert hat, ist jedoch aus der anlässlich des Preises im Verlag Anton Pustet erschienenen Publikation ersichtlich. Sogar die Termine der Jurysitzungen und Besichtigungsfahrten (und wer daran teilgenommen hat) sind festgehalten. Man kann sich ein unterhaltsames kleines Spiel daraus machen, Beziehungen oder gar Naheverhältnisse zwischen Nominierenden und Nominierten aufzuspüren, und muss schlussendlich anerkennen, dass die Entscheidungen für die acht Anerkennungen und den mit 10.000 Euro (die übrigens von den Vereinsmitgliedern aufgebracht wurden) dotierten Plischke-Preis mit Sorgfalt getroffen wurden. Es sind nicht nur aktuellste Bauten, die vorgeschlagen wurden. Manche von ihnen gingen schon vor über zehn Jahren durch die Medien, wie „La Congiunta“, das Haus für die Skulpturen des Bildhauers Hans Josephsohn im Tessin von Peter Märkli, oder das Domizil für einen Pianisten in Tirol von Margarethe Heubacher-Sentobe. Diese Gebäude erhielten ebenso eine Anerkennung für hohe Qualität wie die bedächtig nach und nach aus traditionellen Materialien in den Hang der Kinderalm in St. Veit im Pongau gefügte Anlage des Frauenklosters „Maria im Paradies“ von Matthias Mulitzer, das Badehaus Schörfling am Attersee von Luger & Maul, die Generali Foundation von Jabornegg & Palffy, das Wohnhaus B-B im Burgenland von Artec, die Seebühne Lunz am See von Hans Kupelwieser und Werkraum Wien und die Grenzstation Tisis von den Aix Architects aus Feldkirch.

Der Hauptpreis ging an das Stadion Letzigrund in Zürich, geplant von Marie-Claude Bétrix & Eraldo Consolascio mit Frei & Ehrensperger Architekten. Es ist kein Topf, kein Nest, kein Kessel mit hermetisch nach außen abgeschlossener Hülle, die als Wahrzeichen und Werbeträger oder anderweitig kommerziell genutzt werden könnte. Die Zürcher widersetzten sich dieser aktuell gültigen internationalen Doktrin und setzten statt dessen eine zur Umgebung hin offene Struktur, die in erster Linie auf die Interessen der Bürger und Nutzer und weniger auf jene der internationalen Fußballverbände abgestimmt ist.

Das Stadion ersetzt den bereits 1925 eröffneten Vorgängerbau, eine im Lauf der Zeitmehrmals ausgebaute multifunktionale Anlage, die neben Fußballveranstaltungen das jährliche Leichtathletik-Meeting ebenso beherbergte wie Konzertveranstaltungen. Um als Austragungsort für Großveranstaltungen konkurrenzfähig zu bleiben, entschloss man sich im Hinblick auf die Fußballeuropameisterschaft für einen Neubau.

Eigentlich sollte der ja an Stelle des Hardturm-Stadions in Form eines Megaprojekts mit kommerzieller Mantelnutzung entstehen, wogegen sich die Bevölkerung jedoch erfolgreich wehrte. Bauherrin und Eigentümerin des Letzigrund ist die Stadt Zürich, die darauf bedacht war, das innerhalb eines Wohnquartiers gelegene Stadion trotz erhöhter Sicherheitsanforderungen weiterhin als Identitätsträger für die Bevölkerung zu positionieren. Man wünschte sich eine Anlage, die auch die Bedürfnisse der regionalen Bevölkerung einbezieht.

Bétrix und Consolascio konzipierten eine Sport- und Veranstaltungsarena, die an drei Seiten zum angrenzenden Quartier hin durchlässig ist. Indem sie die Spielfläche etwa acht Meter unter das bestehende Gelände absenkten, sodass die obersten Tribünenreihen sich etwa auf Straßenniveau befinden, konnten sie das überirdische Gebäudevolumen stark reduzieren. Erschlossen wird über eine umlaufende Rampe. Darüber liegt auf sich nach oben hin verjüngenden Stützenpaaren aus Cortenstahl das schlanke Band des leicht geknickten und geneigten Daches. Anstatt eines Topfes, der keinerlei Bezug zur Umgebung hat, setzte man auf eine Art Amphitheater mit leichtem Sonnensegel, das sich organisch in das Quartier einfügt und nicht nur Ein- und Ausblicke erlaubt, sondern tatsächlich auch als städtischer Freizeitraum außerhalb von Veranstaltungen für die Bevölkerung zugänglich ist. Natürlich gibt es aus Sicherheitsgründen eine robuste Einzäunung. Die ist aus vertikal angeordneten Corten-Flachstählen gebildet und visuell durchlässig. Acht Durchgänge gewähren Einlass und werden nur im Fall einer Großveranstaltung mit Drehkreuzen geschlossen.

Ein Stadion für die Bürger also, schließlich haben die es auch aus ihren Steuergeldern finanziert. Bétrix & Consolacio haben die städtischen Vorgaben virtuos in Architektur gegossen.

„Ein Stadion muss auch dann gut aussehen, wenn es nicht voll ist“, sagt Eraldo Consolascio. Das Rot der Sitze, das Rostbraun von Cortenstahl, die Dachuntersicht aus Robinienholz und die extensiv begrünte Dachfläche, in die auch noch Solarpaneele mit einer Gesamtfläche von 2500 Quadratmetern aufnimmt, sorgen für ein angenehmes, Harmonie ausstrahlendes Flair und machen die Anlage zu einem Ort, der auch dann Stimmung vermittelt, wenn er unbespielt ist.

Bauten, die nicht nur auf eine spektakuläre äußere Erscheinung setzen, sondern wo Konstruktion und Bauplastik im Einklang stehen und das Ganze eine Synthese von Gestalt und Zweck ergibt, wollten die Auslober des Plischke-Preises vor den Vorhang holen. Solche Bauten erschließen sich nicht gleich beim oberflächlichen Hinschauen, sondern bedürfen eines zweiten und dritten Blicks. Das Stadion Letzigrund erfüllt diese Kriterien gleichermaßen mit Hausverstand wie Grandezza.

Spectrum, So., 2008.07.27



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Stadion Letzigrund

16. Juni 2008Franziska Leeb
zuschnitt

Nachhaltig wohnen

Ein hoher ökologischer Anspruch und die Ausführung in Holzmischbauweise waren die Vorgaben beim Bauträgerwettbewerb für die Holzbaumodellsiedlung am Mühlweg, den der Wohnfonds Wien in Kooperation mit der Holzforschung Austria auslobte.

Ein hoher ökologischer Anspruch und die Ausführung in Holzmischbauweise waren die Vorgaben beim Bauträgerwettbewerb für die Holzbaumodellsiedlung am Mühlweg, den der Wohnfonds Wien in Kooperation mit der Holzforschung Austria auslobte.

Die Novelle der Wiener Bauordnung im Jahr 2001 hat auch in der Bundeshauptstadt die Realisierung großvolumiger Holzbauten erleichtert. Drei Hauptgeschosse und ein Dachgeschoss bzw. vier Hauptgeschosse, wobei das Erdgeschoss im Wesentlichen aus nicht brennbaren Materialien bestehen muss, dürfen seither in Holz ausgeführt werden. Drei verschiedene Architekturbüros – Hermann Kaufmann und Johannes Kaufmann, Hubert Rieß und Dietrich|Untertrifaller –, alle mit Know-how und Routine im Bauen mit Holz, realisierten auf den drei Grundstücken des Floridsdorfer Vorzeigeprojekts ihre jeweils unterschiedlichen Gebäudekonzepte (siehe auch Zuschnitt 20).

Ideale Umstände

Das in energetischer Hinsicht konsequenteste Konzept bewerkstelligten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller. Ihr in vier kompakte Häuser gegliederter Kopfbauteil wurde im Passivhausstandard ausgeführt – unter idealen Umständen, wie Much Untertrifaller betont. Das Grundstück ist eben, die städtebaulichen Vorgaben an der Stadtkante erlaubten es, Lage und Volumen der Baukörper zu optimieren und so die Verhältnisse von Gebäudeoberfläche zu Wohnnutzfläche sowie Erschließungsflächen zu Wohnnutzfläche bestmöglich zu gestalten. Und zudem war die Bereitschaft aller Beteiligten, Know-how, Engagement und auch Finanzmittel in das prestigereiche Musterprojekt zu investieren, dem Erfolg höchst förderlich. Spielraum für architektonische Extras sei dennoch wenig geblieben.

Holz verhüllt

Die vier im Karree angeordneten quaderförmigen Baukörper – drei gleich ausgerichtet, der vierte um 90 Grad gedreht, um den Freibereich mit Spielplatz stärker nach Süden zu öffnen – verfügen über vier Regelgeschosse und ein Attikageschoss mit umlaufender Dachterrasse.

Das Äußere präsentiert sich betont schlicht und auf den ersten Blick gar nicht holzlastig. Bloß die weit auskragenden angehängten Loggien und das oberste Geschoss zeigen Holz. Der Hauptkörper hingegen ist in blassem Erbsengrün verputzt und gibt das Darunter nicht preis. Es besteht aus einer Tragstruktur aus massiven Platten und Scheiben aus Brettsperrholz, die an den Stahlbetonkern des Treppenhauses gehängt ist. Innen sind Wände und Decken aus Gründen des Brandschutzes mit Gipskarton verkleidet. Sichtbar sind die Brettsperrholzelemente nur im Bereich der Loggien.

Konzept im Detail

Konstruktionstechnische Fehler und Ungenauigkeiten sind der Tod jedes Passivhauskonzepts, denn schließlich steht und fällt das ganze System mit dem Grad der Luftdichtigkeit der hoch wärmegedämmten Hülle. Alle Wandelemente wurden daher unter idealen Bedingungen im Werk vorgefertigt und bereits mit Fenstern, Dämmung (auf Holzfaserbasis) und Grundputz vor Ort versetzt.

Kurze Wege – sowohl für die Bewohner als auch für die Haustechnikleitungen – sind besonders im Passivhaus ein wichtiger Kostenfaktor. Es liegen alle Versorgungsschächte um den Betonkern, pro Haus gibt es eine Be- und Entlüftung. Die Luftführungen erfolgen wegsparend in den abgehängten Decken der Nebenräume. Komfort für die Nutzer bietet die Kombination aus stufenweiser Regelung in Normalbetriebslüftung und »Partystatus«, der Möglichkeit, in der Küche kurzfristig die Zu- und Abluftmenge zu steigern, und einer raumindividuellen Temperaturregelung mittels Kleinstradiatoren.

Vereinbar und konkurrenzfähig

Auch wenn die Architekten den mangelnden Spielraum für baukünstlerische Besonderheiten beklagen mögen, belegt die Anlage doch, dass die Themen Passivhaus und gestalterische Qualität vereinbar sind, wenn Planer am Werk sind, die beides verinnerlicht haben. Wie wohl kaum ein anderer Wiener Wohnbau der jüngeren Vergangenheit wurde die Wohnhausanlage am Mühlweg gründlich dokumentiert und evaluiert. Ein guter Ausgangspunkt, um daran weiterzuarbeiten, dass das nachhaltige Bauen mit Holz bald stärker systematisiert und somit besser konkurrenzfähig wird.

zuschnitt, Mo., 2008.06.16



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Wohnhausanlage am Mühlweg – Bauteil C



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zuschnitt 30 Holz bauen Energie sparen

15. Juni 2008Franziska Leeb
Spectrum

Leicht, sachlich, elegant

Ein neuer Stadtteil entsteht in der Wiener Krieau: „Viertel Zwei“, attraktiver öffentlicher Freiraum. Das erste Gebäude, ein Hotel von Zechner & Zechner, ist geglückt. Leider nicht sein Interieur.

Ein neuer Stadtteil entsteht in der Wiener Krieau: „Viertel Zwei“, attraktiver öffentlicher Freiraum. Das erste Gebäude, ein Hotel von Zechner & Zechner, ist geglückt. Leider nicht sein Interieur.

In der Krieau im Wiener Prater entsteht derzeit eines der in mehrfacher Hinsicht interessantesten Stadtverdichtungsprojekte. „Viertel Zwei“ wurde es benannt, schon allein das klingt angenehmer als die diversen Cities, Gates und Montes, die allesamt schon dem Namen nach mehr nach cleverem Marketing diverser Investoren klingen als nach Architektur und Städtebau von Qualität und Haltung.

Vermarktet wird das Viertel Zwei auch gut. Aber man scheint in diesem Fall auch der Architektur Wertschätzung entgegenzubringen. Das äußert sich schon darin, dass die beteiligten Architekten und Architektinnen – obwohl es sich nicht um internationale Superstars handelt – auf Plakaten, Informationstexten oder in einem Werbefilm genannt sind. Klar wird hier unter den gleichen Rahmenbedingungen wie anderswo entwickelt. Ein hoher Kostendruck und das Streben nach Rendite geben den beteiligten Planern zwar auch nicht unbegrenzte Freiheiten, aber man spürt, dass die Architektur nicht nur Masche ist, sondern ein ernsthaftes Anliegen.

Dass der Bauherr, die IC Projektentwicklung GmbH, mehr als nur flott vermarktbare Objekte im Sinn hat, sondern im größeren Kontext denkt, artikuliert sich weiters darin, dass man große Bemühungen in die Gestaltung des Freiraums zwischen den Gebäuden legt. Entgegen der ursprünglichen Vorgabe der Stadt, den Grünraum am Rand des Areals vorzusehen, erhielt er schließlich nach den Plänen der Hamburger Landschaftsarchitekten WES & Partner seinen Schwerpunkt in der Mittelachse des Areals. „Das Interesse an der Gestaltung des Außenraumes geht über das hierzulande übliche Ausmaß weit hinaus“, so Dieter Henke von Henke/Schreieck Architekten. Noch herrscht dort, wo sich künftig ein 5000 Quadratmeter großer See samt Uferpromenade und Steg erstrecken wird, reger Baustellenbetrieb. Man darf sich aber schon darauf freuen, dass hier ab kommendem Jahr ein attraktiver öffentlicher Freiraum mit großer Aufenthaltsqualität zur Verfügung stehen könnte.

Es ist im Wesentlichen eine neue Bürostadt, die hier auf einer Fläche von vier Hektar, dank der Verlängerung der
U-Bahn-Linie 2 bestens an das öffentliche Verkehrsnetz angeschlossen, heranwächst. Der Projektentwickler hat dafür in enger Kooperation mit der Stadt Wien im Jahr 2004 neun Architekturbüros zum Wettbewerb für ein Bürohochhaus an der Ecke Vorgartenstraße/Trabrennstraße geladen, der von Henke/Schreieck gewonnen
wurde. Im Jahr darauf folgten Wettbewerbe für ein weiteres Bürohaus südöstlich des Turms (Gewinner: Martin Kohlbauer) und ein Hotel an der Trabrennstraße, den Zechner & Zechner für sich entscheiden konnten. Zur Teilnahme geladen waren jeweils vier Büros aus dem Kreis der Teilnehmer am ersten Verfahren. In Bau sind weitere vier im Grundriss kipferlförmige Bürohäuser von Henke Schreieck, ein weiteres Bürogebäude von Kohlbauer und ein kleineres Wohngebäude von Zechner&Zechner am Abschluss des Areals an der Vorgartenstraße.

Rechtzeitig vor der Fußball-Europameisterschaft wurde das rund 250 Zimmer umfassende Hotel eröffnet, das von Zechner & Zechner geplant werden musste, ohne den zukünftigen Betreiber zu kennen. Der Hotelbau antwortet mit einem bumerangförmig geschwungenen, achtgeschoßigen Zimmertrakt, der über einem eingeschoßigen Sockelbau auskragt, auf die konkav-konvexe Figur des benachbarten Hochhauses. Eingangshalle, Restaurant, Konferenzräume und die Büros der Hotelverwaltung liegen in der rundum geschoßhoch verglasten Sockelzone.

Die gerundet um die Ecken gezogene Glasfassade sorgt dafür, dass ein Teil des Hotelbetriebs vom öffentlichen Raum aus wahrgenommen werden kann, und erweitert umgekehrt den Innenraum nach außen, sodass selbst dann, wenn witterungsbedingt die zur künftigen Seepromenade orientierte Restaurantterrasse nicht genutzt werden kann, eine lichte und luftige Atmosphäre herrscht.

Auch wenn Gebäudefigur und städtebauliche Situierung den Hauptzugang in der nördlichen Gebäudeecke am Eingang zum begrünten Zentrum des Viertels nahegelegt hätten – und ursprünglich war er auch dort vorgesehen –, liegt er jetzt zentral an der Westfassade, um die Zufahrt mit Bussen und Taxis über zwei parallel zur Trabrennstraße liegende Fahrspuren einfacher zu bewerkstelligen.

Für die Fassadengestaltung stand das Prinzip der Barcodes mit abwechselnd hellen und dunklen schmalen Streifen
Pate. Helle Aluminiumblechpaneele und dunkle Fensterfelder wechseln einander ab. Geschoßweise horizontal verschoben, ergibt sich aus diesem Wechselspiel ein nüchtern schlichtes, aber keineswegs langweiliges Fassadenbild, das vor allem in der Fernwirkung sehr apart zum Tragen kommt. Sowohl zu der vom gegenüberliegenden Messegelände und den neuen Bürobauten geschaffenen Stimmung einer Businessstadt als auch zum Freizeitcharakter, den die Umgebung durch die benachbarte Trabrennbahn, das Stadion und den Prater im Allgemeinen hat, passt das von Leichtigkeit und sachlicher Eleganz geprägte Hotel sehr gut. Kein aufdringlicher Schnickschnack, sondern in guter Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Ästhetik ausformulierte Architektur, die dem Zweck und dem Ort in angenehmer Weise entspricht.

Wie bereits angedeutet, hat sich der Hotelbetreiber erst in der späten Bauphase gefunden, der seine eigenen Vorstellungen von der Innenraumgestaltung hatte. Weltweit gibt es 750 Courtyard Hotels der Marriott-Gruppe. Klar, dass die Kette entsprechende Richtlinien für die Raumgestaltung vorgibt, um einen gewissen Standard sicherzustellen. Schade aber, dass die Architekten, die das Gebäude konzipierten, innen so gut wie nichts mehr mitzureden hatten. Während Zechner & Zechner Klarheit und Eleganz ohne Protz umgesetzt haben, bietet sich nun im Inneren ein Sammelsurium an gestalterischen Einfällen, die stellenweise an den Schauraum eines zeitgeistigen Möbelhauses erinnern.

Die meisten Hotelgäste wird das nicht stören, man kennt das schließlich aus unzähligen anderen Hotels dieser Kategorie. Vermutlich würde es aber umgekehrt ebenso niemanden verärgern, wäre man beim Interieur einen Weg gegangen, der spezifischer auf den Charakter des Gebäudes eingeht. Man kann aber nicht einmal ernsthaft von einer vertanen Chance reden, weil sich diese Chance, realistisch betrachtet, unter den gegebenen Umständen nie aufgetan hat.

Das benachbarte Hochhaus von Henke/Schreieck und den Bürokomplex von Martin Kohlbauer wird im kommenden Jahr zur Gänze die OMV besiedeln. Hier erfolgt die Einrichtungsplanung unter Einbindung und Rücksprache mit den Architekten. Es lebt also die Hoffnung, dass hier Innen und Außen besser in Einklang stehen werden, als es beim Hotel möglich war. In etwas mehr als einem halben Jahr werden wir es genauer wissen.

Spectrum, So., 2008.06.15

11. Mai 2008Franziska Leeb
Spectrum

Wurzeln statt Wellness

Wo sich ein alter Park und ein neuer Kurbetrieb umarmen: das neue Kurhaus in Bad Gleichenberg. Geplant von den norwegischen Architekten Jensen & Skodvin.

Wo sich ein alter Park und ein neuer Kurbetrieb umarmen: das neue Kurhaus in Bad Gleichenberg. Geplant von den norwegischen Architekten Jensen & Skodvin.

Für Jan Olav Jensen und Børre Skodvin ist Architektur keine Frage des Stils, „denn ein bestimmter Stil wird irgendwann wieder unmodern“. Ihr Ziel ist es, „kulturelle Statements“ zu bauen und Konventionen zu hinterfragen. „Wenn du einen Roman schreiben willst, kopierst du dafür auch keinen anderen. Architektur bedeutet, für jede neue Bauaufgabe eine neue Geschichte zu finden“, umreißen sie ihr Bemühen, nicht von vornherein das bereits Erprobte auch andernorts automatisch als richtigen Ansatz anzusehen.

Im steirischen Bad Gleichenberg ließen sie sich auf das Abenteuer ein, ein ambitioniertes Gesundheits- und Hotelprojekt in Architektur zu gießen. Geholt hat die Skandinavier Christian Köck, Vorstand der Health Care Company, die auch Bauherrin der Anlage ist, nachdem ein Architektenwettbewerb kein Ergebnis brachte, mit dem man sich zur Gänze identifizieren konnte. Mit dem modischen Begriff „Wellness“ will der bekannte Gesundheitsökonom nichts zu tun haben – und mit den geisterbahnhaften Bade- und Erholungswelten, die auf diesem Sektor wie die Schwammerl aus den mit Thermalwasser getränkten Böden schießen, auch nicht. „Heilen bedeutet ganz machen“, und deshalb war es wichtig, dass bei diesem Projekt medizinische Qualität, ortsgerechte hochwertige Architektur und ein gesundheitsförderndes Ambiente eine Synthese eingehen, kurzum ein „Kulturprojekt bilden – und kein Spaßbad“.

Um die heilende Wirkung des Gleichenberger Wassers sollen bereits die Römer gewusst haben. Den heutigen Kurort begründete 1934 Mathias Constantin Capello Graf von Wickenburg. Prachtvolle Villen und der Kurpark zeugen noch heute von den goldenen Zeiten, als sich der Hochadel zur Erholung nach Gleichenberg zurückzog. Die edlen Überbleibsel der Pionierzeit werden bedrängt von einer Fülle an Bauten, bei denen die Errichter oft weidlich wenig Gespür für den Genius Loci an den Tag legten.

Seit zwölf Jahren betreiben Jensen & Skodvin ihr Büro in Oslo. Mittlerweile zählen sie zu den profiliertesten Architekten Norwegens. Ihre Bauten sind uneitel und wurzeln tief im Kontext ihrer unmittelbaren Umgebung. Ob bei den touristischen Infrastrukturen entlang der malerischen Sognefellstraße, der Mortensrud-Kirche in Oslo oder einem Zisterzienserinnenkloster auf der Insel Tautra – das gedeihliche Miteinander von Architektur und Natur zieht sich als roter Faden durch ihr bisheriges Oeuvre.

„Ganz am Anfang haben wir uns gefragt, wie eine so großvolumige Architektur diplomatisch sein und zugleich soziale Intelligenz aufweisen kann“, erinnern sich Jensen & Skodvin an ihre erste Annäherung an das Projekt in Bad Gleichenberg. Sie entwickelten ein geometrisches System, das Raum für die geforderten Inhalte bot und so robust war, dass es ohne Einbußen inhaltliche Änderungen im Laufe der Planungsphase mitmachen konnte.

Die am denkmalgeschützten Kurpark gelegene Anlage umfasst neben einem Thermalbad, das auch für Tagesgäste zugänglich ist, ein Vier-Sterne-Hotel, Therapiebereiche für Hotelgäste und Externe, entsprechende Gastronomieeinrichtungen und darüber hinaus das zur Versorgung all dessen notwendige Hinterland.

Zu Straße hin als monumentaler langer Riegel ausgebildet, entwickelt sich der Komplex zum Park hin in Form mäandernder, auf Stützen stehender Gebäudeschleifen und geräumiger Terrassenlandschaften, die den wertvollen Baumbestand umschiffen und neue innere Gärten und Höfe bilden. Drei Materialien bilden die äußere Hülle: schuppenförmig angeordnete Basaltplatten als Referenz zu der Vulkanregion, eine feingliedrige vertikale Lärchenholzschalung, die sich gut in die Parklandschaft einfügt und viel Glas, das dem Dialog zwischen Landschaft und Architektur dienlich ist.

Während die 110 Hotelzimmer, die gas- tronomischen Einrichtungen und das Bad jeweils starken Bezug zum Außenraum haben, sind die therapeutischen Bereiche nach innen orientiert. Der Gast steht im Zentrum und soll sich auf sich und die Gesundheit seines Körpers konzentrieren können. Naturbezug gibt es dennoch auch dort in Hülle und Fülle. Die Wartebereiche liegen entlang großer, raumhoher Glasfronten mit Ausblick zu den internen Gärten und vermitteln das Gefühl, sich mitten im Park auf die Behandlungen einzustimmen.

Alle Einrichtungen sind im Rundgang zu erreichen. Sackgassen gibt es nicht.

Großzügig und ebenfalls in engem Bezug zur Parklandschaft sind sowohl die Restaurantbereiche als auch der Hoteltrakt angelegt. Geräumige überdeckte und offene Terrassenflächen gewähren ein reichhaltiges Angebot, sich der Stimmung und Witterung entsprechend viel außerhalb der geschlossenen Räume aufzuhalten, ohne das Haus verlassen zu müssen. Unter den aufgeständerten Gebäudeschleifen entstanden schattige Gärten und Wandelpfade. Die historische Anlage des Kurparks, von der etwa zwei Drittel der Fläche direkt zum Kurhaus gehören, integriert sich in die Architektur und wird darunter und dazwischen fortgeführt.

Nur schade, dass Jensen & Skodvin sich bei der Innenraumgestaltung kaum einbringen konnten. Diese wurde unter der Ägide der auf Corporate Design spezialisierten Agentur Satek durchaus gefällig umgesetzt. Man spürt das Bemühen, ein angenehmes Ambiente in dezenten Farben zu schaffen, und dass die Gäste je nach Vorliebe unter Hotelzimmern mit Holzboden oder Teppichbelag wählen können, ist eine lobenswerte Idee. Die norwegischen Architekten hätten sich vielleicht weniger geschmeidig dem Geschmack einer genussorientierten Gesellschaft angepasst. Betrachtet man ihre anderen Bauten, kann man davon ausgehen, dass manches wohl spartanischer ausgefallen wäre. Die Stimmung wäre vermutlich kontemplativer und der Einklang mit der Architektur naturgemäß ein anderer.

Architektur und Ambiente sind werthaltig und erweisen der Tradition des Ortes ihre Reverenz. Und auch wenn das neue Kurhaus, was Flair und Qualität angeht, mindestens auf gleicher Augenhöhe mit der reizvollen Sommerfrische-Architektur des 19. Jahrhunderts agiert, biedert es sich ihr in keiner Weise an. Jensen & Skodvin liefern eine zeitgemäße Interpretation eines Kurhauses, das anspruchsvollen Gästen einen kultivierten Ort der Rekreation anbietet.

Spectrum, So., 2008.05.11



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Therme Bad Gleichenberg

23. März 2008Franziska Leeb
Spectrum

Schaurig schön im Kühlhaus

Wie verwandelt man einen alten Schlachthof in ein Laboratorium für Gegenwartskunst? – „Matadero“, ein Lehrbeispiel aus Madrid.

Wie verwandelt man einen alten Schlachthof in ein Laboratorium für Gegenwartskunst? – „Matadero“, ein Lehrbeispiel aus Madrid.

Der städtische Schlachthof (Matadero) von Madrid entstand ab 1910 im südlichen Stadtbezirk Arganzuela zwischen der Plaza Legazpi, dem Paseo de Chopera und dem Manzanares-Fluss. Das Ensemble der 20 pavillonartigen Gebäude der Schlacht-, Kühl- und Lagerhäuser und der angeschlossenen Verwaltungsgebäude sind ein wichtiges Beispiel für die Industriearchitektur des frühen 20. Jahrhunderts in der spanischen Hauptstadt. Von Anfang an war der Komplex darauf ausgelegt, zu wachsen und funktionell anpassungsfähig zu sein. Ab den 1970er-Jahren wurden einzelne Trakte nach und nach für diverse andere Funktionen adaptiert.

Als der Schlachthof 1996 endgültig stillgelegt wurde, bildeten sich Bürgerinitiativen, die sich für die Erhaltung des Matadero einsetzten. Universität, Kino- und Restaurantkomplex, Oldtimermuseum und diverse Kultureinrichtungen waren mögliche Nutzungsszenarien. Im Jahr 2003 entschloss sich die Stadt dazu, das gesamte Ensemble instand zu setzen. Und dies nicht, um es profitträchtig an private Investoren zu verscherbeln, sondern um ein riesiges Laboratorium für Gegenwartskunst zu etablieren, das zugleich der Bevölkerung des Bezirks zugute kommt.

Arganzuela ist ein Arbeiterbezirk mit hohem Anteil an Migrantinnen und Migranten. Lokales Kulturzentrum gab es bislang keines. Unter den vielen Dächern des Matadero, so der Ehrgeiz der städtischen Kulturpolitik, sollen Kulturinstitutionen angesiedelt werden, die hier im interdisziplinären, interkulturellen Austausch forschen und experimentieren und zugleich die Bewohner der angrenzenden Barrios zum Kommen und Mittun animieren.

Im Sommer vergangenen Jahres nahmen die ersten Institutionen ihren Betrieb auf. Bis 2011 soll das Projekt vollendet sein und auf rund 15 Hektar Gesamtfläche neben Produktions- und Ausstellungszentren für bildende Kunst, einem Theater, und einem Designzentrum auch ein Literaturhaus, das erste Architekturzentrum Madrids und weitere kulturelle Einrichtungen beherbergen. Die Revitalisierung des Matadero verlängert die „kulturelle Stadtachse“ Paseo del Prado – Paseo de Recoletos nach Süden und ist eingebunden in das große Stadtprojekt „Madrid Río“, wo nach einem Masterplan des niederländischen Landschaftsarchitektur-Studios „West 8“ entlang der Ufer des Manzanares der 14 Kilometer lange „Parque Lineal de Manzanares“ im Entstehen ist.

Die Ziegelarchitektur des Schlachthofes wurde von mehreren Architekten über die Jahre adaptiert. Keine große architektonische Geste drängt sich in den Vordergrund. Hauptakteur ist die historische Ziegelarchitektur. Das Neue ergänzt sie auf unterschiedliche, aber stets angemessene Weise. Wandelbarkeit, effiziente Nutzung von Ressourcen, der Verzicht auf jegliche Exaltiertheit und die Zentralisierung zahlreicher Einrichtungen an einem Ort sollen der Nachhaltigkeit des Projekts zuträglich sein.

Die Architekten Arturo Franco und Fabrice van Teslaar zeichnen gemeinsam mit dem Innenarchitekten Diego Castellanos für die Gestaltung des Foyers und der Räume von Intermediæ, einer Institution zur Förderung zeitgenössischer künstlerischer Produktion im Austausch mit der Öffentlichkeit, verantwortlich. Sie setzten Alt und Neu in einen Dialog, der den Besuchern die verschiedenen Baugeschichten des Ortes gleichberechtigt erzählt. Die ursprüngliche Substanz mit den Gebrauchsspuren an den Oberflächen ist ebenso geblieben wie Wunden, die Baggerschaufeln beim Umbau geschlagen haben. Dazu kommen schließlich die klar ablesbaren aktuellen Zutaten, die das Alte nur sanft berühren. Im Wesentlichen kamen industrielle Materialien in Standardmaßen zum Einsatz. Unbehandelte Stahlprofile unterschiedlicher Dimension wurden zu Bänken, Tresen oder Fensterrahmen. Die Raumtrennungen und Türen sind aus klarem Glas, wodurch das Volumen der historischen Räume wahrnehmbar bleibt. Die Eingriffe entsprechen in ihrer schnörkellosen Klarheit dem rauen Charme des Bestandes ebenso, wie sie seinen poetischen Gehalt unterstützen. Bei aller scheinbaren Lässigkeit sind die Details sorgfältig geplant und ausgeführt.

Ein ehemaliges Kühlhaus blieb völlig im Urzustand erhalten. Seine Wände, Stützen und Gewölbedecken sind noch schwarz vom Ruß der offenen Feuer, an denen sich Hausbesetzer in den unwirtlich kalten Hallen wärmten. Hier gibt es kein Beleuchtungssystem, keine Stellwände, keinen neuen Bodenbelag. Der Raum bietet Gelegenheit, das Potenzial der einzigartigen Architektur künstlerisch auszuloten. Noch bis 6.April bespielt den Raum die brasilianische Künstlerin Fernanda Gomes mit subtilen, präzise gesetzten, aber wie beiläufig wirkenden Interventionen aus wenig Licht und belanglosen Materialien. Sie führt den Betrachter durch den Raum und evoziert Unsicherheit ebenso wie schaurig-schöne Erlebnisreisen durch die dunkle Welt des Kühlhauses.

Ebenso bereits in Betrieb sind die „Naves des Español“, drei zu einem multifunktionalen Theater (Architekt: Emilio Esteras) zusammengefasste Lagerhäuser. Bühne und Tribünen des großen Theatersaals können beliebig arrangiert werden, das Foyer kann auch zum Aufführungsort für kleinere Produktionen mutieren. Auch das Centro de Diseño, das José Antonio García Roldàn – zu einem großen Teil unter Verwendung diverser Recyclingmaterialien – adaptiert hat, ist dank drehbarer Wände zwischen den bestehenden Stützen vielseitig bespielbar.

Allen neuen architektonischen Eingriffen ist gemeinsam, dass sie frei von marktschreierischer Attitüde sind. Dazu passt es wunderbar, dass der Zutritt zum Matadero kostenlos und das gesamte Areal ein für alle zugänglicher öffentlicher Raum ohne Konsumzwang ist. Und die Nachbarn aus der Gegend sind auch da: Sie flanieren durch die Höfe, besuchen die Ausstellungen, tratschen mit den jungen Künstlern in den Ateliers des Intermediæ und nutzen Internet und Bibliothek. Dieser Tage gibt es für sie noch mehr zu tun, wenn die Landschaftsarchitekten des französisch-deutschen Ateliers Le Balto zur Mitarbeit im „Avant-Garden“ rufen. Im der langen schmalen Schlucht zwischen der straßenseitigen Umfassungsmauer und den Schlachthofgebäuden entwickelten sie einen zeitgenössischen Rosengarten, der nun unter Mitwirkung der Bevölkerung des Bezirks bepflanzt und später auch gepflegt werden wird.

Spectrum, So., 2008.03.23

17. Februar 2008Franziska Leeb
Spectrum

Coole Hunde – arme Schlucker

Die Lage der Architekten: prekär. Die der Architektinnen: ein erschütterndes Sittenbild. Eine Studie hat das Berufsfeld Architektur unter die Lupe genommen.

Die Lage der Architekten: prekär. Die der Architektinnen: ein erschütterndes Sittenbild. Eine Studie hat das Berufsfeld Architektur unter die Lupe genommen.

Die Architekten und Architektinnen sind ein bisschen unzufrieden. Wenn man aber schaut, unter welchen Bedingungen gearbeitet wird, hätten sie Grund, sehr unzufrieden zu sein“, fasst Oliver Schürer eine Studie zu den Arbeitsbedingungen im Architekturberuf einprägsam zusammen. Der Assistent an der Technischen Universität Wien initiierte gemeinsam mit Kollegin Katharina Tielsch eine Bestandsaufnahme, die Karrieremöglichkeiten, Arbeitsbedingungen und Arbeitsbereiche von Architekturschaffenden in Österreich unter die Lupe nahm. Demnach ist die Situation offensichtlich weniger rosig, als es das in den Massenmedien gezeichnete Architektenbild der Öffentlichkeit suggeriert. Denn während die Stars der Branche von den mächtigen Entscheidungsträgern der Konzerne, Investoren, Staaten und Städten hofiert werden und gemeinsam mit ihren Auftraggebern mittels schicker Monumente um Aufmerksamkeit buhlen, herrscht außerhalb des Architektur-Jetsets eine Arbeitssituation, die, nüchtern betrachtet, die Alarmglocken schrillen lassen sollte.

Im Grunde bestätigt die Studie nur, was in der Branche ohnedies allen bekannt und vertraut ist. Schon 2006 wurden im österreichischen Baukulturreport die harten Produktionsbedingungen dargestellt, und von einer Studie zur Situation der Wiener Kreativwirtschaft wurde belegt, dass Architektinnen und Architekten im Vergleich mit anderen Berufsgruppen der sogenannten „Creative Industries“ schlechter abschneiden. Mit durchschnittlich 48 Stunden arbeiten sie am längsten, und das für ein unterdurchschnittliches mittleres Jahreseinkommen von 18.000bis 24.000 Euro. Zusätzliche „artfremde“ Tätigkeiten oder Nebenjobs sind oft unabdingbar, um das Einkommen aufzubessern. Atypische Beschäftigungsverhältnisse und damit fehlende soziale Absicherungen sind im Arbeitsgebiet Architektur typisch. Viele Büros können es sich schlichtweg nicht leisten, Mitarbeiter fix anzustellen, wenn sie wettbewerbsfähig arbeiten wollen. Dementsprechend schlecht sind für Berufseinsteiger die Aussichten, in einem Angestelltenverhältnis die Karriereleiter hochzuklettern. Scheinselbstständigkeit ist eher die Regel als die Ausnahme.

Eine zusätzliche Grauzone entsteht dadurch, dass österreichische Absolventen vonArchitekturhochschulen als Einzige in der Europäischen Union nicht die Berufsbezeichnung Architekt oder Architektin führen dürfen. Nachgewiesene drei Jahren Praxis in einem (schwer zu bekommenden) Dienstverhältnis, die sogenannte Ziviltechnikerprüfung und die (für viele zu teure) Mitgliedschaftin der Architektenkammer samt eigenem Pensionssystem braucht es, um offiziell das sein zu dürfen, was man eigentlich schon ist.

An die Öffentlichkeit oder ernsthaft in das Bewusstsein politisch Verantwortlicher ist dieMisere der womöglich nur scheinbar boomenden Branche noch nicht gedrungen. Auch weil viele Architekten und Architektinnen die Zustände weniger drastisch wahrnehmen, als sie es, objektiv betrachtet, sind. Viele Studierende würden im Vorfeld viel zu wenig über die Perspektiven des Berufes informiert, bedauert Oliver Schürer, wobei aber eine hohe Selbstmotivation dabei helfe, den Leidensdruck zu ertragen. „Intrinsische Motivation“ nennen es die Soziologen, wenn Arbeit aus innerem Antrieb erbracht wird und der externe Anreiz, also die Bezahlung, nicht ausschlaggebend für den persönlichen Einsatz ist. Im „Berufsfeld Architektur“ ist davon enorm viel vorhanden.

„Lieber stehe ich in der Öffentlichkeit als ein cooler, reicher Hund da als wie ein armer Schlucker“, so ein Architekt über das schwierige Berufsbild. Der Tiroler Architekt Wolfgang Pöschl stellt die hohe Lebensqualität, die der Beruf mit sich bringen kann, in den Vordergrund und sieht aus seiner Warte wenig Grund zur Klage. Seit seinem 16. Lebensjahr habe er immer genug Einkommen gehabt, um ohne Einschränkungen zu leben. „Prekär ist die Lage jener, die für 1200 Euro im Monat den ganzen Tag im Dreck arbeiten müssen.“ Es sei ein Privileg, nicht zwischen Arbeitszeit und Freizeit unterscheiden zu müssen, „sondern das tun zu dürfen, was man tun muss“.

Selbstverständlich habe er früher nebenbei gejobbt, um sich seinen Beruf als Architekt leisten zu können, und es sei wichtig, die Anfangszeit zu nutzen, um bewusst die Weichen dafür zu stellen, für wen man später arbeitet. Zu viele Kollegen würden Großaufträgen nachlaufen, für die sie nicht die Substanz haben, worunter natürlich nicht nur die Qualität der Arbeiten, sondern auch die Arbeitsqualität leidet.

Die Texte der Studie sind korrekt geschlechtergerecht abgefasst, dank Binnen-I werden Männer und Frauen gleichberechtigtbehandelt. Die Architekturwirklichkeit hingegen dominieren Männer und eine männliche geprägte Arbeitskultur. Halten sich auf den Universitäten die Geschlechter zahlenmäßig noch die Waage, sind unter den Mitgliedern der Architektenkammer die Frauen eine Minderheit. Dass Architektinnen eine geringere fachliche Qualifikation zugesprochen wird, ist kein Phänomen aus der Zeit unserer Großmütter, sondern laut vorliegender Studie nach wie vor eine Tatsache. Frauen sind deutlich häufiger in Bereichen wie Ausstellungsorganisation oder Lehre etabliert als im Architekturkerngeschäft. Während das Berufsbild im Allgemeinen ins Wanken geraten ist, dürfen sich die Frauen in der Architektur noch immer mit tradierten Rollenzuweisungen herumschlagen.

Andere sind ärmer, deshalb möchte auch die Architektin Gabu Heindl nicht in die berufsspezifische Jammerei einstimmen. Ihre Berichte aus dem Architektinnenalltag decken sich aber mit jenen vieler anderer Kolleginnen und zeichnen ein erschütterndes Sittenbild, was den Umgang öffentlicher Institutionen mit weiblichen Architekten betrifft: Die Frage „Innenarchitektin oder wirklich Architektin?“ zählt da noch zu den harmloseren Untergriffen. Richtig schlimm, aber durchaus üblich ist es, beim Amt als „Fräulein“ und auf der Baustelle als „Gnädige Frau“ tituliert zu werden. An diesen Formalitäten manifestiert sich ein bedenklich konservatives Frauenbild innerhalb der sich mittlerweile nach außen hin gern progressiv gebenden Auftraggeberseite.

Es ist ein Skandal, dass in etlichen Bundesländern die gemeinnützigen Genossenschaften den mit öffentlichen Geldern geförderten Wohnbau quasi unter Ausschluss der Frauen betreiben und von zehn aktuell von öffentlichen Auftraggebern ausgelobten Wettbewerben nur drei Fachjurien keine reinen Herrenrunden sind. Den Architekten geht es schlechter, als sie glauben, und die Architektinnen sind noch übler dran, könnte also auch das Resümee dieser empirischen Erhebung unter 220 Architekturschaffenden lauten.

Spectrum, So., 2008.02.17

12. Januar 2008Franziska Leeb
Spectrum

Wie hoch muss ein Minarett sein?

Warum die moderne Architek- tur einen Bogen um den Moscheenbau macht. Warum eine Moschee weder Kuppel noch Minarette braucht. Und warum Friedrich Kurrent gern eine Moschee in Wien bauen würde. Ein Gespräch.

Warum die moderne Architek- tur einen Bogen um den Moscheenbau macht. Warum eine Moschee weder Kuppel noch Minarette braucht. Und warum Friedrich Kurrent gern eine Moschee in Wien bauen würde. Ein Gespräch.

Für die einen ist es eine Provokation, für die anderen das legitime Bedürfnis einer wachsenden Minderheit nach repräsentativen Sakralräumen. Seit 1874 ist der Islam in Österreich als Religion anerkannt. Aber selbst vagePläne zu Errichtung Islamischer Zentren stoßen sofort auf Widerstände. Handelt es sich tatsächlich um eine städtebauliche Diskussion, wenn Ortsbildgutachten über die Höhevon Minaretten bestimmen sollen? In Telfs wurde das jüngste der drei österreichischen Minarette von 20 auf 15 Meter gestutzt, um Kritiker zu beruhigen. In Deutschland sind repräsentative Moscheeneubauten häufiger. Manchmal gehen sie sogar aus Architektenwettbewerben hervor, wie der von osmanischen Kuppelbauten inspirierte Entwurf für eine große Moschee in Köln des aus der prominenten Kirchenbauerdynastie stammenden Paul Böhm. Ein anderes der raren Beispiele für zeitgemäßen Moscheenbau findet sich in Bayern, das Islamische Forum Penzberg des jungen Architekten Alen Jasarevic.

Friedrich Kurrent, der sich als Architekt und Lehrer intensiv dem Bau von Sakralräumen widmete, bedauert das weitgehende Fehlen zeitgemäßer Moscheenarchitektur.

Friedrich Kurrent, warum findet die heftige Moscheendiskussion der jüngsten Vergangenheit so wenig Widerhall im Fachdiskurs?
Das ist ein kulturelles Defizit. Es geht bloß um das Dagegenhalten, und es herrscht zu wenig Kenntnis darüber, was eine Moschee ist, wie sie sich entwickelt hat und was sie heute sein kann. Eine Erklärung für die schwache Präsenz aktueller Architektur im Moscheenbau kann auch darin liegen, dass das Gebäude beziehungsweise seine Form zur Ausübung der Religion nicht zwingend ist. Wesentlich ist die Gebetsrichtung (arabisch qibla) nach Mekka. Eine ideale Moschee würde aus einer sehr langen Qiblawand bestehen, damit möglichst viele Gläubige in der ersten Reihe stehen und so Mekka am sein könnten. Bei den christlichen Kirchen ist der Opfergedanke, das Abendmahl, wichtig, das sofort raumbildend ist. Abgesehen vom Reinigungsritual vor Betreten der Moschee gibt es solche Riten, die einen Raum bedingen, im Islam nicht.

Sie haben über 20 Jahre lang an Ihrem Lehrstuhl an der Technischen Universität München auch Sakralbau unterrichtet und sich dabei bemüht, die Bauten nicht-christlicher Religionen nicht zu vernachlässigen.
Ja, aber ich habe mich auf die monotheistischen Religionen beschränkt, weil ich Länder, aus denen sie kommen, bereist habe. Auch ein moslemischer Schüler hat mich beim Verständnis des Islam unterstützt.

Woher kommt der uns vertraute Typus der von Minaretten flankierten Kuppelmoschee?
Eine Moschee war nichts anderes als ein Gleichnis für das Haus des Propheten Mohammed. Vorbild war ein arabisches Wohnhaus – ein umfriedetes Grundstück, von dem ein Teil überdacht ist. Das Minarett war ein erhöhter Standplatz, von dem aus der Muezzin zum Gebet rufen konnte. Im Beysehir im Taurusgebirge befindet sich zum Beispiel eine der ältesten erhaltenen türkischen Moscheen: ein wunderbarer, flach gedeckter Holzbau. Kuppeln haben zwar schon die frühen Osmanen gebaut, aber erst durch die Herausforderung durch Byzanz und die Konfrontation mit den christlichen Kirchtürmen hat sich die Kuppelmoschee herausgebildet. Die Hagia Sophia wurde nach der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen von Sultan Mehmet II. zur ersten Moschee der neuen osmanischen Hauptstadt erklärt. Danach verhalf Sinan, der Architekt von Sultan Süleyman dem Prächtigen, in der Ambition, die byzantinische Hagia Sophia zu übertreffen, mit den imperialen Moscheen des 16. Jahrhunderts diesem Typus zum Höhepunkt.

Und seither gab es wenig Weiterentwicklung?
Ja, nicht in der Türkei und nicht im arabischen Raum. Moscheen werden heute trotz fortschrittlicher Baumethoden genauso gebaut. Aber eigentlich braucht man nichts als einen überdachten Raum, Bodenteppiche, die Möglichkeit der Reinigung und meinetwegen auch die Gelegenheit der Geschlechtertrennung. Minarette bräuchte man nicht.

Aber ist nicht der Wunsch, ein Zeichen zu setzen, legitim und verständlich?
Schon, aber die heutige Architektur kann mit aktuellen Mitteln Moscheen von großer Symbolkraft schaffen. Ich bin kein Gegner der Minarette. Aber es ist nicht die einzig mögliche Form. Heute wird meist mit Lautsprechern zum Gebet gerufen, das Minarett nicht mehrbestiegen. Als Zeichen würde eines genügen.
Als Diplomthema stellten Sie Ihren Studentendie Aufgabe, eine „Kathedrale unserer Zeit“ zuentwerfen. Es waren auch Moscheen darunter.
Einige Studenten verfolgten traditionelle Konzepte von Mehrkuppelmoscheen. Eine junge, in München lebende Türkin hingegen hat ein Projekt geliefert, das weder über Minarett noch Kuppel verfügte – ein schön transparenter, moderner Bau. Ihr ist es gelungen, einen „gestimmten Raum“ zu erzeugen, bei dem die äußeren Anzeichen nicht das Wesentliche sind.

An die äußeren Anzeichen klammern sich aber sowohl die Gemeinden als auch die Gegner. Würden Sie islamischen Gemeinden raten, auf Kuppel und Minarett zu verzichten?
Ja, aber nicht aus taktischen Gründen, sondern weil unsere Zeit neue Mittel hat. Für große stützenfreie Räume braucht es keine mächtigen Kuppelkonstruktionen mehr.

Würden Sie gerne eine Moschee bauen?
Ja, sofort! Auch eine Synagoge! Sakralbau ist etwas Wunderbares, weil er nicht vordergründig funktionalistisch sein muss. Hier geht es um Architektur und Fragen des Städtebaus. In Wien wäre eine Moschee zum Beispiel in jeder Lage eine interessante Aufgabe, weil man sich damit befassen muss, wie man innerhalb der Struktur der Stadt das Gebäude nach Mekka ausrichtet.

Spectrum, Sa., 2008.01.12

01. Dezember 2007Franziska Leeb
Spectrum

Das endlose Haus

Künstler, Architekt, Designer, getrieben von Visionen und Innovationskraft: Friedrich Kiesler. Die Stiftung, die seinen Namen trägt, feiert ihren zehn-ten Geburtstag und präsentiert ihren jüngsten Zuwachs.

Künstler, Architekt, Designer, getrieben von Visionen und Innovationskraft: Friedrich Kiesler. Die Stiftung, die seinen Namen trägt, feiert ihren zehn-ten Geburtstag und präsentiert ihren jüngsten Zuwachs.

Correalistisches Instrument“ und „Rocker“ heißen zwei multifunktionale, amöbenförmige Möbel aus der Produktion der Wittmann Möbelwerkstätten. Sie wirken topaktuell, formal dem heutigen Zeitgeist verhaftet, und doch sind es Entwürfe aus den frühen 40er-Jahren. Friedrich Kiesler (1890 bis 1965) hat sie als Mobiliar für Peggy Guggenheims „Art of this Century Gallery“ entworfen, der niederösterreichische Produzent hat sie in Kooperation mit der Kiesler-Stiftung vor fünf Jahren als Re-Edition wiederbelebt. Das „Objekt ohne Anfang und Ende“, wie Kiesler es selbst bezeichnete, ein in unterschiedlichen Positionen aufstellbares Sitz- und Präsentationsmöbel, das bis zu 18 verschiedene Funktionen zu erfüllen imstande ist, antizipiert modische Trends und inhaltliche Fragestellungen, die das Möbeldesign der Gegenwart bestimmen. Anhand dieser Möbel lässt sich sowohl die von Kiesler geprägte Theorie des Correalismus eindrücklich nachvollziehen als auch die Aktualität dieses von visionären Ideen und Innovationskraft getriebenen Künstlers, Architekten und Designers darstellen. Und sie sind zudem ein Zeugnis für die rege und vielfältige Tätigkeit der in Fachkreisen höchst angesehenen „Österreichischen Friedrich und Lillian Kiesler Privatstiftung“, die derzeit ihr zehnjähriges Bestehen feiert.

Friedrich Kiesler realisierte zuerst in Wien und ab 1926 vor allem in den Vereinigten Staaten progressive Bühnenarchitekturen, Ausstellungsgestaltungen und Möbeldesigns und widmete sich später zusehends der bildenden Kunst. Sein einziges realisiertes Gebäude blieb der in Zusammenarbeit mit seinem früheren Schüler Armand Bartos (1910 bis 2005) geplante „Shrine of the Books in Jerusalem“. Als „Wissenschaft von der Behausung des Menschen“ entwickelt er den Correalismus – eine Wortschöpfung aus „coordinated correlation“ und „realism“. Die sehr praxis- und realitätsbezogenen Überlegungen gehen davon aus, dass die Realität nicht in der Form eines Körpers, sondern in der Wechselwirkung zwischen Objekt und Betrachter begründet ist. Hand in Hand mit dieser Auffassung des Menschen und seiner gestalteten Umwelt als vielschichtiges System von Wechselbeziehungen geht seine Forderung nach einer Aufhebung der Grenzen der Kunstgattungen. Ein Ding, dessen Grundfunktionen hinsichtlich dieser Korrelationen gründlich überlegt und in ihrem innersten Kern stark und spannend sind, ist im Zusammenspiel mit seinem Umfelds imstande, neue Funktionen zu generieren, lautet, simpel ausgedrückt, die Botschaft.

Diese Designhaltung hat also nichts mit jenen bunten Klumpen – im Szenejargon „blobs“ – aus Kunst- oder Schaumstoffen zu tun, die in den Wohn- und Kinderzimmern der Design-affinen Society als Blickfang, zum Darin-Lümmeln und zu sonst nichts dienen. Dass mehrere seiner Möbelentwürfe nun wieder auf dem Markt sind, belegt die Qualität und Aktualität der Konzepte Kieslers. Seine Theorien und Konzepte inspirieren die Architektur- und Kunstproduktion bis heute.

„Kiesler in den zeitgenössischen Diskurs einzubringen“ sei eines der wesentlichen Ziele, so die Direktorin der Kiesler-Stiftung, Monika Pessler. Deshalb ist sie auch froh darüber, dass die Institution seit zwei Jahren über Räumlichkeiten verfügt, die der Pflege dieses multidisziplinären und internationalen Austausches einen adäquaten Rahmen bietet. Zum zehnjährigen Jubiläum folgten deshalb nicht nur Kapazitäten unter den Kulturschaffenden wie Olafur Eliasson, Hani Rashid oder Ben Van Berkel der Einladung zum Symposium „Modelling Space“ (gestern im Architekturzentrum Wien), um zu von Kiesler aufgeworfenen und heute topaktuellen Fragen neuer Entwurfspraktiken und zeitgemäßer Umweltgestaltung Position zu beziehen. Die Stiftung präsentiert zudem noch bis Jänner einige Kleinode aus Kieslers Schaffen in ihrem Ausstellungsraum. Die Zeichnungen, Fotografien und Pläne zu wesentlichen Kiesler-Entwürfen wie „Raumstadt“, „Space House“ oder „Vision Machine“ und ein Modell vom wohl berühmtesten Projekt Kieslers, dem „Endless House“, sind eine Schenkung des Sammlerpaars Gertraud und Dieter Bogner und zugleich der größte Zuwachs zum Sammlungsbestand seit der Gründung.

Der Kunsthistoriker, Sammler und Museumsfachmann Dieter Bogner ist nicht nur seit Anbeginn Präsident der Kiesler-Stiftung,sondern auch ihr Initiator und Vordenker. Ihm und dem Galeristen John Sailer gelang es – unterstützt von einem prominent besetzten Personenkomitee – die Republik Österreich, die Stadt Wien und etliche private Stifter davon zu überzeugen, Kieslers Nachlass von seiner Witwe zu erwerben.

Lilian Kiesler verzichtete auf ein Drittel des Kaufpreises unter der Bedingung, dass Republik Österreich und Stadt Wien alternierend alle zwei Jahre den mit 55.000 Euro (damals 750.000 Schilling) dotierten Kiesler-Preis für Architektur und Kunst verleihen, und initiiert somit einen der bestausgestatteten und international renommiertesten Kulturpreise überhaupt.

Im Mai 1997 trifft Kieslers Nachlass in Wien ein. Seine Heimstatt war bis vor zwei Jahren das Haus der Wienfluss-Aufsicht in Wien-Hütteldorf. Seitdem die Stiftung in derMariahilfer Straße gegenüber dem Museumsquartier mit Räumlichkeiten ausgestattet ist, die administrative Basis, Archiv und Ausstellungsort zugleich sind, ist sie besser in der Stadt verortet. Über 18.000 Archivalien– Modelle, Skizzen, Pläne, Fotos, Texte, Briefe – dokumentieren hier Kieslers Kunstauffassung und werden besonders von jungen Künstlern und Architekten aus aller Welt zur Recherche und zum Studium herangezogen.

In der Kiesler-Stiftung wird seriöse Archiv- und Forschungsarbeit geleistet. Von Betulichkeit ist dennoch keine Spur, denn die Aktivitäten des Hauses sind mannigfaltig. Ausstellungsprojekte mit Jan Kaplický und Olafur Eliasson sowie eine Ausstellung über das zeichnerische Werk im New Yorker Drawing Center sind nur die Highlights des an den Schnittstellen von Design, Architektur und Kunst angesiedelten Programms.

Spectrum, Sa., 2007.12.01

23. September 2007Franziska Leeb
Spectrum

Unbunt und sattrot

Wenn Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese bilden: Rainer Köberls Sushi-Bar „Sensei“ in Innsbruck.

Wenn Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese bilden: Rainer Köberls Sushi-Bar „Sensei“ in Innsbruck.

Angesichts durchaus schwerwiegender architektonischer Probleme wie der Frage nach einer zeitgemäßen Moscheenarchitektur oder dem Beitrag der Architekturschaffenden zum Stopp des Klimawandels und in Anbetracht der Tatsache, dass heutzutage selbst die Kolleginnen von den Lifestyle-Magazinen kaum noch nachkommen, allen zeitgeistig „gestylten“ Gaststätten ihre Referenz zu erweisen, erscheint es womöglich nicht ganz angebracht, einer kleinen Sushi-Bar fast eine ganze wertvolle Seite im Wochenend-Feuilleton zu widmen.

Angesichts der Leidenschaft, mit der Bauherr und Architekt zugange waren, und in Anbetracht der Tatsache, dass im Innsbrucker „Sensei“ Gastrosophie und Baukultur eine glückliche Synthese eingehen, ist das aber wohl angemessen.

Bauherr Dil Ghamal stammt aus einer nepalesischen Goldschmiedfamilie und wurde von einem japanischen Lehrer in Deutschland zum Sushi-Meister ausgebildet. Die Innsbrucker verwöhnte er bereits in zwei anderen Lokalen mit köstlichem Sushi, ehe er sich trotz bescheidenen Startkapitals zur Selbstständigkeit entschloss. Als Architekt wählte er sich einen, der kulturellen Anspruch hat und die intellektuelle Auseinandersetzung sucht.

Architekt Rainer Köberl beeindruckte vor etwa einem Jahrdutzend damit, dass er Gebäude in Randlagen und für Randgruppen, wie ein Pflegeheim (Feldkirch-Nofels) oder ein Wohnheim für Haftentlassene (DOWAS, Innsbruck) als Orte des respektvollen Umgangs von hoher Kontemplation formulierte. Mittlerweile hat sich sein gebautes Repertoire erweitert, und man kann in von Köberl geschaffenen Konsumstätten in der Innsbrucker Innenstadt – vom M-Preis-Supermarkt am Hauptbahnhof über die Buchhandlung Wiederin am Sparkassenplatz, die neue Terrasse des Café Central bis hin zum Delikatessencafé in der Maria-Theresien-Straße und die ein Stück weiter ebendort gelegene Sushi-Bar „Sensei“ – gut und gerne einen ganzen Tag zubringen.

Am „Sensei“ läuft man untertags leicht vorbei, schließlich liegt das Lokal im ersten Stock, ausgerechnet über dem Lokal einer großen Fischimbisskette. Da dem roten Logo-Fisch der Nachbarn (der sowieso als gutes Orientierungszeichen taugt) schwerlich etwas entgegenzusetzen ist, was sich mit dem Ensembleschutz der gesamten Straße und dem guten Geschmack vereinbaren lässt, tritt das Sensei trotz gläsernem Erker nach außen optisch dezent in Erscheinung.

Oben angekommen, veranlasst der schmale Eingangsbereich mit seinen irritierend spiegelnden schwarzen Wänden dazu, das Tempo zu reduzieren, innezuhalten. Das Zelebrieren des Übergangs von außen nach innen ist eines der wichtigen Themen in diesem Lokal. Schon an der Schwelle wird es zu einer physischen Erfahrung, die darauf vorbereitet, dass das Gast-Sein im Sensei ebenso ritualisiert wird wie das Koch-Sein. Denn Schnelligkeit bringt Einbußen bei der Qualität mit sich, darin sind sich der Gastronom und sein Architekt einig.

Schwarz dominiert. Köberl mag diese unbunte Farbe und entlockt ihr immer wieder neue Facetten. Im Sensei dient sie ihm dazu, den Raum größer wirken zu lassen, was aufs Erste paradox erscheint. An Wänden und Decken wurde aus exakt verlegten Schichtstoffplatten sowohl dem (auch lüftungstechnisch bedingt) niedrigeren Eingangsbereich als auch der winzige Küche und dem Gastraum ein schimmerndes Kleid geschneidert. Schon allein daraus entsteht mit einem einfachen Gestaltungsmittel ein ergreifendes Stimmungsspiel zwischen Lichtund Dunkelheit, aber auch eine Plastizität, die zwar spürbar, aber aufgrund der verschwimmenden Raumgrenzen und -kanten schwer festzumachen ist. Untertags spiegeln sich in der Decke das Tageslicht und der Straßenraum, und nachts vervielfältigen sich darin die Kunstlichtakzente. Wenn es dunkel ist, erfährt auch der Bezug zum öffentlichen Raum neue Blickwinkel: Denn dann bildet sich die Betriebsamkeit des Lokals gut von der Straße aus sichtbar in bunten Reflexionen an der Decke ab. Gäste, Passanten und die mit hoher Aufmerksamkeit und Kunstfertigkeit produzierten Speisen steuern wichtige Farbakzente bei. Sorgfältige Materialvariationen fügen sich zum stimmigen Hintergrund. Das Lärchenholz am Boden und im Inneren des Erkers erfuhr eine aufwendige Behandlung, bis sich ein flirrendes Oberflächenmuster abzeichnete: Zuerst gebürstet, dann schwarz gebeizt, leicht geschliffen und danach lackiert, präsentiert sich die kräftig zum Vorschein kommende goldene Maserung als exotisch anmutendes Flammenornament. Schwarz-golden exotisch auch die Tische, die mit indischem Apfelholz furniert wurden.

Die 26 Plätze im Gastraum sind entlang der Wände linear angeordnet, einen besonders exponierten Tisch gibt es im Erker. Das wirkt übersichtlich und großzügig. Gut strukturiert zu sein ist wichtig in einem so kleinen, meist ausgebuchten Lokal. Mangels Keller oder eigenen Lagerraums bietet ein mit einem schwarzen Vorhang abgeschirmter Wandschrank gegenüber der Theke einen wohlüberlegt bestückten Stauraum. Sichtfenster in den Wänden zur Küche erweitern den Köchen optisch den Raum und gewähren den Gästen einen flüchtigen Blick auf den Herd. Einen edlen Akzent liefert der sattrote Samtvorhang, der an der Rückwand des Lokals das Entree zu den Toiletten abschirmt. Um die Noblesse nicht zu stören, wurde sogar auf gängige Damen-Herren-Symbole verzichtet und der Unterschied auf güldenen Metallplatten, in die ein beziehungsweise zwei kreisrunde Löcher eingestanzt sind, kenntlich gemacht. Schön und klar! Asiatisch?

Das Ausbilden von Schwellen zwischen Innen und Außen, der an japanische Lackarbeiten erinnernde Glanz der Oberflächen, die Farben – ja, das Lokal verströmt durchaus ein Flair, das man als „asiatisch“ bezeichnen könnte. Rainer Köberl, der selbst betont, sich nicht besonders intensiv mit der fernöstlichen Kultur auseinandergesetzt zu haben, vermied es aber, typische Elemente japanischer Architektur offensichtlich zu zitieren. Seine Anspielungen sind flüchtig und überschreiten nie jene Grenzen, wo der Architekt die Zügel aus der Hand gibt und zum Erzähler von nicht selbst erlebten Geschichten wird. Die Erzählungen von Rainer Köberl und Dil Ghamal hingegen berichten von einer höchst produktiven und kongenialen Kooperationen von zwei Meistern ihres Faches, die sich auf fremden Terrain mit sicherem Instinkt bewegen.

Spectrum, So., 2007.09.23



verknüpfte Bauwerke
Sushibar Sensei in Innsbruck

05. August 2007Franziska Leeb
Spectrum

Wo sich Fest und Wiese finden

Ein Paradebeispiel, wie man öffentlichen Raum schafft: Zwei junge Architekten gestalten ein Festivalgelände und bereichern die Stadt Gänserndorf um eine ganzjährig nutzbare Insel.

Ein Paradebeispiel, wie man öffentlichen Raum schafft: Zwei junge Architekten gestalten ein Festivalgelände und bereichern die Stadt Gänserndorf um eine ganzjährig nutzbare Insel.

Sommer ist Spektakelzeit, und weil die diversen feiernden Szenen dazu nicht nur eine nackte Wiese, sondern auch die entsprechende Infrastruktur brauchen, muss dafür auch gebaut werden. Die niederösterreichische Stadt Gänserndorf holte sich qualifizierten Beistand, um den diversen Lustbarkeiten einen adäquaten architektonischen Rahmen zu geben. Seit sieben Jahren findet im Garten des Kulturhauses Schmied-Villa – neben anderen Veranstaltungen – vor allem die Sommerszene, ein mehrwöchiges, gut besuchtes Konzert-Festival, statt.

Anstatt der bisherigen Provisorien und um das Areal ganzjährig nutzbar zu machen, suchte man nach einer qualitätsvollen Lösung und bediente sich zu diesem Zweck der Unterstützung der niederösterreichischen Kulturabteilung. Unter der Ägide von Katharina Blaas-Pratscher werden dort unter dem Titel „Kunst im öffentlichen Raum“ künstlerische Interventionen in öffentlichen Bauten und Plätzen im ganzen Bundesland gefördert. Finanzielle Begehrlichkeiten der Gemeinden werden nicht nach Gutdünken erfüllt, sondern von einem wechselnden Beirat aus Künstlern und Künstlerinnen, Kunstvermittlern und Architekturfachleuten begutachtet. Meist wird den Gemeinden die Auslobung eines Wettbewerbs empfohlen – die Kosten trägt das Land – und ein Pool an potenziellen Teilnehmern vorgeschlagen.

Auch für den Ausbau des Gänserndorfer Kulturhausgartens wurde dieses Prozedere angewandt. Seit Sommerbeginn läuft der Betrieb im neu gestalteten Areal, dem die jungen Architekten Florian Sammer und Karoline Streeruwitz (sammerstreeruwitz) seine Form gaben.

Ausgehend von der Tatsache, dass die innerstädtische Wiese suboptimal für das Fest war und umgekehrt das Fest die Wiese in Mitleidenschaft zog, entwickelten sie ein Konzept, das den Anspruch erhebt (und schließlich auch erfüllt), Fest und Wiese in Einklang zu bringen. Die für Veranstaltungszwecke notwendigen Eingriffe legten sie so an, dass die Wiese auch in programmfreien Zeiten als „nutzungsoffener Freiraum“ Attraktivität hat. „Fest & Wiese“ – so betitelten sammerstreeruwitz schlicht und einfach ihr Projekt – beinhaltet einerseits im Streben nach der Erhaltung und Betonung des Wiesencharakters stark poetische Wesenszüge, ist grundsätzlich aber von höchst realitätsbezogener Pragmatik getragen.

Die Wiesenfläche selbst modulierten sie zur „intelligenten Wiese“, die den verschiedenen Anforderungen durch unterschiedliche Oberflächenausbildungen Rechung trägt.Bodenverdichtungen und Rasengittersteine verstärken die Rasenfläche dort, wo die Beanspruchung groß ist, zum Beispiel vor den Gastronomiebuden. Das Gelände ist zu einem zentralen, ebenen Plateau hin, auf dem Tisch- und Bankreihen aufgereiht werden können, sanft abgeböscht. In die Wiese eingelassene Bodenköcher erlauben die bedarfsweise Anbringung von Ständern für Lautsprecher, Beleuchtung oder Schirme.

Befestigte Inseln in der Wiese sind eine kleine Tribüne aus Holz und die als offener Pavillon gestaltete Bühne. Letztere wurde als fixe Stahlkonstruktion ausgeführt, deren Dach auf sternförmig auskragenden Stützen ruht. Sie ist von schlichter, eleganter Anmutung und lehnt sich in einem Elfenbeinton farblich an den Kolorit der Schmied-Villa an. Ihr großteils in die Böschung eingegrabener Sockel, aus dem auch die das Dach nicht berührende, abschirmende Rückwand aus Beton aufragt, birgt einen Lagerraum. Der Bühnenboden aus Lärchenholz bietet Zusatznutzen als überdachte Liegefläche.

Umgrenzt wir das Areal von einer „programmierten Hecke“, also einer Hecke, in die wesentliche dienende Funktionen integriert sind. Noch ist dieser lebenden Zaun, dem eine bis zu sieben Meter hohe, mit einem Holzspalier beplankte Stahlkonstruktion Halt gibt, am Wachsen. Wenn der gepflanzte wilde Wein, das Geißblatt und die Pfeifenwinde das Spalier völlig eingenommen haben, wird der horizontale Grünraum der Wiese eine vertikale, von Blüten durchzogene Fortsetzung erhalten, die den Platz noch dichter umrahmen wird.

In die Hecke eingegliedert sind drei schlicht gestaltete Gastronomiestände sowie ein Abwaschstand, die durch einen innerhalb des Rankgerüsts liegenden Servicegang miteinander verbunden sind. Die Buden sind als schlichte, an einfache Marktstandarchitektur erinnernde Holzkonstruktion auf einem niedrigen Betonsockel aufgesetzt. Verschlossen werden sie mit tafelförmigen Schiebeelementen, die sich, mit Kreide beschrieben, zur Speisekarte wandeln lassen.

Was Florian Sammer und Karoline Streeruwitz hier geschaffen haben, entstand zwar im Hinblick auf die Förderung unter dem Titel der Kunst im öffentlichen Raum, ist aber de facto vielmehr: Es ist ein öffentlicher Raum an und für sich, der hier kreiert und strukturiert wurde. Also Raum, in dem unterschiedliche Akteure ihre Ansprüche verhandeln und durchsetzen. Viele dieser Akteure waren von Anfang an bekannt, haben die Wettbewerbsausschreibung formuliert und später mit dem Architektenteam das Anforderungsprofil erarbeitet. Es gibt gewiss aber auch Gruppen, die noch nicht aktiv mitgestalten konnten, weil es noch nicht möglich war, sie in den Entscheidungsprozess einzubinden oder weil sie noch anonym sind oder immer anonym bleiben werden.

Um den öffentlichen Raum allen potenziellen Nutzern zu einer qualitätsvollen Lebenswelt aufzubereiten, reicht es nicht, bei Verkehrsplanern und Gastronomieeinrichtern ein fesches Layout zu ordern. Guter öffentlicher Raum, dessen Gestaltung nicht nur von Pragmatik, sondern auch von Kreativität und Fantasie getragen ist, vermag auch die Vorstellungskraft und den Enthusiasmus der Bürger zu stimulieren und kann nicht zuletzt auch identitätsstiftend wirken.

Dem Konzept Fest & Wiese, das Florian Sammer und Karoline Streeruwitz zum Wettbewerb einreichten und das nun mit einigen Adaptionen, mit denen sie souverän auf geänderte Anforderungen reagierten, umgesetzt wurde, wohnt dieses Potenzial inne. Architektonisches Volumen wurde sparsam und klug eingesetzt. Die errichteten Strukturen erlauben mehrere Nutzungsszenarien für geplante und spontane Aktivitäten.

Gänserndorf hat also einen Platz erhalten, für den es für etwa ein Viertel des Jahres eine Programmierung gibt, im Rahmen derer natürlich auch Geschäfte gemacht werden sollen. Florian Sammer und Karoline Streeruwitz schufen dafür die Rahmenbedingungen. Sie gestalteten aber auch einen alltagstauglichen Platz für die veranstaltungsfreie Zeit und für Bevölkerungsgruppen, die sich die Wiese im programmierten Zustand nicht leisten können oder sich aus welchem Grund auch immer, nicht davon angesprochen fühlen. Ihnen wird angeboten, sich den strukturierten Platz zwischendurch anzueignen – zum Flanieren, Sitzen, Lesen, Ausrasten. Eine willkommene Insel in der Stadt in einer Zeit, in der jene Orte immer rarer werden, die Aufenthaltsmöglichkeiten ohne Konsumzwang und Werbeflut anbieten.

An diesem mit einer Fläche von 1500 Quadratmetern kleinen Beispiel in Gänserndorf beweist sich, wie wichtig es wäre, solche Aufgaben in die Hände von Fachleuten zu legen, die dann im Dialog mit den Nutzern taugliche Lösungen entwickeln. Die Gestaltung des öffentlichen Raums ist eine zu verantwortungsvolle Aufgabe, um sie den Eventmanagern und dem privaten Sektor zu überlassen. Selbstverständlich geht es um gute Form, Angemessenheit, Städtebau, aber besonders um das Augenmerk auf die Menschen und deren Handlungen. Von rein kommerziellen Interessen und dem werbetechnisch einfach verwertbaren Sujet motivierte Gestaltungen vermögen diese Ansprüche in der Regel nicht zu erfüllen.

Spectrum, So., 2007.08.05

16. Juni 2007Franziska Leeb
Spectrum

Mit Schirm, Spitz und Quader

Zwei Schlösser, zwei Konzepte: hier Pragmatik mit Sinn fürs Detail, dort ein umstrittener Glasaufbau. Zwei Umbauarbeiten zur Landesausstellung im Mostviertel.

Zwei Schlösser, zwei Konzepte: hier Pragmatik mit Sinn fürs Detail, dort ein umstrittener Glasaufbau. Zwei Umbauarbeiten zur Landesausstellung im Mostviertel.

Fast alle Bundesländer wickeln mit gewisser Regelmäßigkeit und Routine an wechselnden Orten Landesausstellungen ab und erhoffen sich davon Auswirkungen auf den regionalen Tourismus. Meist gehen diese Großveranstaltungen mit Revitalisierungen sanierungsbedürftiger Baudenkmäler einher und sind deshalb auch Spiegelbilder regionaler Baukultur.

„Feuer & Erde“ lautet der Titel der heurigenNiederösterreichischen Landesausstellung imMostviertel. Schon das Thema und das gefällige Plakatsujet weisen darauf hin, dass dieMassentauglichkeit im Vordergrundsteht. „Jakob Prandtauer und sein Kunstkreis“ – Titelder ersten Landesausstellung im Jahr 1960 im Stift Melk – klang da noch sperriger. Wiereagiert die Architektur auf die Anforderungen des erlebnisorientierten Kulturtourismus? Muss sie selber zum Ereignis werden? Schließlich geht es sowohl darum, attraktive Örtlichkeiten für das temporäre Spektakel zu bieten, als auch pflegebedürftige Bausubstanz für die Nachnutzung zu rüsten.

Wie unterschiedlich das Herangehen sein kann, wird an den zwei Ausstellungsorten Waidhofen an der Ybbs und St. Peter in der Au deutlich. Die Gemeinde St. Peter lobte schon im Jahr 2000, als noch nicht feststand, dass sie die Landesausstellung „bekommt“, einen geladenen Wettbewerb aus. Übrigens war kein praktizierender Architekt in der Jury, was die Qualität des siegreichen Entwurfes aber nicht schmälern soll, sondern vielmehr ein Sittenbild der sich nur zäh bessernden Wettbewerbskultur in Niederösterreich abgibt. Gewonnen hat Johannes Zieser mit einer Lösung, die stark auf Pragmatik und Vernunft setzt, aber doch ein paar bemerkenswerte Details aufweist.

Ganz anders die Situation in Waidhofen. Erst 2004, nachdem die Landesausstellung sicher sicher war, wurde Hans Hollein mit dem Umbau des Schlosses beauftragt. Seine deutlich sichtbaren Interventionen sorgten ab Bekanntwerden der ersten Entwürfe für herbe Kritik.

Hauptanlass der Erregung ist ein gläsernerQuader, den Hollein auf den Bergfried der im19. Jahrhundert zum repräsentativen Schlossdes Fürsten Albert Freiherr von Rothschild umgebauten mittelalterlichen Burg setzte. Als gläserne „Liftkabine“ wurde der Aufbau verunglimpft, und die Welle des Unmuts brandete nochmals auf, als sich im Zuge der Realisierung herausstellte, dass die Glaskisteauf dem Turm kein rein gläserner Kristall ohne Zusatzstruktur ist, wie die Schaubilder es suggerierten, sondern eine eher normale Metall-Glas-Konstruktion. Der Aufsatz hebt sich ebenso klar von der historischen Substanz ab wie der gläserne Spitzhelm über dem Nordturm, die Außentreppe der Glasvorbau samt weit über die Ybbs auskragendem Balkon und das Eingangsgebäude.

Als wichtiges „Marketinginstrument für die Landesausstellung“ bezeichneten zuständige Politiker die markanten Elemente. Hollein selbst beruft sich darauf, dass auch der Ringstraßenarchitekt Friedrich Schmidt, der das Schloss ab 1886 für die Rothschilds modernisierte, zweckfreie Interventionen vornahm, die nicht funktional, sondern im Sinne eines künstlerischen Gesamtbildes motiviert waren. Im Inneren finden die gläsernen Zutaten ihre Entsprechung im „Kristallsaal“, einem an Wänden und Decken mit hinterleuchteten Glastafeln verkleideten Veranstaltungsraum.

Später soll das Rothschildschloss als Museum und Veranstaltungszentrum dienen. Die aktuelle Bespielung durch die Landesausstellung lässt noch keine Beurteilung zu, wie sich die spektakuläre Architektur im „Normalbetrieb“ bewähren wird. Der Glasaufbau ist jedenfalls schon jetzt eine Attraktion. Kaum ein Ausstellungsbesucher lässt sich vom Aufstieg über enge Treppen abschrecken, um dann eiligst aus dem sonnenerhitzten Glasbau – die bereits verblichenen Sonnenschutzsegel scheinen wenig Effekt zu haben – auf die Freiterrasse zu drängen. Später soll der aussichtsreiche warme Platz jedenfalls für kleinere Veranstaltungen wie zum Beispiel standesamtliche Trauungen genutzt werden, was wohl nur in der kühleren Jahreszeit wirklich Stil haben wird.

In St. Peter in der Au gibt man sich nach außen hin zurückhaltender, und auch die großen Debatten blieben (deshalb?) aus. Das Schloss hat seine Wurzeln im 13. Jahrhundert, ist im Wesentlichen aber trotz späterer Veränderungen als vierflügeliger Renaissancebau erhalten. Nach Jahrzehnten in Privatbesitz gehört es nun der Marktgemeinde und soll nach der Landesausstellung als Gemeindeamt und Veranstaltungszentrum genutzt werden.

Der wesentlichste Eingriff in die Substanz ist zugleich jener, der Johannes Zieser den Wettbewerbssieg eintrug, weil er eine gute Erschließung und sinnvolle interne Funktionsabläufe gewährleistet. Dafür wurden die überdrei Meter dicken Mauern des Bergfrieds durchgeschnitten, um an strategisch günstiger Stelle die neue Hauptstiege zu errichten. Alle neuen Einbauten sind klar als solche erkennbar, machen aber der denkmalpflegerisch wiederhergestellten historischen Substanz keine Konkurrenz. Im der Eingangshalle wurde das Flusssteinpflaster aus dem 19. Jahrhundert erhalten, aber aus bauphysikalischen und funktionellen Gründen mit einembeheizten Gussasphalt bedeckt. Glaselemente in der neuen Bodenoberfläche gewähren den Blick auf den historischen Boden.

Die spektakulärste Maßnahme ist die Überdachung des Arkadenhofs. Die Forderung des Denkmalamts nach einer die Bausubstanz möglichst marginal tangierenden Lösung führten zur Entwicklung des mit einer Fläche von etwa 600 Quadratmetern angeblich weltweit größten asymmetrischenund vollständig einfahrbaren hydraulischen Großschirms. Einfach ausgedrückt, funktioniert es wie ein umgekehrter Regenschirm. Die elf Teleskoparme des Schirms sind unterschiedlich lang, der längste 17 Meter. ZumÜberwintern werden sie in die Mittelstütze eingefahren, und die Membran wird durch eine elektrisch ausfahrbare Hülle geschützt.

Baulich änderte sich an der Außenerscheinung des Wasserschlosses zwar fast nichts. Durch die Entfernung des dicht umwucherten Zaunes ist das Schloss nun wieder im Ortsbild präsent, der neu gestaltete Park öffentlich zugänglich und der ehemalige Herrschaftssitz ein offenes Haus für alle.

Johannes Zieser hat das Schloss mit Gespür für das Unaufgeregte und einigen schönen Details revitalisiert. Umso mehr schmerzt die Nachlässigkeit, mit der außerhalb der Verantwortung des Architekten Geschmacklosigkeiten wie güldene Löwen, künstliche Blumen und sonderbares Gastronomiemobiliar das Ambiente verschandeln. Die meisten Besucher werden sich daran nicht stoßen. Aber wären nicht Landesausstellungen auch eine exzellente Gelegenheit, die Leute nicht nur dank „pfiffig verpackten“ Wissens klüger aus der Ausstellung hinausgehen zu lassen, als es hineinkam, sondern nebenbei auch seinen Sinn für Architektur und Raum zu stimulieren? Solche Schlampereien lassen auch Rückschlüsse auf die Wertschätzung zu, die dem Gebäude und seinen Besuchern entgegengebracht wird. Eventuell hat der Architektur-affine Landesrat Wolfgang Sobotka – Juror beim Wettbewerb in St. Peter und Initiator des Hollein-Projektes in Waidhofen – noch Einfluss und Leidenschaft genug, um solche Achtlosigkeiten in Hinkunft zu verhindern.

Spectrum, Sa., 2007.06.16

13. Mai 2007Franziska Leeb
Spectrum

Bauen fürs Baden

Elegant, modern, pragmatisch: die Bauten in den Donaubädern. Ein Forscherteam hat ihre Architektur in Klosterneu- burg und Kritzendorf unter die Lupe genommen.

Elegant, modern, pragmatisch: die Bauten in den Donaubädern. Ein Forscherteam hat ihre Architektur in Klosterneu- burg und Kritzendorf unter die Lupe genommen.

Viele der ab den 1920er-Jahren entstandenen Strandhäuser in den Badekolonien an den Donaustränden von Klosterneuburg und Kritzendorf entsprechen jener Neuen Architektur, deren Grundelemente Le Corbusier in fünf Punkten zusammenfasste: Haus auf Pilotis, freier Grundriss, freie Fassade, lange Fenster, Dachgarten. Entlang der Donau war und ist das Aufständern auf Pfahlstützen zum Schutz vor dem Hochwasser unbedingt notwendig, und die Kleinheit der Hütten zwang zu kreativen Einraum-Lösungen. Zum geschützten Sonnenbaden – meterhohe Zäune und Thujenhecken um die privaten Parzellen gab es damals offenbar nicht – errichtete man Sonnendecks, die auf das Satteldach oder einen Zubau gestellt wurden. Bald ging man dazu über, die Häuser gleich mit flachen Dächern zu versehen, um ein ordentliches Plateau zum Zwecke der Körperbräunung zu erhalten.

Wie sehr also handfeste Pragmatik Hauptursache für die moderne Freizeitarchitektur war oder ob sie doch mehr der Haltung kunstsinniger Bauträger, Bauherrn und Auftraggeber aus dem gehobenen Bürgertum zu verdanken ist, sei dahingestellt. Unter den Bewohnern fanden sich Persönlichkeiten wie der Industrielle Wilhelm Blaschczik, die Kabarettistin Cilli Wang-Schlesinger oder die Künstlerin Maria Strauss-Likarz, deren „Weekendhaus“ an der Kritzendorfer Donaulände von Felix Augenfeld geplant wurde, der 1938 wie viele andere der jüdischen Auftraggeber und Planer, zur Emigration gezwungen war.

„Sowohl die Architektenschaft als auch der 1921 unter Marcel Halfon gegründete Bund der Hüttenbesitzer im Donaustrandbad Kritzendorf trachteten danach, den Selbst- und Eigenbau von Hütten einzudämmen und stattdessen fachkundige Personen heranzuziehen“, schreibt die Kunsthistorikerin Sabine Plakolm-Forsthuber. Es ist der Sozial- und Kulturhistorikerin Lisa Fischer zu verdanken, dass das, was diese Architekten an qualitätsvoller Badearchitektur zuwege brachten, nach Jahrzehnten der Missachtung einer adäquaten Aufarbeitung unterzogen wird. Fischer legte mit dem Buch „Die Riveria an der Donau“ und der Ausstellung im Wien Museum vor drei Jahren eine kurzweilig aufbereitete Untersuchung der Badekultur im Strombad Kritzendorf vor und widmete darin auch der Architektur Raum, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass sich hier noch ein weites Betätigungsfeld für Bauhistoriker auftut.

Von Fischer angeregt, erforschen nun Caroline Jäger-Klein, Professorin für Architekturgeschichte an der Technischen Universität Wien, und ihre Kollegin Sabine Plakolm-Forsthuber, gemeinsam mit ihren Studierenden die Wochenendkolonien von Klosterneuburg und Kritzendorf. Sie liefern sowohl eine architekturhistorische Einordnung, recherchierten die Siedlungshistorien und zahlreiche Baugeschichten und sparen auch die NS-Zeit nicht aus, in der 76 Prozent der Häuser von der Arisierung betroffen waren.

Bereits 1878 wurde das private Englbad, ein Schwimmschiff, an einem der Klosterneuburger Donauarme errichtet, das 1913 von der Gemeinde übernommen wurde. Das Schwimmschiff wurde vergrößert und die Anlage um Kabinentrakte und ein Restaurant erweitert. Sieben Jahre später präsentiert der Otto-Wagner-Schüler Franz Polzer Pläne für eine großzügigere Anlage um einen „Volksfestplatz“, für die er die Vorbilder unter anderem an der Adria und dem Mittelmeer fand. Und 1923 erfolgte schließlich die nächste große Erweiterung, die das Strandbad um eine Wochenendkolonie für Städter, die sich einen mehr oder weniger bescheidenen Feriensitz am Stadtrand leisten konnten, bereicherte. Bald darauf ortete die ortsansässige Tischlerei Leopold Haas & Sohn ein neues Geschäftsfeld und begründete die „Haas-Kolonie“, die mit Badehüttenin großer Vielfalt und von durchwegs modernem Gepräge bebaut wurde.

Ebenso wie im benachbarten Kritzendorf war eine Reihe weiterer Holzbaubetriebe aktiv, die mit Wochenendhäusern in Fertigteilbauweise am Badehaus-Boom partizipierten. Darunter die Baugesellschaft Wenzl Hartl und – damals am aktivsten – die Klosterneuburger Wagenfabrik (Kawafag). Der Geschichte und Rolle dieser trotz ihrer Produktivität heute wenig bekannten Pionierfirma beleuchtete der Diplomand Thomas Prilc. Das ursprünglich Fuhrwerke und Holzscheibtruhen erzeugende Unternehmen verlegte seine Produktion ab 1923 auf Fertigteilhäuser und errichtete bis zur Zerschlagung des Unternehmens im Jahr 1938 über 2000 Ferienhäuser in ganz Österreich.

Das patentierte System der Kawafag bestand aus einer Kombination der Tafelbauweise in Holz mit einer Massivbauweise aus vorgefertigten Leichtbetonplatten. Das Unternehmen entwickelte mehrere Typen: Die S-Serie umfasste Sommerhäuser vom minimalen Einraumhaus bis zur Strandvilla mit 34 Quadratmeter Grundfläche und drei Zimmern. Die Luxusvariante im Programm war die zweigeschoßige Type A1, die mit Terrassen auf jeder Ebene und einem polygonalen Erker ausgestattet war. Zahlreiche der Kawafag-Entwürfe stammen von den damals recht angesehenen Architekten Fischel & Siller. Auch Karl Haybäck junior und Michel Engelhart entwickelten drei Haustypen und realisierten auf einem gepachteten Areal vier „Weekendhäuser in Holzfachwerk und eingespannten Heraklithplatten“.

Heute herrscht in den Strandbadkolonien Klosterneuburgs wieder ein reger Bauboom – zu einem guten Teil verursacht durch das Hochwasser im Jahr 2002. An die Eleganz und Modernität der Frühzeit können nur wenige der Neubauten und Adaptierungen anschließen. Zeitgenössische Bauten, die dem Charakter der Siedlung entsprechen und dennoch heutige Komfortansprüche erfüllen, sind etwa ein Zubau von Andreas Fellerer in der Badesiedlung Greifenstein (die noch der Erforschung harrt), die Villa Bruno von Unsquare Architects im Strandbad Klosterneuburg oder das Strandhaus MAX35 des Architektenteams DREER2 in der Haas-Siedlung.

Spectrum, So., 2007.05.13

17. März 2007Franziska Leeb
Spectrum

Wohnen im Stadel?

Hoher ökologischer Anspruch in einem engen Kostenrahmen, wie ihn der geförderte Wohnbau vorgibt: die Siedlung am Mühlweg, Wien-Floridsdorf, präsentiert Varianten zeitgemäßen Holzbaus.

Hoher ökologischer Anspruch in einem engen Kostenrahmen, wie ihn der geförderte Wohnbau vorgibt: die Siedlung am Mühlweg, Wien-Floridsdorf, präsentiert Varianten zeitgemäßen Holzbaus.

...folgt

Spectrum, Sa., 2007.03.17



verknüpfte Ensembles
Wohnhausanlage am Mühlweg

31. Dezember 2006Franziska Leeb
Spectrum

Es darf gerankt werden

Wer ist der/die Beste im ganzen Land? Wer der/die Zweitbeste? Wie kommt man unter die Top-100? Über Sinn und Unsinn von Architekten-Rankings.

Wer ist der/die Beste im ganzen Land? Wer der/die Zweitbeste? Wie kommt man unter die Top-100? Über Sinn und Unsinn von Architekten-Rankings.

„Gerankt“ werden nicht nur die besten Volksschulen und Finanzminister, auch Architekten konkurrieren via Bestenliste. Angeführt wird die Liste der Top-100-Architekten konstant von Herzog & de Meuron; Rem Koolhaas' Office for Metropolitan Architecture ist den Schweizern dicht auf den Fersen, auf Platz drei rangiert Zaha Hadid. Hinter der Architekturdiva treten Frauen nur noch vereinzelt und namentlich meist versteckt hinter Gruppennamen auf, keine andere hat es geschafft, als Einzelperson in die medial wahrgenommene Oberliga zu gelangen. Weltbekannte Namen wie Renzo Piano, Jean Nouvel oder Norman Foster folgen bereits mit Respektsabstand. Auf Platz 27 tauchen die ersten Österreicher auf, es handelt sich - eigentlich selbstverständlich - um Coop Himmelb(l)au. Dennoch sieht die Bilanz der hiesigen Baukünstler nicht so schlecht aus. Auf Platz 50 liegen in der aktuellen Liste Delugan Meissl, noch vor arrivierten Kollegen wie Rafael Moneo oder Dominique Perrault. Ebenso unter den ersten Hundert: Splitterwerk aus Graz (Rang 63), Feichtinger Architectes mit Büros in Wien und Paris (Rang 67), Ortner & Ortner (Berlin und Wien, Rang 76), die Vorfertigungsspezialisten Holz Box Tirol aus Innsbruck (Rang 81) noch vor der arrivierten Kompanie Baumschlager/Eberle (Rang 88), und ex aequo auf Platz 93 Hertl.Architekten aus Steyr, der junge Oskar Leo Kaufmann aus Dornbirn und Adolf Krischanitz.

Seit ungefähr zehn Jahren betreibt die deutsche Internettplattform Baunetz ein Qualitätsranking der internationalen Top-Architekten. Nach eigenen Angaben ist das entscheidende Kriterium der Grad der Beachtung der Werke in den „bestgeeignetsten Architektur-Fachzeitschriften“, ohne jedoch genauer auszuführen, warum manche Zeitschriften besser und andere weniger geeignet sind. Alle zwei Monate erscheint die jeweils aktuelle Rangliste, geordnet nach den „Top 100 international“, den besten deutschen Büros, sortiert nach sieben verschiedene Regionen, und den besten ausländischen, also nichtdeutschen Architekturstudios.

Rund ein Dutzend Fachzeitschriften durchforstet das zum Springer-Medienimperium gehörende „Baunetz“, darunter wiederum einige, die Teil eben dieses weitverzweigten Verlagsunternehmens sind, das in der europäischen Architekturmedienlandschaft den Ton angibt. Es werden alle redaktionellen Beiträge erfasst und je nach Länge des Berichts Punkte vergeben. Zudem werden die Zeitschriften mit einem Faktor versehen. Ein Beitrag in einem internationalen Blatt wie „Architectural Review“ oder „domus“ wird höher gewertet als einer in den deutschen Magazinen.

So weit, so gut. Das Ranking fußt nicht auf der Präsenz in den Gesellschaftsspalten, und alle Gelisteten können unbestritten eine Reihe bemerkenswerter Realisierungen vorweisen - ein Indikator für den Stellenwert des jeweiligen Büros in den herangezogenen Zeitschriften, mehr nicht. Aus der Schweiz, den Niederlanden, Großbritannien, Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich, Japan, den USA, Skandinavien und Österreich kommen die Büros, die vorne liegen. Matija Bevk und Vasa J. Perovic aus Ljubljana erscheinen wie Exoten. Sie sind die einzigen Vertreter aus Osteuropa. Es findet sich auch kein Architekturstudio aus Südamerika, keines aus Afrika, keines aus Australien.

Auffallend auch, dass kaum ein Büro in den vorderen Rängen sein Brot in erster Linie mit so profanen Aufgaben wie Wohnbau oder Sanierung verdient. Sie bauen eher Fußballstadien, Museen, Konzernzentralen, Flagship-Stores und Bahnhöfe, also Gebäude, die neben der Berichterstattung in den bekannten Architekturmagazinen auch zusätzlich vom Spatenstich bis zur feierlichen Eröffnung und jährlichen Bestückung mit Weihnachtsschmuck von einer potenten PR-Maschinerie begleitet werden.

In diese Liste kommt also nur der, dessen Gebäude eine der ausgewählten Zeitschriften für wert befindet, vorgestellt zu werden. Und hierfür ist es wichtig, nicht nur ein gutes Bauwerk anbieten zu können, sondern auch sehr gute Fotos davon. Jedes der vorne gereihten Architekturbüros weiß das und beschäftigt Profis, die ausreichend Bildmaterial anfertigen - am besten bevor die Nutzer die reine Form mit Spuren ihrer Anwesenheit versehen haben. Sollten diese Spuren doch schon da sein, der Bodenbelag etwa mehr dem Geschmack des Bauherren als dem des Planers entsprechen, ein Nachbargebäude den Anblick beeinträchtigen oder das Gras auf dem Dach noch nicht im gewünschten satten Grün sprießen, ist es zudem hilfreich, über Mitarbeiter mit exzellenter Kenntnis der einschlägigen Bildbearbeitungsprogramme zu verfügen. Wenn dann noch die wichtigsten Projektdaten und Pläne in publizierfähiger Form auf Abruf verfügbar sind, sind die wichtigsten Voraussetzungen erfüllt, für einen achtseitigen Bericht (oder mehr, das bringt die meisten Ranking-Punkte) in Betracht gezogen zu werden.

Wollen Sie sich die paar Tausender für Fotografie und Grafik nicht leisten und gibt das Objekt sowieso keinen sexy Aufmacher her, sollten Sie sich über mangelnde Resonanz in den prestigeträchtigen Architekturblättern nicht ärgern. Geschickte Medienarbeit funktioniert bei Architekten auch nicht anders als bei Finanzministern und Schönheitschirurgen.

Allen Lesern und Leserinnen, denen das Fachsimpeln über Wein zu fad geworden ist und die sich vorgenommen haben, 2007 etwas für ihr Architekturwissen zu tun, oder die gar den nächsten Umbau nicht selbst improvisieren wollen, sei Folgendes ans Herz gelegt: Werfen sie einen Blick in das Ranking, um für den Tratsch gerüstet zu sein. Um gute Architekten und Architektinnen aufzuspüren, ist die Lektüre von Fachzeitschriften nützlich und sind Internetplattformen eine fast unerschöpfliche Fundgrube.

Das Wichtigste aber ist: Besuchen Sie die Originale. So sehen, hören und spüren Sie, was ein Gebäude wirklich kann. Sie wollen auch unauffällig die Planer einem kleinen Check unterziehen und scheuen eine persönliche Terminvereinbarung? Davor sollten Sie zwar grundsätzlich keine Angst haben, weil Erstgespräche und Auskünfte immer kostenlos sind und in den meisten Architekturbüros jedes Interesse mit großer Freude aufgenommen wird. Die besten Gelegenheiten, sich quasi anonym einen persönlichen Eindruck zu verschaffen, bieten Führungen vor Ort. Die regionalen Architekturhäuser laden regelmäßig zu Führungen und Diskussionen in aktuellen Bauten oder organisieren Exkursionen zu verschiedenen Themen. Das Architekturzentrum Wien veranstaltet zum Beispiel stets sonntags seine beliebten und oft früh ausgebuchten Touren. Traditionell an Freitagnachmittagen lädt die Österreichische Gesellschaft für Architektur zu Bauvisiten, und auch in den Bundesländern gibt es genug Gelegenheit, Bauten und ihre Erbauer unter die Lupe zu nehmen. Internetplattformen, denen die aktuellen Programme entnommen werden können, gibt es genug. Solcherart weitergebildet, lassen sich die Architekten-Bestenlisten getrost in die gleiche Kategorie wie die bereits länger existierenden Misswahlen verbannen, nämlich in die der seichten Unterhaltung.

Spectrum, So., 2006.12.31

03. Dezember 2006Franziska Leeb
Spectrum

Großes Theater im Moor

Selten gehen Architektur und Kunst, Landschaftsplanung und Ausstellungsgestaltung eine derart symbiotische Beziehung ein wie hier: das Ramsar-Zentrum in Schrems - ein Ausflug ins Waldviertler Hochmoor.

Selten gehen Architektur und Kunst, Landschaftsplanung und Ausstellungsgestaltung eine derart symbiotische Beziehung ein wie hier: das Ramsar-Zentrum in Schrems - ein Ausflug ins Waldviertler Hochmoor.

Es gibt keinen Abenteuerspielplatz, keine knallgelbe Hüpfburg und keinen Shop mit Plüschottern und Plastiklurchen; Kindern wird dennoch nicht fad. Es fehlen auch die Designer-Bar und andere Konsum stimulierenden Verführungen ebenso wie architektonische und audiovisuelle Spektakel. Es handelt sich vielmehr um eine Bildungseinrichtung über die Waldviertler Hochmoor-Landschaft. Dennoch ist das Ambiente attraktiv für Menschen jeder Bildungs-, Einkommens- und Altersschicht. In Zeiten, wo zum Zwecke der Maximierung von medialer Aufmerksamkeit und Besucherzahlen jedes Mittel recht ist, um Touristen in entlegene Gegenden zu locken, klingt das ziemlich anachronistisch.

Die Rede ist vom Ramsar-Zentrum in Schrems, auch „Unterwasserreich“ genannt. Seinen Namen hat die Institution von der indischen Stadt Ramsar, wo 1971 eine der ältesten internationalen Konventionen zum Umweltschutz, in diesem Fall ein Übereinkommen über Feuchtgebiete von internationaler Bedeutung, unterzeichnet wurde.

Das von den Brüdern Johannes und Michael Kislinger gegründete Büro AH3 Architekten hat den im Jahr 2003 ausgelobten Wettbewerb für ein Besucher- und Forschungszentrum, das Einblicke in die Welt der Feuchtgebiete gibt, mit einem bescheidenen und doch signifikanten Gebäude für sich entschieden. Die in Horn ansässigen Architekten haben sich auf ökologisches Bauen spezialisiert und sind bereits mehrfach mit qualitätsvoller Architektur - darunter etliche öffentliche Gebäude - aufgefallen.

Kein übergroßes Logo, auch kein Maskottchen oder sonst einen baulichen Narrenhut haben die mit Bedacht agierenden Baukünstler für notwendig erachtet, um Werbung für das Haus zu machen. Der gekurvte Baukörper schmiegt sich in die Landschaft. Dunkelgrauer Beton bildet Ton in Ton mit dem Erdboden seinen Rücken. Eine von der Decke bis zum Boden reichende Glasfassade formt den transparenten Bauch. Nur das über dem Eingang weit auskragende Dach bricht als einladendes Element aus dem ruhigen Monolithen aus.

Für den „Prunk“ haben im Unterwasserreich andere als die Architekten mit ihrem zurückhaltenden Gebäude gesorgt. Allen voran die Künstlerin Ingeborg Strobl, die mit Amphibien und Reptilien sowie einem nach oben hin dichter werdenden Geflecht von Skeletten der Glasfassade nicht nur den nötigen Sonnenschutz und einen thematisch passenden Filter zwischen Innen und Außen verpasste, sondern auch eine ausdrucksvolle Schauseite zum anschließenden Freigelände hin. Transparenz, Barrierefreiheit und das Verschmelzen von Innen und Außen sind die dominierenden architektonischen Themen.

Das Glas scheint fast den Wasserspiegel zu berühren, der beinahe an das Fußbodenniveau des Inneren heranreicht. Die umgebende Landschaft (gestaltet von Gerhard Prähofer) mit See, Moorteich, Schilfgürtel, Pflanzterrassen und Fischottergehege ist stets präsent, solange man sich im Foyer oder im lang gestreckten temporären Ausstellungsbereich entlang der Glasfassade aufhält. Emotionell und ästhetisch dazu kontrastierend ist die von Hans Kudlich als amorphes Grottenszenario eingerichtete fixe Ausstellung, in der auf einer künstlichen, aber sehr sinnlichen Ebene Wissen über das Leben in den Wasserwelten vermittelt wird.

Das Gebäude dient all dem als unprätentiöser Hintergrund und Halt. Selten gehen Architektur, Kunst, Landschaftsplanung und Ausstellungsgestaltung eine so symbiotische Beziehung ein wie hier. Keine Disziplin erdrückt die andere, keine spielt sich über Gebühr auf. Bloß dem Fischotter, dem unbestrittenen Star im Freibereich, würde man ein etwas attraktiver gestaltetes Gehege wünschen als den jetzigen Maschendrahtzaun.

Für das Gebäude, das sich der Landschaft und dem Umfeld gegenüber respektvoll verhält, dennoch Aufmerksamkeit und Sinne längerfristig zu stimulieren vermag und nicht als lautes Spektakel angelegt ist, wurden die AH3 Architekten jüngst mit dem Niederösterreichischen Kulturpreis in der Sparte Architektur geehrt.

In einem völlig anderen Kontext fügt es sich in einer modernen Architektursprache in sein Umfeld ebenso gut ein wie das zweite mit eben dieser Auszeichnung gewürdigte Projekt, der neue Campus Krems von Feichtinger Architectes. Und den Würdigungspreis für Verdienste um die Architektur in Niederösterreich erhielt „Spectrum“-Autor Walter Zschokke, dessen jüngste Publikation „ORTE - Architektur in Niederösterreich 1997 - 2007“ dieser Tage im Springer Verlag, Wien, erscheint und der einiges dazu beigetragen hat, dass Architektur in Niederösterreich keine Randerscheinung mehr ist.

Das Ramsar-Zentrum ist in Schrems übrigens nicht das einzige lohnende Ausflugsziel, das auch aus architektonischen Gründen sehenswert ist. In den letzten Jahren hat sich hier einiges getan. Gleich nebenan befindet sich das Moorbad Schrems (Architekt: Thomas Konrad), das dank der Freiraumgestaltung von Jakob Fina von großer Anmut ist. Und nicht weit weg davon, auf einer Lichtung im Wald, befindet sich ein drittes Kleinod aus der jüngsten Vergangenheit, die Aussichtswarte Himmelsleiter von Manfred Rapf.

Für touristische Zwecke zu bauen ist eine heikle Angelegenheit. Schließlich geht es darum, Attraktionen für ein möglichst zahlreiches Publikum zu schaffen. Verführerisch locken schnelles Geld und mediale Aufmerksamkeit. Oft wird dabei mittels flott inszenierter Eventarchitektur, die selten nachhaltig im umfassenden Sinn ist, über das Ziel hinausgeschossen. In Schrems hingegen entstand ein Gebäude, das dem Besucher großes Theater im besten Sinn zu bieten imstande ist, ohne sich selbst zu sehr aufzuspielen.

Spectrum, So., 2006.12.03



verknüpfte Bauwerke
UnterWasserReich Ramsar-Zentrum Schrems

05. November 2006Franziska Leeb
Spectrum

Radikal dicht

Schnickschnack und Romantik sucht man hier vergebens. Dazu Schlaf- und Badezimmer ohne Aussicht. Ernst Linsbergers Wohnbau in Krems: ein Werk mutiger Entscheidungen.

Schnickschnack und Romantik sucht man hier vergebens. Dazu Schlaf- und Badezimmer ohne Aussicht. Ernst Linsbergers Wohnbau in Krems: ein Werk mutiger Entscheidungen.

Ausgerechnet ein Wohnbau mit Zimmern ohne Aussicht ist der Beleg dafür, dass auch in Niederösterreich im großvolumigen Wohnbau durchaus mehr möglich ist als die üblichen, völlig uninspirierten Wohnblöcke, die den Stadtbildern nichts Gutes tun und alle, die es sich leisten können ins Einfamilienhaus treiben, weil attraktive verdichtete Wohnanlagen rar sind. Warum sich in Niederösterreich keine bessere Wohnbaukultur entwickelt hat, ist eine eigene Geschichte. Aber immerhin leistet sich das Land seit Anfang des Jahres Beiräte, die dafür sorgen sollen, dass bestimmte Qualitätskriterien im geförderten Wohnungsbau eingehalten werden. Wie durchschlagskräftig diese Gremien sind - die jeweils einreichenden Bauträger dürfen ein Beiratsmitglied nominieren, und die Hand, die einen füttert, beißt man bekanntlich nicht -, wird die nähere Zukunft weisen, wenn gebaute Resultate da sind. Das Schlimmste verhindern und den Durchschnitt heben, mehr darf man sich ohnedies nicht erhoffen. Richtig gute Ergebnisse kommen anders zustande: Entweder durch ordentliche Wettbewerbe oder indem ein kompetenter Bauherr die besten verfügbaren Architektinnen und Architekten zu fairen Bedingungen engagiert.

Krems gilt als die Architektur-affinste Stadt in Niederösterreich. Etliche Gustostückerln zeitgemäßer Architektur sind im letzten Jahrzehnt entstanden - darunter viele Kleinbauten wie Aufstockungen, Adaptierungen, Einfamilienhäuser oder Lokale von ortsansässigen Architekten ebenso wie von überregional bekannten Persönlichkeiten. Aber es gibt auch starke Statements von städtebaulicher Relevanz, allen voran der Campus Krems von Dietmar Feichtinger. Einzig im verdichteten Wohnbau geschah aus architektonischer Sicht wenig Relevantes, und was an über die Grenzen der Wachau hinaus Erwähnenswertes realisiert wurde, stammt aus einer Architektenpratze.

Ernst Linsberger legt nach seiner Atrium-Reihenhaussiedlung in der Kremser Katastralgemeinde Gneixendorf (1998), der Siedlung am Hundssteig (2004) und einer eigenwillig bodenständig angehauchten Siedlung in Egelsee (2005) nun einen weiteren bemerkenswerten Wohnbau auf Kremser Boden vor. Diesmal auf einem felsigen Südhang an der Langenloiser Straße. Linsberger bevorzugt mittlerweile den Stein als Baugrund, „weil sich unter dem Löss in Krems immer Zeug aus dem Paläolithikum findet“, was zu enormen Bauverzögerungen führen kann. Sein architektonisches Vokabular hat der Rainer-Schüler wie bereits von der kleinen Gneixendorfer Anlage zur das Stadtbild prägenden Siedlung am Hundssteig wiederum weiterentwickelt. Bei seinem jüngsten Werk sind ebenfalls Atrien, hohe Verdichtung und der Dialog mit der Landschaft wichtige Themen. Aber sie werden radikaler, bar jeder Romantik, abgehandelt.

Insgesamt 67 Wohnungen ducken sich unter markant auskragenden Flachdächern aus Betonfertigteilen in den Hang. Von sympathischer Schroffheit - wie der Fels darunter und nicht patzweich wie Löss - auch der mit einem Streifenrelief und schmalen waagrechten Lichtschlitzen versehene Sockelbau, der die riesige Tiefgarage birgt.

Der dichte Teppich an Terrassenwohnungen ist streng organisiert. Schnickschnack wie unbrauchbare Vorgärten, Rasenrabatten und umständliche Wegführungen gibt es nicht. Dafür mit einem Glasband gedeckte, kerzengerade Gänge zwischen den Zeilen, die zu den einzelnen Wohnungen führen. Auch viele das Alltagsleben erleichternde Details, die selbstverständlich sein sollten, im Wohnungsaber aber längst nicht Usus sind, sind hier realisiert. So sind zum Beispiel die Terrassen mittels Betonfertigteilwänden voneinander sichtgeschützt abgetrennt. Jede Wohnung hat anstatt eines finsteren Kellerabteils einen nächst dem Eingang situierten, holzverschalten Abstellraum. Das sind Kleinigkeiten, die nicht viel kosten, aber die Nutzbarkeit und Bequemlichkeit einer Wohnung mit wenig Aufwand steigern.

Es gibt etliche Wohnungstypen und an den Rändern jeweils Sonderformen mit oft recht eigenwilligen, dreieckigen Grundrissen. Die typische Wohnung sieht so aus: Von der Eingangsebene, in dem sich die Garderobe und eine Toilette befinden, führt eine Treppe ins Wohngeschoß, das um ein mit Glas gedecktes Atrium organisiert ist. Die Schlaf- und Badezimmer beziehen das Tageslicht ausschließlich von diesem innen liegenden Raum. Sie haben daher, und das ist eine mutige Entscheidung, keine Sichtverbindung nach außen. Eine kontrollierte Wohnraumlüftung sorgt für gutes Klima. Ausblick nach außen und über die Stadt gibt es durch die verglasten Fronten der Wohn-Essräume und von den geräumigen gedeckten Terrassen aus. Das antike Hofhaus wird hier auf wenig Fläche in den geförderten Wohnbau transferiert. Erreicht werden damit höchste Privatheit durch die starke Orientierung nach innen und ein großzügigeres Flair durch den lichtdurchfluteten zentralen Raum.

Ernst Linsberger kümmert sich wenig um Architekturtheorien und Moden. Und obwohl er nicht von der Jagd nach Innovationen getrieben zu sein scheint, gelingen ihm immer wieder Bauten, die dank gescheiter Kombinationen aus erprobten und neuen Elementen sowie Sinn für zweck- und materialgerechte Details in der Wohnbau-Oberliga mitspielen. Denn es ist weniger wichtig, Neues zu erfinden, als bereits Erfundenes so anzuwenden, dass dabei Wohnungen herauskommen, die ihren Nutzern Freude machen, städtebaulich sorgsam konzipiert sind sowie ökonomisch und ökologisch auf aktuellem Stand sind. - Im geförderten Wohnbau trotz aller Jubelmeldungen über das hohe Niveau im österreichischen Wohnbau längst noch nicht überall selbstverständlich. [*]

[ Zum Lokalaugenschein lädt „Orte“ am 11. November um 14 Uhr ]

Spectrum, So., 2006.11.05



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage Langenloiserberg

10. September 2006Franziska Leeb
Spectrum

Weiß, pur, klar

Rom jubelt, Rom schimpft. Zwei Bauten Richard Meiers: eine Kirche, die weiß ist und weiß bleibt, und ein Museum, das ein Monument einhüllt - und manche an eine Tankstelle oder eine Kläranlage erinnert.

Rom jubelt, Rom schimpft. Zwei Bauten Richard Meiers: eine Kirche, die weiß ist und weiß bleibt, und ein Museum, das ein Monument einhüllt - und manche an eine Tankstelle oder eine Kläranlage erinnert.

Ein jüdischer Architekt hat den Wettbewerb für den Neubau einer Kirche in Rom gewonnen", vermeldete Radio Vatikan vor zehn Jahren. Es ging nicht um irgendeine Kirche, sondern um die „Jubiläumskirche“ für das Heilige Jahr 2000. Fertiggestellt wurde sie erst drei Jahre später. Und jetzt, wo die Jubelhymnen des internationalen Architekturfeuilletons über den spektakulären Sakralbau verstummt sind, der Ansturm der Architekturtouristen sich gemäßigt hat und das effektvoll publizierbare Gotteshaus sich im Alltag bewähren muss, kann mit Fug und Recht behauptet werden, dass es nicht unbedingt einen guten Katholiken als Architekten braucht, um hochklassige, spirituelle Kirchenarchitektur zu planen. Richard Meier - bekannt für seine ausgeprägte architektonische Handschrift und die stets weißen Bauten - gewann den Wettbewerb gegen seine renommierten Kollegen Frank Gehry, Günther Behnisch, Santiago Calatrava, Peter Eisenman und Tadao Ando. Fast zeitgleich beauftragte der damalige römische Bürgermeister und jetzige Kulturminister Francesco Rutelli den New Yorker Pritzker-Preisträger direkt mit der Planung einer neuen, heuer fertiggestellten Einhausung der Ara Pacis im historischen Zentrum und sorgte damit für eine hitzige Architekturdebatte. Doch davon später.

Den Akzent des schwarzen Priesters, der im August den Pfarrer vertritt, versteht die rüstige Pensionistin nicht recht und zieht deshalb ein Schwätzchen auf dem Kirchenvorplatz der Predigt vor. Aber auf die neue weiße Kirche ist sie ebenso wie die anderen Gemeindemitglieder sichtlich stolz.

Wie ein Schiff mit drei riesigen, vom Wind geblähten Segeln steht der strahlend weiße Bau inmitten des Wohnviertels Tor Tre Teste am östlichen Stadtrand von Rom. Auf den ersten Blick ist er ein Fremdkörper zwischen den hohen Wohnblocks. Eine weitläufige, mit Travertin gepflasterte Piazza liefert dem glamourösen Schiff einen adäquaten Ankerplatz. Mauern umgeben den schlichten, unmöblierten Platz. Die profane Umgebung ist weitgehend ausgeblendet. Die Vermutung, es sei Überheblichkeit und Effekthascherei bei der Konzeption dieses katholischen Prestigebaus im Arbeiterviertel zugange gewesen, zerschlägt sich vor Ort sofort. Kirche und Platz sind ein Hort der Ruhe und eine städtebauliche Mitte in einer disparaten Umgebung. Schnell erschließt sich das Gebäude, das trotz der eigenwilligen Form durchaus klassischen Kirchenkonzeptionen mit Hauptschiff, Seitenschiffen und Glockenturm entspricht. Viel Tageslicht - und im August auch die Sommerhitze - erfüllen den Kirchenraum durch die verglasten Dächer, die zwischen die weißen Betonscheiben gespannt sind. Innovative Technologie soll das Weiß der Kirche „Dives in Misericordia“ langfristig erhalten.

Mehl aus Carraramarmor macht die Betonfertigteile strahlend weiß, und beigemengte Partikel aus Titanoxid - das Ganze nennt sich fotokatalytischer Zement - sorgen dafür, dass organische Schmutzpartikel durch Sonneneinstrahlung abgebaut werden.

Neben der lichtdurchfluteten Kirche beinhaltet der Komplex ein viergeschoßiges Gemeindezentrum, das im Norden an den hohen Kirchenraum anschließt. Es ist erstaunlich, wie pur sich das Innere auch nach einigen Jahren Gebrauch präsentiert. Keine Spur von Gummibäumen und Teppichen, mit denen in modernen Kirchen oft hilflos wirkende Versuche zur Vergemütlichung eines kargen Raumes unternommen werden. Meier gelang trotz der Klarheit und Absenz von Farbe ein Raum von hoher Spiritualität, der selbst ohne Hintergrundwissen zum Symbolgehalt sich den Besuchern und Gläubigen zu erschließen vermag. So richtig überzogen wirken eigentlich nur die von Bulgari für die Kirche hergestellten liturgischen Gegenstände aus Silber, die wie in einem Juwelierladen präsentiert werden.

Wenig schmeichelhaft hingegen sind die Attribute, die Meiers zweitem Bau in Rom zugedacht wurden: Tankstelle oder gar Kläranlage nennen die Römer die neue Einhausung der Ara Pacis. Der ursprünglich an der Via Flaminia, der heutigen Via del Corso, situierte Altar wurde unter Mussolini zum 2000. Geburtstag des als Vorbild gut tauglichen Imperators Augustus an einer im Stadtbild wirkungsvolleren Stelle als dem Fundort, zwischen Augustus-Mausoleum und dem heute stark vom Verkehr frequentierten Lungotevere wiederhergestellt. Überbaut wurde er nach Plänen des Architekten Vittorio Ballio Mopurgo (1890 bis 1966) mit einem für damalige Verhältnisse ungewöhnlich großzügig verglasten tempelartigen Pavillon.

Da der alte Schutzbau angeblich die Konservierung des zur Erinnerung an die Pax Augusta und zur Huldigung des Kaisers im Jahr neun vor Christus eingeweihten Altares mit seinen kostbaren Reliefs nicht mehr gewährleistete, beschloss Bürgermeister Rutelli den Abriss und bestellte bei Richard Meier einen räumlich umfassenderen Neubau für ein Ara-Pacis-Museum, der zwangsläufig größer als der Vorgängerbau werden musste. Die Römer standen dem Vorhaben von Anfang an skeptisch gegenüber, forderten gar den Abriss, und selbst nach der unter Polizeischutz vorgenommenen Eröffnung am 21. April, dem Jahrestag der Gründung Roms, haben sich die Wogen der Entrüstung nicht geglättet. Zu massiv sei der Bau, er gebe nach außen hin zu wenig vom Altar preis, und es wurde „in architektonischer, archäologischer und historisch-städtebaulicher Hinsicht mit dem Neubau der Bezug zum Kontext radikal verfehlt“, wie es einer der vehementesten Gegner, der Architekt Giorgio Muratore (bauwelt, Juni 2006), formuliert, dem eine unspektakuläre Sanierung des Bestandes lieber gewesen wäre.

Mehrmals musste Meier den Entwurf überarbeiten und zum Beispiel die zum Lungotevere hin abschirmende Natursteinwand verkleinern. Und obwohl die in den harten Kontroversen vorgebrachten Argumente der Gegner nicht ganz nachvollziehbar sind, wünschte man sich heute doch, das Projekt wäre mit weniger Sturheit seitens der römischen Stadtregierung durchgeboxt worden. Im Vergleich zur Kirche am Stadtrand ist das Ara-Pacis-Museum in architektonischer Hinsicht wenig aufregend. Es erfüllt die Funktion, dem antiken Bauwerk eine bestens klimatisierte Hülle und den Besucherscharen eine höchst angenehme Besichtigung zu gewährleisten - viel mehr aber nicht.

Jener Zeitgenosse, der auf der Abbildung am Bauzaun das Gebäude mit einem „Ikea“-Logo versah, hat den Nagel auf den Kopf getroffen. Ordentliches Design, gut brauchbar, aber für die ganze große Klasse reichte es halt nicht.

Spectrum, So., 2006.09.10



verknüpfte Bauwerke
Augustus-Museum
Chiesa del Giubileo

16. Juli 2006Franziska Leeb
Spectrum

Und woraus sind die Ziegel?

Wie plant man einen Tunnel? Wie baut man eine Moschee, einen Staudamm, einen Wolkenkratzer? Architektur-bücher für Kinder geben Antworten auf Fragen, die auch Erwachsene ratlos machen.

Wie plant man einen Tunnel? Wie baut man eine Moschee, einen Staudamm, einen Wolkenkratzer? Architektur-bücher für Kinder geben Antworten auf Fragen, die auch Erwachsene ratlos machen.

Wenn das Urlaubsprogramm nicht nur Sandburgen-Bauen und Freizeitpark-Besuche vorsieht, sondern die Altvorderen sich zur Kulturbeflissenheit verpflichtet fühlen, kommt vielen Kindern das Gähnen. Baustile, Architektennamen, Jahreszahlen und historische Anekdötchen, von routinierten Fremdenführern heruntergerasselt, sind für Kinder fad, und die Begeisterung für Räume, Konstruktionen und das Entstehen von Bauten und Städten hält sich deshalb in Grenzen. Legoland ist unterhaltsamer, und Architektur en miniature gibt es dort ja auch.

Doch dieselbe Wissbegierde und Leidenschaft, die alle Kinder dank hervorragender Vermittlungsprogramme in den Zoos, zahlreicher Fernsehdokumentationen und nicht zuletzt Büchern für Tiere jeglicher Art entwickeln können, legen sie auch für Architektur an den Tag - wenn sie ihnen entsprechend dargeboten wird.

Besonders für die Kleinsten und die Vorschulkinder, die ja bekanntlich die meisten Fragen stellen, ist die Auswahl extrem dünn. Gut, Bilderbücher à la „Wie gehen auf die Baustelle“ oder „Unsere kleine Stadt“ gibt es in Hülle und Fülle. Aber sie widmen Baugruben und diversem Baugerät mehr Platz als den Häusern, die darin und damit gebaut werden, und bereiten das Verkehrsgeschehen interessanter auf als die gebauten Strukturen der Stadt.

Klar, Architektur ist ein komplexes Thema, aber warum so wenig Autoren und Verlage Spannendes darüber zu erzählen wagen, ist nicht ganz nachvollziehbar. So gut wie alle Kinderbücher, die unter dem Schlagwort „Architektur“ in den Verlagsprogrammen auffindbar sind, richten sich an Kinder ab acht. Da aber Kinder nicht acht Jahre lang von der Baukunst und von baukulturellen Sündenfällen ferngehalten werden können und sich bereits Zweijährige gotischen Domen, gläsernen Hochhäusern und gewagten Brückenkonstruktionen mit der gleichen Neugierde nähern wie dem Fassadenschaden nebenan, ist es jammerschade, zur unterstützenden Erklärung nichts Gedrucktes parat zu haben. Es ist keine Schande, wenn die Mutter der Dreijährigen nicht gleich erklären kann, wie der Brückenpfeiler ins Wasser kommt, warum ein Wolkenkratzer nicht abbricht und wie die Steine im Gewölbe halten. Die Bücher zur Architektur für Schulkinder und Jugendliche sind deshalb auch für alle Eltern eine nützliche Fundgrube für Erklärendes zu den großen Frage der Architektur und Ingenieursbaukunst.

An Kinder „ab acht Jahren und alle an Architektur Interessierten“ richtet auch der bekannteste Autor in Sachen Baukunst für Kinder, der Amerikaner Dacid Macauley, seine Geschichte über den Bau einer Moschee. Die Baugeschichte des im Auftrag eines Admiral Suha Mehmet Pascha und unter Leitung des Hofarchitekten Akif Aga errichteten Gebäudes ist frei erfunden. Unterstütz durch exzellente Zeichnungen, gelingt es dem studierten, aber nie praktizierenden Architekten Macauley, fundiertes Wissen über das inhaltliche Programm einer Moschee ebenso weiterzugeben, wie die Konstruktion von Kuppel oder die Herstellung von Ziegeln zu erklären. Die Baukultur der Christen erläuterte Macauley bereits in „Sie bauten eine Kathedrale“. Ob die Reise also ins Abendland oder ins Morgenland geht, beide Bücher liefern auf hohem Niveau Wissen über Bauten, die „auch jene beeindrucken und anrühren, die nicht den Glauben derer teilen, die sie errichteten“, heißt es im Vorwort.

David Macauley: Sie bauten eine Moschee. Aus dem Amerikanischen von Cornelia Panzacchi (96 S., geb., € 20,50; Gerstenberg Verlag, Hildesheim).

Baugeschichten erzählt der gleiche Autor in seinem „Großen Buch der Bautechnik“. Hier wird nicht fabuliert, sondern es werden die Planungsprobleme und Konstruktionen berühmter Brücken, Tunnel, Kuppelbauten, Wolkenkratzer und sogar Staudämme so erklärt, dass kaum Fragen offen bleiben.

Großartig sind die Zeichnungen, die zum Beispiel anhand des New Yorker Citigroup Centers erklären, wie ein „asynchroner Massedämpfer“ funktioniert. Die Texte sind sachlich und wohl nur für fortgeschrittenere Architekturfreaks zum Selberlesen geeignet. Aber selbst in Baudingen vermeintlich sattelfeste Eltern können hier noch etwas dazulernen.

David Macauley: Macauley's Großes Buch der Bautechnik. Aus dem Amerikanischen von Werner Leonhard. (192 S., geb., € 30,80; Gerstenberg Verlag, Hildesheim).

Die Geschichte von Joe Carbonelli, der als Waterboy die am Bau des Empire State Buildings arbeitenden Handwerker mit Trinkwasser labte, ist mit zusätzlichen Erklärungen auch schon für jüngere Kinder als das angepeilte Zielpublikum ab acht Jahren spannend zu hören. Zur Illustration wurden auch Fotografien von Lewis Hine herangezogen, dessen 1932 unter „Men at Work“ veröffentlichte Aufnahmen bis heute berührende Dokumente über die Arbeitsbedingungen von Bauarbeitern im Spannungsfeld zwischen Ausbeutung und Heldentum sind. Da der Verlag seine Reihe „Abenteuer Architektur“ bedauerlicherweise eingestellt hat, ist das Buch nur antiquarisch erhältlich.

Dietrich Neumann: Joe und der Wolkenkratzer - Das Empire State Building in New York (28 S., geb., ca. € 7; Prestel Verlag, München).

Großen Bauwerken und wie sie geplant, konstruiert und organisiert sind widmet sich der üppig bebilderte Band „Kühne Konstruktionen“. Detailreiche Einblicke in technisch aufwendige Bauwerke vom Atomkraftwerk zum Theater werden geboten, und man erfährt sogar, wie die Toiletten in das Hochhaus der Bank of Hongkong eingebaut wurden. Wer die jeweiligen Architekten sind, erfährt man leider nur nebenbei oder gar nicht, und der geniale Architekt und Ingenieur Ove Arup mutiert gar zu „Ove Astrup“.

Kühne Konstruktionen. Aus dem Englischen von Elisabeth Erpf (44 S., geb., € 13,30; Gerstenberg Verlag, Hildesheim).

Nicht der Konstruktion, sondern dem Wesen von Gebäuden widmet sich das herzerwärmende Buch „Pinsel, Paula und die plaudernden Häuser“, verfasst von drei Wiener Architekturstudenten. Architektur wird nicht beschrieben, sondern kommt - nur für den Jungen namens Pinsel hörbar - selbst zu Wort. Während die Secession mit der Kunsthalle Eifersüchteleien austrägt, die Hofburg mit dem Looshaus über Dekor streitet, der Stephansdom seine Verbundenheit mit dem Messeturm kundtut oder die alten und neuen Museen ein Plädoyer für Vielfalt und gegenseitigen Respekt halten, lernen die Kinder Pinsel und Paula viel über sich selbst. Kindersorgen finden ihre Entsprechung in den Befindlichkeiten der Gebäude, und nebenbei erfährt das junge Publikum, was unter Symmetrie zu verstehen ist und worin die Errungenschaften des sozialen Wohnbaus liegen.

Sophie Hochhäusl, James Skone, Alex Mayer: Pinsel, Paula und die plaudernden Häuser

Spectrum, So., 2006.07.16



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Pinsel, Paula und die plaudernden Häuser

03. Juni 2006Franziska Leeb
Spectrum

Zu Fuß, per Bus, im Floß

Der Mega-Event, flächendeckend, das ganze Land zwei Tage lang im Zeichen der Architektur: Architekturtage 2006. Wer braucht sie? Was bringen sie?

Der Mega-Event, flächendeckend, das ganze Land zwei Tage lang im Zeichen der Architektur: Architekturtage 2006. Wer braucht sie? Was bringen sie?

Performances und Filme, Touren zu Fuß, per Bus oder mit dem Floß, Workshops und Diskussio nen, offene Ateliers und Besuche an „geheimen Orten“ locken am 9. und 10. Juni das Architektur-affine Publikum. Bereits zum dritten Mal findet die größte Architekturveranstaltung Österreichs statt, die man getrost einen „Mega-Event“ nennen kann. Zwei Tage lang steht das ganze Land im Zeichen der Architektur. Alle regionalen Architekturhäuser tragen die von der Kammer der Architekten und Ingenieurkonsulenten und der Architekturstiftung Österreich gestartete Initiative mit und zeichnen für die Programme in den Bundesländern verantwortlich.

Wer braucht die Architekturtage? Architektur ist in den Medien schließlich präsent wie nie zuvor. Kaum eine Tageszeitung oder Wochenpostille, die nicht regelmäßige Sonderstrecken über bemerkenswerte Werke der Baukunst und ihre Schöpfer und Schöpferinnen zeigt. Für TV-Werbespots scheuen sich selbst konservative Firmen nicht mehr davor, zeitgemäße Baukunst als Handlungsort zu wählen. Banken loben Architekturpreise aus, Flachdächer sind nicht mehr automatisch Grund zur Erregung. Die Medienwelt suggeriert, gute Gestaltung sei Teil des gesellschaftlichen Konsens und modernes Bauen eine Selbstverständlichkeit. Im richtigen Leben schaut es anders aus. Egal, ob man sich durch Fußgängerzonen oder krebsgeschwürartig wuchernde Gewerbegebiete bewegt, schon auf lärmschutzwandbegrenzten Autobahnen oder erst in den Raststationen Magenkrämpfe bekommt: Die Scheußlichkeiten sind in der Mehrzahl.

Um qualitätsbewusste Bauherren heranzuziehen, braucht es mehr als bunte Berichterstattung. Zwar stünde die Architektur auf dem Lehrplan für bildnerische Erziehung, wie sie diese aber an ihre Schüler vermitteln sollen, überfordert die meisten Lehrer. Es sind vor allem die Architekturhäuser, die als einzige unabhängige Institutionen auf hohem, aber verständlichem Niveau jene Bildungslücken zu stopfen versuchen, wo die Schulen versagen und sogenannte Bauberatungen diverser Behörden unzulänglich sind. Es geht nicht darum, aus Kindern kleine Architekten zu machen, und ein Haus wird nicht besser, wenn aus einem fünfeckigen Erker ein viereckiger wird. Es geht darum, die Menschen als kritische und mündige Nutzer des öffentlichen und privaten Raumes zu sensibilisieren.

„Bei den Architekturtagen kann man ohne Zugangsschwellen am eigenen Leib erfahren, wie qualitätsvolle Architektur auch im Alltag das Leben bereichern kann“, so Barbara Feller, Geschäftsführerin der Architekturstiftung. Genau diese Alltagsbauten stehen im Fokus des Programms, das vom Haus der Architektur Graz zusammengestellt wurde: Fünf Ausflüge führen zum „Außergewöhnlichen im Gewöhnlichen“. Luxusvillen und Repräsentationsbauten kommen dabei nicht vor. Workshops und Exkursionen für Kinder und Jugendliche sollen das Bewusstsein für architektonische Themen schärfen.

Weiter südlich konzentriert man sich auf die Präsentation des Kärntner Architekturführers. Der Autor Otto Kapfinger führt persönlich durch Klagenfurt und Oberkärnten. Ein Workshop zur Tourismusarchitektur in Velden, eine Architekturfahrt mit Preisrätsel in und um Völkermarkt und eine Entdeckungsreise für Schüler in Wolfsberg laden zur Auseinandersetzung mit der eigenen Region ein.

An „Infopoints für Architektur“ können in Innsbruck und Lienz potenzielle Bauherren Kontakte zu Architekten und Architektinnen knüpfen. Eine Floßfahrt auf dem Inn eröffnet ebenso neue Stadtperspektiven wie ein Spaziergang zu vergessenen Bauten in der Innsbrucker Innenstadt. Im Tiroler Architekturhaus aut dürfen Kinder Raumexperimente anstellen, und das Leokino gibt mit Jacques Tatis „Playtime“ - einer wundervolle Satire auf die moderne Stadt - Anlass zum Lachen und Nachdenken.

In Vorarlberg, wo die Pflege der Baukultur Tradition hat, wird das Architekturerlebnis mit Performances gesteigert: Alphörner auf dem Dach des Grenzüberganges Tisis/ Schan (aix architects) oder Theater bei der Frödischbrücke (Architekten Marte.Marte) sind nur zwei der Stationen auf einer Reise durch Raum und Sinne. Das zukünftige Haus des Vorarlberger Architekturinstituts, die Alte Naturschau in Dornbirn, wird zu den Architekturtagen bereits vorab von Architekten und Künstlern bespielt.

Auch in Salzburg sucht die Architektur den Dialog mit anderen Künsten. Die „Liturgie vom Bauen“, die der Künstler Otto Beck und Architekt Max Rieder gemeinsam mit Schülern und Schülerinnen des Akademischen Gymnasiums erarbeitet haben, leitet die Architekturtage ein. Mehrere Führungen wenden sich an das an historischen und urbanistischen Zusammenhängen interessierte Publikum und beim „Interaktiven Familienprogramm“ dürfen auch die Jüngsten mitmachen. Und wer die Hauptstadt schon kennt, fährt nach Hallein und Saalfelden.

Mit Touren und Veranstaltungen im ganzen Bundesland sowie einem Architekturhappening in Steyr und dem Architekturfrühling in Haslach an der Mühl wartet das vielfältige Programm in Oberösterreich auf. Zum Ausspannen lädt das Architekturforum in seine Räumlichkeiten, wo sich „ArchitektInnen zum Anfassen“ auf ein interessiertes Publikum freuen.

Topografisch breit gestreut ist auch das Programm, das Niederösterreichs Architekturnetzwerk ORTE zusammengestellt hat: Das Waldviertel, St. Pölten und Schwechat werden bereist, in Krems wird gefeiert. Ein besonderes Schmankerl ist die Architekturfilmnacht im Autokino Großenzersdorf, das heute das einzige seiner Art in Österreich ist. In Waidhofen/Ybbs leitet Architekt Ernst Beneder einen Rundgang zu eigenen und anderen Projekten. Das junge Publikum erlebt die Stadt bei einer speziell konzipierten Führung und schafft mit einem Architekturbaukasten selbst Räume.

Der Architekturraum Burgenland lädt Kinder ein, selbst Architekt zu spielen und führt eine Exkursion zu aktuellen Bauten und geheimen Orten im Mittelburgenland und Ungarn.

Die Österreichische Gesellschaft für Architektur und das Architekturzentrum Wien (AzW) steuern gemeinsam mit dem Slowakischen Architektenverein das dickste Programmheft bei. Grätzelweise werden Touren zu neuen Bauten und Architekturateliers angeboten. In der Partnerstadt Pressburg gibt es Gelegenheit, das aktuelle Bauschaffen der Nachbarn in Augenschein zu nehmen. Das AzW hält die Türen bei freiem Eintritt offen. Zugleich beherbergt es ein Treffen des Europäische Forums für Architekturpolitik, Fachleuten aus 28 Ländern, deren Ziel bessere Rahmenbedingungen für Baukultur ist. Der Auftakt für die Architekturtage wird daher mit dem Architektur.Fest.Europa am 8. Juni ab 19 Uhr ein internationaler sein.

Die hiesige Szene zeigt sich stark wie nie zuvor. Dennoch mangelt es an Wertschätzung und adäquater Förderung durch die öffentliche Hand. Vor der Nationalratswahl 2002 schlossen sich daher die wesentlichen Architekturorganisationen, Standesvertretungen und Architekturhochschulen zur „Plattform für Architektur und Baukultur“ zusammen, um den Dialog mit den politischen Entscheidungsträgern zu beleben. Auch Letztere hätten zu den Architekturtagen Gelegenheit, sich unters baukulturell bewegte Volk zu mischen und bei einem der Feste locker darüber zu sinnieren, ob sich die Forderung der Plattform nach einem Staatssekretariat für Baukultur nicht ins kommende Wahlprogramm übernehmen ließe.

Die Architekturtage finden am 9. und 10. Juni statt. Nähere Informationen unter www.architekturtage.at

Spectrum, Sa., 2006.06.03

13. Mai 2006Franziska Leeb
Spectrum

Warten, worauf?

Wie plant man eine alte Stadt neu? Man nehme: drei Stararchitekten, Ideen, eine Studie, einen Plan. Was jetzt noch fehlt, ist der Mut zur Entscheidung. Über den Versuch, die Eisenstadt Steyr zu beleben.

Wie plant man eine alte Stadt neu? Man nehme: drei Stararchitekten, Ideen, eine Studie, einen Plan. Was jetzt noch fehlt, ist der Mut zur Entscheidung. Über den Versuch, die Eisenstadt Steyr zu beleben.

Groß war die Euphorie der Stadtväter, als in der Eisenstadt Steyr im Juli 2003 die Ergebnisse einer städtebaulichen Studie der besonderen Art präsentiert wurden. Mit Günther Domenig, Zaha Hadid und Luigi Snozzi waren drei Baukünstler von Rang geladen gewesen, um Gestaltungsvorschläge für das Areal um den Brückenkopf am Schiffmeisterplatz zu erarbeiten. Auslöser war das Umbaubegehren eines Sportartikelhändlers, der sein Stammhaus erweitern wollte. Der Gestaltungsbeirat pochte auf eine der Qualität des Stadtzentrums adäquate Lösung und nahm das Projekt zum Anlass, das städtebaulich problematische Umfeld an einer Schlüsselstelle der Stadt von Grund auf zu behandeln. „Weltklassearchitekten“ wollte man bemühen, und die drei angesprochenen Stars ließen sich nicht lange bitten. Sieger ging aus dem Verfahren keiner hervor. Der Gestaltungsbeirat empfahl der Stadt vielmehr, von jedem das Beste zu nehmen. Snozzi solle mit der Bearbeitung der Uferterrassen und einer Aufstiegshilfe zur Ennsleite beauftragt werden, Hadid eine Machbarkeitsstudie für ein als notwendig erachtetes Hotel erstellen, und Domenig wurde den Sporthausbetreibern als Architekt nahe gelegt.

Drei Jahre später ist von all dem nichts passiert. Das Zentrum und sein als Ensemble einzigartiger Stadtplatz leiden nach wie vor unter Verkehrsüberlastung, und immer häufiger stehen Ladenlokale leer. Sowohl zu Fuß als auch motorisiert ist die Anbindung des Altstadtkerns an die umliegenden Stadtteile, topografisch bedingt, nicht ganz einfach zu bewerkstelligen.

Dennoch ist seit dem Auftritt der drei Architekturkoryphäen etwas geschehen. In einem Bürgerbeteiligungs-Verfahren wurden Stärken und Schwächen des Stadtplatzes analysiert. Zur Erstellung eines städtebaulichen Leitbildes holte man sich Architekt Ernst Beneder. Dieser ist als ehemaliges Mitglied des Steyrer Gestaltungsbeirats mit der Stadt vertraut und seit seinem Stadtprojekt für Waidhofen an der Ybbs (1992 bis 2001) im Umgang mit historischen Stadtkernen und dabei auftretenden Interessenkonflikten geübt.

Beneder behandelte nicht nur den Platz an sich, sondern prüfte auch die übergeordneten stadträumlichen Bezüge. Sein „SteyrPlan“ geht vom Widerspruch zwischen der Einmaligkeit des Ortes und der unbewältigten Verkehrsproblematik, die diesen Lebensraum für viele Bewohner so schwer erfahrbar macht, aus. Steyr beeindrucke über die szenische Bildhaftigkeit der historischen Substanz hinaus als glaubwürdiger Lebensraum, ist Beneder überzeugt. Die Durchdringung von Stadt- und Naturraum, Arbeitswelt und Freizeit habe sensationelle, selten anzutreffende Qualitäten. Trotz einer Entfernung von nur 500 Meter Luftlinie sind aber für außerhalb der Altstadt lebende Bewohner die Einkaufszentren an der Peripherie leichter erreichbar als die Innenstadt.

Beneder zog also in seinen planerischen Überlegungen einen Kreis von 500 Metern Radius um das Zentrum und veranschaulicht damit, innerhalb welch kurzer Distanzen wesentliche Elemente der Stadt situiert sind. Um den Weg zur Altstadt nicht als unattraktiven Zwischenraum und verlorene Zeit zu erleben, schlägt er vor, die Verbindungswege als „Qualitätskorridore“ auszubilden. Unwegsamkeiten sollen entschärft werden, zum Beispiel mittels Aufstiegshilfen. Zudem könnte die überfällige Neuplanung des zentrumsnahen Bahnhofsareals Hand in Hand mit der Schaffung von neuen Wohnungen gehen, was Beneder generell als wichtigen Frequenzbringer zur Belebung der Innenstadt sieht. Im Klartext: Der motorisierte Individualverkehr sinkt, und die Belebung steigt, je mehr Menschen fußläufig bequem die Altstadt erreichen können.

Fokus des Plans ist der Stadtplatz. Seine Enden sind Nadelöhre und nicht für exzessiven Verkehr ausgelegt. Beneders Konzept zielt darauf ab, den Charakter eines freien Platzes wiederherzustellen. Außerhalb gelegene Parkplätze sollen fußgängerfreundlich angeschlossen, Parkmöglichkeiten auf dem Platz auf ein Minimum reduziert, und der öffentliche Verkehr soll mit einem kleinen Shuttlebus anstatt des behäbigen Linienbusses optimiert werden. Infrastruktureinbauten für den Markt und eine mobile Bühnentechnik vor dem Rathaus rüsten den Platz für Veranstaltungen. Die Aufstellung der Marktstände soll, an den beiden Engstellen beginnend, ins Platzzentrum leiten. Kurzum, der Platz soll als Aktivitätsfeld wiedergewonnen werden. Klar, dass damit weniger Platz für die Autos ist.

Dass etwas geschehen muss, scheint allen bewusst zu sein. Bürgermeister David Forstenlechner hebt zwar den breiten politischen Konsens für den SteyrPlan hervor und betont, dass alle zukünftigen Planungen und Baumaßnahmen auf Basis dieses Leitprojekts entstehen sollen. Ernsthaft in Angriff genommen oder beschlossen wurde einstweilen noch nichts. Noch scheint der Leidensdruck zu gering zu sein. Der Stadt geht es gut, sie bietet Lebensqualität, und es scheint, als würde man auf Großinvestoren warten, um, ausgehend von einem einzelnen Projekt, das Umfeld zu verbessern. Politisch heikel sind natürlich auch jene Bürgerstimmen, die sich vehement gegen einen „autofreien Stadtplatz“ wehren, da Frequenz- verluste für die ansässigen Geschäftsleute befürchtet werden. Beneder indes bezweifelt, dass die bereits jetzt schon raren Parkplätze tatsächlich zur Belebung beitragen.

Während Beneder den öffentlichen Raum im Zusammenhang betrachtet, erarbeitet Architekt Hermann Proyer seit drei Jahren gemeinsam mit Fachleuten und der Hausbesitzerin ein von der EU-gefördertes Konzept für einen internen Markt. Das Haus Grünmarkt 17, vordem als Modehaus genutzt, verfügt über rund 600 Quadratmeter Geschäftsfläche. Hier soll, so der Wunsch der Initiatoren, ein großer Umschlagplatz für biologische Waren aller Art - bespielt von Produzenten aus der Region - entstehen und ebenfalls als Attraktor für den Stadtplatz wirken.

Domenig, Hadid und Snozzi bewiesen, dass Gegenwartsarchitektur auf hohem Niveau durchaus mit einem historischen Stadtgefüge kompatibel ist. Auch die jetzt als so harmonisch empfundene Altstadt ist das Ergebnis einer jahrhundertelangen Bautätigkeit. Beneder lieferte eine brauchbare Analyse der Probleme samt Perspektiven für die Zukunft. Die Vorarbeiten für eine zeitgemäße Aufrüstung sind gemacht. Fehlt nur noch der Mut zur Entscheidung, die Stadt auf hohem Niveau weiterzubauen. Fähige Architekten und Architektinnen wären vorhanden.

Spectrum, Sa., 2006.05.13

25. März 2006Franziska Leeb
zuschnitt

Grau und schlau

In einer ganz normalen Großstadtgegend verbindet der Erdberger Steg den dritten mit dem zweiten Bezirk und schafft zwischen Rotunden- und Stadionbrücke...

In einer ganz normalen Großstadtgegend verbindet der Erdberger Steg den dritten mit dem zweiten Bezirk und schafft zwischen Rotunden- und Stadionbrücke...

In einer ganz normalen Großstadtgegend verbindet der Erdberger Steg den dritten mit dem zweiten Bezirk und schafft zwischen Rotunden- und Stadionbrücke für Fußgänger und Radfahrer eine Verbindung vom Grau der Stadt ins Grün des Praters. Auf der einen Seite dominiert die Nachbarschaft der architektonisch nichtssagende Komplex der Siemens Firmengebäude, am anderen Ufer erstreckt sich zwei Gründerzeitblöcke hinter der Schüttelstraße die Jesuitenwiese. Hier sind weder besonders laute Gesten nötig, noch drängen sich besondere städtebauliche Spezifika als Bezugspunkte auf.

In diesem Umfeld eine angemessene Gestaltungssprache zu finden, ist oft schwieriger, als an neuralgischen Punkten aufsehenerregende Akzente zu setzen. Als wäre er immer schon da gewesen, legt sich der Steg über den Kanal. Nur das mittlere Stützenpaar des in Brettschichtholzkonstruktion ausgeführten W-förmigen Tragwerks ragt in Fahrbahnmitte in die Höhe. Das Lärchenholztragwerk verbindet sich mit den Nebenträgern der Fahrbahnplatte, diversen Abhängungen und Verbindungen, Geländern und Masten aus Stahl sowie Fundamenten und Widerlagern aus Beton zu einer intelligenten Mischbauweise.

Um eine dem städtischen Umfeld entsprechende Wirkung zu erzielen, entschied sich Architekt Johannes Zeininger für ein Farbkonzept, das darauf abzielt, die Brücke möglichst »immateriell« und daher monochrom grau erscheinen zu lassen. Monochromie klingt einfach, erforderte aber doch Überlegungen und einigen Forschungsaufwand, um eine Holzlasur zu finden, die erstens dem Farbton der übrigen eingesetzten Materialien möglichst nahe kommt und zudem die natürliche Vergrauung des Holzes vorwegnimmt.

Günstig traf es sich, dass die Holzforschung Austria zeitgleich am Forschungsprojekt greywood arbeitete, sodass der Erdberger Steg zu einem Pilotprojekt avancierte. Die Holzwerkstoffe erhielten eine hellgraue Dünnschichtlasur, die eine »abkreidende« Eigenschaft hat, d.h. deren Beschichtungsstärke sich bei Bewitterung abbaut. Allmählich wird die Holzoberfläche freigelegt, an der sodann der bekannte Alterungsprozess mit dem Endresultat der typisch silbergrauen Lärchenholzoberfläche beginnen kann. Abgesehen von der ohnedies vorgeschriebenen vorbeugenden Ausrüstung bewitterter Flächen mit chemischem Holzschutz, hat diese mit fein abgestimmten Farbpigmenten versehene Lasur also im Wesentlichen den Sinn, die vor allem im urbanen Gebiet ungeliebte, meist etwas unregelmäßig wüst erscheinende Abwitterung optisch zu kaschieren. Heute, etwas mehr als zwei Jahre nach Fertigstellung scheint die Strategie ganz gut gelungen zu sein.

Auf »zeitgemäße, unsentimentale und professionelle Weise« kam das Holz beim Erdberger Steg zum Einsatz, würdigte die Jury des Wiener Holzbaupreises das Projekt und traf damit die Verdienste der Planer punktgenau. Das »Professionelle« bezieht sich in erster Linie auf die penible Ausführung des konstruktiven Holzschutzes, der bekannterweise das Um und Auf einer dauerhaften Holzkonstruktion ist. Statt einer Verblechung erhielten die konstruktiven Holzteile eine Abdeckung mit wasserfest verleimten, ebenfalls grau lasierten Schichtholzplatten und verblechten Fugen zur Ableitung des Wassers.

Es ist also nicht die theatralische Inszenierung, in die hier die Energie der Planer floss, sondern die sorgfältige ingenieurmäßige und werkstoffgerechte Detaillierung. Somit wurde daraus ein Beispiel dafür, dass es zwischen öder Banalität und Überinszenierung auch einen Mittelweg gibt, der hier mit Know-how, konsequenter Pragmatik und gestalterischer Sensibilität verfolgt wurde.

zuschnitt, Sa., 2006.03.25



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18. März 2006Franziska Leeb
Spectrum

Urban, suburban, Europan

Europäische Urbanität war das Thema des achten „Europan“-Wettbewerbs. Mit Projekten wie „Shopping-Schaum“, „Loop“, „Mostropolis“ oder „suburban block“ gingen österreichische Gemeinden ins Rennen. Einige preisgekrönt.

Europäische Urbanität war das Thema des achten „Europan“-Wettbewerbs. Mit Projekten wie „Shopping-Schaum“, „Loop“, „Mostropolis“ oder „suburban block“ gingen österreichische Gemeinden ins Rennen. Einige preisgekrönt.

„Das Interesse der Gemeinden, sich an Europan zu beteiligen, war noch nie so groß wie heute“, freut sich Bernd Vlay, Generalsekretär von Europan Österreich. „European urbanity, Strategien und Lösungen für die europäische Stadt“ lautete das Thema der achten Ausgabe der größten europäischen Wettbewerbsinitiative im Bereich Wohn- und Städtebau. Fünf österreichische Gemeinden brachten Gebiete ein, für die es weiterführende Lösungen zu finden galt. 75 Standorte in 19 Ländern waren es insgesamt. Architekten und Architektinnen unter 40 sind teilnahmeberechtigt. Die Sieger stehen nun europaweit fest. Ab 7. April werden die österreichischen und ungarischen Beiträge in der Alten Seifenfabrik in Lauterach präsentiert.

Manchmal gern als Spielwiese für unerfahrene Berufanfänger abgetan, sind die im Zwei-Jahres-Rhythmus ausgelobten Europan-Wettbewerbe längst zu einem anerkannten Verfahren mit beachtlicher Erfolgsquote geworden. Auch wenn in der Pragmatik des Alltags manch erfrischender Ansatz ordentliche Dämpfer erhält und es oft viele Jahre dauert, bis Projekte umgesetzt werden - was die Intensität der Vorbereitung, die Transparenz der Beurteilung und die Bemühungen um Nachbetreuung und Evaluierung angeht, ist Europan vorbildlich.

Während Österreich bisher meist mit Standorten in den Landeshauptstädten vertreten war, beteiligten sich an „Europan 8“ neben Wien mit Amstetten, Lauterach, Schwechat und Waidhofen/Ybbs vorwiegend kleinere Gemeinden. In Lauterach war eine Restrukturierung gefragt, um einem zersiedelten Gebiet eine Mitte zu geben. Hier wurde zwar kein erster Preis vergeben, das mit einem Ankauf bedachte Projekt von Thomas Kovári aus Zürich und der lobend erwähnte Beitrag von Rene Bechter sollen aber zunächst zumindest im Rahmen einer Bürgerversammlung diskutiert werden.

In Wien-Liesing galt es, ein ehemaliges Industrieareal beiderseits der Bahnstrecke in ein attraktives Wohn- und Mischnutzungsgebiet zu transformieren. Der „suburban block“ von Mirza Mujezinovic aus Trondheim erweist Le Corbusiers Unité - hier allerdings „flach gelegt“ - die Referenz.

Allein drei Standorte liegen in Niederösterreich. Hier stehen zwar im Bundesländervergleich die meisten Gelder für die Wohnbauforschung zur Verfügung, in der Realität spiegelt sich dies bislang nicht wieder. Erst als mit dem Aufstieg von Liese Prokop in die Bundespolitik dem architekturaffinen Finanzlandesrat Wolfgang Sobotka auch das Wohnbauressort zufiel, begann sich im eingespielten Trott des geförderten Wohnungswesens ein frisches Lüfterl zu regen.

Seit Jänner 2006 muss jeder geförderte Wohnbau von einem Beirat begutachtet werden oder aus einem Wettbewerb hervorgehen. Die Europan-Beteiligungen von Amstetten, Schwechat und Waidhofen an der Ybbs sind eine Chance in Situationen, wo auf regionaler Ebene das kreative Potenzial zur strategischen Weiterentwicklung der Städte fehlt. In Waidhofen an der Ybbs wurden ein Industrieareal und eine große Parkplatzfläche in den Wettbewerb eingebracht. Wolfgang Kölbl siegte mit dem Projekt „Prolog“, das unter anderem die negativen Folgen einer Parkraumbewirtschaftung mittels Tiefgaragen hinterfragt. Für das unvermeidbare Freizeitvergnügen Einkaufen schafft er eine blasenförmige Struktur mit dem Titel „Shopping-Schaum“, und die Wohnfrage handelt er unter kommunikativen und sozialen Aspekten ab. Ebenso einen Preis erhielt das Projekt von Barbara Kolb und Christian Hader. Sie regieren auf die Voralpenlandschaft mit einer vertikalen Bebauung, die das Thema Schlucht in Architektur überträgt. Von beiden Preisträgern erhofft sich die Stadt neue Impulse und will mit ihnen weiterarbeiten.

Zu Amstetten gaben Julia Wiger, Sonia Leimer und Christina Linortner einen kritischen Kommentar zur Vermarktung des ländlichen Raumes ab. In „Mostropolis, die ungeheure Stadt“ dominiert ein riesiger Vierkanter, der Truckertreff, Raststätte und Buschenschank vereint. Pragmatischer näherte sich der Aufgabe einer Entwicklung zwischen zwei bestehenden Siedlungsgebieten die mit dem ersten Preis bedachte Spanierin María Belén Serrats Arsuaga, die Gewerbe- und Wohnzonen mittels abgesenkter Freiflächen trennt. Auch hier gibt es ernsthafte Absichten, das Projekt weiterzuverfolgen.

Innerstädtische Verdichtung auf dem aufgelassenen Brauerei-Areal war das Thema in Schwechat. Florian Haydn gewann mit einem spektakulären „Loop“, einer mehrgeschoßigen Großform mit Dachstraße, die einen vielseitig bespielbaren Innenhof umspannt. Relikte der Brauerei wie Feierhalle, Sudhaus oder Schlot bleiben als Kultur- und Freizeiteinrichtungen erhalten. Die Jury teilt die Bedenken der Stadt hinsichtlich der Möglichkeit einer etappenweisen Realisierung nicht und stellt mit diesem Projekt einen „signifikanten, einzigartigen Magneten“ in Aussicht.

Lisa Schmidt-Colinet und Alexander Schmögner entwickelten für dieses Areal einen extrem dicht wirkenden Teppich aus Patiowohnungen, der nach außen von einem umlaufenden Band mit Geschoßwohnungen gesäumt wird. Der kompakte Hyprid wurde mit einem Ankauf gewürdigt.

Der Weg von der Theorie und vom Wettbewerb zur Realisierung ist meist ein verschlungener. Es soll schon vorgekommen sein, dass ein Baustadtrat laut überlegte, ob man die Europan-Entwürfe nicht der Einfachheit halber dem einen oder anderen ortsansässigen Architekten zur Weiterbearbeitung überlassen könne. Und oft genug wird ein visionäres Europan-Projekt in den Mühlen des Pragmatismus zu Mittelmaß zermalmt. Um dem vorzubeugen, werden die Kommunen und Stadtentwickler nach der Präsentation der Sieger nicht allein gelassen. Sechs Monate danach trifft man sich, um den Projektfortschritt zu überprüfen, und gibt Hilfestellung beim Verfahren. In der Praxis bedeutet das zudem, dass einzelne Jurymitglieder als Mediatoren und „Implementierungsengel“ (Zitat Vlay) den Gemeinden ebenso zur Seite stehen wie den beteiligten Jungarchitekten.

Wie Bernd Vlay betont, spielen auch die regionalen Architekturinstitutionen eine wichtige Rolle. Sie präsentieren die Wettbewerbsergebnisse vor Ort und liefern regionales Know-how und Plattformen zum Dialog mit Betroffenen und Experten. In Krems („Europan 7“) stimulierte etwa das niederösterreichische Architekturnetzwerk ORTE die Diskussion über Strategien zur Umsetzung der Siegerprojekte. Ohne diese Unterstützung, so Bernd Vlay, wäre das Projekt längst nicht so weit gediehen. Hier kooperiert der Bauträger GEDESAG mit den Preisträgern Florian Sammer und Karoline Streeruwitz, und auch das zweitplatzierte Team, SMAQ aus Rotterdam, soll bei der Erstellung eines Gesamtkonzeptes für den Stadtteil Lerchenfeld involviert bleiben.

Bereits 2002 unternahmen Heidi Pretterhofer und Dieter Spath mit der Studie habitat2000plus den Versuch einer Evaluierung der österreichischen Europan-Wettbewerbe. Die daraus entstandene Publikation „Im Boot“ (edition selene) sei hiermit wieder einmal allen innovationsscheuen Wohnbauakteuren als leicht verständliches, mit vielen guten Ratschlägen gespicktes Manual ans Herz gelegt.

Spectrum, Sa., 2006.03.18

11. Februar 2006Franziska Leeb
Spectrum

„Eine Stadt aus Brüsten“

Anfangs ein Symbolprojekt der Revolution, dann jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben: Kubas Nationale Kunstschulen werden restauriert. Die Freude darüber ist nicht ungetrübt.

Anfangs ein Symbolprojekt der Revolution, dann jahrzehntelang dem Verfall preisgegeben: Kubas Nationale Kunstschulen werden restauriert. Die Freude darüber ist nicht ungetrübt.

„Sie sind mein innig geliebtes Baby und das wahrscheinlich gelungenste Werk meiner Karriere“, so Ricardo Porro. Die Rede ist von den „Escuelas Nacionales de Arte“, Kubas nationalen Kunstschulen. Fidel Castro beauftrage den jungen Architekten im Jänner 1961 mit der Planung der „schönsten Kunstakademie der Welt“ (Castro). Im Dezember darauf, so sein Wunsch, sollte der Komplex auf dem Gelände des einstigen Nobelgolfvereins „Havana Country Club“ fertig sein. Porro lud seine italienischen Kollegen Roberto Gottardi und Vittorio Garatti ein, am Projekt mitzuwirken. Eröffnet wurden die Schulen im Juli 1965, fertig gestellt waren allerdings bloß die beiden Schulen von Porro. Heute noch markiert ein halbes Dutzend in der Gegend stehender Pylonen aus Stahlbeton den Ort, an dem Gottardi das Theater der Schauspielschule vorgesehen hatte.

Die fünf Gebäudegruppen der Schulen für Skulptur, Modern Dance, Drama, Ballett und Musik im grünen Stadtteil Cubancán am Rand von Havanna bezeichnet der kubanische Architekturhistoriker Eduardo Luis Rodríguez als den Höhepunkt einer Architekturrichtung, die auf der Suche nach einer Moderne regionaler Ausprägung war. Sie sind Architektur gewordene Beispiele für „Cubanidad“, aber auch für die romantisch geprägte Aufbruchstimmung der ersten Jahre der Revolution, in denen die Kunstschulen als Schlüsselprojekt auf dem Weg zu einer neuen, egalitären Gesellschaft galten.

Die Schule für Plastische Künste mit ihren in katalanischer Wölbtechnik erzeugten Kuppeln bezeichnet Porro selbst als „eine Stadt aus Brüsten“, quasi ein Abbild der afrokubanischen Fruchtbarkeitsgöttin Oshún. „Ich wollte eine Schule bauen, die so weiblich ist wie das kubanische Eiland.“ Die Schule für Modernen Tanz hingegen sollte Dynamik und Emotion des Sieges der Revolution in Architektur übersetzten.

Gottardi und Garatti kamen mit weniger Symbolik aus, integrierten ihre Bauten aber ebenfalls harmonisch in die Landschaft. Gottardi schuf mit der Schauspielschule ein entlang schmaler Wegachsen angeordnetes kompaktes Gefüge, das an italienische Städte erinnert. Der Mangel an Stahl zwang die Architekten dazu, den fünfteiligen Komplex im Wesentlichen aus Ziegeln zu errichten. Stahlbeton wurde nur dort eingesetzt, wo er konstruktiv unvermeidlich war.

Vittorio Garattis Ballettschule ist eine Komposition extrem dünn wirkender Kuppeln und Schalen mit raffiniert gesetzten Lichtschlitzen, die der karibischen Sonne wohldosiert und effektvoll Einlass gewähren. Ballett wurde hier nie getanzt. Eine Zeitlang lang nutzte die nationale Zirkusschule den Bau. Ebenfalls nur teilweise ausgeführt wurde die Schule für Musik, die sich als 330 Meter langes Band ausgeklügelter Raumfolgen parallel zum Quibù-Fluss schlängelt.

Im Jahr 2000, als die Schulen in die Liste der 100 meistgefährdeten Bauten des World Monuments Watch aufgenommen wurden, bot sich den Besuchern ein Bild von schauriger Schönheit. Während in den Schulen für bildende Kunst und Modern Dance noch gelegentlich Studenten anzutreffen waren und die von den Planern beabsichtigte Integration von Natur, Menschen, Architektur und Kunst eindrucksvoll erlebbar war, drohte der Rest des Areals von der Vegetation überwuchert zu werden. Das tristeste Bild boten die Schulen für Musik und Ballett: Ruinen, einsturzgefährdet und hoffnungslos verloren, Architektur als ein Haufen Elend, zugleich immer noch voll poetischer Ausstrahlung.

Nach 1965 kam den Schulen, die kurz zuvor noch eines der gefeiertsten Projekte der Revolution waren, die Wertschätzung durch die politischen Eliten abhanden. Preiswerte Wohnungen brauchte man damals wie heute dringender als luxuriöse Kunstakademien. Wenn etwas gebaut wurde, dann Plattenbauten im Stil des sowjetischen Bruderstaats. Die Architektur der Kunstschulen erschien den politischen Hardlinern bald zu bourgeois. Ricardo Porro, der nach den Kunstschulen in Kuba keine Aufträge mehr bekam, verließ 1966 die Insel in Richtung Paris. Garatti wurde 1974 wegen des Verdachts der Spionage drei Wochen inhaftiert und, obwohl freigesprochen, des Landes verwiesen. Nur Gottardi lebt noch in Kuba.

Mit der bemerkenswerten Publikation „Revolution of Forms - Cuba's Forgotten Art Schools“ (Princeton Architectural Press, New York) des amerikanischen Architekturhistorikers John A. Loomis gelangten das Architekturjuwel und sein beklagenswerter Zustand in den Fokus der internationalen Fachöffentlichkeit. Bald darauf kontaktierte die kubanische Regierung die drei Architekten mit der Bitte, bei der Restaurierung der Kunstschulen mitzuwirken. Ricardo Porro zeigt sich zufrieden, dass die politische Führung dem weggelegten Kind wieder Anerkennung zuteil werden lässt. Ungetrübten Grund zur Freude hat er nicht.

Die Restaurierung leitet der Architekt Universo García. „Es ist unser Ziel, Fidel Castros Traum einer Verwandlung des exklusiven Country Clubs in eine Stadt der Künste zu komplettieren.“ Von einem italienischen Konzern kommt die Bauchemie zur Verfestigung des stark angegriffenen Ziegelmauerwerks. Vor Ort werden die Arbeiter im Umgang mit den Sanierungsprodukten geschult. Die für die Bauten bedrohliche Vegetation wurde auf dem gesamten Areal gerodet. Nutzungskonzepte sind in Arbeit, um die Ruinen der Schulen für Musik und Ballett wieder einer Verwendung zuzuführen. Roberto Gottardi plant bereits an der Fertigstellung und neuen Zubauten.

Neue Wege und Infrastruktur werden errichtet, was dem Original ästhetisch nicht unbedingt gut bekommt. Porro hat zwar Verständnis für notwendige Adaptierungen, eines regt ihn aber auf: „Stellen Sie sich vor, die installieren einen Polizeiposten am Eingang! Mein Konzept einer offenen Schule ist damit zerstört!“ Über Details informiert man ihn nicht. Er erfuhr zwar, dass die desolaten hölzernen Fensterrahmen „originalgetreu“ durch robustere Aluminiumprofile ersetzt werden. Wie plump sie tatsächlich wirken, hat er noch nicht gesehen. Vergangenen November feierte er seinen 80. Geburtstag. Der Einladung, auf der Architekturfakultät in Havanna zu unterrichten, wird er wahrscheinlich diesen Herbst Folge leisten: „Solange ich kann, helfe ich.“

Eduardo Luis Rodriguez, einer der vehementesten Kämpfer für den Schutz der Bauten der Moderne, wünscht sich, dass Porros Schulen so originalgetreu und sensibel wie möglich restauriert werden. Unter den Eingriffen, die der ursprünglichen Aura abträglich sind, leidet auch Maria Elena Martin, Professorin für Architekturgeschichte: „Was soll man tun, wenn man die Originalpläne respektieren will, aber die Mittel für eine adäquate Lösung nicht vorhanden sind?“

Spectrum, Sa., 2006.02.11

08. August 2005Franziska Leeb
AFI

Rondo Rathaus

Öffentlichen Verwaltungen wird oft Behäbigkeit vorgeworfen. Ob zu Recht oder zu Unrecht soll hier nicht behandelt werden. Gewiss ist jedoch, dass auch...

Öffentlichen Verwaltungen wird oft Behäbigkeit vorgeworfen. Ob zu Recht oder zu Unrecht soll hier nicht behandelt werden. Gewiss ist jedoch, dass auch...

Öffentlichen Verwaltungen wird oft Behäbigkeit vorgeworfen. Ob zu Recht oder zu Unrecht soll hier nicht behandelt werden. Gewiss ist jedoch, dass auch die Architektur ihren Beitrag zum Image einer Behörde beitragen kann. Steinerne, Respekt einflößende Paläste suggerieren oft auch behördliche Schwerfälligkeit. Moderne, sachliche und im Idealfall sogar freundlichere Bauten vermitteln hingegen bereits beim ersten Eintreten den Eindruck eines weniger behäbigen Behördenapparates. Und auch der kundenorientiert denkende Beamte wird sich in einem Gebäude, in dem Architektur nicht Macht, sondern Bürgernähe ausdrückt, besser entfalten können.

Das Selbstverständnis von Staats- und Stadtverwaltungen drückte sich schon immer auch in der Architektur aus. So orientiert sich der imposante Bau des Wiener Rathauses vom Ringstraßenarchitekt Friedrich von Schmidt zwar an mittelalterlichen Vorbildern, vermittelt aber dennoch nicht den Eindruck eines Hauses für das Volk. Durch einen hohen rustizierten Sockel und eine Freitreppe ist es vom Platzniveau stark abgesetzt. Daher drückt es schon rein äußerlich weniger Bürgernähe aus als seine Pendants aus dem 15. Jahrhundert. Ein bedeutendes Beispiel dafür ist zum Beispiel das Rathaus in Brüssel, das mit Arkaden auf Platzniveau, in denen Märkte abgehalten werden, barrierefrei in den öffentlichen Stadtraum übergeht.

Seit vergangenem Frühjahr bildet ein im Vergleich zu den massiven Steinmauern utopisch anmutender Bürobau einen spannungsvollen Kontrast zum behäbigen Karree des Wiener Rathauses. Er beherbergt die Abteilung Technische Dienste der Magistratsabteilung 23, die bis dahin auf mehrere Orte in Wien aufgeteilt war, und nun zur effizienteren internen Kommunikation eine neue zentrale Büroeinheit erhielt.

Geplant hat den glänzenden Satelliten (Bild 1) mit einer Haut aus Aluminium der junge Architekt Oliver Kaufmann, der mit diesem Projekt beim Aluminium-Architektur-Preis 2000 bis in die Endrunde kam. Der platzsparende Rundbau wurde dem Hof 2 des Rathauses eingeschrieben. Die eingeschoßige Stahlkonstruktion ist an der Fassade mit glatten eloxierten und genieteten Aluminiumpaneelen verkleidet, die das Gebäude sehr leicht wirken lassen und von den umliegenden Wänden absetzen.

Ein rundum laufendes Fensterband gliedert in der Waagrechten. Die Büros sind um einen Zentralraum in tortenstückförmigen Segmenten angeordnet. Die Büroausstattung geht konform mit den wirtschaftlichen Zwängen, denen ein Amtsgebäude unterliegt und ließ daher keine besonderen Extravaganzen zu. Was die Räume bei allem sparsamen Umgang mit dem zur Verfügung stehenden Raum dennoch auszeichnet, ist ihre Helligkeit. Sie rührt nicht nur von den raumbreiten Fensterbändern her, sondern auch vom nach innen geneigten Oberlichtband, das die Decke säumt und durch den Lichteinfall von oben den Raum optisch weitet (Bild 2).

Die Anbindung an den Altbau löste Kaufmann geschickt mit einer gläsern eingehausten Brücke (Bilder 3 und 4). Als Anschlussstelle wurde eine Fensteröffnung gewählt, die bis zum Boden erweitert wurde. Deren originale Laibung blieb aber erhalten, um die Schnittstelle zwischen Alt und Neu besser zu kennzeichnen.

Besonders reizvoll wirkt der aluverkleidete Neuling aus der Vogelperspektive, von wo aus er wie ein sanft im weißen Kies der Hofgestaltung gelandetes Objekt von einem anderen Stern anmutet (Bild 5).

Das technologisch hochwertige Material und seine sorgfältige Verarbeitung lassen einen Hauch von fortschrittlichem Image durch das historische Ambiente wehen. Sicherlich auch ein Mittel, die Lust an der Arbeit zu fördern. Hier steht die Optik des Gebäudes noch dazu im Einklang mit der Aufgabe seiner Nutzer, die für haustechnische Belange in Bauten der Stadt Wien verantwortlich sind und sich im neuen Ambiente sichtlich wohl fühlen.

AFI, Mo., 2005.08.08



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15. September 2004Franziska Leeb
zuschnitt

Draufgesetzt

Nicht Einfügen, sondern Draufsetzen lautet das Motto hingegen bei einem anderen Dachausbau in Holzkonstruktion. Jenseits dezenter Zurückhaltung thront...

Nicht Einfügen, sondern Draufsetzen lautet das Motto hingegen bei einem anderen Dachausbau in Holzkonstruktion. Jenseits dezenter Zurückhaltung thront...

Nicht Einfügen, sondern Draufsetzen lautet das Motto hingegen bei einem anderen Dachausbau in Holzkonstruktion. Jenseits dezenter Zurückhaltung thront in der Wiener Spitalgasse ein eigenwilliger schwimmbadblauer Körper auf einem Eckhaus aus der Gründerzeit. Das Gesims ersetzt eine nach außen geneigte Brüstung. Provokant markiert eine rote Linie den Schnitt zwischen Alt und Neu. Architekt Heinz Lutter schöpfte – wie es wohl jeder Planer versuchen und jeder Investor verlangen würde – die baurechtlichen Möglichkeiten aus. Im kreativen Umgang mit den Rahmenbedingungen entstand darüber hinaus aber auch eine räumlich interessante Lösung. Drei Geschosse zusätzlich waren an der Seite zur Spitalgasse gestattet, zwei an der schmäleren Seitengasse.

Ein reichhaltiges Freiraumangebot unterstützt das Wohnerlebnis zwischen und über den Dächern. Sobald der Entwurf feststand, galt es sowohl einen geeigneten Werkstoff als auch eine ausführende Firma zu finden, um das Objekt mit seinen komplizierten Winkeln und Schrägen möglichst ökonomisch umzusetzen. Holz erwies sich rasch als beste Option. Die Firma Unterluggauer aus Osttirol setzte den Bau vom Plan weg und nach einmaligem Naturmaßnehmen in Fertigteile um. Es handelt sich um eine Sandwich-Konstruktion aus innen mit Gipskarton beplankten Fichtenholzplatten. Die Schutzschicht der Hülle besteht aus einem dauerelastischen Flüssigkunststoff, der hellblau gestrichen wurde.

zuschnitt, Mi., 2004.09.15



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Wohnen am Dach



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15. März 2004Franziska Leeb
zuschnitt

Hoch hinaus

Mit der bescheidenen Dachkammer des armen Poeten haben die aktuellen Raumschöpfungen in den urbanen Dachlandschaften nichts mehr gemeinsam. Der Terminus...

Mit der bescheidenen Dachkammer des armen Poeten haben die aktuellen Raumschöpfungen in den urbanen Dachlandschaften nichts mehr gemeinsam. Der Terminus...

Mit der bescheidenen Dachkammer des armen Poeten haben die aktuellen Raumschöpfungen in den urbanen Dachlandschaften nichts mehr gemeinsam. Der Terminus Dachbodenausbau beschreibt einige aktuelle Interventionen aber nur unzulänglich, denn die Dachzone ist zu einem beliebten Bauland geworden. Neben den klassischen Dachausbauten, die sich mehr oder weniger unauffällig in die vorhandene Stadtkontur einfügen, bis zu Aufbauten, die sich wie Satelliten über den Gesimskanten niederlassen, reicht das Spektrum des Möglichen. Die Begleiteffekte des Dachwohnungs-Booms bewegen sich im Zwiespalt von aufwertender Stadtreparatur und ökonomischer Ausnutzung bestehender Strukturen.

Der These, dass Nachverdichten im Stadtinneren Bauland am Stadtrand spart, könnte man entgegenhalten, dass in den ohnedies von Verkehr und Parkplatznot geplagten Stadtvierteln zusätzliche Bewohner prekäre Dichten noch verstärken.

Zwar können Dachgeschossausbauten in benachteiligten Stadtgebieten sozialen Segregationsprozessen entgegenwirken, es gibt aber andererseits zahlreiche Beispiele, wo an der vorhandenen Bausubstanz nichts verbessert und ausschließlich in den Dachraum investiert wird. Und dann wäre noch die in Sachen Dachausbau am lautesten geführte Diskussion zwischen den Bewahrern der historischen Dachlandschaft und den Verfechtern eines auch aus der Vogelperspektive zeitgemäßen Stadtbildes. Diese Spannungsfelder könnten entschärft werden, wenn sich die Diskussion auch darum drehen würde, wie man sich die Dachzonen am schonendsten – nicht nur im Sinn des Ensembleschutzes, sondern auch in ökologischer und soziologischer Hinsicht – zunutze machen kann.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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15. März 2004Franziska Leeb
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Tarnkappe

In Graz wirft die Altstadtkommission ein besonders strenges Auge auf alle Interventionen in der innerstädtischen Dachlandschaft. Gegenüber vom Kunsthaus...

In Graz wirft die Altstadtkommission ein besonders strenges Auge auf alle Interventionen in der innerstädtischen Dachlandschaft. Gegenüber vom Kunsthaus...

In Graz wirft die Altstadtkommission ein besonders strenges Auge auf alle Interventionen in der innerstädtischen Dachlandschaft. Gegenüber vom Kunsthaus errichteten die Architekten Michael Georg Homann und Wolfgang Schmied zwei Wohnungen und ein Büro auf einem etwa 140 Jahre alten Haus am Murufer.

Es brauchte einige Überzeugungsarbeit, um den bestehenden Dachstuhl, der für das Vorhaben ungeeignet erschien, abtragen zu dürfen. Um Zeit, Gewicht und die Höhe des Deckenaufbaus zu minimieren, wurde schließlich der zweigeschossige Ausbau aus Massivholzplatten errichtet. Die straßenseitigen Schrägdachflächen mit Ziegeldeckung sind reine Camouflage, erfüllen aber die Auflagen der Altstadtschützer.

Einzig die Glasgauben mit zur Gänze ausklappbaren Flügeln an der Front wirken als zeitgemäße Statements nach außen. Dahinter verbirgt sich ein Haus auf dem Haus. Um die Belichtungssituation vor allem in der Mittelzone des Gebäudeblocks zu optimieren, wurde in die oberste Ebene des zweigeschossigen Aufbaus ein Atrium eingeschnitten, zu dem sich die angrenzenden Räume mit Glasfassaden öffnen. Über einen Glaskubus erschließt sich von diesem geschützten Freiraum eine Blickachse bis zur Mur. Ein Glasstreifen im Terrassenboden dient als Lichtbrunnen für das darunter liegende Geschoss.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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Dachboden Neutorgasse



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15. März 2004Franziska Leeb
zuschnitt

Aufgebügelt

Selbstbewusst, aber straßenseitig weniger dominant fiel das Innsbrucker Dachprojekt FF50 der beiden jungen Architekten Christian A. Pichler und Ferdinand...

Selbstbewusst, aber straßenseitig weniger dominant fiel das Innsbrucker Dachprojekt FF50 der beiden jungen Architekten Christian A. Pichler und Ferdinand...

Selbstbewusst, aber straßenseitig weniger dominant fiel das Innsbrucker Dachprojekt FF50 der beiden jungen Architekten Christian A. Pichler und Ferdinand Reiter aus. Es lagert auf einem Gründerzeithaus im Stadtteil Wilten und beherbergt keine luxuriösen Oberschichtwohnungen, sondern drei Einheiten mit jugendlichem Flair.
Das im Rahmen des Tiroler Holzbaupreises 2003 ausgezeichnete Projekt wurde in vorgefertigter Holztafelbauweise errichtet. Die Wandoberflächen bestehen aus dunkelbraun befilmtem Sperrholz (Metsäform).

Alle Ver- und Entsorgungseinrichtungen birgt der zwischen die Satteldachflächen gelegte »Infrastrukturcontainer«. Seine Kertoträger lagern auf der Außenwand des Stiegenhauses, den straßenseitigen Stahlstützen und auf den Brettschichtholzstützen der seitlichen Dachflächen auf. Die Dachflächen dienen als diagonale Aussteifung. Straßenseitig gibt es über die vollverglaste Front Zutritt auf eine Terrasse. Der hofseitig in expressiver Gestik auskragende Bügel umfängt den Zugang auf die Dachterrasse, die als halböffentliche Zone allen Hausbewohnern zur Verfügung steht.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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FF50



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15. März 2004Franziska Leeb
zuschnitt

Auf Besuch

Das Dach als Bauplatz entdeckte auch das Berliner Architektur- und Designstudio Aisslinger, das im Rahmen des Designmai Berlin 2003 den »Loftcube« präsentierte:...

Das Dach als Bauplatz entdeckte auch das Berliner Architektur- und Designstudio Aisslinger, das im Rahmen des Designmai Berlin 2003 den »Loftcube« präsentierte:...

Das Dach als Bauplatz entdeckte auch das Berliner Architektur- und Designstudio Aisslinger, das im Rahmen des Designmai Berlin 2003 den »Loftcube« präsentierte: eine Wohn- oder Ateliereinheit zur Besiedelung urbaner Flachdächer. Die zwei Prototypen bestehen aus einer modularen Holzkonstruktion mit einer weißen Kunststoffverkleidung aus vakuumverformtem, weiß beschichteten Polystyrol. Die Außenwände sind großzügig verglast.

Innen bergen zwei »Funktionspaneele« aus CORIAN® die wichtigsten Infrastrukturen: jenes zwischen Bad und Küche ist mit durchschwenkbarem Wasserhahn und Wasch- bzw. Spülbecken ausgestattet, jenes zwischen Bad und WohBreadCrumb mit Duschtasse und Pflanzenbecken über die ein Duschkopf geschwenkt werden kann.

Die Philosophie der leicht zu transportierenden und einfach wie Möbel in Selbstmontage zusammensetzbaren Häuser für Stadtnomaden stieß auf enormes Echo. Die Idee, mit seiner Wohnung mobil zu sein, sich an verschiedenen Standorten andocken zu können, klingt verlockend. Stadtdächer könnten, so Werner Aisslingers Vision, im großen Stil angemietet und quasi als Loftcube-Landeplätze angeboten werden. Noch arbeitet man aber an der Serienreife des Produkts. Es gilt, die bauphysikalischen Eigenschaften zu verbessern und auch die Transportierbarkeit zu optimieren.

Bei den angepeilten Errichtungskosten von 55.000 Euro ist der Loftcube nicht gerade billig, dazu käme noch der Hubschraubertransport. Das Ziel lautet, ein System zu finden, das im Fahrstuhl transportiert und von vier Personen an einem Tag montiert werden kann. Noch ist der Loftcube also eine reine Designvision, es könnte aber sein, dass städtische Dachflächen bald als Edelcampingplätze erschlossen werden. Mit dem Denkmalschutz wird es vermutlich keine Probleme geben: erstens sind Flachdächer in Schutzzonen selten und zweitens sind die mobilen Dachhäuser als temporäre Interventionen zu werten.

zuschnitt, Mo., 2004.03.15



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»Loftcube« in Berlin



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07. Juli 2003Franziska Leeb
Der Standard

Eine Badehütte bleibt eine Badehütte

Tradition, moderner Komfort und eine zeitgemäße Architektursprache wurden bei einem Badehäuschen in Greifenstein an der Donau zusammengeführt.

Tradition, moderner Komfort und eine zeitgemäße Architektursprache wurden bei einem Badehäuschen in Greifenstein an der Donau zusammengeführt.

Als in den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts die ersten Pioniere ihre Badehütten am Donauufer bei Greifenstein errichteten, wurden sie von den Einheimischen noch für verrückt gehalten, erzählt man. Schließlich trat die damals noch unregulierte Donau regelmäßig über die Ufer. Da half es manchmal auch nicht viel, dass die kleinen Holzbauten auf Pfählen standen, um der Flut auszuweichen.

Architekt Andreas Fellerer, dessen Familie seit den Fünfzigerjahren eine der ältesten Badehütten in der vordersten Reihe der Siedlung besitzt, weiß zum Beispiel, dass während des großen Hochwassers im Jahr 1954 das Wasser 80 cm hoch in die aufgestelzten Räume eindrang und dass viele Häuser von den Wassermassen zerstört wurden.

Seit Errichtung der Staustufe Greifenstein liegt die Siedlung an einem ruhigen Altarm der Donau. Die Hochwassergefahr ist zwar - wie im vergangenen Jahr offensichtlich wurde - nicht gebannt, aber immerhin gemildert. Und die idyllische Lage am Wasser sowie die Nähe zu Wien sind gute Gründe, sich dauerhafter hier niederzulassen. Mittlerweile ist es unter bestimmten Bedingungen sogar gestattet, nicht nur ein 80 m² umfassendes aufgestelztes Geschoß plus Dachbodenausbau zu errichten, sondern auch die Erdgeschoßebene zu schließen. Dass damit der unverwechselbare Charakter der Siedlung nach und nach verschwindet, kümmert sowieso kaum jemanden. Dass in schöner Regelmäßigkeit ganze Kücheneinrichtungen als Versicherungsfälle zu verbuchen sind, offenbar auch nicht.

Andreas Fellerer, der gemeinsam mit Jiri Vendl ein Architekturbüro in Wien betreibt, hängt am Flair der alten Siedlung, in der auch manch begnadeter Architekt, wie zum Beispiel der in der Nazizeit nach New York emigrierte Ernst Schwadron, seine Spuren hinterlassen hat. Der Wunsch nach mehr Komfort in der eigenen Badehütte sollte deshalb so erfüllt werden, dass die Anmutung des Häuschens aus dem Jahr 1928 nicht verloren ging. Das Erdgeschoß zu schließen kam deshalb - und auch aus Respekt vor dem Hochwasser - nicht infrage.

Auf einer in drei Stunden errichteten Stahlunterkonstruktion ruht der aus wenigen Holzelementen vorfabrizierte Zubau, der sich höhenmäßig am Bestand orientiert und durch ein niedrigeres Verbindungsglied abgesetzt ist. Richtung Garten kragt eine weitläufige Südterrasse an, die bestehende Terrasse wurde verlängert und ist somit ebenfalls vom Zubau aus erreichbar.

Daran, dass sich der Zubau nicht markanter abhebt, ist eigentlich Fellerers Frau Doris schuld, die eine farbige Gleichbehandlung mit dem Bestehenden für stimmiger hielt und damit nicht Unrecht hatte. Schließlich ist die Ausformung des Neuen deutlich genug anders. Durch die einheitliche Farbgebung wuchsen Alt und Neu von Anfang an zusammen. Strukturierende Akzente verleihen die hellen Fensterrahmen.

Vom geräumigen Wohnzimmer gibt ein quadratisches Fenster mit fixer Isolierverglasung und tiefen Laibungen den Blick in die Umgebung frei. An der gegenüberliegenden Ostseite sind auf einem knappen Streifen Bad und Schlafzimmer untergebracht. Den Bereich unter der Auskragung hat man durch einen Holzrost - scherzhaft als „Tanzboden“ bezeichnet - bespielbar gemacht. Er bietet nun auch bei Regen Aufenthaltsraum im Freien an.

Gekonnt und ohne angestrengt wirkende Verrenkungen wurde der kleine Pfahlbau erweitert. Die Badehütte ist zwar vergrößert, blieb aber dennoch, was sie immer war. Man könnte sie geradezu als vorbildlichen Maßstab für viele anstehende Modernisierungen im Bereich des Freizeitsiedlungswesens hernehmen.

Der Standard, Mo., 2003.07.07



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Badehäuschen - Umbau

30. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Ein Glashaus auf dem Dach

Helligkeit als oberste Prämisse: Stahl und Glas sind die Hauptkomponenten eines luftigen Dachgeschoßes im 8. Bezirk in Wien.

Helligkeit als oberste Prämisse: Stahl und Glas sind die Hauptkomponenten eines luftigen Dachgeschoßes im 8. Bezirk in Wien.

Nach vielen Jahren in einer Altbauwohnung sehnte sich das Ehepaar K. nach hellen Räumen. Man hoffte, diese in einem Dachgeschoß zu finden und stieß im Heimatbezirk in einem Eckhaus an der Kreuzung Albertgasse/Pfeilgasse auf einen ausbaufähigen Dachboden. Eine Planung dafür gab es auch bald. Aber irgendwie waren weder die Anordnung der Räume, die abgelegene Terrasse und schon gar nicht die kleinen Gaupen das, was sich die Auftraggeber unter einem großzügigen, lichtdurchfluteten Wohnraum vorstellten. Neue Planer mussten her.

Ein Lichtblick in jeder Hinsicht war es, als Andreas und Gerda Gerner (gerner°gerner plus) ihren ersten Plan präsentierten. Er bestand in erster Linie aus einer Sonnenstandstudie. Das, was den Auftraggebern so wichtig war, hatten die Architekten als Ausgangspunkt für den Entwurf genommen. So sahen sie, zu welcher Jahreszeit wo die meiste Sonne hinkommt, und auf dieser Grundlage war es dann ganz einfach zu bestimmen, wie die geforderten Räume am besten zu situieren sind. Da hat es keinen Sinn, mit kleinen Dachgaupen zu arbeiten, auch wenn sie die gängigste Methode und bei den behördlichen Hütern des Stadtbildes am einfachsten zu vertreten sind.

Das bestehende Dach wurde abgetragen, nur die Kaminwand blieb als zentrales Rückgrat, um das sich das Neue entwickelt, bestehen. Und beim Neuen operierte man auch mit ablesbar neuen Mitteln. Der gesamte Aufbau besteht aus einer in Leichtbauweise und Glas ausgefachten Stahlkonstruktion. Statt einzelner kleiner Gaupen wurde die gestattete Gaupenfläche zu einer Großform zusammengefasst, die sich nach außen als nach vorne geneigte kubische Form abzeichnet. Natürlich negierten die Architekten grundsätzliche behördliche Vorgaben nicht, sie versuchten bloß, sie im Sinne eines bestmöglichen räumlichen Ergebnisses kreativ zu interpretieren und fanden bei der Abteilung für Stadtgestaltung und bei der Baupolizei für eine innovative Lösung offene Partner.

Es gibt einen von der Wohnung getrennten Büroteil, einen Wohnbereich, einen Schlaftrakt und zwischen den Letztgenannten eine Terrasse. Sowohl innen als auch außen ist diese klare Strukturierung gut nachzuvollziehen. Das Büro und der um die Gebäudeecke führende Wohntrakt verfügen über nach außen größtmöglich verglaste Flächen. Im introvertierteren Schlafbereich fiel der Glasanteil geringer aus, über eine große Fenstertür gibt es aber auch hier den Bezug zum Außenraum - besonders auf die beinahe wie ein Hof anmutende Terrasse. Von dieser führt eine leichte Treppe auf eine weitere Terrasse, von der aus sich ein Überblick über die städtische Dachlandschaft bietet.

Trotz eines enorm hohen Glasanteils fühlt man sich in den weitläufigen Räumen aufgrund der günstigen Lage nie zur Schau gestellt. Zudem bieten außen liegende Textilscreens neben dem hier unbedingt erforderlichen Sonnenschutz die Möglichkeit, den Grad der Transparenz zu verringern. Überhitzung ist in Dachgeschoßen immer ein Thema und bei so großen Glasflächen - auch wenn die modernen Gläser diesbezüglich bestens gerüstet sind - sowieso. Eine Klimaanlage sorgt deshalb für Verhältnisse, die selbst in extremen Hitzeperioden keine Sehnsucht nach einem Haus im Grünen aufkommen lassen.

Wohnqualität wie in einem Einfamilienhaus ohne den Nachteil langer Wege ins Stadtzentrum bietet diese Kombination von Wohnung und Büro, und die Bewohner sagen, sie sei „wie ein gut sitzender Anzug. Engt nicht ein, schlottert nicht und trägt unseren Eigenheiten Rechnung.“

Der Standard, Mo., 2003.06.30



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roof_8 Dachausbau

27. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Lärmschutz als praktischer Nebeneffekt

Ein Wohnhaus in Ottakring zeigt, was innovative Haustechnikkonzepte im städtischen Bereich bewirken können

Ein Wohnhaus in Ottakring zeigt, was innovative Haustechnikkonzepte im städtischen Bereich bewirken können

„Minergiehaus“ ist das 42 Wohneinheiten umfassende Haus in der Lorenz-Mandl-Gasse betitelt. Die bei uns wenig bekannte Bezeichnung stammt aus der Schweiz, wo Minergie als geschützte Marke für Häuser eines bestimmten Qualitäts- und Energiestandards etabliert ist und bereits rund 2000 Häuser das Minergie-Zertifikat tragen.

Im Vordergrund steht dabei nicht nur ein möglichst geringer Energieverbrauch, sondern auch der Komfort der Nutzer. Und den stellt Architekt Wolfgang Rainer auch vor die - übrigens exzellenten - Energiekennwerte, wenn er über das von ihm geplante Haus in Wien-Ottakring spricht.

Die kontrollierte Wohnraumlüftung sorgt nicht nur für niedrige Heizkosten, sondern auch für einen ruhigen Schlaf. Besonders bei nur straßenseitig orientierten Wohnungen ist sie „die ideale Antwort“ auf den städtischen Lärm, so Rainer, da die Fenster zum Lüften nicht geöffnet werden müssen (wohl aber können). Überdies enthält die gefilterte Zuluft weniger Schadstoffe als die Außenluft, was besonders für Allergiker eine Verbesserung der Wohnqualität bedeutet.

Unter der Tiefgarage befinden sich die Erdkollektoren, die im Winter für die Vorwärmung und im Sommer für die Kühlung der eingebrachten Luft sorgen. Um sieben bis acht Grad Celsius erhöht sich dadurch die Zimmertemperatur im Winter und acht bis neun Grad beträgt die Absenkung im Sommer. Die Anlage bewältigt den größten Teil der Heizlast.


Vertraute Radiatoren

Der Rest wird über konventionelle Radiatoren gedeckt, die in jedem Raum vorhanden sind und, auch wenn sie in manchem Zimmer nicht gebraucht werden, den Bewohnern ein vertrautes Bild und Sicherheitsgefühl geben. In Kombination mit einer thermisch optimierten Gebäudehülle (die Wärmedämmung wurde gegenüber den Forderungen der Wiener Bauordnung bedeutend verbessert) wird ein Heizenergieverbrauch von 15 bis 25 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr erreicht.

Ein Viertel des benötigten Warmwassers wird über Solarkollektoren auf dem Dach bereitet. Und auf dem Dach befindet sich auch eine weitere Besonderheit: eine Heliostatanlage, deren Sensoren dem Sonnenlicht folgen, um es mittels Umlenkspiegels in das Stiegenhaus und die Gänge zu leiten. Für einen netten Nebeneffekt sorgen Prismen, die das Tageslicht in die Grundfarben zerlegen und Regenbogentöne an die Wände zaubern. Für dieses mehr aus psychophysisch denn energetisch wirksame Detail zeichnet der Schweizer Architekt und Lichtplaner Reto P. Miloni verantwortlich.

Eine Gemeinschaftsterrasse im Hoftrakt, zwei ruhige Innenhöfe und eine zum Spielplatz hin verglaste Waschküche - fein für Mütter und Väter - sorgen auch außerhalb der Wohnung für angenehme Stimmung in der Anlage. Noch nicht genutzt sind das „Vivarium“ und das „Exotarium“, zwei helle Räume, die als interne Grünzonen gedacht sind. Gedacht wurde auch an die Leute, die das Haus instand halten. Für sie gibt es einen eigenen Aufenthaltsraum und einen Sanitärbereich.

Die Vermarktung lief sehr gut und die Kundenzufriedenheit ist hoch, stellt Buwog-Chef Gerhard Schuster nach nunmehr vierzehn Monaten nach Fertigstellung fest. Das ermutigt den Bauträger, in Zukunft verstärkt auf Niedrigstenergie- und Passivhäuser zu setzen. Bei den Reihenhäusern der Produktschiene „Welcome Home“, die das Unternehmen gemeinsam mit dem Fertighaushersteller Hartl Haus errichtet, soll die Passivhaus-Qualität bis 2004 Standard sein. Im Geschoßwohnbau ist derzeit eine Passivhaus-Anlage in Wien-Simmering in Vorbereitung.

Der Standard, Fr., 2003.06.27



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Wohnhaus in Ottakring

27. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Sieben Häuser als Antwort auf die Skeptiker

Architekt Martin Trebersburg baut in der Solar City Linz-Pichling einen Geschoßwohnbau in Passivhaus-Qualität. Dort will er beweisen, dass Energie sparendes Bauen mit architektonischer Qualität und Kundenzufriedenheit vereinbar ist.

Architekt Martin Trebersburg baut in der Solar City Linz-Pichling einen Geschoßwohnbau in Passivhaus-Qualität. Dort will er beweisen, dass Energie sparendes Bauen mit architektonischer Qualität und Kundenzufriedenheit vereinbar ist.

Vor zehn Jahren, so erzählt Architekt Martin Treberspurg, hätten ihn Kollegen wegen seines Einsatzes für energiesparendes Bauen und damit einhergehender höherer Wärmedämmungen noch beschimpft, weil „man so ja keine guten Häuser mehr bauen“ könne. Treberspurg selbst räumt ein, dass bei etlichen ökologisch motivierten Wohnbauvorhaben tatsächlich die Ästhetik hintan blieb - vor allem deshalb, weil die Entwicklung des Passivhauses nicht von Architekten ausgegangen sei. Sie „wird aber von ihnen auch nicht aufzuhalten sein“, so Treberspurg.

Wie eine hohe architektonische Qualität mit einem engagierten energetischen Konzept vereinbar ist, zeigt das Projekt „Einfach:wohnen“, das zurzeit in der Solar City Linz entsteht. Treberspurg gewann 1996 den städtebaulichen Wettbewerb für die Erweiterung des von der aus Norman Foster, Thomas Herzog, Renzo Piano (bis 1995), Richard Rogers und dem Energietechnikplaner Norbert Kaiser bestehenden READ-Gruppe (Renewable Energies in Architecture and Design) konzipierten Kerngebietes des Linzer Ökotrabanten im Stadtteil Pichling. Von der EBS Wohnungsgesellschaft wurde er mit der Errichtung von 93 Wohneinheiten in diesem äußeren Siedlungsring beauftragt.

Forschungsprojekt

Ein Niedrigenergiestandard und eine grundsätzlich ökologische Bauweise sind in der Mustersiedlung sowieso Pflicht. Um neueste Erkenntnisse einzubringen und sie im Rahmen dieses Teilbereiches auch wissenschaftlich auswertbar zu machen, hat Treberspurg eines der sieben Häuser als Passivhaus und eines als „Fast-Passivhaus“ konzipiert. Wirtschaftlichkeit, Ressourcenschonung und Nutzerakzeptanz werden professionell untersucht und ausgewertet. Die dadurch unweigerlich anfallenden Mehrkosten für Planung (z.B. Haustechniksimulationen) und sozialwissenschaftliche Begleitung werden über einen Forschungsauftrag, der über das Förderungsprogramm „Haus der Zukunft“ finanziert wird, abgedeckt.

Während in den fünf Niedrigenergiehäusern alle Räume noch mit normalen Heizkörpern ausgestattet sind, wird das besser gedämmte und mit einem Zuluft-Abluft-System mit Frischluftvorwärmung über einen Erdkollektor und Wärmerückgewinnung ausgestattete Fast-Passivhaus bereits mit kleineren Radiatoren ausreichend heizbar sein. Das hochwärmegedämmte Passivhaus schließlich kommt - abgesehen von einem mit Fernwärme beschickten Heizkörper im Bad - ohne Zusatzheizung aus. Für Warmwasser sorgen Solarkollektoren, die Berechnungen zufolge mindestens 60 Prozent des Jahresbedarfs abdecken werden.

In kleinen Bereichen kommen auch innovative Materialien zum Einsatz. Ein Fassadenteil des Passivhauses erhält zum Beispiel eine so genannte Vakuumdämmung, die eine fünf- bis zehnmal bessere Dämmleistung als herkömmliche Dämmstoffe aufweist und somit weniger dick aufträgt. Ansonsten war Kork als Dämmstoff vorgesehen, der aus Kostengründen jedoch dem üblichen Polystyrol weichen musste. Damit der dreigeschoßige Gemeinschaftsraum automatisch vor Überhitzung geschützt wird, sollen dort elektrochrome Verglasungen, die sich bei Sonneneinstrahlung dunkelblau verfärben, angebracht werden.

Bewerberansturm

Viermal so viele ernsthafte Bewerber als Wohnungen gibt es für das Passivhaus. Für Architekt und Bauherr der Beweis, dass die Richtung stimmt. Treberspurg: „Für mich ist klar, dass das Passivhaus der logische Endpunkt der Entwicklung eines sparsamen Hauses ist, weil es die beste Wohnqualität bietet.“ Abgesehen vom geringen Energieverbrauch ist das durch die automatische Be-und Entlüftung verbesserte Raumklima, das zugleich Schimmelbildung ausschließt, ein schlagendes Argument.

Und mittlerweile sollte auch die hin und wieder beklagte Lärmbelastung durch die Lüftungsanlage bei technisch korrekter Ausführung völlig vermeidbar sein. Der Ökoschmäh funktioniert bei einem Passivhaus jedenfalls nicht, oder zumindest nicht lang, glaubt Treberspurg. Unzulänglichkeiten erkennt man spätestens im ersten Winter, wenn die Leute frieren.

Hohe Anforderungen

Mit ein Grund, warum Passivhäuser bisher eher im privaten Einfamilienhausbau ein Thema sind: Die technischen Anforderungen an Planer und ausführende Firmen sind extrem hoch. Bei öffentlich ausgeschriebenen Bauten kann es da schon vorkommen, dass Firmen mit geringem Know-how zum Zug kommen.

Dem von manchen Bauträgern behaupteten und wohl auch befürchteten Boykott alternativer Technologien im geförderten Wohnbau soll hier durch die wissenschaftliche Begleitung und Bewohnerbetreuung durch die Beratungsagentur Wohnbund vorgebeugt werden.

Zwei Jahre nach Bezug wird bei den Bewohnern nachgefragt werden. Zusammen mit einer Analyse der gemessenen Energiewerte in den drei Haustypen des Treberspurg-Bauteiles in der Solar City werden dann - wenn alles gut geht - die Skeptiker vielleicht bekehrt werden können.

Der Standard, Fr., 2003.06.27



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Einfach:wohnen

27. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Schicke Passivhäuser für die Masse

Im oberösterreichischen Grieskirchen und in Wien stehen Passivhaussiedlungen, die ökologisches Bewusstsein und Wirtschaftlichkeit mit hohem architektonischem Anspruch verbinden, kurz vor der Realisierung.

Im oberösterreichischen Grieskirchen und in Wien stehen Passivhaussiedlungen, die ökologisches Bewusstsein und Wirtschaftlichkeit mit hohem architektonischem Anspruch verbinden, kurz vor der Realisierung.

Besucht man die Website des Passivhausinstitut Darmstadt, der führenden Instanz in Sachen Passivhaus, sind zwei Dinge schnell erkannt: Für einen Architekturpreis kommen nur die wenigsten Bauten infrage. Und der Anteil an verdichteten Wohnformen ist verschwindend gering.

Beides muss und kann sich verändern, sagen die oberösterreichischen Architekten Helmut Poppe und Andreas Prehal. Sie haben bereits etliche Einfamilienhäuser in Passivhausqualität gebaut, die sich durchaus sehen lassen können und kurz vor Fertigstellung ist der erste Passiv-Supermarkt in Kirchberg-Thening. Im Zweifelsfall zählen für sie architektonische und städtebauliche Kriterien höher als die Energiekennzahlen. Spannungsreiche Raumfolgen sind wichtiger als eine sture Südausrichtung. „Stadtgestalt und Ökologie sind keine unvereinbaren Gegensätze“, sind Poppe und Prehal überzeugt. Vorhandene Ressourcen müssten ökologisch weiterentwickelt werden.

Für die oberösterreichische Gemeinde Grieskirchen entwickelten sie ein ökologisches Stadtentwicklungskonzept auf einem zentrumsnahen Areal von 32 Hektar. Ein Schulbezirk für 1500 Schüler und eine Siedlung mit rund 500 Wohnungen soll im Stadtteil Parz entstehen und der von Bevölkerungsrückgang geplagten Einpendlergemeinde einen positiven Entwicklungsschub verleihen. Über das Öko- und Energiethema - die Reduktion des Siedlungs-und Verkehrsflächenverbrauchs sowie des Energiebedarfs - will sich die Stadt neu positionieren.

Auch Passivhäuser soll es in der Siedlung geben. Unabhängig vom Entwicklungskonzept für Grieskirchen hat das Büro Poppe*Prehal 2002 das „Haus der Zukunft“-Forschungsprojekt SIP (Siedlungmodelle im Passivhausbau) abgeschlossen, in dessen Rahmen gemeinsam mit dem Fertighauserzeuger Genböck auch Holzhaustypen für den verdichteten Flachbau und Geschoßwohnbau entwickelt wurden.

Teil des Konzeptes ist auch die „Ökologisierung des Passivhauses“, was auf den ersten Blick irritierend erscheint. Doch so durch und durch „öko“ sind viele Passivhäuser nicht. Ein durchschnittliches Passivhaus ist zum Beispiel in 120 Kubikmeter Polystyroldämmung eingepackt. SIP unterzog deshalb 600 Materialien einer Bewertung nach sowohl ökologischen als auch wirtschaftlichen Kriterien und untersuchte deren Lebenszyklus. Sechzehn Passivreihen- und Doppelhäuser sind als erste Baustufe für die Grieskirchner Siedlung in Planung. Bereits in diesem Herbst soll in Winklarn bei Amstetten mit einer Passivhaussiedlung begonnen werden (Bauträger: Gebau-Niobau).


Sparsam in Wien

Auch in Wien sind zwei Passivhausprojekte im Geschoßwohnbau in Vorbereitung. Das Projekt am Kammelweg in Floridsdorf soll ab 2005 rund 600 Bewohnern Energie sparenden Wohnkomfort bieten. Die Projekte der Erstgereihten des zweistufigen Bauträgerwettbewerbes befinden sich zurzeit in der Nachbearbeitungsphase.

Weiter fortgeschritten sind die Planungen für das Projekt in der Utendorfgasse im 14. Bezirk. Einfach drauflosgebaut wird auch hier nicht. In einem ebenfalls vom „Haus der Zukunft“-Programm geförderten Forschungsvorhaben des Planungsbüros Schöberl & Pöll wurden bestehende Energiesparprojekte im sozialen Wohnbau in Deutschland und Österreich analysiert, um aus diesen Erkenntnissen die Planungsziele für ein Wiener Wohnhaus in Passivbauweise nach den Kriterien des Passivhausinstituts Darmstadt zu definieren. Realisiert wird das Projekt von der gemeinnützigen Wohnungs- und Siedlungsgesellschaft Heimat Österreich, die bereits mit einem sechs Wohneinheiten umfassenden Haus in Salzburg-Gnigl Passivhauserfahrung gesammelt hat.

Wie Helmut Schöberl und Michael Pöll in ihrem Bericht festhalten, verlangen Passivhäuser in manchen Bereichen ein anderes Nutzerverhalten als herkömmliche Wohnungen. Die Funktionsweise der Lüftungsanlage, ihre Handhabung oder die Bedeutung der Verwendung energieeffizienter Elektrogeräte wären zum Beispiel solche Punkte. Die Mieter müssen nicht nur im Vorfeld aufgeklärt werden und eine Grundschulung erhalten, sondern sollten auch später noch Ansprechpartner bei allfälligen Problemen mit der Anlage haben.

Franz Kuzmich ist der Architekt der Wohnhausanlage Utendorfgasse. Dass die Vorgabe „Passivhaus“ gestalterische Einschränkungen mit sich bringt, stört ihn nicht. Das sei ähnlich „wie mit dem Luftwiderstand im Automobilbau“. Zwar müsse man einige Grundsätze wie kompakte Baukörper oder erhöhte Dämmstärken berücksichtigen, ein Spielraum für die Gestaltung bleibt dennoch. Was neu ist, ist die Komplexität der Aufgabe und die anspruchsvolle Haustechnik. Die Zusammenarbeit mit anderen Fachdisziplinen ist unumgänglich und weitaus intensiver als im herkömmlichen Wohnungsbau.

Achtunddreißig Zwei- bis Vier-Zimmer-Wohnungen wird das direkt an eine bestehende Bebauung angrenzende Projekt in Floridsdorf umfassen. Die durch die Passivhausweise verursachten Mehrkosten betragen 73 € / m², laut Helmut Schöberl ein realistischer Wert, der wahrscheinlich nicht nach oben korrigieren werden muss.

Der Standard, Fr., 2003.06.27

24. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Ins Grüne gebettet

Ein bescheidenes Häuschen aus den Dreißigerjahren vollzog die Metamorphose zu einem attraktiven Lebensraum in idyllischer Lage.

Ein bescheidenes Häuschen aus den Dreißigerjahren vollzog die Metamorphose zu einem attraktiven Lebensraum in idyllischer Lage.

Ein Passus im Niederösterreichischen Raumordnungsgesetz gestattet die Erweiterung von „erhaltenswerten Bauten im Grünland“ auf eine Wohnnutzfläche von 130 Quadratmeter. Die etwas irreführende Bezeichnung „erhaltenswert“ bedeutet nicht unbedingt, dass das Gebäude besonderen Denkmalwert hat. Es reicht, dass es baubewilligt ist und das Landschaftsbild nicht wesentlich beeinträchtigt.

Andreas und Michaela Dreer vom Architekturbüro Dreer2 kam diese Regelung bei der Errichtung ihres neuen Wohnhauses auf einem Südhang bei Klosterneuburg entgegen. Das hier bestehende Häuschen Baujahr 1931 mit asymmetrischem Satteldach und Südbalkon wirkte zwar recht idyllisch, war für heutige Bedürfnisse aber in jeder Hinsicht unzureichend.

Die Behörde genehmigte die Modernisierung und Erweiterung unter der Auflage, die Kubatur des Altbestandes zu erhalten. Abzulesen ist diese nach erfolgtem Umbau an den mit sägerau belassenem Lärchenholz verschalten Fassaden.
Doch außer der Implikation des bestehenden Volumens blieb fast nichts beim Alten. Das Haus wurde um aluminiumverkleidete Boxen räumlich erweitert. Eine davon bildet einen schützenden Querriegel im Norden, der den an der Ostfassade liegenden Eingangsbereich überdeckt. Die andere kragt aus dem Obergeschoß nach Süden aus und spendet über der geräumigen Terrasse Schatten. Mindestens sieben Monate im Jahr kann die Freifläche damit als luftiger Zusatzraum genützt werden. Die Äste eines alten Apfelbaums geben nach Osten Flankenschutz.

Im Inneren herrscht nicht nur in den neuen Bauvolumina Großzügigkeit. Auch der Altbestand wurde entkernt und bietet jetzt im Obergeschoß bis zum Giebel erreichende Räume, die über Dachflächenfenster belichtet werden. Der Industrieparkettboden aus Nussholz ist nicht nur familientauglich robust, sondern bringt auch einen warmen Ton in die sehr groß wirkenden Räume.

Als Basismöblierung für jegliche Art von Stauraum dient ein Industrieregalsystem, das dank einfacher Steckverbindungen leicht zu verändern ist. Nach außen sichtbare Ablageflächen wurden mit Nussholzplatten veredelt. Kleiderschränke, Garderobe und sogar der Waschtisch wurden daraus gefertigt.

Veränderungspotenziale spielen überhaupt eine große Rolle beim „Haus im Apfelbaum“, wie Dreer 2 ihr Refugium nennen. Im Kinderzimmer sind alle Anschlüsse vorhanden, um irgendwann ein eigenes Badezimmer für den Nachwuchs abzutrennen. Und an der Fassade ist der Offenheitsgrad durch Schiebeelemente aus Lochblech, die Schatten und Sichtschutz spenden, regulierbar.

Die sehr großen Mauerdurchbrüche im Obergeschoß werden noch mit Schiebetüren versehen, um privatere Segmente zu schaffen. Aber auch dann wird das Raumkontinuum zwischen altem und neuem Volumen noch als zusammenhängende Wohn- und Spielfläche erhalten sein.


Schmaler Pfad

Der Zugang zum mitten im Grundstück liegenden Haus erfolgt über einen schmalen, 40 Meter langen Pfad, der sich durch das recht steile Gelände schlängelt. Von der Straße aus sind die neuen Ausmaße aufgrund dieser Situierung kaum erkennbar. Nur die Aluminiumverkleidung des Zubaus blitzt noch grell aus dem Obstgarten heraus. Mit der Zeit wird der Glanz weichen und auch das Lärchenholz vergrauen. Dann wird die Einbettung in die Landschaft so richtig vollzogen sein.

Der Standard, Di., 2003.06.24



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Haus im Apfelbaum

23. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Das Alte im Neuen wiederfinden

Mit Akribie und Sensibilität wurde ein Holzhaus auf dem Pöstlingberg in Linz von Architekt Gerhard Fischill an aktuelle Wohnbedürfnisse angepasst und neu gestaltet.

Mit Akribie und Sensibilität wurde ein Holzhaus auf dem Pöstlingberg in Linz von Architekt Gerhard Fischill an aktuelle Wohnbedürfnisse angepasst und neu gestaltet.

Es sei eines der ersten Wohnhäuser auf dem Pöstlingberg gewesen, erzählen die Eigentümer über ihr 1937 erbautes Blockhaus. Über einem Steinsockel erhebt es sich mit Außenwänden aus nur acht Zentimeter dünnen Holzpfosten. Naturfarbene Holzfenster sowie rot und blau gestrichene Elemente im Bereich der Fenster bildeten einen farbigen Kontrast zu den schwarzen Wänden. Architekt Gerhard Fischill hat es nun neu gedämmt und mit neuen Fenstern versehen.

Obwohl es sich um kein Baudenkmal handelt - wie etwa beim unweit gelegenen, fast zehn Jahre älteren, aber dennoch in der Auffassung weitaus moderneren Haus Rosenbauer von Lois Welzenbacher -, war ein sorgsamer Umgang mit der Substanz angebracht. In einer zurückhaltenden Spielart des alpinen Stils wurde es von einem Baumeister recht kultiviert geplant und ausgeführt. Schon allein deshalb war eine radikale Veränderung nicht angebracht. Zudem handelt es sich um das Elternhaus der Bauherrin.

Neben der Vorgabe, dass das Haus durch den Umbau „praktischer werden“ sollte, stand auch ein möglichst schonender Umgang mit dem Vorhandenen auf der Wunschliste. Der Charakter des alten Gebäudes sollte erhalten bleiben, man sollte das Alte im Neuen wiederfinden.

Das ist gelungen, auch wenn sich einiges geändert hat. Außen sind die Veränderungen an Details abzulesen. Die Fenster hat man erneuert, die alten Klappläden durch rot eloxierte Aluminium-Schiebeläden ersetzt, die Fensterbleche blau gestrichen. Das alte Farbkonzept wurde in eine moderne Klarheit übergeführt, die dem Haus eine neue Balance verleiht.

Auch auf dem Dach gibt es - abgesehen von der neuen Eindeckung mit grauen Schindeln - eine Neuerung, die jedoch kaum als solche auffällt: Hinter den Baumkronen erhebt sich vermeintlich ein überbreiter Schornstein. Tatsächlich handelt es sich bei dem gleich wie das Dach verkleideten Aufbau um einen ganz besonderen Kamin, einen Lichtkamin, der durch einen verglasten Abschluss Licht in das neu errichtete Badezimmer leitet.

Darauf, dass sich besonders innen allerhand verändert hat, weist der in neuer Schlichtheit gestaltete Balkon an der Südseite hin, über den nun breite Fenstertüren das Schlafzimmer erweitern. Die untere Ebene blieb noch im Originalzustand, im Obergeschoß wurden die notwendigen Sanierungsmaßnahmen bei den Wandaufbauten gleich dazu genutzt, ein völlig neues Ambiente zu schaffen. Das sehr groß dimensionierte Schlafzimmer ist an Boden und Wänden mit gebürstetem Lärchenholz verkleidet. Damit wird das Thema „Holzhaus“ auch innen behandelt, jedoch ohne Nostalgie, sondern so, dass eine elegante Atmosphäre, die von einer distanzierten Gelassenheit getragen ist, entsteht.

Eine lange Schrankwand, ebenfalls aus Lärchenholz, egalisiert die unregelmäßige Außenwand und birgt nicht nur all das, was gemeinhin in Kästen verstaut wird, sondern ist zugleich auch ein geräumiger Ersatz für einen Abstellraum. Und zu einem besonderen Schmuckstück, wie man es in einem alten Haus nicht vermuten möchte, geriet auch das Badezimmer, das man unter der Dachschräge auf ziemlich wenig Fläche untergebracht hat. Großzügig wirkt es trotzdem. Über dem Waschbecken ergießt sich ein Tageslichtschwall durch den Lichtkamin. Fliesen gibt es keine. Alle horizontalen Flächen wurden mit Sankt-Margarethener Sandstein belegt, die vertikalen sind weiß oder aus wasserunempfindlichem Teakholz. Optisch Lästiges bleibt dezent verborgen.

Der Umbau hat das Haus zwar verändert, aber nicht im Sinn einer Auslöschung seiner Vergangenheit. Die neuen Interventionen erhöhen die Wohnqualität, wurden aus dem Vorhandenen entwickelt und schreiben die Baugeschichte in einer verfeinerten Form weiter.

Der Standard, Mo., 2003.06.23



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Umbau Haus am Pöstlingberg

16. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Erweiternde neue Schichten

Das Alte in die Gegenwart transponiert: Ein kleines Bauernhaus im Südenburgenland wurde nach Plänen des Grazer Architekten Hans Gangoly mit viel Gefühl für das Bestehende weitergebaut.

Das Alte in die Gegenwart transponiert: Ein kleines Bauernhaus im Südenburgenland wurde nach Plänen des Grazer Architekten Hans Gangoly mit viel Gefühl für das Bestehende weitergebaut.

Eine Sitzbank vor einem burgenländischen Bauernhaus ist nichts Ungewöhnliches. Steht aber ein blassgrünes, von Philipp Starck designtes Kunststoffsofa davor - wie vor einem auf den ersten Blick unscheinbaren Häuschen in Neudauberg -, kann das schon für leichte Irritation sorgen. Die schicke Kunststoffbank ist neben dem sorgfältig neu gestalteten Eingangsbereich ein erster Hinweis, dass man hier Tradition und modernen Lebensstil gut zu vereinen weiß.
Hans Gangoly hat schon bei einigen Bauten - etwa beim Zubau zu einem alten Gutshof, dem Umbau einer Grazer Stadtmühle zu einem Wohnhaus oder, ganz aktuell, dem Mundartinstitut in Oberschützen - ein gutes Sensorium im Umgang mit alter Bausubstanz bewiesen. Der Bauernhausumbau im Südburgenland ist zwar eine der unspektakulärsten und kleineren Arbeiten in seinem Oeuvre, steht in der konzeptuellen Konsequenz aber den anderen nicht nach.

Aufgabe war, den Wohnraum des bescheidenen Gehöfts zu vergrößern, wobei das Haus während der Umbauphase bewohnbar bleiben musste. Eine der Vergrößerungsmaßnahmen betraf die Neugestaltung des Innenhofes. Er wurde zur Hälfte als Veranda ganzjährig nutzbar gemacht. Der Holzrost am Boden verdeutlicht, dass es sich hier um keinen eindeutigen Innenraum handelt. Gläserne Dachflächen und raumhohe Glasschiebewände in der Stahlkonstruktion bewirken, dass die Ausdehnung des Hofraumes weiter erfahrbar bleibt. So wurde mit einfachen Mitteln ein Übergangsbereich geschaffen, der je nach Witterung als Innen- oder Außenraum zu verwenden ist.
Die größere Intervention erfolgte an der dem Obstgarten zugewandten Südseite, wo das Haus um ein 45 m² großes Wohnzimmer mit drei verglasten Seiten erweitert wurde. Schiebetüren führen auf eine schmale, überdachte Terrasse. Oberlicht kommt durch den raumbreiten Lichtschacht, der an den Längsseiten mit Holz verschalt wurde. Von außen ist das nicht gleich verständlich. Schließlich wird das Wohnzimmer durch die Glaswände bestens belichtet. Erst von innen versteht man, dass die südseitige Deckenöffnung Teil einer wohldurchdachten Dramaturgie ist. Denn die Überleitung vom Altbau mit seinen engen, sparsam belichteten Räumen in den hellen Zubau wurde sorgsam inszeniert: Dadurch, dass die südliche Glasfassade erst etwas tiefer als die Deckenuntersicht ansetzt und der Altbau, bedingt durch die Hanglage, höher liegt, wird der Blick in den Garten gelenkt. Der Horizont ist aus dem Bestand nur im Sitzen zu sehen. Das von oben einfallende Licht wirkt als Anziehungspunkt und suggeriert eine Weite, die erst, unten angekommen, tatsächlich zur Gänze erfahren wird.

Die Deckenuntersicht ist in hellem Grau gehalten, der Lichtschlitz cremeweiß gefärbelt. Das steigert die Licht-Schatten-Wirkung, der Übergang vom Düsteren ins Helle erfolgt weniger abrupt. Eine kleine Maßnahme, die dazu beiträgt, dass der Anbau sich atmosphärisch mit dem Bestehenden verbindet.
Für die oberen Zimmer entstand auf dem Dach ein attraktiver Freiraum, der durch den einer Attika ähnlichen Hochzug des Oberlichtes geschützt ist. Da das Haus keinen Keller hatte, wurde der Zubau unterkellert. Der Zugang erfolgt praktischer Weise direkt aus dem Wohnzimmer.
Gangoly hat das 150 Jahre alte Haus weitergebaut, ohne bestehende Qualitäten oder seine Identität zu zerstören.

Der Standard, Mo., 2003.06.16



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Um- und Zubau Haus Wagner-Pirch

16. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Bürokristall mit Wirbelsäule

Das Büro- und Gewerbezentrum IP-Two sorgt für einen erfrischenden Akzent am Westgürtel und bietet seinen Nutzern Raumkonzepte abseits des Üblichen.

Das Büro- und Gewerbezentrum IP-Two sorgt für einen erfrischenden Akzent am Westgürtel und bietet seinen Nutzern Raumkonzepte abseits des Üblichen.

So gut wie jedes neue Bürogebäude wird damit beworben, flexibel zu sein. Gemeint ist damit, dass die Geschossflächen weitgehend stützenfrei und innerhalb eines wirtschaftlich optimierten Rasters beliebig teilbar sind. Flexibel bedeutet im Jargon der Büroflächenplaner und -anbieter auch, dass die Versorgung mit diversen Installationsleitungen so ausgelegt ist, dass Firmen problemlos ihre notwendige technische Ausstattung andocken können. Man könnte fast annehmen, dass frei teilbare Flächen, leicht zugängliche Leitungskanäle und leistungsfähige IT-Backbones in einem Bürohaus des 21. Jahrhundert noch keine Selbstverständlichkeit sind.

Gern wird der Begriff Flexibilität mit dem der Multifunktionalität gepaart. Meistens bedeutet dass nicht mehr, als dass sowohl eine Werbeagentur als auch die Grundbuchbehörde damit zurechtkommen. In der Realität bedeutet das nach ökonomischen und arbeitshygienischen Kriterien optimierte Räumlichkeiten neben-und übereinander geschichtet sind. Wer seine Nachbarn sind, weiß man nur von den Firmenschildern und den Autos in der Tiefgarage. Nach getaner Arbeit ist kein Bedürfnis größer, als jenes, möglichst schnell dem Ort zu entfliehen.

Ein neues Bürohaus am Wiener Lerchenfeldergürtel zeigt, dass Büroarchitektur - ohne die Mietpreise in die Höhe zu treiben - auch anders aufgefasst werden kann. IP-Two heißt es. Die ersten zwei Buchstaben stehen für Impulszentrum, das Anhängsel bedeutet, dass es bereits das zweite dieser Art in Wien ist. Sowohl die knallorange Nummer Eins in der Fernkorngasse als auch den schwarzen Kristall am Gürtel haben die für extravagante Raumschöpfungen und kreative Interpretationen von Bauvorschriften und Raumprogrammen bekannten Architekten von BKK-3 (Franz Sumnitsch und Johann Winter) geplant. Es handelt sich dabei um Büro- und Gewerbezentren, die mehr anbieten, als die zwingend notwendige Infrastruktur.

Die Flexibilität wurde hier in all ihren Bedeutungsebenen inhaltlich und formal - im Sinne von funktional anpassungsfähig genauso wie als elastische Form - behandelt. Multifunktionalität äußert sich so, dass öffentliche, hausgemeinschaftliche und individuelle Nutzungen ineinander übergreifen und so die Kommunikation zwischen den Nutzern fördern.

Das Foyer ist als weitläufige, gefaltete Landschaft in Cremeweiß gestaltet. Außen und Innen gehen geschmeidig ineinander über. Ein gläserner, voll ausgestatteter Seminarraum steht allen Mietern zur Verfügung. Die weißen Faltungen setzen sich in den dahinter liegenden Hof fort, dessen weißer Holzrostbelag über die Wand samt integrierter Sitzbank hochgezogen wird. Repräsentativ und luftig wirkt die ganze Eingangsebene und lässt die verkehrsumtoste, staubige Stadtautobahn vor der Tür sofort vergessen.

Das im Halbstock untergebrachte Café ist zum Foyer hin nicht abgeschlossen, sondern wurde über eine sacht ansteigende Treppe mit begleitender Rampe angebunden. In die Rampe eingelassene Buchten - Schüsseln nennen die Architekten sie - gliedern den schrägen Bereich und standen als individuell vom Cafébetreiber zu gestaltende Bereiche zur Verfügung. Angesichts der mittlerweile bereits installierten Caféteria, die einen etwas betriebskantinenhaften Flair verströmt, ist es bedauerlich, dass dafür nicht auch gleich das Baukünstlerkollektiv herangezogen wurde. Das blaue Mobiliar wirkt etwas bemüht in die fließende Raumlandschaft eingezwängt. Irgendwie scheint es innenarchitektonisch mit den Gastbetrieben in den neuen Gürtelparadebauten nicht so recht klappen zu wollen. Das Restaurant am Dach der Hauptbibliothek besticht ja auch höchstens wegen der Aussicht und des Mittagsmenüs.

Das entwurfsbestimmende Thema war eindeutig der Gürtel, so BKK-3-Architekt Johann Winter. Der unwirtlichen Ort, der aber als breite Stadtachse mit der revitalisierten Mittelzone im Bereich der Stadtbahnbögen durchaus seine Reize hat, ist aus dem Bürohaus als urbanes Kraftfeld wahrnehmbar. Die Fensterbänder reichen bis zum Boden. Das Draußen ist dadurch weitaus präsenter, als es mit einer herkömmlichen Lochfassade wäre.

Aber auch intern spielen Durchblicke eine große Rolle. Glastüren öffnen sich zu den Erschließungsflächen. Dadurch erhalten auch kleinere Einheiten ein Zugehörigkeitsgefühl zum Ganzen. Hoch attraktiv werden die Gangzonen durch die das Haus durchstoßende „Wirbelsäule“. Dabei handelt es sich um einen zentralen Lichthof, der von einem Band massiv ausgeführter Brüstungsbänder begleitet wird. Er gewährleistet, dass die Büros nach innen gelüftet werden können und man die Schadstoffemissionen des Gürtels draußen halten kann. Neben diesen haustechnischen Aufgaben dient die Wirbelsäule aber auch als Kommunikationszone. Während einer Zigarettenpause ist man hier in Blickverbindung zu den anderen Geschossen, man trifft die Nachbarn, ist nicht isoliert in irgendeinem uneinsehbaren Winkel, sondern mittendrin.

Dem Thema „Gürtel“ erweist auch die Außenhaut Referenz. Schwarz werden Fassaden am Gürtel sowieso irgendwann. Und so überzieht das Schwarz den gesamten Baukörper. Wie es zu dessen Form kam, ist übrigens nicht ein Resultat formaler Willkür oder extremer Ausreizung der erlaubten Kubatur. Denn ursprünglich war das Grundstück komplett mit einer Hochgarage bebaubar gewidmet. Irgendwann wurde im Zuge der Attraktivierung des Gürtels klar, dass hier eine andere Widmung attraktiver sei. Die volle Bauhöhe hätte noch 15 Meter weit in die Grundsteingasse gezogen werden können, dann wäre allerdings ein Höhensprung zur niedrigeren Bebauung vonnöten gewesen. Um diesen Einschnitt zu verhindern, entschlossen sich Sumnitsch und Winter, nicht „beinhart ums Eck zu gehen“ sondern sachte überzuleiten. Um dem Nachbargebäude am Gürtel, dessen Lichthof zum IP-Two-Grundstück offen ist, nicht die Belichtungssituation zu verschlechtern, wurde dieser Bereich freigehalten.

Der Grünstreifen vor dem IP-Two und dem Nachbargebäude soll in eine nutzbare Installation, die in einer erhöhten Rampe ausläuft, verwandelt werden. Künstliche „Schachtelhalme“ die als Sitz- und Lehnobjekt zu gebrauchen sind sollen sich, so ist es vorläufig erdacht, vom Foyer bis auf die Rampe fortpflanzen und eine kleine Oase in der Verkehrswüste bilden. Ein Stück Gürtelrandzone würde damit vom Hundeklo zu einem Stück öffentlichen Raum werden. Das müsste sogar im Rahmen einer Aktion zur Befreiung der Stadt vom Hundekot förderbar sein.

Einen unängstlichen Bauherren, der das unorthodoxe Konzept mitträgt, braucht es dazu natürlich auch. Die Prisma Holding AG, die bisher ihre Betriebsansiedlungsprojekte und Gewerbezentren vor allem an Standorten in Vorarlberg und Wien entwickelte, hat keine Scheu vor Innovationen. Signifikante, hochwertige Architektur findet ihre Kunden. Auch beim IP-Two ist sie für die meisten Mieter das entscheidende Kriterium. Frei teilbare Grundrisse und eine moderne Gebäudetechnik, das sei der Ordnung halber erwähnt, gehören übrigens auch hier zum Angebot. Wem das allein genügt, dem ist nicht zu helfen.

Der Standard, Mo., 2003.06.16



verknüpfte Bauwerke
IP-Two

07. Juni 2003Franziska Leeb
Der Standard

Alter Glanz und neuer Nutzen

Das Sanatorium Purkersdorf wurde als Seniorenresidenz wieder eröffnet und erhielt neue Annexbauten.

Das Sanatorium Purkersdorf wurde als Seniorenresidenz wieder eröffnet und erhielt neue Annexbauten.

Es zählt zu den bekanntesten Pionierwerken der Moderne, aber auch zu den am nachlässig behandeltsten. Radikal klar in der Formensprache und zusammen mit den eigens entworfenen Wiener-Werkstätte-Möbeln als Gesamtkunstwerk konzipiert, hat es Josef Hoffmann 1904-1906 im Auftrag des Industriellen Victor Zuckerkandl als moderne Kuranstalt von großer Noblesse realisiert. Schon zwei Jahre danach begann die unrühmliche Geschichte der Verschandelung und Vernachlässigung des „Sanatorium Westend“ in Form einer Aufstockung, die das Gesamtbild empfindlich störte. Es folgten die Enteignung durch die Nationalsozialisten, Plünderungen und Zerstörung. Es diente als Kriegslazarett, später als Krankenhaus und Altersheim und stand ab 1984 leer.

Vor drei Jahren hat der Wohnbauträger BUWOG den Hoffmann-Bau und das dazugehörige Areal erworben und eine Verwendung gefunden, die den geschundenen Bau in Würde weiterbestehen lässt. Er dient nun als Seniorenpflegeresidenz, eine Nutzung die dem ursprünglichen Zweck verwandt ist. Wirtschaftliche Tragfähigkeit und denkmalpflegerische Tragbarkeit galt es unter einen Hut zu bringen, und so erhielt der außen und innen picobello restaurierte Hoffmann-Bau einen neuen Nachbarn. Insgesamt verantwortlicher Architekt ist Wolfgang Rainer, der bereits in den Neunzigerjahren für den damaligen Eigentümer das Areal beplante. Damals erfolgte auch die Wiederherstellung der äußeren Hülle durch Architekt Sepp Müller, der auch jetzt eingebunden war.

Der Zubau ist über den historischen Wandelgang mit dem Hoffmann-Bau verbunden und beeinträchtigt diesen überraschend wenig. Zu deutlich hebt er sich ab, zu wenig dick trägt er auf, um den bedeutenden Nachbarn zu stören. Mit drei Vollgeschoßen und einem zurückspringenden Dachgeschoß ordnet er sich in seiner Ausdehnung unter. Die Mittelachse betonen gläserne Anbauten, in denen sich Gemeinschaftsräume (vorne) und das Stiegenhaus (hinten) befinden. Die Zimmer öffnen sich auf barrierefrei zugängliche Loggien. Glasbrüstungen sorgen dafür, dass auch bettlägrige Bewohner Ausblick haben. Auch der rückwärts an den Wandelgang angebaute Cafépavillon fügt sich als Teil des neu geschaffenen Ensembles gut ein. Kurz- um handelt es sich bei den Zubauten um eine solide Gegenwartsarchitektur, der man das Bemühen um funktionelle Qualität - wie kurze Wege und Übersichtlichkeit - und proportionale Ausgewogenheit ablesen kann.

Ein einzigartiger, eleganter Pionierbau, ein moderner Zubau, ein schöner Park - könnten sich betagte Menschen, die es sich leisten können, mehr wünschen, als den Lebensabend in solch einem Ambiente zu verbringen? Könnten sie. Zum Beispiel eine Zimmereinrichtung, die der Hochwertigkeit und Eleganz des Hoffmannschen Gesamtkunstwerks gerecht wird. Für die gesamte Innengestaltung der neuen Zubauten sowie der Zimmer im Hoffmann-Bau zeichnen weder Architekt Wolfgang Rainer noch die BUWOG verantwortlich. Sie oblag ganz den Wünschen des Betreibers namens „Kräutergarten Seniorenresidenz“. Das Denkmalamt pochte zwar bei den öffentlich sichtbaren und zugänglichen Bereichen auf möglichst originalgetreue Wiederherstellung, nahm aber ansonsten noch auf die Ausstattung keinen Einfluss. Nicht dass Sie mich falsch verstehen: Billig ist die Einrichtung nicht, und es stört grundsätzlich auch nicht, dass sie heutigen Erfordernissen entspricht. Was schmerzt, ist, dass sie keinen Funken von der Stilsicherheit und Klasse des noblen Sanatoriums Westend hat. Jugendstilig gemusterte Vorhänge, quadratische Wandpaneele und unmotiviert verteilte Intarsien im Linoleumboden sind eher Zeugen eines groben Missverständnisses denn von großem Einfühlungsvermögen. Trotz dieses Wermutstropfens: Gut, dass gerettet wurde, was zu retten war, dass eine sinnvolle Nutzung gefunden wurde und dass Architekturtouristen nicht mehr fassungslos kopfschüttelnd davor stehen und fragen, warum ein reiches Land, eine angeblichen Kulturnation, mit ihren Perlen der Baukunst nichts anzufangen weiß.

Der Standard, Sa., 2003.06.07



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Sanatorium Purkersdorf - Umbau

30. Mai 2003Franziska Leeb
Der Standard

Schlanker Solitär auf dem Markt

Ein von den Architekten Andreas Fellerer und Jiri Vendl geplantes Wohnhaus ist Teil der Grätzel- Revitalisierung am Schwendermarkt.

Ein von den Architekten Andreas Fellerer und Jiri Vendl geplantes Wohnhaus ist Teil der Grätzel- Revitalisierung am Schwendermarkt.

Dass der seit 1833 an der Äußeren Mariahilfer Straße im 15. Bezirk bestehende Schwendermarkt ein traditionsreicher Handelsplatz ist und an einer wichtigen Stadtachse liegt, hat ihn nicht vor der Verwahrlosung bewahrt. Angesichts heruntergekommener und leer stehender Standeln gab es deshalb Ambitionen, das Marktgebiet durch eine Wohnbebauung, die auch Geschäftsflächen für die Marktstandler bieten sollte, zu ersetzen. 1994 wurden fünf Architekturbüros zum Wettbewerb geladen, den Andreas Fellerer und Jiri Vendl für sich entschieden.

Bald regte sich Widerstand gegen den Abriss des Marktes und den Neubau. Einigkeit herrschte nur darin, dass etwas geschehen müsse, um die miserablen Zustände zu beheben und den Verslumungstendenzen entgegen zu wirken. Irgendwann hatten sie das Projekt bereits abgeschrieben, erzählen heute die Architekten Fellerer und Vendl. Bis vor drei Jahren eine salomonische Lösung gefunden war. Ein Teil des Marktgeländes wurde an die Wohnbaugenossenschaft Heimbau verkauft, um hier einen gegenüber den ursprünglichen Plänen auf etwa ein Drittel reduzierten Neubau zu errichten. Der verbleibende Markt wurde saniert und attraktiver gestaltet.
Wie schon das größere Wettbewerbsprojekt ankündigte, zählen Fellerer und Vendl nicht zu der Sorte Architekten, die ihre Bauten spektakulär in Szene setzen. Dennoch ist der vorige Woche den Mietern übergebene Bau mit 54 Wohnungen ein signifikanter Blickfang geworden. Der nur zwölf Meter tiefe und 90 m Meter lange Baukörper steht ohne direkte Nachbarn im Anschluss an einen neu gestalteten Platz neben dem sanierten Marktgelände. Die abgerundeten Schmalseiten verstärken den Charakter eines Solitärs und den Eindruck der Schlankheit.

Ein guter Grund für die Rundungen ist aber auch die Janusköpfigkeit des Gebäudes. Denn sie leiten den Betrachter von der einen Straßenfassade zur zweiten. An jener zur Mariahilfer Straße liegen der Haupteingang, eine erdgeschoßige Ladenzone und darüber die Laubengänge, über die man zu den Wohnungen kommt. Da der Straßenraum hier außer einer großen Verkehrbelastung wenig zu bieten hat, ist die Zugangszone mit einem metallischen Gewebe abgeschirmt. Es bietet Witterungsschutz, verschmutzt weniger sichtbar als Glas und legt einen silbrig flimmernden Schleier zwischen die private Wohnlichkeit und das unwirtlichere Draußen.
Die zweite Erdgeschoßzone liegt eine Ebene tiefer entlang der als Fußgängerzone gestalteten Schwendergasse. Die Wohngeschoße darüber öffnen sich zum ruhigen Straßenraum mit in die Fassade eingeschnittenen Loggien. Die Laibungen und Decken der Loggien sind wie die Außenwände mit grauen Eternitplatten verkleidet, was für eine reliefartig anmutende Fassade von angenehm ruhiger Ausstrahlung sorgt. Große Fenster mit verglasten Parapeten und Oberlichten sorgen für gute Lichtverhältnisse und einen Hauch von Großzügigkeit. Sonst war an Extravaganzen wenig möglich, schließlich handelt es sich um geförderte Mietwohnungen, die übrigens bereits im Dezember alle bereits vergeben waren.
Was allerdings schon ganz besonders ist, sind die sieben Dachmaisonetten, deren obere Geschoße sich mit ihren stadteinwärts geneigten Dächern wie Sägezähne abzeichnen. Von hier reicht die Aussicht bis zur Gloriette, nach Steinhof und in den Wienerwald. Die geräumigen Dachterrassen zwischen den Wohnungen sind zur Mariahilfer Straße hin durch Verglasung vor Lärm geschützt. Von den Gemeinschaftsterrassen an den Enden der Dachflächen kommen auch Bewohner tiefer liegender Geschoße in den Genuss des tollen Ausblicks.

Im „Kurier“ wurde das Haus recht übertrieben als „Wohnpalast“ tituliert. Doch weder das unprätentiöse Äußere noch die Wohnungen haben etwas aufgesetzt Protziges. Es handelt sich nur um ein städtebaulich gut gesetztes Haus mit hoher Wohnqualität, das dem Umfeld einen neuen Impuls verleiht. Kein Palast, aber ein Musterbeispiel an solider, menschenfreundlicher Wohnarchitektur in einem ökonomisch engen Korsett.

Der Standard, Fr., 2003.05.30



verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus Schwendermarkt

26. Mai 2003Franziska Leeb
Der Standard

Mit Hightech für Poesie sorgen

Ein kleiner, feiner Zubau zu einer Wiener Biedermeiervilla wurde wegen seiner innovativen Glasbautechnik preisgekrönt.

Ein kleiner, feiner Zubau zu einer Wiener Biedermeiervilla wurde wegen seiner innovativen Glasbautechnik preisgekrönt.

Versteckt im Garten eines Hietzinger Biedermeierhauses, auf einer Grundfläche von nur 23 Quadratmeter, gelang den Architekten Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer eine technologische Meisterleistung. Es handelt sich „nur“ um einen Wintergarten, der das Wohnzimmer Richtung Garten erweitert. Wände und Decke sowie die notwendigen Stützen und Balken bestehen aus Glas. Auch das ist heutzutage nichts Besonderes mehr. Die Aufsehen erregende Innovation, die vergangene Woche mit dem in der Fachwelt sehr beachteten Solutia Design Award 2003 ausgezeichnet wurde, liegt im Detail. Konkret in der Art der Verbindung der einzelnen Isolierglasscheiben. Die ist nämlich nur geklebt und völlig ohne zusätzliche mechanische Halterung ausgeführt.

Bereits vor fünf Jahren stellten die beiden Architekten einen formal ähnlichen Zubau in Salzburg fertig. Damals scheiterte die reine Klebeverbindung an den österreichischen Normen, die zusätzlich mechanische Verbindungen vorschreiben. Diesmal sollte es jedenfalls ohne gehen.

Zwei Firmen gäbe es in ganz Österreich, so Aneta Bulant-Kamenova, die so komplizierte Lösungen umsetzen können. In diesem Fall war es die niederösterreichische Fuchs-Glastechnik, die sich ins Zeug legte, um die 1,90 m breiten und 4,20 m langen Glasteile - das ist die maximale Produktionsgröße von Verbundsicherheitsglas - aneinander zu fügen.

Für besten Durchblick sorgt neben der minimierten Konstruktion auch die Glaswahl: Diamantglas extra weiß hat einen geringen Eisenanteil und wirkt deshalb auch bei einer Stärke von 36 mm noch ganz klar. Man suchte eine Alternative zu Silikon oder Gießharz, die alle Anforderungen hinsichtlich Festigkeit, Elastizität sowie Frost- und UV-Beständigkeit erfüllt. Der passende Einkomponenten-Kleber wurde eigens für dieses Bauvorhaben gemischt, und nach gründlicher Prüfung durch die Staatliche Versuchsanstalt in Linz durfte die Konstruktion schließlich ohne zusätzlich sichernde Metallverschraubungen ausgeführt werden. Die einzigen Fremdkörper in der gläsernen Hülle sind die Türbänder.

Warum tut man sich das für einen Wintergarten an? Kostengünstigkeit scheidet als Motivation auf jeden Fall aus. Die progressive Technologie sei nur Mittel zum Zweck, betonen die beiden Architekten. „Das Bauwerk wird zum aktivierenden Organ der Interaktion mit der Umgebung“, drücken sie es aus.

Durch die Beschränkung auf das Material Glas bleibt die Wahrnehmung des Freiraums ungetrübt. Wenn die beiden aber erzählen, mit wie vielen Spezialisten und Firmen sie Know-how ausgetauscht haben, um zu einer optimalen Lösung zu kommen, wird klar, dass wohl auch ein hohes Maß an Forschergeist und sportlichem Ehrgeiz mit im Spiel war.

Es ist nicht nur der Glaskubus allein, der das 150 Jahre alte Haus jetzt um soviel lebenswerter macht. Zusätzlich wurde die Terrasse erweitert und ein bequemerer Gartenzugang errichtet. Überspannt ist alles von einer Pergola, bei der es sich im Vergleich zu üblichen Schattenspendern um Juwelierarbeit handelt. Sie besteht aus Yachtmasten, in deren Nuten anstelle der Takelage ein textiler Sonnenschutz geführt ist. Durch die Hohlräume der elliptischen Masten wurde die Verkabelung für die Außenbeleuchtung gefädelt.

Das Tüfteln hat sich jedenfalls gelohnt. In seiner Reduziertheit beeinträchtigt der Zubau das Erscheinungsbild der Biedermeiervilla nur positiv, ihren Charakter zerstört er nicht.

Anfangs waren die Bauherren wegen der hohen Transparenz skeptisch. Heute genießen sie den Raum zu jeder Tages- und Jahreszeit. „Herbstregen und winterliche Schneestürme verwandeln sich hier von einer lästigen Plage zu einem poetischen Ereignis.“ Das allein schon war die Mühe wert.

Der Standard, Mo., 2003.05.26



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Garden Room

17. Mai 2003Franziska Leeb
Der Standard

Optisch und ökologisch verträglich

Ein Wienerwaldhaus neuen Zuschnitts plante Thomas Abendroth für eine Familie in Purkersdorf.

Ein Wienerwaldhaus neuen Zuschnitts plante Thomas Abendroth für eine Familie in Purkersdorf.

Was lange eine Domäne des österreichischen Westens war, wird nun auch im Osten von Bauherren immer stärker nachgefragt und von Architekturbüros angeboten: solares und ökologisches Bauen. Kein Wunder also, dass beim Großen Österreichischen Solararchitekturpreis 2003, bei dem die Einreichungen nicht nur nach energietechnischen, sondern löblicherweise auch nach architektonischen Kriterien bewertet werden, zwei niederösterreichische Häuser unter den Preisträgern waren.

Eines davon in Öhling von den Architekten Poppe und Prehal wurde bereits vorgestellt (DER STANDARD, 10. 11. 2001). Das zweite stammt von Architekt Thomas Abendroth und zeigt ebenfalls, dass die architektonische Qualität nicht unbedingt unter den Zwängen der Ökologie k.o. gehen muss. Es füllt eine schmale Baulücke in einer historisch gewachsenen Siedlung, wie sie für den Wienerwald typisch ist. Die mögliche Breite wurde ausgenutzt, dennoch wirkt das Haus nicht ins Grundstück hineingezwängt.

Der Architekt hat sich einiges einfallen lassen, um den Baukörper in die Höhe zu strecken und die horizontale Ausdehnung möglichst wenig wirken zu lassen. Die Zweiteilung der Fassadenmaterialien ist eine Maßnahme: Wo der Bau am höchsten ist, wurde er in eine homogene Schicht aus Lärchen-Dreischichtplatten eingepackt. Die andere Hälfte ist mit einer Bretterschalung verkleidet, die auch noch als Terrassenbrüstung über die Haushöhe weitergezogen wurde, um den Turmcharakter zu betonen. Fensteröffnungen sind sparsam gesetzt. Er möchte mit dem Einsatz von Glas bewusst umgehen, sagt Thomas Abendroth. Denn die Energiegewinne durch große Fensterflächen würden oft überbewertet, die Überhitzungsgefahr hingegen gern unterschätzt.

Es ist bereits etwas Phantasie notwendig, um vom Äußeren auf das - übrigens sehr weitläufige, aber dennoch in vielfältige Rückzugsbereiche gegliederte - Innere zu schließen. Die große Überraschung kommt aber ganz oben. Hier liegt nur ein Arbeitsraum, umgeben von einer breiten, nach Süden und Osten orientierten Dachterrasse. Sie dient als uneinsehbares Sonnendeck und luftiger Kinderspielplatz.

Mittlerweile hat sich das Gebälk der Pergola auch als vortreffliche Halterung für Schaukel und Trapez erwiesen, was für den Solarpreis aber weniger ausschlaggebend war. Mehr zählte da schon die ganz auf Umweltverträglichkeit ausgerichtete Bauweise. Es handelt sich um einen mit Zellulose gedämmten Holzriegelbau, dem Stahlbetoninnenwände als Aussteifung und Speichermasse dienen.

Obwohl energietechnisch „nur“ ein Niedrigenergiehaus, kamen einige Elemente aus dem Passivhaus-Standard zur Anwendung, um die bauphysikalischen Werte zu optimieren. Dazu zählt das Lüftungs-Kompaktaggregat mit Wärmepumpe und Wärmerückgewinnung, womit der größte Teil des Raumwärmebedarfs abgedeckt und das Warmwasser bereitet werden. Ein Pelletsofen im Wohnzimmer und elektrische Heizkörper im Bad unterstützen während der kalten Jahreszeit. Die Fenster mit ihren sehr schlanken Profilen sind ebenfalls Passivhaus-tauglich. Sie stammen aus norwegischer Produktion und haben die Sonnenschutzjalousie hinter der äußersten Schicht der Dreischeibenverglasung integriert.

„Ein Haus mit niedrigen Betriebskosten gibt Sicherheit“, sagt Architekt Abendroth, den energiebewusstes, ökologisches Bauen schon seit seinem Studium interessiert. Nicht nur die weitgehende Unabhängigkeit von Energiepreisen sei ein gutes Argument für Heizsysteme auf Basis einer automatischen Wohnraumlüftung. Die Anlagen können auch mit Pollenfiltern ausgestattet werden und so das Leid von Allergikern lindern, da für ein gut durchlüftetes Raumklima auch bei geschlossenen Fenstern gesorgt ist.

Der Standard, Sa., 2003.05.17



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Niedrigenergiehaus in Purkersdorf

10. Mai 2003Franziska Leeb
Der Standard

Sack aufbreiten, Knopf aufmachen...

. . . und Architektur lustvoll erleben. Die junge Grazer Szene präsentiert sich mit einer ungewöhnlichen Ausstellung im Architektur Zentrum Wien.

. . . und Architektur lustvoll erleben. Die junge Grazer Szene präsentiert sich mit einer ungewöhnlichen Ausstellung im Architektur Zentrum Wien.

Gleichzeitig mit der aufwändigen, von Zaha Hadid gestalteten Ausstellung „Latente Utopien“ fand während des Steirischen Herbstes 2002 eine zweite Architekturausstellung statt. „Frische Fische aus dem Architektenpool“ hieß sie, und im Gegensatz zur Bilderflut der medial präsenteren Schau gab es bei den „Frischen Fischen“, die für die jüngste Architektengeneration stehen, (vorerst) nur wenig zusehen.

Der Kunstverein ARGE Loft bat 22 in Gruppen organisierte ArchitektInnen um Statements zu ihrer Arbeitsweise, die es in möglichst handliche Verpackungen zu verstauen galt. Eine Anleitung zum Entpacken war beizufügen. Nur diese und eine Aneinanderreihung individuell gestalteter Transportverpackungen - Sperrholzkisten, Kunststoffcontainer oder kleine Aluminiumköfferchen - gab es in Graz zu sehen. So mancher Ausstellungsbesucher fühlte sich angesichts unerfüllter Erwartungen zum Narren gehalten. Denn erst an den nächsten Ausstellungsorten der Frische Fische-Tournee, so das Konzept, sollten die Objekte entfaltet und die Inhalte der Packungen preisgegeben werden.

Es ist soweit. Im Architekturzentrum Wien wurden die Kisten, Säcke und Koffer nun erstmals geöffnet. Wie bei den bekannten Schokoladeneiern sind die Inhalte höchst unterschiedlich: überraschend, witzig und animierend, manche aber auch banal und kompliziert zu verstehen.

Dennoch, über die einzelnen Herangehensweisen lässt sich mehr herauslesen als aus manchem Rendering oder fesch aufbereiteten Fotodokumentationen.

Der Gruppe get zum Beispiel ist der Kontext zwischen den Polen Architektur und Freiraum ein Anliegen. Ihre Kiste entfaltete sich zu einem plüschig grün tapezierten Durchgang, in dem Säckchen mit Blumensamen zur freien Entnahme bereitliegen.

Auch andere machen sich mit „Give-aways“ beliebt. Samen und Pflanzkästen stylish aufbereitet gibt es von LOVE. Hans Peter Machné und Marianne Durig haben bedruckte T-Shirts im Gepäck. Die Kleidung steht für die „schutzgebende Haut“ eines Gebäudes, aber auch für „Materialwechsel“-Themen, die auch bei ihrem jüngsten realisierten Projekt, dem Gemeindezentrum Hopfgarten eine Rolle spielen.

Nutzen und user-gerecht arrangieren, was da ist, so legt die Gruppe Innocad ihre Projekte an. Tausende Bierdeckel liegen bereit, können entweder als solche verwendet, als Designobjekt in die Vitrine gelegt oder zu Kartenhäusern gefaltet werden. Kartenhausbauer sind aufgerufen, Fotos ihrer Kreationen an Innocad zu mailen. Der Sieger wird nach Graz eingeladen.

Die Mechanismen der freien Marktwirtschaft und wie man sich marketingmäßig am besten darin positioniert, haben die meisten kapiert. Und wenn mancher Beitrag den Eindruck erweckt, dass es erstrangig gilt, Hülle und Image zu verkaufen, dürfte man damit schon ganz richtig liegen. Von den Architekten der Gruppe purpur gibt es auch jetzt nicht mehr zu sehen als einen Metallcontainer mit Firmenlogo. Auch ein Statement.

Gleich bei drei Teams war ein Mobiltelefon in der Kiste. Jenes der X-architekten und der Gruppe n-o-m-a-d hängt - wohl als dreiste Aufforderung zur Kontaktaufnahme - an der Wand.

Bei non:conform, die Projekte gern entspannt im Baumeln und baumeln lassen entwickeln, darf man sich's dazu zumindest auf einer schicken Designerliege bequem machen.

Auch wenn der Name zeitgeistig klingt, die Supernett Architects versuchen abseits aktueller Trends zu agieren und suchen nach den universellen Prinzipien der Architektur. In sorgfältig gerahmten gläsernen Schaukästen präsentieren sie zwei ihrer Arbeiten, die bei Klassikern wie Mies van der Rohe oder Schinkel anknüpfen.

Die Ansätze sind heterogen, eines macht die Ausstellung aber deutlich: Einzelkämpfer sind selten geworden. Ökonomische Zwänge und neue Herangehensweisen an das Planen haben das Auftreten von Gruppen zur gängigen Praxis gemacht. Wie sie zusammenfinden?

„Wir kennen uns aus dem Zeichensaal“ ist eine häufige Antwort, wenn man Grazer Architektenteams nach ihrer Entstehungsgeschichte befragt. Exzessive Feste, legendäre Begegnungen und interessante Projekte hätten die Zeichensäle hervorgebracht, hört man. Die von Zeichensaalmitgliedern herausgegebene Publikation „open:24h - workground/playground“ beleuchtet den Mythos Zeichensaal für Außenstehende. Seit den 60er-Jahren sind die Architekturzeichensäle das kommunikative und kreative Universum der Engagierten, die sich nach außen auch stets als Eliten zu positionieren verstanden.

Nicht jeder hat Zugang. Dass die Nachfrage weitaus größer ist als das Angebot und dass es mittlerweile auch acht private Zeichensäle in Graz gibt, macht den eklatanten Mangel an Arbeitsmöglichkeiten an der Architekturfakultät deutlich. Von den Professoren werden diese in Selbstverwaltung organisierten Think-Tanks in Universitätsräumlichkeiten oft bekämpft, aber auch gefördert.

Hochbau-Professor Roger Riewe stellt zum Beispiel eine präzise Forderung: Jede(r) Studierende soll einen Arbeitsplatz bekommen und auf jeden Fall sollen die Zeichensäle autonom sein, denn nur so bliebe ihr innovatives und intellektuelles Potenzial gewährt.

Er stößt damit in das gleiche Horn wie die Ressortleiterin des Karrieren-STANDARD, Johanna Zugmann, die im Vorwort den Zeichensaal als Trainingsraum für die Arbeitswelt bezeichnet. Eine Leistung, die der professorale Frontalunterricht nicht leisten könne, so Zugmann. Und für die im wirklichen Architektenleben keine Zeit mehr ist.


[Architekturzentrum Wien Ausstellung „Frische Fische aus dem Architektenpool - Graz 03“ bis 26. 5.
Diskussion über aktuelle Tendenzen der Architekturpraxis und Konsequenzen für die Ausbildung sowie Präsentation der Publikation „open:24h - workground/ playground“ (Hrsg. Alois Gstöttner, Claudia Kappl,
Fabian Wallmüller, Claudia Zipperle; € 18,60/200 Seiten, Paperback, edition selene, Wien 2003.) am 21. 5., 19 Uhr im AzW]

Der Standard, Sa., 2003.05.10

03. Mai 2003Franziska Leeb
Der Standard

Wohnungen in Hausqualität

Eine kleine Wohnanlage in Tirol zeigt, dass eine hohe Bebauungsdichte hohen Ansprüchen an Individualität und Lebensqualität nicht widersprechen muss.

Eine kleine Wohnanlage in Tirol zeigt, dass eine hohe Bebauungsdichte hohen Ansprüchen an Individualität und Lebensqualität nicht widersprechen muss.

Der Innsbrucker Architekt Johann Obermoser hatte ein 2300 m² großes Grundstück in Igls zur Verfügung. In bester Lage, wenige Autominuten von der Landeshauptstadt entfernt, hätte er sich hier bequem mit einer hübschen Villa ausbreiten können. Allerdings: Ganz so bequem wohl doch nicht. Denn der Hang ist steil, was eine aufwändige Bauführung mit sich gebracht hätte, und die verbleibenden Freiflächen wären auch nur bedingt nutzbar gewesen. Außerdem wäre ein Einfamilienhaus wieder ein Schritt zur Zersiedelung, die in den Dörfern um Innsbruck ohnehin weit fortgeschritten ist.
Architekten wettern gern und zu Recht gegen diese Situation, auch wenn sie selbst zu den eifrigsten Mitspielern im Wettstreit um die individuellsten, bestplatzierten Häuser gehören. Deshalb muss man es Obermoser hoch anrechnen, dass er auf seinem Grundstück einen anderen Weg gegangen ist, als er sich entschloss, den Bauplatz für eine Kleinwohnanlage zu nutzen.

Acht Einheiten wurden hinter-, neben- und übereinander so geschickt verschachtelt, dass keine benachteiligt ist. Viel mehr noch: In den Wohnungen angekommen, hat man kaum das Gefühl, sich in einem Teil einer Gesamtanlage zu befinden. Die dreigeschoßigen Wohnungen (140-200 m²) mit Hauscharakter umschließen jeweils L-förmig Gärten, die durch die terrassierte Bebauung vom jeweiligen Nachbarn hofartig eingegrenzt werden. Von einer offenen Garage auf Straßenniveau führen Lifte direkt vor die Haustür. Eine straßenseitige und eine im rechten Winkel dazu stehende mittige Freitreppe sind die fußläufige Erschließung, in deren Schnittpunkt die Blickachsen auf die Kirchtürme von Natters und Igls weisen. Man wohnt im Dorf, aber dennoch nicht bäuerlich. Schließlich sind die stadtnahen Bauerndörfer schon längst zu begehrten Wohnsitzen für die Städter geworden.

Auch wenn die Anlage auf die spezielle topographische Situation maßgeschneidert wurde und sich perfekt in die Landschaft einfügt: Das Flair der Wohnungen ist modern und urban. Zu den Gärten hin sind sie ganzflächig verglast, fremde Einblicke jedoch so gut wie ausgeschlossen. Im Erdgeschoß liegen jeweils Küche und Wohnzimmer in einem L-förmigen, offenen Raumkontinuum. Darüber die Schlafebene, darunter die Kellerräume, die dank guter Belichtung vielseitig nutzbar sind.

In der Obermoser-Wohnung kommt die grundsätzlich konzipierte Großzügigkeit vortrefflich zur Wirkung. Die Ebenen sind durch offene Stiegen und Lufträume miteinander verbunden. Abgeschlossene Räume gibt es kaum. Sogar das Bad ist zum Schlafzimmer hin offen. Allerdings konnte jeder Eigentümer Raumtrennungen und Oberflächen nach seinen Bedürfnissen gestalten lassen. Allen gemeinsam sind ein lichtdurchflutetes Ambiente und viel privater Freiraum in Form von Gärten, Balkonen und Terrassen.
Nach außen hin bleibt das Gesamtbild dank einheitlich gestalteter Jalousien und einer Grünraumplanung (die aber auch individuelle Wünsche zuließ) sehr harmonisch. Wenn Rahmenbedingungen und Wohnqualität stimmen, kommt offenbar kein Bedürfnis auf, zusätzliche „Behübschungen“ vorzunehmen.
Die räumlichen Qualitäten und die intelligente Organisation dieses „Gegenentwurfs zur gedankenlosen Zersiedelung“ brachten der Anlage eine Anerkennung des Landes Tirol für „Neues Bauen“ ein. Ein gutes Beispiel für „positive Grundstücksspekulation“, formulierte die Jury (Bettina Götz, András Pálffy, Dietmar Steiner) treffend diese intelligente, aus der Privatinitiative eines Architekten entstandene Verdichtungsmaßnahme. Und sie wird kein Einzelfall bleiben. Im nahen Lans ist bereits eine Anlage nach ähnlichem Muster in Arbeit.

Der Standard, Sa., 2003.05.03



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage Patscherstraße

28. April 2003Franziska Leeb
Der Standard

Salzburger Variation

Wie innerhalb eines Haustypus unterschiedliche Raumkonzepte realisiert werden können, führen die Architekten Reiner Kaschl und Heide Mühlfellner anhand eines Hauspaares in Holzbauweise vor.

Wie innerhalb eines Haustypus unterschiedliche Raumkonzepte realisiert werden können, führen die Architekten Reiner Kaschl und Heide Mühlfellner anhand eines Hauspaares in Holzbauweise vor.

„Für ein freistehendes Einfamilienhaus benötigen Sie eine Grundstücksfläche von 800 Quadratmeter“, rät eine österreichische Bausparkasse potenziellen Häuslbauern. Die Salzburger Architekten Kaschl + Mühlfellner benötigten etwas weniger für zwei Häuser. Und weiter im Sparkassen-Text: „Am besten geeignet sind quadratische oder rechteckige Flächen mit einem Seitenverhältnis von 1:2“. Auch damit kann das winzige Grundstück nicht aufwarten. L-förmig und zur Straße hin nur 14 Meter schmal, erfüllt es alle Kriterien, um als schwer bebaubar zu gelten. Dennoch erscheinen die beiden freistehenden Häuser - eines mit 106 Quadratmeter Nutzfläche, das andere mit 130 Quadratmeter - weder auffallend klein noch zu dicht in das Grundstück eingezwängt.

Die nach dem gleichen Konstruktionsprinzip - Holzrahmenbau kombiniert mit Skelettbau - gefertigten Häuser stehen im rechten Winkel zueinander. Somit bleibt den vorderen, mit der Schmalseite zur Straße stehenden Baukörper entlang Raum für einen kleinen gemeinsamen Platz und einen Zugang zum hinteren Haus, das den Bauplatz quer stehend abschließt.


Optische Leichtigkeit

Die Hülle ist - sowohl was Proportion und Details als auch holzbautechnische Qualität angeht - sehr sorgfältig ausgeführt. Feingliedrige Metallprofile bei den Fensterstreifen in den Obergeschoßen und bei den Pergolen der Balkone verleihen optische Leichtigkeit. Auch die Glasstreifen, mit denen die Dächer von den Außenwänden abgesetzt und somit zum Schweben gebracht wurden, tragen zur Eleganz der Erscheinung bei. Der Dachvorsprung und der rhombenförmige Zuschnitt der Bretter sorgen dafür, dass die hinterlüftete Lärchenfassade gut vor der Witterung geschützt ist.

Das Innere ist bei beiden Häusern - eins davon bewohnt Architekt Kaschl selber - so organisiert, dass im eher geschlossenen Erdgeschoß die Schlafräume und im Obergeschoß die Wohnräume liegen. Die sonst aber unterschiedlichen Grundrisskonfigurationen führten zu ganz individuell zugeschnittenen Innenleben. Während im vorderen Haus die Stiegenläufe entlang der Längsfassade geführt sind, leitet im anderen eine mittig angeordnete Treppe direkt vom Eingang in die von Zwischenwänden freie Wohnebene. Raumhohe Fenster und Schiebewände erstrecken sich über die gesamte Breite der Frontfassade und öffnen den Raum zum Balkon und zum Garten hin. Während also im unteren Geschoß sparsam eingesetzte Wandöffnungen die Intimität der Zimmer unterstützen, herrscht oben großzügige Offenheit.

Die bereits außen ablesbare Leichtigkeit und für Holzhäuser nicht selbstverständliche Eleganz kommen hier so richtig zur Geltung. Ein schönes Beispiel, wie mit konsequent durchdachter Planung auf knappem Grund und in einer wirtschaftlichen Bauform architektonisch hochwertiger Wohnraum realisiert werden kann. Bereits anhand dieser Miniserie von zwei Häusern wird klar, wie man einen Haustypus variieren und gruppieren kann, ohne uniform und langweilig zu wirken.

Schade, dass Häuser wie diese so rar sind und so gut wie nie Eingang in die Fertighauskataloge finden. Denn es wäre ein exzellentes Haus, dessen Anmutung gewiss von langem Bestand ist und das an vielen Orten gute Figur machen könnte.

Der Standard, Mo., 2003.04.28



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Haus Kaschl/Haus Nekola

12. April 2003Franziska Leeb
Der Standard

Die Ausmaße bleiben unsichtbar

Bestmögliche Integration ins Gelände und eine Bauweise, die viel Eigenleistung ermöglicht, kennzeichnen ein zweigeteiltes Haus, geplant von den Wiener Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner nahe Klosterneuburg.

Bestmögliche Integration ins Gelände und eine Bauweise, die viel Eigenleistung ermöglicht, kennzeichnen ein zweigeteiltes Haus, geplant von den Wiener Architekten Andreas Lichtblau und Susanna Wagner nahe Klosterneuburg.

Ein geerbtes Haus in einem Landschaftsschutzgebiet sollte durch einen modernen, mehr Platz bietenden Neubau ersetzt werden. Die Bebauungsbestimmungen hätten ein zweigeschoßiges Gebäude mit 130 m² Nutzfläche gestattet. Obenauf sogar noch mit einem Krüppelwalmdach. Nähert man sich jetzt dem Haus und lässt den Blick über das hügelige Grünland der nächsten Umgebung schweifen, ist nicht nur von einem mächtigen Krüppelwalm nichts zu sehen: Das eingeschoßige, nicht unterkellerte Bauvolumen steckt zum Teil im Hang. Nur die mit Aluminium verkleideten Lichtkamine signalisieren einen Eingriff in den Grünraum. Der Gewinn: mehr Nutzfläche bei gleichzeitiger Fast-Unsichtbarkeit.

Eigentlich sind es ja zwei Häuser: Die beiden äußerlich identischen Kuben flankieren einen längs eingeschnittenen Innenhof. Als Eltern- und Kinderhaus könnten sie später einmal sogar unabhängig funktionieren. Derzeit ist nur eines ganz fertig. Vom zweiten schmiegen sich aber bereits die im Hang liegende Stahlbetonkonstruktion und das Dach um den Vorgängerbau. Die Konzeption als Paar-Haus hatte also auch den Sinn, in Etappen weitermachen zu können.

Wie bei den meisten Hausbauern war es auch hier wichtig, Eigenleistung einzubringen, um Baukosten zu sparen. Das mag angesichts der Stahl-Glasfassade an den außerhalb des Hanges liegenden Außenwänden verwundern. Gelten Glasfassaden ja nicht unbedingt als Selbstbau-tauglich. Die Wiener Architekten Lichtblau-Wagner entwickelten ein simples System aus industriellen Standardteilen mit Dreischichtgläsern: unkompliziert zu konstruieren und bei bauphysikalischer Gleichwertigkeit sogar noch um 60 Prozent günstiger.

Selbst Hand angelegt werden konnte auch im Inneren, wo der Ausbau ganz in Holz erfolgte. Mangels Keller galt es in der Wohnebene möglichst viel Stauraum zu schaffen. Der befindet sich, dezent verborgen, hinter grifflosen Klapptüren in zwischen Oberlicht und Fußboden schwebenden Wandverbauten entlang der Seitenwände. Davor liegt eine zweite, weiß lackierte und abgeschrägte Schrankschicht, die dem ursprünglichen Hangverlauf folgt und auch als Kinderrutsche hochbeliebt ist.

Der Grundriss ist als Einraum organisiert. Zentral liegt die Servicezone mit der Badezimmerzelle und der anschließenden offenen Küche. Die Trennwände sind mit Glasbändern von der Decke abgesetzt. So bleiben der Raum als Einheit erfahrbar und das umgebende Grün auch vom Bad aus sichtbar. In der südlichen Hälfte ist der Raum in zwei Schlafbereiche längs unterteilt, die vom Wohnraum nur durch Vorhänge abgetrennt sind. Diese Freiheit im Grundriss wird bei der anderen Hälfte des Zwei-Phasen-Hauses gleich sein und erlauben, bestmöglich auf die wechselnden Anforderungen im Leben einer Familie zu reagieren. Funktionszuordnungen lassen sich leicht verändern und bei Bedarf zusätzliche Raumtrennungen installieren.

Der Standard, Sa., 2003.04.12



verknüpfte Bauwerke
Hanghaus

04. April 2003Franziska Leeb
Der Standard

Ein Haus, das nicht schreit

Es bedurfte keiner spektakulären architektonischen Gesten, um die attraktive Lage eines Neubaus in Innsbruck zu inszenieren.

Es bedurfte keiner spektakulären architektonischen Gesten, um die attraktive Lage eines Neubaus in Innsbruck zu inszenieren.

Das Mittelgebirgsplateau Hungerburg ist eine der beliebtesten Wohngegenden Innsbrucks. Seit 1906 per Standseilbahn zugänglich gemacht, entstanden am Fuß der Nordkette die ersten Villen und Pensionsbauten. Mit Errichtung der Höhenstraße und der Nordkettenbahn in den Zwanzigern des 20. Jh. wurde die Gebirgskulisse schließlich für den Tourismus erschlossen und die bewaldeten Hänge für eine intensivere Siedlungstätigkeit interessant.

Die privilegierte Lage mit Blick über die ganze Stadt verführt Architekten gern dazu, mit oft dramatischen Gesten das Thema Ausblick zu inszenieren. Unweit der Talstation der Nordkettenbahn von Franz Baumann, einer der Inkunabeln der Tiroler Architekturgeschichte der Moderne, begegnete ein junges Tiroler Architektenpaar der eindrucksvollen Kulisse ganz ohne dramatisch übersteigertes Vokabular: Julia Fügenschuh und Christoph Hrdlovics hatten für das Einfamilienhaus ein nur 470 m² großes Grundstück in Steillage zur Verfügung. Wenig Platz, wenn man bedenkt, dass es darauf auch noch Autoabstellplätze für die Familie und Besucher unterzubringen galt.

Unter maximaler Ausnutzung der möglichen Ausdehnungen organisierten sie das Raumprogramm in einem parallel zum Hang stehenden Baukörper. Nähert man sich dem Haus über den seitlichen Zufahrtsweg, sieht man davon so wenig, dass man es glatt für ein Nebengebäude der benachbarten, ebenfalls zur gleichen Zeit entstandenen, aber ungleich stärker auf Repräsentation ausgelegten Villen halten könnte. Denn im Vergleich zu den meisten neueren Häusern in dieser exklusiven Wohngegend ist es von geradezu bescheidener Anmutung.

Dabei handelt es sich um kein Kleinsthaus. Die 136 m² Wohnnutzfläche sind sparsam auf drei Ebenen organisiert. Nach Osten und Norden tritt nur das Obergeschoß über Niveau in Erscheinung. Die dem Eingang an der Rückseite vorgelagerte Plattform dient als Autoabstellplatz, eine steile Rampe führt mit einem schmalen Wenderadius eine Ebene tiefer, wo es einen weiteren, nun von der Plattform gedeckten Abstellplatz für zwei Fahrzeuge gibt. Auch von hier führt ein Zugang in die mittlere Ebene des Hauses.

Das Stiegenhaus liegt parallel zur Nordwand. Die Funktionen Kochen, Essen und Wohnen finden Platz im großen Einraum der obersten Ebene, der nach Südwesten auf eine gedeckte Terrasse ins Freie erweitert wird. Ausblicke sind so gesetzt, dass nur die topographischen Schönheiten ins Sichtfeld gerückt werden und der Blick auf die Häuser der Umgebung sowie auch der Einblick von ihnen möglichst reduziert bleiben. Eine große Glasfront gibt es deshalb nur zur Terrasse hin. Talwärts rahmt den Panoramablick ein langer, über Eck laufender Schlitz mit tiefen, aus der Fassade auskragenden Laibungen. Und das Fenster wird zur Aussichtstheke. Nordfenster gibt es keines. Nur durch den beidseitig verglasten Windfang kommt Licht in die Eingangszone.

Doch was wäre ein Innsbrucker Haus ohne Blick auf die Nordkette? Den kann man ungetrübt von der Terrasse aus genießen durch einen präzise gesetzten Deckenschlitz entlang der Nordwand.

„Das Haus sollte auf keinen Fall schreien“, sagt Julia Fügenschuh. Dieses Bestreben nach bestmöglicher Einfügung in den Hang unterstützt die graue Farbgebung der Fassade. Glamouröseres Weiß wäre zu laut gewesen und hätte die talseitige Ansicht zu sehr betont.

Der Standard, Fr., 2003.04.04



verknüpfte Bauwerke
Einfamilienhaus

22. März 2003Franziska Leeb
Der Standard

Zwischen Lockerheit und Massivität

Unaufdringlich, doch mit einer Reihe interessanter Details und einer klug durchdachten Struktur schließt der Wohnblock der Architekten Beneder/ Fischer eine Lücke im Bild der Stadt.

Unaufdringlich, doch mit einer Reihe interessanter Details und einer klug durchdachten Struktur schließt der Wohnblock der Architekten Beneder/ Fischer eine Lücke im Bild der Stadt.

Frisch aufgefüllte Baulücken gibt es viele in Wien. Neubauten in Gründerzeitblocks schreiben die Geschichte der Stadt weiter und erhalten sie am Leben. Wobei es gewiss die diffizilere Aufgabe ist, inmitten eines gewachsenen Quartiers ein zeitgemäßes Statement abzugeben als in einem Stadterweiterungsgebiet fesche Solitäre in die grüne Wiese zu setzen.

Der Wohnbau der Architekten Ernst Beneder und Anja Fischer Ecke Sechshauser Straße/Arnsteingasse ist eines der raren Beispiele, wie Lückenschließungen einen Beitrag zur Stadtreparatur leisten können. Bereits 1993 wurde für das Areal zwischen Arnsteingasse, Sechshauser Straße und Geibelgasse, über das früher einmal sogar eine Straßenverbindung zur Mariahilfer Straße vorgesehen war, ein Bauträgerwettbewerb ausgelobt, um zu Bebauungsrichtlinien zu kommen.

Man hat sich darauf ge- einigt, die Gesamtfläche zu splitten und so gleich zwei Siegerkonzepte zu realisieren. An der Seite zur Arnsteingasse entschied man sich für den Entwurf von Ernst Beneder und Anja Fischer, die den großen Maßstab des Blocks in einen städtischen Mikrokosmos von „Haus-Bausteinen“ gliederten. An der Geibelgasse kam Architekt Dieter Hayde zum Zug.
Bei den beengten Grundstücksverhältnissen war es wichtig, die Bebauung so zu gliedern, dass die Belichtungsmöglichkeiten für die Anrainerbauten nicht beeinträchtigt werden. Das Einfachste wäre es also gewesen, die Bauhöhe niedrig zu halten. Um eine Balance zwischen Wirtschaftlichkeit und Umfeldverträglichkeit sowie zwischen Massivität und Lockerheit herzustellen, klügelten Ernst Beneder und Anja Fischer eine Struktur aus, die auf diese besonderen Anforderungen Rücksicht nimmt. Die Grundidee: Rücksprünge erlauben es, hoch werden zu können, ohne mit der Gebäudemasse den Straßenraum einzuengen.

Es gibt Türme und Penthäuser, Lochfassaden und Glashüllen, Freiräume in allen Ebenen, Blickverbindungen zwischen innen und außen und eine Ecklösung mit städtischem Gestus - kurzum innerhalb eines Gebäudes viele urbane Merkmale.


Kubatur gegliedert

Zusätzlich zu dieser Gliederung der Kubatur liefert die collageartige Fassade ihren Beitrag zur optischen Auflockerung. Während Sockelzone, rückspringende Teile und Hoffassade verputzt sind, wechseln sich an der Straßenseite hellgraue Fassadenplatten mit verglasten Segmenten ab.

An der Sechshauer Straße ist eine Polizeistation untergebracht. Deren nach außen sehr verschlossenes Obergeschoß wurde mit dunkelgrauen Platten gekennzeichnet.

Das Glas im Bereich der Stiegenhaustürme macht die Fassade durchlässig und sorgt für gute Belichtung der Erschließungsflächen und Blickverbindungen nach außen. Als die Ecke akzentuierender Schirm schützt es obendrein die dahinter liegenden Loggien und Wohnungen vor den Emissionen des Straßenverkehrs.

Die Brüstungen der Dachterrassen und hofseitigen Loggien bestehen aus Blechen mit quadratischer Lochung, die ursprünglich für den Bauteil an der Geibelgasse vorgesehen waren und auch ganz gut zur quadratisch gelochten Putzfassade gepasst hätten. Statt dessen kamen dort die etwas transparenter wirkenden Rundlochbleche zum Einsatz. Das ist an sich keine Katastrophe, aber ein ganz gutes Beispiel dafür, wie gerade im Wohnbau sorgfältige Detailausführung und baukünstlerische Feinheiten - sei es aufgrund enormen Kostendrucks oder einfach durch mangelnde Wertschätzung der Bauaufgabe „Sozialer Wohnbau“ durch die Ausführenden - zu kurz kommen.
Vielfältig wie das Äußere sind auch die angebotenen Wohnungstypen. Grundsätzlich sind alle Wohnungen von der Straße bzw. vom Stiegenhaus zum Hof hin durchgesteckt. Die Größen reichen von etwas über fünfzig bis knapp 110 Quadratmeter. In den obersten Geschoßen liegen Maisonetten, denen großzügige Dachterrassen zugeordnet sind.


Wohnqualität gut

Beneder/Fischer bewiesen Ideenreichtum bei einem engen Korsett an Möglichkeiten. Das Haus bietet somit in einer weniger prestigereichen Gegend ein für hier unüblich hochqualitatives Wohnniveau bei reichhaltigen Freiraumgegebenheiten.

Der Standard, Sa., 2003.03.22



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage

15. März 2003Franziska Leeb
Der Standard

Edelcrunch trifft Gründerzeit

Mehr auf emotionale Qualität denn auf kühlen Perfektionismus setzte das Team Innocad bei der Strukturverbesserung eines Zinshauses in Graz.

Mehr auf emotionale Qualität denn auf kühlen Perfektionismus setzte das Team Innocad bei der Strukturverbesserung eines Zinshauses in Graz.

An der Straßenfassade ist dem zweigeschoßigen Gründerzeithaus in der Grazer Goethestraße nichts von den Veränderungen anzumerken, die die Architekten im Rahmen einer umfassenden Sanierung vornahmen: Die ornamentierte Schauseite wurde erhalten und nur neu gefärbelt. Innen machten sie aus vier bestehenden Wohnungen fünf, wobei eine unverändert bleiben musste. Im neuen Dachgeschoßausbau kamen drei Einheiten dazu. Vier 80 m² große Appartements sind für Wohngemeinschaften konzipiert und es gibt auch drei kleinere mit 30-40 m².

Die Innocad-Gründer Martin Lesjak, Andreas Reiter, Peter Schwaiger und Bernd Steinhuber befinden sich altersmäßig in den frühen Dreißigern, sind also kaum älter als das angepeilte Zielpublikum für die aufgefrischte Altsubstanz, junge Leute und Studenten, denen man hier erschwinglichen und attraktiven Wohnraum bietet. Eigenen Stil verfolgen sie keinen, betonen die Innocad-Leute. Vielmehr geht es ihnen darum, wie ein DJ für jedes Projekt einen Mix aus passenden Komponenten zu sampeln.

Angesichts der Hoffassade ihres jüngsten Projektes denkt man unweigerlich an die Siebziger: Vorgehängte Balkone erweitern die Wohnungen um einen luftigen Freiraum. Zum Sicht- und Sonnenschutz sind sie mit textilen Membranen bespannt und gedeckt. Farben und Muster (Braun und kräftiges Orange) wirken ganz schön retro und liegen voll im Trend. Einen stilisierten Sonnenuntergang sehen die Architekten im grafischen Muster der Brüstungsabdeckungen. Ein bewegliches Element kann wie ein Vorhang zur Seite geschoben werden, um den Öffnungsgrad individuell zu steuern. Die Textilflächen sind mit Ösen und Seilen an der Balkonkonstruktion befestigt und lassen sich daher leicht austauschen. Technisch betrachtet handelt es sich bei den vorgehängten Stahlkonstruktionen mit Holzboden um Balkone. Der Sonnen- und Sichtschutz verleiht ihnen allerdings die Qualität einer Loggia.
Innen geht das Sampeln weiter. Keine Wohnung ist wie die andere, jede wirkt, als hätten die Bewohner den Pinsel eben erst aus der Hand gelegt. Doch die scheinbar zufälligen Individualitäten sind clever geplant.

Die künftigen Nutzer haben ihre Wunschoberflächen und -farben aus einem Katalog gewählt. Alle Wohnungen sind durch die ganze Baukörpertiefe durchgesteckt. Bestehende Wände wurden weiß gestrichen. Alle neuen Einbauten - auch die Duschwannen - haben wasserfeste Anstriche innerhalb des vorgeschlagenen Farbspektrums von vanillefarben bis oxydrot.

Erschließungsflächen wurden minimiert und mit anderen Nutzungen gekoppelt. Im Wohnungskern sind in Einbauten alle dienenden Funktionen wie Sanitärräume konzentriert. Je nach Wohnung lassen sich Durchgangsbereiche in diesen Zonen mittels variabler Stellung der Türflügel auch dem Nassbereich zuschlagen. Oder es gibt Schiebetüren aus transluzenten Doppelstegplatten zum Trennen und Verbinden von Wohnungshälften. Über den Kernzonen dienen Hochebenen in den Dachwohnungen als Liegeflächen oder Stauraum.
Wenn es den Architekten auch nicht um perfekte Details, sondern vor allem um emotionale Qualitäten ging: Schlampereien haben sie sich keine geleistet. Die eingesetzten Materialien sind zwar aus der preiswerten Kategorie, sämtliche Raumkonfigurationen und Oberflächenkompositionen hat man aber clever ausgetüftelt. „Edelcrunch“ nennen sie diese Optik, die dem alten Bestand eine jugendlichere Seele einhaucht.

Der Standard, Sa., 2003.03.15



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G 40

08. März 2003Franziska Leeb
Der Standard

Ein Erstling wie ein Überraschungsei

Bei seinem ersten Haus im Südburgenland versuchte der junge Architekt Gerald Prenner die Lage, modernen Lifestyle und auch regionale Traditionen zu verknüpfen.

Bei seinem ersten Haus im Südburgenland versuchte der junge Architekt Gerald Prenner die Lage, modernen Lifestyle und auch regionale Traditionen zu verknüpfen.

Das Haus liegt an einem Südhang außerhalb des Ortskerns von Buchschachen. Die Aussicht ist großartig. Im Norden führt eine Straße vorbei. Von ihr aus ist nicht viel mehr zu sehen als ein lang gestreckter, flacher Trakt. Rechts vom Eingang wurde das Blechdach als schützendes Schild über die Fassade gezogen. Die zweite - mit Sperrholzplatten verkleidete - Hälfte rückt unter dem Dachvorsprung zurück.

Diese reduzierte, bescheidene und ruhige Straßenfront, die das Haus so harmonisch und logisch parallel zur Fahrbahn an der Hangkante verankert, lässt kaum Rückschlüsse auf das Dahinter zu. Denn das ist von einer völlig konträren Haltung gekennzeichnet, die man als „extrovertierten Expressionismus“ beschreiben könnte.

Aus dem Quertrakt sticht im rechten Winkel dazu ein westseitig über zwei Geschoße verglaster Riegel mit ansteigendem Pultdach und nach vorne geneigter Stirnseite ins Gelände. Von der dem Wohnbereich vorgelagerten Pool-Terrasse leitet eine Freitreppe, deren Ausdehnungen einem öffentlichen Gebäude alle Ehre machen würden, in den Garten. „Wozu der Aufwand?“, ist der erste Gedanke. Hört man jedoch, dass die Treppe ein beliebter sonniger Sitzplatz für Familie und Gäste ist, der die Terrassenfläche quasi ins Gelände fortsetzt, dann ist ihre Ausdehnung berechtigt. Terrasse und Treppe bilden damit an diesem doch exponierten Ort einen gestalteten Freiraum, der von den Baukörpern gefasst wird. Ein eigenwilliges, dem Haus sehr gut zu Gesicht stehendes Detail sind die eigens angefertigten Metalltröge, die als Terrassenbrüstung eingesetzt wurden.

Im Inneren hat man schon von der Diele aus einen guten Überblick sowohl über die Organisation des Hauses als auch in die Landschaft. Die Eingangsachse führt nämlich direkt in den zweigeschoßigen Luftraum des Längstraktes, der zwischen der Glasfassade und den Zimmern liegt. Die mit Schiefer belegte Freitreppe wird in diesem Bereich durch die Fassade durchtrennt und läuft im Inneren als Stiege ins Untergeschoß weiter. Die Wohnküche liegt im Quertrakt und öffnet sich zur Terrasse. Schlaf-, Kinder- und Badezimmer werden über einen galerieartigen Steg im Luftraum erschlossen und haben zu diesem hin raumhohe Glasscheiben.

Durch den Luftraum und die Transparenz der Wände ist die Größe des Hauses in allen wesentlichen Räumen auch innen gegenwärtig und es gibt interne Blickbeziehungen zwischen ihnen. An den Deckenuntersichten und den gangseitigen Wänden der Zimmer kamen die gleichen Sperrholzplatten, wie wir sie bereits von außen kennen, zum Einsatz.

Im unteren Geschoß liegt an der Stirnseite quasi ein „grünes Zimmer“, in dem die Verbindung zum Hang am stärksten gegeben ist. Wirtschafts-und Lagerräume befinden sich im kürzeren, östlichen Teil des Quertraktes sowie im teils in den Hang eingegrabenen Untergeschoß.

Auch wenn's auf den ersten Blick gar nicht danach aussieht, ist dieses Haus in einigen Punkten doch auch von den traditionellen Gehöftformen der Gegend inspiriert: Die einzelnen Trakte umschließen einen hofartigen Freiraum. Dem Wirtschaftsteil ist ein eigener Flügel gewidmet, und der den Zimmern vorgelagerte Luftraum stellt eine Transformation des Arkadenganges dar. Vielleicht mit ein Grund, warum die Mutter der Bauherrin so sehr von diesem Haus angetan war, dass auch sie ein neues Refugium bei Gerald Prenner in Auftrag gab. Noch ist es nicht ganz fertig. So viel kann aber schon gesagt werden: Vom Sturm und Drang des Erstlings ist nichts mehr zu spüren. Es fiel insgesamt einheitlicher und dadurch auch „runder“ aus.

Der Standard, Sa., 2003.03.08



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Einfamilienhaus

01. März 2003Franziska Leeb
Der Standard

Dimensionen, die wirken können

Um den Auftrag für dieses Haus zu bekommen, mussten sich die Architekten, darunter das Büro gerner°gerner plus, erst in einem Wettbewerb beweisen.

Um den Auftrag für dieses Haus zu bekommen, mussten sich die Architekten, darunter das Büro gerner°gerner plus, erst in einem Wettbewerb beweisen.

Ein Steilhang mitten in einer Einfamilienhaussiedlung in Klosterneuburg und der Wunsch nach einem großzügigen, modernen Wohnhaus waren vorhanden. Um dazu die geeigneten Architekten zu finden, hat man unter drei Favoriten einen kleinen Wettbewerb veranstaltet.

Andreas und Gerda Gerner sowie ihr Mitarbeiter Erwin Tschabuschnig setzten den Bau so in den Steilhang, dass hangabwärts nach Süden über drei Geschoße Garten, Aussicht und Sonne uneingeschränkt zu genießen sind. An der Straßenseite gibt sich das Haus bescheidener, verrät nicht viel von seiner Großzügigkeit. Der Zugangsbereich ist als Zufahrt ausgebildet, denn zu Fuß kommt man in diese Gegend ohnedies nicht nach Hause noch auf Besuch. Auf dem befestigten Vorplatz finden zwei Autos Platz. Witterungsschutz gibt das weit auskragende Obergeschoß.

Erst vom Garten aus erklärt sich die grundsätzliche Konzeption. Die beiden unteren Geschoße sind in Massivbau ausgeführt. Die seitlichen Betonwände des Kellers greifen in den Garten, das natürliche Gelände begleitend, aus und bilden schützende Flanken für die Terrasse. Nach oben hin wird die Materialbeschaffenheit und damit die Wirkung leichter. Denn auf zwei Vollgeschoßen liegt als schmaler Balken eine holzverkleidete Box auf.

Das Erdgeschoß birgt einen sehr großen Wohnraum. An der Nordseite liegt die offene Küchenzeile, nach Süden wird der Raum auf eine Terrasse erweitert. Die Stahlkonstruktion, die sie hält, dient zugleich als Pergola. Die Beleuchtung ist in die Stahlstützen integriert. Pflanzen könnten sie als Klettergerüst nutzen und bei Bedarf ließen sich hier leicht noch Sonnensegel oder anderes vor Blicken und Witterung schützendes Textil befestigen. Innen regeln Vertikaljalousien die Durchlässigkeit - automatisch gesteuerte Außenjalousien sorgen dafür, dass sich die Räume nicht zu stark aufheizen. Zusätzlich bieten ein Fensterschlitz Ausblick und ein in die Dachterrasse eingeschnittenes Glasband Licht von oben.

Schlafzimmer und Bad liegen unten, weil es hier am kühlsten ist. Sie haben direkten Zugang in den Garten und zum Badeteich, der mit der Hangkante endet und so die Aussicht auch beim Schwimmen voll genießen lässt. In den teils im Erdreich gelegenen Räumen liegen eine Vinothek und der Fitnessbereich. Für Ferienfeeling sorgt der leichte Dachaufbau mit zweiseitiger, Raum-hoher Verglasung zur Terrasse hin. Um trotz der Exponiertheit sowohl Innen- als auch Außenraum einen Höchstgrad an Privatheit zu verleihen, wurde an der Terrassenbrüstung ein Paravent-artiger Sichtschutz angebracht.

Das Haus ist mit 270 m² Nutzfläche großzügig dimensioniert. Und die Architekten unternahmen alles, um diese Dimensionen zur Geltung kommen zu lassen. Enge, düstere Winkel gibt es nicht. Die Materialien unterstützen noch diese Wirkung: Die Glasbrüstungen entlang den Treppen wirken dezent, als wären sie kaum vorhanden, ebenso die Stahlstützen im Dachgeschoß. Durch die hellen Ahornböden werden die Wohnbereiche optisch vergrößert, der dunkelgraue Putz außen macht das Haus schlanker.

Der Standard, Sa., 2003.03.01



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k_01 Einfamilienhaus

22. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Moduliertes Gelände für modernes Bürgerservice

Die Bezirkshauptmann- schaft in Murau von Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer ist ein architektonisches Unikat, in dem künstlerische Idee, funktionelle Notwendigkeiten und örtliche Gegebenheiten zu einer fesselnden Einheit verschmelzen.

Die Bezirkshauptmann- schaft in Murau von Wolfgang Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer ist ein architektonisches Unikat, in dem künstlerische Idee, funktionelle Notwendigkeiten und örtliche Gegebenheiten zu einer fesselnden Einheit verschmelzen.

Mittelalterliche Baudenkmäler und die Lage an der Mur, eingebettet in die waldreiche Berglandschaft der Tauern und Nockberge, machen die steirische Bezirkshauptstadt Murau zu einem beliebten Ferienziel. Seit der Landesausstellung 1995 mit dem Titel „Holzzeit“ positioniert sich die Gegend erfolgreich als Holzregion und hat sich mit einigen interessanten Holzbauten auch einen Platz in der jüngeren Architekturgeschichte erobert. Gern wird in Gegenden wie diesen das landschaftsgerechte Bauen thematisiert, und zwar so gut wie immer aus einem Blickpunkt, der den Dualismus von (intakter) Landschaft und (künstlichem) Gebäude fokussiert. Malerische Landschaften können aber trügerisch sein, die ideale Landschaft ist Fiktion, betont Wolfgang Tschapeller. Seit ihrem leider unrealisiert gebliebenen Entwurf für das Trigon-Museum in Graz beschäftigen sich Tschapeller und Friedrich W. Schöffauer damit, die Polarität zwischen Gelände und Gebäude aufzuheben und die Architektur als Modulation der Landschaft zu verstehen.

Der Bauplatz für die neue Bezirkshauptmannschaft liegt auf einem zur Mur steil abfallenden Hang auf dem der Stadt gegenüberliegenden Flussufer. Seit 1995 mündet hier der von den Schweizer Architekten Marcel Meili und Markus Peter sowie dem Tragwerksplaner Jürg Conzett geplante Mursteg als direkte Verbindung zwischen den östlichen Stadtteilen mit dem Bahnhof Murau-Stolzalpe. Auch wenn er heute ganz natürlich anmutet, der gesamte Uferrücken des Bauplatzes wird von Aufschüttungen gebildet, ist also künstlich konstruiertes Gelände. Neben dem Grund selbst und dem Mursteg determiniert noch ein drittes konstruiertes Element den Bauplatz, die Betonkonstruktion der so genannten „Straßenhanghalbbrücke“ der Bundesstraße, die an der Hangkante das Areal säumt. In diese Gegebenheiten mit der Errichtung einer neuen Funktionseinheit einzugreifen bedeutet daher im „weitesten Sinn einen Umbau“, sagt Tschapeller, da ja bereits ein konstruierter Untergrund vorhanden ist. Die Architekten entwickelten die Gebäudefigur anhand eines Geländemodells aus Kartons, das durch vier auf den Mursteg ausgerichteten Schnitten zerteilt wurde. Aus den entstehenden Spalten herausgelöstes Material wird über Niveau entlang der Grabenkanten als bauliches Volumen wieder aufgeschichtet. Die Masse am Grundstück wird somit nur umgelagert, bleibt also konstant.

Diese Herangehensweise mutet höchst theoretisch und kopflastig an. Besucht man heute das fertig gestellte Bauwerk, erstaunt sowohl die Schlüssigkeit dieser Methode als auch das durch und durch praxistaugliche Resultat. Das umfangreiche Raumprogramm wurde auf drei Häuser aufgeteilt, die sich um den Mursteg gruppieren und an diesen mittels einer Brücke angebunden sind. Von den sieben Geschoßen des Haupthauses liegen drei unter dem Straßenniveau entlang der Flanken des ausgehobenen Grabens und ankern als abgetreppter Sockelbau fest im Gelände. Vier erheben sich darüber in einem kompakten, kubisch-kristallinen Körper. Schon von der Eingangsebene aus ist das gesamte Volumen des aus einem Beton-Stahl-Skelett konstruierten Gebäudes erfassbar. Denn zwischen Haupttrakt und Gelände schmiegt sich ein 22 Meter hoher verglaster Luftraum, in den die Treppen, Gänge und der Lift in einer Stahlkonstruktion angeordnet sind.

Das erleichtert zusammen mit einem übersichtlichen Leitsystem nicht nur die Orientierung im Haus, sondern ermöglicht dem Besucher auch die Verortung im größeren Zusammenhang, da die Landschaft, der Stadtraum und die unmittelbar umgebende Geländeformation stets wahrnehmbar sind. Weiters dient der geschoßübergreifende Spalt auch der Klimaregulierung zwischen den kühleren Untergeschoßen und den zur Gänze oberirdisch gelegenen Ebenen.

Im Zusammenspiel von filigran wirkendem Gefüge der Stahlkonstruktion, Licht, Schatten und hier agierenden Personen entsteht ein vielschichtig bewegtes Konglomerat an sich überlagernden Eindrücken. Eine Videoinstallation der britischen Künstlerin Imogen Stidworthy zeichnet mittels sensorgesteuerter Kamera diese Bewegungen auf und zeigt Extrakte daraus an Monitoren nächst dem Eingang, wo auch sämtliche „amtlichen“ Informationen konzentriert zu erfassen sind.

Die zwei kleineren Bauteile, die mittels Mursteg und einer diesen verlängernden zweigeschoßigen Brücke in einem komplexen, die interne und externe Erschließung bündelnden Wegesystem an das Haupthaus angebunden sind, bergen das Forstreferat bzw. das Anlagenreferat und den Sitzungssaal. Der Materialmix aus Beton, Glas, Kunststoff, Stahl, Holz und Aluminium wirkt hier nicht wie die Zurschaustellung von Musterkollektionen aus dem Baumarkt.

Jede Komponente ist so eingesetzt, wie sie ihre Funktion am besten erfüllt. Und auch die Farbpalette ist reichhaltig. Das Haupthaus akzentuiert eine Acrylglasfassade in Blauviolett, die zwei kleineren Bauten sind in Orange und Grün gehüllt. In den Büros dienen farbige Rollos zur Beschattung und Böden und Wände im Bereich der Sanitäts- und Sozialräume sind in Blassgrün gehalten. Es handelt sich dabei um kein inhaltsschweres Farbkonzept, sondern um leichter Hand sicher gesetzte Akzente, die zu einem guten Teil mit der Farbwelt eines Baumenschen zu tun haben. Das Hellgrün ist von der Polystyrol-Trittschalldämmung hergeleitet, das Grün des Forstreferates nicht vom Wald, sondern ebenso wie das Orange nebenan von der Farbe der Zeichenlineale, und das Stahlskelett erhielt eine Deckschicht in gleicher Farbe wie die Grundierung.

Das ambitionierte baukünstlerische Konzept ließ dennoch viel Platz für die Vorlieben der Nutzer, die vom Engagement und der Kooperation der Architekten sehr angetan sind. Geschoßweise durften sie sich die Art der verwendeten Hölzer aussuchen, und auch innerhalb der einzelnen Büros blieb Raum für individuelle Gestaltung und die Integration vorhandener Möbel. Nettigkeiten wie eine Spielecke und das große Aquarium im untersten Geschoß wirken nicht wie nachträgliche Bemühungen um einen Hauch Wärme, sondern sind selbstverständliche Teile eines facettenreichen Ganzen. Natürlich sind es die Architekten, die die Strukturen vorgaben. Wolfgang Tschapeller erachtete es allerdings ganz richtig als wesentlich, nicht gegen die Nutzer, sondern mit ihnen zu arbeiten. Er hätte sogar noch mehr Freiraum gelassen, wenn dies gewünscht gewesen wäre.

Die Murauer können sich mit dem extravaganten Stück neuer Architektur voll identifizieren. Das beweist die Tatsache, dass die neue Bezirkshauptmannschaft in die Bildergalerie auf der Homepage der Stadt gleichwertig neben historischen Ansichten der Stadt präsentiert wird. In anderen Ferienregionen entscheidet man sich hingegen gern dafür, das Neue vorsichtshalber zu verbergen, hier wird stolz darauf hingewiesen. Die Schöpfer des anfangs erwähnten Murstegs sahen einst ihr Werk durch den Bau der neuen Bezirkshauptmannschaft bedroht und starteten eine europaweite Protestaktion. Das Projekt von Tschapeller und Schöffauer wurde zum Glück dennoch wie geplant umgesetzt. Sie nutzten das Programm der Brücke und integrierten sie genauso wie alle anderen vorgefundenen Bedingungen. Und umgekehrt betrachtet, hat es der Steg nicht nur ausgehalten, sondern er wurde in seinem Stellenwert sogar aufgewertet. Die BH Murau ist nicht nur als singuläres Objekt betrachtet ein starkes Stück Architektur. Mit einem baukünstlerischen Akt, der wohl ein Kraftakt gewesen sein muss, wurde ein Ort neu interpretiert und inhaltlich angereichert. Markante Bauten der Stadt wie das Schloss oder die Kirche erhielten ein zeitgenössisches Gegenüber am anderen Murufer, das in der Art, wie es vielschichtig den Hang bezwingt, durchaus Parallelen zur Struktur des alten Stadtkerns erkennen lässt.

Der siegreiche Wettbewerbsbeitrag wurde konsequent umgesetzt. Bauherr (das Land Steiermark), Nutzer und Planer wussten, was sie wollten, und konnten dies auch kommunizieren. Ein mutmachendes Beispiel für die zahlreichen Gemeinden, in denen aus Angst vor neuer Architektur öffentliche Bauvorhaben leider nur allzu oft auf ein scheinbar konsensfähiges Mittelmaß zurechtgestutzt werden.

Der Standard, Sa., 2003.02.22



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Bezirkshauptmannschaft Murau

22. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Durch und durch gestaltet

In manchen Punkten hat sich Architekt Arno Grünberger bei einer Villa in Wien-Döbling an die Vorstellungen von Adolf Loos gehalten: Von außen schlicht, innen aber voll extravaganter Details.

In manchen Punkten hat sich Architekt Arno Grünberger bei einer Villa in Wien-Döbling an die Vorstellungen von Adolf Loos gehalten: Von außen schlicht, innen aber voll extravaganter Details.

„Der mensch im eigenheim wohnt in zwei stockwerken. Er trennt sein leben scharf in zwei teile. In das leben bei tage und in das leben bei nacht. In wohnen und schlafen“. So beschrieb Adolf Loos 1921 in seinem Aufsatz „Wohnen lernen!“ das moderne Haus für eine Familie, die ohne Dienstboten auskommen muss. Oben wird geschlafen, unten findet das gemeinsame Familienleben statt. Die Zubereitung der Speisen erfolgt im Wohnraum, denn die Frau des Hauses hat ein Anrecht darauf, „ihre zeit nicht in der küche, sondern im wohnzimmer zu verbringen“, so Loos weiter. Mit dem so genannten „Raumplan“ versuchte Loos, jedem Raum die durch seine Nutzung gerechtfertigte Raumhöhe zuzuordnen. Das brachte im Inneren ein komplexes Spiel unterschiedlicher Ebenen mit sich, aber auch eine eindeutige Definition der einzelnen Räume, deren Nutzung damit ein für alle Mal festgelegt ist.
Die Villa, die Architekt Arno Grünberger mit Wolfgang Wagner in Wien-Döbling plante, erinnert an die Loos'schen Vorstellungen. Bereits angesichts der schlichten Geometrie der Straßenfassade mit dem mittigen Erker kommt einem unweigerlich die - nicht weit entfernt liegende - Villa Moller in den Sinn.

Unten wohnen, oben schlafen, so ist im Wesentlichen auch das Innere organisiert, wobei das Raumprogramm jedoch noch viel mehr zu bieten hat: Auf dem Dach des weißen Kubus befindet sich, umgeben von einer weitläufigen Terrasse, ein in Holzbauweise errichteter Kubus - das Studio - als privater Wohn- und Rückzugsraum. Im Erdgeschoß gelangt man von einer weitläufigen Diele in den zum Garten hin verglasten Wohnbereich auf zwei Ebenen mit einer Höhe von großzügigen vier Metern. Der Essplatz liegt wiederum etwas höher und hat einen Zugang auf die Gartenterrasse.

Das Bedürfnis nach einer zwecks Kommunikation zwar offenen, jedoch - um die Verbreitung von Küchendüften hintan zu halten - abtrennbaren Küche wurde mit einem „Cockpit“ aus Platanenholz gelöst. Über ein horizontales Fensterband und eine Glastür sind Überblick und Einblick gewährleistet.
Markantester Blickfang ist aber eine nach oben führende Wendeltreppe, die wie eine Skulptur im Raum steht. Allein drei Wochen Bauzeit brauchte es, um das schalungstechnisch komplizierte Werk zu vollenden.

Die vertikale Bewegung durch das Haus wird inszeniert, und zwischen den Geschoßen laden den Treppenlauf unterbrechende Podeste zum Stehenbleiben und Ausschauhalten ein. Apropos Ausblick: Von jeder Ebene gibt es einen Zugang ins Freie und die Fenster sind in allen Räumen so gesetzt, dass sie der Raumfunktion entsprechen. Das bedeutet zum Beispiel raumhohe Verglasungen im Wohnbereich, damit der Garten als Fortsetzung des Innenraums erlebbar wird. Ein über Eck laufendes, schmales Fensterband im Studio, durch das man im Sitzen den Ausblick genießen kann oder Fenster in Kopfhöhe in Durchgangsbereichen.
Arno Grünberger, der mit Kollegen das interdisziplinäre Atelier „Spur Wien“ betreibt, arbeitet auch im Produktdesign. Kein Wunder also, dass er bei einer so komplexen Aufgabe wie einem Wohnhaus auf akribisch ausgetüftelte Details Wert legt. Alle Bäder sind mit emaillierten Glasplatten in Weiß, Blau oder Schwarz ausgekleidet. Jenes der Kinder liegt im Erker an der Straßenseite zwischen den Zimmern. Gleich zwei Räume bedient die runde Duschkabine, die zwischen Eltern- und Gästebad liegt und mittels Raumgrenzen überschreitender Schiebetür von beiden Seiten zu nutzen ist.

Der Standard, Sa., 2003.02.22



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Einfamilienhaus Wien Glanzing

15. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Ein kleines Haus zeigt Größe

Viel Raum auf wenig Fläche bietet ein klug organisiertes Sommerhaus im wild romantischen Rosental, einem der ältesten Gartensiedlungsgebiete im Westen von Wien.

Viel Raum auf wenig Fläche bietet ein klug organisiertes Sommerhaus im wild romantischen Rosental, einem der ältesten Gartensiedlungsgebiete im Westen von Wien.

1911 wurde mit der Parzellierung von Kleingartenflächen begonnen, und die Gegend hat bis heute nichts an Anziehungskraft als Sommersitz oder auch für ganzjähriges Wohnen im Grünen verloren. Bescheidene Häuschen aus dieser Zeit stehen da neben Miniaturvillen, die den Traum vom Eigenheim in erschwinglicher Form erfüllen.

Seit ganzjähriges Wohnen auf Kleingartenarealen gestattet ist, gibt es unbeholfen wirkende Anstrengungen, notwendige Raumprogramme in die erlaubten Kubaturen hineinzupferchen. Wie zu große Pudelhauben sitzen da ausgebaute Mansardendächer auf Mini-Häuschen, lugen viel zu kleine Fenster unter breiten Dachkrempen hervor. Und die Zahl der Kleingärtner, die Alternativen suchen, steigt genauso stetig wie die Zahl der Wiener Architekten sinkt, die noch kein Gartensiedlungshaus errichtet haben.
Ein Gustostückerl dieser Spezies hat das Architekturbüro sglw+s (Werner Silbermayr, Karl Georg Goëss, Ulrike Lambert, Guido Welzl und Suki Sangha) realisiert. Es galt, ein Sommerhaus für eine fünfköpfige Familie auf ein steiles Grundstück in Nordwestlage, maximal 35 m² bebaute Fläche und höchstens 200 m³ umbauten Raum maßzuschneidern. Gestaltet wurde dabei nicht nur ein cleveres Haus, sondern sogar über den Weg dorthin machte man sich Gedanken: Ein freistehendes Wandelement nach dem Gartentor schirmt den Zugang zum Kellergeschoß - quasi den Wirtschaftsweg - ab und leitet zum „offiziellen“ Stiegenaufgang an der gegenüberliegenden Grundstücksseite über. Durch diesen Schwenk in der Wegführung scheint sich das Haus dem Besucher langsam zuzuwenden.

Denn die aus dem übrigen Bauvolumen hervorspringende Gartenfassade des Wohnbereichs und der darüber auskragende Glaserker sind in Richtung Zugang ganz leicht schräggestellt und sorgen so für unterschiedliche Ansichten. Die kristalline Form wird durch die Auflösung in kleinteilige Fassadenfelder unterstrichen: Von zarten Profilen gerahmte Flächen fügen sich an der verglasten Front zur Collage.

Innen aber herrscht trotz geringer Grundfläche keine Enge. Platz gespart wurde bei der horizontalen Erschließung in Form einer schmalen einläufigen Treppe entlang der Gartenfassade. Im Obergeschoß ist das Kinderzimmer als ruhige Rückzugskapsel zwischen Treppe und Rückwand eingefügt. Und das Elternschlafzimmer erhielt mit dem rahmenlosen Glaserker eine Panoramafassade zur Landschaft hin. Durch die vom Boden bis zur Decke reichenden Glasscheiben hat man stets das ganze Tal und den bewaldeten Gegenhang im Blickfeld und dadurch nie das Gefühl, sich auf einem nur 320 m² kleinen Grundstück zu befinden.

Den Sonnen- und Sichtschutz erfüllen auf simple, aber sehr elegante Weise cremeweiße Vorhänge. Aufwändigere außenliegende Sonnenschutzmaßnahmen hat man als nicht notwendig erachtet, da das Haus nicht ganzjährig bewohnt wird. Außerdem sorgt das offene Treppenhaus für den Luftaustausch zwischen dem kühlen Keller und den warmen Wohngeschoßen. Um während der kalten Jahreszeit, in der das Anwesen weniger genutzt wird, die Bildung von Kondenswasser zu vermeiden, werden die Scheiben mittels automatisch gesteuerter Heizung leicht temperiert.
Auch wenn der Bau einen recht extravaganten Eindruck macht: Teurer als übliche Gartenhäuser dieser Dimension war er nicht, weil gespart wurde, wo es räumlich und ästhetisch nicht schmerzt. Im besten Sinn verschwenderisch umgegangen ist man nur dort, wo es darum ging, die Lage im Grünen bestmöglich zu nutzen.

Der Standard, Sa., 2003.02.15



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Gartenhaus Arato

08. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Gegensätze in Einklang gebracht

Ein moderner Anbau entlastet ein kleinteiliges altes Blockhaus in Niederösterreich und wertet das Anwesen mit viel qualitätsvollem Raum - sowohl innen als auch außen - auf.

Ein moderner Anbau entlastet ein kleinteiliges altes Blockhaus in Niederösterreich und wertet das Anwesen mit viel qualitätsvollem Raum - sowohl innen als auch außen - auf.

Es waren vor allem sentimentale Gründe, weshalb die Besitzer das alte Haus keineswegs stark verändern oder gar abreißen wollten. Die Großeltern hatten das Blockhaus in den Dreißigerjahren des 20. Jahrhunderts erbaut. Später diente es als Wochenendhaus.

Die winzigen Räume und der fehlende direkte Gartenzugang waren aber doch verbesserungswürdige Punkte. Obendrein war das Haus mit nur acht Zentimeter dünnen Wänden und reparaturbedürftigen Fenstern eine wahre Energieschleuder.

Mit der Ideenfindung zur Aufwertung des geliebten, aber nicht mehr ganz zeitgemäßen Hauses wurde das Architekturbüro Lichtblau/ Spindler beauftragt. Ihr Vorschlag für das Ferienhaus in Gablitz kam so gut an, dass es zum Hauptwohnsitz der Familie erkoren wurde.

Ein zweigeschoßiger Quader schließt straßenseitig nach Osten versetzt an den Altbau an. Er birgt einen loftartigen Wohnraum. Über eine offene Galerie gelangt man in das Arbeitszimmer, das ähnlich einer Kanzel über dem Luftraum auskragt und mit einer Milchglaswand abgetrennt ist.

Der aus vorgefertigten Elementen errichtete Holzriegelbau erhielt an der Ostseite, die zum Eingang führt, eine rot gestrichene Stulpschalung aus Fichtenholz. Das begrünte Flachdach kragt hier aus und gibt dem Zugangsweg und der Fassade Witterungsschutz. An den der Terrasse und dem winkelförmigen Swimmingpool zugewandten Seiten wurde Teakholz verwendet. Das edle Holz ist nicht ganz billig, dafür aber schön und vor allem sehr witterungsbeständig. Die Schalungsbretter stehen hier senkrecht, damit das Regenwasser an diesen von keinem Dach geschützten Seiten abfließen kann.

Was sofort auffällt, ist die konsequente Geometrie, mit der das Haus aus einzelnen Elementen gefügt wurde. Jedes Fensterfeld ergibt sich aus einer übergeordneten Proportion. Für jedes Außenwandelement findet sich eine Analogie im Inneren. Das mag als gekünstelte Spielerei erscheinen. Tatsache ist, dass man die Harmonie sowohl außen als auch innen spürt, auch wenn man nichts von diesem Schema weiß.

Der Altbau wurde saniert und an einigen Punkten neu organisiert, behielt aber seine Ausstrahlung. Neu gemacht wurden auch die - jetzt viel zarteren - Holzfenster. Obwohl durch den Zubau weniger Garten vorhanden ist als zuvor, wird die neue Lösung auch außen als Raumgewinn wahrgenommen. Es entstanden schattige Plätze, sichtgeschützte Erholungsräume und ein sehr attraktiver Zugang.

Dass so etwas nicht von alleine kommt, soll hier auch einmal erwähnt werden. Jedes Stück Architektur verdient auch einen sorgfältig gestalteten Außenraum. In diesem Fall stammt er vom Landschaftsarchitekten Jakob Fina.

Architekt Konrad Spindler wird das Haus weiterhin beobachten und von Zeit zu Zeit fotografieren, um die Veränderung der Fassade zu studieren und zu dokumentieren. Irgendwann werden die ungestrichenen Teakflächen vergrauen. Dennoch wird der Alterungsprozess der durch die Betonung der einzelnen Wandelemente gewonnenen Schärfe des Baukörpers keinen Abbruch tun. Die Aluprofile der Glasflächen und die rot gestrichenen Fassadenteile werden nämlich auch dann noch einen brillanten Kontrast bilden. Diese Sorge um die optische Beständigkeit des Bauwerkes mag vielleicht ein Garant dafür sein, dass auch spätere Generationen noch mit Wertschätzung an dem Holzensemble aus zwei Zeiten hängen werden.

Der Standard, Sa., 2003.02.08



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Haus Landertshammer

01. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Tanz die Architektur

Wie Städte und Bauten sich in Filmen machen: In Tirol kann man's jetzt konzentriert sehen.

Wie Städte und Bauten sich in Filmen machen: In Tirol kann man's jetzt konzentriert sehen.

Wie eine Sonnenblume dem Lauf der Sonne folgt, dreht sich das Ferienhaus, das der italienische Ingenieur Angelo Invernizzi 1935 in der Nähe von Verona für sich und seine Familie schuf. Mittels Motors bewegt sich die gemeinsam mit dem Architekten Ettore Fagiuoli entworfene silbrige Wohnmaschine um ihre eigene Achse. Alle wesentlichen Wohnräume können so beliebig nach dem Sonnenstand oder auch dem Ausblick in die Landschaft in Position gebracht werden. Samt den eigens für das Haus entworfenen Apparaturen und Möbelstücken ist dieses weitgehend unbekannte gebaute Manifest des italienischen Futurismo bis heute im ursprünglichen Zustand erhalten. Der Schweizer Architekturfilmer Christoph Schaub und der Architekt Marcel Meili erkundeten die „Casa Girasole“, das Sonnenblumenhaus, mit der Filmkamera. Zu sehen gibt es die Dokumentation des bemerkenswerten Hauses nebst 199 anderen Schlüsselbeispielen zur Architektur im Film im Rahmen der Ausstellung „screen[ing] architecture“ im Architekturforum Tirol.

Die Innsbrucker Architekturinstitution beauftragte den Filmhistoriker Helmut Weihsmann mit dieser umfassenden Zusammenstellung. Auf vier nach Themenbereichen sortierten Terminals können die Ausstellungsbesucher aus einer benutzerfreundlichen Image-Bank Baudokumentationen, Architektenmonografien, Stadtessays, filmische Zukunftsszenarien und cineastische Gustostückerln, die in irrealen Cyber-Spaces spielen, abrufen. Um nicht blind durch das riesige Filmangebot surfen zu müssen, bereitete Kurator Weihsmann eine Sammlung von Texten und Inhaltsbeschreibungen zu den Filmen vor. Die jetzt für die Ausstellung zur Verfügung stehende Mediathek auf DVD und Video wurde auch mit dem Hintergedanken angeschafft, darauf ein Archiv für eine fundierte Aufarbeitung und Vermittlung des Themas „Architektur im Film“ aufzubauen.

Beeindruckende Stadtszenarien und Architekturikonen - man denke nur an die grandiose Villa Malaparte auf Capri in Godards „Le mépris“ - dienten im Lauf der Filmgeschichte immer wieder als Drehorte. Das Kino nimmt damit auch eine dokumentarische Rolle wahr. Und umgekehrt zählen visionäre Stadtmodelle wie in Ridley Scotts „Blade Runner“ und Fritz Langs „Metropolis“ oder die Satiren von Jacques Tati zu jenen Architekten-Kultfilmen, die Rezeption und Produktion von Architektur direkt beeinflussen.

Das Gedicht „Un coup de dés“ von Stéphane Mallarmé diente als Basis für einen Film in einem architektonischen Würfelwurf. Er spielt in der von Robert Mallet-Stevens geplanten Landvilla des Vicomte de Noailles in Hyères an der Côte d'Azur. Der exzentrische Graf bat Man Ray um eine Dokumentation seines Würfelschlosses. Der anfangs von der Idee nicht sehr begeisterte Künstler entwickelte schließlich - angeblich nachdem der Graf auch mit einem Honorar lockte - eine Filmchoreografie aus dokumentarischen Szenen, gemischt mit spielerischen Kameratricks und dadaistischen Tanzszenen. Er widerlegt mit seiner surrealen Inszenierung das Bonmot „Reden über die Liebe ist wie Tanzen über Architektur“ aus Willard Carrolls Film „Leben und Lieben in L.A.“.


[screen[ing] architecture - Film. Architektur. Stadt
Architekturforum Tirol, Erlerstraße 1, Innsbruck bis
28. März 2003, Mo-Fr 14-19 Uhr, Do bis 21 Uhr

„Alphaville“ von Jean-Luc Godard, ein weiterer Pflichtfilm für Cineasten und Stadtutopisten, wird ergänzend zur Ausstellung im Architekturforum am 6. Februar im Innsbrucker Leokino gezeigt.]

Der Standard, Sa., 2003.02.01

01. Februar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Platzwunder hinter Filz

Ein multifunktionales Raummöbel bildet das Herzstück in einem Dachgeschoßausbau von Rataplan.

Ein multifunktionales Raummöbel bildet das Herzstück in einem Dachgeschoßausbau von Rataplan.

Eng, niedrig und mit an Fahrlässigkeit grenzender Schlampigkeit notdürftig ausgebaut: So präsentierte sich der einer Altbauwohnung zugeordnete Dachboden in der Wiener Sporkenbühelgasse, ehe sich seine neuen Eigentümer an einen gründlichen Umbau wagten. Das Wirrwarr der hölzernen Dachbalken verhinderte, dass das Raumvolumen tatsächlich nutzbar war. Die eingebaute Bad-Zelle war ein finsteres Loch, und einen hölzernen Hauptträger hatte man bei einer früheren Umbaumaßnahme substanziell so beleidigt, dass er sich bereits gefährlich bog.
Dass man hier nur mit einer grundsätzlichen Neustrukturierung der Konstruktion weiterkommt, war den Architekten von Rataplan von vornherein klar. Dass mehr daraus zu machen ist, als nur eine kleine Dachkammer, ebenfalls. Deshalb haben sie die Stützen und die quer durch den Raum laufenden Holzbalken entfernt. Ihre statischen Aufgaben übernahm eine neue Stahlrahmenkonstruktion. Mit ihrer Hilfe wurde der Raum freigespielt und seine Ausdehnung auf das mögliche Maximum erweitert, ohne die Dachhaut zu verändern.

Das klingt einfach, verlangte aber sowohl Planern als auch Ausführenden einiges an Einfallsreichtum und Geschick ab. Die einzelnen Träger der Stahlkonstruktion wurden zum Beispiel per Kran durch ein kleines Dachfenster eingefädelt. Viel Aufwand, der sich aber gelohnt hat, denn schon der nackte Raum präsentierte sich um einiges brauchbarer als das einstige Winkelwerk.

Um die gewonnene Großzügigkeit nicht durch neue Trennwände zunichte zu machen, übernimmt entlang der Wohnungstrennwand ein vielseitiges „Raummöbel“ alle notwendigen Funktionen. Die offene Küche ist zum Raum hin mit einem quaderförmigen Arbeitsblock gefasst. Seitlich bergen rot lasierte Schrankwände alle Küchenutensilien, und es gibt sogar einen kleinen, betretbaren Abstellraum als Speisekammer-Ersatz. Hinter einer schräggestellten, mit Filz bespannten Wand, die vom Stiegenaufgang ins Raumzentrum weist, verbirgt sich das Bad. Es ist nicht einmal fünf Quadratmeter groß. Trotzdem haben Badewanne, Waschtisch, WC und Waschmaschine genug Platz. Abstellflächen und Schränke sind in die Wände integriert. Licht kommt durch verglaste Schlitze an den Nahtstellen zwischen Filzwand und angrenzenden Wänden. In die von zwei Seiten bedienbare rote Schrankwand ist als besonderes Extra noch eine kleine Durchreiche zwischen Badewanne und Küche integriert. Die Botschaft: Auch bei wenig Platz und begrenztem Budget sind kleine Träume vom luxuriösen Leben erfüllbar.


Kompaktes Implantat

Über der Küche kragt die Badezimmerdecke als Baldachin aus. Selbstverständlich bleibt auch diese Fläche nicht ungenützt. Eine extrem schmale, aber stabile und mittels rahmenförmigen Handgriffs erstaunlich bequem zu begehende Stahltreppe führt auf eine Liegefläche unter den Dachschrägen. Sollte die ohnehin schon schlanke Treppe zu viel Platz wegnehmen, lässt sie sich im Spalt zwischen den Wänden bündig verstauen.
Durch das kompakte Implantat blieb nicht nur das gesamte Raumvolumen erfahrbar. Es definiert den Raum, dient als Blickfang und ist so etwas wie der gute dienende Geist dieses Dachbodenausbaus. Die eingesetzten Materialien sind einfach: preiswerte Seekieferplatten, die mit einer Lasur veredelt wurden und an den Deckenuntersichten hellgrau lackiert wie Metall wirken, dazu der dunkelgrau melierte Filz, der wiederum konträre haptische Erfahrungen ermöglicht.

Der Standard, Sa., 2003.02.01



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Dachgeschoßausbau

27. Januar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Holz harmonisch gestapelt

Ein Zubau sollte Bezug auf den Alltag der Bauherren und Rücksicht auf das unmittelbare Umfeld nehmen. Reinhard Suntinger wusste privaten Lebensstil und unternehmerisches Selbstverständnis zu vereinen.

Ein Zubau sollte Bezug auf den Alltag der Bauherren und Rücksicht auf das unmittelbare Umfeld nehmen. Reinhard Suntinger wusste privaten Lebensstil und unternehmerisches Selbstverständnis zu vereinen.

Holz bestimmt das tägliche Leben der Bauherren aus dem Kärntner Mölltal: Direkt im Anschluss an ihr Wohnhaus liegt der familieneigene Sägewerkbetrieb. Auf dem Weg zum Haus passiert man Reihen von Brettholzstapeln. Und schaut man aus dem Haus hinaus, bestimmen sie, gemeinsam mit einem bewaldeten Hang, auch das nächste Umfeld. Nahe liegend deshalb der explizite Wunsch nach einem Holzbau, der das bestehende Wohnhaus erweitern sollte.

Die Holzstöße des Sägewerks inspirierten also Architekt Reinhard Suntinger zur Form und der Struktur des zweigeschoßigen Anbaus in Holzriegelbauweise. Zur Beschattung wurden als äußerste Schicht Schiebeelemente mit horizontaler Lamellenstruktur vorgeblendet. Die horizontale Ausrichtung des liegenden Quaders wird damit analog zu den gestapelten Brettern betont. Je nach Stellung der Läden verändert sich das Erscheinungsbild von einer hermetisch geschlossenen Form zu einem unregelmäßigen Patchwork oder einem streng dem Konstruktionsraster folgenden Muster.

Der hölzerne Zubau ist mit dem bestehenden Massivbau über ein Richtung Westen verglastes Verbindungsglied, in dem Alt und Neu ineinander greifen, verbunden. Sein Dach dient als Terrasse für die Einliegerwohnung im Dachgeschoß.

So einfach diese Maßnahme klingt, ihre Auswirkungen sind enorm und vielschichtig. Denn man hat nicht nur rund 170 m² Fläche dazu gewonnen, sondern auch ein hohes Maß an Wohn- und Nutzungsqualität. Der Altbau wurde bis auf einen neuen Fitnessraum mit anschließendem Freibereich in der untersten Ebene und die notwendigen Wanddurchbrüche zur Verbindung der beiden Trakte unverändert belassen.

Ein weit ausladendes Vordach und eine neue Treppe verhelfen dem alten Eingang zu mehr Komfort. Eine Ebene tiefer bildet ein weiteres Vordach, unter dem der zweite Eingang im verglasten Zwischenstück liegt, die Klammer zwischen Alt und Neu.


Schnittstelle

Während der alte Zugang rein privat genutzt wird, dient der neue als Kundeneingang ins Büro, aber auch als schnellere Verbindung zu den Räumen im Zubau sowie im untersten Altbaugeschoß. Im verglasten zweigeschoßigen Verbindungstrakt fand eine repräsentative Empfangszone mit Besprechungstheke ihren Platz. Die verputzten Außenwände des Bestandes blieben hier erhalten und machen so die Schnittstelle zwischen den beiden Bauphasen klar ablesbar.

Eine einläufige Stahltreppe führt auf die Wohnebene. Hier leitet der neu geschaffene Essbereich zu einem über 30 m² großen Wohnzimmer über. Es nimmt zwei Drittel der neuen Ebene ein und mündet barrierefrei in einem glasgedeckten, verandaartigen Freiraum.

Die Innenauskleidung besteht an Wänden, Boden und Decke aus Lärchenholz und ist ein Exempel dafür, dass viel Holz nicht zwangsläufig erdrückend wirken muss. Zu verdanken ist dies vor allem den großen Flächen, der überdurchschnittlichen Raumhöhe und der guten Belichtung über die verglasten Wandsegmente. Aber auch die präzise Schlichtheit der schnörkellosen Ausführung sowie die sparsame Möblierung mit wenigen schwarzen Einrichtungsstücken tragen zum eleganten Erscheinungsbild des großzügigen Raumes bei.

Privater Lebensstil und unternehmerisches Selbstverständnis werden bei diesem Zubau gekonnt in Einklang gebracht. Besonders spektakuläre Gesten waren da gar nicht notwendig.

Der Standard, Mo., 2003.01.27



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Sägewerk

27. Januar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Projektentwicklung ohne Frust

Im geförderten Wohnbau mischt eine Vielzahl von Akteuren mit. Die Publikation „Im Boot“ lässt sie zu Wort kommen und liefert auch gleich Handlungsanleitungen für eine zielorientierte Projektentwicklung.

Im geförderten Wohnbau mischt eine Vielzahl von Akteuren mit. Die Publikation „Im Boot“ lässt sie zu Wort kommen und liefert auch gleich Handlungsanleitungen für eine zielorientierte Projektentwicklung.

„Finanzielle Desaster entstehen oft durch Verzögerungen“, sagt Heidi Pretterhofer. Und Verzögerungen entstehen, wenn Rahmenbedingungen zum Zeitpunkt einer Wettbewerbsausschreibung nicht geklärt oder gar Grundstückseigentümer und Bauherren nicht eingebunden wurden. Wie das etwa 1993 beim Wettbewerb Europan 3 für den Grazer Standort Wassergasse der Fall war. Bis heute hat man dort nicht gebaut. Die Architekten planten mangels klar definierter Parameter mehrere Varianten. Dann wurde das erste Ansuchen um Wohnbauförderung abgelehnt: wegen zu großer Abweichungen vom Wettbewerbsprojekt. Inzwischen ist der Wohnbau zumindest eingereicht.

Heidi Pretterhofer ist Architektin und hat mit Dieter Spath die Publikation „Im Boot“ herausgegeben. Das Buch fasst die Ergebnisse des Forschungsprojektes „habitat2000plus“ zusammen. Zugleich soll es als Handlungsanleitung für die Durchführung von Wettbewerben auf dem Wohnbausektor dienen. In Diskussionsrunden und Interviews mit Vertretern sämtlicher ins Wohnbaugeschehen involvierter Personengruppen wurden umfassende Einsichten in die Bedingungen der Wohnbauproduktion gewonnen.

Gleichzeitig erfolgte auch eine Evaluierung der sechs bisher stattgefundenen Runden des seit 1989 abgehaltenen Europan-Wettbewerbs. Europan ist eine im Zweieinhalb-Jahres-Rhythmus stattfindende, von 19 Nationen getragene Wettbewerbsinitiative im Bereich Wohn- und Städtebau für ArchitektInnen unter 40 Jahren.

Die im Zuge von „habitat2000plus“ gewonnenen Erkenntnisse werden erstmals beim bereits ausgeschriebenen Verfahren Europan 7 angewendet. Die österreichische Eröffnungsveranstaltung findet am 8. Februar, 19 Uhr, in Wien 7, Schottenfeldgasse 72 statt. Eines der Highlights: der Vortrag der Architektin Nasrine Seraji „Housing As A Right And Not A Privilege“.

Mit ihrer Publikation laden Pretterhofer/Spath aber auch alle Akteure sowohl im geförderten Wohnbau als auch im gesamten Wettbewerbwesen ein, ins Boot der neu gegründeten „Gesamtagentur des Wohnens“ zu steigen. Der Leser erfährt aus Zitaten, Diagrammen und kritischen Essays - u. a. von STANDARD-Mitarbeiterin Ute Woltron - viel Wissenswertes über das Wettbewerbswesen und zu Wohnbau-Fakten. Ein Aktionsplan liefert eine Idealmatrix für die Abwicklung von Architekturwettbewerben. (leeb)


[Buchtipp: Heidi Pretterhofer, Dieter Spath (Hrsg.),
Im Boot - Prozessmanagement im Wettbewerbsverfahren/ Wohnbau Wien,
2002, 24,80 €
www.europan.at
www.europan-europa.com]

Der Standard, Mo., 2003.01.27

18. Januar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Fachhochschulen im Baurausch

Dreißig neue Studiengänge haben im Herbst ihren Betrieb aufgenommen. Bereits im Jahr 2005 soll ein Drittel der Studienanfänger an den Fachhochschulen zu finden sein. Parallel dazu gibt es eine Fülle von FH-Neubauten.

Dreißig neue Studiengänge haben im Herbst ihren Betrieb aufgenommen. Bereits im Jahr 2005 soll ein Drittel der Studienanfänger an den Fachhochschulen zu finden sein. Parallel dazu gibt es eine Fülle von FH-Neubauten.

Der Bedarf an adäquaten Räumen äußert sich in einem wahren Bauboom auf dem Fachhochschulsektor. Einige der noch jungen Lehranstalten nehmen bereits groß angelegte Erweiterungen in Angriff. Vom Architektenwettbewerb bis zum Bezug dauert es selten länger als zwei Jahre.

Ein herausragendes Beispiel für ein ortsgerechtes Gesamtkonzept ist die Fachhochschule Kufstein. „Möbel im Park“ nennen die Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck den Komplex. Die zentrale Aula besticht durch stützenlose Weite und ungekünstelten Purismus: Die Erdgeschoßzone ist zum Park hin verglast, die massiven Wände bestehen aus Sichtbeton, der Boden aus dunkelgrünem Serpentin. Aula, Cafeteria und Bibliothek sind so angelegt, dass sie auch für externe Nutzungen geeignet sind.

Da hier unter anderem Facility-Management gelehrt wird, kann ökonomische Raumbewirtschaftung gleich vor Ort exerziert werden. Deshalb auch die innovative zweischalige Klimafassade. Sie war den Architekten wichtig, um „den Inhalt der Lehre auch nach außen zu transportieren“.

Bald soll erweitert werden. Dazu muss man nur eine Stirnwand des mäanderförmig um die Aula organisierten Gebäudes entfernen. Im städtebaulichen Konzept hat das Team Henke/Schreieck bereits weitere Ausdehnungen angedacht: Die Fachhochschule wäre dann Teil eines multifunktionalen innerstädtischen Zentrums.

Ebenfalls zentral liegt die FH Wels. Nächst dem bestehenden Gebäude wird im März mit dem Neubau von Architekt Andreas Treusch begonnen. Seine Devise: „Die Fachhochschule soll Teil der Stadt sein.“ Eine in den Stadtraum ausgreifende Terrasse und das transparente Foyer mit anschließender mehrgeschoßiger Halle werden diese Absicht unterstützen.

Rege baut auch die FH Joanneum. Bis Herbst 2004 wird das erste Modul des Campus Graz West mit Hörsälen, Büros, Bibliothek, Mensa und Tiefgarage bezugsfertig sein. Den europaweiten Wettbewerb für das rund 20 Millionen Euro teure Projekt gewann die portugiesisch-österreichische Kooperation Goncalo Byrne und Thomas Zinterl.


Idylle oder Zentrum

Bereits im Sommer muss das Gebäude für den Lehrgang „Gesundheitsmanagement im Tourismus“ in Bad Gleichenberg von Architekt Alfred Bramberger fertig sein. Um den beschaulichen, aber etwas entlegenen Standort hochwertiger zu positionieren, wurde erst vergangenen Juni der Wettbewerb für den Neubau am Kurpark abgeschlossen. Das Innere des ambitionierten Projektes profitiert von der Hanglage im Grünen durch mannigfaltige Ausblicke zum Wald und zum Park.

In weniger idyllischer Lage, im Gewerbegebiet am Klagen- furter Südring, ist der Studiengang Telematik und Netzwerktechnik des Technikum Kärnten untergebracht. 2001 wurde der erste Riegel des vier parallele Baukörper umfassenden Gesamtprojektes vollendet. Klar und nüchtern haben die Architekten Edgar Egger, Kurt Falle und Toralf Fercher den über dem Eingang auskragenden Bau angelegt. Die Hauptstiege verbindet entlang der westlichen Glasfassade alle drei Geschoße. Die Obergeschoße bieten jeweils 480 m² flexibel teilbare Nutzfläche.

Ähnlich linear, in der Ausbildung aber weniger schroff ist die nagelneue, von der Arge Neumann/Prochazka geplante Fachhochschule des Technikum Wien auf dem Höch-städtplatz. Das Projekt auf dem ehemaligen NÖM-Gelände gilt als Zugpferd für die Ansiedlung eines IT-Clusters. Offiziell eröffnet wird im April.

Kein ganz neuer Architekturstern im Stadtbild ist die Fachhochschule Vorarlberg in der Dornbirner Achstraße. Die ehemalige Textilschule zählt zu den Highlights österreichischer 50er-Jahre-Architektur. Der von Ramersdorfer/Meusburger geplante Komplex war bereits vom Abriss bedroht. Ein neues Nutzungskonzept und die vorbildhafte Revitalisierung durch die Architekten Kaufmann, Ritsch, Lenz und Dietrich rettete die kühne Architektur.

Der Standard, Sa., 2003.01.18

11. Januar 2003Franziska Leeb
Der Standard

Vielschichtiges Siedlungsgefüge

Ein österreichisches und ein amerikanisches Architekturbüro - Roland Hagmüller und Mark Mack - planten gemeinsam eine Wohnsiedlung in Wien.

Ein österreichisches und ein amerikanisches Architekturbüro - Roland Hagmüller und Mark Mack - planten gemeinsam eine Wohnsiedlung in Wien.

Angst vor Farben haben sie beide nicht. Weder Roland Hagmüller, Architekt in Wien, noch Mark Mack, ein gebürtiger Steirer, der seit 1984 international erfolgreich sein Büro in Kalifornien betreibt. Vielleicht war das bereits eine gute Basis, sich an eine interkontinentale Kooperation zu wagen, deren erstes Ergebnis eine Wohnhausanlage mit 124 Wohneinheiten (Bauherr: Österreichisches Siedlungswerk) in der Wiener Breitenleer Straße ist.

Durch den Zeitunterschied von neun Stunden wurde so gut wie rund um die Uhr am Projekt gearbeitet, und es sei stets spannend gewesen, was am nächsten Morgen herauskommt. Und weil das gemeinsame Werken so befruchtend war, haben die beiden mittlerweile ein weiteres Projekt, einen viergeschoßigen Holzwohnbau im steirischen Judenburg, fertiggestellt.

Die neue Wiener Stadtrandsiedlung liegt westlich des alten, immer noch dörflich wirkenden Ortskerns von Breitenlee. Kleinteilige Bebauungsstrukturen und Gewächshäuser prägen das Umfeld. Mit einem langen, viergeschoßigen Riegel wurde die neue städtische Bebauung in Richtung altes Dorf abgegrenzt. Zur Straße hin kragt er mit einem markanten Kopfteil aus, unter dem die Zufahrt zur Tiefgarage liegt.

Die Wohnungen werden über ostseitige Laubengänge erschlossen, nach Westen sind in der untersten Ebene zu den Allgemeinflächen erhöht liegende und deshalb sichtgeschützte Gärten vorgelagert. Die Wohnungen darüber verfügen über tiefe Loggien, von den Dachgeschoßappartements gibt es Treppen auf die Dachgärten, wo einfache, blaue Baucontainer als Abstellflächen für Terrassenmobiliar oder Ähnliches dienen.

Westlich davon ist das dreieckige Grundstück mit neun zweigeschoßigen, nach hinten zu kleiner werdenden Häusern bebaut. Sie stehen verschränkt zueinander, was zu überschaubaren Plätzen und Wegen mit unterschiedlichem Privatheitsgrad führt.

Die atmosphärisch sehr angenehmen Freiräume hätten mit etwas mehr Investition in ihre Gestaltung noch viel höherwertig ausfallen können. Wie so oft war das Budget dafür knapp. Nicht ausgeführt wurde auch der von den Architekten geplante Wasserstreifen zwischen Riegel und angrenzendem Grüngürtel.

Wie die Haustypen ist auch das Angebot an Wohnungen - Maisonetten und Geschoßwohnungen von 63-105 m² - vielfältig. Manche verfügen über unterschiedliche Niveaus innerhalb der Wohnräume, zweigeschoßige Räume mit großen Fensterflächen und Galerien, die mittels Schiebetüren zum Luftraum hin geschlossen werden können.


Gegen Verhüttelung

Viel Augenmerk wurde auf Praxistauglichkeit gelegt. So gibt es zum Beispiel unter den außenliegenden Stiegenzugängen oder auf den Terrassen Abstellräume, was verhindert, dass die Mieter irgendwann mit Blockhütten aus dem Baumarkt zur Selbsthilfe schreiten.

Was besonders auffällt, ist das bereits anfangs kurz erwähnte Farbkonzept. Ohne Rücksicht auf gängige Moden wurde (scheinbar) wild kombiniert: Fliederfarbene Flächen finden sich neben sattem Orange, Pastellgelb trifft auf Knallgelb. Was auf den ersten Blick nach - durchaus charmanter - Willkür aussehen mag, wurde nach dem Grundsatz „Warme Farben auf den kalten Seiten, kalte Farben auf den warmen“ sorgfältig geplant und trägt wesentlich zum Flair und der eigenständigen Charakteristik der Anlage bei.

Der Standard, Sa., 2003.01.11



verknüpfte Bauwerke
Siedlung Breitenleerstrasse II

21. Dezember 2002Franziska Leeb
Der Standard

Projektionsflächen des Lebens

In der Materialisierung puristisch, aber reich an räumlichen Besonderheiten ist ein Wohnhaus aus Sichtbeton in Salzburg.

In der Materialisierung puristisch, aber reich an räumlichen Besonderheiten ist ein Wohnhaus aus Sichtbeton in Salzburg.

Kein anderer Baustoff als Beton ist durch planerische Fehlleistungen und fantasielosen Einsatz so in Verruf geraten wie der grauen Gussstein.

Und deshalb hat der vielgestaltige Baustoff dort, wo es um die „dritte Haut“ des Menschen, um seine Wohnung, geht, oft mit Vorurteilen zu kämpfen. Auch wenn er aus konstruktiven Gründen meist unverzichtbar ist, sehen und spüren möchten viele den nackten Beton nicht. Es hat daher schon Seltenheitswert, in einer gutbürgerlichen Siedlungsgegend ein Haus anzutreffen, dessen Optik von Beton in Reinkultur bestimmt ist und bei dem auch einige tradierte Vorstellungen vom Wohnen neu interpretiert wurden.

Das Sichtbetonhaus im Salzburger Stadtteil Parsch planten die Architekten Gerhard Sailer, Heinz Lang und Wolfgang Maul vom Architekturbüro Halle 1. Sie schufen ein spannungsreiches Wechselspiel zwischen rauen Betonscheiben und glatten, horizontalen Glasbändern. Ein kubisch-kompaktes Obergeschoß ruht auf einem nach außen weitgehend verglasten Erdgeschoß. Die Krönung bildet ein penthouseartiges Obergeschoß. Außen blieben sämtliche in Ortbeton hergestellten Wände bis auf einen unsichtbaren feuchtigkeitsabweisenden Anstrich unbehandelt.

Der Verzicht auf jede Veredelung des puren Betons verleiht dem Haus eine gewisse Archaik. Durch das Auskragen des Obergeschoßes entstanden rundum gedeckte Freibereiche. Und auch in den Geschoßen darüber bieten geräumige Terrassen viel Freifläche, ohne das Haus verlassen zu müssen. Straßenseitig liegen im verglasten Teil links vom Eingang ein Arbeits- und ein Wirtschaftsraum, also Nebenräume, die man üblicherweise verbirgt.

Hier sind sie durch die prominente Lage nicht nur hell, nutzerfreundlich und schnell zu erreichen, sondern auch von außen einsehbar. Die Glasfassade wird somit zur Projektionsfläche des Alltags. Rechts davon liegt die Diele. Ihre Außenwände aus Holzleichtbauweise sind an der Fassade mit blau satiniertem Glas verkleidet.

Bei Dunkelheit werden sie hinterleuchtet und verleihen dem Zugangsbereich eine völlig veränderte Note. Im Inneren wurden die Betonwände gedämmt und mit Vorsatzschalen aus Birkensperrholz verkleidet. In den Obergeschoßen blieben die Sichtbetonflächen auch an den Decken sichtbar.

Großzügigkeit und Variabilität zeichnen die interne Organisation des Hauses aus. Durch Schiebetüren können einzelne Zimmer zu Raumfolgen zusammengeschlossen werden. So sind zum Beispiel im Obergeschoß Wohn- und Schlafzimmer zu einer größeren Einheit verknüpfbar und im Erdgeschoß ein zentraler Spielbereich mit den beiden Kinderzimmern. Für Letztgenannte haben sich die Architekten ein besonderes Zuckerl einfallen lassen. Da die beiden Kinder in der Rohbauphase Bedenken äußerten, dass ihnen die raumhohen Glasfassaden in ihren Zimmern vielleicht doch nicht immer angenehm seien, wurde ein Sichtschutz mit Zusatzfunktion entwickelt.

Jedes Zimmer erhielt durch die Glaswand eine höhlenartige Erweiterung in Form eines Zylinders- bzw. Kegelabschnittes Richtung Garten. Sie schirmen ab, schaffen andererseits aber neben den Glasfassaden noch eine andere Qualität in der Beziehung von Außen- und Innenraum.

Der Standard, Sa., 2002.12.21



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Haus Graf

14. Dezember 2002Franziska Leeb
Der Standard

Italianità in Grinzing

Ein Anwesen in Wien-Döbling verwandelte Architekt Klaus-Jürgen Bauer in eine stattliche Villa, die mannigfaltige Raumerlebnisse bietet.

Ein Anwesen in Wien-Döbling verwandelte Architekt Klaus-Jürgen Bauer in eine stattliche Villa, die mannigfaltige Raumerlebnisse bietet.

Vor dem Umbau war es das „hässlichste Haus von Wien“, so der Bauherr. Architekt Klaus-Jürgen Bauer umschreibt den lang gestreckten Bau, der über Jahrzehnte hinweg immer wieder konzeptlos erweitert wurde, als „Konglomerat der Nichtigkeiten“.

Aber die Grinzinger Toplage auf einem nach Norden abfallenden Hanggrundstück und der großartige Wienblick waren Anreiz genug, sich der architektonischen Missgestalt anzunehmen. Mit oberflächlicher Kosmetik wäre nichts auszurichten gewesen. Der Bestand wurde also völlig entkernt und erfuhr sowohl eine umfassende Neuorganisation als auch Neuinterpretation im Verhältnis der Räume zueinander und zur umgebenden Landschaft. Es galt das 22 Meter lange Gebilde zu bändigen und in ein stimmiges Ganzes zu verwandeln. Die Anmutung der Straßenfassade im Süden ist von schlichter, fast bescheidener Zurückgenommenheit und verschlossen, jedoch ohne schroff abweisend zu sein. Eine weiße Stahlpergola leitet vom kleinen Vorplatz zum Haus über und dient einem alten Weinstock als Gerüst.

Größe und Geräumigkeit der neu gestalteten Villa erschließen sich erst nach und nach. Klaus-Jürgen Bauer entwickelte eine Abfolge von Räumen, in denen sich immer wieder eigene Welten eröffnen. Nach einem Entree, von dem auch die in das Haus integrierte Praxis zugänglich ist, folgt eine private Garderobenzone. An diese schließt das Herzstück des Erdgeschoßes an: ein rund 80 Quadratmeter großer Wohnraum, der sich über eine Serie gleich großer Fenstertüren auf die große Westterrasse öffnet.

An seinem nördlichen Ende mündet er in den so genannten „Palmenraum“, der gartenseitig als dreigeschoßiger Abschluss die gesamte Höhe des Hauses erkennen lässt. Von hier führen Treppen in die Fitnessräume im Keller sowie in die Wohn- und Schlafbereiche im Obergeschoß, das bis unter den Dachgiebel reichend mit imposanten Raumhöhen aufwartet. Es ist weniger eine Aneinanderreihung von Zimmern als eine Abfolge von Wegen und Plätzen, von Öffnungen, die den Blick ins Unendliche schweifen lassen, und Wandscheiben, die Halt geben.

Ohne jemals protzig zu werden, entstand ein zeitgemäßer Palazzo, der dem alltäglichen Familienleben eine ebenso adäquate Bühne bietet wie repräsentativen Anlässen. Die Abfolge verschiedener Welten setzt sich an den Außenanlagen fort, wo gepflasterte Freiterrassen auf mehreren Ebenen zum Alt-Wiener Garten auf dem Nordhang überleiten. An der Südwestecke umschließen Sichtbetonmauern einen versteckten „geheimen Garten“. So wie dieser erinnern auch etliche andere Perspektiven und Ansichten an Motive der Künstler Carlo Carrà oder Giorgio de Chirico. Zum Beispiel die strengen Lochfassaden im Norden und entlang der Westterrasse, die als neue Schichten aus St. Margarethener Sandstein dem Haus vorgeblendet wurden.

Zusammen mit den sorgfältig gestalteten Freiräumen versprühen sie eine gewisse Italianità und geben den Außenanlagen einen samtig warmen Hintergrund von gediegener Qualität. In einem planerischen Kraftakt wurde aus dem ehemaligen „Konglomerat der Nichtigkeiten“ ein harmonisches Ganzes, das immer wieder überraschende Raumerlebnisse bietet.

Der Standard, Sa., 2002.12.14



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Villa Himmelstrasse - Umbau

30. November 2002Franziska Leeb
Der Standard

Wohnbau darf sexy sein

Die Architekten Delugan-Meissl planten für den gemeinnützigen Bauträger „Neues Leben“ einen Mietwohnbau von hoher Anmut.

Die Architekten Delugan-Meissl planten für den gemeinnützigen Bauträger „Neues Leben“ einen Mietwohnbau von hoher Anmut.

Schwarz gilt als die Modefarbe der Saison. Schon allein so betrachtet haben Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan ihr Wohnhaus am Paltramplatz in Wien-Favoriten perfekt in der Zeitgeistschiene platziert. Dennoch sah der erste Entwurf für diesen Bauplatz anders aus und es ist daher notwendig, die Genesis dieses Projektes zu erläutern.

Ursprünglich erdachten nämlich Delugan-Meissl ein „Boarding-House“ für Kurzzeit-Mieter. Zu jeder Einheit hätte ein Smart-Auto mitvermietet werden sollen, das die Bewohner mittels Aufzug direkt auf die Wohnebene gebracht hätte. In einem multifunktionalen Möbelelement, das sich hinter der vollständig verglasten Fassade abgezeichnet hätte, sollte die Basisausstattung untergebracht sein.

Das ungewöhnliche Konzept erschien für den Standort aber zu riskant und der Bauträger „Neues Leben“ entschied sich für einen geförderten Mietwohnungsbau innerhalb der üblichen Rahmenbedingungen.

Delugan-Meissl entwickelten dafür eine tragende Betongrundstruktur, innerhalb derer eine große Vielfalt an Grundrissen möglich ist. Schnittstellen zwischen innen und außen zählen zu Merkmalen der Bauten dieses Wiener Teams. Hier sind es verglaste Loggien, die etwa 60 cm auskragen.

Von außen gewähren sie etwas Einblick und umgekehrt stellen sie den Bewohnern den Kontakt zum öffentlichen Raum her. Sie sind oft von zwei Räumen aus zugänglich und verleihen der Fassade ein unregelmäßiges Relief.

Gemeinsam mit der Technischen Universität Wien wurde eine Energiefassade aus schwarzen Schichtstoffplatten entwickelt, die Solarenergie speichern, welche man für die Warmwassergewinnung nutzen kann. Ein Pflanzenkleid, das sich über ein Nirostagerüst die Fassade emporgerankt hätte, sollte als natürlicher Klimaregulator dienen. An den Wiener Brandschutzbestimmungen scheiterte jedoch der Einsatz der organischen Schichtstoffplatten und damit auch die Klimafassade. Realisiert wurde das grundsätzlich gleiche Projekt dann mit einer Fassade aus den anfangs erwähnten schwarzen Eternittafeln.

Zusammen mit den dunklen Verblechungen der auskragenden Loggien und den schwarzen Fensterrahmen entstand eine monochrome Gebäudehülle, die je nach Lichtstimmung vorführt, welch reiches Spektrum an Schattierungen die Nichtfarbe Schwarz bietet. Abweisend wirkt die Fassade aus diesem Grund nicht, auch weil das Innere der Loggien mit den rotbraunen Sperrholzwänden und dem Inventar der Mieter nach außen durchschimmert. Auch die verglaste Eingangszone mit den gelben Wänden und einem Lichtobjekt von Helmut Rainer ist ein repräsentativer Mittler zwischen dem Straßenraum und dem Hausinneren. Die leicht ansteigende Rampe gleicht das Platzgefälle aus und wirkt als einladende Geste. Damit das Haus mit seinem zurückspringenden Dachgeschoß nicht wie „ein abgebrochener Eckzahn“ dasteht, erhielt die Dachterrasse eine breite Krempe aus gelochtem Blech.

Integrierte Photovoltaikpaneele versorgen Stiegenhaus und Sauna mit Ökoenergie. Durch ihre Öffnungen zeichnen Sonne und Vollmond ein bewegtes Lichtpunkte-Muster auf die darunter liegenden Fassadenbereiche. Auf keinen Fall würde sie ihre Wohnung gegen eine gleichpreisige größere anderswo eintauschen, erzählt eine junge Frau, die sich wegen der Architektur hier eingemietet hat.

Das ist wohl das beste Argument dafür, dass auch der so genannte soziale Wohnbau extravagant und ein bisschen sexy sein darf. Die oft gerühmte Zeitlosigkeit endet in der Pragmatik des Baubetriebs sowieso viel zu oft in öder Banalität.

Der Standard, Sa., 2002.11.30



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Wohnbau Paltramplatz

23. November 2002Franziska Leeb
Der Standard

Bescheidenheit ist eine Zier . . .

. . . und schließt außergewöhnliche Raumlösungen nicht aus, wie ein kleines Haus von Norbert und Ursina Thaler in Wien zeigt.

. . . und schließt außergewöhnliche Raumlösungen nicht aus, wie ein kleines Haus von Norbert und Ursina Thaler in Wien zeigt.

Die Besonderheiten dieses kleinen Wohnhauses für eine Familie mit zwei Kindern erschließen sich nicht gleich auf den ersten Blick. Oberflächlich betrachtet handelt es sich bei dem auf einem Hanggrundstück am Wiener Stadtrand gelegenen Neubau um eine der mittlerweile recht häufigen Holzkisten mit Flachdach.

Was Norbert und Ursina Thaler hier auf einer bebauten Fläche von nur 50 Quadratmetern und mit sparsamen finanziellen Mitteln vollbracht haben, ist bei genauerem Hinsehen aber viel mehr als ein schlichtes Haus mit ein paar großen Fensterflächen. Steigen wir also die an der Ostfassade liegende Treppe zum Eingang im Erdgeschoß hinab. Von einem schmalen Garderobenbereich gelangt man gleich in den Wohn- und Essraum, der sich entlang der südlichen Gartenseite erstreckt.

Spätestens hier offenbart sich das erstaunliche Raumangebot, das hier Platz fand, ohne ein Gefühl von Enge hervorzurufen. Die kleine Küche im Zentrum des Hauses ist in ein mit Schiebeläden zu schließendes Holzmöbel verpackt und deshalb leicht aus dem Blickfeld zu blenden. Grundsätzlich verfügt jeder Aufenthaltsraum über mindestens eine Wand aus Glas, und von jedem Zimmer kann man auch in mindestens ein anderes blicken. Das bringt Licht und Weite - zwei Grundvoraussetzungen, um kleinhäuslerische Enge zu vermeiden.

Möglich ist all das durch einen Innenhof, der von einer Stützmauer im Westen begrenzt wird. Das Wohnzimmer und das im rückwärtigen Teil des Hauses gelegene Arbeitszimmer sind zum mit Bambus und Kies fernöstlich inspirierten Patio hin verglast. Die Küche öffnet sich mit einem horizontalen Fensterband. Diese Lösung mit Innenhof gewährleistet, dass auch die in der Mitte des Gebäudes bzw. teilweise im Hang liegenden Bereiche des Hauses nicht nur ausreichend Licht erhalten, sondern durch das Weiterfließen des Raumes nach außen die Räume größer wirken, als sie tatsächlich sind.

Parallel zur Außentreppe führt ebenfalls entlang der Ostwand innen platzsparend eine einläufige Holztreppe in das Obergeschoß. Sie mündet in einem galerieartigen Leseplatz, der ebenso wie die Treppe viel Licht durch ein raumhohes, um die Gebäudeecke gezogenes Fenster erhält. Die Bibliothek fand praktischerweise gleich in einer Regalwand, die die Treppe begleitet, Platz.

Die im Obergeschoß liegenden Zimmer haben ihre Glaswände jeweils nach Westen, wo sie auf Terrassen münden und nicht nur viel Aussicht gewähren, sondern auch den Blick in den Hof und die angrenzenden Räume im Erdgeschoß ermöglichen. Diese diagonalen Durchblicke stellen räumliche Bezüge her. Selbst in den kleinen Kinderzimmern, die durch eine Schiebewand flexibel zu trennen oder zu verbinden sind, wird deshalb die Raumgrenze nicht an der tatsächlichen Raumaußenwand erlebt, sondern dort, wo der Blick ein Ende findet.

Die äußere Hülle besteht aus einfachen sägerauen Lärchenbrettern. Dort, wo Einschnitte in die Großform stattfanden, also im Bereich des Innenhofes und den Dachgeschoßterrassen, kamen glatte Holzplatten zum Einsatz. Schließlich sind diese Außenräume als Aufenthaltsräume zu sehen und verlangen nach einer feineren Materialsprache. Wiewohl auf die individuellen Bedürfnisse der Bauherren zugeschnitten, könnte dieses Haus auch für andere Lebensentwürfe eine taugliche Wohnumgebung bieten.

Es bietet Räume, die für viele Funktionen denkbar wären. Und trotz der notwendigen Einschränkungen hinsichtlich Volumen und Baubudget hat das kleine Gebäude durch die gelungenen Raumfolgen die Ausstrahlung eines „großen“ Hauses. Denkt man es sich mit edleren Oberflächen, könnte es sogar ein richtig nobler Vertreter seiner Spezies sein.

Der Standard, Sa., 2002.11.23



verknüpfte Bauwerke
Patiohaus

19. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Immobilien als Anlage

Wertsteigernde Raffinessen Wem andere Anlageformen zu riskant erscheinen, für den ist die Investition in eine Eigentumswohnung eine sichere Alternative. Im Hinblick auf die Vermietbarkeit oder späteres eigenes Wohnvergnügen ist es klug, auf qualitativ Hochwertiges in guter Lage zu setzen.

Wertsteigernde Raffinessen Wem andere Anlageformen zu riskant erscheinen, für den ist die Investition in eine Eigentumswohnung eine sichere Alternative. Im Hinblick auf die Vermietbarkeit oder späteres eigenes Wohnvergnügen ist es klug, auf qualitativ Hochwertiges in guter Lage zu setzen.

Es ist eine der interessantesten Interpretationen zum Thema urbanes Wohnen und Arbeiten, die der Bauträger Kallco mit den Architekten Delugan-Meissl im Wiener siebenten Bezirk realisiert hat.

Bereits die Eingangszone des Wohn- und Bürohauses in der Wimbergergasse lässt erahnen, dass man sich nicht mit dem Üblichen begnügen wollte. Ein räumlich großzügiges Foyer, zur Straße hin verglast, im Zentrum eine künstlerische Arbeit von Leo Zogmayer: Solch repräsentative Entrées ist man höchstens von Konzernzentralen gewohnt.

Dringt man tiefer, wird das Versprechen, das bereits beim Eintreten suggeriert wird, tatsächlich eingelöst. Im Hof schließt an den straßenseitigen Block eine niedrigere Bürobebauung aus gegeneinander ansteigenden Zungen mit gefalteten, begrünten Dächern an. Die ein- bis zweigeschoßigen Büros mit teils unterschiedlichen Raumhöhen fügen sich zu einer Struktur von Plateaus, Hängen, Schluchten und Kratern.

Diese Raffinessen wären vermutlich bei einem reinen Wohnbau kaum zu finanzieren gewesen. In der Konstellation - unten und im Hof arbeiten, oben wohnen - kommt der für exklusive Büros leicht argumentierbare Repräsentationsaufwand gleichzeitig den Wohnungen darüber zugute. Und auch diese können mit einigen Extras aufwarten. Sie sind hell, großzügig und mit Parkettböden, Schiebetüren und netten Kleinigkeiten wie breiten Spiegeln im Badezimmer überdurchschnittlich hochwertig ausgestattet.

Straßenseitig sind Wintergärten mit teils zweigeschoßigen Lufträumen vorgelagert. Als Sichtschutz erstreckt sich ein vom Künstler Herwig Kempinger konzipiertes Astwerkmuster als Siebdruck auf Glas über die gesamte Front. Von den rund 40 Wohnungen werden etliche Einheiten auch als Vorsorgewohnungen angeboten. Der hohe architektonische Anspruch sowie die Qualität der Ausstattung sind neben der günstigen Lage beste Voraussetzungen für Vermietbarkeit oder Eigennutzung, ist Kallco-Chef Winfried Kallinger überzeugt.


Rendite-Paket

„Die große Beachtung des Hauses in internationalen Medien bestätigt die Entscheidung zu einer Investition in einem guten Haus.“ Anlegern bietet die Kallco ein „Rendite-Paket“, das dreizehn Leistungspunkte umfasst. Darin enthalten sind zum Beispiel die kostenlose Erstvermietung, die Aufbereitung der Unterlagen für die Steuererklärung oder die Wiedervermietung und alle damit verbundenen organisatorischen Aufgaben.

Für fünf Prozent der Jahresnettomiete garantiert Kallco den Mietertrag auf drei Jahre. Es obliegt dem Wohnungseigentümer, welche Leistungen er davon beauftragt. Ein Finanzierungskonzept kann individuell, ohne Bindung an eine bestimmte Bank erstellt werden.

Der Nettokaufpreis für eine 65-Quadratmeter-Wohnung im dritten Obergeschoß beträgt inklusive Garagenplatz 143.602 Euro. Der jährliche Nettomietertrag wird mit 6810,90 Euro angegeben. Generell sei die Marktlage auf dem Wohnungssektor zurzeit mäßig, weiß Kallinger, „für Vorsorgewohnungen aber trotzdem gut, aufgrund der Sicherheit, die eine Anlage in Immobilien bietet“. Die zu erwartende Rendite beziffert der Kallco-Chef im STANDARD-Gespräch mit „mindestens 4,5 Prozent“.

Der Standard, Sa., 2002.10.19



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Stadthaus

19. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Keine Rede von Baracken

Längst hat sich Holz als vollwertiger Konstruktionswerkstoff im Wohnbau durchgesetzt. Manchmal regen sich dennoch - zu Unrecht - Bedenken.

Längst hat sich Holz als vollwertiger Konstruktionswerkstoff im Wohnbau durchgesetzt. Manchmal regen sich dennoch - zu Unrecht - Bedenken.

Lange scheiterte die Umsetzung mehrgeschoßiger Wohnbauten aus Holz an diesbezüglich restriktiven Bauordnungen. Seitdem Bedenken hinsichtlich Brand-und Schallschutz von Fachleuten weitgehend glaubwürdig entkräftet und die Gesetzgebung nach und nach novelliert wurde, sind dreigeschoßige Wohnbauten aus Holz nichts Besonderes mehr.

Dennoch gibt es immer noch Bedenken, wie die Geschichte eines Holzwohnbaus der Kärntner Architekten Ernst Roth und Reinhold Wetschko zeigt. Im Jahr 1997 gewannen sie den Wettbewerb für einen Holzwohnbau in Maria Saal. Eine Bürgerinitiative war erfolgreich dagegen, worauf ein abgelegenerer Standort in Maria Wörth auserkoren wurde, um das Siegerprojekt umzusetzen.

Doch auch hier machte sich Skepsis gegen die „Holzbaracken“ breit. Realisiert wurde das Projekt schließlich in der Harbacher Straße in Klagenfurt in Form von zwei riegelförmigen Baukörpern mit je zwölf Wohneinheiten (Bauherr: Neue Heimat Kärnten). Die Stiegenhäuser wurden als Aussteifungskerne aus Stahlbeton errichtet, dazwischen liegen die 60 bis 90 Quadratmeter großen Wohnungen aus Holzriegelbauweise.

Trotz der scheinbar simplen, modulartigen Struktur gelang es Roth und Wetschko, den beiden nord-süd-orientierten Riegeln eine wohlproportionierte, feingliedrige Anmutung zu verleihen. Keine Rede also von „Baracken“. Die Rigidität der mit horizontalen Lärchenbrettern verschalten Nordfassaden, hinter denen sich Sanitärräume und Küchen befinden, brechen die Zäsuren der zurückspringenden Stiegenhäuser. Nach Süden gruppieren sich Wohn-und Schlafräume um jeweils einen Balkon oder eine Terrasse.

Mit Solarkollektoren zur Warmwasseraufbereitung sind die hier erkerartig hervortretenden Stiegenhäuser bestückt. Die Holzverkleidung tritt in den Obergeschoßen in Form vertikaler Latten auf, die parallel zu den Fensterachsen und den Stützen aus Brettschichtholz ein fein ziseliertes Bild ergeben. Das Erdgeschoß ist wieder horizontal verschalt. Das verwendete Lärchenholz ist unbehandelt. Der Verzicht auf Holzschutzchemie wird mit konstruktiven Maßnahmen wettgemacht: Die Fassade ist selbstverständlich hinterlüftet, die horizontalen Bretter sind abgeschrägt.

Das Wasser hat deshalb keine Gelegenheit, sich festzusetzen, sondern kann abrinnen und austrocknen. Dort, wo die Lattung vertikal verlegt wurde, schützt ein auskragendes Flugdach nicht nur die Balkone, sondern auch die Holzfassade vor der Bewitterung. Einen wichtigen Beitrag zum feingliedrigen, harmonischen Fassadenbild leistet die besondere Ausformung der Fenster. Die Flügel sind aus Lärchenholz. Die Stöcke hingegen aus preiswerterer, weicherer Fichte, dafür aber anthrazitfarben gestrichen.

Diese farbliche Zweiteilung lässt sie besonders zart erscheinen. Schade ist es, dass die maßstäblich angenehme Anlage so völlig zusammenhanglos, ohne erkennbare Einbettung in eine großräumigere Siedlungsstruktur, in der Gegend steht. Roth und Wetschko taten im Rahmen des Möglichen ihr Bestes, auch außenräumliche Qualitäten anzubieten. So sollten Fahrradabstellräume die Freiflächen gliedern und am östlichen Ende war im Erdgeschoß ein offener, gedeckter Freibereich vorgesehen. Dieser als gemeinschaftlicher Treffpunkt gedachte Bereich wurde schließlich in einen geschlossenen Fahrradabstellraum umgemodelt, die Freiräume blieben leider ungegliedert.

Der Standard, Sa., 2002.10.19



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Holzwohnbau Harbacher Straße

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Der Architekt als Vermittler

Krischanitz: Form und Funktion sind untrennbar verbunden

Krischanitz: Form und Funktion sind untrennbar verbunden

In einer Studie zur Wohnzufriedenheit wird darauf hingewiesen, dass wohl Grundrisse, Belichtungsverhältnisse oder Freiräume der untersuchten Wohnanlagen positiv bewertet werden. Weniger Bedeutung hätte aber die Architektur, wobei Materialwahl oder funktionale Aspekte nicht mit dem Begriff „Architektur“ in Verbindung gebracht werden. Daraus wird dann die Forderung abgeleitet, die architektonischen Aspekte von rein ästhetischen Kategorien hin zu funktionalen Punkten neu zu gewichten.


Proportionen

Hier hakt der Wiener Architekt und Professor an der Universität der Künste Berlin, Adolf Krischanitz mit der Feststellung ein, dass Form und Funktion nicht zu trennen sind. Er warnt davor, Architektur auf den Aspekt des Ästhetischen zu reduzieren.

Selbst klassische Architekturdefinitionen, wie jene von Bruno Taut als „Kunst der Proportionen“, implizieren vernünftige Raumaufteilungen oder auch humanitäre Aspekte.

„Vielleicht reden Leute von Wohnqualität, die selbst gar keine Ahnung haben, was das bedeutet.“ Man brauche den Architekten zum Nach-vorne-Denken zu einer besseren Wirklichkeit.

Architektur nur nach der Konsumentennachfrage zu orientieren, wäre die reine Katastrophe, ist Krischanitz überzeugt. Das Gemeinwohl muss im Auge behalten werden. Reglementierungen behindern Innovationen.

Die Entwicklung vom Projekt „9 ist 12“ ist zum Beispiel ohne die Finanzierung durch die Industrie nicht möglich. Krischanitz würde sich wünschen, dass die öffentliche Hand auch in solchen Fällen mehr fördern würde.

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Im Wiener Wohnbau grünt es

Alternativen zu Thujenhecke, stacheligem Bodendecker und Co sind mehr als gefragt. Das Betätigungsfeld für kreative Landschaftsplaner ist fast unermesslich: Neben den anstehenden Neubauprojekten harren etliche Altlasten einer Verbesserung.

Alternativen zu Thujenhecke, stacheligem Bodendecker und Co sind mehr als gefragt. Das Betätigungsfeld für kreative Landschaftsplaner ist fast unermesslich: Neben den anstehenden Neubauprojekten harren etliche Altlasten einer Verbesserung.

„Bei den Außenanlagen hatten wir dann nichts mehr mitzureden.“ Diese oder ähnliche Entschuldigungen für das Aussehen der Freiflächen in Wohnsiedlungen bekommt man von Architekten regelmäßig zu hören. Es wäre auch ein Armutszeichen für die Zunft der Architekten und Freiraumplaner, würde ihnen tatsächlich nicht mehr einfallen, als Mietergärten mittels Thujenhecken abzugrenzen und die verbleibenden öffentlichen Flächen mit pflegeleichten Banalitäten voll zu säen.

Bauträger lieben Mietergärten. Erstens dienen sie als zugkräftiges Verkaufsargument, zweitens wird damit Geld verdient und drittens obliegt die Pflege der grünen Oasen vor der Haustür den Mietern. Die restlichen Flächen werden bevorzugt als Rasenbeete ausgeführt, mit deren Pflege selbst der botanisch unbedarfteste Hausmeister nicht überfordert ist.


Bodendecker

Stachelige Bodendecker halten Hunde und Kinder fern, dass sich auch städtisches Treibgut aller Art im dornigen Gewirk festsetzt, ist eine weitere Begleiterscheinung. Glaubt man den Willensbekundungen etlicher Großbauherren auf dem Wohnungssektor, soll dieses Bild städtischer Wohnanlagen bald der Vergangenheit angehören. Beim Bauträger Mischek wird zum Beispiel bei so gut wie allen Projekten mit Landschaftsplanern kooperiert, um die Qualität der Freiräume zu heben.

Viele Architekten wollen aber gar keine Fachplaner für die Grünräume hinzuziehen, so Michaela Mischek, da sie damit nicht nur einen Teil der Gesamtplanung, sondern auch ein Stück vom Honorarkuchen abgeben müssen. Oft wird die Kooperation mit Landschaftsplanern aber dezidiert gewünscht. Dabei ist es wichtig, Schnittstellen zu vereinbaren, wer wofür die Verantwortung trägt.

Zur Verbesserung der Lebensqualität in der Stadt startete Mischek gemeinsam mit der Arche Noah, einem gemeinnützigen Verein mit Sitz im niederösterreichischen Schiltern, der sich die Erhaltung und Verbreitung der Kulturpflanzenvielfalt auf die Fahnen geheftet hat, das Projekt „Arche Noah Stadtgarten“. Erstmals umgesetzt wurde das naturnahe Gartenkonzept mit Landschaftsplaner Stefan Schmidt bei einer Wohnhausanlage in der Wiener Krottenbachstraße.

Überwiegend heimische Nutz- und Zierpflanzen erfreuen nicht nur Auge und Nase. Zwischen Baldrian, Malven und Salbei fühlen sich auch Insekten wohl. Niveausprünge wurden mit Gabionen, das sind mit Bruchsteinen gefüllte Drahtkörbe, überbrückt. Diese Trockenmauern können ohne Fundamente errichtet werden und bieten allerlei Kleingetier eine Heimstatt. Buchenhecken schirmen das gestalterische Wirrwarr der privaten Gärten ab.


Privatgärten

Apropos Privatgärten: Den Bewohnern wurde angeboten, auch die Privatgärten nach Arche-Noah-Prinzipien gestalten zu lassen. Fünf Varianten - ein romantischer, ein moderner, ein mediterraner Garten mit südlichem Flair, ein meditativer japanischer Garten oder ein nützlicher Gemüsegarten - standen zu Auswahl. In Anspruch genommen wurde dieses Angebot bis dato nicht. Offenbar möchte man den im Mietwohnungsbau eingeschränkten individuellen Gestaltungsdrang zumindest im Garten ausleben.

Der Pflegeaufwand für die ökologisch vorbildliche Gartenpracht ist, was die Intensität betrifft, zum Teil geringer als bei herkömmlichen Anlagen, da in bestimmten Bereichen Dynamik durchaus möglich ist, Spontanvegetation nicht sofort vernichtet wird, weniger Rückschnitt notwendig ist und durch gezielte Pflanzenauswahl die Bewässerungsintensität verringert wird. Andererseits sind fachkundige Betreuer gefragt, die um die Ansprüche der Pflanzen Bescheid wissen, was die relativ geringen Errichtungskosten wieder wettmachen dürfte.

Grün in allen Lagen „Hängende Gärten“ - eine begrünte Fassade als Sicht- und Schallschutz - werden das besondere Merkmal einer Wohnhausanlage von Architekt Rüdiger Lainer an der Schusswallgasse im fünften Bezirk sein. Die jetzt an der Baustelle zu besichtigende Bepflanzung ist eine Marketingaktivität, gibt aber bereits eine Ahnung davon, welche vertikalen Wucherungen sich hier bald im Stadtbild festsetzen werden. Dazu gibt es noch grüne Innenhöfe und den Wohnungen zugeordnete japanische Gärten, die das Mikroklima in dieser innerstädtischen Lage verbessern sollen.

Ebenfalls als innerstädtische Grünoase ist die Dachlandschaft der Hofbebauung des Wohn- und Bürohauses in der Wimbergergasse (Architekten: Delugan-Meissl, Bauträger: Kallco) konzipiert. Die Künstlerin Susanne Dworzak-Kallinger konzipierte ein Bepflanzungskonzept, dessen Farbigkeit sich im Lauf der Jahreszeiten von weiß bis pink verändern soll. Im Gegensatz zur krautigen Struktur der im Wechselspiel gegeneinander ansteigenden Dächer der Büros verlieh sie den begehbaren Flächen der Terrassen ein rigides Streifenmuster.

Für die Mustersiedlung, die nach einem Masterplan von Adolf Krischanitz in Hütteldorf entstehen soll, entwickelte die Landschaftsplanerin Anna Detzlhofer ein von den Solitärbauten unabhängiges Freiraumkonzept.

Um das Gebiet als Teil der Natur erscheinen zu lassen, bediente sie sich des Mittels der Camouflage und nahm Anleihen bei militärischen Tarnmustern, die sie mittels unterschiedlicher Pflanzen botanisch umsetzt. Die Lage am Hang sorgt dafür, dass dieses Bild nicht nur aus der Luft nachvollziehbar bleibt, sondern zum Beispiel auch aus einem vorbeifahrenden Zug.


Grünraumkonzept

Umfassend und abwechslungsreich ist das Grünraumkonzept, das die Landschaftsarchitektin Andrea Cejka mit ihren Berliner Kollegen Barbara Hutter und Stefan Reimann für eine Wohnanlage der Gesiba am Monte Laa erarbeitete. Ein Gartenparterre mit Sitznischen, Hecken und Bäumen auf begehbaren Flachdächern, ein Schmuckhain mit allerlei blühendem Gewächs auf Glasperlenbruch und ein Spaliergarten versprechen ein höchst interessantes Grünraumerlebnis.

Auch der Kleinkinderspielplatz bietet mit bekiesten Plätzen, Wiesen und Sitzflächen unter Baumreihen mehr als die üblichen, an Ranger-Ausbildungsplätze gemahnenden Gerätschaften auf dem allgegenwärtigen Rindenmulch, der zarte Kinderhände mit einem unappetitlichen Braunschleier zu versehen pflegt. Masterplan und zentrale Parklandschaft stammen übrigens von der amerikanischen Großmeisterin der Landschaftsarchitektur, Martha Schwartz.

Die Möglichkeiten sind vielfältig, wie ein nur kleiner Auszug aus aktuellen Grünraumplanungen innerhalb von Wohnsiedlungen zeigt. Noch ist es allerdings nicht selbstverständlich, das unmittelbare Wohnumfeld so zu gestalten, dass es tatsächlich als qualitative Aufwertung spürbar wird.

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Mischek: Rahmenbedingungen sind innovationsfeindlich

Architektur in der Wohnbauförderung stärker berücksichtigen

Architektur in der Wohnbauförderung stärker berücksichtigen

Mehrgeschoßige Split-Level-Wohnungen, großzügig verglaste Bereiche mit doppelter Raumhöhe und ein reichhaltiges Freiraumangebot: Das sind die Besonderheiten, mit denen die frei finanzierte Eigentums-Wohnanlage aufwartet, die Michaela Mischek, Chefin des gleichnamigen Bauträgers nach Plänen der Architektin Nasrine Seraji in der Wiener Linzer Straße baut.

Mit den Mitteln der Wohnbauförderung ist dieser Standard unmöglich zu erreichen. Mischek urgiert deshalb, ähnlich wie in Vorarlberg, auch räumliche Kriterien wie größere Raumhöhen oder Belichtungsflächen in der Wiener Wohnbauförderung zu berücksichtigen.

Außerdem gäbe es im Bausektor kaum Forschung und im Wohnbau gar keine. Es bleibt zu wenig Zeit für Entwicklungen und aufgrund der Vergaberichtlinien haben Betriebe, die daran interessiert wären, keine Chance, an Aufträge zu kommen.

Wohnungssuchenden steht heute eine reiche Auswahl zur Verfügung und Architektur wird immer mehr zum Design-Gut. Dennoch: „Der Kunde weiß nicht, was er will“, erzählt Mischek aus der Praxis. Die meisten hätten noch keine Erfahrung. Schuld an diesem Manko sei die fehlende Ausbildung an den Schulen betreffend Wohnen und Architektur. Eine möglichst gute Kommunikation der Projekte ist daher unumgänglich.

Am besten geht dies, wenn zukünftige Mieter direkten Kontakt zu den Architekten haben, wie zurzeit beim Partizipationsprojekt in der Breitenleer Straße mit den Architekten Cornelia Schindler & Rudolf Szedenik. Wenn Architekten gut erklären und die Leute zum Nachdenken anregen, „merkt man, dass die Menschen durchaus innovative Wohnbedürfnisse haben“.

Ihre Botschaft an die Architekten: „Mehr Realitätsbewusstsein ist notwendig.“ Die Rahmenbedingungen könne man nur ändern, wenn man im gültigen Rahmen Vorschläge macht. „Niemand kann aus dem goldenen Füllhorn Glasfassaden verschenken.“

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Kundenorientierung zählt

Nutzerbedürfnisse geben Marschrichtung im Wohnbau vor

Nutzerbedürfnisse geben Marschrichtung im Wohnbau vor

Seit 1999 werden mit der vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie finanzierten Programmlinie „Haus der Zukunft“ Entwicklungen im Bereich des energieeffizienten, ökonomischen und ökologischen Bauens gefördert.

Das Schirmmanagement dieser Initiative liegt bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (Ögut), einer überparteilichen Plattform für Umwelt, Wirtschaft und Verwaltung.

Deren Generalsekretär Herbert Greisberger beschreibt den Wohnungsmarkt als einen Sektor, auf dem nicht mehr die Bedarfsdeckung im Vordergrund steht, sondern immer stärker die Orientierung nach den Wünschen und Vorstellungen der Kunden. Deshalb wird der Konsument den Architekten einen Teil der Arbeit abnehmen und vorgeben, in welche Richtung sich der Wohnbau entwickeln wird, so Greisberger.

Nachhaltigkeit im Wohnbau bedeutet, ökologische, ökonomische sowie service-und nutzerorientierte Aspekte zu berücksichtigen. In dieser Hinsicht wird es in nächster Zukunft große Veränderungen geben.

Innovationen, so der gelernte Volkswirt, würden sich im Wohnbau nur dann durchsetzen, wenn sie die Lebensqualität entscheidend verbessern. „Wir leben in einer gesellschaftlich und technologisch dynamischen Umwelt.“ Gebaut werden müsse aber für die nächsten fünfzig oder hundert Jahre. Fehlentscheidungen sind mit langfristigen Folgen verbunden.

Die Risikobereitschaft der Nutzer sei daher gering. Es sei aber „gut, dass man sich der Architekten bedient, um Qualität zu erzielen“. Die Komplexität der Anforderungen können Architekten allein nicht mehr bewältigen. Interdisziplinäre Teambildungen seien unbedingt notwendig.

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Pilotprojekte initiieren statt Starkult huldigen

Das erreichte Niveau im Wohnbau muss weiterentwickelt werden

Das erreichte Niveau im Wohnbau muss weiterentwickelt werden

Bei der Ausstellung „Best of Wohnbau“ im Architekturzentrum Wien wurde eine Auswahl Wiener Wohnbauten präsentiert. Dort war das Publikum aufgefordert, das beste Projek zu küren. Mit Abstand die meisten Stimmen erhielt der Gesiba-Wohnbau von Architekt Albert Wimmer in der „City X“ im zehnten Bezirk in der Katharinengasse.

Leider hat man bei der Umfrage nicht nach den Beweggründen für die Wahlentscheidung gefragt. Gesiba-Chef Ewald Kirschner vermutet, es liegt am Gesamtprodukt mit seiner Vielzahl ungewöhnlicher Details: ein hohes Freiflächenangebot mit Dachterrassen und einem Promenadendeck als „Bassena des 21. Jahrhunderts“, großzügig gestaltete Eingangsbereiche sowie hochwertige Materialien wie Kupfer, pulverbeschichtetes Aluminium und farbige Gläser.


Bauträger

Der Starkult, den andere Bauträger betreiben, verwundert Kirschner. Zur Marketingstrategie seines Unternehmens gehöre es nicht, auf große Namen zu setzen. Hochwertige Architektur spielt dennoch eine große Rolle. Die entsteht im Miteinander von Planer und Bauherrn, wobei Letzterer klare Anforderungsprofile vorzugeben hat. Auch die politische Ebene, die für entsprechende Rahmenbedingungen sorgt, ist dabei wichtig.

Architektur darf nicht Selbstzweck sein. Aber in dieser Hinsicht sind die Architekten-Erfahrungen der Gesiba durchwegs sehr positiv. Kirschner wünscht sich, das erreichte Niveau - zum Beispiel über Pilotprojekte - weiterzuentwickeln.

Bei der städtebaulichen Qualität könnte eine Koppelung von Städtebau- mit Bauträgerwettbewerben erhebliche Verbesserungen bringen.

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

„Wohnbauoffensive ist dringend notwendig“

Politische und gesellschaftliche Verantwortung gefordert.

Politische und gesellschaftliche Verantwortung gefordert.

„Der Wohnbau ist keine Wurstsemmel, die produziert, gegessen und verdaut wird, sondern wirkt sich langfristig aus“, bringt der Vorsitzende der Sektion Architekten der Architektenkammer für Wien, Niederösterreich und das Burgenland die weitreichende Problematik auf den Punkt. Gleichzeitig fordert er einen neuen Anlauf zu einer Demokratisierung und Ökologisierung im Wohnbau.

Die Sicherstellung von Nahversorgung oder Kinderfreundlichkeit sind seit der Zwischenkriegszeit gültige Kriterien. In der Zwischenzeit gäbe es kaum Fortschritte.

So hätten die Bauträgerwettbewerbe sich zwar kostensenkend ausgewirkt und ökologische Verbesserungen gebracht. Aber sie hatten nicht die Kraft, die Stagnation zu überwinden. Wegweisende Programme, wie zum Beispiel das Mitte der Sechzigerjahre gestartete „Wohnen morgen“ sind sanft entschlafen.

Im Zusammenwirken von Architektenkammer, Architekturinitiativen, Bauwirtschaft und Politik gilt es Reformziele zu definieren, die in der Wohnbauförderung ihren Niederschlag finden. Diese „Wohnbauoffensive“ soll „dem Wiener Wohnbau jenen Stellenwert wiedergeben, den er in den Zwanzigerjahren des vorigen Jahrhunderts bereits hatte“.

Der Standard, Di., 2002.10.15

15. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

„Architekten brauchen die Herausforderung“

Eine Wiener Mustersiedlung setzt neue Akzente in puncto Qualität. Die Projektentwicklung wird von der Industrie unterstützt. Im Jahr 2004 soll die Hütteldorfer Villenkolonie mit feinsten Betondetails fertig sein.

Eine Wiener Mustersiedlung setzt neue Akzente in puncto Qualität. Die Projektentwicklung wird von der Industrie unterstützt. Im Jahr 2004 soll die Hütteldorfer Villenkolonie mit feinsten Betondetails fertig sein.

Zwölf Häuser von neun Architekten aus Deutschland, der Schweiz und Österreich sollen am Wiener Stadtrand bald als Musterbeispiel dafür dienen, zu welch hochqualitativen Ergebnissen die engagierte Zusammenarbeit von Architekten und Bauindustrie führen kann.

Der Architekt Adolf Krischanitz, der in den 80er-Jahren gemeinsam mit Otto Kapfinger die Renovierung der Werkbundsiedlung leitete, initiierte das Projekt gemeinsam mit dem Zementkonzern Lafarge-Perlmooser. Auf dem Grundstück in Hütteldorf am Mauerbach soll eine „Villenkolonie“ entstehen, die sowohl das Bedürfnis nach dem Einzelhaus im Grünen befriedigt als auch in dichter Bauweise städtebaulicher und ökonomischer Vernunft entspricht.

Ein zusätzliches Thema: das Potenzial des Werkstoffs Beton auszuschöpfen, der im Wohnbau meist versteckt und in seinen simpelsten Ausführungen zur Anwendung kommt. Die Projektentwicklung wird von einer Sponsorengruppe aus der (Bau-)Industrie finanziert. Die Bauträger Österreichisches Siedlungswerk und GSG werden die Siedlung bis 2004 realisieren. Um moderne Siedlungskonzepte oder innovative Baumethoden zu forcieren, erwies sich die Errichtung von Mustersiedlungen schon öfter als probates Mittel.

Die Wiener Werkbundsiedlung, errichtet 1930-32 unter der Leitung von Josef Frank, ist hierzulande wohl das bedeutendste Beispiel für eine dichte Packung hochqualitativer Wohnhäuser innerhalb einer städtebaulichen Idee. Nach diesem Meilenstein wird mit „9 - Neues Wohnen in Wien“ ein weiteres - wenn auch im Umfang bescheideneres - Vorzeigeprojekt auf höchstem Qualitätslevel in Angriff genommen. Für das angepeilte Niveau sollten die von Architekt Krischanitz ausgewählten Kollegen stehen.

Hermann Czech, Roger Diener, Max Dudler, Peter Märkli, Marcel Meili und Markus Peter, Hans Kollhoff, Otto Steidle und Heinz Tesar stehen als Garanten dafür, dass die Siedlung kein Experiment im negativen Sinn eines riskanten Unterfangens ist. Experimentell ist der gemeinsame Entwicklungsprozess in Kooperation mit der Industrie. „Architekten brauchen die Herausforderung“, sagt Krischanitz. Er erstellte einen Masterplan, bebaut davon zwei Eckparzellen selbst, die übrigen Parzellen wurden per Los zugewiesen.

Die Herausforderung hat offenbar stimulierend gewirkt. An räumlich und funktionell bestens disponierten Wohnungstypen und feinsten Beispielen in Sachen Betonanwendung mangelt es nicht. Krischanitz wartet zum Beispiel mit fünf vertikalen Funktionsachsen auf, in denen die gesamte Infrastruktur konzentriert ist, während die dazwischen gespannten Wohnflächen frei disponierbar bleiben. Seinen zweiten Bauteil gliedert er in drei Einzelhäuser mit einer außen liegenden Dämmschicht aus Foamglas als Träger eines „Pflanzenkleides“.

Innerhalb von Roger Dieners strengem Baukörper mit gewellter Betonfassade bilden vier jeweils zweigeschoßige Wohnungen mit überhohen Wohnräumen ein komplexes Geflecht. Dudler zelebriert im anthrazitfarbenen Quader mit langen schmalen Fensterschlitzen die Intimität der Privatsphäre.

Märkli schichtet drei Terrassenwohnungen übereinander, wobei der Offenheitsgrad der Zimmer durch Faltwände variabel ist. Herman Czech bringt in seinem Block drei ein- bis dreigeschoßigen Wohnungen mit gemeinsamem Glashaus unter und verzichtet nach außen auf das Manifestieren eines bestimmten Images.

Auch Tesar, Steidle sowie Meili und Peter warten mit mehrgeschoßigen Wohnungen auf. Auf den ersten Blick wie ein retrospektiver Gag wirkt der Beitrag Hans Kollhoffs mit einer repräsentativen Säulenloggia.

Die historisierende Hülle ist durchaus ernst gemeint und soll ein „unmissverständlich städtisches Haus“ ausweisen.

Der Standard, Di., 2002.10.15



verknüpfte Bauwerke
Mustersiedlung 9=12

05. Oktober 2002Franziska Leeb
Der Standard

Natürlich gefilterter Ausblick

Eine kompakte Klein-Wohnanlage im Pitztal verbindet das Bedürfnis nach dem Wohnen im Grünen mit einem sehr sparsamen Umgang mit Bauland.

Eine kompakte Klein-Wohnanlage im Pitztal verbindet das Bedürfnis nach dem Wohnen im Grünen mit einem sehr sparsamen Umgang mit Bauland.

Die Siedlung Osterstein liegt auf einer Anhöhe über dem Ort Arzl im Pitztal. Mächtige Einfamilienhäuser mit großen Gärten und roten Giebeldächer bestimmen das Ortsbild. Nur ein Gebäude bricht dem ersten Anschein nach die Idylle. In seiner Ausdehnung ist es zwar kaum größer als die Nachbarhäuser, aber seine mit grauen Faserzementplatten verkleidete Straßenfront mit vier kleinen Fenstern hat so gar nichts mit den drallen Residenzen rundherum gemeinsam.

Hinter den vier Fenstern, die mit schwarzen Einfassungen konturiert sind, liegen die Badezimmer der vier Wohnungen, die der recht kompakte Baukörper beherbergt. Alle anderen Räume orientieren sich zu den seitlichen Grünstreifen oder zur Aussicht ins Tal. Die Lage an der steil abfallenden Hangkante zwingt nämlich fast dazu, diesen Ausblick zu thematisieren.

Deshalb liegen hier auch die Wohnräume, die sich mit raumhohen Fenstertüren auf die Terrassen unter dem weiten Dachvorsprung öffnen. Ein bereits bestehender Föhrenhain filtert den Talblick, spendet etwas Schatten und verleiht dem Grundstück eine natürliche Fassung, die in dieser Exponiertheit Schutz gibt. Von den Wohnräumen gibt es jeweils noch eine zweite Austrittsmöglichkeit auf Terrasse oder Balkon an den Seitenfassaden. Sogar alle Schlafzimmer verfügen über das Privileg eines direkt zugänglichen Außenraums.

Architekt Hanno Parth thematisierte diese zwei Gesichter des Wohnhauses - wehrhaft geschlossen und großzügig offen - auch in den Materialien. Als Gegensatz zu den hart wirkenden Faserzementplatten an der Straßenseite sind alle anderen Seiten mit unbehandelten Sperrholzplatten verkleidet. Durch den breiten Dachvorsprung und die Balkone sind sie witterungsgeschützt.

Im Obergeschoß, das durch das ansteigende Dach mit höheren Räumen aufwartet, läuft die äußere Verkleidung der Dachuntersicht mit sägerauen, ebenfalls unbehandelten Platten aus Douglasfichte im Inneren weiter. Die Geländer sind aus verzinktem Stahl, Stützen und Balkonplatten blieben in nacktem Sichtbeton. Raue Materialien als Reaktion auf die raue Gebirgswelt lautet das Konzept für die Materialwahl. Nur die Außenwände der Küchen im Süden erhielten eine rote Verschalung als Farbtupfer.

Abgesehen von den größeren Raumhöhen im Obergeschoß und individuellen Eigentümerwünschen sind die vier Dreizimmerwohnungen mit jeweils 82 m² Wohnnutzfläche gleichwertig. Bedingt durch die Hanglage liegt der Wohnbereich zwei Stufen höher als die Zimmer. Die Gebäudeform ergibt sich aus der Übersetzung des Grundstückszuschnitts in die dritte Dimension. Die Außenwände folgen der sich nach Süden weitenden Trapezform, die an der Hangkante einen leichten Knick aufweist. Das Dach mit seinen sieben Grad Neigung verläuft parallel zum Hang.

Diese direkte Übersetzung des Geländes in die Hausform wäre pure Willkür. In diesem Fall war der Grundstückszuschnitt der Funktion jedoch förderlich, wie Architekt Parth betont. Dort wo der Bauplatz am weitesten ist und am höchsten liegt, breiten sich die Wohnräume aus, dort wo der Platz enger und die Aussicht unattraktiv ist, liegen im Kellergeschoß beiderseits des Zuganges Autoabstellflächen und Kellerräume und in den überirdischen Geschoßen die Stirnseiten der Schlafzimmer und die Bäder.

Der Standard, Sa., 2002.10.05



verknüpfte Bauwerke
Klein-Wohnanlage im Pitztal

28. September 2002Franziska Leeb
Der Standard

Ritterlich gemeistert

Moderne Raumkonzeptionen und handwerkliche Sorgfalt bilden bei einem Haus im Wienerwald eine glückliche Symbiose.

Moderne Raumkonzeptionen und handwerkliche Sorgfalt bilden bei einem Haus im Wienerwald eine glückliche Symbiose.

Schon lang wünschte er sich, einmal ein Gebäude mit Klinkerfassade zu bauen, erzählt Architekt Werner Krismer.

Der Backstein war in der Geschichte der modernen Architektur ein Liebkind vieler Architekten wie Alvar Aalto, Louis I. Kahn oder Mies van der Rohe. Letztgenannter verwendete ihn zum Beispiel als Hülle für seine Häuser Lange und Esters in Krefeld sowie bei den Bauten am Campus des IIT in Chikago. „Der Backstein ist ein anderer Lehrmeister. Wie geistvoll ist schon das kleine, handliche, für jeden Zweck brauchbare Format. Welche Logik zeigt sein Verbandsgefüge. Welche Lebendigkeit sein Fugenspiel. Welchen Reichtum besitzt die einfachste Wandfläche, aber welche Zucht verlangt dieses Material“, zollte er dem „armen“ Material Respekt. Gemeinsam mit Architekt Bruno Sandbichler hat Krismer nun seinen ersten Bau mit vorgeblendeter Klinkerfassade in Grub im Wienerwald realisiert:

Nach außen geschlossen, zum Garten hin offen und zentral gelegen ein Atrium als sicht- und windgeschützter Außenraum. Warum der Typ des Atriumhauses nicht öfter anzutreffen ist, kann man nur schwer nachvollziehen. Schließlich ist dies die beste Möglichkeit, sich beim frei stehenden Einfamilienhaus einen Außenraum von hoher Intimität zu schaffen. Bei den Baubehörden stieß der Plan anfänglich auf wenig Gegenliebe. Eine geschlossene Straßenfassade, keine Fenster an der Schauseite und - oh Graus - noch dazu Flachdächer, das darf nicht sein.

Mit einiger Zähigkeit schafften es die beiden gebürtigen Tiroler gemeinsam mit der voll hinter dem Projekt stehenden Bauherrschaft schließlich doch, das Haus in der gewünschten Form umzusetzen. Eine „moderne Burg“ war sein Wunsch, erzählt der Bauherr. Dazu gehört ein geräumiger Wohnbereich mit großer Küche, wo es sich vorzüglich tafeln lässt, ein geschützter Hof, ein Graben, und ein „Bergfried“, von dem aus man den Überblick in die Umgebung hat.

Die Wohnräume des Hauses und die Garage sind also U-förmig um den Hof gruppiert. Der weitläufige Eingangsbereich im zweigeschoßigen Mittelteil dient zugleich als Verteilerzone und Garderobe. Viel Stauraum birgt eine lange Schrankwand, die von zwei Seiten beschickbar ist und gleichzeitig den Gang zu den Schlafräumen im hinteren Teil des Hauses abschirmt. Vom privaten Rückzugsbereich auf der Galerie gibt es Aus- und Überblick sowie einen Zugang auf die Dachterrasse.

Zum Hof und zum grünen Hang an der Südseite hin sind alle anschließenden Bereiche mit Fixverglasungen oder Schiebefenstern versehen. Die modernen Burgherren leben also in einem höchst kommoden, lichtdurchfluteten Ambiente.

Eine gewisse Wehrhaftigkeit nach außen rührt von den fensterlosen Außenmauern her. Aggressiv zur Umgebung ist das Haus dennoch nicht. Der Klinker, den man nach längerer Suche bei einem Schweizer Hersteller fand, ist von ansprechender Haptik. Es handelt sich dabei um einen Backstein mit grober Oberfläche.

Damit wurde die geschleckte, sterile Wirkung vermieden, die von den völlig glatten und irgendwie immer viel zu neu aussehenden Klinkern ausgeht. Dennoch wirkt das Raue hier nicht unangebracht archaisch oder pathetisch, sondern ist von lebendiger Stofflichkeit. Nicht nur das Ziegelgefüge, auch alle anderen Details wie die Holzfenster oder das Kupferdach auf dem erhöhten Trakt sind handwerklich sorgfältig gearbeitet. Krismer und Sandbichler zeichnen nicht nur für die Planung verantwortlich, sondern übernahmen auch das gesamte Baumanagement. Ihr Honorar haben sie durch professionelles Arbeiten sicher doppelt oder dreifach wieder eingespielt, sagt der Bauherr. Genau neun Monate dauerte es vom Aushub bis zum Einzug. Wieder einmal ein Beleg dafür, dass gut geplant bereits halb gebaut ist.

Der Standard, Sa., 2002.09.28



verknüpfte Bauwerke
Einfamilienhaus - atrium cube

21. September 2002Franziska Leeb
Der Standard

Vorsorge de luxe

Speziell auf die Bedürfnisse der Generation 50 plus ist ein Wohnprojekt in Wien-Döbling abgestimmt.

Speziell auf die Bedürfnisse der Generation 50 plus ist ein Wohnprojekt in Wien-Döbling abgestimmt.

Bis ins Jahr 2035 wird der Anteil der über 60-jährigen Personen an der Gesamtbevölkerung von derzeit etwa 20 Prozent auf bis 38 Prozent ansteigen, die Zahl der über 85-Jährigen werde sich sogar mehr als verdreifachen, verlauten Prognosen des Österreichischen Statistischen Zentralamtes. Diese Zahlen dürften auch die Verantwortlichen des Wohnbauträgers Buwog vor Augen gehabt haben, als sie sich zur Errichtung einer Wohnanlage mit besonderer Ausstattung hinsichtlich Komfort, Sicherheit und Service, kurzum Altengerechtheit, entschlossen haben.

Umgesetzt hat den hinsichtlich seines inhaltlichen Programms außergewöhnlichen Wohnbau in der Döblinger Saileräckergasse Architekt Gert M. Mayr-Keber. Von außen verrät die Anlage nichts über ihre Besonderheiten. Eine an sich konventionelle Lochfassade fügt sich einerseits strukturell in das unspektakuläre Bild des Straßenzuges, sticht durch die türkisgrün pulverbeschichtete Haut aus Alu-Wellblech jedoch farblich aus der beige-grauen Putzmasse heraus.

Geht man ums Eck in die Seitengasse, wird allerdings angesichts breiter, raumhoch verglaster Erkerfenster rasch klar, dass Licht eines der wesentlichen Mittel war, um die geforderten Qualitäten zu erreichen. Die Eingangshalle verdient ihren Namen wirklich. Man fällt nicht direkt vom Haustor ins Stiegenhaus oder in die Lifttür, sondern wird von einem zweigeschoßigen Raum mit schwarzem Schieferboden richtiggehend in Empfang genommen.

Zusätzlich aufgewertet wurde der Empfang durch eine eigens dafür konzipierte Lichtskulptur von Martin Kaar, die beispielgebend dafür ist, mit welch hoher Qualität und Sensibilität künstlerische Interventionen im Wohnbau vonstatten gehen können, wenn Bauherr und Architekt sich entsprechend dafür einsetzen.

Die Stiegenbrüstungen sind verglast, ebenso die mit Klappsitzen ausgestatteten Lifte. Das wirkt nicht nur großzügig, sondern ist ebenso wie die überdurchschnittlich dimensionierten Gangzonen ohne tote Winkel auch ein Sicherheitsfaktor, da alle Erschließungsflächen hell und gut einsehbar sind.


Sicher wohl fühlen

Die Sicherheitsaspekte wur- den in Kooperation mit dem Institut „Sicher leben“ erarbeitet und bestimmen zu einem Gutteil auch die Ausstattung der Wohnungen. Sie äußern sich in rutschfesten Bodenbelägen und barrierefrei zugänglichen Räumen und Duschen. Die raumhohen Fenstertüren in den Wohnzimmern verhelfen auch weniger mobilen Bewohnern zu viel Tageslicht und Aussicht. Ein vorgelagerter Blumenbalkon bietet Platz für ein kleines Stück eigenes Grün.

Die rund 60 bis 80 gut organisierten Quadratmeter der Wohnungen sind ideal für Alleinstehende oder Paare und sicherlich auch im Kostenfaktor begründet. Schließlich findet die geballte Ladung an Infrastruktur und Ausstattung in einer monatlichen Gesamtmiete von 10,90 Euro pro Quadratmeter ihren Niederschlag. Für eine Großwohnung würden hier die durchschnittlichen Renditen aus der Altersvorsorge nicht mehr reichen.

Die Bewohner des Hauses können alle Einrichtungen des in der Nachbarschaft gelegenen Senioren-Wohnparks Fortuna (Architekt: Harry Glück) benützen und von dort bei Bedarf auch fachkundige Pflege und verschiedene Serviceleistungen anfordern.

Die angepeilte Zielgruppe sind Singles oder Lebensgemeinschaften über fünfzig. Sollte jemand jüngeren Alters sich hier auch wohl fühlen, wird seine Jugend aber gewiss kein Ausschließungsgrund sein, wie Frau Sylvia Schober-Willmann von der Buwog versichert. Schließlich würde man sich so manche Details wie die freundlichen und ansprechenden Erschließungszonen, den klimatisierten Weinkeller, Fitnessbereich, Dachterrasse oder banale Kleinigkeiten wie Telefonverrohrungen im Schlafzimmer auch im ganz „normalen“ Wohnbau wünschen.

Der Standard, Sa., 2002.09.21



verknüpfte Bauwerke
Wohnprojekt in Wien-Döbling

31. August 2002Franziska Leeb
Der Standard

Die Mischung macht's

Ein überdurchschnittliches Angebot an „sozialem Raum“ soll in einer Wohnanlage in Wien-Simmering das Miteinander von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft fördern.

Ein überdurchschnittliches Angebot an „sozialem Raum“ soll in einer Wohnanlage in Wien-Simmering das Miteinander von Bewohnern unterschiedlicher Herkunft fördern.

Themensiedlungen sind in. Im härter werdenden Wettbewerb auf dem Wohnimmobiliensektor punkten vor allem jene Bauträger, die über das Wohnungsangebot hinausgehende Anreize schaffen. Freizeiteinrichtungen, Sportmöglichkeiten oder Betreuungseinrichtungen versprechen höheren Wohnwert und stechen bei der Vermarktung aus der Fülle des Angebots heraus.

Unter dem Motto „integratives Wohnen“ entsteht ab Herbst eine Wohnanlage in der Simmeringer Hauptstraße (Fertigstellung: Herbst 2004). Dies sei kein „fadenscheiniger Titel oder gar ein Marketinggag“, darauf legt Michael Gehbauer von der Wohnbauvereinigung der Privatangestellten (GPA-WBV) großen Wert, sondern es sei „eine gesellschaftspolitische Aufgabe“, MigrantInnen tauglichen Wohnraum unter Vermeidung von Gettobildungen zur Verfügung zu stellen.

In der 112 Mietwohnungen umfassenden Anlage sollen zugezogene und ansässige Personen in einem angestrebten Mix von 50:50 erschwinglichen und vor allem ihren Bedürfnissen entsprechenden Wohnraum finden. Der Bauplatz ist an das öffentliche Verkehrsnetz gut angeschlossen (U3 und Straßenbahn 71 oder 6), Kindergarten, Volksschule und Nahversorgung sind in der Nachbarschaft vorhanden. Architekt Michael Schluder konzipierte für das lange, schmale Grundstück ein Ensemble aus einem aufgeständerten Riegel und fünf vorgelagerten Punkthäusern.


Eventagentur

Von Anfang an war die Eventagentur Hallamasch, bekannt als Veranstalter des gleichnamigen multikulturellen Festivals, in die Planung miteinbezogen. Die Gruppe entwickelte ein Konzept, das davon ausgeht, dass Menschen vielfältiger Abstammung möglichst konfliktfrei zusammenleben und sich zwanglos begegnen können. Der Vielfalt der Bewohner kommt eine umfangreiche Bandbreite an Extras entgegen. Unter der Überbauung entsteht ein überdachter Platz, der unabhängig von der Witterung zum Spielen und Kommunizieren einlädt.

Eine terrassierte Grünfläche steht als gemeinschaftlich zu nutzender Erholungsraum zur Verfügung, ein abgesenkter Platz mit Sitzstufen kann für Veranstaltungen genutzt werden. Ungestörtes Musizieren ermöglicht ein schalldichter Raum im Keller. Jede Wohnung verfügt über einen Balkon oder Garten. Auf den Dächern sind Terrassen, private Schrebergärten und ein Grillplatz vorgesehen. Grundsätzlich sind - eventuell lärmentwickelnde - Gemeinschaftsflächen und private Wohnräume strikt getrennt. Der interkulturelle und nachbarschaftliche Austausch soll nicht erzwungen werden, sondern auf freiwilliger Basis stattfinden.

Hallamasch-Geschäftsführer Andreas Hladky betont, dass es sinnlos sei, wenn die Betreiber von Anfang an alle Nutzungen festlegen und zum Beispiel annehmen, es müsse ein Gebetsraum her. Was wirklich zusätzlich gebraucht wird, kann erst gemeinsam mit allen Bewohnern festgestellt werden. Deshalb sind multifunktionale Boxen für vielfältige Nutzungen auf der Gemeinschaftsfläche vorgesehen und deshalb wird Hallamasch das Projekt auch über die Konzepterstellung hinaus begleiten.

Erschlossen wird die Anlage über geräumige, gut belichtete Laubengänge, die zum Verweilen einladen. Mit eher kleineren Wohnungen, deren Grundrisse aber ein Maximum an abtrennbaren Räumen vorsehen, kommt man der Einkommenssituation der angepeilten Zielgruppe entgegen. In den 52 und 65 Quadratmeter umfassenden Wohnungen im langen Riegel bringt man deshalb zwei bis drei Zimmer unter, in den Punkthäusern sind Familienwohnungen mit vier bis fünf Zimmern bei einer Fläche von rund 90 bzw. 120 Quadratmetern geplant. Die Fensterachsen sind so gelegt, dass Grundrissaufteilung und Zimmeranzahl flexibel zu gestalten sind.


Baukosten

Die Baukosten werden laut GPA-WBV bei knapp unter neun Mio. EURO liegen. An Kosten für die Mieter werden ein einmaliger Finanzierungsbeitrag von 400 EURO/m² und eine monatliche Miete von 5,8 EURO/m² Wohnnutzfläche anfallen. Um auch einkommensschwachen Personen den Zugang zu ermöglichen, plant der Bauträger, für einige Wohnungen auch um die so genannte Superförderung anzusuchen, womit die Aufbringung des Finanzierungsbeitrages aus Eigenmitteln wegfiele.

Der ungarische Ausdruck Hallamasch bedeutet übrigens „wilde Mischung“, aber auch „von allem das Beste“. Den Bewohnern und vor allem den hier lebenden Kindern könnte das sensibel ausgearbeitete architektonische und inhaltliche Konzept bei entsprechender Realisierung einen einzigartigen Erfahrungshorizont bieten.

Der Standard, Sa., 2002.08.31



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Gemeinsam in Simmering

17. August 2002Franziska Leeb
Der Standard

Markenzeichen: unsichtbare Details

Das Amsterdamer UN Studio präsentiert ein Buch und das erste Gebäude außerhalb der Niederlande.

Das Amsterdamer UN Studio präsentiert ein Buch und das erste Gebäude außerhalb der Niederlande.

Samtig wie die Haut eines frisch gepflückten Pfirsichs fühlt sich das weiße Umschlagpapier der Publikation „UN Studio - UN fold“ an, die schwarze Schrift darauf glatt wie Schleiflack. Das Buch im Magazin-Format präsentiert die jüngsten Arbeiten des von Ben van Berkel und Caroline Bos gegründeten UN Studio. Auf den ersten Blick unspektakulär erscheinend, erschließen sich bei genauerer Betrachtung und Lektüre zahlreiche Details, die über gewohnte Formen der Architekturbetrachtung hinausgehen.

Trendforscherin Li Edelkoort kommt ebenso zu Wort wie der Architekturhistoriker Mark Wigley („Architekten sind zu aller erst Intellektuelle. Architekten sind keine Erbauer.“) Caroline Bos verfasste Geschichten, die um die und in den neun vorgestellten Projekten ablaufen. Da ist zum Beispiel der gottesfürchtige Mesner in der reformierten Kirche in Hilversum, der an einen Scherz denkt, als ihm die junge Vikarin eröffnet, dass ein schwules Pärchen seine Hochzeit in ihrer Kirche zu feiern gedenkt („Faith, Dutch-Style“) oder die als Putzfrau arbeitende Diouma Baaba Ouagadougou auf der Suche nach ihrer verlorenen Lederjacke in der Tiefgarage von Arnhem Central („Precious“). Im Grunde ist die Handlung der Geschichte Nebensache, die Hauptrolle spielen die Gebäude, deren Raumstimmungen, Oberflächen oder Lichtverhältnisse Bos lyrisch und anschaulich zugleich vermittelt. Die Beschreibung der Bauten erfolgt außerhalb des gewohnten Kanons und vermittelt Architektur als sinnliches Erlebnis.

Nicht gleich auf den ersten Blick sichtbare Details und eine für die Bauaufgabe erstaunliche Sinnlichkeit zeichnen auch das erste außerhalb der Niederlande fertiggestellte Bauprojekt des UN Studio aus. Dieses „internationale Erstlingswerk“ wie es Ben van Berkel - der längst zu den international erfolgreichen Jetsettern im Architekturzirkus gehört - kokett bescheiden bezeichnet, ist das Umspannwerk Mitte in Innsbruck.

Van Berkel gewann den 1996 abgehaltenen Architektenwettbewerb mit einem engagierten Programm. Das Gebäude des Umspannwerkes war Teil einer kohärenten Oberfläche, einer verdichteten Stadtlandschaft, die sich in Faltungen über den Bauplatz legt und in die Umgebung ausgreift. Den parallel dazu abgehaltenen Wettbewerb gewann Gerold Wiederin, der jedoch nie zum Zug kam. Denn in der Zwischenzeit änderten sich Besitzverhältnisse und Nutzungswünsche für das angrenzende Areal, sodass 2001 ein neuer Wettbewerb für ein neues Tiroler Landhaus abgehalten wurde, der zu Gunsten des Münchener Teams Tom Frank und Tilman Probst entschieden wurden. In dieser über die gesamte Planungszeit hinweg ungeklärten Situation blieb dem UN Studio nichts anderes übrig, als das Umspannwerk mehr oder weniger als Solitär zu behandeln, die Behandlung des Umfeldes war nur noch eingeschränkt möglich.

Eine äußere Hülle aus schwarzer Basaltlava umgibt die Betonstruktur des dreigeschossigen Zweckbaues. Das schwere Ergussgestein - erstarrte Lava aus dem Eifelgebiet - wurde als Metapher für gefrorene Energie eingesetzt. Es verleiht dem Block eine mächtige Massivität von furchterregender Schönheit ähnlich dem Gebirgszug der Nordkette, die den Stadtraum im Hintergrund begrenzt: die Schöne und das Ungeheuer in Personalunion. Beton, Glas und Stahl sind die weiteren Materialien, die eingesetzt wurden, verhalten sie sich in ihrem Herstellungsprozess schließlich ähnlich wie die erstarrte Lava. Holz oder Ziegel sucht man deshalb vergeblich.

Sanft geschwungene Fassadenfluchten und bewegte - ebenfalls mit Basaltlava überzogene - Dachlandschaft bringen behäbige Bewegung in das schlafende Monster. Die Umsetzung der Idee einer gefalteten Landschaft mit flexibler Haut, aus der das Umspannwerk als Buckel emporragt, gelang durch eine farbliche annähernd gleiche Platzoberfläche aus schwarzem Beton. Die Außenwände des Gebäudes scheinen das Plateau nicht zu berühren, sondern verschwinden im Schatten der zurückgesetzten Hohlkehlen. An Süd- und Westfassade setzten schmale horizontale Fensterbänder grafische Akzente. Innen ist diesen Wandsegmenten eine blaugetönte Glashaut vorgeblendet, die für Farb- und Lichteffekte sorgt. Bei den Türen in Knallgelb und Wandflächen in zartem Hellblau trifft man auf die Logofarben des UN Studio, teilweise reagiert das Farbkonzept im Inneren auf die Farbigkeit der technischen Geräte, wie zum Beispiel im rundum gelb gefärbelten Schaltraum. In den Genuss dieser attraktiven Innenraumstimmungen kommen allerdings nur wenige Auserwählte, denn außer zu Kontrollgängen und im Gebrechensfall arbeiten keine Menschen im schwarzen Koloss.

Die Kosten von 11,7 Mio. Euro flossen zum größeren Teil in die technische Ausrüstung. Das Baubudget wurde eingehalten. Um den Preis eines Zweckbaus bekam die Stadt Innsbruck - wo zur Zeit der Sprungschanze von Zaha Hadid und der Rathauspassage von Dominique Perrault zwei weitere Promibauten kurz vor der Fertigstellung stehen - ein Stück Baukunst mit Strahlkraft. Der fantasievolle Umgang mit funktionellen Erfordernissen führte zu einem Gebäude, bei dem rationale Details in Summe ein durchaus dekoratives Ganzes ergeben.

Die Chancen, dass sich die Öffentlichkeit mit dem Alien anfreundet, dürften gut stehen. Skater schätzen das sachte abfallende Gelände und nachts wird durch nach außen strahlende Innenbeleuchtung der Platz in einen Ort von geheimnisvoller Schönheit getaucht.


[Ausstellungstipp: UN Studio - UN fold bis 29.9.2002 im Niederländischen Architekturinstitut (NAi) in Rotterdam, www.nai.nl

Buchtipp: Ben van Berkel & Caroline Bos, UN Studio - UN fold,
NAi Publishers, Rotterdam 2002, 40.]

Der Standard, Sa., 2002.08.17



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Umspannwerk Mitte

29. Juni 2002Franziska Leeb
Der Standard

Kontraste, Beziehungen und Symbiosen

In einer Wohnung in einer Salzburger Stadtvilla aus dem 19. Jahrhundert wurden die Qualitäten des Altbestands genutzt und gehen nun mit neuen, eigenständigen Strukturen eine stimmige Symbiose ein.

In einer Wohnung in einer Salzburger Stadtvilla aus dem 19. Jahrhundert wurden die Qualitäten des Altbestands genutzt und gehen nun mit neuen, eigenständigen Strukturen eine stimmige Symbiose ein.

Das feudale Haus im Salzburger Zentrum wurde 1864 von Valentin Ceconi, einem Mitglied der aus dem Friaul zugewanderten Baumeisterfamilie, erbaut. Die dreigescho-ßige freistehende Villa hat fast schlossähnliche Anmutung und repräsentierte damals als neuer Typus des Bürgerhauses ein neu erwachtes Selbstverständnis der bürgerlichen Gesellschaft. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus teilweise zerstört und später in vereinfachter Form wieder aufgebaut.

Eine Hälfte des Erdgeschoßes hat nun der junge Wiener Architekt Roland Tusch in Kooperation mit Architekt Robert Martin aus Salzburg in eine sehr lebenswerte helle Wohnung mit angeschlossenem Atelier für einen Keramikkünstler umgebaut. Die insgesamt rund 140 m², die zuvor von einer Kaffeerösterei genutzt wurden, haben die Architekten von allen Trennwänden befreit, um die Großzügigkeit der gewölbten Raumfolgen erleben zu können. Die Fenster zum Garten wurden zu Fenstertüren vergrößert. Der Garten soll noch nach einem Entwurf der Wiener LandschaftsplanerInnen KoseLi?ka in Form gebracht werden.

Die Wohnräume sowie das angrenzende Atelier gruppieren sich um eine Kernzone, die als dienendes Großmöbel in den Raum gestellt wurde. Hier fanden das sowohl von der Wohnung als auch vom Atelier begehbare Bad, ein anschließender begehbarer Schrankraum sowie ein Nassbereich für die Keramikwerkstatt Platz. Über eine Treppe, die als zusätzlichen Nutzen auch noch Stauraum birgt, gelangt man auf die Schlafgalerie über dem Bad, die abgesehen von ihrer erhabenen Lage nicht vom Wohnraum abgetrennt ist.

Die Öffnungen unter den Gewölbebögen sind zwischen Schlafpodest und Atelier mit strukturiertem Glas geschlossen, sodass Tages- und Kunstlicht hindurchdringen können. Im Bereich der Bibliothek gibt es in Form raumhoher Schlitze Blickverbindung ins Atelier. Diese Wandöffnungen liegen in der Achse der Fenstertüren zum Garten und gewähren damit auch dem nicht ans Grüne grenzenden Arbeitsplatz einen Blick dorthin.

Blickachsen und Raumbeziehungen waren generell wichtige Entwurfsparameter. Sowohl für die Bewohner als auch Besucher ist das „Nebenan“ stets präsent, kein Aufenthaltsraum ist vom Gesamtgefüge abgeschottet.

Trotz ihrer engen Verknüpfung unterscheiden sich die Charaktere von Wohnbereich und Atelier wesentlich voneinander. Warmes Licht, Parkettboden und Holzmöbel verstärken die wohnliche Atmosphäre, während dort, wo - oft mit beträchtlicher Staubentwicklung - gearbeitet wird, Eternitplatten und ein grün-grauer Kautschukboden für neutralen Werkstattcharakter sorgen. Was hier wie dort auffällt, ist das ausgetüftelte Angebot an Stauräumen und Ablageflächen, mit dem das Bedürfnis nach einem geordneten Umfeld erfüllt wird und das ebenso wie die Abfolge der Funktionszonen einer genauen Beobachtung der Wohn-und Arbeitspraxis entspringt.

Während Erdgeschoßzonen oft vernachlässigt werden, gehen hier Wohnen und Arbeiten, Alt und Neu eine glückliche Symbiose ein. Altes Gemäuer wurde mit neuen Inhalten aufgewertet. Alle Eingriffe sind ablesbar, und die besondere Atmosphäre der historischen Substanz blieb durch die behutsamen Adaptionen erhalten.

Der Standard, Sa., 2002.06.29



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Wohnung und Atelier - Umbau

15. Juni 2002Franziska Leeb
Der Standard

Mimikry und Verfremdung

Ein kleines Siedlungshaus in Graz erhielt mit einer Erweiterung ein zweites Gesicht. Seine Wurzeln bleiben dennoch nachvollziehbar.

Ein kleines Siedlungshaus in Graz erhielt mit einer Erweiterung ein zweites Gesicht. Seine Wurzeln bleiben dennoch nachvollziehbar.

An der Straßenseite präsentiert sich das Häuschen am Grazer Stadtrand nach wie vor unprätentiös schlicht. Errichtet wurde es in der Zwischenkriegszeit und ist Teil einer Siedlung, wie sie damals als Reaktion auf die Wirtschaftskrise in größeren Städten geplant wurden. Die sparsam gebauten Häuser wurden auf kleinen Parzellen von maximal 500 Quadratmetern errichtet. Mit einer bebauten Fläche von nur 50 Quadratmeter blieb Fläche frei, auf der sich die Bewohner eine minimale Selbstversorgung sichern konnten.

Auch bei diesem Grazer Beispiel wurde der Vorgarten für die Hühnerzucht genutzt, während im größeren Garten hinter dem Haus Ziegen gehalten und Gemüse angebaut wurde. An der gartenseitigen Südfassade lag der Eingang und eine offene Veranda diente als Schwellenbereich zwischen der Wohnung und dem Garten.

In den 80er-Jahren von der Bauherrenfamilie erworben, waren mittlerweile nicht nur Baumängel zu beheben, sondern entstand auch neuer Platzbedarf. Sabine Pollak und Roland Köb erarbeiteten für die kleine, aber doch herausfordernde Bauaufgabe einer zeitgemäßen aber typusgerechten Erweiterung ein Konzept, das funktional im Wesentlichen aus einer großzügig gestalteten Erschließungszone im Erdgeschoß und einer an das Obergeschoß angefügten Box besteht. Das klingt einfach, Köb & Pollak lösten die Angelegenheit aber mit einer sehr gut durchdachten, komplexen Arbeit.

Der Eingang wurde von der Süd- an die Ostseite verlegt, um erstens den Zugangsweg zu verkürzen und zweitens die Gartenfassade für eine großflächig verglaste Raumerweiterung, die erkerartig über dem Sockel auskragt, freizuspielen. Statt eines engen „Schlufs“ entstand nun ein großzügiger Vorraum mit Wohnraumqualität, in dem Platz für Stauraum ist und durch dessen Glasflächen Licht in die Tiefe des Erdgeschoßes dringt, dem mit neuen Wanddurchbrüchen Großzügigkeit verliehen wurde. Im Südwesten entstand eine kleine Gitterrost-Terrasse als offener Freibereich vor dem Esszimmer und als Übergang zum Garten.

Im Obergeschoß wurde an den Bestand eine schlichte Box angefügt, die als Schlaf-und Arbeitszimmer dient und deshalb nur sparsam mit Öffnungen versehen wurde. Ein L-förmiger Balkon, der als leichte Stahlkonstuktion eine Verbindung zwischen dem neuen Raum und dem Zimmer der Tochter herstellt, gewährt nun als Aussichtsplateau neuen Überblick und wertet die Dachgeschoßräume auf.


Sensible Materialwahl

Die neuen Anbauten werten das Haus nicht nur in funktioneller Hinsicht stark auf, sondern verleihen ihm auch ein neues, auf den ersten Blick sogar fremdes Gesicht. Bei genauerer Analyse merkt man, mit welcher Sensibilität die Architekten in der Materialwahl sowohl auf den Charakter des Bestandes reagieren als auch Eigenheiten der umgebenden Häuser reflektieren. Schließlich ist kaum ein Haus der Siedlung noch im Originalzustand. Anbauten und Wandverkleidungen aus unterschiedlichsten Materialien - von Glasbausteinen über Schuppeneternit bis zu gewelltem Polyester - haben sich im Lauf der Zeit zu den bescheidenen verputzten Häuschen gesellt und erzählen Geschichten über sich wandelnde Moden und Geschmäcker sowie sich ändernde Anforderungen. Köb und Pollak wählten deshalb das Gestaltungsmittel der Collage, um dem Zubau jene der Gegend entsprechende Lebendigkeit zu geben. Die Box im Obergeschoß wurde mit großflächigen Eternitplatten als Kontrast zur kleinteiligen Dachdeckung und den rautenförmigen Eternitfassaden an benachbarten Häusern verkleidet. Bei den geschlossenen Flächen im Erdgeschoß, die erstens dem Garten näher sind und zu denen man zweitens auch mehr Körperkontakt hat, setzten sie ein natürliches, wärmeres und gefühlsmäßig weicheres Material ein: kleine, schuppenförmig versetzte Schieferplatten, die auch als Hintergrund für den Garten besser entsprechen. Das alte Haus wurde zwar verändert, seine Wurzeln bleiben erhalten und seine Geschichte nachvollziehbar.

Der Standard, Sa., 2002.06.15



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Siedlungshaus in Graz - Umbau

08. Juni 2002Franziska Leeb
Der Standard

Villa Kunterbunt

Ein großes Haus in einer Gartensiedlung fällt durch unkonventionelle Details auf. Architekt Alexander Kubik brachte ein Raumprogramm mit 220 Quadratmetern Nutzfläche in einem achtzehn Meter langen Baukörper unter.

Ein großes Haus in einer Gartensiedlung fällt durch unkonventionelle Details auf. Architekt Alexander Kubik brachte ein Raumprogramm mit 220 Quadratmetern Nutzfläche in einem achtzehn Meter langen Baukörper unter.

Es steht nicht in Taka-Tuka-Land, und Limonadenbäume wachsen auch nicht in seinem Garten, ansonsten hebt sich das Holzhaus am nördlichen Stadtrand von Wien genauso erfrischend wohltuend vom Üblichen ab wie Pippi Langstrumpfs Residenz vom Schrebergartenhaus aus dem Katalog.

Für den Wohnsitz einer Familie mit vier Kindern lautete die Vorgabe der Bauherren, möglichst ökologisch zu bauen. Gewünscht war ein Holzhaus, der reichhaltige Baumbestand des Gartens sollte nach Möglichkeit nicht zu Schaden kommen, und die Kinderzimmer sollten gleichwertig und nach Süden orientiert sein. Architekt Alexander Kubik brachte das umfangreiche Raumprogramm mit 220 Quadratmetern Nutzfläche in einem achtzehn Meter langen Baukörper unter. Um die doch gewaltige Länge optisch zu mildern, wurden Nord- und Südfassade um vier Grad genickt. Die äußere Verkleidung der mit Kokosfasern gedämmten Holzriegelkonstruktion besteht im Norden aus unbehandelten Lärchenbrettern und an den anderen Fassaden aus breiteren Sperrholzplatten, die mit einem farblosen Anstrich witterungsbeständig gemacht wurden.

Entlang der Nordfassade liegt im Wesentlichen die Erschließungszone des Hauses. Sie ist ungewöhnlich breit, daher auch vielfältig nutzbar und beugt Klaustrophobien, die bei stärkerem Personenaufkommen in engen Gangbereichen leicht auftreten können, vor.

Nach Süden orientiert liegen, zum Gang hin mit einer massiven Speicherwand abgetrennt, im Erdgeschoß ein großer Wohnraum mit offener Küche und darüber die Zimmer der einzelnen Familienmitglieder. Im Obergeschoß hat jedes Zimmer Zutritt auf einen der beiden breiten Balkone, deren Bodenplatte aus einem ungewöhnlichen Material - nämlich robusten Lkw-Böden aus phenolharzverleimtem Sperrholz - bestehen. Diesen geräumigen Freiflächen und überhaupt dem gesamten Haus gewährt ein auffälliges Dach Schutz.

Es besteht aus Trapezblechen, wie sie für Dächer von Industriebauten häufig verwendet werden, und wird an den Rändern von dünnen Stahlstützen getragen. Damit es etwas bewegte Leichtigkeit erhält, wurde es leicht gebogen, und die tragenden Holzleimbinder wurden zu den Enden hin verjüngt.

Blaue Fensterrahmen und einzelne, farbig gestrichene Wände sowohl außen als auch innen sorgen für bunte Akzente, die das große und in seiner Materialwahl unprätentiöse Haus durchaus verträgt. Besondere Blickfänge im Inneren sind das eigens entwickelte Edelstahlgeländer der Treppe sowie eine Nussholztür mit augenförmigen Schlitzen, die den Wohnbereich im Erdgeschoß vom Gang trennt.

Der unkonventionelle Familiensitz missachtet gängige Architekturmoden und ungeschriebene Gesetze. Materialien, Farben und Formen wurden bunt gemixt. Herausgekommen ist dennoch ein Haus von erstaunlicher Harmonie, das gut im Einklang mit der umgebenden Gartenlandschaft steht.

Der Standard, Sa., 2002.06.08



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Villa Kunterbunt

01. Juni 2002Franziska Leeb
Der Standard

Keine Kiste

Energetisch optimierte Häuser müssen nicht unbedingt öde Schachteln sein, wie ein Einfamilienhaus in Steyr von den Architekten Proyer & Proyer beweist.

Energetisch optimierte Häuser müssen nicht unbedingt öde Schachteln sein, wie ein Einfamilienhaus in Steyr von den Architekten Proyer & Proyer beweist.

Passivhäuser zeichnen sich dadurch aus, dass ohne aktives Heizungs- oder Klimatisierungssystem ganzjährig ein komfortables Wohnklima erreicht wird. Eine kompakte Form, um den Wärmeverlust über die Außenwände zu minimieren, gute Wärmedämmung, Luftdichtigkeit, Südorientierung gelten kurzgefasst als die wichtigsten Grundvoraussetzungen für die immer beliebter werdenden „Häuser ohne Heizung“.

Weniger als 15 kWh pro Quadratmeter und Jahr darf der Heizwärmebedarf eines Passivhauses betragen. Energiegewinne durch passive Sonnenenergienutzung und eine kontrollierte Wohnraumlüftung bilden die Basisversorgung, der restliche Bedarf sollte zur Gänze durch erneuerbare Energien zu decken sein.

Das klingt relativ restriktiv, und angesichts der meisten realisierten Passivhäuser scheint für architektonische Gestaltung wenig Spielraum zu bleiben. Hin und wieder nährt das eine oder andere Projekt zum Glück die Hoffnung, dass der allseits verbreitete Wille zum Energiesparen nicht zwangsläufig in Massen von langweiligen Hütten ausarten muss. Ein solches Vorzeigebeispiel, das nicht schon von weitem mitteilt, „ich bin zwar hässlich, dafür aber bauphysikalisch korrekt“, steht auf einem terrassierten Südhang in Steyr.

Geplant haben es Karin und Hermann Proyer, die zwar explizit ein aus energetischer Sicht optimiertes Haus bauen wollten, beim Entwurf aber in erster Linie den speziellen Ort - die ausgesprochen attraktive Hanglage mit Blick in die weite Hügellandschaft um Garsten - berücksichtigten. Das Motto: Die Architektur zuerst, der Rest ist technische Routine.

Der Hauptbaukörper liegt parallel zum Hang, der übrigens kaum verändert wurde. Ein Riegel aus vorgefertigten Holzpaneelen führt im rechten Winkel dazu als Garagen-und Eingangsbau ins Haus und kragt nach Süden als aufgestelzter Würfel, in dem das Wohnzimmer untergebracht ist, aus. Das an drei Seiten im Erdreich eingegrabene Untergeschoß gewinnt an der Gartenseite viel Tageslicht durch die großen Verglasungen. Die massiven Wandflächen sind mit Schiefer verkleidet, der erstens für optische Bodenhaftung sorgt und zweitens gleichsam als „Bratpfanne“ Sonnenwärme speichert.

Das Geschoß darüber wird hauptsächlich vom großen Esszimmer eingenommen, das nach Süden und Westen verglast ist und über große Schiebetüren in die schwellenfrei anschließende Terrasse übergeht. Zu den verglasten Schiebetüren ist anzumerken, dass nicht nur die Gläser modernsten Anforderungen hinsichtlich eines niedrigen Wärmedurchgangswertes entsprechen, sondern auch die in Lärche ausgeführten Profile mit einer vier Zentimeter starken Korkeinlage gedämmt sind. Nur deshalb konnten die in Passivhäusern sonst eher gemiedene Offenheit und Öffnungsmöglichkeiten ohne nennenswerte Energieverluste realisiert werden.

Der in die Terrassenfläche eingelassene Swimmingpool wird dadurch zu einem integrativen und stets präsenten Teil der Wohnebene. Auf wenigen schlanken, mit Beton vergossenen Stahlsäulen ruht der weiße Quader des Obergeschoßes. Er kragt über der darunter liegenden transparent gehaltenen Etage aus und spendet so Schatten und Witterungsschutz. Eine dünn wirkende Dachscheibe bildet den abschließenden Deckel, spendet mit weiten Überständen ebenfalls Schatten und trägt auch die thermischen Solarkollektoren zur Warmwasseraufbereitung sowie die den in Spitzenzeiten zusätzlichen Energiebedarf abdeckende Fotovoltaikanlage.

Großzügiges Wohnen in einem ansprechenden Ambiente mit viel Freiraumbezug lässt sich also durchaus mit radikalen Energiesparmaßnahmen vereinen, ohne architektonische Abstriche machen zu müssen.

Der Standard, Sa., 2002.06.01



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Wohnhaus Steyr

25. Mai 2002Franziska Leeb
Der Standard

Maximale Aussichten

Ein Umbau und ein Neubau - beide eint Lage an Hängen im Wienerwald und das architektonische Bemühen, diese gut zu nutzen.

Ein Umbau und ein Neubau - beide eint Lage an Hängen im Wienerwald und das architektonische Bemühen, diese gut zu nutzen.

Ein schlichter Würfel mit leicht geneigtem Zeltdach, gleichmäßig über die Fassaden verteilten Fensteröffnungen und einer steilen Treppe, die vom Straßenniveau hinunter zum in einem seitlichen Anbau gelegenen Eingang führt. Ein Wohnhaus aus der Nachkriegszeit fand Architekt Peter Fleiß vor, ehe es an die Adaptierung desselben für die Anforderungen einer Familie mit Kindern ging.

Der Umbau war umfassend, denn die ausgezeichnete Lage an einer Hangkante und ein schöner Garten waren die einzigen Vorzüge, die der Bestand zu bieten hatte. Neben der Schaffung eines großzügigeren Bezugs zur Umgebung und gut nutzbarem Außenraum galt das Augenmerk auch der gestalterischen Bewältigung der großen Baumasse, die sich hangseits drei und zur Straße hin zwei Geschoße über Niveau erhebt.

Das Haus erhielt deshalb an der Hangseite einen mit Sichtbetonsteinen verkleideten, breiten Sockel, der dem Bestand und den neuen seitlichen Zubauten eine robuste Basis bietet. Eine neue vorgelagerte Terrasse leitet ins Freie und bindet das Haus besser an den um einige Meter tiefer liegenden Garten an. Das Innere wurde entkernt, um größere Wohnräume zu erlangen, der Eingang so gestaltet, dass er barrierefrei zugänglich ist und zusätzlicher Platzbedarf wurde mit seitlichen Zubauten in einer Holz-Stahl-Mischkonstruktion geschaffen.

Sie sind im Gegensatz zum weiß verputzen Bestand mit Lärchenschindeln verkleidet und verschwimmen deshalb mit dem baumreichen Umfeld. Nur der neue Stiegenhausturm im Osten, der ganz aus Glasbausteinen besteht, steigt als markanter Bauteil aus dem grauen Sockel auf. Mit einer Lichtkuppel im Dach ausgestattet dient er als Tageslichtfänger, der im Eingangsbereich und in den angrenzenden Räumen für ausgezeichnete Helligkeit sorgt.

Die vorhandenen Fenster an Nord- und Südseite wurden im obersten Geschoß zu einem Fensterband zusammengefasst und darunter zu Fenstertüren vergrößert. Einst eher teilnahmslos in einer schönen Gegend verharrend, kommuniziert das Haus nun mit seinem Umfeld.


Neubau in Pressbaum

Umgekehrt waren die Voraussetzungen bei einem Neubau in Pressbaum. Das entlang der Straße ebene Grundstück steigt sukzessive an und endet in einer Hangkante, die von dichtem Wald umgeben ist. Natürlich wäre es technisch einfacher gewesen, das Haus entlang der Straße zu situieren. Zufahrt und Zugang wären zumindest im Winter unbeschwerlicher gewesen. Doch was sind die wenigen wirklich tief verschneiten Tage gegen ganzjährig allerbeste Weitsicht auf Wiesen und Wälder und Räume, die das Gefühl vermitteln in einem Baumhaus zu wohnen?

Auch diesem Haus verlieh Architekt Fleiß mit einem breiten, sockelartigen Untergeschoß aus Sichtbetonsteinen massive Bodenhaftung. Über diesem schweren Querriegel kragt weit der um neunzig Grad verdreht obenauf gelagerte Wohnbereich aus, der den Eingangsbereich in der Mittelachse überdeckt.

Mit einer Panoramaverglasung und einer äußeren Verkleidung aus Alu-Wellblech wird er zum Überblick gebenden Cockpit. Links und rechts flankieren ihn zwei niedrigere Räume, die jeweils von großen Terrassen begleitet werden. Ausladende Dachvorsprünge spenden Schatten und geben Witterungsschutz.

So wie im Inneren die Übergänge vom offenen Wohnraum in geschütztere Rückzugsnischen fließend sind, geht auch außen der befestigte Freibereich barrierefrei in die Natur über. Den weiten Anmarsch nimmt man deshalb gerne in Kauf.

Der Standard, Sa., 2002.05.25



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Haus in Pressbaum

18. Mai 2002Franziska Leeb
Der Standard

Ladylike in Perlweiß

Ein einheitlicher Farbton und ein sorgfältig detailliertes Spiel von Fugen und Flächen bilden den maßgeschneiderten Hintergrund für einen eleganten Dachgeschoßumbau in einem Hietzinger Cottage-Haus.

Ein einheitlicher Farbton und ein sorgfältig detailliertes Spiel von Fugen und Flächen bilden den maßgeschneiderten Hintergrund für einen eleganten Dachgeschoßumbau in einem Hietzinger Cottage-Haus.

Weder Fisch noch Fleisch, sprich weder elegantes Penthouse-Ambiente noch heimeliges Dachbodenflair fanden die Architekten vor, als es darum ging, einen bestehenden Dachgeschoßausbau in einem Hietzinger Cottage-Haus aus den Siebzigerjahren für die Bedürfnisse ihrer Bauherrin umzubauen.

An Wohnfläche mangelte es nicht, wohl aber an Großzügigkeit und Pfiff. Georg Marterer und Thomas Moosmann entschlossen sich daher zu einer gründlichen internen Auffrischung, ohne jedoch die bestehende Dachform zu verändern.

Das von Überflüssigem befreite Volumen kleideten sie mit einer neuen Schicht aus. Sie entschärft nicht nur die Schräge der Dachneigung, sondern übernimmt auch etliche funktionelle Aufgaben, wie Sitzbank oder Stauraum. Die horizontalen Hauptlinien ziehen sich ohne Unterbrechung durch die ganze Wohnung und vereinen die einzelnen Bereiche zu einem fließenden Raumkontinuum von erfrischender Dynamik.

In der gleichen Höhe wie die Bank im Wohnraum schwebt konsequenter Weise die in Stein eingelassene Wanne im Badezimmer oder ein Ladenschrank im Schlafzimmer. Trennwände und raumhohe Türen sind fein säuberlich durch Schattenfugen oder vertikale Spiegelstreifen abgesetzt, und scheinen im Raum zu schweben. Integrierte Leuchtstoffröhren als allgemeine Raumbeleuchtung bilden warm getönte Lichtlinien, die den Schwebeeffekt unterstützen und zusätzlich dynamisierend wirken.


Oberfläche

Die besondere Atmosphäre der Wohnung rührt von einem an sich einfachen, in der Ausführungspraxis aber feinste Justierung und strenge Konsequenz verlangenden, Gestaltungsmittel: einer farblich einheitlichen Oberfläche in dezentem Perlweiß. Teppich-und Kalksteinböden, hochglanzlackierte Holzeinbauten, Bad und Küchenoberflächen sowie Wände und Decken sind in diesem Farbton gehalten. Unterstützt durch die wohl durchdachte Lichtführung erreichten MARTERERMOOSMANN mit diesem restriktiven Nichtfarbkonzept eine elegante Grundstimmung mit ätherischem Touch.

Ein profaner, aber höchst praktischer Nebeneffekt war der Lohn für den gestalterischen Aufwand: Steckdosen und Lichtschalter konnten in der einfachsten, handelsüblichen Variante verwendet werden, die farblich genau passte. Was auf reinweißen Wänden sonst leicht einen billigen Eindruck erweckt, darf hier als stimmiges Detail seine Wirkung entfalten.

„Mit dem Raum arbeiten, den wir haben“, lautete das Leitprinzip bei diesem Umbau, so Thomas Moosmann. Herausgekommen ist eine Raumstruktur, die grundsätzlich als Hintergrund für viele Lifestyles taugen könnte. Durch die gewählten Materialien und Oberflächen ist sie aber exakt auf den Stil der qualitätsbewussten Bauherrin abgestimmt.

Die Monochromie in der Farbe der Perlen war ihr expliziter Wunsch. Aus Erfahrung wusste sie um die großzügige Wirkung einheitlich getönter Oberflächen; hatte sie doch zuvor bereits außergewöhnliche Räume bewohnt, die einmal in Lindgrün und später in Blassblau gehalten waren.


[Für die neue Bühne des Lebens in Perlweiß wurde jede Verspieltheit ad acta gelegt. Sie ist von eleganter Klarheit, gleichzeitig betont damenhaft und wird mit viel gestalterischem Gespür bespielt.
MARTERERMOOSMANN
(Georg Marterer, Thomas
Moosmann), Grinzinger
Allee 50-52/6, 1190 Wien,
Tel. (01) 328 92 70
www.marterermoosmann.com ]

Der Standard, Sa., 2002.05.18



verknüpfte Bauwerke
Wohnungsumbau Gloriettegasse

11. Mai 2002Franziska Leeb
Der Standard

Im Einklang mit Aalen und Silberreihern

Bauen bedeutet immer auch einen Eingriff in die Natur. Diesen möglichst schonend zu gestalten war vorrangiges Planungsziel bei einer Feriensiedlung am Neusiedler See.

Bauen bedeutet immer auch einen Eingriff in die Natur. Diesen möglichst schonend zu gestalten war vorrangiges Planungsziel bei einer Feriensiedlung am Neusiedler See.

„Und ich frage daher: wie kommt es, daß ein jeder architekt, ob schlecht oder gut, den see schändet?“, schreibt Adolf Loos in seinem Aufsatz „Architektur“ aus dem Jahr 1910. Alles andere als die Schändung des Naturraumes hatte Architekt Georg W. Reinberg im Sinn, als er in enger Zusammenarbeit mit Naturschutz-Fachleuten und Vogelkundlern daranging, ein rares Beispiel für ökologisch verträgliche und gestalterisch hochwertige Freizeitarchitektur zu planen.

Während andere Gemeinden am Neusiedler See es seit Jahrzehnten bestens verstehen, aus der privilegierten Lage am Wasser Profit zu schlagen, scheint das hochverschuldete Jois den lukrativen Erwerbszweig Tourismus vernachlässigt zu haben. Das in den Siebzigerjahren in Angriff genommene Yachthafen-Projekt blieb wenig erfolgreich. Ein vom Hotelbauer Rogner geplantes Großprojekt scheiterte, weil die Wasserqualität nicht garantiert werden konnte.

Nun bringt eine neue Siedlung neben dem aus dem Dornröschenschlaf geküssten Yachthafen den Ort näher an den See. Indem das Hafenbecken weitergegraben wurde, konnte das einst künstlich aufgeschüttete Bauland sogar reduziert werden. Es entstanden vier traubenförmige Inseln, zwischen denen der Wind das Wasser in Bewegung und damit die Wasserqualität - nicht nur zur Freude der Aale, Karpfen und Hechte - auf Höchststand hält. Die Häuserzeilen selbst liegen quer zur Hauptwindrichtung nach Süden orientiert und haben dank der Insellösung jeweils direkten Zugang zum Wasser.

Auf Stahlpfählen bilden mit Schaumglas wärmegedämmte Betonplatten jeweils die Basis und gemeinsam mit einer massiven Mittelwand den Speicherkern der in Holzfertigbauweise errichteten Häuser. An den Südseiten lassen Glasfassaden die Sonne in die Wohnräume, im Norden liegen im etwas niedrigeren Gebäudeteil die Zugänge und Nebenräume. Sonnenterrassen und Zugangsplattformen sind vom Dach abgehängt, um weitere teure Rammpfähle einzusparen.

In einer der sonnenreichsten Gegenden Österreichs ist der Überhitzungsschutz besonders wichtig. Auskragende und zum Zweck der Durchlüftung 50-70 cm über der Gebäudebox aufgeständerte Pultdächer stellen deshalb die Häuser in den Schatten, die tief stehende Wintersonne kommt dennoch voll ins Haus. Sonnenkollektoren sorgen für Warmwasser, und an den bedingt durch die hohe passive Sonnenenergieausbeute wenigen Heiztagen kommt eine Elektroheizung zum Einsatz.

Viel Augenmerk wurde auf die Freiraumgestaltung gelegt (in Zusammenarbeit mit den Landschaftsplanern KoseLicka und Wendelin). Schotterzonen bilden den Übergang zum Schilf, das sich in den Randzonen noch stärker ausbreiten soll, um eine möglichst naturnahe Einbindung zu erreichen. Es herrscht übrigens strengstes Thujenverbot. Das erfreut nicht nur das Auge, sondern auch die vielen Singvögel, für die das giftige Gestrüpp weder Nahrung noch geeignete Nistplätze bieten würde.

Durch die aufwändigen Vorbereitungsarbeiten schlugen die Baukosten mit 1788 EURO/ m² zu Buche. Billig sind die im Eigentum zu erwerbenden Häuser deshalb nicht. Ab 105.000,- EURO sind für eine der siebzig Einheiten mit Nutzflächen von 40-111 m² zu berappen. Dafür gibt es aber auch einen eigenen Steg zum Wasser, einen Garten und auf Wunsch Dienstleistungen wie Bus-Shuttle oder frische Semmeln zum Frühstück. Themensiedlungen, egal ob als Dauerlösung oder im Urlaub, sind weltweit ein Hit. Schön, wenn es auch ohne Disney- oder Lederhosen-kitsch abgehen kann.

Noch bei keinem anderen Projekt konnte er in so feiner Abstimmung aller Interessen planen, betont Architekt Reinberg. Dass „friede, ruhe und schönheit dahin sind“, wie Loos befürchtete, konnte hier, wie es scheint, vermieden werden.

Der Standard, Sa., 2002.05.11



verknüpfte Bauwerke
Feriensiedlung ´Inselwelt Jois´

04. Mai 2002Franziska Leeb
Der Standard

Fenster nur dort, wo man sie braucht

Modern bauen in einem niederösterreichischen Angerdorf? Wie einer gewachsenen Dorfstruktur und zeitgemäßen Anforderungen entsprochen werden kann, zeigt ein Wohnhaus in vorgefertigter Holzbauweise im Tullnerfeld.

Modern bauen in einem niederösterreichischen Angerdorf? Wie einer gewachsenen Dorfstruktur und zeitgemäßen Anforderungen entsprochen werden kann, zeigt ein Wohnhaus in vorgefertigter Holzbauweise im Tullnerfeld.

In Nitzing scheint die ländliche Idylle noch in Ordnung zu sein. Das kleine Angerdorf liegt malerisch und abseits der Hauptverkehrsrouten im Tullnerfeld. Den breiten Dorfplatz mit altem Baumbestand flankieren Bauernhäuser. Kirche und Feuerwehrhaus stehen strategisch günstig in der Platzachse. So, wie es immer schon gewesen ist: ruhig, überschaubar und auch ein bisschen verschlafen. Auffallend ist nur ein Neubau. Nein, die Ruhe und das Ortsbild stört er überhaupt nicht, im Gegenteil. Ungewöhnlich ist nur, wie hier ein Weg gefunden wurde, traditionelle Lösungen in das Heute hinüberzuführen.

Anstelle eines nicht mehr zu rettenden Bauernhauses errichtete sich die Bauherrenfamilie ein Wohnhaus mit angeschlossenem Grafikatelier. Straßenseitig erstreckt sich der Wohnteil, dahinter liegt das kleine Atelierhaus. Ein Flugdach überdeckt einen Eingangshof, von dem aus beide Einheiten getrennt erschlossen werden. Isoliert betrachtet, irritiert zunächst die recht verschlossen wirkende Straßenfassade. Es gibt nur ein Oberlichtband und zwei Fenster. Der Grund dafür: Dahinter liegen nur Neben- und Wirtschaftsräume. Das Wohnhaus ist zweihüftig strukturiert. Der schmälere vordere Nebenraumtrakt ist - um der Einheitlichkeit des Straßenbildes Rechnung zu tragen - mit einem steilen Pultdach versehen. Der hintere Teil ist niedriger und flach gedeckt. Getrennt durch einen Mittelgang, liegen hier ein großer Wohnraum und drei Zimmer, die zum Garten hin über die gesamte Raumbreite und Höhe geöffnet sind.

Zwischen Wohnhaus und unterkellertem Atelier entstand ein windgeschützter Aufenthaltsbereich im Freien. Umlaufende Holzroste bilden Schwellen zwischen Innenraum und Garten, und vom Atelierhaus leitet eine Sonnenterrasse in den Badeteich über. Wohnen, Arbeiten und Erholung liegen ganz nahe beieinander und sind räumlich doch so strukturiert, dass alles ungestört nebeneinander ablaufen kann. Im Gegensatz zu freistehenden Häusern auf neu parzellierten Baugründen am Dorfrand ist man - eingebettet in die geschlossene Bebauungsstruktur - ungestört.

Warum aber muss sich die Vorderansicht so verschlossen geben? Architekt Franz Schartner hat dafür überzeugende Argumente: Erstens ist hier Norden und zweitens hat man auf dem Land immer nur dort Öffnungen gemacht, wo man sie gebraucht hat. In unmittelbarer Nachbarschaft findet man gleich die Belegbeispiele: Bauernhöfe, deren Wirtschaftstrakte und Stallungen an der Straßenseite liegen und deren Fassaden neben der großen Einfahrt nichts als eine lange weiße Wand sind, bevor dann irgendwann drei kleine Fenster anzeigen, dass dahinter ein Raum liegt, in dem man Licht und Aussicht braucht.

Wohnen auf dem Land sieht heute für junge Familien in Niederösterreich meist so aus: Mangels leistbarer und adäquater Wohnungen ist der Bau eines eigenen Hauses meist die vernünftigste Lösung. Das Land bietet ganz gute Förderungen, und mit viel Eigenleistung geht sich die Finanzierung schon irgendwie aus. Gebaut wird meist außerhalb der Dorfzentren, wo die Gemeinden für diesen Zweck Bauparzellen um die 800 Quadratmeter anbieten. Innerhalb der gewachsenen Strukturen stehen im Gegenzug jedoch zahllose ehemalige Bauernhäuser leer und sind dem Verfall preisgegeben. Sie zu adaptieren und zu renovieren ist langwierig und teuer. Für qualitätsvolle Neubauten in geschlossener Bauweise sind taugliche Vorbilder rar. Das Haus in Nitzing zeigt, wie ländliche Strukturen auch für Nichtbauern sinnvoll Lebensraum bieten können, wenn man Erprobtes und Neues kreativ verbindet.

Der Standard, Sa., 2002.05.04



verknüpfte Bauwerke
Haus Schmircher

27. April 2002Franziska Leeb
Der Standard

Dreißig Meter neues Rückgrat

Eine ungewöhnlich konsequente Vorgehensweise verhalf einem Haus in Kärnten zu einer unkomplizierten und effektiven Vergrößerung des Raumangebots.

Eine ungewöhnlich konsequente Vorgehensweise verhalf einem Haus in Kärnten zu einer unkomplizierten und effektiven Vergrößerung des Raumangebots.

Das Büro gerner°gerner plus ist bekannt für spektakulär wirkende Hauskreationen in Leichtbauweise. Viele Schrägen, viel Glas, viel Aluminium und „fliegende Architektur“ sind die schnellsten Assoziationen, wenn es um Bauten aus dem Büro der Wiener Architekten geht. Dass es auch formal ruhiger geht, wenn Ort und Aufgabe danach verlangen, zeigt ein jüngst fertig gestellter Zubau in Feldkirchen.

Trotz aller formalen Schlichtheit gelang ihnen jedoch auch hier ein Werk von einiger Signifikanz. Diesmal weniger durch waghalsig auskragende Teile oder metallisch schimmernde gebogene Hüllen, sondern durch Länge.
Nicht mehr als ein eingeschoßiger, dreißig Meter langer Schlauch war notwendig, um ein anfangs recht umfangreich klingendes Wunschprogramm so unterzubringen, dass keine aufwändigen Umbauarbeiten und Veränderungen am bestehenden Haus notwendig gewesen sind. Außer den Durchbrüchen zur Anbindung und kleinen Neuorganisationen im Inneren blieb das alte Haus, wie es war.

Zur bequemeren Erschließung des Kellergeschoßes wurde der alte steile Abgang durch eine breitere einhüftige Stiege an der Nahtstelle zwischen Alt und neu angeordnet. Circa zweieinhalbmal so lang wie das bestehende Haus breit ist, liegt der in Holzriegelbauweise über einer Fundamentplatte errichtete Zubau im Rücken des alten Hauses aus den Sechzigerjahren.

Eine Form, viele Funktionen: Der Riegel bildet einen Abschluss für den Garten und wirkt zugleich als Barriere gegen den Lärm von der knapp hinter dem Grundstück vorbeiführenden Bundesstraße. Im nördlichsten Segment der mit zarten Lärchenholzsprossen verkleideten Stange ist die Garage untergebracht.

Daneben liegt der überdachte Eingangsbereich, von dem aus das Haus nun im neuen Anbau betreten wird. Am Sanitärbereich vorbei kommt man in den neuen Wohnraum, der in einem ost- und westseitig raumhoch verglasten, wintergartenähnlichen Bereich endet.


Sonnenschutz

Schiebeläden in der gleichen Holzstruktur wie die Außenwände trennen den gedeckten Eingangsbereich von der Grünfläche und kommen auch als Sicht- und Sonnenschutz für die großen Fenster zum Einsatz. Sie sind in Schienen gelagert, die sich über die gesamte Hauslänge erstrecken, können daher beliebig arrangiert werden und bei Bedarf auch vor das Badezimmerfenster geschoben werden.

In Kärnten, wo meist jede andere Dachform als die diversen Steildachformen besonders bei Wohnbauten als Sakrileg betrachtet wird, muss der schlichte Riegel mit kaum wahrnehmbar geneigtem Pultdach manchen wie eine Provokation erscheinen. Ein Glück, dass in diesem Fall die aus der Reduktion entstehende Ästhetik wohlwollender aufgenommen wurde.

Die Bauherren, die wohl mit etwas Besonderem gerechnet haben - sonst hätten sie sich nicht an Andreas und Gerda Gerner gewandt -, hat der radikale Entwurf auch überrascht. Sie haben ihn aber sofort akzeptiert, sind sehr stolz darauf und genießen sichtlich das moderne, auf ihre Zwecke perfekt abgestimmte Ambiente.

Der Standard, Sa., 2002.04.27



verknüpfte Bauwerke
rückgrat Zubau Einfamilienhaus

20. April 2002Franziska Leeb
Der Standard

Respektvoll neue Räume schaffen

Wie zusätzlicher Raumbedarf erfüllt werden kann, ohne eine vorhandene Substanz völlig zu verändern, zeigt ein Zu- und Umbau von Margarete Dietrich und Markus Lang.

Wie zusätzlicher Raumbedarf erfüllt werden kann, ohne eine vorhandene Substanz völlig zu verändern, zeigt ein Zu- und Umbau von Margarete Dietrich und Markus Lang.

Ein ehemaliges Wochenendhaus aus den Siebzigerjahren sollte zum zukünftigen Hauptwohnsitz eines Ehepaares werden. Gemeinsam mit dem jungen Architektenpaar Margarete Dietrich und Markus Lang begann bereits 1997 ein Entwurfsprozess, um das kleine Haus auf einem Nordwesthang in Klosterneuburg für das ständige Bewohnen zu rüsten.

Die ursprüngliche Herangehensweise, mit einer Aufstockung und einer neuen vertikalen Erschließung adäquate Raumverhältnisse zu schaffen, hätte massive Eingriffe in die Bausubstanz bedeutet und wäre preislich der Errichtung eines Neubaus gleichgekommen. Mit der Zeit erkannten die beiden Architekten, dass noch ein anderer Faktor unbedingt mit Behutsamkeit bedacht werden muss: Mit dem Haus aus der Jugendzeit waren für den Bauherrn auch Erinnerungen und Emotionen verbunden, über die man nicht so ohne Weiteres hinwegplanen wollte.

Damit war klar, dass die Lösung nur die sein konnte, das alte Haus in seinem wesentlichen Erscheinungsbild zu erhalten und ihm einen Zubau zur Seite zu stellen, der den zusätzlichen Raumbedarf abdeckt. Es wurde also zum Garten hin ein zweigeschoßiger Anbau in einer Holzriegelkonstruktion errichtet, der im Erdgeschoß den neuen Eingang und einen Vorraum sowie ein Gästezimmer beherbergt. Darüber liegen zwei Schlafzimmer mit einem vorgelagerten Gangbereich. Ebenfalls hinzugefügt wurde eine Terrasse mit eigenem Stiegenabgang, die ein wesentlicher Beitrag zur Verbesserung der Wohnqualität ist.

Schließlich gab es ursprünglich nur eine kleine Terrasse im Südwesten, die jedoch mit dem Nachteil behaftet war, straßenseitig zu liegen und kaum Aussicht zu bieten.

Der Altbau, dessen Wohnnutzfläche nur 70 Quadratmeter betrug, wurde entkernt und renoviert. Bis auf neue Fensterläden und einen kleinen Wintergarten, der an der Straßenseite unter dem bestehenden breiten Dachvorsprung auf der ehemaligen Terrasse eingefügt wurde, blieb sein Erscheinungsbild unangetastet. Die gleiche Fläche, auf der früher Vorraum, Wohnzimmer, Küche, Bad und WC Platz fanden, nimmt nun nach der Entfernung der Zwischenwände der neue großzügige Wohnraum ein. Zur Terrasse hin schließt die neue Küche an, die ebenfalls von den Architekten entworfen wurde.

Doch nicht nur mehr Fläche wurde gewonnen. Mit der Terrasse und den Fenstertüren in den Zimmern kann jetzt vom Haus aus auch endlich der Ausblick über die reizvolle Landschaft um Klosterneuburg genossen werden. Einem bestehenden Haus, das zwar für die Architekturgeschichte völlig unbedeutend ist, in der Geschichte einer Familie aber eine große Rolle spielte, konnte der Erinnerungswert erhalten bleiben. Der neue Anbau schreibt diese ganz persönliche Geschichte weiter, ohne die alten Erinnerungen auszulöschen.

Auch den Architekten, die ursprünglich ein insgesamt moderneres Gesamtbild vor Augen hatten, fiel es nicht schwer, diesen Weg mitzugehen. Im individuellen Wohnbau ist der Kunde schließlich König.

Die Herausforderung an den Architekten lautet, perfekt für diese Bedürfnisse zu planen und alles professionelle Wissen einzubringen, um zu einer für die Umstände möglichst idealen Lösung zu gelangen. Denn was taugt die flotteste Aluminiumblase, wenn ein Bauherr sich nicht mit ihr identifizieren kann?

Der Standard, Sa., 2002.04.20



verknüpfte Bauwerke
Hauszubau Klosterneuburg/Kierling

13. April 2002Franziska Leeb
Der Standard

Zwischen dem Dorf und der Weite der Felder

Eher als kleines Ensemble denn schlicht als Haus zu bezeichnen ist das Refugium einer Familie in Feldkirchen an der Donau in Oberösterreich, das sich gut in die Struktur des Ortes einfügt.

Eher als kleines Ensemble denn schlicht als Haus zu bezeichnen ist das Refugium einer Familie in Feldkirchen an der Donau in Oberösterreich, das sich gut in die Struktur des Ortes einfügt.

Der Bauplatz: ein lang gestrecktes Grundstück mit Obstbaumbestand zwischen Bauernhöfen. Die Bauaufgabe: ein Wohnhaus für eine Ärztefamilie mit umfangreichem Raumprogramm und Schwimmbad. Die Schwierigkeit: rund 400 Quadratmeter Nutzfläche so unterzubringen, dass das entstehende Bauvolumen sich gut in die Umgebung integriert.

Bei landwirtschaftlichen Gehöften ist es üblich, die einzelnen Funktionen wie Wohnen, Viehhaltung, Vorratsräume und Geräteschuppen in eigenen Gebäudeteilen unterzubringen. Diese Gliederung kennzeichnet Hakenhöfe in geschlossenen Bauweisen, wie sie etwa in den Dörfern des niederösterreichischen Weinviertels üblich sind ebenso wie Höfe im lockeren Gebäudeverband, die man aus den hügeligeren Gegenden Österreichs kennt. Dieses Gliedern in Funktionsbereiche ist zwar relativ flächenintensiv, hat aber - neben praktischen Gründen - den Vorteil, dass sich die Bauten sanfter in den Landschaftsraum einfügen als wuchtige Typen, bei denen alle Funktionen unter einem Dach vereinigt sind.

Vergleichbar mit diesen Gehöften plante Architekt Gerhard Fischill in Zusammenarbeit mit Architekt Josef Schütz ein Haus, dessen Masse sich durch geschickte Strukturierung der ländlichen Situation anpasst. Das unterkellerte Wohnhaus - ein Lichthof unterbindet jede Kellerstimmung - wird nach oben schmäler. Das breitere Erdgeschoß ist als Wohnzone ausgebildet, die sich über raumhohe Öffnungen und Terrassen in den Garten ausbreitet. Darüber liegen die privaten Zimmer in einem archetypisch wirkenden schlichten Geschoß mit Satteldach.

Flankiert wird das Wohnhaus von einem niedrigen verputzten Garagengebäude. Zu den Feldern hin begrenzt das Badehaus mit vorgelagertem Swimmingpool das Ensemble. Ein bestehender holzverkleideter Schuppen im Süden des Wohnhauses ist ein weiterer Mitspieler in diesem Ensemble. Um räumliche Anbindungen herzustellen, Grenzen zu ziehen und Bezüge anzudeuten, greifen Mauern bzw. nach Osten eine Wand aus Metalllamellen in den Gartenraum aus. Dadurch werden Höfe ausgebildet und der Außenraum wird in wohnliche Plätze gegliedert, die, bei aller Weitläufigkeit und Offenheit zum Umfeld hin, Geborgenheit und Sichtschutz bieten.

Das Innere ist nicht nur großzügig und praktisch auf die Bedürfnisse eines großen Haushaltes abgestimmt, sondern auch ein Musterbeispiel an kunstvoller Tektonik bis ins kleinste Detail. In einer handwerklichen Präzision und Sorgfalt wie man sie selten findet sind Fenster- und Türrahmen, Schränke und Deckenleuchten oder auch die Kaminnische im Wohnzimmer fein säuberlich in die undekorierten weißen Wände eingefügt. Grundsätzlich handelt es sich um eine konventionelle Abfolge von konventionellen Wohnfunktionen. Im Gesamten wirkt das Wohnhaus aber als ein komplexes Gefüge von Scheiben, Ebenen und Durchbrüchen. Ebenso raumbildend ist das Tageslicht, das sich von zwei Lichtkaminen am First in die Tiefe ergießt.

Jede zusätzliche Applikation müsste schon von höchstem künstlerischen Wert sein, um in dieser Symphonie architektonischer Elemente bestehen zu können. Aber das Bedürfnis, noch etwas hinzufügen zu müssen hat ohnedies niemand. Schließlich vermittelt das Haus bei aller Strenge im Detail ein Gefühl von großer Freiheit im Bewohnen. Für Abwechslung sorgen die Familie und ihre Besucher selbst und auch der Wechsel der Jahreszeiten, der durch den starken Bezug zum Obstgarten stets im Haus präsent ist.

Der Standard, Sa., 2002.04.13



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Haus Dr. Scheuer

09. April 2002Franziska Leeb
Der Standard

Klare Formen und hoher Nutzwert

Wohnungsbau bedeutet meist planen für unbekannte Nutzer. Die Kunst besteht darin, deren Wünsche zu erahnen und es möglichst allen recht zu machen.

Wohnungsbau bedeutet meist planen für unbekannte Nutzer. Die Kunst besteht darin, deren Wünsche zu erahnen und es möglichst allen recht zu machen.

Es sind oft die auf den ersten Blick nicht gleich sichtbaren Kleinigkeiten, die darüber entscheiden, wie praktisch und brauchbar sich das Geplante im Lauf der Zeit bewährt. Mitbestimmen können die zukünftigen Mieter von Wohnhausanlagen nur selten, da der Planungs-, Beratungs-und Koordinationsaufwand bei partizipatorischen Projekten mühsam und zu aufwändig ist.

Für Architekt Martin Wurnig ist es dennoch wichtig, nicht schon von vornherein den zukünftigen, noch unbekannten Bewohnern ein zu enges Korsett an Gegebenheiten vorzusetzen. Die Leute sollen auch im Nachhinein noch Veränderungen, sprich interne Adaptionen wie Raumteilungen oder -vergrößerungen, vornehmen können. Geprägt durch die Arbeit im Büro von Ottokar Uhl - einem Pionier des partizipatorischen Bauens - und durch Erfahrungen mit einem Selbstausbau-Projekt am Leberberg weiß er um Mieterwünsche und -probleme gut Bescheid.

Doch wie gesagt - meist kennt der Planer die zukünftigen Mieter nicht, und im besten Fall schafft er ein Raumangebot, das so vielfältig nutzbar ist, dass es für viele Lebenssituation adaptierbar ist.

Bei der soeben fertig gestellten Siedlung Cassinonestraße für den Bauträger Gewog versuchten die Architekten Wurnig und Klajic diesen Anspruch möglichst gut zu erfüllen. Die 42 Wohnungsgrundrisse sind so strukturiert, dass sich nach Süden zu den Terrassen oder Gärten jeweils ein großer - eventuell teilbarer - Wohnraum über die ganze Wohnungsbreite erstreckt. Zwei bis drei kleinere Zimmer liegen nach Norden. Dazwischen sind entlang eines Ganges Vorraum, Nasszellen und Küchen angeordnet, wobei Letztere sowohl als abgeschlossene Raumeinheiten als auch zum Wohnraum hin offen gestaltet werden können.

Um Neustrukturierungen zu ermöglichen, gibt es natürlich keine tragenden Wände im Inneren der Wohnungen. Jede Wohnung hat einen individuellen Freiraum und einige besonders begünstigte sogar einen Dachgarten.

Reizüberflutung kann sich auf das Wohlgefühl unangenehm auswirken. Wurnig/ Klajic trachteten daher nach klaren Raumkonzepten und pflegten eine Ästhetik der Reduktion. Die Lage an der Stadtkante im 22. Bezirk verlangte nach einem Konzept, das in dieser exponierten Situation projektintern für Zusammenhalt sorgt. Nach Osten schließen bereits Felder an, und in nächster Umgebung gibt es vom Geschoßwohnbau bis zu frei stehenden Kleinhäusern alles.

Eine übergeordnete Siedlungsstruktur ist nicht erkennbar. Die drei Zeilen aus einfachen kubischen Baukörpern in schlichtem Weiß sind in jeweils drei einzelne Blöcke aufgelöst, um eine der Umgebung entsprechende Bebauung zu schaffen. Für bunte Kleckse sorgen die Terrassentrennwände aus farbigen Gläsern. Ein Fußwegenetz durchdringt die Anlage und macht sie durchlässig. Die Zugänge zu den Wohnungen liegen in den engen Seitengassen und sind für die oberen zwei Geschoße in einer leichten Stahl-Glas-Konstruktion untergebracht.

Zu den Gassen hin verfügen die halb offenen Stiegenhäuser über „Aussichtskanzeln“, die in den öffentlichen Raum hinausragen. Die einzelnen Häuser sind so gesetzt, dass die „Seitengassen“ jeweils um eine Achse verschwenkt sind und so von den Terrassen der hinteren Hausreihen der Blick durch die transparenten Stiegenhäuser möglich ist.

Trotz aller gebotenen Sparsamkeit - bei Details und Materialen durfte wie üblich kein besonderer Aufwand getrieben werden - bietet die Anlage hinsichtlich Gesamterscheinung, Raumstimmungen und Nutzwert hochwertigen Lebensraum.

Der Standard, Di., 2002.04.09



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage Cassinonestrasse

30. März 2002Franziska Leeb
Der Standard

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Architektur nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Kriterien lässt sich auch im Kleinen ganz leicht realisieren, wenn sich die richtigen Partner finden.

Architektur nach ökologischen, sozialen und ökonomischen Kriterien lässt sich auch im Kleinen ganz leicht realisieren, wenn sich die richtigen Partner finden.

Was bringen der Klimabilanz Niedrigenergiehäuser an den Ortsrändern, wenn täglich notwendige Autofahrten zu Arbeitsplatz, Schule, Kindergarten und Supermarkt jeden Energiespareffekt zunichte machen? Dennoch ist es erfreulich, dass die einzelnen Bundesländer in ihren Wohnbauförderungs-Richtlinien verstärkt auf energiesparende Bauweisen setzen. Die Zersiedelung schreitet dennoch munter voran und solange Platz genug ist, schrecken offenbar auch hohe Grundstückspreise und Aufschließungskosten kaum jemanden vom frei stehenden Traumhaus ab.


Sparsame Qualität

Dass sparsamer Umgang mit Ressourcen aller Art keine Einschränkung bedeuten muss, sondern die Wohnqualität beträchtlich steigern kann, zeigt das Haus zweier Familien in Attnang. Am Ortsrand, aber dennoch nah am Bahnhof und inmitten einer grünen Umgebung gelegen, vereint der Bauplatz eine Menge Vorteile und gestattet die Erledigung täglicher Wege zu Fuß oder per Fahrrad. Bauparzellengrößen um die 800 m² reichen üblicherweise für Haus und Garten einer Durchschnittsfamilie. Von Anfang an war Familie K. klar, dass sie leicht mit weniger auskommt und beauftragte beim Architekturbüro junger-beer ein Doppelwohnhaus in möglichst ökologischer Bauweise, noch ehe die „Partner-Bauherren“ gefunden waren. Die stießen in der Phase der Einreichplanung dazu und bewohnen nun die zweite Hälfte des von Martin Junger und Stefan Beer zu einem gut auf Ort und Nutzer abgestimmten Hauses. Für klare Besitzverhältnisse sorgt ein Wohnungseigentumsvertrag.

Der kompakte zweigeschoßige Baukörper öffnet sich erdgeschoßig im Südwesten über großflächige Fronten aus Wärmeschutzglas (k-Wert 0,7) zum Garten. An beiden Seiten flankieren überdachte Terrassenbereiche mit je einem dahinter liegenden Werkstatt- bzw. Hobbyraum die Wohnbereiche. Auf dem luftig wirkenden Erdgeschoß ist das mit einer sägerauen Lärchenschalung verkleidete Kinder- und Schlafzimmergeschoß aufgesetzt. Die Holzriegelkonstruktion ist 30 cm dick mit Zelluloseflocken, das Dach mit Steinwolle (40 cm) gedämmt. Zwischenwände aus ungebrannten Lehmziegeln dienen als Wärmespeicher und sorgen für den Feuchtigkeitsausgleich. Eine Lüftungsanlage mit Wärmerückgewinnung und vorgeschaltetem Erdkollektor verteilt die Wärme und gewährleistet stets frische Raumluft. Im Sommer wird der Erdkollektor zur Hauskühlung eingesetzt. Zukunftsweisende Haustechnik allein ist nicht alles: Ein räumlich großzügig wirkendes Inneres mit angenehmer Atmosphäre komplettiert das Wohnvergnügen. Entlang eines Baches mit dichtem Uferbaumbestand ist das flache, lang gestreckte Haus stimmig in die Umgebung eingefügt. Die Terrasse kragt ein wenig über der Uferböschung aus und schafft so eine enge Anknüpfung des Hauses an die gewachsene Natur.

Was beim Wohnen unter einem Dach leicht auf der Strecke bleiben kann, sind Individualität und Privatsphäre. Aus diesem Grund trennt ein mit roten Holzbrettern verschalter „Schuppen“, der zwischen den beiden Eingangsbereichen durch das Haus sticht, den Garten. Als Sichtschutz mit Inhalt birgt er Stauräume für jede Familie sowie einen gemeinsamen Erdkeller.

Eine schwere Bronzestatue auf der Küchenbar zeugt von der offiziellen Anerkennung, die dem Projekt bereits zuteil wurde. Es handelt sich um einen im Rahmen des Energy Globe Award 2002 vergebenen Preis für nachhaltige Energielösungen.

Der Standard, Sa., 2002.03.30



verknüpfte Bauwerke
Zweifamilienhaus

09. März 2002Franziska Leeb
Der Standard

Kunden pflegen und Orte kultivieren

Architektin Christine Diethör unterstützt Kunden bei der Definition ihrer Wohnbedürfnisse und plant passende Räume. Hier ein jüngst vollendetes Beispiel.

Architektin Christine Diethör unterstützt Kunden bei der Definition ihrer Wohnbedürfnisse und plant passende Räume. Hier ein jüngst vollendetes Beispiel.

Menschen auf der Suche nach einer geeigneten Wohnung stehen vor einem wahren Entscheidungsmarathon. Gut, wenn es jemanden gibt, der diesen Prozess begleitet und sich als Wohn-Coach und Baumanager um alle anfallenden Probleme kümmert. Architektin Christine Diethör hat sich deshalb die Bauherrenbegleitung zum Ziel gemacht und bietet ein fünfstufiges Leistungsspektrum an, bei dem ihre Kunden von Schritt zu Schritt entscheiden können, wieweit sie das Know-how der Spezialistin in Anspruch nehmen wollen.

Als erster Schritt wird ein schriftliches Raumkonzept erarbeitet, in dem die persönlichen Anforderungen festgehalten sind und das Suchkriterien für mögliche Objekte, erforderliche Raumgrößen und eine grobe Schätzung der zu erwartenden Kosten enthält. Auf diese Weise erhalten Architektin und Bauherren eine Unterlage, die eine Basis für weitere Schritte bildet. Stufe zwei ist das Finden eines passenden Objektes, dessen Charakteristika und Potenziale ebenfalls schriftlich dokumentiert werden. Weitere Leistungsmodule betreffen die klassische Planungsarbeit, vom Entwurf über die Einreichplanung bis zur Bauaufsicht und Kostenkontrolle.

Für Familie L. waren die Verbindung von Wohnen und Arbeiten, genügend Rückzugsmöglichkeit, trotz Stadtlage viel Freiraum und ein vernünftiges Kosten-Nutzen-Verhältnis die Parameter für den neuen Lebensraum. Ein Dachgeschoß in einem Jugendstilhaus im 14. Wiener Bezirk bot die geeignete Grundlage. Die eigenwillige Dachform mit vielen Verschneidungen führt im Inneren zu höchst unterschiedlichen Raumqualitäten, die das Raumerlebnis abwechslungsreich gestalten.

Durch Stützenfreiheit erlangte man ineinander fließend übergehende Bereiche, verglaste Einschnitte geben den Weg frei auf die insgesamt vier Terrassen. Die Bewahrung der Dachform, die vielfältigen Außenbeziehungen und die schlicht-elegante Gestaltung nehmen Bezug auf die Lage des Objektes in städtischer Grünlage und kultivieren die Charakteristika des Ortes.

Nicht nur sehr funktionell, sondern auch besonders einladend ist der Eingangs- und Garderobenbereich der Wohnung gestaltet. Hier dominieren mit Eichenfurnier veredelte Wandverbauten, hinter denen sich auf der einen Seite die Garderobe und viel Stauraum bis unter die Decke verbergen.

Um kein Gefühl der Enge aufkommen zu lassen, wechseln einander offene und geschlossene Schrankteile ab. Die Beleuchtung wurde in das Möbel integriert. Gegenüber fasst die Eichenholzverkleidung die Eingangstür sowie den Zugang zum WC ein. Besonders sorgfältig erfolgte auch die Gestaltung des Badezimmers, dessen Blickfang der Waschtisch bildet. Zum edlen schwarzen Granit in der Spritzwasserzone kontrastieren Eichenholz als Spiegelumrahmung und die scheinbar über dem Boden schwebenden Unterschränke.

Wichtig ist für Diethör das Vertrauensverhältnis zwischen Architektin und Auftraggeber. Die ausführliche Beratung und Analyse von Bedürfnissen sieht sie daher als unverzichtbaren Bestandteil ihrer Planungsarbeit. So entstehen Räume, bei denen baukünstlerische Ambition und Nutzergerechtigkeit Hand in Hand gehen.

Der Standard, Sa., 2002.03.09



verknüpfte Bauwerke
Dachgeschossausbau Wohnung L.

23. Februar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Schick ohne Hemmschwelle

Mit einem wandelbaren Haustypus und einem eigens entwickelten Marketingkonzept möchte das Team planhaus einem breiten Publikum zeitgemäße Architektur zugänglich machen. Zwei Häuser sind in Wien bereits realisiert.

Mit einem wandelbaren Haustypus und einem eigens entwickelten Marketingkonzept möchte das Team planhaus einem breiten Publikum zeitgemäße Architektur zugänglich machen. Zwei Häuser sind in Wien bereits realisiert.

Am Anfang Ihrer Karriere leben Architekten meist von Aufträgen, die freundlicherweise aus dem Verwandten-und Bekanntenkreis kommen. Die Zeit dazwischen vertreibt man sich mit Wettbewerbsteilnahmen, die nur mit viel Fortune zum Erfolg führen, dafür aber viel kosten. Für neu gegründete Architekturbüros gibt es im Gegensatz zu anderen Jungunternehmen keine öffentlichen Förderungsmaßnahmen.

„Zeitgemäße Architektur muss sich ihren Markt aktiv schaffen und auf die Kunden zugehen“, lautet deshalb das Credo des Wiener Teams planhaus, das neben den zwei Architektinnen Claudia Pöllabauer und Antje Lehn mit Gernot Tscherteu und Erika Ratvay auch Spezialisten für Marketing und Grafikdesign im Team hat.

Im Jahr 1998 wurde das Büro mit dem Ziel gegründet, ein „Produkt“ zu entwickeln, das man einem noch unbekannten Kundenkreis anbieten möchte. Zwei Jahre später war es dann so weit. Auf der Messe Bauen & Wohnen präsentierte das Team erstmals die Hausserie „sol“.

Sie besteht aus einem Kleingartenwohnhaus, das auf die Wiener Bestimmungen für das Wohnen in Kleingartengebieten optimiert ist, sich aber vom üblichen Angebot auf diesem Sektor wohltuend unterscheidet, sowie einer etwas größeren Einfamilienhausvariante. Nicht nur Produktentwicklung und Planung erfolgen im Atelier von planhaus, sondern auch die Konzeption und Gestaltung des gesamten Marktauftritts.

Im Unterschied zu den industriellen Fertighausanbietern wird jedes „sol “-Haus individuell für die Bedürfnisse der Bauherren geplant. Allen gemeinsam sind einige grundsätzliche Gestaltungselemente wie die kompakte Form, raumhohe Öffnungen auf die Terrasse und ein flachgeneigtes Pultdach sowie die Konstruktion. Die Außenwände bestehen jeweils aus Holzblocktafeln, die im Zimmereibetrieb vorgefertigt und auf der Baustelle zusammengesetzt werden. Mit Kork oder Steinwolle gut gedämmt, passiver Solarenergienutzung über die großen Fensterflächen und einem Beton- oder Steinboden als Speichermasse wird das Haus zum Niedrigenergiehaus.


Großer Wohnraum

Der zweigeschoßige Grundtypus hat eine Nutzfläche von knapp 80 m². Im Erdgeschoß liegt ein großer Wohnraum mit offener Küche und raumhohen Glaswänden Richtung gedeckter Terrasse. Darüber ist Platz für ein bis drei Schlafzimmer. Der Sanitärkern liegt jeweils zentral, an der Gebäuderückseite ist das Stiegenhaus untergebracht. Dieses Schema, das bis auf den Sanitärkern keinerlei innere Trennwände zwingend vorgibt, kann relativ unkompliziert variiert werden. Die nicht verglasten Wände sind mit einer Stulpschalung aus Lärchenholz verkleidet. Ein Haus nach diesem Muster steht bereits in einer Kleingartensiedlung in Ottakring.

Mit dieser Hausserie wendet sich planhaus an Kunden, die ein modernes, aber nicht zu exzentrischen Haus möchten. Man liefert eine solide Hülle, in der sich individuelle Wohnträume realisieren lassen. Gegen eigenwillige Einrichtungslösungen, die vielleicht nicht ganz den Vorstellungen der Planer entsprechen, haben sie nichts.

Bausysteme und -typen sind im besten Fall wandelbar. Im Falle von „sol“ sieht man dies gut bei einem zweiten Wiener Haus. Die Ausgangssituation ist diesmal ein größeres Grundstück in einer Hanglage in Pötzleinsdorf. Konstruktionsmethode und Elemente wie die große Glasfassade, der offene Wohnraum sowie das Pultdach sind gleich. Dem Gelände und den Anforderungen des Bauherrenpaares entspricht hier jedoch ein gestreckter eingeschoßiger Baukörper besser.

Nicht nur für gute Bauqualität und passable Optik garantiert das innovativ wirtschaftende Architekturteam. Sie bieten auch einen Fixpreis an: Er beträgt ab 1635 EURO (22.498 S) pro Quadratmeter Nutzfläche ab Fundamentoberkante inklusive fertiger Fußbodenoberflächen (geschliffener Estrich), einfacher Kücheneinrichtung und Planung. An der nächsten Weiterentwicklung arbeitet man bereits: Bald möchte man auch im Segment des verdichteten Siedlungsbaus Fuß fassen.

Der Standard, Sa., 2002.02.23

16. Februar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Schwellenlos ins Freie

Ein komfortables Domizil, das sensibel auf die durchgrünte Umgebung reagiert, plante Peter Eder für eine Familie in Graz.

Ein komfortables Domizil, das sensibel auf die durchgrünte Umgebung reagiert, plante Peter Eder für eine Familie in Graz.

In sonniger Hanglage im Nordosten des Grazer Zentrums sind Offenheit und Freiraumbezug Pflicht, wenn man die Vorzüge des Ortes ausschöpfen will. Architekt Peter Eder platzierte das geräumige Haus mit Einliegerwohnung und Büro am nördlichen Grundstücksrand. Eine lange Zufahrt, der terrassierte Garten sowie ein Swimmingpool als Ausläufer des betonierten Kellergeschoßes bilden eine sorgfältig modellierte Landschaft im Vorfeld.

Peter Eder verfügt über ein Faible für ausgeklügelte Details und hat wenig Verständnis für Experimente zulasten der Haltbarkeit einer Gebäudehülle.

Breite Deckenüberstände bewahren daher die transparenten Fassaden vor direkter Verwitterung, spenden Schatten und schaffen weitläufige und geschützte Außenräume. Sowohl im Bodenbereich als auch an der Decke ist der Übergang zwischen Innen und Außen fließend. Dafür sorgt die mit Bedacht gewählte Konstruktion des auf einem Raster von 1,25 Meter aufgebauten Hauses.

Um die optische Leichtigkeit der Front zu erreichen, wird das Dach von schlanken Stahlstützen, die im Abstand von drei Rasterfeldern angeordnet sind, getragen. Von einem mächtigen Leimbinder, der kaum sichtbar auf der Dachscheibe liegt, ist die Zwischendecke abgehängt. Auf diese Weise ersparte man sich störende Unterzüge über den verglasten Wänden, die Deckenuntersichten laufen also ungehindert von innen nach außen durch.

Abgeschlossen werden die Terrassen von einem Stahlgeländer mit vertikalen, teils leicht schräg gestellten Stäben. Die Choreographie dieses leicht bewegten Brüstungsmotivs blieb dem ausführenden Schlosser überlassen. Er hatte die Wahl, in welches der vier vorgesehenen Bohrlöcher pro Stab er die Stahlstangen einspannt. Ohne großen Aufwand gelang damit, ein luftig wirkendes, einzigartiges Geländer, das im Gegensatz zu den sonst sehr beliebten horizontal gespannten Stahlseilen auch den Sicherheitsvorschriften in der Bauordnung entspricht.

Besonders breit sind die Terrassen an der über der Garage auskragenden Schmalseite. Hier sind die Brüstungen zum besseren Sichtschutz mit roten Schichtstoffplatten verkleidet. Das gleiche Plattenmaterial dominiert auch an der hinteren Ansicht, wo es in farblich harmonischem Einklang mit den alten Bäumen steht. Mit einem breiten „Rucksack“ wurde hier die Wohnfläche erkerartig ausgedehnt. Die hölzerne Stulpschalung kontrastiert mit der ansonsten sehr viel ebenmäßigeren Gebäudehülle. Als etwas rustikalere „Hintaus-Fassade“ ist diese Materialwahl durchaus angemessen und kann auch als Referenz zum grünen Hinterland und zu einem benachbarten Holzhaus gelesen werden. Auch hier ist eine Terrasse als Überleitung ins Freie vorgelagert.

Die dezentral gelegene Eingangsachse ist lichtdurchflutet. Im Erdgeschoß trennt sie die kleine Einliegerwohnung vom großen Wohnbereich. Darüber liegt das Elternschlafzimmer, das als rundum mit Holz verkleidete, behagliche Schatulle ausgeführt ist. Entlang einem an der Rückseite des Hauses führenden Gang liegen die Kinderzimmer und als Abschluss das Büro des Hausherrn im - was die Aussicht angeht - attraktivsten Platz des Hauses.

Der Standard, Sa., 2002.02.16



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EFH Zingerle

09. Februar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Eine Vitrine zum Wohnen

Völlig dem offenen Wohnen verschrieben haben sich die Bauherren eines Hauses von Dominik Aichinger. In die Auslage gestellt fühlen sie sich dennoch nicht.

Völlig dem offenen Wohnen verschrieben haben sich die Bauherren eines Hauses von Dominik Aichinger. In die Auslage gestellt fühlen sie sich dennoch nicht.

Großflächig verglaste Außenwandteile oder auch ganze transparente Hof- oder Gartenfassaden sind in der Wohnhausarchitektur längst nichts Ungewöhnliches mehr. Die modernen Gläser und Profile verfügen bereits über so gute Dämmwerte, dass winters die Gefahr der Verwandlung des Heimes in eine Kühlbox oder zu Hitzezeiten in einen Brutkasten bei grundsätzlich vernünftiger Planung nicht mehr vorprogrammiert ist.

Dass es jemand wagt, beide Hauptfronten seines Hauses in Glas ausführen zu lassen, ohne rundherum einen mehrere Hektar großen Park als Schutzzone zu besitzen, ist allerdings etwas Besonderes.

Der Bauplatz für dieses außergewöhnliche Haus liegt am Ortsrand von Lenzing am Übergang eines kleinteilig strukturierten Siedlungsgebietes zum Grünland und um die Höhe eines Geschoßes tiefer als die Zufahrtsstraße. Da der Boden aus schwierig zu bebauendem Konglomeratfels besteht, wurde aus wirtschaftlichen Überlegungen eine Unterkellerung sofort ausgeschlossen. Architekt Dominik Aichinger entschloss sich für einen schlichten Quader aus Stahlbeton, der mit achtzehn Bohrpfählen im Untergrund verankert und parallel zur straßenseitigen Böschung liegt.

Auf diese Weise entstand zwischen Fassade und Hang eine schluchtartige Hofsituation, die eine Verglasung auch des untersten Geschoßes gestattete. Zum Gehsteig hin begrenzt eine zwanzig Meter lange Sichtbetonwand das Grundstück, das als Schutzschild in Erdgeschoßhöhe wirkt. Der Zugang erfolgt über einen Steg aus verzinkten Stahlrosten, der vom Autoabstellplatz die Fassade entlang in das mittlere Geschoß, das eigentliche Erdgeschoß, führt. Das Innere des Hauses ist sehr zweckmäßig organisiert. Entlang eines zentralen Sanitär-und Technikkerns erschließt eine einläufige Stiege die drei Ebenen. Wohnbereiche, Zimmer und Gangflächen sind rund um diesen Kern, der als schwefelgelbe Säule nach außen durchschimmert, angeordnet.

Die unterste Ebene ist das Reich der drei Kinder, die von hier aus auch direkten Zugang in den großen Garten haben. Darüber liegt die Tagesebene mit Küche und Essbereich und einem Büro, das vom Steg aus über eine eigene Tür für Besucher zugänglich ist, intern aber mit dem Wohnbereich gekoppelt ist.

Ganz oben befinden sich das Schlafzimmer der Eltern und ein Wohnraum. Für Sichtschutz sorgen hier schmale weiße Segelbahnen, die, in zarten Schienen montiert, die Funktion von Vorhängen übernehmen. Die internen Türen bestehen im ganzen Haus aus Gussglas und unterbrechen somit den Lichtfluss nicht. Dunkle Ecken gibt es daher keine. Unterstrichen werden Offenheit und Klarheit der Hülle durch glatte Materialien wie den hellgrau marmorierten, geschliffenen Estrichboden oder den gelben Lackanstrich in den Nassbereichen.

Beide Längsfassaden sind gleich ausgebildet. Der Südostseite entlang der Straße kommt dabei die Funktion der Wärmefalle zu, über die passive Sonnenenergie en masse in das Haus dringt. Die zur Landschaft hin orientierte Nordwestseite dient als Aussichtsfassade. Klappflügel in jedem zweiten Fassadenfeld sorgen für Frischluftzufuhr und ermöglichen das Querlüften.

Noch gibt es keine Erfahrungen, wie sich die Sommerhitze auswirkt. Die noch dichter werdenden Nadelbäume auf der Böschung des Gartenhofs spenden jedenfalls Schatten für die untere Haushälfte. Eine Lüftungskuppel im Dach über der Treppe lässt an heißen Tagen die warme Luft nach oben entweichen.

Der Standard, Sa., 2002.02.09



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Haus mit Glasfront

02. Februar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Auf historischem Boden für die Zukunft bauen

Das südsteirische Schloss Seggau wird von Architekt Ernst Giselbrecht für neue Anforderungen gerüstet. Baustufe Eins, ein moderner Zubau mit Speisesälen und Gästezimmern, ist bereits in Betrieb.

Das südsteirische Schloss Seggau wird von Architekt Ernst Giselbrecht für neue Anforderungen gerüstet. Baustufe Eins, ein moderner Zubau mit Speisesälen und Gästezimmern, ist bereits in Betrieb.

Die Geschichte der beeindruckenden Schlossanlage zu Seggau in der Südsteiermark beginnt im 12. Jahrhundert. Die Salzburger Erzbischöfe nutzten die strategisch günstige Hochlage über Leibnitz als Missions- und Verwaltungsbastion. Später wurde die Burg Sitz der Bischöfe von Seckau.

Im 18. Jahrhundert verlegten die Bischöfe ihre Residenz vom malerischen Hügelland nach Graz. Das Schloss nutzten die Kirchenherren nur noch als Gutsbetrieb, bis man es schließlich ab 1955 auch als Bildungs- und Tagungszentrum etablierte. Um dem neuen Nutzen gerecht zu werden, erfolgten bis in die 70er-Jahre Um- und Zubauten nach der Methode „rasch und preiswert“. Sie erfüllen ihren Zweck zum Teil bis heute, in ihrem kulturellen Anspruch genügen sie der Tradition der Anlage jedoch keineswegs.

Erst Architekt Konrad Frey vermochte 1993 mit seinen Erweiterungsbauten für das Bildungshaus wieder ein baukünstlerisches Statement zu platzieren.

Damit Schloss Seggau auch weiterhin das kulturelle und wirtschaftliche Zentrum der Südsteiermark bleibt, lobte die Diözese 1997 einen Wettbewerb für die weitere Modernisierung des für die Region äußerst wichtigen Betriebes aus. Architekt Ernst Giselbrecht ging als Sieger aus dem Gutachterverfahren hervor. Umbauarbeiten im historischen Bestand des weitläufigen Gebäudekomplexes sind noch in Gang. Bis spätestens Frühjahr 2003 wird das gesamte Vorhaben realisiert sein.

Seit Frühjahr 2001 ist der neue Anbau im Norden des Schlosses in Betrieb. Giselbrecht entschied sich gegen eine Unterbringung des neuen Bettentraktes und der Speisesäle im Bestand. Mutig platzierte er einen Neubau im Anschluss an den Nordtrakt. Der schlanke Riegel fasst den Barockgarten zu einer bewaldeten Hangkante hin und dient zugleich als Spange zur barocken Orangerie, die über den mächtigen Weinkellergewölben das Areal im Norden abschließt.

Die zwei Obergeschoße des Neubaus sind in der vorderen Hälfte auf Rundstützen aufgeständert. Der Bau erhält dadurch eine gewisse Luftigkeit und Fragilität, die durch die gläserne Fassadenschicht verstärkt wird. Über die geräumigen Terrassen am Ende des Gebäudes erhalten Speisesäle und Zimmer eine direkte Verbindung zum Park. Die Anbindung des feschen Neubaus an das jahrhundertealte und immer wieder umgebaute Gemäuer erfolgte so, dass bei funktional fließenden und barrierefreien Übergängen die Grenzen zwischen Alt und Neu klar erkennbar bleiben.

Ebenso umsichtig wie die maßstäbliche Einfügung des Gebäudes in das historische Ensemble erledigte Giselbrecht die zurückgezogensten Bereiche des Hauses, die Gästezimmer. Während eine Zimmerflucht über den Bonus einer zum Garten hin orientierten Balkonfläche verfügt, kann in den Räumen gegenüber die Romantik eines Baumhauses mit dem Komfort eines Hotels genossen werden. Bei geöffneten Fenstern bietet der direkt anschließende Wald besonders Gästen aus der Stadt ein völlig neues Wohnerlebnis. Klug gelöst sind die Grundrisse: Da es in Tagungshotels oft üblich ist, dass zwei Kursteilnehmer ein Zimmer teilen, wurde darauf speziell Rücksicht genommen.

Eine Schiebewand vor den Betten ermöglicht einen ungestörten Schlaf, während der zweite Gast noch auf dem Sofa lesen möchte oder erst zu späterer Stunde in das Zimmer kommt. Das Badezimmer kann mittels Verbindungstüren in Ankleide-, WC- und Waschbereich getrennt oder als ein Raum benutzt werden und ist zum Zimmer hin mit Schiebetüren abgetrennt.


Bildungshaus

Gerade in dieser Kategorie sind Herbergen mit architektonischem Mehrwert äußerst rar. Das neue Bildungshaus leistet mit seinen vielen sorgfältig gelösten räumlichen und atmosphärischen Qualitäten subtile Erziehungsarbeit in Sachen Baukultur. An die 30.000 Nächtigungen verbucht der Betrieb jährlich. Die Investition in vorbildhafte Architektur hat daher nicht nur Auswirkungen auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen. Mehr als alle Medien übernehmen öffentlich zugängliche Bauten kulturelle Vermittlungsarbeit. Hier zu sparen wäre grob fahrlässig.

Der Standard, Sa., 2002.02.02



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Schloss Seggau - Um- und Zubau

26. Januar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Netz und Rahmen für eine Bühne zum Wohnen

Das Architektenteam Caramel schuf mit einem Haus in Korneuburg eine lichtdurchflutete Hülle, in der das Wohnen mit all seinen Facetten zu einer bewusst erlebten Freizeitbeschäftigung werden kann.

Das Architektenteam Caramel schuf mit einem Haus in Korneuburg eine lichtdurchflutete Hülle, in der das Wohnen mit all seinen Facetten zu einer bewusst erlebten Freizeitbeschäftigung werden kann.

Berufstätige Menschen frequentieren ihr Wohnhaus oft nur in ihrer kargen Freizeit. Auch für die Bauherren dieses Eigenheimes in einer durchgrünten Stadtrandsiedlung in Korneuburg findet das Wohnen erst nach Büroschluss und an den Wochenenden statt. Die Architekten des Büros Caramel konzipierten ihnen daher eine Abfolge von Erlebniszonen, auf denen sich das Freizeitwohnen angenehm inszenieren lässt.

Das kompakte Haus erfüllt mit einer Reduzierung der Wärmeverlustflächen nach Norden, Westen und Osten und einer Maximierung der Wärmegewinnflächen durch größtmögliche Verglasung nach Süden mit einfachen Mitteln den Niedrigenergiestandard. Dennoch bleibt das Wohnen zur Straßenseite hin nicht völlig abgeschottet.
Ein zweigeschoßiger Fensterbogen umrandet die als Speichermasse dienende Betonskulptur der Treppe und suggeriert Einsehbarkeit. Die tatsächlichen Aufenthaltsbereiche wie der Esstisch im Erdgeschoß und die Leseecke auf einer Galerie darüber bleiben aber durch die Stiegenhauswand abgeschirmt.

An der Gartenseite jedoch bleibt der Ess- und Wohnbereich über die ganze Breite offen. Darüber sind Bad und Schlafzimmer mit schmalen Wandelementen aus OSB- Platten abgeschirmt. Dunkelblaue Glasplatten dienen im Parapetbereich der raumhohen Fensterachsen als zusätzlicher Filter, der noch dazu bei Sonnenschein ein beruhigendes, bläuliches Licht über den Fußboden streut.


Pultdach

Das auskragende Pultdach und die seitlichen Wangen der Rahmenkonstruktion halten die mittägliche Sonneneinstrahlung ab. Außenliegende Rollos ergänzen diesen bauseitigen Schutz im Hochsommer. Keller gibt es keinen. Seine Funktion übernehmen preiswerter und obendrein bequemer zugänglich die unter der Stiege und im Hauszentrum konzentrierten Nebenräume.

Die naturbelassenen Dreischichtplatten aus Douglasienholz dürfen verwittern und machen den mit dem Geburtsdatum beginnenden Alterungsprozess an der Hülle ablesbar. Sollten dennoch irgendwann Elemente schadhaft werden, sind sie unkompliziert auszuwechseln. Mit ihrem hohem Glasanteil täuscht die hölzerne Schatulle zwar vor, großzügig Einblick zu gewähren, de facto ist sie ein heimeliger, privater Rückzugsort.

Die Verglasungen an der Straßenseite sind fast kokette Gesten in Richtung öffentlichem Raum und bereichern das traute Heim um einen starken Bezug zum unmittelbaren Umfeld. Die offene Gartenansicht ist dem öffentlichen Einblick entzogen. Der Holzterrasse als Ruhezone im Freien folgt der mit einem langgestreckten Pool als privater Freizeitpark und Aktivitätszone konzipierte Garten.

Zum strengen Rahmen des industriell vorgefertigten Holzhauses kontrastiert der eigenwillige Autoabstellplatz. Konzeptueller Ausgangspunkt für seine Gestaltung war die Idee einer selbstgeflochtenen „Urhütte“ aus Bambus.
Dieses Leitbild wurde dann in ein vor Ort gefertigtes gebogenes Netz aus Rippentorstahl transponiert. Die verzinkten Stahlstäbe wurden dazu händisch von Bohrloch zu Bohrloch gespannt und die Knotenpunkte ohne Schweißnähte mittels Kabelbinder verknüpft.


Lastwagenplane

Zum Schluss wurden aus den gewölbten Netzflächen die benötigten Öffnungen geschnitten und Konstruktion mit einer silberfarbenen Lastwagenplane überdeckt. Beim Gartenzaun legten die Architekten sogar selbst Hand an. Rippentorstahlstäbe wurden einer choreographischen Inszenierung gleich im Betonfundament verankert und bilden eine zarte Barriere. Dem Ankommen, Sich- Zurückziehen, Sich-im-Raum-Entfalten und der Aktivität im Freien haben die Architekten eine sorgfältig auf Bewohnermentalität und Gegend abgestimmte Kulisse geschaffen. Das „Haus Isolde“ ist zwar kein Ferienhaus, aber ein Ort, in dem das Wohnen als Freizeitbeschäftigung bewusst genossen werden kann.

Der Standard, Sa., 2002.01.26



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Haus Isolde

19. Januar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Ganz privat und doch offen

Offenes Wohnen und dennoch bester Schutz der Privatheit: Dieses gegensätzliche Angebot stellt ein Patiohaus im oberösterreichischen Mühlviertel (Planung: X-Architekten) bereit.

Offenes Wohnen und dennoch bester Schutz der Privatheit: Dieses gegensätzliche Angebot stellt ein Patiohaus im oberösterreichischen Mühlviertel (Planung: X-Architekten) bereit.

Nähert man sich der in einer sanften Hügellandschaft nahe der tschechischen Grenze gelegenen Stadtrandsiedlung, fällt die „Villa 1300x1300“ (richtig geraten - der Name rührt von den Abmessungen des Hauses her) zuerst nur als hermetischer Block auf, der scheinbar über der Hangkante schwebt.

Seine dunkelgraue Farbgebung erscheint je nach Lichtstimmung manchmal auch bläulich und betont die strenge skulpturale Form noch zusätzlich. Erst oben angekommen, wird klar, dass der Quader gleichsam eine Schutzfunktion übernimmt. Wie ein schwerer Deckel liegt er auf einem Geschoß auf, das als transparenter Sockel mit durchgehend verglaster Fassade ausgebildet ist.

Die Straßenfront gibt auf den ersten Blick Rätsel auf. Eine Eingangstür ist nicht zu erkennen. Ein breites Rolltor aus lichtdurchlässigen Stegplatten schließt über die halbe Breite die Garage ab. Der Effekt: auch bei geschlossenem Tor wird es drinnen nicht finster, und abends dient das Garagenlicht auch der Vorplatzbeleuchtung. Daneben, sichtgeschützt durch einen freistehenden Abstellraum, ein mit Kunststoffgewebe bespanntes Schiebetor: Es schirmt einen der nützlichsten Räume, die ein Wohnhaus nur haben kann ab - einen Patio.

Erst von hier kommt man zur eigentlichen Eingangstür. Im Hof können Gäste begrüßt und empfangen werden, ohne ihnen einerseits das Gefühl zu geben, sie zu lange vor der Tür stehen zu lassen und sie andererseits auch nicht der Enge eines Vorraumes auszusetzen. Hier lässt sich aber auch ganz privat und von außen uneinsehbar ein Gläschen Wein trinken. Verglaste Wände sorgen für eine Interaktion von Innen und Außen und lassen so zum Beispiel im Winter das ganz unmittelbare Erleben der „hauseigenen“ Winterlandschaft zu.

Durch die Belichtung über den Hof kann der Fensteranteil nach außen gering gehalten werden. In dieser Ebene liegen im Inneren, verborgen hinter nussfurnierten Wänden und Türen, die Schlafzimmer und das Bad. Letzteres wird durch einen weiteren kleinen Patio an der hangabwärts orientierten Fensterfront ebenfalls an den Außenraum angebunden.

Ein dritter Einschnitt wurde in der zentralen Erschließungsachse vorgenommen. Über den aus Gitterrosten gebildeten Gang vor den Zimmern wirkt ein Glasband als Tageslichtspender. Die parallel dazu in den Wohnbereich hinunterführende Treppe wird von einem lichtdurchlässigen textilen Screen und einem nur an wenigen Punkten fixierten, dynamisch geschwungenen Handlauf begleitet.

Das geräumige Wohnzimmer im Gartengeschoß steht durch die Glasfassade im Dialog mit der Landschaft. Das über der Glasfassade auskragende obere Geschoß ruht auf einer X-Stütze, die auch als eine Art Bauinschrift gelesen werden kann und einen Hinweis auf die Autoren des Hauses gibt. Im Zentrum des Raumes wurde eine weitere Stütze in einer zentralen Säule, in der auch ein Kaminofen Platz fand, verborgen. Mit braunem Leder verkleidet, erhält sie den Charakter eines Möbels.

Trotz seiner großzügigen Wirkung und einem umfassenden Raumangebot ist das Gesamtvolumen der „Villa 1300x1300“ sehr kompakt. Alle Wirtschafts- und Freizeiträume wurden, teils ebenfalls bestens belichtet, im Anschluss an den Wohnraum untergebracht. Auf eine aufwändige Unterkellerung konnte verzichtet werden. Den X-Architekten ist mit einem ihrer ersten realisierten Bauten ein Haus von unangestrengter Eleganz und gleichzeitig hoher Zweckmäßigkeit gelungen. Es verbindet die Eigenschaften eines Bungalows mit jenen eines introvertierten Hofhauses und begegnet damit gut durchdacht der Problematik eines Bauplatzes in einer heterogenen Siedlungsstruktur, wo die Grenzziehung zum Umfeld oft eine der schwierigsten planerischen Herausforderungen darstellt.

Der Standard, Sa., 2002.01.19



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Villa 1300 x 1300

12. Januar 2002Franziska Leeb
Der Standard

Loft-Variationen als Psychogramme

Wie ein Raumkonzept zu einem breiten Spektrum an maßgeschneiderten Ergebnissen führen kann: Die Raumgestaltungen von „Gasarchitektur“ erzählen höchst unterschiedliche „Loftstorys“.

Wie ein Raumkonzept zu einem breiten Spektrum an maßgeschneiderten Ergebnissen führen kann: Die Raumgestaltungen von „Gasarchitektur“ erzählen höchst unterschiedliche „Loftstorys“.

Eine Aneinanderreihung von Zimmern, deren Ausmaße den in diversen Richtlinien geforderten Standards entsprechen, mag zwar zweckmäßig sein, besondere Raumerlebnisse können aber in diesem Rahmen selten geboten werden. Großzügige Räume dank konzentrierter Anordnung der Infrastruktur kennzeichnen eine Serie von Wohnungsumbauten der Architekten Feria Gharakhanzadeh und Bruno Sandbichler.

Nach der Devise „Raum im Möbel - Möbel als Raum“ werden Nebenräume, Kästen, vertikale Erschließungen, aber auch Schlafzimmer kompakt angeordnet. Dort, wo man sich die meiste Zeit aufhält, wo das Familienleben stattfindet, wo man Gäste empfängt oder seiner Arbeit nachgeht, bleibt ein überdurchschnittlich großes, frei gestaltbares Volumen mit überdurchschnittlichen Raumhöhen erhalten. Das Architektenpaar hat in den vergangenen fünf Jahren an verschiedenen Orten und für unterschiedliche Anforderungen Wohnungen und Ateliers gestaltet, die stets diese Idee der Kombination eines Großraumes mit einer kompakten dienenden Zone verfolgen.

Die Ergebnisse sind dennoch höchst variantenreich, da stets nicht nur die praktischen Anforderungen der jeweiligen Nutzer berücksichtigt wurden, sondern auch deren Lebensstil sich in den Wohnungen wiederspiegelt. Die Wohnung wird damit quasi zu einem Psychogramm ihrer Bewohner. Das erfordert eine enge Kooperation zwischen Bauherren und Architekten, aber auch viel Einfühlungsvermögen der Planer und Gespür für individuelle Eigenheiten.

Im Paula-Hof, einem ehemaligen Geschäfts- und Bürohaus (Architekt Hans Prutscher, 1912) in Wien-Neubau, in dem die beiden unter „Gasarchitektur“ firmierenden Baukünstler ihr Architekturbüro betreiben, lässt sich anhand mehrerer Wohnungsumbauten gut ablesen, wie verschieden sich grundsätzlich ähnliche Konzepte für unterschiedliche Nutzer präsentieren können.

Die Wohnung G. im dritten Stock des Hauses ist durch einen schmalen, lang gestreckten Grundriss gekennzeichnet. Schon der Projekttitel „Ökoloft“ spiegelt die Interessen der Auftraggeberin wider. Dem privaten und beruflichen Engagement in Sachen Ökologie wurde mit Einbauten aus massivem, unbehandeltem Lärchenholz Rechnung getragen. Die Wohnfläche wurde um einen Arbeitsplatz auf einem eingehängten Hochplateau, das nur von einem Holzträger und einer Stahlstange getragen wird, erweitert. Darunter ist die offene Küche untergebracht, die durch die niedrigere Raumhöhe als eigener Bereich erlebt wird. Schlafzimmer und Sanitärräume sind im Raumdrittel hinter der Treppe gebündelt.

Im gleichen Haus, in der Wohnung von Frau Dreher verbergen sich hinter einer Wand aus geölten, gewachsten Lärche-Dreischichtplatten „Secret Chambers“. In einem schmalen Schlitz führt eine Treppe über einen verglasten Aufbau auf eine Dachterrasse. Über das Treppenpodest erfolgt der Zugang zum Kinderzimmer, das als „Raumtasche“ in das Großmöbel eingeschoben wurde. Durch das Öffnen des bestehenden Daches wurde dieser Einbau einer zweiten Raumebene ermöglicht und die an und für sich nicht besonders üppige ursprüngliche Wohnfläche bestmöglich expandiert.

Bei einer weiteren Wohnung sind alle techniklastigen Bereiche wie Bad, WC, Sauna und Küche um einen Lichthof konzentriert. Spiralförmig leiten sie über eine Galerie im das Dach durchdringenden Cockpit, das für ein luftiges Flair sorgt, auf die Dachterrasse. Im Erdgeschoß des Hauses entstand in Kooperation mit dem Stuttgarter Architekten Hans-Jörg Wörle ein Atelier mit angeschlossener Wohneinheit.

Das Thema Großraum und anschließende kompakt organisierte Funktionseinheit wurde hier in einer sehr klaren, grafischen Sprache umgesetzt. Eine Collage harter Oberflächen in Nichtfarben, eine Treppe aus schwarzem, gewachsten Stahl und mit weißer Latexfarbe gestrichene Wände und Beton, werden einem betont urbanen Lebensstil gerecht.

Der Standard, Sa., 2002.01.12

22. Dezember 2001Franziska Leeb
Der Standard

Noble Strenge im Wiener Cottage

Die klare, schnörkellose Architektur eines Wohnhauses in einer attraktiven Wohnumgebung bietet auf vier Ebenen Wohngenuss.

Die klare, schnörkellose Architektur eines Wohnhauses in einer attraktiven Wohnumgebung bietet auf vier Ebenen Wohngenuss.

Als Wohnbezirk ist Währing mit seinen durchgrünten Hügellagen seit jeher attraktiv. Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts errichtete hier der von englischen Vorbildern inspirierte „Wiener Cottage-Verein“ freistehende Villen, oft mit mehreren Wohneinheiten, die noch heute als prestigereiche Adresse gelten.

Auf einem kleinen Grundstück am Rande dieses Cottageviertels plante Karl-Heinz Schwarz (Schwarz und Schwarz Architekten) eine Einfamilienvilla, die auf den ersten Blick rein gar nichts mit den oft eigenwillig ornamentierten Häusern im romantisierenden Landhausstil zu tun hat, die hier das Stadtbild prägen.

Einzig der raue Putz kann noch als minimale Reverenz an die Bauten der Umgebung betrachtet werden. Seine graue Farbgebung und vor allem die strenge kubische Form verwahren sich gegen jegliche Süßlichkeit. Nur wenig öffnet sich das private Refugium zur Straßenseite, dennoch ist seine Zugänglichkeit leichter als die der erhöht situierten und nur über schmale Treppenläufe erschlossenen älteren Häuser.

Man verzichtete auf Stützmauer und Vorgarten und legte den Eingang auf Straßenniveau. Ein hoher Zaun aus Lochblech schirmt nur ganz leicht durchlässig ab. Der Eingang wurde als hohes, quaderförmig aus der Fassade hervorspringendes Portal aus satiniertem Glas mit zarten Metallprofilen ausgebildet, das als „Lichtkörper“ sowohl Tageslicht nach innen bringt als auch nachts das künstliche Licht nach außen dringen lässt.

Die beengten Grundstücksverhältnisse verlangten ein Ausreizen der laut Bebauungsbestimmungen gültigen Regeln, um ein großzügiges Raumprogramm unterbringen zu können. Insgesamt vier Geschoße stapeln sich daher übereinander, die über ein auffälliges Treppenhaus mit Brüstungen in gelbem Stucco Lustro, Lochblech und Treppenläufen aus einem rotbraunen Holz erschlossen werden. Zur Erleichterung des Alltags verläuft sinnvollerweise parallel dazu ein Lift, der als schnelle Aufstiegshilfe rot eingehaust ist.

Da das Straßenniveau über jenem des Gartens liegt, war die Überbrückung dieses Höhensprungs ein wichtiges Thema des Planungskonzepts. Im Erdgeschoß führt der Gang als leicht geneigte Rampe direkt ins Grüne. Im ersten Obergeschoß vermitteln zwei Stufen zwischen Essbereich und dem etwas abgesenkt liegenden Wohnraum, von dem aus man über eine Stahltreppe in den Garten hinabsteigen kann.

Im Gegensatz zu den straßenseitigen, dienenden Räumen, sind die zum Garten hin orientierten Räume und Zimmer über die gesamte Raumhöhe verglast und stehen so in Verbindung zur Umgebung und geben hangabwärts den Blick auf die Stadt frei. Bekrönt wird das Haus von einem Penthouse, das von einer Terrasse umgeben ist. Es dient als zurückgezogener Wohn-und Bürobereich. Dass die Aussicht von hier aus großartig ist, versteht sich von selbst.

Den Architekten Schwarz und Schwarz gelang mit diesem Haus eine zeitgemäße Interpretation einer bürgerliche Villa, die auf die Topographie eingeht.

Der Standard, Sa., 2001.12.22



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Einfamilienvilla

01. Dezember 2001Franziska Leeb
Der Standard

Vielschichtiges Wohngewebe

Welche Möglichkeiten Wohnbau unter den gängigen Bedingungen anbieten kann, zeigt eine soeben fertig gestellte Anlage von ARTEC in Wien-Favoriten.

Welche Möglichkeiten Wohnbau unter den gängigen Bedingungen anbieten kann, zeigt eine soeben fertig gestellte Anlage von ARTEC in Wien-Favoriten.

Ihren ersten Wiener Geschoßwohnbau haben Bettina Götz und Richard Manahl, bekannt unter ARTEC, soeben fertig gestellt. Rund 400 Mietwohnungen mit Eigentumsoption birgt die Anlage der Bauherren Heimbau und GSG an der Ecke Dieselgasse/Laxenburger Straße im zehnten Wiener Bezirk. Die Gegend ist dicht bebaut, das Schulzentrum Ettenreichgasse liegt ebenso in unmittelbarer Nähe wie das Erholungsgebiet Wienerberg, Einkaufsmöglichkeiten sind vorhanden und die Anbindung mittels öffentlichen Verkehrs ist gut.

Um eine optimale Durchlässigkeit und Belichtung zu erreichen, entschieden sich die Architekten gegen eine Blockrandbebauung und stellten vier schlanke Scheiben parallel zur Laxenburger Straße. Bis auf den vordersten Baukörper, der über straßenseitige Laubengänge erschlossen wird, sind sie im Grundriss U-förmig ausgebildet und umgeben einen glasgedeckten Zwischenraum, von dem aus die Wohnungen zugänglich sind. Die Fluchten der Gangbrüstungen, Verbindungsbrücken, Treppen und Lifttürme fügen sich zu einem beeindruckenden, in der Vertikalen betonten, luftigen Innen-Außenraum. Im rechten Winkel dazu bilden zwei dreigeschoßige Balken eine verbindende Klammer.

Jener entlang der Dieselgasse verläuft eine Geschoßhöhe über Gehsteigniveau, der an der Südseite setzt auf Höhe des vierten Stocks an. Das Erdgeschoß blieb von Wohnungen frei, ist daher durchgängig und lässt eine Einbindung der Wohnsiedlung in die unmittelbare Umgebung zu.

Die Höfe sind als grüne Haine gestaltet. Neben diesen eher öffentlicheren Hof- und Gassenräumen bietet die Anlage ungewöhnlich viel Freiraum. Nicht nur, dass die Wohnungen jeweils direkt Loggien oder Terrassen zugeordnet haben - die Dachflächen der Querbalken sind begeh- und benutzbar.

Bettina Götz und Richard Mahnal schufen den Bewohnern hier hochgelegene Flächen und Terrassen mit Sitzbereichen und liebevoll konzipierten Grüninseln. So haben auch jene Bewohner, die nicht über den Luxus einer eigenen Dachterrasse verfügen, ebenfalls Gelegenheit, den Ausblick über die Stadt zu genießen. Eigengärten gibt es hier nur ganz wenige.

Die schlanken Baukörper mit nur sechs bis acht Meter Tiefe erlauben ein Querlüften der Wohnungen, die an mindestens zwei Seiten über Fenster verfügen. Die Wohnungen selbst sind, was Ausstattung und Ausführungsqualität angeht, gezwungenermaßen im üblichen Standard, aber klug konzipiert. Jene in den Querbalken sind durch ihre Helligkeit und die lang gestreckten, schmalen Grundrisse besonders attraktiv, anderswo gibt es dafür doppelt hohe Wohnräume in die noch eine Galerie eingebaut werden könnte.

Dann gibt es noch Wohneinheiten, die über einen zweiten Zugang verfügen, um ein kleines Büro oder eine Praxis von den Privaträumen zu separieren. Hat man den Arbeitsbereich nicht direkt bei der eigenen Wohnung dabei, werden als mögliche temporäre Erweiterung im Bereich der Erschließungshöfe gelegene dazumietbare Büroboxen angeboten. Trotz aller Durchlässigkeit wird aber dennoch die Privatheit nicht auf dem Präsentierteller serviert.

Die Hülle der Anlage ist von unverwechselbarer Signifikanz. Zu fein ziselierten Metall-Leichtbaufassaden, die bei Sonnenschein strahlend weiß wirken, und beigen Putzfassaden kontrastieren die robusten Betonbrüstungen mit einprägsamen Lochungen. Nur den Lifttürmen wurde ein Hauch von Farbe verliehen. In blassem Mintgrün streben sie als fast entmaterialisierte Säulen wirkend himmelwärts.

Der Standard, Sa., 2001.12.01



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Wohnbebauung ´Laxenburger Strasse´

10. November 2001Franziska Leeb
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Passivhaus trotz Regelverstoß

Auf der Jagd nach tollen Energiekennzahlen missachten manche Planer architektonische Grundregeln. Poppe*Prehal Architekten versuchen beides zu einem schlüssigen Konzept zu fügen.

Auf der Jagd nach tollen Energiekennzahlen missachten manche Planer architektonische Grundregeln. Poppe*Prehal Architekten versuchen beides zu einem schlüssigen Konzept zu fügen.

Ein kompakter Baukörper, optimal wärmegedämmt, nach Süden viel Glas, nach Norden zu, kontrollierte Wohnraumlüftung, Fenster öffnen strengstens verboten: kurzum eine langweilige Kiste mit perfekten Energiewerten. Passivhäuser können auch anders sein, wie ein Haus in der Mostviertler Gemeinde Öhling zeigt.

Das Grundstück für das umweltfreundliche Haus der Familie W. ist nach Westen geneigt, in Nord-Süd-Richtung lang gestreckt, im Westen und Südwesten von Bäumen umgeben. Keine optimalen Bedingungen, um darauf ein Passivhaus zu errichten. Die Architekten Helmut Poppe und Andreas Prehal taten es dennoch, missachteten aber zugunsten der besseren Integration in die sanfte Hügellandschaft die Passivhaus-Hauptregel, die strikte Südausrichtung, von der man allerhöchstens 20 Grad abweichen dürfte.

Schließlich sind die beiden zwar Passivhausspezialisten, aber keine Fundamentalisten. In erster Linie geht es immer noch um Architektur, erst dann kommen Energiekennzahlen, legt Helmut Poppe Wert auf die richtige Hierarchie. Ein schlüssiges Konzept könne nur aus der Kombination einer Vielzahl von Punkten entstehen und nicht aus blinder Befolgung einiger weniger Faustregeln. Und deshalb diktierte die Topographie die Ausrichtung des Hauses und daraus ergab sich eben eine Abweichung um 25 Grad von der idealen Orientierung.

Das in Holzbauweise über einem Betonfertigteil-Keller errichtete Haus erstreckt sich nun also eingeschmiegt in den Hang entlang der Straße. Während sich die Längsseiten eher geschlossen präsentieren, wurde die nun nur ungefähr nach Süden orientierte Schmalseite völlig geöffnet. Hier sind auch sieben Quadratmeter Solarkollektoren in die Fassade integriert, die zu 80 Prozent die Warmwasserbereitung sicherstellen. Der Rest wird elektrisch abgedeckt.

Die kompakte Hülle birgt zwei Dämmbereiche: einerseits die hoch wärmegedämmte Zone, den eigentlichen Passivhausbereich und andererseits den konventionell gedämmten Freizeitbereich sowie völlig ungedämmte Lagerräume und den Autoabstellplatz. Geheizt wird über die kontrollierte Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung und Luftvorwärmung in Erdkollektoren und zusätzlich eine im Lüftungsgerät integrierte Luft-Luft-Wärmepumpe. Einen Winter lang hat man schon Erfahrungen gesammelt, um auszuloten, ob eine „Reserveheizung“ notwendig ist. Resümee: Während zweier kalter Wochen musste mit einem Heizstrahler zusätzlich geheizt werden, noch kein Grund für aufwendige Investitionen.

Im Sommer hingegen sorgen kontrollierte Lüftung und Wärmedämmung für kühles Raumklima, vorausgesetzt, man lässt alle Fenster und Türen möglichst zu. Keine Rede aber davon, dass Fenster gar nicht geöffnet werden dürfen. Denn eines darf nicht sein: dass ökologisches Bauen die Lebensqualität einschränkt. Die sollte ein Passivhaus maximieren - zum Beispiel über die für das körperliche Wohlbefinden höchst zuträglichen gleichmäßigen Oberflächentemperaturen, die bei konventionellen Bauweisen nicht möglich sind.


Kosten

Was die Kosten betrifft, soll laut Poppe ein gescheit geplantes Passivhaus günstiger sein als zum Beispiel ein Niedrigenergiehaus. Man spart sich neben den laufenden Heizkosten die Heizungsanlage, das Brennstofflager und den brandbeständigen Heizraum.

Die grundsätzliche Diskrepanz zwischen Einfamilienhaus (Flächenverbrauch, Zwang zu häufigen Autofahrten) und Passivhaus ist den Architekten wohl bewusst. Weitreichend wirksam sind Passiv- und Niedrigenergiekonzepte erst in größerem Maßstab. Deshalb widmet sich das Büro auch Siedlungskonzepten in Passivhausqualität. Effizienz bei Energieeinsatz und Kosten, Ressourcenschonung und Nutzerfreundlichkeit sollen im Zusammenspiel zu einer Ökologisierung des Siedlungswesens beitragen. Das allein stehende Passivhaus ist nur eine isolierte gute Tat.

Der Standard, Sa., 2001.11.10



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Passivhaus Wöginger

20. Oktober 2001Franziska Leeb
Der Standard

Wohnzelle für Einsiedler, Asketen und Jäger

Ein Penthouse der anderen Art aus Tirol: Das Experiment, auf wie wenig Raum wie viel Funktion Platz haben kann, dürfte bei der „Mini Box“ ziemlich ausgereizt sein.

Ein Penthouse der anderen Art aus Tirol: Das Experiment, auf wie wenig Raum wie viel Funktion Platz haben kann, dürfte bei der „Mini Box“ ziemlich ausgereizt sein.

Wer die Qualität einer Wohnung von ihrer Größe mitabhängig macht, dürfte mit der kompakten Holzschachtel keine Freude haben. Die Schöpfung der Innsbrucker Architekten von der Gruppe Holz Box Tirol ist nämlich die kleinste vorstellbare Wohneinheit.

Den effizienten Umgang mit Raum haben die mittlerweile auf Holzsystembau spezialisierten (aber durchaus nicht fixierten) Planer bei zahlreichen Projekten trainiert. Und da sie alle miteinander keine Kinder von Traurigkeit sind, werden manchmal auch schrägere Gedanken verfolgt und - weil aus Spaß auch Ernst werden kann - ausgeführt. So geschehen zum Beispiel mit einer Minimalwohneinheit über den Dächern von Innsbruck.

Aus dem Obergeschoß des Dachbodenausbaus, in dem die Architekten ihrer Arbeit nachgehen, führt ein schmaler Steg auf das Miniaturhäuschen auf dem Liftturm. Reduziert auf das Wesentliche, bietet der Würfel alles, was zu einer kompletten Wohnung gehört. Dunkelbraune Betonschalungsplatten sorgen für die robuste Schale, Lärchenholzbretter für ein heimeliges Ambiente. Elektrischen Strom gibt es in der Erstausführung noch keinen.

Für harte Tiroler Wintertage ist das Kabäuschen dennoch gerüstet. In dem Tisch zwischen den beiden Klappbänken ist ein Ofen integriert. Während in der Mitte der Speck brutzelt, kann auf den ausklappbaren Tischbrettern - unter denen wiederum eine Blechwanne als Stauraum für Kleinzeug angebracht ist - schon das Brot angeschnitten werden. Öffnungen gibt es dort, wo man sie braucht, und zwar nicht zu knapp.

Ein Lichtband zieht sich von der Mitte der Decke über die Rückwand, der Bereich des Essplatzes ist bis zum Boden verglast. Drei nicht klaustrophobische Personen können in der Box nächtigen. Sanitäre Ansprüche können natürlich auch erfüllt werden. Im Schrank neben der Tür hat eine Dusche Platz, ein aus dem Stauraum daneben herausziehbares Camping-WC kann auch eingebaut werden. Liegen die Holzplatten zugeschnitten parat, können die Boxen innerhalb kürzester Zeit fix und fertig produziert werden.

An den Transport wurde ebenfalls gedacht: Von den 2,60 x 2,60 x 2,60 großen Einheiten passen drei Stück auf einen Tieflader, und sollten sie ins Hochgebirge transferiert werden, liefert der Hubschrauber. Viel Funktion auf wenig Raum, Lowtech mit hoher Effizienz, und dann noch schnell verfügbar, sobald eine logistische und produktionstechnische Grundstruktur etabliert ist. Damit wäre die Wohnschatulle aus Tirol auch für Einsätze in Katastrophengebieten geeignet.

Im Moment dient sie als gut vom Bürobetrieb abgeschirmter Satellit des Architektenateliers ruhebedürftigen Kollegen als Rückzugsort zum ungestörten Lesen, Meditieren oder Entwerfen. Beim Tiroler Holzbaupreis wurde die außergewöhnliche Schöpfung mit einem Sonderpreis in der Kategorie „Vision“ bedacht. „Gerade in dieser Minimierung kann der Werkstoff Holz seine Qualitäten ausspielen und eine Poetik des Raums erzeugen“, hieß es in der Begründung.

In den Preisrängen diverser Holzbaupreise ist das Tiroler Büro mittlerweile Fixstarter. Für eine Einfamilienhaus-Büro-Kombination bei Klosterneuburg erhielt es den Niederösterreichischen Holzbaupreis. Wichtig: Auch wenn der erste Prototyp der Minimalversion als Krone des Liftturmes etwas skurril erscheinen mag - das Minibox-System ist durchaus sinnvoll, und seine Einsatzmöglichkeiten vielfältig. In Schrebergärten könnte die schlichte dunkle Box im Vergleich zu den pummeligen Häuseln mit Pudelhaubendach ebenso für optische Beruhigung sorgen wie auf Campingplätzen. Gute Dienste kann das rasch aufzubauen- de Minimal-Maximal-Modul auch als Biwak-Schachtel oder Jagdhütte leisten.

Der Standard, Sa., 2001.10.20

13. Oktober 2001Franziska Leeb
Der Standard

Von außen das Wesentliche sehen

Fünf Jahre lang leitete Nasrine Seraji eine der Meisterklassen für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Im Gespräch mit Franziska Leeb zieht sie (Zwischen-)Bilanz über ihre Wiener Jahre.

Fünf Jahre lang leitete Nasrine Seraji eine der Meisterklassen für Architektur an der Akademie der bildenden Künste in Wien. Im Gespräch mit Franziska Leeb zieht sie (Zwischen-)Bilanz über ihre Wiener Jahre.

Nach einem halben Jahrzehnt an der Akademie der bildenden Künste legt Nasrine Seraji eine Pause ein. Sie ließ sich für (vorerst) ein Jahr karenzieren, um unter anderem an einem Buch über die Didaktik in der Architekturlehre zu arbeiten. Auf jeden Fall trägt sie zur Wiener Architektur auch mit einem gebauten Statement bei. Der Wohnbau in der Linzer Straße (für den Bauträger Mischek) ist bereits eingereicht und soll den Wiener Wohnungsmarkt mit großzügig zugeschnittenen Apartments bereichern.

Frau Seraji, wie lautet Ihre Bilanz nach fünf Jahren an der Akademie?

Nasrine Seraji: Das Schwierigste war der Übergang von einem sehr prägenden Meister, Gustav Peichl, zu meiner Auffassung von Lehre. Die Studenten waren an eine bestimmte Art der Lehre und der Beurteilung gewöhnt. Sie mussten erst lernen, dass Kritik ein Weg ist, der hilft, ein Projekt weiterzuentwickeln. Wenn man einen Entwurf diskutiert, heißt das ja noch lange nicht, dass etwas falsch damit ist. Wo es früher um das Zufriedenstellen des Meisters nach seinen Regeln der Architektur ging, findet jetzt eine Diskussion mit anderen Lehrern und Studenten auf einer anderen, öffentlicheren Ebene statt. Es war nicht leicht, das zu erreichen. Mittlerweile ist es ganz normal. In Rüdiger Lainer, der die zweite Meisterklasse leitet, fand ich einen Verbündeten. Im Kampf für neue Strukturen an der Akademie kamen uns meine Erfahrungen in der Lehre und seine Vertrautheit mit der Institution sehr zugute.

Was war und ist Ihnen dabei wichtig?

Seraji: Es war wichtig, die Einzigartigkeit der Akademie im Vergleich zu den anderen Wiener Architekturschulen herauszustreichen. Unsere Lehre soll Visionen von Architektur vermitteln. Visionen, die den Studenten ein Bewusstsein ihrer Umwelt geben und ihnen erlauben, Verantwortung dieser Umwelt gegenüber zu übernehmen.

Oft heißt es ja, die TU-Absolventen seien besser auf ihren Beruf vorbereitet als an der Akademie ausgebildete Architekten.

Seraji: Sie sind vielleicht besser auf die Praxis des Bauens vorbereitet. Ich bin mir nicht sicher, ob sie wirkliche Architektur-Denker sind. Eines der Mottos, die wir hatten, lautete, die Studenten zu lehren, gleichzeitig zu handeln und zu denken. Wenn man gelernt hat zu denken, findet man immer eine Lösung. Architektur ist eine einzigartige Art zu denken. An der Akademie haben wir die Möglichkeit zuzuhören und 1:1 oder manchmal vielleicht 4:1 in Dialog zu treten, niemals aber beträgt das Verhältnis von Studenten zu Professor 200:1. Beim Architekturstudium gelten andere Maßstäbe als beim Jus- oder Physikstudium. Auch in der Beziehung zu einem Bauherrn ist es notwendig, in einen Dialog zu treten. Die Studenten müssen lernen, was es heißt, mit Leuten zu verhandeln, denen gegenüber wir mit unseren Bauten verantwortlich sind.

Sie haben ja nicht nur die Professur an der Akademie, sondern sind auch Gastprofessorin an der Princeton University und betreiben Ihr Büro in Paris. Was ist die größte berufliche Herausforderung?

Seraji: An allen Orten ist es eine Herausforderung für mich, dass ich von außen komme. Ich bin überall Ausländerin. Das ist offenbar meine Bestimmung. Als Outsider habe ich einen anderen Überblick als ein Insider. Ich habe das Privileg, Dinge zu sehen, die jene, die zu nah am Geschehen sind, nicht bemerken.

Was ist der Unterschied zwischen Princeton und der Akademie in Wien?

Seraji: Die gesamte Größe der Princeton School of Architecture entspricht der einer Meisterschule an der Akademie. Struktur und Finanzierung sind völlig verschieden. Es konzentriert sich in Princeton alles auf die Lehre. Die Wiener Struktur hat hingegen einen doppelt so hohen Personalanteil für die Administration wie für die Lehre. Wir versuchen, das zu ändern.

Wie gut sind Ihre Kontakte zur Wiener Szene?

Seraji: Genauso wie zu der in Paris. Ich bin jemand, der sich von der öffentlichen Szenerie ziemlich fern hält. Das heißt nicht, dass ich schüchtern bin. Sie wissen, wie leidenschaftlich ich mich für etwas einsetzen kann. Aber ich möchte keine öffentliche Person sein. Das kann ich nur dann, wenn ich Position beziehen muss für etwas, das entweder für meine eigene Arbeit wichtig ist oder für meine Lehre. Ich bin aber niemand, der gern auf Partys geht und brauche daher andere, die für meine Publicity sorgen.

Im Gegensatz zu den meisten Ihrer Kollegen, die von der Konstruktion des Raumes sprechen, lautet ein immer wiederkehrendes Thema in Ihrer Arbeit „Constructing the Void“. Was meinen Sie damit?

Seraji: Das war der Titel meiner ersten Ausstellung in Wien und ist ein Thema, das mich seit langem fesselt. Ich unterscheide zwischen dem Konstruieren der Leere und dem Konstruieren des Raumes. „Raum“ hat eine sehr spezifische Bedeutung für Architekten und eine Menge anderer Bedeutungen für die Allgemeinheit. Die Leere hingegen ist ein Nichts, etwas, das nicht existiert, etwas Ephemeres. Wenn ich ein architektonisches Projekt beginne, fange ich mit nichts an. Wir haben nur eine Reihe abstrakter Rahmenbedingungen eines Programms, auf dessen Basis wir mögliche Lösungen entwickeln, Position beziehen und Antworten auf die Probleme unseres Bauherrn finden müssen. Ganz langsam nimmt - durch all die Dinge, die man hinzufügt - die Leere die Form von Raum an. Unter dem Konstruieren von Raum stellt man sich im Gegensatz dazu einen Block vor, aus dem man etwas herausmeißelt.

Sie realisieren nun Ihr erstes Projekt in Wien, einen Wohnbau in der Linzer Straße. Wie gehen Sie dort mit der Leere um?

Seraji: Diese Idee der Konstruktion der Leere existiert in allen meinen Projekten. In manchen tritt sie stärker in Erscheinung, und beim Projekt Linzer Straße gibt es eine wahre Symphonie der Leere, die hier in mehreren Formen auftritt. Hier gibt es sie zum Beispiel als extra Raum, den wir anbieten können. Das ist sehr wichtig für mich, weil diese Extras, also das, was über die reinen Bedürfnisse hinausgeht, in der Architektur immer enthalten sein müssen. Als wir im Vorjahr mit der Arbeit an dem Projekt begonnen haben, stellte ich die Frage: „Was bedeutet Luxus im Wohnbau?“ Alle stimmten dafür, dass Luxus in der Architektur „Raum“ ist. Nicht in Quadratmetern gemessen, sondern so, dass eine 75-Quadratmeter-Wohnung dem Bewohner das Gefühl gibt, 120 Quadratmeter zur Verfügung zu haben. Dann stellt sich die Frage, wie man so etwas umsetzen kann - womit man wieder bei „Constructing the Void“ wäre.

Ist Ihnen die Poesie in der Architektur ein Anliegen?

Seraji: Kommt drauf an, in welcher Form. Für mich und meine Architektur ist es wichtig, dass sie auch zu den Benutzern spricht. Der Dialog zwischen Gebäude, Bauherr und Architekt ist eine sehr private Angelegenheit in der Realisierungsphase. Später muss ein Haus diesen Dialog mit der Öffentlichkeit fortsetzen können. Dazu braucht es eine bestimmte Sprache. Irgendwie muss ein Gebäude singen können. Aber hoffentlich nicht zu laut.


[Die Langfassung dieses Interviews erschien in der September-Ausgabe des Fachmagazins „architektur“]

Der Standard, Sa., 2001.10.13

13. Oktober 2001Franziska Leeb
Der Standard

Architekten als Strategen und Initiatoren

Studenten der TU-Wien organisierten eine Konferenz über Zukunftsstrategien in der Architektur

Studenten der TU-Wien organisierten eine Konferenz über Zukunftsstrategien in der Architektur

Neue Strategien im Städtebau diskutierte vergangenen Montag eine illustre Runde im Wiener Semper Depot. Changing Strategies, so der Titel der interdisziplinären Konferenz, wurde von Architekturstudenten mit dem Institut für Hochbau und Entwerfen an der TU Wien initiiert. Peter Kraljic, von der Beraterfirma McKinsey-Düsseldorf machte schnell klar, wie es läuft: Die Finanzmärkte geben die Regeln vor, wer sich nicht darauf einstellt, verliert. Das gilt nicht nur für Firmen, sondern auch für Städte und Regionen. Die Kultur einer Stadt zeichnet sich auch in ihrer Planungspraxis ab, behauptet Joost Schrijnen, Stadtplanungsdirektor in Rotterdam. Horizontale Planung unter Miteinbeziehung möglichst vieler Parteien statt hierarchischer Prozesse bündelt Wissen und Visionen. Und: Der selbstbewusste Umgang mit Geschichte und Zukunft verrät viel über das Selbstverständnis einer Stadt.

Florian Beigel, Architekt in London und Leiter der Architecture Research Unit an der Architekturschule der University of North London und sein Partner Philip Christou begegnen in ihren Städtebaukonzepten marktabhängigen Veränderungen mit Landschaftsinfrastrukturen. Sie arbeiten die Geschichte eines Ortes heraus und versuchen architektonische Qualitäten von Bestand zu schaffen. Der Verzicht auf ein definiertes Programm lässt Möglichkeiten offen. Eine Stadtlandschaft nach diesen Regeln plant das Büro zurzeit in Berlin-Lichterfelde. Architekten können Prozesse in Gang setzten, weiß Roger Riewe, seit kurzem Professor für Hochbau an der TU Graz. Ein Beispiel ist das grenzüberschreitenden Projekt Graz-Maribor. Was Politikern aus wahltaktischen Gründen zu heiß ist, müssen andere initiieren. Dennoch, es braucht Politiker die sich für eine Sache einsetzen, sowie positive Energie, weiß der Holländer Schrijnen aus eigener Erfahrung. Städten, in denen negative Entwicklungsszenarien gezeichnet werden, kommt der Niedergang automatisch.

Ein leidenschaftliches Plädoyer für „Community Arts“ trug die britische Kunst- und Medienvermittlerin Sylvia King vor. Selten sind Architekten bereit, Planungsprozesse mit gründlichen Debatten zu beginnen sowie berufs- und standesimmanente Vorstellungen über Bord zu werfen und damit Teil einer kulturellen Demokratie zu werden. Das Verändern von Standpunkten schafft neue Ansichten, weiß auch der Künstler Norbert Brunner. Wenig Veränderungswillen kann Architekturprofessor William Alsop in Wien erkennen und fragt im gleichen Atemzug, wie es sich eine Stadt leisten könne, dass die Herren Holzbauer, Peichl und Hollein über Jahrzehnte die Szene beherrschen. Das größte Problem der Architektur seien die Architekten selbst. Offenheit und die Einbeziehung der künftigen Nutzer in den Entwurfsprozess sind Voraussetzungen für eine zeitgemäße Architektur.

Der Architekt muss thematisieren, kommunizieren und integrieren. Bauten, die aus solchen Prozessen hervorgehen, sind imstande, Identität zu schaffen und Menschen positiv zu stimulieren. Wie sehr Architektur das soziale Gefüge einer Stadt mitbestimmen kann, zeigte ein Film über Alsops Bibliothek in London-Peckham. Sie ist ein offenes Haus und Treffpunkt für alle Bevölkerungsschichten. Kein Bildungsbunker, wie man es hierzulande gern hat.

Der Standard, Sa., 2001.10.13

13. Oktober 2001Franziska Leeb
Der Standard

Flächen, Kanten, Öffnungen - Lebensraum

Wenn Bauherren wissen, was sie wollen, sind die Architektinnen dennoch nicht zu Erfüllungsgehilfinnen degradiert. Christa Buchinger und Judith Eiblmayr übersetzten Bewohnerwünsche in eine stimmige Komposition mit vielen Feinheiten.

Wenn Bauherren wissen, was sie wollen, sind die Architektinnen dennoch nicht zu Erfüllungsgehilfinnen degradiert. Christa Buchinger und Judith Eiblmayr übersetzten Bewohnerwünsche in eine stimmige Komposition mit vielen Feinheiten.

Sorgfältige Planung macht sich bei vielen Häusern schon beim Entree bemerkbar. Wie bei jenem Einfamilienhaus, das Christa Buchinger und Judith Eiblmayr mit viel Sinn für den Ort und seine Bewohner in eine Mödlinger Siedlungsgegend gesetzt haben. Der Zugang ist leicht verschwenkt. Nach einer kleinen Stufenanlage, an der man sich auch niederlassen kann, führt auf einer Galerie über dem tieferliegenden Vorhof ein steingepflasterter Weg zum Eingang.

Oberlichten und ein transparenter Seitenstreifen signalisieren zwar einerseits Durchlässigkeit, grundsätzlich ist diese Eingangslösung aber eine, die der Privatheit entgegenkommt.

Schon an der Straßenfassadebegegnet einem eine Kurzfassung des Repertoires, das sich im Inneren ausführlicher und konsequent wiederfindet. Fenster- und Wandflächen sind durch die grafisch wirkenden zarten Holzprofile der Rahmen fein säuberlich getrennt. Wo Blickschutz vonnöten - wie im erdgeschoßig liegenden Arbeitszimmer - kam emailliertes Glas zum Einsatz. Der ockerfarbene holländische Backstein, der dort verwendet wurde, wo das Kellergeschoß aus der Erde ragt, gibt dem Haus Bodenhaftung. Der Rest ist klassisch weiß und markant ausformuliert.

Durch- und Ausblicke jeglicher Art sind ein Merkmal der Wohnzone im Erdgeschoß. Da wäre die Blickachse von der Diele zum Garten, die eine gewisse Großzügigkeit und Offenheit vermittelt, aber auch das Stiegenhaus mit dem zarten Stabgeländer, durch das Licht in die Tiefe dringt. Herz des Hauses ist das an die Diele angrenzende Esszimmer, das mit der von zwei Seiten begehbaren Küche zwar durch eine Tür verbunden, aber mit einer fein gearbeiteten Schrankwand getrennt ist.

Zwei Stufen höher gelegen schließt als Gegenpol zum eher geborgen gelegenen Speisezimmer das Wohnzimmer an. In der Art einer Sala terrena öffnet es sich zum Garten und stellt auch die optische Verbindung zum Grünen her. Eine höchst behagliche Besonderheit dieses Raumes ist die als Erker mit Lichtband konstruierte Nische mit gepolsterter Bank.

Im gemütlichen Sitzen oder Liegen gibt der schmale Fensterstreifen hier den Blick in den Himmel oder die Sträucher des Gartens frei und bringt zusätzlich angenehmes Streiflicht über die ansonsten fensterlose Wand. Ein praktischer Nebeneffekt dieser Art der Raumerweiterung ist, dass mit dieser den Boden nicht berührenden Auskragung die Wohnfläche über die bebaubare Fläche ausgedehnt werden konnte.

Das Obergeschoß ist als privates Rückzugsgebiet den Schlaf- und Badezimmern vorbehalten, die sich um eine große Diele gruppieren. Große Fenster und ein Balkon stellen aber auch hier den Konnex zum Garten her. Besonderes Augenmerk wurde auf die Außenräume gelegt. Neben dem tiefer gelegenen Vorhof gibt es eine von der Küche aus zugängliche und gegenüber dem Gartenniveau etwas abgesenkte Ostterrasse als privatesten Freiraum. Über eine Außentreppe ist sie mit dem Vorhof verbunden.

Das Haus ist perfekt auf die Bedürfnisse seiner Bewohner abgestimmt. Wenn ein Nutzer weiß, was er will und braucht, ist es Sache der Architekten, diese Bedürfnisse so gut wie möglich zu erfüllen. Oft genug fällt es jedoch Bauherren schwer, genaue Anforderungen zu formulieren. Dann ist es auch Sache eines einfühlsamen Architekten herauszufinden, was notwendig ist. Der verkehrte Weg ist es, einem Bauherrn einen Lebensstil aufzuzwingen.

Christa Buchinger und Judith Eiblmayr hatten es bei diesem Haus in Mödling mit mündigen Auftraggebern zu tun, die es gut verstanden, ihre Wünsche an ein Haus zu formulieren. Die beiden Architektinnen haben diese Wünsche in ein sehr sorgfältig gesetztes Raumgefüge übertragen und gut veranschaulicht, welchen Mehrwert verantwortungsbewusste Planung zu leisten imstande ist.

Der Standard, Sa., 2001.10.13



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Haus P.

06. Oktober 2001Franziska Leeb
Der Standard

Eine Wohnung wie ein Haus

Auch in mittelgroßen Städten gewinnt das Wohnen im Dach zunehmend an Bedeutung. Ein Beispiel aus Krems von Franz Schartner (mit Peter Achhorner).

Auch in mittelgroßen Städten gewinnt das Wohnen im Dach zunehmend an Bedeutung. Ein Beispiel aus Krems von Franz Schartner (mit Peter Achhorner).

Allerorts wird zwar längst die Verdichtung propagiert, praktiziert wird trotz allem weiterhin die Zersiedelung. Nicht nur, weil Baugrund in manchen attraktiven Gegenden knapp und teuer ist, sind flächenschonendere Alternativen immer mehr gefragt.

Der Verzicht auf das Eigenheim im Grünen erspart auch - von der Allgemeinheit zu tragende - Erschließungs- und Entsorgungskosten, sowie lange Autofahrten zur Erledigung der alltäglichen Wege.

Besonders evident wird diese Problematik im Umkreis der Städte. Auch in Krems gibt es die als Bauplatz hochattraktiven Hänge mit Blick zur Stadt. Wenn es dazu nicht reicht, tun es auch die etwas preiswerteren Gründe am Rand der ländlichen Nachbargemeinden; Hauptsache, man bringt es irgendwann zum eigenen Haus.

Für eine Familie, die um die Vorteile eines geräumigen Hauses weiß, plante nun Architekt Franz Schartner gemeinsam mit Peter Achhorner eine vernünftigere Alternative in einem Dachboden nahe dem Kremser Stadtpark. Als repräsentative Wohnstatt ohne neuen Grundverbrauch sind ausgebaute Dächer alter Mietshäuser in vielen Städten längste Zeit üblich und bei einer urban eingestellten Klientel sehr begehrt ist.

In Krems hat diese Wohnform noch Seltenheitswert, gewinnt aber an Bedeutung, wie die Dachlandschaft der Stadt an der Donau bei genauer Betrachtung erkennen lässt. Manche davon führen anschaulich vor, dass unter städtischen Dächern durchaus großzügige Raumschöpfungen entstehen können.

Die von Franz Schartner nach der Devise, nur das Notwendigste zu tun, geplante Wohnung, tritt an der Straßenseite des dreigeschoßigen Wohnhauses nur über eine breite, schlichte Gaupe in Erscheinung. „Nur das Notwendigste“ bedeutete dennoch weitaus mehr, als bloß einige Öffnungen in die Dachhaut zu stanzen und das zur Verfügung stehende Volumen mit Gipskarton auszukleiden.

Der bestehende Dachstuhl des Haupttraktes blieb erhalten, nur ein zum Hof hin angebautes Pultdach über einem kleinen Seitentrakt wurde entfernt, um das Satteldach als Grundform klarer zur Geltung zu bringen und um Terrassenfläche zu gewinnen.

Den Bauherrenwunsch nach einer flurlosen Wohnung mit möglichst wenigen Zimmern löste Schartner mit einem großen straßenseitigen Mehrzweckraum. Der durch die Dachkonstruktion in vier Felder geteilte multifunktionale Wohnraum wurde durch Anheben des Fußbodenniveaus über die mittleren zwei Felder mittels einer neuen Tramdecke strukturiert. Die bestehenden Kaminwände schirmen die dem Hof zugewandten Schlafzimmer ab. An der Spitze des halbrunden Stiegenhausturms liegt das neue Bad, das nach außen mit einer Fassadenverkleidung aus Alu-Wellblech kenntlich gemacht ist.

Die Materialwahl - dünne Dachschindeln statt schwerer Ziegel sowie Metall und Glas - und subtil ausgebildete Details sorgen für optische Leichtigkeit der neuen Hülle.


Holzböden

Im Kontrast zu diesen harten, kühlen Oberflächen kam an den „fühlbaren Flächen“, also an den Böden sowohl innen wie auch außen, Holz zum Einsatz.

Das effiziente Energiekonzept kommt ohne spektakuläre Maßnahmen aus. Die Kombination aus passiver Sonnenenergienutzung, solarer Brauchwassererwärmung, hochwertiger Wärmedämmung und Raumheizung via Gasbrennwertgerät und Wandheizung macht das Projekt aus ökologischer Sicht doppelt sinnvoll.

Neben den Vorteilen des innerstädtischen Wohnens vereint dieses Dach auch viele Bonuspunkte eines freistehenden Hauses, wie ausreichend Freiraum, Aussicht und eine bestimmte Solitärqualität ohne die bekannten Nachteile in Kauf nehmen zu müssen.

Der Standard, Sa., 2001.10.06



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Dach Aichinger

21. Juli 2001Franziska Leeb
Der Standard

Gebaute Zwischenräume

Die Sieger des Wettbewerbes Europan 6 stehen fest. Die Pläne haben sogar beste Chancen auf Realisierung.

Die Sieger des Wettbewerbes Europan 6 stehen fest. Die Pläne haben sogar beste Chancen auf Realisierung.

Unter dem Titel „stadt-land-schafft“ schickten Anna Popelka und Georg Poduschka ihren Beitrag zum sechsten Europan-Wettbewerb für Architektinnen und Architekten unter 40. Sie haben nun beste Aussichten, das Projekt auch bald realisieren zu dürfen.

Mit ihrem Plädoyer für individuelle Lösungen anstatt blinden Vollzugs allgemeiner Bauregeln überzeugten sie die für die drei österreichischen Standorte Wien, Villach und Graz zuständige Jury (Vorsitz: Klaus Kada; Nasrine Seraji, Joost Meuwissen, Thierry Verdier, Angela Bulloch, Peter Sloterdijk, Wolfgang Krejs, Hartmut Spiluttini, Johannes Voggenhuber). Zum europaweit ausgeschriebenen Thema „Zwischenorte - Architektur im Prozess zur urbanen Erneuerung“ standen in 67 Städten Grundstücke zur Verfügung, Bereiche in einer Zone zwischen den historischen Stadtkernen und der Peripherie, Gegenden, die von neueren Entwicklungen überrollt wurden.

Den Wettbewerb um den Standort Graz entschied das Laibacher Team Ofis Architects (Rok Oman und pela Videcnik) mit einer grünen „Curly Landscape“. Sehr bemerkenswert der Beitrag für Villach vom Team der Berliner Architektin Zeynep Ay¸se Hicsasmaz. Ausgehend von der These, dass die Zwischenräume einer Stadt nicht nebuloses Niemandsland sind, setzt sie diese Leerräume als strukturierendes und planendes Element ein. Der Beitrag „Draußen im Haus“ positioniert das Wohnen und Leben in der Stadt in einem neuen Kontext und versucht auch Aspekte aus der natürlichen Landschaft in eine dichte Stadt überzuführen.

Popelka und Poduschka (PPAG) schnitzten aus dem auf dem Grundstück an der Fickeystraße in Wien-Simmering maximal möglichen Volumen jene Teile weg, die den Lichteinfall auf die benachbarte Bebauung beeinträchtigen können, und gewinnen daraus eine dreidimensionale Figur, in die sie ihre Stadtlandschaft auf mehreren Ebenen implantieren. Einschnitte bringen Licht in das Innere und bilden Canyons und Plazas. Ihr Ansatzpunkt ist die wahrnehmbare Stadt, in der Häuser künstliche Berge sind, zwischen denen sich die Straßenschluchten schlängeln. Der vorgesehene Nutzungsmix deckt fast alle Funktionen ab, die es in einem belebten Quartier braucht: Büros, öffentliche Einrichtungen, Läden, Cafés und Wohnungen, die an den attraktivsten Stellen angesiedelt werden sollen.

Das klingt alles zu schön, um wahr zu sein, und doch ist die Realisierung so sicher wie noch nie zuvor bei einem österreichischen Europan-Siegerprojekt. Bereits im Vorfeld kooperierte man nicht, wie sonst üblich, mit der Stadt, sondern mit einem Bauträger. Die Firma Mischek stellte das Grundstück zur Verfügung, finanzierte den Wettbewerb und gab die Absichtserklärung, das Projekt zu realisieren. Und alle Vorzeichen deuten auch nach Abschluss des Wettbewerbs auf Umsetzung hin. Michaela Mischek ist Feuer und Flamme für das Projekt, auch die Verantwortlichen der Stadt Wien signalisierten Zustimmung.

Damit dürfte das PPAG-Projekt vom Schicksal früherer Europan-Projekte verschont bleiben. Insgesamt sieben - je eines in Wien und Klagenfurt, der Rest im Europan-Österreich-Sitz Graz - wurden bisher seit 1989 realisiert, in Umfang und endgültiger Ausführung meist stark vom ursprünglichen Konzept abweichend. Die Lösung, von Anfang an mit einem Bauträger zu kooperieren, der willens ist, avantgardistische Beiträge junger Architekten zu realisieren, dürfte die zielführendere sein.

Um Kommunikation und Verfahrenspraxis besser zu strukturieren, soll der neu gegründete Forschungsverein Habitat 2000 plus das Wettbewerbsverfahren als „intelligenter Mediator“ begleiten. Wünschenswert wäre es, wenn diese Begleitung bei Projekten mit experimentellem Charakter über den Zeitpunkt der Fertigstellung hinausginge, um endlich wissenschaftlich fundierte Aussagen über das Funktionieren neuer Wohn- und Städtebaukonzepte getroffen werden könnten. Auf dieser Basis könnten künftige Wettbewerbsziele trefflicher formuliert und gegenüber potenziellen Bauherren besser argumentiert werden. Hunderte von Jungarchitekten, die bei Gelegenheiten wie diesen Talent, Zeit und Geld investieren, werden es danken.

Der Standard, Sa., 2001.07.21

25. April 2001Franziska Leeb
Der Standard

Gut geplant und schnell gebaut

Nur ein halbes Jahr durfte es vom Entwurf bis zur Fertigstellung eines Wohnhauses in Tirol dauern. Architekt der schnellen Nummer ist Wolfgang Pöschl.

Nur ein halbes Jahr durfte es vom Entwurf bis zur Fertigstellung eines Wohnhauses in Tirol dauern. Architekt der schnellen Nummer ist Wolfgang Pöschl.

Neben einer neuen Veranstaltungshalle und einem Skistadion zählt der Bahnhof zu den baukünstlerisch bemerkenswerten öffentlichen Gebäuden, die anlässlich der alpinen Skiweltmeisterschaft in St. Anton entstanden sind.

Die Verlegung der Bahnstation vom Ortszentrum an die Peripherie des Nobeltourismusortes war aber nicht nur ein in die Struktur und das Ortsbild eingreifender Akt, sondern veränderte auch das Leben der jungen Hoteliersfamilie Falch völlig. Ihr Gasthof war der einzige Betrieb, der zugunsten des neuen Bahnhofes aufgelassen werden musste. Innerhalb kürzester Zeit musste also zuerst eine neue Wohnstatt und danach auch eine neue berufliche Lebensgrundlage geschaffen werden.

Eine der Vorgaben für den künftigen Architekten war die knappe Zeit, in der das Unterfangen vonstatten gehen musste und so war die Zusage der Einhaltung einer Planungs- und Bauzeit von einem halben Jahr eines der wichtigsten Kriterien für die Architektenauswahl. Zur Erklärung: Im Normalfall dauert allein die Planung länger. Wolfgang Pöschl, neuen Aufgaben gegenüber stets offen und ein Architekt, dem Routinearbeit zuwider ist, wagte sich an das vom Termindruck bestimmte Unterfangen.

Im Juni 1999 präsentierte er seiner Bauherrenfamilie den Entwurf. Zu Weihnachten war das Haus bereits bezogen. Trotz der gebotenen Eile ist das Resultat kein alltägliches, und dass es sich von seinen Nachbarn ziemlich unterscheidet wäre vielleicht überflüssig zu erwähnen. Ob hier eine Trafostation gebaut würde, unkten einige sogar. Nun, dickes Gemäuer, kleine Fensterluken, ein mächtiges Dach und ein bisschen Schnitzwerk für das Gemüt sind Bestandteile, die im Aallgemeinen zum Bild eines (Wohn-)Hauses in den Bergen zählen.

Dass es heute allerdings Gläser gibt, die großflächig angewendet, die, gleichen oder bessere bauphysikalische und konstruktive Eigenschaften aufweisen als so manches Mauerwerk, wird ebenso ignoriert wie die Tatsache, dass es Bauweisen gibt, die das Häuschen schneller fertig werden lassen als die traditionelle „Stein auf Stein“-Methode. Pöschl integrierte das Wohnhaus der Familie Falch geschickt in das Hanggrundstück. Zur Straße hin erhebt sich nur ein Geschoß, ein großes Flugdach überdeckt den Eingang und erspart die Garage.

Hangseitig folgen die beiden Geschoße abgetreppt dem Gefälle. Im Winter sind die horizontalen Flächen schneebedeckt, im Sommer sorgen Gründächer für eine ausgezeichnete Integration in die Landschaft. Den Nachteil der Nordorientierung des Grundstücks machen die großen Glasflächen zu den Terrassen an der Gartenseite und ein Oberlichtkasten, der sich mittig über die gesamte Länge der Dachfläche zieht, wett. Ein zusätzlich unter dem Oberlicht angebrachtes Spiegelband reflektiert das Südlicht in die Tiefe und lässt selbst an grauen Tagen keinerlei Düsternis aufkommen.

In der Eingangsebene befindet sich das Reich der beiden Kinder, deren Zimmer jeweils als besonderes Zuckerl mit einer kleinen „Hochebene“ über der Tür ausgestattet sind. Eine einläufige Treppe führt vom Eingangsbereich durch den Luftraum in die Wohnzone darunter, begleitet von einem großen Wandbild des Künstlers Martin Eiter. An der in den Hang „eingegrabenen“ Haushälfte liegt auch ein 40 m² großes Zimmer, das zum Spielen genauso gut geeignet ist wie als Partyraum; dank eines Lichtschachtes bleibt der Raum nicht dunkel. Kurzum, schlecht getan hat die schnelle Aktion der Qualität des Hauses nicht.

Das Ergebnis steht im Widerspruch zur Regel, dass nur eine lange Planungszeit zu einem reifen Ergebnis führt. Mit Routine und Entschlossenheit und vor allem mit Bauherren, die dem Architekten vertrauensvoll gegenüberstehen, gelang ein Haus, das für den Ort und seine Bewohner maßgeschneidert ist. Die Falchs fühlten sich so wohl, dass Pöschl auch beauftragt wurde, ihr Hotel im Ortszentrum zu errichten.

Der Standard, Mi., 2001.04.25



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Hotel Anton

21. März 2001Franziska Leeb
Der Standard

Spiegelbilder in Fensterläden

Auf den ersten Blick erscheint die Wohnanlage im vorarlbergischen Lochau von Architekt Christian Matt spartanisch schlicht. Bei genauerem Hinsehen erschließen sich jedoch Feinheiten von zarter Poesie.

Auf den ersten Blick erscheint die Wohnanlage im vorarlbergischen Lochau von Architekt Christian Matt spartanisch schlicht. Bei genauerem Hinsehen erschließen sich jedoch Feinheiten von zarter Poesie.

In Gegenden, wo bislang Ein- und Mehrfamilienhäuser dominierten, bedarf es sorgfältiger Überlegung, wie man mit dem eher städtisch besetzten Gebäudetypus Geschoßwohnungsbau formal reagiert. Versucht man mit Holzfassaden einen Konnex zur Landschaft und zur Ländlichkeit herzustellen oder ignoriert man örtliche Traditionen völlig?

Architekt Christian Matt wählte für die neue Wohnbebauung in Lochau einen Weg, der nur auf den ersten Blick so aussieht, als ignorierte er rundum Gewachsenes völlig. Zwei strenge Quader mit elfenbeinfarbener Eternit-Fassade stehen einander gegenüber. Horizontal gegliedert wird die Hülle von den Fensterreihen, innerhalb derer sich herkömmliche Fensterflügel, transparente Loggienverglasungen und schwarze Schiebegläser, die die Funktion von Fensterläden übernehmen, abwechseln. Das Motiv der Fensterläden entlehnte Matt den Häusern der Nachbarschaft, wo hölzerne Läden den schon durchaus städtischen Mehrfamilienhäusern einen rustikalen Hauch verleihen.

Das Schwarz der bündig in die Fassade gesetzten Glasläden wurde in Streifen mit geringen Abständen per Siebdruck aufgebracht. Von innen nach außen bleibt das Glas leicht durchsichtig, von außen erscheint es völlig schwarz und verhindert jeden Einblick. Im Laufe der Tages-und Jahreszeiten und je nach Stellung der dunklen Gläser liefert die Fassade unterschiedliche Bilder der sich spiegelnden Umgebung und erzählt stille Geschichten aus der Nachbarschaft. Sind alle Läden geschlossen - was in der Praxis allerdings so gut wie nie vorkommt - wird die Fassade zur scheinbar völlig glatten Haut aus hellen und dunklen Rechtecken. Innerhalb dieser neutralen Hülle arrangierte Matt einen vergleichsweise flexiblen Inhalt, der offene Grundrisslösungen ebenso zulässt wie die Unterteilung in einzelne Zimmer.

Die geräumigen breiten Loggien werden von den Bewohnern als luftiger Aufenthaltsraum geschätzt. In den Stiegenhaus- und Gangbereichen konnte das rigorose Farb- und Formkonzept, das sich an der Fassade in den Farben und der Strenge einer Klaviertastatur abbildet, durchgehalten werden. Gut gelöst ist die natürliche Belichtung der Gänge: An den Enden sind Segmente des Bodens jeweils aus Gitterrosten ausgeführt, die das durch die Fenster einfallende Tageslicht in die Tiefe verteilen.

Ein klares Konzept ohne Schnickschnack, das hinter den Wohnungstüren individuelle Lösungen zulässt, und gleichzeitig in seiner Gesamtheit und Wirkung nach außen von einer besonders für den Sozialen Wohnbau erstaunlichen Sorgfalt ist.

Der Standard, Mi., 2001.03.21



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Wohnanlage

07. Februar 2001Franziska Leeb
Der Standard

Gezähmte Grandezza

Auf Pomp und Trara konnte Architekt Hans Gangoly bei einem Haus in Graz verzichten. Dass es dennoch auffällt, hat mit der geschickten Inszenierung des Unauffälligen zu tun.

Auf Pomp und Trara konnte Architekt Hans Gangoly bei einem Haus in Graz verzichten. Dass es dennoch auffällt, hat mit der geschickten Inszenierung des Unauffälligen zu tun.

Die Hänge des Grazer Stadtteils St. Peter zählen zu den begehrtesten Wohnlagen der steirischen Landeshauptstadt. Manche davon wurden erst innerhalb des letzten Jahrzehntes erschlossen und zeigen das unglaublich breite Spektrum des (Un-)Möglichen. Von Homogenität keine Spur. Aus baukünstlerischer Sicht Wertvolles, angestrengt trendig Wirkendes, unsägliche Minischlösser und Anwesen, die offenbar von Ferienclubs in der Dominikanischen Republik inspiriert sind, stehen Parzelle an Parzelle. Aus diesem Sammelsurium der Trends und Geschmäcker herauszustechen ist nicht leicht.
Ein Haus fällt dadurch auf, dass kein Versuch unternommen wurde, aufzufallen. Es stammt vom Grazer Architekten Hans Gangoly, der mit dem nobel zurückhaltenden Bau „eine Geschichte über die klassischen Themen des Einfamilienhausbaues“ erzählen möchte. Schlagworte wie der Bezug zwischen Innen- und Außenraum, das Haus als Bühne des Lebens, Offenheit und Geborgenheit spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Manifestation einer bestimmten Lebenseinstellung.

Das steile, nach Südosten Richtung Stadt und Grazer Becken abfallende Hanggrundstück und die alleinige Erschließungsmöglichkeit von unten, lieferten schon maßgebliche Parameter für die Konzeption. Sowohl die attraktive Aussicht, Straße und Zugang an einer Seite boten einen guten Grund, das Wohnhaus selbst so weit wie möglich zurückzusetzen. Neben der Garage, deren Dach zugleich als Terrasse für eine im Erdgeschoß untergebrachte Einliegerwohnung ist, führt eine steile Treppe zum Eingang. Im Erdgeschoß befind et sich als Angelpunkt eine großzügige Eingangshalle, deren Luftraum bis zum Dach reicht. Ein rechteckiger verglaster Dacheinschnitt substituiert ein ebenfalls in Betracht gezogenes Atrium. Die weiße Lamellendecke wirkt wie ein Weichzeichner für das einfallende Licht.

Das Obergeschoß entwickelt sich um den Luftraum der Diele und ist in einen „privaten Rücken“, den Zimmertrakt, und einen „offenen Bauch“ zoniert. Dennoch sind Küche und Wohnraum nicht als typischer Einraum konzipiert, sondern trotz des Verzichts auf Raumteilung in Bereiche von verschiedengradiger Offenheit gegliedert. Auch im Freien entstanden dank breiter Deckenauskragungen geräumigen Terrassen auf beiden Ebenen sowie im völlig zurückgezogenen Gartenhof an der Rückseite des Hauses Freiräume von unterschiedlicher Intimität. Sympathisch wirkt das sowohl innen als auch außen durchgezogene Farbkonzept aus gebrochenem Weiß, sowie Beige- und Grautönen. Sie sorgen für einen dezenten Hintergrund und für eine weiche Lichtstimmung. Reinweiße Fläche gibt es keine.

Viele Einfamilienhäuser können es aufgrund falsch gesetzter Wertigkeiten, mangelhaften Raumverständnisses oder oft auch durch ökonomische Zwänge bedingt in punkto Lebensqualität bei weitem nicht mit einer gut konzipierten Wohnung im Geschosswohnbau aufnehmen. Ihr einziger Pluspunkt bleibt ein fragwürdiges „My-Home-is-My-Castle-Gefühl“. Es ist daher bemerkenswert, wenn der - bestens im Bewohnen großer Häuser erfahrene - Bauherr an seinem neuen Haus sehr schätzt, dass er es „wie eine Wohnung bewohnen kann“. D azu gehört der große Vorteil des Wohnens auf einer Ebene oder der kaum pflegebedürftige Außenraum, kurzum - alle Beschwerlichkeiten, die das Wohnen in einem großen Haus üblicherweise mit sich bringt, fallen hier weg. Dennoch handelt es sich hier um kein kleinliches Einfamilienhaus, sondern um eine recht erwachsene Villa, die es nicht nötig hat, sich mit aufwendigen Eyecatchern

Der Standard, Mi., 2001.02.07



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Haus A.

24. Januar 2001Franziska Leeb
Der Standard

Gratwanderung: Alt und Neu

Klug und feinfühlig agierten die Architekten Feria Gharakhanzadeh und Bruno Sandbichler beim Umbau einer Pension im Zillertal.

Klug und feinfühlig agierten die Architekten Feria Gharakhanzadeh und Bruno Sandbichler beim Umbau einer Pension im Zillertal.

Von Anfang an war das im Jahr 1910 errichtete Blockhaus in Lanersbach als Gästehaus geführt worden und damit einer der ersten Beherbergungsbetriebe der Umgebung. Es wurde danach noch etwas verändert und aufgestockt, das strenge Rasterkonzept mit vier mal vier Meter messenden Zimmern, einer Gangbreite von zwei Metern und zehn Zentimeter starken Wänden blieb aber bis heute erhalten und wurde auch von den Architekten Sandbichler und Gharakhanzadeh, die 1998 mit der Modernisierung des Anwesens betraut wurden, weitergeführt. Gäste-und Privatzimmer waren derart ineinander verschränkt, dass familiäre Privatheit nahezu unmöglich war.

Mit der Neuübernahme des Hauses sollte vor allem diese unbefriedigende Situation gelöst werden, weiters die drei Gästeapartments mit Bädern versehen und zwei getrennte Wohneinheiten für den Hausbesitzer und den jungen Bauherrn eingerichtet werden. Eine heikle Aufgabe für jeden Architekten, diese Gratwanderung zwischen zeitgemäßer, gebäudegerechter Neuadaption und leicht missverständlichem Rustikal-Look zu meistern.

Den beiden Architekten, die bereits seit einigen Jahren hauptsächlich in Tirol tätig sind und seit Eröffnung eines Bürositzes in Wien auch hier verstärkt auf sich aufmerksam machen, ist es aber gelungen, nicht ins bloße Zitieren abzugleiten. Um eine schalltechnische und funktionelle Trennung zwischen Privatbereich und Gästetrakt zu gewährleisten, teilten sie das Haus kurzerhand in zwei Hälften. Der Hausbesitzer kann weiterhin seinen gewohnten Haupteingang benützen und verfügt über den Mittelgang sowie Räumlichkeiten in Erd- und erstem Obergeschoß.

Die zweite Wohneinheit umfasst einen würfelförmigen Anbau an der Rückseite des Hauses und weitere Räume im Obergeschoß des Altbaues. Für die drei übereinander liegenden Gästeapartments wurde eine eigene Erschließung über ein an der Rückseite zu betretendes Stiegenhaus geschaffen. Die ursprünglich mit roten gerundeten Holzschindeln verkleidete, sanierungsbedürftige „Vorarlberger“ Fassade wurde durch eine für Tirol typische Variante mit gerade geschnittenen Kanten aus unbehandelter Lärche ersetzt. Statt der alten Kastenfenster kamen neue mit geringeren Profilstärken, weniger Teilungen und daher mehr Lichtdurchlass. Die Balkone folgen formal jenen der ganz alten Zillertaler Bauernhäuser und nicht dem geschnitzten Kitsch, wie er mittlerweile längst üblich ist. An diese zwar neu hergestellte, aber historischen Mustern gehorchende Lochfassade am Altbau wurde der Zubau angeschlossen. Im Gegensatz zum Blockbau entschied man sich für einen Holzriegelbau mit Fertigteilwänden, der innerhalb von zwei Tagen montiert war. Die großflächigen Fenster wurden rahmenlos in die ebenfalls geschindelte Fassade eingeklebt. Das hiermit behandelte moderne Thema der Gebäudehaut hebt den Zubau von der plastischen Lochfassade des Bestandes ab.

Im Inneren wurden die Zirbenstuben erhalten und durch neue Einrichtungselemente ergänzt. Auch hier gilt: modern und doch traditionell. Einfache Bänke vor den Fenstern verstecken gleichzeitig die Heizkörper, verlängerte Gardinenstangen sind auch zum Aufhängen der Skibekleidung nützlich.

Im Rahmen der Verleihung des Staatspreises „Tourismus und Architektur 2000“ wurde dieser sensibel gelöste Umbau der Pension Wechselberger in Lanersbach (Gemeinde Hintertux) daher auch mit dem Preis in der Kategorie „Revitalisierung“ gewürdigt. Gut, dass der Bauherr den Ratschlägen von „Baufachleuten“, die für Abriss und Neubau plädierten, nicht folgte, sondern sich ein Architektenteam suchte, das fähig ist, Emotionen der Bauherren gleichermaßen zu berücksichtigen wie funktionale Erfordernisse, Bodenständigkeit und zeitgemäße Interpretationen. Geringe Mehrkosten tun oft weniger weh als schmerzliche Verluste.

Der Standard, Mi., 2001.01.24



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Um- und Ausbau Pension Wechselberger

20. Januar 2001Franziska Leeb
Der Standard

Architekturmeisterschaften am Arlberg

Ein Mega-Sportereignis sorgt für massive Veränderungen in einem Wintersportort. Ist es Zufall, Glück oder doch Kalkül, dass dies in St. Anton zu einem beachtlichen Anteil auch anspruchsvolle, zeitgemäße Architekturen mit sich brachte?

Ein Mega-Sportereignis sorgt für massive Veränderungen in einem Wintersportort. Ist es Zufall, Glück oder doch Kalkül, dass dies in St. Anton zu einem beachtlichen Anteil auch anspruchsvolle, zeitgemäße Architekturen mit sich brachte?

Sportliche Großereignisse ziehen meist auch Großbauten nach sich. Manchmal gehen diese in die Geschichte der Baukunst ein - wie zum Beispiel Frei Ottos Leichathletikstadion für die Olympischen Spiele 1972 in München. Fast immer sind sie ein prägender Eingriff in das Bild und das Gefüge einer Stadt - wie zum Beispiel die Olympiabauten in Innsbruck.

Wie sehr ein derartiges Event einen Ort mit 2500 Einwohnern verändert, lässt sich nun an Sankt Anton nachvollziehen. Binnen weniger Monate wurde das Dorf anlässlich der alpinen Skiweltmeisterschaften 2001 richtiggehend umgedreht. Eine Schlüsselposition im städtebaulichen Gefüge des Arlbergdorfes nahm seit je her die Eisenbahn ein. Die 1884 von Kaiser Franz Josef in Betrieb genommene Arlbergstrecke führte direkt durch die Mitte des Ortes, angeblich, weil der an Einfluss reiche Wirt der Alten Post dies der Bequemlichkeit seiner Gäste zuliebe so durchsetzte. Im zu den Nobelskiorten der Alpen zählenden St. Anton macht sogar der Orient-Express auf seiner Reise zwischen Venedig und Paris halt. Was in den Anfängen des Skitourismus als Segen galt, wurde mit zunehmendem Verkehr zur Plage. Wenige Meter vor den Hotelfenstern rasten Güterzüge durch das Zentrum des Erholungsortes - ein Faktum, das durch die Lage im Herzen des Ortes nicht länger aufgewogen werden konnte.

Ein 1998 ausgeschriebener internationaler Architektenwettbewerb suchte nach der besten Lösung für einen neuen Bahnhof am südlichen Ortsrand, der durch die Trassenverlegung das Ende der Zweiteilung des Dorfes bedeuten sollte. Das Architektenteam Manzl-Ritsch-Sandner reussierte mit einem langgestreckten schmalen Bau, der sich entlang des Gleiskörpers und zwischen dem Flusslauf der Rosanna und dem dahinter ansteigenden Hang anmutig in das Gelände einfügt und in den die Lärmschutzwand integriert ist. Ursprüngli ch in vorauseilendem Alpingehorsam noch mit einer Holzfassade gedacht, wurde nun eine technoidere, klare Lösung mit Edelstahlgewebe realisiert. Die Station St. Anton erhebt das Dorf schon bei der Ankunft wieder in die Kategorie eines modernen, in die Zukunft blickenden Fremdenverkehrsortes. Ihre Architektur entspricht dem Image eines international agierenden Verkehrsbetriebes und wird einer guten Adresse gerecht.

Gerhard Manzl, Johann Ritsch und Manfred Sandner fallen noch ein zweites Mal positiv auf. Im bereits mit der Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen 2000 gewürdigten Zielstadion werden sämtliche Läufe der Ski-WM enden. Wie eine Prallwand steht es am Fuß des Hanges, eine leicht geknickte Holzskulptur auf einem Sockel aus Beton und Glas, die Jury, Zeitnehmung, den Arzt und diverse Büroräume beherbergt. Für die Zeit des Skispektakels ergänzen stählerne Zuschauertribünen den kristallinen Bau .

Etwas weiter Richtung Dorfzentrum liegt die WM-Halle der Architekten Helmut Dietrich und Much Untertrifaller. Konzipiert für den multifunktionalen Einsatz für sportliche und kulturelle Aktivitäten, dient sie zur Ski-WM als Pressezentrum. An der dem Ort zugewandten Seite öffnet sich der trotz seines großen Volumens nicht zu dominierende Betonbaukörper mit einem verglasten und von fragil wirkenden Eichenholzlamellen abgeschirmten Foyer. In einer weiteren Bauetappe wird der an der ehemaligen Bahntrasse zentral gelegene Komplex mit einem sogenannten Wellnessbad ergänzt. Als Kongress- und Wellnesszentrum mit dem etwas bemüht klingenden zeitgeistigen Taufnamen „ARLBERG well.com“ ist es auf längere Sicht ein wesentlicher Beitrag zur Infrastruktur der Gemeinde.

Opfer und - rein architektonisch gesehen - gleichzeitig Profiteure der Ski-WM sowie der Bahnhofsverlegung sind die Hoteliers Robert und Gitti Falch. Sie wohnten in ihrem auf dem Hang hinter dem neuen Bahnhofsareal in idyllischer Hangsituation gelegenen Gasthof, der insofern von historischem Interesse ist, als hier 1953 die erste Sauna Westösterreichs eingerichtet wurde. Bedingt durch die Umstrukturierungen mussten sie als einzige Familie im Dorf Ihr Anwesen verlassen und sowohl ihre Wohnsituation als auch ihr Unternehmertum völlig neu regeln. Wolfgang Pöschl plante für die Falchs zuerst das private Wohnhaus zu deren großer Zufriedenheit und wurde daraufhin gleich für ihr neues Apartmenthotel „Anton“ im Dorfzentrum engagiert. Einzig die geschindelten Fassadenteile erinnern auf den ersten Blick an eine traditionelle Alpenherberge. Ansonsten äußert sich das klug organisierte Haus durch und durch modern und zeitgemäß.

Gemessen an der extrem knappen Planungs-und Bauzeit - für das Einfamilienhaus dauerte es von der Grundstücksfindung im Frühling 1999 nur bis Dezember des gleichen Jahres bis zum Einzug, das Hotel wurde ein Jahr später in Betrieb genommen - zählen viele Details doppelt. Erstaunlich ist die Vielfalt der durch Raumzusammenlegungen und Schiebewände möglichen Apartmentkonfigurationen sowie die ausgeklügelte platzsparende Möblierung und Extras wie Liegeflächen in den Fenstern.

Vor dem alten Bahnhof blieb ein großer leerer Platz, der für verschiedene WM-Einrichtungen temporär gute Dienste leistet. Über kurz oder lang müssen jedoch sorgfältige Überlegungen angestellt werden, wie man mit dieser attraktive Freifläche umgeht. Die Verantwortlichen haben in St. Anton - vielleicht bedingt durch die gebotene Eile - konsequent und richtig gehandelt. Überfahren wurden die Gemeindebürger dennoch nicht. Die Kommunikation zwischen Gemeinde, ÖBB und Bürgerinitiative blieb stets auf einem konstruktiven Niveau und führte bis jetzt zu einer für alle Beteiligten akzeptablen Lösung.

Der Arlberg wurde mittlerweile zu einem lohnenden Reiseziel für Architekturfreaks. Neben den neuen Bauten im tirolerischen St. Anton hat sich mit der Zeit auch im Vorarlberger Teil der näheren Umgebung eine Anzahl interessanter Bauten angesammelt: am Arlberg eine jüngst fertiggestellte Sporthalle von Peter Lorenz in St. Christoph, Hotels und Apartmenthäuser von Armin Kathan (Holzbox Tirol) in Zug bei Lech und Oberlech, ein Einfamilienhaus von Hermann Kaufmann in Lech und ein Stück weiter am Hochtannberg die bereits zehn Jahre alte Schule von Roland Gnaiger in Warth und ebendort ein Apartmenthaus von Christian Lenz, ein Hotelzubau und Apartments von Erich Strolz (Holzbox Tirol) sowie ein Hotelzubau in Schröcken-Neßlegg von Hermann Kaufmann.

Weder das Ortsbild noch die von vielen beschworene alpine Idylle oder der exklusive Ruf der Gegend sind durch die manchmal noch mit Argwohn betrachteten neuen Bauten und Maßnahmen gefährdet. Im Gegenteil, sie sind wesentliche Träger einer Neupositionierung, die eines kultivierten und kosmopolitischen Publikums würdig ist. Das Jodl-Dodl-Image wird an den gleichen Orten und anderswo noch zur Genüge gepflegt. Ein Fremdenverkehrsort, der sich jedoch stolz mit dem Etikett eines gehobeneren Anspruches ziert, wird über kurz oder lang denselben auch konsequent über seine Bautätigkeit transportieren müssen. Es wird Zeit, dass spannende neue Bauten nicht mehr aus purem Glück oder Zufall passieren, sondern bewusst gefördert werden.

Der Standard, Sa., 2001.01.20

10. Januar 2001Franziska Leeb
Der Standard

Alles in einem

Ein Single muss in seinen eigenen vier Wänden vor niemand anderem flüchten. Wozu also die Wohnung in einzelne Zimmer unterteilen? Architekt Christian Matt vereinte in einer Bregenzer Singlewohnung alle Funktionen in einem Raum.

Ein Single muss in seinen eigenen vier Wänden vor niemand anderem flüchten. Wozu also die Wohnung in einzelne Zimmer unterteilen? Architekt Christian Matt vereinte in einer Bregenzer Singlewohnung alle Funktionen in einem Raum.

Die Anzahl der Singlehaushalte wird immer höher. In Österreich beträgt ihr Anteil 30 Prozent, in der Bundeshauptstadt Wien liegt er um zehn Prozent höher. Betrachtet man jedoch das Gros der neu gebauten Wohnungen, deren Größe über die einer Gar¸conniere hinausgeht, sind die Grundrisse durchwegs auf Kleinfamilien abgestimmt. Bewusst auf die Benützung durch eine Person ausgelegte und dennoch halbwegs geräumige Wohnungen finden sich selten auf dem Immobilienmarkt.

Noch wagt es kaum ein Bauträger, aktiv dieses wachsende Segment an Wohnungswerbern, also den allein stehenden, urbanen berufstätigen Menschen, zu umwerben. Möchte man also als Vertreter dieser Spezies eine Wohnung beziehen, die nicht dem Schema Zimmer-Küche-Kabinett folgt, ist man auf Eigeninitiative angewiesen.

Ein sehr attraktives Beispiel für eine geräumige Singlewohnung realisierte Christian Matt für eine Bregenzer Bauherrin in einem Dachboden im Zentrum der Bodenseestadt. Das Mansardendach des Eckhauses musste in seiner Form erhalten bleiben. Das Anheben war nicht erlaubt. Um dennoch einen möglichst hellen, großzügig wirkenden Raum zu erhalten, entschied sich Matt dafür, die Mansarde großflächig zu verglasen. Durch das fast die ganze Wohnung umspannende Fensterband erschließt sich nun sowohl der Ausblick auf den Pfänder, den Bregenzer Hausberg, als auch auf den Bodensee. Die Fenster lassen sich motorbetrieben aufklappen und sorgen in geöffnetem Zustand für Terrassenflair.


Material und Farbe

Die Wohnung für eine allein stehende Frau ist „zimmerlos“ konzipiert. Somit konnte ein großer Raum von zirka 100 Quadratmetern entstehen. Die Feuchtraumfunktionen Küche und Bad sind in einer einheitlichen Zeile entlang der Feuermauer untergebracht. Nur eine sandgestrahlte Glasplatte deutet eine Raumtrennung an.

Das Farbkonzept beschränkt sich weitgehend auf Natur- bzw. Nichtfarben in einem Eleganz verbreitenden Hell-Dunkel-Kontrast. An der Wand hinter der Küchen-Bad-Zeile blieb der Feinputz ungestrichen. Das Einbaumöbel selbst besteht aus farblos lackierten MDF-Platten mit einer Arbeitsfläche aus schwarzem Schiefer. Die naturbelassenen Stützen der Dachkonstruktion spiegeln sich in der lichtdurchfluteten Wohnung im dunkel lasierten Tannenholzboden. In dieses Konzept der edlen Rohheit passen auch die dunklen Heizkörper, die unlackiert direkt aus der Fabrik bezogen wurden.

Anstatt der Dachsparren nehmen Eisenformrohre den Schub des Daches auf. Sie verlaufen genau hinter den Fensterrahmen und damit parallel mit dem Raster des Fensterbandes. Bei den Stützen der mittleren Reihe wurden die Kopfbänder entfernt und durch Stahlwinkel ersetzt. Dadurch wird die Mittelzone des Dachraumes besser nutzbar und die trennende Wirkung der mächtigen Holzkonstruktion stark reduziert.

Die Möblierung ist in quantitativer Hinsicht sparsam und kommt ohne dick auftragende Effekte aus. Der Luxus erwächst hier aus der Kultur der Beschränkung und einer dadurch erreichten Großzügigkeit.


[Architekt DI Christian Matt
Im Dorf 23, A-6900 Bregenz
Tel. (05574) 486 79 ]

Der Standard, Mi., 2001.01.10



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Dachbodenausbau

29. November 2000Franziska Leeb
Der Standard

Grazer Glücksfall

Wohnen in einer denkmal- geschützten Mühle. Das klingt nach Antiquitäten ebenso wie nach Antiquiertheit. Wie es anders auch geht, zeigt eine jüngst zweifach preisgekrönte Revitalisierung in Graz von Hans Gangoly.

Wohnen in einer denkmal- geschützten Mühle. Das klingt nach Antiquitäten ebenso wie nach Antiquiertheit. Wie es anders auch geht, zeigt eine jüngst zweifach preisgekrönte Revitalisierung in Graz von Hans Gangoly.

Die alte Stadtmühle am Rechten Mühlgang hat ihre ursprüngliche Bestimmung in der Zwischenkriegszeit verloren. Eine Zeit lang wurde sie als Lager genutzt, und irgendwann schien das zentral gelegene Gebäude gar niemanden mehr zu interessieren. Albin Sorger nahm sich des leer stehenden Bauvolumens an und beauftragte im Jahr 1993 den Grazer Architekten Hans Gangoly, der für ihn bereits etliche Bäckereifilialen geplant hatte, mit der Umwandlung in ein möglichst profitables Wohnhaus.

Das Gebäude sollte entkernt und mit marktkonformen Zwei- oder Dreizimmerwohnungen gefüllt werden. Diese Pläne durchkreuzte jedoch das Denkmalamt, das die Stadtmühle nach der Einreichung des Wohnprojektes unter Denkmalschutz stellte. Manch anderer Architekt würde das als behördliche Schikane auslegen, Gangoly hat dies offenbar erst richtig angespornt. Was vorher als statisch und sicherheitstechnisch als Risiko erachtet wurde und daher entfernt werden sollte, nämlich die innere Tragstruktur aus Holzstützen und -balken, mutierte unter den neuen Bedingungen zum wichtigsten Entwurfskriterium. Eine kulturelle Nutzung wurde in Betracht gezogen, konnte aber mangels Finanzen nicht realisiert werden.

So kehrte man zurück zum Wohnprojekt, aber unter Berücksichtigung des Potenzials der alten Struktur und nach genauer Definition einer Zielgruppe. Loftartige Wohnungen für ein junges Publikum sollten realisiert werden. Bald stand auch fest, dass Flächenausbeutung und architektonische Qualität in diesem Fall keinesfalls vereinbar sind. Architekt und Bauherr entschieden sich für das Zweite - ein Engagement, das jüngst neben weiteren sieben Preisträgern mit dem Bauherrenpreis 2000 der Zentralvereinigung der Architekten Österreichs belohnt wurde.

Da die Errichtung von Balkonen nicht möglich war und auch sonst keine Freiflächen vorhanden waren, entschloss Gangoly sich dazu, die Wohnungen u-förmig um einen überdachten, aber nicht klimatisierten Hof zu gruppieren. Unter und zwischen den alten Holzbalken bietet nun ein von allen Bewohnern nutzbarer und fünf Geschoße hoher Luftraum eine einzigartige Atmosphäre.


Erschwinglicher Luxus

Auch in den Wohnungen selbst bleibt die alte Konstruktion nachvollziehbar und die Raumhöhe erhalten. Die Sanitäreinheiten gliedern die Grundrisse in verschiedene Bereiche, abgetrennte Zimmer gibt es keine.

Dass der aufwendige Umbau für die angestrebte Zielgruppe erschwinglich blieb, ist der Wohnbauförderung zu verdanken. Obwohl Grundrisse und Gesamtkonzept abseits des Üblichen sind, wurde eine Unterstützung gewährt. Und so sind es nicht junggebliebene Yuppies, die sich hier ihre schicken Lofts mit teuren Designermöbeln ausstatten, sondern junge Leute aus vor allem kreativen Berufsgruppen, für die solche Wohnungen in der Stadt sonst unerschwinglich wären. Es war ein privater Bauherr ohne besondere Erfahrung bei der Vermarktung von Wohnungen, der sich mutig auf dieses Projekt einließ. Der Erfolg gibt ihm Recht. Innerhalb von zwei Wochen gab es - ohne auch nur ein Inserat zu schalten - 140 Bewerbungen für 22 Wohnungen. Warum sich Profis unter den Bauherren, zum Beispiel die großen Bauträger, kaum über solche Projekte wagen, ist daher unerklärlich. Es allen recht machen zu wollen heißt schließlich, es niemandem wirklich recht zu machen.

Die Erfolgsgeschichte geht nun weiter. Auf dem Nachbargrundstück wird Gangoly das ehemalige Bediensteten-Wohnhaus der Mühle umbauen. Es wird andere Pluspunkte bieten als das Mühlengebäude wie Terrassen über dem Bach und ein nutzbares Dach und wird im Sinne einer Ensemblebildung städtebaulich und gestisch auf den ersten Umbau Bezug nehmen. Kurz vor Redaktionsschluss erreichte uns die Nachricht, dass die Revitalisierung der Stadtmühle im Rahmen des Piranesi-Preises, der jährlich für außergewöhnliche architektonische Leistungen in Mitteleuropa vergeben wird, mit einem Anerkennungspreis gewürdigt wurde.


[Architekt DI Hans Gangoly Volksgartenstraße 13/1, 8010 Graz, Tel.: (0316) 71 75 50 ]

Der Standard, Mi., 2000.11.29



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Ehemalige Stadtmühle

15. November 2000Franziska Leeb
Der Standard

Diva ohne Allüren

Was Architekt Erich Gutmorgeth ein „ganz normales Haus“ nennt, hat wenig mit dem allgemein gültigen Bild eines Einfamilienhauses zu tun.

Was Architekt Erich Gutmorgeth ein „ganz normales Haus“ nennt, hat wenig mit dem allgemein gültigen Bild eines Einfamilienhauses zu tun.

In den letzten Jahren gedieh in Tirol eine der interessantesten, wenn nicht sogar die bemerkenswerteste baukünstlerische Szene der Republik. Besonders auffallend ist, dass sich - zumindest an ihrer qualitativen Spitze - kein Neu-Tiroler-Stil abzeichnet, sondern unterschiedliche Positionen und Handschriften erkennbar sind. Einer, der bereits in den vergangenen Jahren mit hervorragenden Arbeiten aufhorchen ließ, ist Erich Gutmorgeth. Sein Zubau zum Kindergarten in Kematen oder das Gemeindezentrum in Inzing (1998) zählen auch konzeptionell zu den interessantesten Tiroler Bauten der Gegenwart. Bereits 1993 wurde seine Erweiterung des Landeskrankenhauses Feldkirch in Vorarlberg fertig gestellt, durch das auch seine jetzigen Bauherren auf ihn aufmerksam wurden.

Sein jüngstes Werk liegt in einer Gemeinde auf einem Mittelgebirgsplateau im Tiroler Oberland. Es steht an einer Hangkante, die auf geradezu spektakuläre Art ausgenutzt wird. Straßenseitig ist dem Wohnhaus eine Garage vorgelagert, über die auch der Eingang erreicht wird. Eine kluge und richtige Reaktion, wenn man bedenkt, dass Häuser außerhalb der Zentren nur mit dem Auto zu erreichen sind. Es ist zwar eine aus ökologischen Gründen kritisierenswerte Situation, dass nach wie vor lieber alleinstehend als verdichtet gewohnt wird. Doch wenn es schon sein muss, erfreut jedes Konzept, das auf diese Umstände auch reagiert. Hier „befährt“ man das Haus also über die Garage, an die direkt der Wohnbereich anschließt. Kein zusätzlicher Vorraum ist als Barriere zum privaten Wohnumfeld notwendig.

Küche, Essplatz, Wohnzimmer und ein Arbeitsplatz sind in einem Einraum untergebracht, der auf einem Betonsockel aufgelagert rund 15 Meter weit über dem Hang auskragt. Die Glas-Stahl-Konstruktion mit völlig transparenten Wänden an drei Seiten ist zwischen die Boden und die Deckenplatte geschoben. Dadurch entstehen eine umlaufende Terrasse und parallel dazu eine breite Dachkrempe, die Schatten spendet. Zusammen begrenzen sie einen Wohnraum im Freien. Das Leben findet fast wie in einem Baumhaus zwischen den Kronen des Waldes statt. Als äußerster Filter dienen elektrisch steuerbare Rollos, die an den Längsseiten Flankenschutz bieten können.

Möbel wie Schränke und Regale sind ohne Rückwand an den Glasfassaden angebracht. Ihr Innenleben ist von der Terrasse aus einsehbar. Als Raumteiler zur Küche fungiert ein Technikkern in einer Metallbox mit einer Oberfläche aus Eisenglimmer. Im Betonssockel, der nur hangabwärts über die volle Raumhöhe aus dem Erdreich ragt, wurden alle Schlafräume und die Badezimmer untergebracht. Sie haben lagebedingt Höhlencharakter, über Lichthöfe werden aber auch die eingegrabenen Bereiche gut belichtet.

Harte Materialien spielen eine große Rolle in diesem Haus. Glas, Metall und Beton sind die Materialien der Wände. Zementestrich - im Untergeschoß mit Polyurethanpartikeln versetzt - bildet den Bodenbelag. Unterkühlt wirkt das Ambiente dennoch nicht. Dazu sind die Oberflächen zu wenig glatt, zu wenig poliert. Die Holzdecke und die Möbel tragen das ihre zu einer angenehmen Raumstimmung bei. Das Haus fällt auf, umständlich ist es bei aller Exzentrik dennoch nicht. Und ein ganz normales Haus schon gar nicht; vielmehr eine Diva ohne nervtötende Allüren.

Der Standard, Mi., 2000.11.15



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Haus Hochleitner

04. Oktober 2000Franziska Leeb
Der Standard

Premiere mit Erschwernissen

Bodenständiges Bauen muss nicht unzeitgemäß sein, beweist Reinhard Madritsch mit seinem ersten Haus.

Bodenständiges Bauen muss nicht unzeitgemäß sein, beweist Reinhard Madritsch mit seinem ersten Haus.

Ein neues Haus in einem historischen Umfeld zu errichten, ist für jeden Architekten eine besondere Anforderungen. Der junge Tiroler Architekt Reinhard Madritsch sah sich damit bereits bei seinem ersten Gebäude konfrontiert.

Das Einfamilienhaus steht im ältesten Ortsteil von Matrei in Osttirol, einer homogenen Siedlung alter und neuerer Bauernhäuser. Holz dominiert die Fassaden. Erschwerend kamen die mit 300 Quadratmetern sehr geringe Größe und die Steilheit des Grundstücks hinzu.

Keine leichte Aufgabe, wenn noch dazu der Anspruch besteht, jede Form von missverständlicher Kulissenarchitektur zu vermeiden. Madritsch transponierte Elemente aus der traditionellen ländlichen Architektur in einen modernen Typus, ohne wirklich Gefahr zu laufen, sich als ahnungsloser Zitatenjäger lächerlich zu machen.

Der viergeschoßige Baukörper, dessen Ostfassade an der Hangseite nur zwei Etagen hoch aus dem Boden ragt, besteht im Keller- sowie dem Eingangsgeschoß aus Stahlbeton, die Geschoße darüber wurden in Holzfertigteilbauweise errichtet. Eine weiß verputzte Wand wirkt west-und nordseitig wie ein Schutzschild zur Straße hin. Damit wird die auch bei den übrigen Häusern anzutreffende Kombination von Holzbau und Massivbauweise aufgenommen.

Die Dachform entstand durch die Abstandsbestimmungen, die im Norden dazu zwangen, niedrig zu bleiben. Die größere Höhe im Süden kam dem Wunsch nach Sonneneinstrahlung und Aussicht entgegen. Der Verzicht auf einen ausgeprägtes Dach wirkt sich günstig auf die in sich ruhende Gebäudeform aus. Zweifel kommen allerdings auf, ob es sinnvoll ist, eine Gebäudehülle derart exponiert dem rauen Gebirgsklima auszusetzen.

Madritsch hegt diese Ängste nicht. Das Lärchenholz blieb ohne Imprägnierung und auf einen Witterungsschutz wurde bewusst verzichtet, da die Fassade möglichst rasch und gleichmäßig abwittern und sich dadurch auch farblich ins Ortsbild einfügen soll. Die waagrechten Metallleisten über den Fenstern waren als Aufhängung für Schiebeläden gedacht. Eine Funktion, die sie jetzt nur an der Westfassade erfüllen. Sie ermöglichen jedoch auch die unsichtbare Montage der Dreischichtplatten aus Lärchenholz und erfüllen auch noch den Zweck der Fassadengliederung.

Das Kellergeschoß ragt nach Westen und Norden aus dem Boden. Betreten wird das Haus im darüber liegenden Erdgeschoß in der Südwestecke des Hauses. Die Treppe entlang einer betonierten Mittelmauer führt als vertikales Verbindungselement in den Luftraum im Dachgeschoß. Licht gelangt nicht nur über recht großzügig dimensionierte Fenster nach innen, sondern auch durch den dreigeschoßig verglasten Spalt zur äußeren Mauerscheibe.

Ein Detail am Rande: Obwohl nie bewusst als Niedrigenergiehaus konzipiert, wurde das Haus dennoch beim Tiroler Niedrigenergiehaus-Wettbewerb mit einem Hauptpreis ausgezeichnet. Es erreicht zwar nicht die energetischen Spitzenwerte von angestrengt optimierten Bauten, punktet aber auch nach räumlichen und städtebaulichen Kriterien. Und es ist ein Beweis dafür, dass mit einem vernünftigen Einsatz der modernen Baumaterialien, gute bauphysikalische Werte relativ einfach zu erreichen sind.

Madritsch ist ein solides Erstlingswerk gelungen, das auf Nachfolgeprojekte neugierig macht.

Der Standard, Mi., 2000.10.04



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Haus Steiner

06. September 2000Franziska Leeb
Der Standard

Keine Scheu vor großen Gesten

In bester Salzburger Lage punktet eine Villa des Architektenteams Halle 1 mit klaren Formen und räumlicher Präsenz

In bester Salzburger Lage punktet eine Villa des Architektenteams Halle 1 mit klaren Formen und räumlicher Präsenz

Die Zeit der „großen Häuser“ scheint vorbei zu sein. Nicht, dass es keine überdimensionierten, schlecht proportionierten Einfamilienhausburgen mehr gäbe. Davon „zieren“ zahlreiche Exemplare die Stadtränder und Hanglagen. Was verloren gegangen zu sein scheint, ist eine gewisse Grandezza, mit der die guten Villen den Lebensstil ihrer Bewohner unterstreichen (oder überzeichnen). Umso mehr freut es, wenn wieder einmal über ein divenhaftes Geschöpf unter den freistehenden Häusern berichtet werden kann.

Geplant hat es das Salzburger Architektenteam Halle 1 (Projektteam: Gerhard Sailer, Heinz Lang, Kaspar Müller). Der Bauplatz in begehrter Wohnlage an einem der Abhänge des Gaisberges in Salzburg-Aigen scheint Ansporn für große Gesten gewesen zu sein. Auch wenn kein direktes Vorbild nachzuweisen ist, in Haltung und Ausdruck nimmt das Haus R. Anleihe bei so mancher berühmten Villa der klassischen Moderne. Es finden sich daran keine Spurenelemente älplerischer Versatzstücke und es könnte überall auf der Welt stehen. Es ist einzig der Topographie des Hanges verpflichtet und dem Lebensstil seiner Bewohner.

Das Haus wurde an Stelle eines bestehenden Gebäudes errichtet. Über der geräumigen Tiefgarage, die direkt an der Straße liegt, stapeln sich vier weitere Geschoße im Hang. Ihre Erschließung erfolgt im Gebäudeinneren über einen Lift und ein Treppenhaus an der Hangseite und seitlichen Freitreppen.

Von vorne betrachtet scheint sich der Baukörper aus gestapelten weißen Bändern und dazwischen liegenden Glasfeldern zusammenzusetzen. Der untere, breitere Gebäudeteil, wirkt wie ein Sockel, der das Haus fest im Berg verankert. In seinem Untergeschoß befindet sich eine Einliegerwohnung mit eigenem Zugang von außen; darüber liegt das Wohngeschoß mit vorgelagertem Balkon. Ein eigentlich nur als Fuge wahrnehmbares Oberlichtband hält Abstand zwischen dem breiten Sockel und dem darauf auflagernden, schmäleren Aufbau, der etwa drei Meter nach Süden auskragt. Auf dem Dach wurde ein gedeckter Freibereich eingerichtet, der größte Teil der Dachfläche dient als Terrasse. Trotz großer Offenheit aller Geschoße herrscht kein Mangel an Intimität, für die durch die massiven Balkonbrüstungen gesorgt ist.

Die Salzburger Architekten, die sich bereits mit zahlreichen Bauten im Salzburger Stadtbild manifestieren durften, bewiesen auch bei diesem Projekt einen guten Sinn für den richtigen Maßstab. Nicht nur zur unauffälligen Bescheidenheit braucht es eine sensible Hand, auch zur wohldosierten Größe.

Der Standard, Mi., 2000.09.06



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Haus Reitsamer

05. August 2000Franziska Leeb
Der Standard

Kontemplative Inseln

Wenige Orte entziehen sich im internationalen Kuriositätenkabinett der Expo Hannover dem Lärm und der Bilderflut des Jahrmarkts der Eitelkeiten.

Wenige Orte entziehen sich im internationalen Kuriositätenkabinett der Expo Hannover dem Lärm und der Bilderflut des Jahrmarkts der Eitelkeiten.

Sehen, staunen, feiern" lautet ein Titel in einem PR-Magazin zur Weltausstellung in Hannover. Ja, es gibt einiges zu sehen und zu bestaunen, was es zu feiern gibt, ist nicht ganz klar. Die als Rekord-Expo angekündigte Schau in Hannover versprach unter dem Titel „Mensch - Natur - Technik“ Modelle für die Zukunft, für eine bessere Welt. Man erwartet sich also keine Sensationen, sondern Inhalte. „Nachhaltigkeit“ heißt das Zauberwort. Nachhaltig bleiben einem jedoch vor allem der nervtötende Sound der allgegenwärtigen Blasmusikkapellen im Ohr und die virtuellen Geisterbahnen der bildüberfluteten Themenausstellungen im Auge. Wenn das ein Ausblick auf die Zukunft ist, dann heißt es Baldriantropfen zur Beruhigung horten.

Nur wenige Orte bieten auf dem 160 Hektar großen Areal ein Umfeld zum Aufatmen. Einer davon ist der finnische Pavillon des Architektenehepaars Sarlotta Narjus und Antti-Matti Siikala. Zwei lange Riegel mit Fassaden aus thermisch präpariertem Holz - einem innovativen und angeblich höchst dauerhaften Naturwerkstoff - und Schmalseiten aus siebbedrucktem Glas umschließen einen lauschigen Birkenhain. Ökologische Überlegungen und energiesparende Technologien sind Teil des Konzeptes und entsprechen dem Thema der Expo. Ein Ökoschmäh, wenn man bedenkt, dass Birken, Moos und Gestrüpp des „echten“ Waldes eigens aus Lappland angekarrt wurden - vermutlich nicht mit Pferdegespannen. Dennoch ist das so genannte „Windnest“ eine der wenigen Inseln der Ruhe. Es kann auch architektonisch überzeugen und wird nach beendeter Ausstellung für eine neue, noch nicht klar definierte Nutzung weiterbestehen.

Weiterverwendet werden soll auch der „Christus Pavillon“, ein Gemeinschaftprojekt der evangelischen und katholischen Kirche. Die Hamburger Vielbauer von Gerkan, Marg und Partner (gmp) verstanden es bravourös, traditionelle Elemente der Sakralarchitektur in eine zeitgemäße Architektur zu transponieren und schufen eindrucksvolle Raumfolgen von großer Würde. Die pulverbeschichtete Stahlkonstruktion beruht auf einem modularen Raster von 3,40 x 3,40 x 3,40 Meter. Das einfache, fein detaillierte Baukastensystem kann leicht zerlegt werden und soll nach seinem Expo-Auftritt im thüringischen Zisterzienserkloster Volkenroda wieder aufgebaut werden. Eine Kolonnade schirmt den Vorhof der Anlage vom hektischen Treiben auf der Expo-Plaza ab. Herzstück des Ensembles ist die zentrale Hallenkirche, deren Hülle aus dünnen, transluzenten Marmorplatten für mystisches Licht im Innenraum sorgt. Umfasst wird diese Kathedrale der Kontemplation von einem 6,80 Meter hohen Kreuzgang, dessen Glasfelder mit symbolträchtigen Materialien aus den Bereichen Natur und Technik aufgefüllt sind. Baumscheiben und Zahnräder, Torf und Mikrochips, Mohnkapseln und Injektionsspritzen erzeugen konträre Bildpaare, die eine abstrahierte Technologiegeschichte erzählen und zum Nachdenken anregen.

Nur scheinbar ohne Technik kommt der gewiss konsequenteste und radikalste Beitrag zur Expo aus. Der Schweizer Pavillon von Peter Zumthor besteht vor allem aus übereinander geschichteten Balken aus Nadelhölzern, die auf der Expo zum Trocknen lagern und danach unbeschädigt als Baukonstruktionsholz weiterverwendet werden sollen. Doch wie der Schweizer Baukünstler sie stapelt! Ein raffiniertes Muster ergibt der Rhythmus der dünneren, quer zu den Hauptbalken liegenden Stapelhölzer, ausgeklügelt die Befestigung und Sicherung der ohne Schrauben oder Dübel aneinander gefügten, luftigen und duftenden Wandscheiben. Im Fundament verankerte Zugstangen mit Stahlfedern geben die notwendige Stabilität und machen das Schwinden des Holzes mit. Balkenlagen in Deckenhöhe sorgen für die Quersteifigkeit. Wie bei keinem anderen Pavillon entsprechen hier einander Form und Inhalt. Musiker bringen den „Klangkörper Schweiz“ zum Tönen, das Personal erfreut das Auge in Uniformen von Ida Gut, Gastronomen sorgen auf hohem qualitativen Niveau für das leibliche Wohl. Kurzum eine beeindruckende Integration von Kunst, Sinnlichkeit, Tradition und Schweizer Lokalkolorit, die der allgegenwärtigen Reizüberflutung wohldosierte Sinnesreize entgegensetzt.

Der Standard, Sa., 2000.08.05

28. Juni 2000Franziska Leeb
Der Standard

Schnittige Skirennfahrer-Residenz

So wie der Kärntner Skistar Christian Mayer oft auch aus der Reihe fällt, wenn er statt in der trachtigen Uniform des Nationalteams in schrillem Schlangenleder-Outfit auftaucht, so entspricht auch sein Haus nicht dem Klischee eines hübschen Heile-Welt-Häuschens. Geplant hat es der junge Architekt Roger Karré, der die schnittige Hülle für den Sportlerhaushalt maßschneiderte. Bewusst wurde der Wunsch nach einem modernen Haus formuliert, nach einem Unikat, das auf die Lebensbedingungen und Interessen der Bauherren Rücksicht nimmt.

So wie der Kärntner Skistar Christian Mayer oft auch aus der Reihe fällt, wenn er statt in der trachtigen Uniform des Nationalteams in schrillem Schlangenleder-Outfit auftaucht, so entspricht auch sein Haus nicht dem Klischee eines hübschen Heile-Welt-Häuschens. Geplant hat es der junge Architekt Roger Karré, der die schnittige Hülle für den Sportlerhaushalt maßschneiderte. Bewusst wurde der Wunsch nach einem modernen Haus formuliert, nach einem Unikat, das auf die Lebensbedingungen und Interessen der Bauherren Rücksicht nimmt.

Skirennfahrer sind heute nicht mehr die Naturburschen, deren Erfolg von "zwei Brettln und g"führigem Schnee" abhängen, sondern sind Teil einer mit Spitzentechnologien ausgerüsteten Hochleistungs- und Medienmaschinerie. Die aufgeblasene Almhütte schien daher weder dem Architekten noch dem Bauherren als das adäquate Domizil. Möglichst guter Schutz der Privatheit und „kein Holz“ lauteten weitere Vorgaben. Die anderen Entwurfsgrundlagen stellte die Kärntner Hügellandschaft am Ortsrand von Finkenstein.

Zwei ineinander verschränkte Winkel bilden die Grundform des im Norden in den Hang eingeschnittenen Anwesens. Sie umschließen bergend die Wohnraume und einen großen Garten. Die Straßenfassade ist rigoros radikal: Wie eine Sprungschanze verläuft ein breites Aluminiumband dem Hang folgend über einem signalrot gestrichenen Sockel.

Diese prägnante und auch interessanteste Ansicht des Hauses drückt den beruflichen Lebensinhalt des Hausherren ebenso aus wie sie das Dahinter perfekt abschottet. Das kräftige Rot könnte für Schnelligkeit und auch für die im Spitzensport notwendige Portion an Aggressivität stehen, die präzise verarbeiteten Aluminiumplatten für technischen Perfektion und High-Tech-Ausrüstungen. Kein Fenster durchbricht die plastische Figur. Eingang und Garageneinfahrt liegen witterungsgeschützt zurückgesetzt unter der glatten, leicht wirkenden Aluhaube, die das Haus an den exponierten Seiten wie eine bergende Klammer einfasst.

Das Wohnhaus selbst ist im nördlichen Bereich zweigeschossig. Hier befinden sich im Obergeschoß die Schlafzimmer und im Erdgeschoß die Nebenräume sowie eine Einliegerwohnung. Die größte Fläche nimmt der hohe, an zwei Seiten zum Garten hin verglaste Wohn- und Essbereich ein. Er entwickelt sich in zwei Raumschichten von einer noch stärker an die Hangverbauung gebundenen Küchenzone zu einem sehr hellen, offenen Wohnraum, der stufenlos über die Terrasse in den Garten übergeht. Die hermetische Abgeschlossenheit der Fassade, die im Hof zu einem großen Teil zur Gartenmauer wird, ist hier ins Gegenteil verkehrt. Offenheit und räumliche Großzügigkeit lautet die Devise.

Auffallend und auf den ersten Blick ein wenig überdimensioniert erscheint die breite Treppe, die vom Wohnraum in das Obergeschoß führt. Doch die Ausmaße haben einen guten Grund. Sind sie doch auf Mayers riesige Reisetaschen abgestimmt, mit denen herkömmliche Wohnhaustreppen nur mit gröberen Verrenkungen zu bewältigen wären.

Roger Karré ist eine interessante Variante eines Hofhauses gelungen, das für den notwendigen Schutz der Intimsphäre gleichermaßen sorgt, wie es ein entspanntes Familienleben mit viel uneinsehbarem Freiraum zulässt.

Mag. arch. Roger Karré
Neulerchenfelder Str. 51/26
1160 Wien, Tel. 409-7909-15
E-Mail: arch@karre.at

Der Standard, Mi., 2000.06.28



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Haus Mayer

07. Juni 2000Franziska Leeb
Der Standard

Einfühlsam erweitert

Unspektakulär, aber mit viel Feingefühl für die spezifische Situation hat Architekt Thomas Fichtner ein altes Vorstadthaus in Wien-Mauer erweitert.

Unspektakulär, aber mit viel Feingefühl für die spezifische Situation hat Architekt Thomas Fichtner ein altes Vorstadthaus in Wien-Mauer erweitert.

Der ehemalige Vorort Mauer im Südwesten Wiens vermittelt an einigen Ecken noch etwas von der ländlichen Atmosphäre eines Weinbauortes, verstädtert aber natürlich zusehends mit allen Konsequenzen, die dieser Prozess mit sich bringt. Partiell gibt es noch Idyllen, die den Stadtmenschen im Nu aufs Land versetzen. In solch einer Gegend steht auch das um das Jahr 1920 errichtete kleine Haus, das Thomas Fichtner für eine Familie erweitern und den Bedürfnissen der neuen Bewohner anpassen sollte.

Für den Entwurf galt dabei die Einbeziehung des schönen langgestreckten Gartens ebenso als wesentliche Voraussetzung wie das Bestreben, die Bauzeit für die komplette Sanierung und Erweiterung möglichst gering zu halten. Fichtner schlug daher einen Anbau in Leichtbauweise vor, der als Kombination von Veranda und Wintergarten als Vermittler zwischen dem Inneren und dem Garten fungiert. Die Holzriegelkonstruktion mit an der Fassade sichtbaren Leimbinderstützen wurde mit Zangen an das bestehende Gebäude gehängt. Das Dach, in dem sich bereits eine kleine Mansardenwohnung befand, wurde erneuert und zur Gänze ausgebaut. Diese einfachen Maßnahmen, die nur an ihren Rändern an der Substanz des Hauses rührten, bedeuteten eine Erweiterung der Wohnnutzfläche von 135 auf beachtliche 225 Quadratmeter. Im Anbau befinden sich nun der Eingang mit Garderobe, ein an die Küche anschließendes Esszimmer sowie eine Erweiterung des bestehenden Wohnzimmers.

Mit der oft als Allheilmittel geltenden Binsenweisheit, dass große Fensterflächen unbedingt nach Süden zu orientieren sind, wird hier gründlich aufgeräumt. Kann schon sein, dass das Haus energetisch nicht optimal ist, das sind Umbauten so gut wie nie. Klimatisch und atmosphärisch optimal ist die Lösung jedenfalls. Die großzügig bemessenen Öffnungen zum Garten stellen die Verbindung zur Natur her, die nun von jeder Ebene des Hauses aus genossen werden kann und mit ihrer Veränderung auch Einfluss auf die Stimmung im Inneren nimmt. Sonnenschutz ist keiner notwendig, auf der Terrasse über dem Zubau gibt es immer ein schattiges Plätzchen, und die Gefahr der Überhitzung droht nie. Das auch von Künstlern geschätzte Nordlicht erweist sich auch für den zur Terrasse orientierten Heimarbeitsplatz unter dem Dach als höchst angenehm.

Fichtner, der sich als „kein Freund von architektonischen Brachialeingriffen“ bezeichnet, hat mit einfachen Mitteln viel erreicht. Der Vorstadt-Charakter des Gebäudes blieb im Wesentlichen erhalten. Was sich verändert hat ist, dass aus dem Häuschen eine kleine Villa wurde, in der es sich vortrefflich wohnen lässt und die auch an repräsentativem Gehalt gewonnen hat.

Architekt Thomas Fichtner
Baumkirchergasse 12
A-7461 Stadtschlaining
Tel. 03355-2213

Der Standard, Mi., 2000.06.07



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Haus in Mauer - Erweiterung

10. Mai 2000Franziska Leeb
Der Standard

Eine Aussichtskanzel schräg gelandet

Die Innsbrucker Architekten Georg Pendl und Elisabeth Senn fanden für einen Dachgeschoßausbau eine eigenständige Lösung, die ohne die üblichen Gauben auskommt.

Die Innsbrucker Architekten Georg Pendl und Elisabeth Senn fanden für einen Dachgeschoßausbau eine eigenständige Lösung, die ohne die üblichen Gauben auskommt.

Die einschlägigen Bauvorschriften machen den Architekten die Aufgabe, zeitgemäße Wohnungen in alten Dächern unterzubringen, oft nicht leicht. Unter Hinweis auf Beeinträchtigungen des historischen Stadtbildes sind oft nur kleine Dachflächenfenster oder Gauben gestattet und eine Veränderung des Dachumrisses wird nur in den seltensten Fällen geduldet. Es braucht also gute Argumente gegenüber den Behörden und viel planerisches Geschick, um die begehrte Wohnung im Dach so zu gestalten, dass weder tote Flächen un ter den Dachschrägen noch dunkle Zimmerschluchten wegen unzureichender Fensteröffnungen entstehen. Dem Architektenteam Georg Pendl und Elisabeth Senn ist es bei einem Dachgeschoßausbau in der Innsbrucker Schillerstraße gelungen, beides zu vermeiden.

Die großzügige Wohnung befindet sich auf einem Eckhaus und ist vom Platz deutlich als neue Zutat zu erkennen, ohne als störender Faktor wahrgenommen zu werden. Die glatten Dachflächen aus Aluminium fallen von der erhalten gebliebenen Attika am Gebäudeeck über den Fensterbändern schräg ab und leiten damit zu den benachbarten niedrigeren Dächern über.

Die Figur scheint soeben gelandet zu sein und sich ihre endgültige Position erst suchen zu wollen. Den gesamten zur Straße hin orientierten Bereich nimmt ein großer, L-förmiger Wohnraum ein. Die Küche ist mit einer Mattglasscheibe vage ausgeblendet, aber im Grunde Teil des Raumes.

Rundum laufende Lichtbänder sorgen nur für ein lichtdurchflutetes Inneres sondern auch für phantastischen Ausblick, der die Schnee- und Witterungsverhältnisse auf der Seegrube live ins Wohnzimmer liefert. Im von der Straße abgewandten Hinterland der Wohnung liegen die Schlafräume. Blaue, gelbe und rote Flächen liefern an ausgesuchten Stellen heitere Farbakzente, die man für Projekte von Pendl und Senn fast schon als charakteristisch bezeichnen kann, da kaum einer ihrer Bauten ohne sie auskommt und farblos bleibt. Ein zusätzlicher Bonus ist die Dachterrasse, die auf dem Flachdach einer bereits bestehenden Dachbodenwohnung eingerichtet wurde. Sie erreicht man über eine Treppe, die steil auf einen verglasten laternenartigen Aufbau zuläuft und das „In-die-Berge-gehen“ vage zitiert. Schwindelfreiheit - kein Problem für gelernte Tiroler - ist also mitzubringen, um von ganz oben über die Dächer zu blicken und das Leben auf der Straße zu beobachten.

Der Standard, Mi., 2000.05.10



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Dachboden Schillerplatz

05. April 2000Franziska Leeb
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Zeitgemäße Ergänzung

Tradition und Zeitgeist fügen sich bei einem vom Architektenteam hochholdinger. knauer geplanten Haus im Weinviertel sinnvoll zusammen

Tradition und Zeitgeist fügen sich bei einem vom Architektenteam hochholdinger. knauer geplanten Haus im Weinviertel sinnvoll zusammen

Die ursprüngliche Siedlungsstruktur des kleinen Dorfes am Ostrand des Kreuttales war geprägt von einer bäuerlichen Gebäudetypologie.

In der Zwischenzeit sind die geschlossenen Zeilen der Gassenfrontenhäuser, wie fast überall anders in der Region auch, in ihrer Einheitlichkeit nicht mehr erhalten. Die traditionellen hakenförmigen Hoftypen vom Beginn dieses Jahrhunderts wurden häufig durch frei stehende Einfamilienhäuser ersetzt.

Genau das wollten die Bauherren von Gabriele Hochholdinger und Franz Knauer nicht. Sie wünschten sich zwar ein zeitgemäßes Wohnhaus, der bestehende kleine Hakenhof sollte als Reservefläche jedoch erhalten bleiben.
Ausgangspunkt für die Anordnung des Neubaues auf dem großen, nach hinten zum Grünland ansteigenden Grundstück war der ursprüngliche Abschluss des Hofes, der zusammen mit den benachbarten Hintaus-Gebäuden eine einheitliche Bebauungskante bildete.

Es gab hier die übliche Scheune und ein kleines Sommerhaus. Beide wurden - weil mittlerweile funktionslos geworden - abgetragen und durch das neue Haus ersetzt. An der Straßenseite wurde die unüberdachte Einfahrt in Fortsetzung des Bestandes überbaut und damit die Straßenfront zum Nachbarhaus hin geschlossen: Eine kleine Korrektur, der man nicht anmerkt, dass sie aus der Gegenwart stammt, die aber sowohl der Einheitlichkeit der Straßenfronten gut tut als auch den Innenhof perfekt von der Öffentlichkeit abschirmt.

Das neue Haus schließt also mit seiner Rückseite in den Hang gesetzt anstelle der früheren Nebengebäude die Anlage nach hinten ab.
Es besteht aus einem zweigeschoßigen Zimmertrakt und - dem Gelände folgend - einem etwas abgesenkten großen Wohnraum mit einer Glasfront zur Terrasse. Im Gegensatz zum sehr transparenten Gesellschaftsbereich des Hauses sind die privaten Zimmergeschoße in bergendes Betonsteinmauerwerk und Holz gehüllt. Die Eingangszone wird durch eine rote Scheibe markiert und von der Terrasse a bgeschirmt. Der um die Deckenscheibe des Erdgeschoßes laufende Stahlträger betont die Horizontale und wirkt als ausgleichendes Element im unebenen Gelände. An der Schmalseite kragt er als Pergola aus und überdeckt mit einem grünen Blätterdach und roten Glasfeldern einen intimen Freibereich.

Unter dem begrünten Flachdach des Wohn- und Essbereiches verläuft ein Lichtband, das eine Blickbeziehung in den hangaufwärts liegenden Obstgarten herstellt und Morgensonne in den Raum lenkt.
In Anlehnung an den einst hier bestehenden Stadel und an die Scheunen der Nachbarschaft, wurde das Obergeschoß aus Holz errichtet. An der Rückseite des Hauses gelangt man von diesem Geschoß aus ohne Niveauunterschied in den Garten, von dem aus gesehen das Wohnhaus wie die Fortsetzung der Landschaft erscheint.
Das als Niedrigenergiehaus konzipierte Gebäude ist mit einer kontrollierten Be- und Entlüftung ausgestattet. Die Zuluft wird über einen unter der Bodenplatte geführten Erdkanal vorgewärmt bzw. im Sommer gekühlt.

Im Winter wird über einen Wärmetauscher die Wärme der Abluft an die Zuluft übertragen. Sonnenkollektoren betreiben - im Bedarfsfall ergänzt durch Gas - die Niedertemperaturheizung. Aus ästhetischen Gründen entschied man sich für Vakuumkollektoren, deren flache Röhren so gut wie unsichtbar auf dem Dach des Holzkubus aufliegen.
Weitere umweltschonende Aspekte sind, dass sich der Neubau in den gewachsenen Verband einfügt und keine neuen Flächen am Ortsrand verbraucht sowie die Wiederverwertung von Abbruchmaterial.
Der ökologische Anspruch des Hauses steht jedoch formal nicht penetrant im Vordergrund, sondern ist nur eine von vielen Facetten einer modernen Wohnstatt, die der Umgebung Respekt zollt.

Der Standard, Mi., 2000.04.05



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Haus im Weinviertel

26. Januar 2000Franziska Leeb
Der Standard

Räumliche Gegensätze und eine Vereinigung

Wie sehr die Materialwahl Ausdruck und Charakter eines Raumes beeinflussen, veranschaulicht Architekt Hans Häusler in drei Wohnungen unter einem Dach.

Wie sehr die Materialwahl Ausdruck und Charakter eines Raumes beeinflussen, veranschaulicht Architekt Hans Häusler in drei Wohnungen unter einem Dach.

Die Auseinandersetzung mit Fragen zur Wirkung von Form, Farbe und Licht im Raum im Rahmen seiner Lehrtätigkeit an der TU Wien drängten Architekt Hans Häusler dazu, die universitäre Beschäftigung an einem konkreten Projekt zu visualisieren. Im Rahmen der Sanierung eines Wohnhauses in Wien bot sich ihm die Gelegenheit, zwei an sich gleichen Dachgeschoßwohnungen verschiedene Charaktere zu verleihen. Er entwickelte dafür einen unkonventionellen Grundriss, der sich in der benachbarten Wohnung spiegelbildlich wiederholt.

Eine schräge Wand zieht sich als Rückgrat durch die Wohnung und trennt sie in zwei Zonen. Der offene Bereich, von dem aus eine Treppe auf die Dachterrasse führt, dient als Wohn- und Speiseraum. Hinter der schrägen Teilung verbergen sich die dienenden und privaten Bereiche wie Küche, Bad und Schlafzimmer. Die Türen zu diesen Raumzellen sind als raumhohe Elemente in die Wand integriert, die dadurch wie ein Einbauschrank wirkt.

Die Materialität der Oberflächen generiert aus diesem Zwillingspaar mit völlig gleicher Grundstruktur jedoch Raumwirkungen, wie sie konträrer nicht sein könnten. Links die kühle Wohnung, die nach selbstbewussten Bewohnern verlangt: Ein harter, schwarzer Granitboden, schillerndes Aluminiumblech, eine Treppe aus Stahlblech und im Boden versenkte Lichter, die nach oben strahlen, sorgen für ein extravagantes Ambiente. Die Oberflächen signalisieren Aggressivität, aber auch Festlichkeit und Dauerhaftigkeit.

Rechts davon der räumliche Gegensatz: Helles Holz und Licht von oben schaffen eine Homogenität, die beruhigend wirkt. Diese Wohnung ist deshalb weder weniger modern, noch besser oder schlechter als die nebenan. Sie wirkt wärmer, weicher und introvertierter, kurzum gemütlicher als ihr Pendant, das einen ganz anderen Aufforderungscharakter besitzt.

In einer dritten Wohnung im gleichen Haus, bei der die Aufgabe darin bestand, eine hofseitige Kleinwohnung mit der Waschküche darunter zusammenzulegen, finden sich die im Dachgeschoß getrennt vorgeführten optischen und haptischen Erlebnisse vereint. Die obere Ebene ist mit schwarzem Stein und gebürstetem Aluminium recht kühl gehalten. Die untere vermittelt durch die Dominanz von Holz und weißen Putzflächen Heimeligkeit. Verbunden werden die beiden Geschosse durch eine einläufige Treppe, deren schmale Trittstufen frei in den Raum ragen. Die Aluwand ist in diesem Bereich in die Tiefe gezogen und betont die Höhe des 2-geschoßigen Raumes.

Arch. DI Hans Häusler
Salmgasse 10, 1030 Wien,
Tel. 01/712-09-50

Der Standard, Mi., 2000.01.26



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Dachgeschossausbau

15. Januar 2000Franziska Leeb
Der Standard

Einfachheit mit vielen Facetten

Konsequente Zurückhaltung und spannende Raumsituationen machen das von Gerold Wiederin geplante Ein-familienhaus in Vorarlberg zu einem Kleinod auf dem Sektor der vielstrapazierten „Neuen Einfachheit“.

Konsequente Zurückhaltung und spannende Raumsituationen machen das von Gerold Wiederin geplante Ein-familienhaus in Vorarlberg zu einem Kleinod auf dem Sektor der vielstrapazierten „Neuen Einfachheit“.

Das Haus steht an der Kante zu einem steil abfallenden Hang im Dornbirner Ortsteil Häfenberg. Der Baukörper erscheint geradezu gnadenlos schlicht: Der Grundriss beruht auf einem unregelmäßigen Viereck, dessen schräge Südwand aus der Form des Grundstücks resultiert. Die beiden Geschoße sind zueinander parallel verschoben, sodass das Obergeschoß zum Hang hin auskragt und über dem Erdgeschoß eine Terrasse gebildet wird. Die Fassaden wiederholen sich an den gegenüberliegenden Seiten. Breite, raumhohe Verglasungen nach Osten und Westen, jeweils einander gegenüberliegende Fenster an den ansonsten völlig geschlossenen seitlichen Fassaden. Der Eingang führt an der Ostseite direkt ins als Einraum konzipierte Erdgeschoß.

Ein rundum holzverkleideter Kern birgt hier die dienenden Räume. Der offene Grundriss kann bei Bedarf durch in dem Holzverbau verborgene Schiebewände variabel unterteilt werden. , In diesem Servicekern führt das Stiegenhaus nach oben, in den privaten Teil des Hauses. Ein zwei Meter breiter Gang, der auch als Bibliothek genutzt werden kann, teilt das Geschoss in der Querrichtung. An seinen Enden liegen quadratische, raumbreite Fenster mit einer niedrigen Parapethöhe. An der Westseite flankieren zwei Zimmer ein Bad, im Ostteil liegt das Elternschlafzimmer, das entlang der Glasfassade eine Verbindung zu Ankleideraum und Badezimmer aufweist.

Unterschiedliche Orientierungen von Erd- und Obergeschoß sorgen dafür, dass jede Ebene von anderen Lichtstimmungen und Ausblicken bestimmt ist. Während die untere Wohnebene Ost-West-orientiert ist, also von einer Glasfassade zur anderen, wird im Zimmergeschoß durch den trennenden Gang die Nord-Süd-Achse betont. Vom Obergeschoß aus sieht man bis zum Bodensee und der Insel Mainau. Die Fassadenfarbe Moosgrau changiert je nach Licht zwischen grau, grünlich und beigebraun. In Kombination mit den umbragrauen Fensterprofilen ist das Haus durch diese naturnahen Töne chamäleonartig in die Landschaft eingebunden.

Trotz aller Transparenz entstand ein schwerer Körper, den die massiven Seitenwände fest im Boden verankern. Gerold Wiederin gelang ein Haus, dass sich ohne spektakuläre Gesten zu behaupten vermag. Das Prinzip der Einfachheit kann zu spannenden, facettenreichen Lösungen führen.

Franziska Leeb

Architekt Gerold Wiederin,
Schönbrunnerstraße 31/19,
1050 Wien, Tel. 586-96-76

Der Standard, Sa., 2000.01.15



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Haus Häfenberg

08. Januar 2000Franziska Leeb
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Selbstdarstellung im Wohnregal

Architekt Helmut Wimmer hindert die Bewohner seiner Bauten nicht daran, das äußere Erscheinungsbild mitzubestimmen. Schönheit soll im Spannungsfeld zwischen Chaos und Ordnung entstehen und nicht durch das Diktat des Architekten.

Architekt Helmut Wimmer hindert die Bewohner seiner Bauten nicht daran, das äußere Erscheinungsbild mitzubestimmen. Schönheit soll im Spannungsfeld zwischen Chaos und Ordnung entstehen und nicht durch das Diktat des Architekten.

Helmut Wimmer bezeichnet seinen Wohnbau in Wien-Ottakring als „Wohnregal“. Eine treffende Beschreibung für die zwei parallel zur Koppstraße liegenden Längsriegel und den Querriegel an der Paltaufgasse, deren gleichförmige Struktur eine dreidimensionale zu besiedelnde Landschaft bildet. Das konstruktive System besteht aus einer in Scheiben, Stützen und Kerne aufgelösten Betonstruktur.

Alle „dienenden“ Räume sind in den U-förmigen Kernen an den Laubengangseiten untergebracht. Zusätzlich erstreckt sich eine Stützenreihe entlang der Loggienwände. Dazwischen sind die Geschoße über die gesamte Länge stützenfrei. Dieses Konzept erlaubt es, die Wohnungen je nach gewünschter Größe wie von einem Kuchen abzuschneiden. Die mit Wohnungen „zu besiedelnden Flächen“ werden als Bauparzellen gesehen. Straßenseitig ist ihnen das Erschließungssystem vorgelagert, das Wimmer als Teil einer vertikalen Stadtlandschaft versteht. Vorgärten, die individuell genutzt werden können dienen als Pufferzonen zum Privatbereich sowie zur nachbarschaftlichen Kommunikation. Diese öffentlichen und halböffentlichen Zonen sind mit einem roten Belag gekennzeichnet.

Entlang der dem Hof zugewandten Seite finden sich als private Pendants zur „roten Zone“ die in grün gehaltenen „Gärten“. Sie sind zwei Meter tief und somit als Aufenthaltsbereich auch tatsächlich nutzbar. Ursprünglich sollten diese farbigen Beläge als glatte Kunstharzböden ausgeführt werden. Hohe Kosten und vor allem die Baustellenlogistik sprachen dagegen. Als günstige Alternative wurden Kunststofffliesen verlegt, wie sie auch auf den Decks von Hochseeschiffen zum Einsatz kommen. Das Material mit seinem dekorativen Lochmuster macht einen etwas provisorischen Eindruck, hat andererseits aber auch einen unbekümmerten Charme, der das strenge Betongerüst mit einer heiteren Schicht überzieht.

Das „Wohnregal“ besteht aus einer harten Primär- und einer weichen Sekundärstruktur. Die Primärstruktur bilden die Betondecks, die zur Inbesitznahme bereitstehen. Die sekundäre Struktur ist jene, die die Bewohner der Anlage hinzufügen. Das können Einbauten oder Spielgeräte in den sogenannten Vorgärten oder Wohnraumerweiterungen in der Loggienzone ebenso sein wie Markisen, Möbel, Pflanzen oder Wäscheleinen, die als lebendige Schicht eine „soziale Fassade“ bilden, die ständiger Veränderung unterworfen ist.

Helmut Wimmer liegt nichts daran, die individuellen Zutaten der Bewohner zu unterbinden. Er geht sogar so weit, diese Selbstdarstellung der einzelnen Nutzer zu provozieren. Ein bisschen angeordnete Gestaltung darf es dann aber doch sein, wenn auch auf freiwilliger Basis: Eigens für die Anlage wurden Schiebesegel entwickelt, die auf Wunsch als Sonnenschutz angebracht werden können. Sie stammen wie das große gelbe Sonnensegel im Hof von Gerald Wurz. Die primäre Struktur bildet einen Rahmen, der stark genug ist, individuellen Darstellungen Raum zu geben. Wimmer sieht diese Entfaltungsmöglichkeit, die sich auch nach außen manifestiert, als Spiegel der Demokratie. Das Leben spielt sich nicht mehr ausschließlich hinter den Mauern ab, wie in den Gründerzeithäusern, den „Spiegelbildern des Absolutismus“. Im Gegensatz zu den älteren Wohnhausanlagen der Gegend mit ihren gleichförmigen und stets gleich bleibenden Lochfassaden, hat der Wimmer-Bau innerhalb kürzester Zeit angefangen zu wuchern. Das Angebot, die Vorzonen und Loggien zu nutzen und nach eigenem Bedarf in Besitz zu nehmen, wird eifrig angenommen.

Der Standard, Sa., 2000.01.08



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Wohnregal

25. September 1999Franziska Leeb
Der Standard

Architekten sollen kommunizieren

Im Gespräch mit Franziska Leeb äußert sich der Architekt Ben van Berkel über sein Berufsbild, sein Vereinigtes Netzwerk und die „tiefe Planung“ als Ping-Pong zwischen digitaler, virtueller und greifbarer menschlicher Information.

Im Gespräch mit Franziska Leeb äußert sich der Architekt Ben van Berkel über sein Berufsbild, sein Vereinigtes Netzwerk und die „tiefe Planung“ als Ping-Pong zwischen digitaler, virtueller und greifbarer menschlicher Information.

Seit 1988 realisierte das Amsterdamer Architekturbüro Ben van Berkel und Caroline Bos zahlreiche international beachtete Projekte wie die Erasmusbrücke in Rotterdam, das Umspannwerk im niederländischen Amersfoort oder die Architekturgalerie Aedes Ost in Berlin. In Österreich haben Van Berkel & Bos die Wettbewerbe für das Grazer Musiktheater und das Umspannwerk in Innsbruck gewonnen. Ende letzten Jahres gründeten sie das UN Studio (United Network) und diesen Sommer stellten sie die dreibändige Publikation MOVE (siehe Kasten) vor. Die bereits fix scheinende Berufung Ben van Berkels an die Grazer Architekturfakultät wurde überraschenderweise von der Universität noch nicht bestätigt. Bleibt abzuwarten, wann und woher sich die steirische Architekturschule nun frischen, internationalen Wind holen wird.

DER STANDARD: Van Berkel & Bos ist mittlerweile ein architektonisches Markenzeichen. Wollen Sie das nun durch das neue UN Studio ersetzen?

Ben van Berkel: Van Berkel & Bos existiert weiterhin. Mit dem UN Studio haben wir eine neue Firma, besser gesagt ein Netzwerk, gegründet, das nach völlig neuen Grundsätzen operiert. Unter Van Berkel & Bos laufen andere Aktivitäten, wie zum Beispiel unsere publizistische Arbeit oder Ausstellungen. Als wir UN Studio gründeten, hatten wir etwas Angst, dass die Namensänderung vielleicht nicht akzeptiert werden würde, merken nun aber, wie gut sie aufgenommen wird. In einem Jahr gibt es möglicherweise nur noch das UN Studio.

Weist der neue Name auch auf eine neue Interpretation von Autorenschaft hin?

BvB: Ja, zumindest in dem Sinn, dass wir an ein Konzept des Berufes glauben, das sich von der klassischen Arbeitsweise abhebt. Natürlich ist es weiterhin der Architekt, bei dem alle Fäden zusammenlaufen und der entscheidet, wie ein Projekt im Detail bewältigt werden muss. Unsere Strategie ist ein kooperativer Prozess, in dem ich ähnlich einem Dirigenten agiere, der sich innerhalb des Orchesters bewegt - wie zum Beispiel John Cage - und nicht davor steht. UN Studio funktioniert ein bisschen so wie die DreamWorks Studios von Steven Spielberg. Wir möchten auch Leute anderer Disziplinen in unser Netzwerk aufnehmen. Wir haben bereits Grafikdesigner, die bei uns zusätzlich ihren eigenen Aktivitäten nachgehen und nicht von mir abhängig sind.

Wie groß ist bei dieser Bürostruktur die Gefahr, die Kontrolle zu verlieren?

BvB: Unserer Meinung nach eröffnet sie dem Architekten einen tieferen Zugang zu seinem eigenen Beruf und zu anderen Disziplinen. Der Architekt wird zum Mediator, zu einem public scientist, der im Spannungsfeld von Politik und Öffentlichkeit agiert und gegebenenfalls vermittelt.

Ihr neues Buch MOVE wird als Manifest betrachtet. Ist es ein Manifest für eine neue Architektur oder für einen neuen Architekten?

BvB: In erster Linie geht es um eine neue Auffassung des Berufes, es ist also eher ein Manifest zur Praxis, wobei wir nicht dogmatisch vorgehen. Wir sagen vielmehr, dass wir unsere eigene Politik, Architektur zu machen und Projekte zu organisieren, überdenken müssen. Wenn wir mit großen städtebaulichen oder öffentlichen Projekten beauftragt werden, haben wir mit unterschiedlichen Kunden zu tun. Der Einsatz neuer Kommunikationstechniken kann beitragen, Auftraggebern und Politikern Projekte besser zu veranschaulichen und Zusammenhänge zu verdeutlichen. Wir sind sehr daran interessiert herauszufinden, wie neue Technologien die Projektorganisation beeinflussen können. Es geht also nicht nur darum, Stimulator für eine andere Position des Architekten zu sein oder Dinge einfach neu zu benennen.

Drei Arbeitstechniken werden in MOVE besonders hervorgehoben: Diagramme, Hybridisierung und Mediation.

BvB: Die Mediation ist am wichtigsten, weil sie alle anderen Techniken und Disziplinen miteinbezieht. Wir haben nur die Bereiche der diagrammatischen Darstellung (die losgelöst von linearer Darstellung oder Sprache präzise Aussagen zu funktionalen Anforderungen zulässt) und die Hybridisation (Anm.: die Fusion von Konstruktion, Materialien, Wegführung, Raum) im Buch näher ausgeführt. Wir könnten noch über fünf andere Techniken reden.

Zu den Slogans des UN Studio zählt auch „Deep Planning“. Was bedeutet das?

BvB: Ein Deep Plan beinhaltet Infrastruktur, Städtebau, Ökonomie, Konstruktion und den Faktor Zeit. Vereinfacht ausgedrückt veranschaulicht der Deep Plan, wie das Leben, das Schlafen und das Arbeiten innerhalb von Städten funktioniert, und er läßt Untersuchungen zu, welche Infrastruktur welche Auswirkung auf das gesamte Programm hat. Wichtig ist, dass es ein ständiges Ping-Pong zwischen digitaler, virtueller und greifbarer menschlicher Information bleibt. Wir möchten uns nicht auf die völlig abstrakte Computerebene beschränken.

Das Bild, das Sie vom Architekten zeichnen, ist das eines Generalisten.

BvB: Wir arbeiten in so vielen Bereichen, auch sozial und politisch. Wie die wunderbare Situation in Holland zeigt, hat Architektur großen Einfluss auf das Alltagsleben. Jede Art von Lifestyle, bestimmte Rituale, das Alltagsleben stehen in enger Beziehung zu Architektur und Städtebau und sollten analysiert und verstanden werden.

Ist dieses Selbstverständnis von Architektur spezifisch für die Niederlande?

BvB: Wahrscheinlich ist die Situation hier sehr gut, weil wir die Unterstützung der Politik haben. Die Stadtpolitiker gehören meiner Generation an und trachten nach zeitgemäßen Veränderungen. Aber ich fürchte, dass in Holland vieles zu sehr nach ökonomischen Gesichtspunkten gesehen wird. Die soziale Situation ist gut, und es herrscht eine unglaubliche Dynamik. Doch wir betreiben zu wenig Forschung, und das ist meine Kritik an den Architekten hier in Holland. Sie produzieren nur Produkte. Im UN Studio wenden wir fünfzig Prozent unserer Arbeit für Forschung auf.

Das ist aber alles unbezahlte Arbeit.

BvB: Das meiste davon, ja. So gesehen sind wir eine Non-Profit-Organisation. Ein Architekt muss natürlich auch überleben, und wir wissen eigentlich ganz gut, wie.

Was beabsichtigten Sie mit der Publikation von MOVE?

BvB: Es ist vor allem ein Tagebuch, über das wir in einen Kommunikationsprozess treten und unsere Arbeitsweise darlegen möchten. Architekten sollten mehr kommunizieren und eine offene Diskussion über ihr Tun zulassen. Ein Architekt ist wie ein Politiker. Wir verantworten eine Menge an Geldern, haben Einfluss auf den öffentlichen Raum und sollten uns daher in einem kritischen Feld bewegen. Ich schätze Kritik. Das schärft die Positionierung und bringt uns weiter.

Soll das neue Rollenbild auch in die Lehre an den Universitäten eindringen?

BvB: Meiner Ansicht nach sollte sich die Ausbildung mit den aktuellen Veränderungen des Marktes, mit neuen Bautechnologien und Produktionsbedingungen intensiv auseinandersetzen. Studenten und angehende Architekten müssen über alle neuen Planungsstrategien unterrichtet sein, um zu verstehen, wie sie den Beruf in Zukunft ausüben können.

Worauf würde sich Ihre Lehre konzentrieren?

BvB: Wichtig ist, dass die Studenten begreifen, was es bedeutet, für die Öffentlichkeit zu bauen. Ein anderer Schwerpunkt ist das Wissen über Materialien und ihre Eigenschaften. Studenten sollten auf einer Ebene ausgebildet werden, auf der es ihnen möglich ist, selbst forschend aktiv zu werden. Durch diese Art der Ausbildung können sie im Gegensatz zu den üblichen Lehrmethoden ihre individuellen persönlichen Fähigkeiten ent- decken. Traditionelles Basiswissen ist wichtig, aber noch wichtiger als technische Fähigkeiten ist das Wissen um die umfassende Qualität von Architektur.

Es geht also darum, neue Herangehensweisen an den Entwurf aufzuzeigen?

BvB: Ja, besonders wie die Vorstellungskraft durch neue Methoden stimuliert werden kann. Ich bin auch sehr an Prototypen von Raum-Zeit-Modellen interessiert. Die Art, wie Raum sich formt und artikuliert, muss völlig neu konzipiert werden. Wir sollten mehr in topologischen Organisationen, wie ich das nenne, denken, in denen Aspekte von Landschaft, Städtebau, Ingenieurbau und Architektur vereint werden.

Wie wichtig ist die bildende Kunst für Sie? Es fiel mir auf, dass Sie in Publikationen sehr viele Ihrer Projekte und Ideen mit Werken von Künstlern illustrieren.

BvB: Ich finde Künstler manchmal inspirierender als Architekten. Wenn ich nach architektonischen Vorbildern gefragt werde, antworte ich immer, dass ich nie welche hatte. Natürlich waren einzelne Aspekte wichtig, zum Beispiel, wie Le Corbusier in dieser Wechselbeziehung zwischen Malerei und Architektur agierte. Was ich an den guten Künstlern mag, ist ihr unglaubliches Vorstellungsvermögen, bestimmte Denkrichtungen zu verbinden. Sie konstruieren mental anders als Architekten.


Was ist der Stand der Dinge bei Ihren Projekten für Graz und Innsbruck?

BvB: Das Innsbrucker Umspannwerk, schätze ich, wird in einem Jahr so gut wie fertig sein. Das Musikhaus und Musiktheater Graz geht auch gut voran, und ich bin optimistisch, dass es wie geplant Ende 2002 fertig ist. Ich bin sehr am Baugeschehen in Österreich interessiert. Die Detailqualität ist sehr gut. Das Interesse am Handwerk scheint höher zu sein als in Holland, wo man im Bereich der Organisation und Bauproduktion glaube ich erfinderischer ist.


Sie zählen mittlerweile zu den international anerkanntesten Architekten. Sind Sie so etwas wie der Kronprinz Ihres holländischen Kollegen Rem Koolhaas?

BvB: Ja, natürlich (lacht). Nein, um ernst zu bleiben: Wir sehen uns beide nicht als holländische Architekten. Wir haben mehr Möglichkeiten in Amerika denn je und fühlen uns total international. Es ist sehr beliebt, uns zu vergleichen, die Zeitschrift A+U hat uns unter dem Titel „Rem and Ben“ eine Ausgabe gewidmet. Aber wir haben keine familiäre Beziehung.

Der Standard, Sa., 1999.09.25



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24. Juli 1999Franziska Leeb
Der Standard

Mehr Licht ins Haus

Der Baustoff Glas hat die Architektur im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Während Glasfassaden bei Kauf- und Bürohäusern seit Jahrzehnten Usus sind, steht man dem vielfältigen Material auf dem wenig experimentierfreudigen Sektor des Wohnbaus allerdings noch skeptisch gegenüber.

Der Baustoff Glas hat die Architektur im 20. Jahrhundert entscheidend mitgeprägt. Während Glasfassaden bei Kauf- und Bürohäusern seit Jahrzehnten Usus sind, steht man dem vielfältigen Material auf dem wenig experimentierfreudigen Sektor des Wohnbaus allerdings noch skeptisch gegenüber.

„Wollen wir unsre Kultur auf ein höheres Niveau bringen, so sind wir wohl oder übel gezwungen, unsre Architektur umzuwandeln. Und dieses wird uns nur dann möglich sein, wenn wir den Räumen, in denen wir leben, das Geschlossene nehmen. Das aber können wir nur durch Einführung der Glasarchitektur, die das Sonnenlicht und das Licht des Mondes und der Sterne nicht nur durch ein paar Fenster in die Räume läßt...“, formulierte bereits am Anfang dieses Jahrhunderts der Phantast Paul Scheerbart in seinem Aufsatz Glasarchitektur - gewidmet dem Architekten des Glaspavillons auf der Kölner Werkbundausstellung von 1914, Bruno Taut.

Transparenz lautet eines der beliebtesten Schlagworte in der Architektur der Gegenwart. Es dient oft auch als Synonym für das Sichtbarmachen von Prozessen. Bürohäuser werden mit transparenten Fassaden ausgeführt, um Arbeitsabläufe - scheinbar - nachvollziehbar zu machen. Bei Wohnhäusern mit verglasten Loggien soll sich das Wohnen an die Fassade und damit in den öffentlichen Raum hinein projizieren. Der Mensch ist bloß noch nicht ganz daran gewöhnt, sein Privatleben der Öffentlichkeit preiszugeben und wehrt sich mit Vorhängen, Bastmatten und Paravents gegen die von den Architekten vorgesehene Durchlässigkeit. Sehen und gesehen werden sind eben zweierlei.

Warum verwenden Architekten Glas?
Das Architektenteam Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer wollte mit dem Wintergarten des Hauses Sailer in Salzburg „einen Raum schaffen, dessen Ort weder innen noch außen liegt“. Der gläserne Anbau verbindet das Haus mit dem Garten und sorgt in der kalten Jahreszeit dafür, daß Sonnenlicht und Wärme wohltuende Auswirkungen auf das gesamte Haus zeigen. Vorsorglich errichteten die Architekten eine Pergola aus verzinktem Stahl, auf der eine Beschattung für die Glaskonstruktion angebracht werden könnte. Bis dato wurde diese jedoch nicht für notwendig erachtet, da der 40prozentige Punktraster am Dach ausreichend Schutz vor zu starker Einstrahlung bietet. „Wie der Name schon sagt“, meint Aneta Bulant-Kamenova, „handelt es sich um einen W i n t e r garten, der seine Qualitäten besonders in der kalten Jahreszeit ausspielt“. Seine Konstruktion betreffend, stellte der auf den ersten Blick unspektakulär wirkende Zubau, dem jede technoide Ästhetik fehlt, eine große technologische Herausforderung dar. Schließlich war er die erste in Österreich ausgeführte, geklebte Ganzglaskonstruktion.

Was ganz simpel erscheint, ist purer High-tech, der aufgrund seines Innovationsgrades und für die architektonische Qualität bereits mit mehreren Preisen ausgezeichnet wurde. Darunter der renommierte Benedictus Award '98 für Innovationen im Bau mit laminiertem Glas. Die Hülle besteht aus Isolierglas, die Stützen und Balken aus dreischichtig verklebtem Verbundsicherheitsglas. Die auf dem Bild zu sehenden Metallhalterungen haben keinerlei konstruktive Funktion, sondern dienten nur als Montagehilfe während der Austrocknungszeit. Einzigartig ist auch die rahmenlose, drei Meter hohe Doppeltür aus Isolierglas. Die auf das Notwendigste entschlackte Glashülle ist ein Stück Baukunst, bei dem die Materialeigenschaften des Werkstoffs voll zur Geltung kommen, und gleichzeitig eine Schule der Wahrnehmung: durch das Glas hindurch betrachtet unterliegen die Konturen einem „Sfumato-Effekt“. Sie erscheinen weicher, leicht verschwimmend, unterschiedliche Licht- und Wetterverhältnisse erzeugen Spiegelungen und verschiedene Stimmungsbilder.

Glas dominiert auch bei den Apartments, die Hans Gangoly der historischen Bausubstanz von Gut Hornegg implantierte. Er gestaltete die Fassade als durchgehende Glashaut. Damit wird die reizvolle Landschaft Bestandteil des Wohnambientes und spiegelt sich dort, wo das Glas vor dahinterliegende Wandaufbauten geschichtet wurde, an der Fassade. Das regelmäßige Lüften sei das Um und Auf, sagt Gangoly, da nur wenig Speichermasse vorhanden und die Gefahr der Überhitzung groß ist. Beschattung und außenliegende Sonnenschutz-Screens sind unerläßlich, aber eben nicht alles. Die Nutzung eines „Glashauses“ erfordert neuen Umgang mit der Wohnung.

Der Grazer Architekt Ernst Giselbrecht „schätzt die Sonne und das Tageslicht sehr“. Glas erlaubt ihm wie kein anderes Material, lichtdurchflutete Wohnräume zu schaffen und läßt Räume außerdem größer wirken. Eine Tatsache, die besonders im sozialen Wohnungsbau ein Mehr an Wohnqualität bedeuten kann. Die Notwendigkeit, sparsam zu kalkulieren, gestattet hier aber in den seltensten Fällen den exzessiven Einsatz von High-Tech-Gläsern. Bei der von Giselbrecht geplanten Wohnanlage in Graz-Straßgang tragen große verglaste Loggien, deren Seitenscheiben über die Fassade hinausgeschoben werden können, wesentlich zu den innenräumlichen Qualitäten bei.

Nicht nur durchsichtig
Die Vorteile von Glas auf seine Durchsichtigkeit zu beschränken, wäre angesichts der Technologieschübe der vergangenen Jahrzehnte grob vereinfachend und unzureichend. Verschiedene Beschichtungsverfahren machen Glas transluzent oder opak, ermöglichen es den Lichteinfall zu lenken und die Sonneneinstrahlung zu absorbieren. Moderne hochwärmedämmende Isoliergläser weisen heute bereits bessere k-Werte auf als vor zwei Jahrzehnten massives Ziegelmauerwerk. Eingefärbte oder beschichtete Scheiben - wobei heute die Beschichtung kaum noch erkennbar ist - reflektieren einfallende Wärme und Licht. Gläser können ihr Verhalten je nach Lichteinfall ändern oder von durchsichtig auf undurchsichtig umgeschalten werden.

Um die klimatischen Verhältnisse im Innenraum in den Griff zu bekommen, ist eine sorgfältige Planung unabkömmlich. Es gilt ein komplexes System abzuwägen: Lüftung, Beschattung, Ausnutzung der ortsspezifischen klimatischen Bedingungen, Schallschutzmaßnahmen, Licht und - nicht zu vergessen - die haptische Qualität der Raumoberflächen.

Klimaanlagen würde Giselbrecht im Wohnbau nicht einsetzen, da erfahrungsgemäß für die Kühlung eines Gebäudes mehr Energieaufwand vonnöten ist als für die Beheizung.

Die breite Palette an Gläsern und die Vielzahl ihrer Kombinationsmöglichkeiten scheint tatsächlich alle erdenklichen Funktionen abzudecken, ist aber in ihrer Unüberschaubarkeit (nicht nur) für Laien höchst verwirrend. Kein Wunder, daß besonders im Wohnbau der Großteil des Gebauten nach wie vor dem traditionellen Muster von geschlossener Wand mit Fenstern folgt und zumindest auf diesem Sektor von den Visionen Paul Scheerbarts („Das neue Glas-Milieu wird den Menschen vollkommen umwandeln.“) noch weit entfernt ist. Völlig verglaste Räume zählen zu den Ausnahmen und werden immer noch dem Segment des Experimentellen zugeordnet.

Ein wirkliches Argument gegen Glas scheint vorerst noch der Kostenfaktor zu bleiben. Während der Preis für einen Quadratmeter verputzte Massivwand mit etwa öS 1.400,- kalkuliert wird, ist eine gleichwertige Glaswand nicht unter vier- bis fünftausend Schilling zu haben. Der Gewinn an passiver Sonnenenergie kann diesen Preisunterschied auch längerfristig nicht wettmachen. Giselbrecht wähnt die Entwicklung noch nicht am Ende. In absehbarer Zukunft, ist er überzeugt, wird auch im Hochbau die Möglichkeit bestehen, mit Sonnenenergie zu kühlen, wie dies zur Zeit in der Automobilindustrie bereits praktiziert wird. Dann gilt: Je stärker die Sonne ein Gebäude bestrahlt, umso mehr wird gekühlt. Das gläserne Zeitalter hat erst begonnen.

Der Standard, Sa., 1999.07.24

17. Juli 1999Franziska Leeb
Der Standard

Don Quijote der Architektur

Wie kann man Strukturen minimalisieren und gleichzeitig dem Bewohner oder Nutzer größtmöglichen Freiraum einräumen? Seit über dreißig Jahren beschäftigt den Architekten Heidulf Gerngross dieser scheinbare Widerspruch.

Wie kann man Strukturen minimalisieren und gleichzeitig dem Bewohner oder Nutzer größtmöglichen Freiraum einräumen? Seit über dreißig Jahren beschäftigt den Architekten Heidulf Gerngross dieser scheinbare Widerspruch.

Eine der eigensinnigsten Figuren der Wiener Architekturszene feiert heuer ihren sechzigsten Geburtstag. Haben es gleichaltrige Weggefährten mittlerweile zu stattlichen öffentlichen Aufträgen und Universitätsprofessuren gebracht, so ist er einer, der jenseits des etablierten Architektur- und Baubetriebs mit Hingabe nach dem Essentiellen in der Architektur sucht. Die Rede ist von Heidulf Gerngross, geboren 1939 in Kötschach/Kärnten.

Er besuchte das Werkschulheim Felbertal, wo er neben dem Gymnasium eine Tischlerlehre absolvierte, der er seine handwerklichen Fähigkeiten verdankt. Aus dieser ersten Ausbildungszeit blieb ihm vor allem ein Wortwechsel aus der Berufsschule in Erinnerung: „Was ist Zeit?“ fragte der Lehrer - „Zeit ist Geld“, antwortete ein Mitschüler, „Richtig, setzen“, sagte der Lehrer.

Von diesem Dialog kann vielleicht ein direkter Bogen zu Gerngross' Hauptanliegen der vergangenen Jahre gespannt werden: die Entwicklung systematisierter Haustypen, u.a. auf Basis vorgefertigter Container, die schnell zu errichten, möglichst flexibel und gleichzeitig wirtschaftlich sein sollten.

In der Zwischenzeit widmete er sich dem Architekturstudium, das er in Wien begann und in Graz abschloß. Ein Stipendium für die University of California Los Angeles (UCLA) ermöglichte ihm den Kontakt zu Archigram, damals in den sechziger Jahren die führende Architektur-Denkfabrik.

Im Gegensatz zu den Megastrukturen der visionären Stadtplanungsprojekte Archigrams, in denen Menschen eher „wie Ameisenkolonien“ (Gerngross) eine untergeordnete Rolle spielen, rollte er das Thema der Plug-In City von der anderen Seite auf. Er entwickelte vorgefertigte Polyester-Raumzellen für das Individuum, die dann zu Stadtstrukturen gefügt wurden.

Der Student Gerngross suchte Antworten auf die dominanten Positionen und Vorbilder der Zeit. Die Beschäftigung mit den Arbeiten von Kasimir Malewitsch, Le Corbusier und Friedrich Kiesler provozierten im Denken des jungen Gerngross die Frage nach dem architektonischen Raum, der er mit verschiedenen grenzüberschreitenden Arbeiten akribisch nachging. „Seismographische Aufzeichnungen“ nennt er eine Serie graphischer Blätter, die über Jahre hindurch entstanden sind und mit denen er die Welt mit Strichen zu erforschen und erklären suchte.

Als Antwort auf Kieslers Konzept des „Endless House“ hatte Gerngross nicht die Auflösung der Raumgrenzen im Sinn. Er erachtet vielmehr das bewußte Setzen von Grenzen, innerhalb derer eine theoretisch unbegrenzte individuelle Entwicklung stattfinden kann, als Grundlage architektonischen Handelns.

Nach dem Motto „Die Fläche ist die Algebra des Raumes“ präsentierte er 1993 in einer Galerie in Oslo einen Raum unter dem Titel The Endless House, dessen begrenzende Flächen er mit 1, 2 und 3 bezeichnete. Als Schlüsselwerk betrachtet er seine auf einem DINA4-Blatt festgehaltene Arbeit Der architektonische Raum, auch Gerngross-Raum genannt, bei dem sich monochrome Flächen mit unterschiedlicher Farbdichte und dem Schriftzug GERNGROSS versehen im Kopf des Betrachters zu einem virtuellen Raum zusammenfügen.

1968 begann er in Los Angeles seinem Volksbuch zu arbeiten, das zehn Jahre später als über zwölfhundert Seiten umfassender Band erschien. Gerngross mechanisierte die Sprache und setzte nach einem rhythmischen System eigene und aufgeschnappte, literarisch wertvolle Texte, die er per Zufallsgenerator auswählte, gleichermaßen wie Fragmente von Schundliteratur zum weltweit ersten Computerroman zusammen.

Prosa, Drama- und Gedichtformation wechseln einander ab. In den dramatischen Passagen läßt er Worte als Akteure auftreten. Teile des Bandes sind in einem von ihm entwickelten Raumalphabet verfaßt, dessen Buchstaben durch Drehung eines einzigen Zeichens, einem Winkel, gebildet werden.

Mitte der Siebziger Jahre startete er die mehrjährige Zusammenarbeit mit Helmut Richter, aus der unter anderem das Einfamilienhaus Königseder, ein Geschoßwohnbau auf den Gräf & Stift-Gründen in Wien-Döbling und das chinesische Restaurant Kiang im ersten Bezirk hervorgingen.

Wieder allein beschäftigte er sich mit der Konzeption der bereits erwähnten Containerhäuser und gründete die Gesellschaft ST/A/D - Städtebau/Architektur/ Design. Das „ST/A/D Schnellhaus“, 1992 erstmals präsentiert und inzwischen mehrfach weiterentwickelt, ist nicht nur ein preiswertes Wohnbaumodell für Katastrophenfälle, sondern erfüllt auch Gerngross' Credo wider eine (pseudo)individuelle Handschrift.

Das Projekt entstand mit seinem inzwischen verstorbenen Freund und Geschäftspartner Robert F. Schwan, und wurde unter dem Titel Wiener Loft - Patent als Grundelement von Siedlungsstrukturen verwendet. In Zusammenarbeit mit der Werkstatt Wien entstand nach dem Konzept der Wiener Loft, allerdings noch nicht aus industriell vorgefertigten Bauteilen, sondern in herkömmlicher Bauweise, die Erste Wiener Loftsiedlung in der Ödenburgerstraße in Wien-Floridsdorf. Damals galt die Siedlung als der preiswerteste Wohnbau in Wien.

Die Wohneinheiten bestehen aus zwei Geschosse hohen Räumen mit einem fixen Sanitärkern im Erdgeschoß und einer Galerie und Balkenlage im zweiten Geschoß. Der zweigeschossige Raum kann entweder in seiner Großzügigkeit belassen, oder bei Bedarf - auch im Selbstausbau - geschlossen werden, um zusätzliche Wohnfläche zu gewinnen: ein bisher nicht dagewesener Grad an Freiheit im Sozialen Wiener Wohnbau.

Sein bisher größtes Gebäude, die Hauptschule in der Kleinen Sperlgasse im zweiten Wiener Gemeindebezirk wurde 1998 fertiggestellt. Auch bei dieser großen öffentlichen Bauaufgabe blieb Gerngross seinem Berufsbild vom Architekten als Integrator und Vermittler zwischen Kunst, Technik und Nutzer treu. Seine stete künstlerische Beschäftigung mit Farbe und Raum findet hier besonders augenscheinlich ihren Ausdruck in der Fassadengestaltung mittels verschiedenfarbiger Sonnenschutzmarkisen, die je nach Stellung unterschiedliche Bilder und Raumeindrücke bewirken. Und es war auch er, der die Namensgebung des Gebäudes - „Friedrich Kiesler Schule“ - angeregt und letztlich durchgesetzt hat, als Referenz an jenen Architekten, dessen Werk ihm Anregung und Inspiration für das eigene Denken war und dessen Leistungen in seiner Heimat erst viel zu spät Beachtung fanden.

„Ich habe nichts, wovon ich sagen möchte, es sei mein eigen“, heißt es bei Friedrich Hölderlin in Hyperion oder Der Eremit in Griechenland. Ein Bekenntnis, das auf Gerngross, den Einzelkämpfer, der stets versucht zu vermitteln, stets am Puls der aktuellen Kunst- und Architekturszene ist, nur zu gut übertragen werden kann. Wenn sein Beitrag zum österreichischen Architekturgeschehen auch noch nicht ausreichend durch die jüngere Geschichtsschreibung gewürdigt worden ist, so zählt Heidulf Gerngross auf jeden Fall zu den Inspiratoren und Mentoren vieler junger Kollegen, die wie auch die junge Architektengruppe Sputnik, seine Ausstrahlung, Unvorgenommenheit und Aufgeschlossenheit gegenüber allen neuen Entwicklungen ganz besonders schätzen.

Der Standard, Sa., 1999.07.17

12. Juni 1999Franziska Leeb
Der Standard

Landleben neu interpretiert

Einem Gutshof in der Steiermark implantierte Architekt Hans Gangoly Apartements die auf den ersten Blick gar nicht in das Bild vom beschaulichen Leben auf dem Lande passen wollen.

Einem Gutshof in der Steiermark implantierte Architekt Hans Gangoly Apartements die auf den ersten Blick gar nicht in das Bild vom beschaulichen Leben auf dem Lande passen wollen.

Das Gut Hornegg in Preding liegt in einer waldreichen hügeligen Landschaft unweit von Graz. Immer noch wird das Anwesen, das im 19. Jahrhundert vom Eisenbahnbauingenieur Daniel von Lapp erbaut wurde, landwirtschaftlich genutzt.

Als im Februar 1997 der Dachstuhl eines Nebentraktes einem Brand zum Opfer fiel, wurde der Entschluß gefaßt, die ohnedies notwendigen Sanierungsmaßnahmen auszuweiten und in diesem Teil des Hofes Wohneinheiten zu errichten. Der Umbau sollte in einer zeitgemäßen Sprache erfolgen und auch einem kulturellen Anspruch gerecht werden. Die in diesem das Hofensemble abschließenden Trakt bereits bestehenden Substandardwohnungen wurden im Zuge dieser Umbauarbeiten saniert und modernisiert. Über dem historischen Mauerwerk entstanden anstatt des alten Daches die neuen Wohneinheiten in einer Mischkonstruktion aus Stahl und Holz.

Schon von außen weisen die für das bäuerliche Ambiente ungewöhnlich wirkenden großen Glasflächen und die mit Aluminium-Paneelen verkleidete Fassade darauf hin, daß sich dahinter besondere Räume verbergen müssen. Die Konstruktion des neuen Aufbaues ist vom bestehenden Sockel völlig unabhängig. Schlanke tragenden Stahlstützen ruhen auf den Außenmauern des Bestandes und liegen hinter der Fassadenfläche, die damit keinerlei statische Funktionen übernimmt, wodurch deren Eigenschaft als abschließende Haut stärker zum Tragen kommt.

Die acht Meter Gebäudetiefe werden mit Holzfertigteilen überspannt. Die mit 94 bis 123 Quadratmetern ziemlich großzügig bemessenen drei Wohneinheiten erstrecken sich jeweils über zwei Geschosse. Sie sind frei von tragenden Elementen und können somit flexibel genutzt werden. Von den anderen Wohnungen uneinsehbare Dachterrassen ergänzen das Raumangebot.

Die elegante Ausstattung der Wohnräume, in denen die Materialfarben von Holz und Metall sowie weiße Flächen dominieren, läßt isoliert betrachtet keine Assoziation zum ländlichen Umfeld zu. Blickt man durch die gläsernen Aufbauten gegen den Himmel und blendet die steirische Landschaft aus, könnte man sich genausogut in einer mondänen Villa an der kalifornischen Küste wähnen.

Formal nimmt der markante Aufbau keinerlei Bezug zur Architektur des Bestandes. Geht man allerdings von dem Standpunkt aus, daß die historische Architektur, so malerisch sie uns jetzt auch erscheinen mag, im Wesentlichen ebenfalls von ihrer Funktion geprägt ist, so ist die Betonung der Eigenständigkeit der neuen Nutzung nur konsequent.

Überall dort, wo sich hinter dem alten Mauerwerk die revitalisierten Wohnungen befinden, wurde die Fassade einheitlich grau in der angeblich originalen Farbgebung gestrichen und hebt sich somit vom restlichen Bestand ab, dessen weiße Fassade mit roten Ziegelblenden strukturiert ist. Diese Maßnahme schafft zwar eine klare Kennzeichnung des neuen Wohntraktes und eine visuelle Homogenisierung von neuer Leichtkonstruktion und massivem Sockel, nimmt aber damit möglicherweise dem transparenten Aufbau seine Eigenständigkeit und Schärfe.

Hans Gangoly leistete mit diesem Um- und Zubau einen bemerkenswerten Beitrag zum Thema zeitgemäße ländliche Architektur. Landwirtschaftliche Bauten waren immer von einer Angemessenheit der - jeweils verfügbaren - Mittel gekennzeichnet. Erst in den letzten Jahrzehnten schlich sich unter dem Mäntelchen des Ortsbildschutzes die Unsitte ein, das notwendig romantisierend zu verschleiern. Gut Hornegg ist der Beweis, daß es mit entsprechendem Selbstbewußtsein auch anders geht
.
Architekt DI Hans Gangoly, Volksgartenstraße 13/1, 8010 Graz, Tel. 0316/717 550

Der Standard, Sa., 1999.06.12



verknüpfte Bauwerke
Gut Hornegg - Revitalisierung

29. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Konträres aus Holz

Auf den ersten Blick haben die zwei Häuser in Kärnten wenig gemeinsam. Erst im Detail erschließen sich dem aufmerksamen Beobachter die Gemeinsamkeiten.

Auf den ersten Blick haben die zwei Häuser in Kärnten wenig gemeinsam. Erst im Detail erschließen sich dem aufmerksamen Beobachter die Gemeinsamkeiten.

Die Architekten, der Zweck, das Umfeld, die Entstehungszeit, ja selbst die ausführende Firma sind jeweils die gleichen,und doch scheinen die beiden Einfamilienhäuser der Architekten Markus Klaura und Dietmar Kaden aus völlig unterschiedlichen Haltungen geboren zu sein. Bei näherer Betrachtungsweise wird jedoch klar, daß sich weder eine architektonische Handschrift noch die Frage nach der Zeit-und Ortsgerechtheit an der Dachform festmachen lassen.

Nach außen kühl gibt sich das Haus im Rosental. Dem aus zweigeschossigen Holztafelelementen vorfabrizierte Gebäude fehlt jede Holzhausästhetik. Als konstruktiver Holzschutz wurde die Fassade mit hellgrauen Eternitplatten verkleidet. Nahezu bündig eingelassen wurden die Fensterflächen. Ein unspektakuläre, unaufwendige Sache - so scheint es.

Zwar betrug die Montagezeit für den Rohbau nur 12 Stunden und die gesamte Bauzeit bis zur schlüsselfertigen Übergabe nur acht Wochen, doch um einen Holzbau aus vorfabrizierten Elementen so herzustellen, daß er bei aller Schlichtheit nicht billig aussieht, bedarf es einer intensiven Planung. Denn im vorgefertigten Holzbau muß millimetergenau gearbeitet werden. In diesem Fall wurde die Konfiguration des Baukörpers mit den serienmäßigen Maßen der Fassadenplatten in Einklang gebracht. Diese Abstimmung gelang so präzise, daß insgesamt nur 4 Prozent Verschnitt in Kauf genommen werden mußten.

Die Gebäudehaut ist von der sorgfältigen Fügung von Platten, Fensterflächen, Fensterrahmen, Fugen und Schrauben geprägt, die ein feines grafisches Muster ergibt. Im Inneren relativieren die Holzvertäfelung aus Fichtendreischichtplatten und die Raumkonfiguration die scheinbare Kühle des schlichten Kubus. Multifunktional sind die Bücherregale: Auf Schienen geführt können sie zur Beschattung oder Verdunkelung vor die fast raumhohen Glasflächen geschoben werden.

Völlig anders wirkt das etwas größere Haus auf einem Hang in Ebendorf. Auf einen im Hang steckenden Massivbauteil wurde auch hier eine Holzkonstruktion aufgesetzt. Die äußere Fassadenverkleidung besteht aus einer vertikalen Holzschalung, die von einem weit auskragenden, steilen Satteldach geschützt wird. Die Dachuntersicht wurde aufgelöst, sodaß Lattung und Deckung - wie bei alten Wirtschaftsgebäuden üblich - von unten sichtbar bleiben. Wärmegedämmte Läden vor den Glastüren dienen im Sommer als Sonnenschutz und blocken im Winter die Wärmeabstrahlung ab.

Die Fensterbänder im Hauptgeschoß werden von Markisen aus Holzlamellen beschattet, die waagrecht hochgeklappt werden können. Auch innen dominiert Holz. Die großzügig geschnittenen, durch den hohen Glasanteil hellen Räume wirken dennoch wenig rustikal, sondern angenehm wohnlich.

Bei näherer Betrachtung der beiden Häuser fallen das Bemühen um Reduktion und die gleiche sorgfältige Detailarbeit auf. Alle Rahmen und Profile wirken außerordentlich zart, werden durch farbige Kontraste grafisch betont und nobilitieren damit die bodenständig schlichte Gebäudeform. Ein gediegenes Haus, das die Sehgewohnheiten nicht besonders irritiert, möchte man meinen. „Zu modern“ heißt es angeblich in der Bevölkerung, was ja von einem anderen Standpunkt aus betrachtet kein Nachteil sein muß.

Klaura & Partner, Herbertstraße 16,
9020 Klagenfurt
Tel. 0463/51-22-22-0

Der Standard, Sa., 1999.05.29

15. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Geschichtete Übergänge

"Eine Architektur, die dem Anspruch des „schönen“ Bauwerkes im Sinne der klassischen Architekturauffassung verpflichtet ist, wird den Anforderungen unserer...

"Eine Architektur, die dem Anspruch des „schönen“ Bauwerkes im Sinne der klassischen Architekturauffassung verpflichtet ist, wird den Anforderungen unserer...

"Eine Architektur, die dem Anspruch des „schönen“ Bauwerkes im Sinne der klassischen Architekturauffassung verpflichtet ist, wird den Anforderungen unserer Zeit nicht mehr gerecht", meint Helmut Wimmer, der mit seinen Wohnbauten der letzten Jahre versucht, neue Wege im (sozialen) Wohnbau zu beschreiten. Wimmers Bauten entziehen sich der Diskussion um Wohnungsmix und Zimmergrößen. Sein Anliegen ist es, Strukturen vorzugeben, innerhalb derer sich das Wohnen flexibel und dynamisch entwickeln kann.

Nicht vom Bewohner wird verlangt sich an eine schnellebige Zeit anzupassen, die Wohnung als Konsumgut zu sehen und je nach Lebenssituation die Bleibe zu wechseln, sondern an die Wohnung selbst wird die Anforderung nach Beweglichkeit und Anpassungsfähigkeit gestellt. Nur wenige Fixpunkte (Naßzellen und Nebenräume zum Beispiel) werden im Wohnungsgrundriß festgelegt. Der Rest ist räumliche Demokratie. Gleichwertige, neutrale Räume ohne jede Funktionszuordnung werden durch Schiebewände aus Holz voneinander getrennt oder besser gesagt, miteinander verbunden. Damit entstehen Wohnungszuschnitte, die nicht für bestimmte Nutzergruppen maßgeschneidert sind, sondern vom Single, dem kinderlosen Paar, der Familie oder der Wohngemeinschaft gleichermaßen genutzt werden können.

Bei der Anlage in der Kanalstraße verknüpft Helmut Wimmer zwölf „Stadtvillen“ durch ein Erschließungssystem von Wegen, Treppen und Stegen. Die zeilenförmige, von Grünflächen und Bäumen durchsetzte Bebauung schließt an die Siedlungsstrukturen der Umgebung an. Das Wegenetz auf mehreren Ebenen wird damit zum raumbildenden Element, zu einer eigenen Gebäudestruktur im Dialog mit den Kuben der Wohngebäude. Den Wohnungen sind Servicebalkone mit einem kleinen Lagerraum vorgelagert. Hier bietet sich vor der eigenen Haustür die Möglichkeit für häusliche Notwendigkeiten wie das Aufhängen der Wäsche, ohne damit den Wohnbereich zu belasten. Die einfachen Wohnungsgrundrisse entwickeln sich um einen zentralen dienenden Servicekern mit Sanitäreinheit und Küche. Die Raumtrennung erfolgt auch hier wie bei fast allen Wimmer-Bauten durch Schiebewände, die eine schnelle Adaptierung des Grundrisses ermöglichen. Bei Bedarf nach Ruhe ist es so zum Beispiel möglich, sich in seine Zelle zurückzuziehen, untertags jedoch können alle Räume miteinander verbunden werden.

Die Holzschiebewände gewähren also ständige Flexibilität, offen ist jedoch, wieweit der an starre Zwischenwände gewöhnte Bewohner dieses Angebot bereit ist wahrzunehmen. Selbst wenn die Schallschutzwerte der dünnen Schiebeelemente jenen einer viel dickeren Gipskarton-Zwischenwand entsprechen, ist wahrscheinlich eine mentale Hürde zu überwinden, um dies tatsächlich so zu empfinden. Innen und Außen, privater Raum und Gemeinschaftsfläche, zweckdefinierte und nutzungsneutrale Flächen gehen sachte geschichtet ineinander über. Es entsteht in der städtischen Anonymität ein eigener kleiner Stadtorganismus, der auf den privaten Freiflächen und in den transluzent verglasten Veranden Gelegenheit zur Kommunikation und Selbstdarstellung nach außen gewährt, ja sogar provoziert. Helmut Wimmer unterbindet individuelle Manifestationen der Bewohner nicht, sie stören ihn nicht einmal.

Architekt DI Helmut Wimmer
Schönbrunner Straße 26
1050 Wien, Tel. 587-85-33

Der Standard, Sa., 1999.05.15



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage ´Kanalstraße´

08. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Wohnen in der Endlosschleife

Ein zweifach umschlungener Torus als Basisstruktur: In seinem Möbius-Haus modelliert Ben van Berkel die Bewegung und das fließende Ineinander von Lebensbereichen im Tagesablauf. Zum Raum kommt hier die Zeit.

Ein zweifach umschlungener Torus als Basisstruktur: In seinem Möbius-Haus modelliert Ben van Berkel die Bewegung und das fließende Ineinander von Lebensbereichen im Tagesablauf. Zum Raum kommt hier die Zeit.

Das Einfamilienhaus kann ein hervorragendes Experimentierfeld für Architektur sein: Neue Ideen und Strategien sind hier schneller und einfacher umzusetzen als im großen Maßstab. Auch das jüngste Einfamilienhaus des niederländischen Architekten Ben van Berkel ist ein eindrucksvolles und anschauliches Kompendium von Arbeitsweise und Entwurfsphilosophie des 41jährigen, der nach zehnjährigem Bestehen der Bürogemeinschaft mit Kunsthistorikerin Caroline Bos im Vorjahr eine neue Bürostruktur unter dem Namen UN Studio etablierte. (UN = United Net for Architecture, Urbanism and Infrastructure; ein international orientiertes Netzwerk interner und externer Spezialisten aus den Bereichen Architektur, Graphic Design, Konstruktion, etc. mit Sitz in Amsterdam)

So wie für jedes der Projekte - egal welcher Größe - wurde auch für dieses eine eigene Entwurfsstrategie entwickelt. Am Beginn stehen oft Diagramme, die den architektonischen Entwurf von Sprache und Interpretation befreien und dadurch präzise Aussagen über funktionale Anforderungen ermöglichen, aus denen eine Struktur gebildet werden kann.

Das Haus liegt auf einem vier Hektar großen Grundstück außerhalb von Amsterdam, in einer für Holland ungewöhnlich hügeligen und bewaldeten Gegend. Als Bauplatz wurde die Schnittstelle gewählt, an der unterschiedliche landschaftliche Qualitäten des von einem kleinen Fluß durchschnittenen Areals sich treffen. Die funktionalen Bedürfnisse der Bauherren bestanden darin, daß sämtliche Aktivitäten eines ausgefüllten Tagesablaufes Raum finden sollten. Ein Haus also, das mehr zu bieten hat als das heute übliche Durchschnittseinfamilienhaus, in dem nur die Nacht und Teile der Freizeit verbracht werden.

Als erste Annäherung wurde der Tagesablauf der Familie und ihre Bewegung im Haus innerhalb eines 24-Stunden-Zyklus in ein Diagramm übertragen. Überlagert von der Idee, die Landschaft im Haus erfahr- und erwanderbar zu machen, begab Van Berkel sich auf die Suche nach einer Struktur, die Raum, Zeit und Bewegung gleichermaßen zu verknüpfen vermag. Grafisch und mathematisch veranschaulicht wird die Idee der Endlosigkeit von Raum und Zeit im Möbius-Band, einem Band, dessen um 180 Grad verdrehte Enden miteinander verbunden werden.

Raumprogramm, Erschließung und Struktur gehen nahtlos ineinander über. Die unterschiedlichen Abläufe des Berufsalltags, des gesellschaftlichen Lebens, des Familienlebens und der privaten Ruhezeit sind innerhalb der Schleifenstruktur miteinander verwoben. Die Bewegung durch diese Schleife folgt dem Ablauf eines aktiven Tages, einem Schema, nach dem die Familie unter einem Dach zusammen leben, aber auch getrennte Wege gehen kann, um sich dann wieder an verschiedenen Punkten, an denen die Wegschleifen wiederum zu Räumen werden, zu treffen.

Herzstück des Erdgeschosses ist die Garage, die eher als Wohnzimmer für das Auto bezeichnet werden kann - eine Referenz an die Unverzichtbarkeit des PKWs in der abgelegenen Nobelgegend. Der fußläufige Zugang führt als schmaler Schotterweg hinab zum versteckten Eingang im untersten Geschoß, über dem das Hauptgeschoß weit auskragt.

Die Idee zweier Einheiten, die ihre eigene Bahn verfolgen, manche Momente aber teilen, eventuell an manchen Punkten umdrehen, ist auf die Materialisierung des Gebäudes und seine Konstruktion ausgedehnt. Die Möbiusstruktur erlaubt nahezu stützenfreie Räume, die das barrierefreie Ineinanderfließen der Bereiche ermöglicht. Diese Bewegung ist auf die zwei Hauptmaterialien übertragen: Glas und Beton bewegen sich aneinander vorbei und tauschen Platz. Das Außen kehrt sich nach Innen und umgekehrt, und im Inneren wächst aus dem Band die Infrastruktur in Form von Tischen oder Regalen. Die hybride Betonkonstruktion erweitert sich zur Möblierung, und die Glasfassade wendet sich als Trennwand nach innen. Besteht der Boden aus Beton, befindet sich darüber eine Decke aus rötlichem Holz, ist der Boden aus Holz, schließt eine Decke aus Sichtbeton den Raum ab. Die äußere grüne Beschichtung der raumhohen Doppelverglasung filtert das rote Licht von draußen und entmaterialisiert scheinbar die Grenzen zur - von den Rotterdamer Landschaftsarchitekten West 8 gestalteten - Landschaft.

Türen und Geländer aus hellem Sperrholz wirken wie eine weiche innere Haut parallel zur harten Hülle. Van Berkel legte Wert auf hohe taktile Qualität der Oberflächen, betrachtete das Haus als zweite Bekleidung. Es ist ein Porträt der umgebenden Landschaft wie auch seiner Bewohner, die sehr stark in die Planung involviert waren, aber nie eine Wunschvorstellung vom Aussehen ihres Hauses hatten.

Ben van Berkel löste sich damit weitgehend von prädeterminierten Konzepten über Form und Funktion eines Hauses. Fassade, Decken, Dach, Fenster, Möbel existieren hier nicht mehr im herkömmlichen Sinn. Es gibt kaum fixe Funktionszuordnungen, die einzelnen Bereiche fließen nahtlos ineinander über. Bloß zwei Büros, Schlafzimmer und die Zimmer der Kinder sind abtrennbare Räume.

Fotografisch dokumentiert wurde das Möbius-Haus nicht nur mit den Mitteln konventioneller Architekurfotografie. Damit allein wäre es nicht gelungen, die Bewegung durch das Haus, die schließlich strukturbildendes Prinzip ist, abzubilden. Details hervorzuheben oder bestimmte Bereiche idealisierend wiederzugeben würde den architektonischen Prinzipien, auf denen das Haus basiert, widersprechen. Um die Imagination aller an der Entstehung Beteiligten zu transportieren, schien es geeigneter, Fotografien auch in Form von Film-Stills (s.o., 3. Bild) zu produzieren. Stylisten und Models wurden engagiert, die einen Tagesablauf im Haus inszenierten und simulierten. Ein Architektur- und ein Modefotograf - Christian Richters und Ingmar Swalue - näherten sich dem Möbius-Haus, um die Idee der Bewegung ebenso darzustellen wie einem bestimmten Lebensstil einen passenden Hintergrund zu verleihen.

Unser aller Vorstellungen beinhalten auch die verschwommene, halb unbewußte Beschäftigung mit kollektiven Visionen, wie dem Glamour der Hochglanzmagazine, Sex, Werbung oder Ruhm: Für Ben van Berkel keine Veranlassung, sich ausgerechnet als Architekt krampfhaft davon zu lösen und seine Produkte als erhabene, unberührte Objekte zu präsentieren: Auch Architekten dürfen Anteil an den gewöhnlichen Träumen der Gegenwart nehmen.

Der Standard, Sa., 1999.05.08



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„Möbius-Haus“

08. Mai 1999Franziska Leeb
Der Standard

Repräsentation nach innen

Mit der „Wohnarche“ in Wien-Atzgersdorf gelang Architekt Walter Stelzhammer eine prototypische Lösung zum Thema Mehrgenerationenwohnen im urbanen Kontext.

Mit der „Wohnarche“ in Wien-Atzgersdorf gelang Architekt Walter Stelzhammer eine prototypische Lösung zum Thema Mehrgenerationenwohnen im urbanen Kontext.

Die im Auftrag der gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft BUWOG errichtete Siedlung liegt nahe dem Ortskern von Atzgerdorf, inmitten einer kleinstädtisch anmutenden Struktur im Wiener Bezirk Liesing. Wohn- und Gewerbebauten wechseln einander ab, schwierige Rahmenbedingungen für attraktiven urbanen Wohnbau.

Architekt Stelzhammer entwickelte eine dichte Packung von Atriumhäusern, die er „Wohnarche“ nennt in Anspielung an die kompakte Großform, die wie ein Schiff in die Baulücke hineingeschoben wurde. Die introvertierte Hausform ist gut addierbar und vernetzbar, womit bei hervorragender Wohnqualität eine sehr hohe Bebauungsdichte erzielt werden kann. Insgesamt 42 Häuser mit je rund 130 m² Wohnfläche stehen nun Rücken an Rücken und Seite an Seite. Entlang den beiden Grundstücksgrenzen blieben begrünte Streifen mit einer Zufahrtsmöglickeit zu den einzelnen Häusern frei.

Das Eingangsgeschoß rückt zurück, es entsteht dadurch ein geschützter Eingangsvorplatz mit einem Autoabstellplatz. Darüber stapeln sich die zwei Hauptwohngeschosse und ein zurückgesetztes Dachgeschoß. Der spangenförmige Grundriß umfängt das sich über einem Erdkoffer in Hochlage befindliche Atrium, das Stelzhammer als „Lichtkörper“ versteht.

Mit einer transluzenten Glaswand ist es vom benachbarten Hof abgetrennt. Die Wand schirmt Geräusche ab und bietet guten Sichtschutz, läßt aber 70 Prozent des Tageslichtes eindringen und ist somit selbst bei bewölktem Himmel noch eine helle Insel, von der aus die Flächen im Inneren belichtet werden. Gebannt vom kontemplativ wirkenden Innenhof und der trotz aller Kompaktheit räumlichen Großzügigkeit ist sofort vergessen, daß es bis auf ein Fenster und eine Balkontür keine Öffnungen in der äußeren Fassade gibt. Im Raum-Dreisprung gruppieren sich in den beiden mittleren Ebenen jeweils zwei nutzungsneutrale Räume sowie ein der als Bad und/oder Küche ausbaubaren Kernzone vorgelagerter Gangbereich um diese „Lunge“ des Hauses.

Von jedem Raum aus sind durch die Blickverbindung über das Atrium hinweg auch die anderen erlebbar, wobei der Hof als Distanzhalter räumliche Weite suggeriert. Stelzhammer entwarf für die Häuser Nutzungsszenarien. So kann geschoßweise nach Funktionen oder Generationen getrennt werden. Es ist möglich, zwei autarke Kleinwohnungen im Sinne des Mehrgenerationenwohnens zu betreiben und das Dachstudio um eine Sanitäreinheit zu erweitern, um eine Einliegerwohnung zu schaffen. Durch die kompakte Bauweise sowie den mit einem Glasschiebedach geschlossenen Innenhof kann die Heizlast um ca. 40 Prozent gesenkt werden.

Abgesehen von Carl Pruschas Bauteil in der Traviatagasse waren Atriumhäuser bislang kaum ein Thema im jüngeren Wiener Wohnbaugeschehen. In einem Land, wo Wohnen traditionellerweise mit Repräsentation nach außen verbunden wird, sind diese Häuser, deren repräsentative Seite nach innen gekehrt ist vielleicht noch gewöhnungsbedürftig. Stelzhammers Siedlung kann also durchaus als Experiment und Prototyp gesehen werden, der dem Geschoßwohnungsbau ebenso Paroli zu bieten versucht wie dem flächen- und energiefressenden Einfamilienhaus.

Der Standard, Sa., 1999.05.08



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Wohnarche Atzgersdorf

30. April 1999Franziska Leeb
Der Standard

Eine neue Auslage für ein Dorf

Das Bankgebäude in einem Salzburger Dorf war ein wuchtiger Baukörper im Alpinstil. Zum 100-Jahr-Jubiläum wollte sich das mit einem konservativen Image behaftete Unternehmen eine neue Corporate Identity geben.

Das Bankgebäude in einem Salzburger Dorf war ein wuchtiger Baukörper im Alpinstil. Zum 100-Jahr-Jubiläum wollte sich das mit einem konservativen Image behaftete Unternehmen eine neue Corporate Identity geben.

Der Aufsichtsrat der Bank entschloß sich zu einer radikalen Modernisierung die sowohl ein neues, kundenfreundliches Bankkonzept als auch eine anderes architektonisches Erscheinungsbild beinhaltet. Mitten im Ortszentrum gelegen, flankiert von Gemeindeamt und einer ehemaligen Lagerhalle bot sich mit dem Umbau die Cance zur Neupositionierung, die auch in der Bereitschaft ausgedrückt wird, das Kulturleben des Dorfes durch ein kulturelles Zentrum zu bereichern.

Die beauftragten Architekten Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer aus Wien agierten mit ihrer Architektur fernab der üblichen ländlichen Klischees.

Sachlich, neutral und auf das Wesentliche reduziert ist die neue Lösung. Das notwendige größere Raumvolumen erreichten Bulant-Kamenova und Wailzer durch eine Verbreiterung des bestehenden Baukörpers nach Westen. Die Fassade wurde von den plumpen dunklen Holzdekorationen bereinigt, der Dachvorsprung gekürzt und alle weiterbestehenden Holzteile wie Dachuntersicht und Fensterrahmen weiß gestrichen. Als Fassadenfarbe entschied man sich für ein elegantes hellgrau. Die alte Lagerhalle wurde zum Kulturhaus mit Veranstaltungsraum, Ausstellungssälen und Heimatmuseum umgebaut.
Schon die Entfernung der folkloristischen Maske des Bankgebäudes wirkt in diesem Umfeld radikal. Markantestes Element des Ensembles ist das gläserne Foyer, das Kulturzentrum und Bank miteinander verbindet. Konstruktiv und formal schließt es an den Wintergarten des Hauses Sailer in Salzburg an, für den das Architektenteam mit dem begehrten Benedictus-Award ausgezeichnet wurde.

Auch beim Piesendorfer Projekt handelt es sich um eine geklebte Glaskonstruktion mit tragenden Glasschwertern, die jedoch gegenüber dem Wohnhauszubau technisch noch um einen entscheidenden Schritt weiterentwickelt wurde. Die Glaselemente kommen hier an der Wand und auch an der Decke in der größtmöglichen Produktionslänge von 4,2 Meter zu Anwendung.

Die 40prozentige metallicfarbene Punktrasterung der Decke sorgt für Beschattung. Auf einen zusätzlichen Sonnenschutz kann verzichtet werden, da das Glashaus klimatisiert ist.

Die gläserne Eingangshalle bildet eine transparente Pufferzone zwischen dem Außenraum und dem nach innen anschließenden rund um die Uhr geöffneten Selbstbedienungsbereich der Bank. Die Schalterhalle ist außerhalb der Öffnungszeiten mit Glasschiebewänden vom ständig zugänglichen Bereich abgegrenzt.

Als zeitgemäß umgesetzte Auslage und Visitenkarte ist die für ein Tourismusdorf im Alpenraum ungewöhnlich urban wirkende Architektur ein wesentlicher Anstoß für ein von falschen folkloristischen Klischees losgelöstes Selbstverständnis.

Atelier Aneta Bulant-Kamenova und Klaus Wailzer
Fleischmarkt 16
1010 Wien
Tel. 01/513-67-00

Der Standard, Fr., 1999.04.30



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Raiffeisenkasse Piesendorf

06. März 1999Franziska Leeb
Der Standard

Ökowohnbau am Stadtrand

Sozialen, ökologischen und ökonomischen Prinzipien folgt ein kleiner Wohnbau inmitten der Großwohnanlagen im nördlichen Wiener Stadterweiterungsgebiet.

Sozialen, ökologischen und ökonomischen Prinzipien folgt ein kleiner Wohnbau inmitten der Großwohnanlagen im nördlichen Wiener Stadterweiterungsgebiet.

Knapp 800 m² umfaßt das Grundstück, auf dem Architekt Georg Michael Feferle und Diana Weitgasser den wohl kleinsten Wohnbau des Areals realisieren konnten. Die Anlage liegt im nördlichen Teil westlich der stark frequentierten Brünner Straße. Nicht weit entfernt ist der Marchfeldkanal mit anschließendem Erholungsgebiet, der wahrscheinlich größte Bonus des vom öffentlichen Verkehr noch mangelhaft erschlossenen, aber dichtest bebauten Wohngebietes.

Ökologie und Ökonomie unter einen Hut zu bringen war der Wunsch der Auftraggeber. Die Architekten erfüllten diese Vorgaben umfassend, in dem sie danach trachteten, nur recyclingfähige Baustoffe und keine Verbundmaterialien einzusetzen. Bei der Wahl der Materialien im Innenausbau wurde darauf Bedacht genommen, daß die zwölf Wohnungen auch für Allergiker geeignet sind. Das Haus ist als Niedrigenergiehaus konzipiert. Eine Regenwasser-Nutzanlage für die WC-Spülung und die Außenbewässerung runden das Angebot ab. All das klingt nicht besonders spektakulär, im geförderten Mietwohnungsbau ist das jedoch noch lange nicht die Norm.

Die Straßenfassade ist angenehm proportioniert und erhält durch die hinterlüftete Fassade aus weißen Faserzementplatten graphische Schärfe. Das Stiegenhaus ist über die gesamte Höhe verglast und damit ungewöhnlich hell und freundlich. Eine auf Weiß und zwei Grautöne reduzierte Farbgebung schafft außen und im Stiegenhaus einen ruhigen Hintergrund.

Alle Wohnungen sind vornehmlich nach Westen, zum Garten hin orientieret. Der mit breiten Fenstertürelementen sehr offen gehaltenen Gartenfassade wurde eine Stahlkonstruktion vorgelagert, die drei Meter tiefen Balkone trägt. Um für die Belichtung der einzelnen Wohnungen zu optimieren, wurden nicht alle Felder des Gerüstes aufgefüllt. Angenehmer Nebeneffekt: die Balkone zweier benachbarter Wohnungen sind durch ein freies Feld getrennt und bilden daher ungestörte Außenräume. Die Wohnungen im zurückspringenden obersten Geschoß erhielten attraktive Dachgärten.

Alle Wohnungen und Gemeinschaftsräume sind für behinderte Menschen geeignet. Bei jedem der drei Wohnungstypen (65 bis 120 m²) sahen die Planer breite Flure vor, um Platz für Stauraum zu schaffen. Schiebetüren zwischen Wohnbereich und angrenzendem Raum gestatten unterschiedliche Nutzungsvarianten.

Feferle und Weitgasser ist es besonders im sozialen Wohnungsbau ein großes Anliegen, das „billige Bauen“ nicht spürbar werden zu lassen, sondern auf besonders sorgfältige Verarbeitung und Ausstattung zu achten.

Arch. DI Georg Michael Feferle und Diana Weitgasser
Lehárgasse 9
1060 Wien
Tel. 587-77-99

Der Standard, Sa., 1999.03.06



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Ökowohnbau am Stadtrand

27. Februar 1999Franziska Leeb
Der Standard

Ortsgerecht kontra ortsüblich

Mit der gebauten Nachbarschaft hat die kleine Siedlung bei Krems wenig zu tun. Architekt Ernst Linsberger zog es vor, seine Bebauung am Charakter der Landschaft zu orientieren.

Mit der gebauten Nachbarschaft hat die kleine Siedlung bei Krems wenig zu tun. Architekt Ernst Linsberger zog es vor, seine Bebauung am Charakter der Landschaft zu orientieren.

Die kleine Siedlung von sechs Reihenhäusern liegt im Dorferweiterungsgebiet von Gneixendorf. Der Weinbau bestimmt die gewachsene Landschaft, und so entwickelt sich auch der Ort auf zu Bauland umgewidmeten Weingärten. Betrachtet man die neue Siedlung in ihrem nächsten Umfeld, bietet sich ein geradezu skurril anmutendes Bild: Die dem Geländeverlauf folgende abgetreppte niedrige Bebauung liegt inmitten von Weingärten, die wiederum von einer allen ländlichen Klischees entsprechenden Einfamilienhausbauung gerahmt werden.

Gemessen an der gebauten Nachbarschaft sind die sieben Häuser ein Fremdkörper. Bewertet man jedoch ihre Verträglichkeit mit der Landschaft, so sind die flachen, dem Geländeverlauf nach gestaffelten niedrigen Häuser mit den wie Zeigefinger in den Himmel ragenden Schornsteinen wie geschaffen für die Gegend. Ernst Linsbergers Siedlung mag vielleicht für manche ein Stachel im Fleisch sein. Der Vergleich mit den freistehenden Häusern im grellen Heurigenbarock macht sicher: Was an einem Ort seit Jahren üblich ist, muß ihm noch lange nicht gerecht werden.

Erschlossen wird das Grundstück von Westen. Hier liegt der Autoabstellplatz, von dem ein Fußweg zu den Hauseingängen an der nahezu völlig geschlossenen Nordseite führt. Linsberger entschied sich für den Typus des Atriumhauses, das ein Höchstmaß an Intimität gewährt: Ohne ständiger Beobachtung ausgesetzt zu sein, kann im Freien gegessen, gespielt, vielleicht sogar geschlafen werden. Die im Norden liegenden Kinderzimmer haben über Fenstertüren ebenso direkten Zugang in den Hof wie der zentral gelegene Eßbereich.

Vis-à-vis der Kinderzimmer hat die Küche mit einem raumbreiten Fensterband ebenfalls Blickverbindung zum Atrium, das von den Bewohnern nahezu ganzjährig als zusätzlicher Wohnraum im Freien intensiv genutzt wird. Im südlichen Teil des Hauses liegen das Elternschlafzimmer und das Wohnzimmer. Während das Eßzimmer klar dem Atrium zugeordnet ist, ist der dem Wohnzimmer zugeteilte Freiraum der Garten, in den ein Holzrost als befestigte Terrasse überleitet.

Die Begrenzungmauern aus Sichtbeton bieten auch in diesem etwas mehr extrovertierten Bereich ein angenehmes Maß an Privatheit, sind aber nur so hoch, daß die nachbarschaftliche Kommunikation möglich ist. Die rohen Mauern nehmen Maß an den Reihen der Weinstöcke. Läßt man die Natur gewähren, werden sie in wenigen Jahren begrünt sein. Die Vegetation wird dann die jetzt klare Grenze zwischen Grünland und Wohnbebauung entschärfen.

Die Bedeutung dieser Siedlung liegt darin, daß sie den gar nicht so geringen Unterschied zwischen ortsgerechter und ortsüblicher Bauweise aufzeigt. Ernst Linsberger verweigert radikal jede Orientierung am gebauten Umfeld. Seine Meßlatte waren die allseits präsenten Weinberge. Gleichzeitig aber haben die Häuser mit den geschützten Innenhöfen weitaus mehr atmosphärische und funktionale Gemeinsamkeiten mit den alten Bauernhäusern in den Dorfkernen, als vor rustikalen Zitaten strotzende Minischlösser.

Der Standard, Sa., 1999.02.27



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Atriumsiedlung

20. Februar 1999Franziska Leeb
Der Standard

Wohnbau mit Mehrwert

Praxisorientierte Wohnungen mit Flair bietet ein Modellwohnbau des Architekturbüros Halle 1 in Salzburg.

Praxisorientierte Wohnungen mit Flair bietet ein Modellwohnbau des Architekturbüros Halle 1 in Salzburg.

Gute Architektur kann nur im kooperativen Zusammenwirken von Bauherren, Politik, Planern, Industrie und Ausführenden gedeihen. Schon zum Wettbewerb für den Salzburger Modell-Holzwohnbau mußten Architekten und ausführende Firma als Arbeitsgemeinschaft antreten, gemeinsam die Zielvorgaben der Ausschreibung erfüllen und für den Fall der Ausführung auch garantieren. Die Gefahr der Bauträgerwettbewerbe, daß der Architekt zu sehr dem Generalunternehmer ausgeliefert ist war hier dadurch gebannt, daß letzterer nicht der Auftraggeber war. Diese Rolle kam der gemeinnützigen Wohn- und Siedlungsgenossenschaft „Salzburg“ zu.

Ende Jänner wurde nun das siegreiche Projekt des Büros Halle 1 (Architekten Gerhard Sailer, Heinz Lang und Wolfgang Maul) und der Bauunternehmung und Zimmerei Ing. Anton Hutterer am Glantreppelweg fertiggestellt.

Nähert man sich dem Gebäude von Osten, überrascht die für einen Holzbau klare grafische Sprache. Die vertikale Fichtenschalung wurde mit einem weißen Anstrich veredelt. Zusammen mit der dunklen Lasur der Fensterrahmen, den gläsernen Balkonbrüstungen und den verglasten Stiegenhäusern entsteht eine sehr nobel wirkende Fassade. Das als Niedrigenergiehaus ausgeführte Gebäude wurde weitgehend in Holzständerbauweise errichtet. Bei den Stiegenhäusern entschloß man sich jedoch für Betonfertigteile, um die im Holzbau nur mit unangemessen hohem Aufwand herstellbare, geforderte Brandschutzklasse F 90 zu erreichen.

Nach Süd-Westen sind die Wohnungen über die gesamte Breite verglast. Die Holzstapeldecken werden als filigran wirkende Balkonplatten nach außen weitergeführt. Die Glasbrüstung mit Holzhandlauf, der rutschfeste Lärchenholzboden mit Wellenschliff und der Sichtschutz aus satiniertem Glas machen den geräumigen Balkon zu einem wertvollen privaten Raum im Freien. Der Holzbaucharakter tritt im Inneren durch die Holzböden und -decken stärker zutage als am sehr elegant wirkenden Äußeren. Die Anlage birgt 17 Wohnungen mit zwei Wohnungstypen à 60 und 85 m².

Die größeren Wohnungen nehmen mit sehr praxisorientierten Grundrissen Rücksicht auf die Bedürfnisse von Familien. Wohn- und Eßbereich liegen durch die Gebäudetiefe durchgesteckt zentral, wodurch diese lärmintensivsten Räume nie an eine Nachbarwohnung angrenzen. Eine Schiebetür trennt den Wohnraum vom Zwischenflur, von dem aus das Elternschlafzimmer und ein Kinderzimmer erschlossen werden. Es kann damit dieser Schlaftrakt einerseits gut abgekoppelt werden und andererseits wird die Betreuung eines Kleinkindes bei offenen Schlafzimmertüren erleichtert. Drei kleine Wohnungen sind für Alleinerzieher vorgesehen. Wohn-und Schlafbereich können hier untertags zu einer Einheit verbunden werden.

Zum zusätzlichen Luxus der Anlage zählt ein an der Südseite unter die auskragenden Geschosse eingeschobener verglaster Gemeinschaftsraum mit versperrbaren Schränken für alle Hausparteien.

Qualitätvolles Bauen muß nicht teuer sein, wie hier mit Nettoherstellungskosten von öS 14.000,- pro Quadratmeter Wohnnutzfläche vorgeführt wurde. Gleiches Augenmerk wie die Errichtungskosten verdienen aber auch die Erhaltungs- und Betriebskosten sowie - was genauso selbstverständlich sein sollte - der architektonische und kulturelle Anspruch. Dem Büro Halle 1 gelang eine eindrucksvolle Demonstration, welch hoher Standard im Wohnbau mit Engagement aller Beteiligten möglich ist.

Projekte mit modellhaftem Charakter wie dieses sind es daher wert, auch nach Fertigstellung - zum Beispiel aus Mitteln der Wohnbauförderung - untersucht zu werden, um eine echte Evaluation zu ermöglichen und die Beurteilung nicht auf subjektive Empfindungen und Mutmaßungen zu beschränken. Eine begleitende Forschung und deren Dokumentation könnte eine objektiv überprüfte Basis für künftige Entwicklungen im Wohnbau liefern.

Architekturbüro HALLE 1, Bayernstraße 17, 5020 Salzburg Tel. 0662/83-34-14

Der Standard, Sa., 1999.02.20



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Holzwohnbau Glantreppelweg

12. Dezember 1998Franziska Leeb
Der Standard

Ein ganz normales Haus

Ein ganz anderes als die anderen, aber dennoch ländliches Haus, gelang Paul Katzberger und Karin Bily in einem Dorf bei Krems.

Ein ganz anderes als die anderen, aber dennoch ländliches Haus, gelang Paul Katzberger und Karin Bily in einem Dorf bei Krems.

Die Verstädterung der Dörfer im Zuge gesellschaftlicher und ökonomischer Veränderung brachte mit sich, daß städtischen Lebensformen gewaltsam Mutationen ländlicher Bauformen übergestülpt werden. Mächtige ausgebaute Krüppelwalmdächer haben die Landschaften optisch in Beschlag genommen. Raumplanerische Probleme wurden verdrängt, Fassadenromantik hingegen gefördert.

So ist auch der Ort Egelsee bei Krems durch rege Bautätigkeit geprägt. Angefangen von süßlich pastellfarbenen Fassaden mit weißen Faschen über Erker und Giebelchen - alle Klischees von Rustikalität sind verbreitet. Dies um zu erklären, wie es kommen konnte, daß das heute vorgestellte Haus in seiner Entstehungsphase wegen seines Andersseins heftig angefeindet wurde. Dabei hatten die Architekten nichts anderes als ein möglichst einfaches Haus für eine ortsansässige Familie im Sinn.

Es liegt auf einer leichten Anhöhe in einem der neuen Siedlungsgebiete mit freistehenden Einfamilienhäusern. Die an der Nordseite vorbeiführende Straße ist ins Gelände eingeschnitten, das dadurch abrupt abfällt. Die Architekten nutzten diese Lage, um das Untergeschoß, das nur an der straßenseitigen Schmalseite sichtbar ist, zu versenken.

Der Beruf des Bauherren, er ist Bauingenieur und war an der gemeinschaftlichen Planung beteiligt, sollte nach Meinung von Katzberger/Bily im Gebäude Ausdruck finden. Sie entwarfen also ein Haus, an dem Konstruktion und Material (Beton) als Handwerkszeichen des Statikers auftreten.

Leben auf dem Land bedeutet Leben mit dem Auto. Der Abstellplatz wurde also straßenseitig unter dem weit auskragenden flachen Dach in das Haus integriert. Das Kellergeschoß birgt mit Diele, Garderobe und Nebenräumen das „Hinterland“ zur Parkzone.

Auf Gartenniveau tritt das Haus mit dem oberirdischen Wohngeschoß nur noch eingeschoßig in Erscheinung. An die Sichtbetonscheibe im Norden schließen die Längswände an, die in einen in stumpfem Rot gehalten und von weißgerahmten Fensterelementen durchbrochen sind. Darüber liegen auf einem Stahlbetonrost Oberlichtfenster, die weniger der Wand- als der Dachzone zugehörig erscheinen. Ein regelmäßiger Raster zarter Stahlstützen und die klare Unterscheidung der tektonischen Elemente fügen sich zu einer leicht lesbaren, geordneten Tragstruktur.

Zur Straße hin ist das Wohngeschoß hermetisch abgeschlossen, die Eingangstür im Kellergeschoß aber als offene Geste verglast. Im Inneren blieben die Betonoberflächen der Roste zwischen den Wandscheiben und den Oberlichten sowie teilweise auch die der Decken sichtbar. Wohldosiert ist die Transparenz der Gebäudehülle. Während der große Wohnraum, der fast die Hälfte des Geschosses einnimmt, jeweils über Eck großzügig verglast ist, verfügen die beiden Zimmer nur über schmale Fenstertüren. Über die Decken streicht durch die Oberlichten tief in die Räume einfallendes Tageslicht. Da dieses Geschoß ausschließlich Wohnzwecken dient kann durch das Lichtband und die wandhohen Fenster stets der Stand der Sonne miterlebt werden.

Vielleicht haben die einstigen Kritiker erkannt, daß es sich hier in seinem Bezug zum Großraum, seiner Selbstverständlichkeit und seiner Funktionalität doch um ein ländliches Haus handelt, auch wenn es den eingeprägten Bildern nicht entspricht.

Mag.arch. Paul Katzberger und
DI Karin Bily,
Paulanerg. 13, 1040 Wien,
Tel. 01/587-75-55

Der Standard, Sa., 1998.12.12



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EFH Egelsee

01. Januar 1998Franziska Leeb
Der Standard

Schöner Wohnen an der Neuen Donau

Spannende Raumerlebnisse im öffentlichen und halböffentlichen Raum bietet der aufgestelzte Riegel von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan im neuen Wiener Stadtteil auf dem ehemaligen EXPO-Gelände.

Spannende Raumerlebnisse im öffentlichen und halböffentlichen Raum bietet der aufgestelzte Riegel von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan im neuen Wiener Stadtteil auf dem ehemaligen EXPO-Gelände.

Im Wohnbau tätige Architekten klagen oft über Schwierigkeiten, anspruchsvolle Lösungen im geförderten Wohnungsbau zu realisieren. Daß sozialer Mietwohnungsbau und anspruchsvolle Architektur sich nicht zwangsläufig ausschließen müssen beweisen Delugan-Meissl mit ihrem jüngst fertiggestellten Gebäude in der Donau-City, mit dem sie neue Maßstäbe im Wohnbau der Stadt setzen.

Über eine skulpturale, von der Nordfassade losgelösten Treppe wird der Baukörper erschlossen. Hohe Glastüren führen in den ebenfalls verglasten und damit windgeschützten Laubengängen, die zwei Meter Abstand zum Wohnungstrakt halten. Brücken stellen die Verbindungen zu den Eingangstüren her. Dadurch sind sogar große Fenster zum Laubengang hin möglich, weil der Abstand vom allgemein zugänglichen Bereich Privatheit garantiert. Das vorletzte Geschoß springt um 1,80 m zurück, strukturiert damit den Baukörper und trägt zu seiner Leichtigkeit bei.

Die Wohnungen mit gut proportionierten Räumen und klaren, funktionalen Grundrissen werden mit zur Innenstadt orientierten und sehr geräumigen Loggien zusätzlich aufgewertet. Dicht mit einem den Strichcodes ähnlichen kleinteiligen Muster bedruckt ist das Glas der Brüstungen, wodurch die Haut der dem Stadtzentrum zugewandten Fassade nicht nur edel wirkt, sondern auch ausreichenden Blickschutz bietet.

Der anschwellende „Bauch“ des Gebäudes ist mit braunen Sperrholzplatten verkleidet, die besonders nachts angenehme Wärme reflektieren. Darunter entstanden zwischen den mächtigen Stahlbetonstützen, die je nach Standpunkt unterschiedliche Stadtansichten rahmen, ein spannender öffentlicher Raum.

Dieser Freiraum unter den Wohnungen ist als „parasitäre Zone“ dazu vorgesehen, nachträglichen Einbauten, wie der bereits errichteten Bürobox der Donau-City-Dienstleistungszentrale Platz zu bieten. Es handelt sich um sozialen Wohnbau, doch von ohnedies unangebrachter Sozialromantik ist keine Spur. Sein Ausdruck verkündet nicht „familienfreundlich“, „kinderfreundlich“ oder „frauenfreundlich“ und dennoch erfüllt das Gebäude sicher auch all das ebenso gut wie jene Bauten, die dies laut hinausposaunen. Die strenge Form des aufgeständerten Riegels mit etwas abgesetzter Erschließung erlaubt urbane Anonymität in angenehmem Grad.

Es ist ein sehr städtisches Haus, das die Gunst der Lage zu nutzen weiß und für breite Bevölkerungsschichten taugliche Wohnungen bietet. Es allen recht zu machen, muß also nicht zum üblichen durchschnittlichen Einheitsbrei führen. Bleibt zu hoffen, daß dem noch zu gestaltenden öffentliche Raum des angrenzenden Gebietes ebenfalls höchste Aufmerksamkeit geschenkt wird. Ein diesbezüglich abschreckendes Beispiel findet sich nur eine U-Bahnstation von der Donau-City entfernt.
Platzmangel durch hohe Dichte muß attraktive Plätze nicht ausschließen, wie historische Ensembles belegen. Das Team Delugan-Meissl hat für seinen Teil die Bedeutung des öffentlichen Raumes jedenfalls erkannt.

Architekturbüro
Delugan-Meissl
Mittersteig 13/4, 1040 Wien
Tel. 01/585 36 90

Der Standard, Do., 1998.01.01



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Wohnpark Donau-City / Bauteil Delugan_Meissl

Profil

Studium der Kunstgeschichte in Wien und Innsbruck
1996 – 2003 freie Mitarbeiterin bei der Tageszeitung Der Standard
1998 – 2001 Chefredakteurin des Fachmagazins architektur
2003 – 2006 Geschäftsführerin von ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich
seit 2006 freie Mitarbeiterin Spectrum/Die Presse
seit 2012 freie Mitarbeiterin bei architektur.aktuell
2015 – 2016 Chefredakteurin von KONstruktiv
seit 2019 Vorsitzende von ORTE Architektur Netzwerk Niederösterreich
arbeitet als freie Architekturpublizistin in Wien

Lehrtätigkeit

2003 – 2012 Abteilung für Wohnbau und Entwerfen am Institut für Architektur und Entwerfen der TU Wien

Mitgliedschaften

Mitgliedschaften
Zentralvereinigung der Architekt:innen Österreichs
ORTE Architekturnetzwerk Niederösterreich

Publikationen

Ordnung und Öffnung, in: Das österreichische Parlamentsgebäude - Facetten einer Erneuerung, Hrsg. Republik Österreich/Parlamentsdirektion, Park Books, Zürich 2023
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2010-2020, Park Books, Zürich 2021 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
querkraft - livin' architektur/architektur leben, Birkhäuser Basel, 2019 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Architektur von Dietrich|Untertrifaller, Birkhäuser Basel, 2017 (hrsg. mit Gabriele Lenz)
Generationen Wohnen. Neue Konzepte für Architektur und soziale Interaktion | Alter(n)sgerechtes Planen und Bauen, Edition Detail, München 2015 (mit Christiane Feuerstein)
Walter Zschokke.Texte, Park Books, Zürich 2013 (hrsg. mit Gabriele Lenz und Claudia Mazanek)
ORTE – Architektur in Niederösterreich 2002-2010, Springer, Wien 2010 (mit Eva Guttmann und Gabriele Kaiser)
Wohnen, pflegen, leben – Neue Wiener Wohn- und Pflegehäuser, Bohmann Verlag, Wien 2009

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