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03. April 2020Sascha Roesler
Neue Zürcher Zeitung

Epidemiologie und Stadtplanung haben eine gemeinsame Geschichte und auch Zukunft

Derzeitige Diskussionen rund um Smart City und Living Lab deuten an, dass sich die Planungskultur Europas infolge des Coronavirus grundlegend verändern wird.

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03. November 2012Sascha Roesler
Neue Zürcher Zeitung

Festung der Wissenschaft

Das 1924 vollendete erste Gebäude des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mittels einer imaginären Rekonstruktion des Gebäudes lassen sich die widersprüchlichen ideologischen Anleihen freilegen, die diesen wichtigen Bau prägten.

Das 1924 vollendete erste Gebäude des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mittels einer imaginären Rekonstruktion des Gebäudes lassen sich die widersprüchlichen ideologischen Anleihen freilegen, die diesen wichtigen Bau prägten.

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20. Dezember 2011Sascha Roesler
Steeldoc

Erdbebensicher bauen als Selbstverständlichkeit

Obwohl die Schweiz nicht zu den hochgefährdeten Erdbebenzonen Europas gehört, gibt es immer wieder Erdstösse, die für Menschen und Kulturgüter gefährlich sind. Im Gespräch wird klar, wie in der Vergangenheit mit diesem Risiko umgegangen wurde, weshalb Erdbebensicherheit im Entwurf zur Selbstverständlichkeit gehören sollte und welches die politischen und normativen Hürden sind, die es noch zu überwinden gilt.

Mit Hugo Bachmann und Monika Gisler sprach Architekt Sascha Roesler

Obwohl die Schweiz nicht zu den hochgefährdeten Erdbebenzonen Europas gehört, gibt es immer wieder Erdstösse, die für Menschen und Kulturgüter gefährlich sind. Im Gespräch wird klar, wie in der Vergangenheit mit diesem Risiko umgegangen wurde, weshalb Erdbebensicherheit im Entwurf zur Selbstverständlichkeit gehören sollte und welches die politischen und normativen Hürden sind, die es noch zu überwinden gilt.

Mit Hugo Bachmann und Monika Gisler sprach Architekt Sascha Roesler

Gemäss einer Risikostudie des Bundesamtes für Zivilschutz ist die Erdbebengefahr die bedeutendste Naturgefahr in der Schweiz. Doch ist das Ausmass einer Erdbeben- Katastrophe nicht in hohem Masse menschengemacht? Und wie wurde diese Verantwortung in der Geschichte gedeutet?

MG: Die Katastrophe ist nicht das Beben selbst, sondern was mit den Gebäuden und den Menschen passiert. Somit ist die Bauweise entscheidend dafür, wie katastrophal sich ein Erdbeben auswirkt. Den Menschen trifft also eine gewisse Eigenverantwortung für das Ausmass des Schadens. Das zeigt sich auch in der Geschichte. Lange Zeit wurden Erdbeben nicht naturwissenschaftlich, sondern theologisch erklärt. Man deutete das Beben als Strafe für ein schlechtes oder als Ermahnung für ein besseren Leben.

HB: Seit dem verheerenden Erdbeben von Lissabon 1755 wurde auch die sogenannte Theodizee-Frage gestellt: Warum lässt Gott das zu? Diese Frage taucht bis heute auf. Erdbeben werden so als Strafe Gottes definiert.

MG: Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts hat man Erdbeben in zunehmendem Masse auch naturwissenschaftlich erklärt, so dass nun unterschiedliche Deutungsmuster nebeneinander bestehen konnten, naturwissenschaftliche und theologische. Man hat beispielsweise Erdbeben mit dem Wetter zu verknüpfen versucht und wollte dies auch empirisch nachweisen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts existierte die Theorie der Elektrizität als Ursache von Erdbeben. Und etwa zur selben Zeit sind die ersten Zusammenhänge zwischen Erdbeben und der Entstehung der Erde hergestellt worden. Erst jedoch seit den frühen 1960er-Jahren hat man die heute gültige Theorie der Plattentektonik formuliert. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte man also keine klare Vorstellung davon, wie Erdbeben entstehen und damit auch keine brauchbare Erdbeben-Prävention.

Frühe bauliche Massnahmen

Seit wann gibt es einen gelehrten Diskurs über sinnvolle bauliche Massnahmen?

MG: Kulturgeschichtlich ist das ein sehr junges Thema. Rousseau hatte nach dem Beben in Lissabon 1755 die schlechte Bauweise der Stadt kritisiert. Solche Hinweise waren jedoch sehr vereinzelt. Und man findet keine baulichen Umsetzungen solcher Warnungen. Für die Schweiz kenne ich bis ins 20. Jahrhundert hinein keine schriftlichen Quellen, die auf eine Erdbeben bedingte Ertüchtigung von Gebäuden hindeuten würden. Insofern unterscheiden sich Erdbeben von anderen Naturkatastrophen. Im Fall von Hochwasser etwa wurden viel früher Überlegungen angestellt, wie man Dämme bauen könnte.

HB: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass Hochwasser relativ häufig auftreten. Eigentliche Schadenserdbeben gibt es bloss etwa alle 100 Jahre. 1946 war das letzte grosse Schadensbeben der Schweiz, im Wallis. Und ganz schwere Erdbeben mit katastrophalen Schäden gibt es in der Schweiz sogar nur etwa alle 500 bis 1000 Jahre. Ein schlimmes Erdbeben verursacht zwar bis zu 100 mal grössere Schäden als ein schlimmes Hochwasser – heute wäre mit rund 100 Milliarden Franken Schäden zu rechnen, wenn in Basel ein grosses Erdbeben stattfinden würde. Die wirklich schlimmen Erdbeben ereignen sich aber in einem so weiten zeitlichen Abstand zueinander, dass sie sich nicht in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein verankern. Das ist der Hauptgrund dafür, dass man in der Schweiz bis in jüngster Zeit keine baulichen Massnahmen gegen Erdbeben ergriffen hat. MG: Im Vergleich zu Hochwasserkatastrophen muss man feststellen, dass in der Schweiz die Opferzahlen von Erdbeben immer sehr gering waren. Vom Basler Beben von 1356, immer noch das stärkste Erdbebenereignis der letzten 1000 Jahre, nimmt man an, dass nicht sehr viele Leute gestorben sind.

Gab es denn im Bereich eines alltäglichen Bauens schon früher vorbildhafte Ansätze zu einem erdebensicheren Bauen?

HB: Es gibt kaum überzeugende Anhaltspunkte, dass man Erdbebengefahren systematisch berücksichtigt hätte. In mittelalterlichen Städten beobachte ich immer wieder Eckpfeiler an alten Häusern. Nach dem Erdbeben von Basel hat man die Häuser mit Eckpfeilern gebaut. In Wil, Bischofszell, Zofingen, in den Zähringerstädten im Raum Bern usw. gibt es solche Eckpfeiler. Das ist meine private Ansicht, aber ich sehe keinen Grund, weshalb man solche Eckpfeiler sonst gemacht hätte. Die Eckpfeiler tragen zur Stabilität des Mauerwerks eines Gebäudes bei. Das waren vielleicht erste bauliche Massnahmen, um Gebäude in der Schweiz gegen Erdbeben sicherer zu machen.

Forschung zum erdbebensicheren Bauen

Welche historische Rolle spielt der Stahlbau für ein erdbebensichereres Bauen? Und seit wann wird dieser Zusammenhang systematisch erforscht?

HB: Für die Forschungsgeschichte bedeutsam war das Erdbeben von San Francisco 1906. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses hat man angefangen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man Gebäude erdbebensicherer ausbilden könnte; ebenso nach dem berühmten Tokio Erdbeben 1923 mit 150 000 Toten und, wie in San Francisco auch, mit tagelangen Bränden. In der Folge hat man insbesondere dem Stahlbau anstelle von Mauerwerk eine besondere Leistungsfähigkeit im Erdbebenfall zugeschrieben – allerdings ohne dass man damals verstanden hätte, wie sich ein Erdbeben auf ein Bauwerk auswirkt.
Was mit einem Gebäude während eines Erdbebens passiert, ist sehr komplex. Einigermassen verstanden wird das erst in den letzten drei Jahrzehnten. Das Erdbeben-Ingenieurwesen hat sich in einem wissenschaftlichen Sinn erst in den 1960er Jahren etabliert, primär im Zusammenhang mit dem Bau kalifornischer Atomkraftwerke. Aus diesem Umfeld sind am Anfang die stärksten wissenschaftlichen Impulse gekommen. Auch die ersten Bauwerke der Schweiz, für die eine so genannte Erdbebenbemessung gemacht wurde, waren unsere AKW; natürlich waren diese Bemessungen aus heutiger Sicht bloss rudimentär. Die Idee, dass man ein Gebäude für den Erdbebenfall möglichst sicher bauen sollte, habe auch ich das erste Mal in den 1960er Jahren gehört, als man unsere ersten AKW geplant hat. Die Atomindustrie hat entsprechend auch die ersten Forschungsgelder zur Verfügung gestellt, um an den Hochschulen erste kleinere Forschungsprojekte durchzuführen. Mit der Zeit wurde dieses Wissen auch auf andere Gebäudetypologien übertragen. Die ersten modernen Erdbeben- Normen auf wissenschaftlicher Basis sind in den 1970er und 80er Jahren in den USA und in Neuseeland erarbeitet worden, gleichsam mit einem wachsenden Bewusstsein für das Risiko und die Schwächen der Technokratie. Eine neue Methode: Duktilität und Kapazitätsbemessung Forschungsgeschichtlich kann man also sagen, dass die Baudynamik erst ungefähr ein halbes Jahrhundert nach den Erkenntnissen in der Seismologie folgte. HB: Ja. Die entscheidende Methode, die das ganze Erdbebeningenieurwesen auf den Kopf gestellt hat, wurde in den 1980er Jahren in Neuseeland entwickelt: das Capacity-Design; auf Deutsch: Kapazitätsbemessung. Entdeckt und entwickelt wurde die Methode insbesondere von Professor Thomas Paulay, für den ich damals arbeitete. Die Methode hat zur sogenannt duktilen Bauweise geführt. Ein Bauwerk ist dann duktil konstruiert, wenn es sich unter Erdbebeneinwirkung so stark verformen kann, dass es dabei zwar lokal bleibende Verformungen erfährt, aber ohne einzustürzen. Duktilität meint plastische Verformbarkeit des Tragwerks, was unter Umständen bleibende Verformungen mit starken lokalen Schäden miteinschliesst; auf keinen Fall jedoch zu einem Zusammenbruch des Tragwerks führt. Heute verwendet man überall auf der Welt diese duktile Bauweise im Gegensatz zu einer nicht-erdbebengerechten Bauweise.

Welche Bedeutung kommt den Architekten für die Konzeption duktiler Gebäude zu?

HB: Die Architekten verfügen über die wichtigsten Schalthebel. Im Ablauf der Planung ist das Entscheidende der erdbebengerechte Entwurf. Von der ersten Skizze an sollte der Aspekt der Erdbebensicherheit von Architekten berücksichtigt werden. Und um das zu machen, muss man keine einzige Berechnung durchführen; man muss bloss einige wesentliche Grundsätze berücksichtigen.[1] Am besten geschieht dies durch eine frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur beim Entwurf des Gebäudes. Mit wenigen gescheiten Massnahmen kann man die Erdbebensicherheit von Gebäuden enorm verbessern. Wenn man es jedoch nicht macht, dann kann der Ingenieur noch so viel rechnen; das Gebäude bleibt ein schlechter erdbebenbezogener Entwurf. Der Ingenieur berücksichtigt mit der Berechnung, der Bemessung und der konstruktiven Durchbildung des Tragwerks und der nicht-tragenden Bauteile wie Zwischenwände und Fassadenelemente zwar die Norm, aber die Norm sagt wenig zu den grundsätzlichen Entwurfsprinzipien.

Erdbeben-Normen in der Schweiz

Ob eine Gesellschaft bauliche Massnahmen gegen Erdbebengefahren ergreift, ist letztlich abhängig davon, wie sie die Gefahren einschätzt. Sie, Herr Bachmann, sprechen mit Blick auf den öffentlichen Erdbebendiskurs der Schweiz von den «vergessenen Erdbeben». Moderne Erdbebennormen sind erst seit 1989 in Kraft. Haben wir in der Schweiz ein Wahrnehmungs- und Überlieferungsproblem betreffend der real existierenden Erdbebengefahren; oder sind wir bloss europäischer Durchschnitt?

MG: In der Schweiz sind die Erdbeben-Normen noch ein bisschen jünger als beispielsweise in Italien; aber auch dort ist die Normgebung relativ jung, aus den 1970er Jahren. Wenn man sich vor Augen führt, dass es dort schon immer schwere Erdbeben gegeben hat, mutet das besonders erstaunlich an. Wenn wir heute davon reden, dass man Erdbebengefahren ernst nehmen soll, dann hat das mit Berechnungen zu tun, was passieren könnte, wenn es wieder ein schweres Erdbeben gibt. Überlegungen zur Erdbebensicherheit muten sehr theoretisch an und müssen entsprechend stark institutionell forciert werden: mit Normen, mit Gesetzgebungen. Ansonsten hat man sozusagen kaum einen Grund, sich mit Erdbeben zu beschäftigen. Es geht darum, mittels Normen die Wahrnehmung von Erdbeben zu institutionalisieren.

HB: Es ist schwierig, das vorhandene komplexe Wissen in einfache Regeln umzusetzen, die man beim Planen und Bauen brauchen kann. Zudem hat man bloss langsam verstanden, was ein Erdbeben mit einem Gebäude macht. In der SIA-Norm von 1970 hatte man nur einen kurzen Abschnitt zur Erdbebensicherheit drin.[2] Da war noch kaum von Schwingungen die Rede. Vor dem Hintergrund der genannten internationalen Entwicklungen habe ich 1980 vom SIA den Auftrag erhalten, als Vorsitzender einer entsprechenden Kommission für die Schweiz eine eigentliche Erdbeben-Norm auszuarbeiten. 1989 ist diese erste moderne Erdbeben-Norm der Schweiz in Kraft getreten. Wobei man sagen muss, dass auch die jüngste Norm eine blosse Empfehlung darstellt.
SIA Normen haben grundsätzlich die Rechtskraft von Vereinsstatuten. Die Anwendung der Norm unterliegt dem Privatrecht; entscheidend ist, was in den Bauverträgen steht: «Die SIA-Normen sind einzuhalten». Da entstehen natürlich Interpretationsspielräume. Und weil Erdbeben nicht im öffentlichen Bewusstsein sind, wird sogar heute noch nicht-erdbebengerecht gebaut. Heute weiss man sehr gut, wie man Gebäude duktil gestalten kann. Das ist in die heutigen Normen eingeflossen. Auf einem anderen Blatt steht, ob die Normen tatsächlich angewendet werden. Bis jetzt ist die Anwendung der SIA-Erdbeben-Normen für private Bauten nicht gesamtschweizerisch verbindlich vorgeschrieben. Nur die Kantone Wallis und Basel-Stadt haben sie seit einigen Jahren vorgeschrieben.

Wo müsste man ansetzen, um den Normen gesamtschweizerisch mehr Geltung und Nachachtung zu verschaffen?

HB: Das Bauwesen ist in der Schweiz rechtlich Sache der Kantone. Der Bund hat keine Verfassungskompetenz im Erdbebeningenieurwesen – im Gegensatz zum Hochwasser. Man hat zwar versucht, das zu ändern – man wollte einen neuen Bundesverfassungsartikel zu Naturgefahren, der auch die heute verstreuten gesetzlichen Bestimmungen zu Hochwasser, Lawinen etc. zusammenfasst – blieb jedoch ohne Erfolg. Viele Kantone haben bis heute bezüglich der privaten Bauten noch nichts unternommen, andere sind aktiv geworden. Etwa die Hälfte aller Kantone bauen unterdessen ihre eigenen, also öffentlichen Gebäude nach den SIA-Normen. Und viele Kantone haben angefangen, ihre eigenen Bauten auf Erdbebensicherheit zu überprüfen. Der Bund setzt jetzt ebenfalls bei allen seinen eigenen Bauten – Hochschulen, Verwaltungsgebäuden etc. – die SIA Normen durch. Insgesamt machen die öffentlichen Bauten immerhin ein paar Prozent aus, ca. fünf bis sechs Prozent. Der grosse Teil jedoch, etwa 90 Prozent, sind private Bauten. Dass es Auflagen bei Baubewilligungen und entsprechende Kontrollen gibt, ist bloss in Basel und im Wallis durchgesetzt. Andere Kantone, z.B. Fribourg, Waadt, Nidwalden, nähern sich momentan Basel und Wallis an. Aber in jenen Kantonen, die die grösste Bausubstanz und somit auch das grösste Risiko aufweisen – im Mittelland – sind die privaten Bauten immer noch, um es salopp zu sagen, vogelfrei. Da macht niemand Auflagen und Kontrollen, wenn der Bauherr, der Architekt oder der Ingenieur das nicht durchsetzt.

Ertüchtigung bestehender Bauten

Fürchten viele Bauherren die Kosten für entsprechende Massnahmen der Ertüchtigung bei bestehenden Bauten?

MG: Die einzige Massnahme, um sich vor den Folgen von Erdbeben zu schützen, ist das erdbebensichere Bauen und Ertüchtigen bestehender Bauten. Eine kürzlich erstellte Studie zeigt aber, dass es sehr teuer ist, bestehende Gebäude, und seien sie auch kulturell wertvoll, zu ertüchtigen. Am sinnvollsten wäre dies also anlässlich einer sowieso anstehenden Sanierung.

HB: Von Neubauten wissen wir, dass erdbebensicheres Bauen fast nichts zusätzlich kostet, wenn man es richtig macht. Der Aufwand liegt zwischen null und einem Prozent der Baukosten. Darum ist es unverantwortlich, wenn man es nicht macht. Mit der 2004 eingeführten SIA Richtlinie 2018 gibt es ausserdem ein ganz hervorragendes Verfahren, mittels dessen man mit ökonomischen Kriterien – und auch unter Einbezug von kulturellen und rechtlichen Wertmassstäben – bestehende Gebäude untersuchen kann. Mittels dieses Verfahrens kann man klar sagen, wo es verhältnismässig ist, zu ertüchtigen und wo nicht. Das hängt von den Ertüchtigungskosten ab, aber es hängt auch von der sogenannten Personen-Belegungszahl ab. Das Hauptziel des Ingenieur-Erdbebenwesen ist immer noch, Tote zu verhindern; oder grössere Umweltkatastrophen, wenn man an die Basler Chemie denkt.

Welche Erdbebenstärken halten denn vor 1989 gebaute Gebäude aus?

HB: 85 bis 90 Prozent des Gebäudebestandes der Schweiz hat nie eine Erdbebenbemessung erfahren. Diese Gebäude weisen häufig eine ungenügende Erdbebensicherheit auf. Man kann jedoch keine generelle Aussage machen. Jedes Gebäude ist ein Individuum, ganz besonders in der Schweiz. Wenn man Erdbebengefahren beim Entwurf, bei der Bemessung und bei der Konstruktion nicht berücksichtigt, dann resultieren Gebäude, die zufälligerweise sehr erdbebensicher sein können und solche, die bereits bei einem schwachen Erdbeben in sich zusammenfallen. Es kann von kleinen Veränderungen abhängen, ob die Erdbebensicherheit besser oder schlechter wird; und man kann deshalb auch nicht von einer spezifischen Erdbebenstärke ausgehen.

Erdbebenertüchtigung ist also ein grosses Thema in der Schweiz. Mit welchen Prioritäten sollte man hier vorgehen?

HB: Ich gehe von 200 bis 300 Gebäuden aus, die bis heute in der Schweiz auf Erdbeben ertüchtigt wurden und die jetzt eine einigermassen genügende Erdbebensicherheit aufweisen. Der Bund hat auch bei seinen eigenen, bestehenden Gebäuden eine systematische Überprüfung bezüglich Erdbebentüchtigkeit eingeleitet. Bei rund der Hälfte der Bundesbauten muss bei der anstehenden Sanierung auch die Erdbebensicherheit verbessert werden. Einige ganz schlimme Fälle hat man unterdessen bereits ertüchtigt, zum Beispiel 1994 das Auditoriumsgebäude der ETH Zürich auf dem Hönggerberg. Der Kanton Zürich hat alle seine Schulhäuser und Spitäler überprüft. Einige, wie das Spital Winterthur, sind unterdessen ertüchtigt worden.

Zum Schluss die Frage: Wie schätzen Sie die Potentiale von Stahl für ein zukünftiges erdbebensicheres Bauen in der Schweiz ein?

HB: Erdbebensicheres Bauen ist grundsätzlich nicht von der Bauweise abhängig. Bei der Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden hat der Stahl jedoch bestimmt eine wichtige Rolle zu spielen. Stahlelemente sind konstruktiv flexibel, man kann sie einfach in die gewünschte Form bringen und man kann sie einfach transportieren. Deshalb ist Stahl bei der Ertüchtigung, wenn es um Verstärkungen geht, ein besonders praktischer Baustoff.


Anmerkungen:
[01] Hugo Bachmann: Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten – Grundsätze für Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behörden, Richtlinien des BWG, Bern 2002.
[02] «Die Tragwerke sollen den Beanspruchungen durch Erdbeben widerstehen. Die Intensitätsklasse VII nach der Rossi-Forel-Skala ist für das ganze Land gültig. An stärker gefährdeten Orten kann die zuständige Behörde die Intensitätsklasse VIII vorschreiben. […] Die Tragwerke sind für eine horizontale Beschleunigung b=g/50 für die Intensitätsklasse VII und b=g/20 für die Intensitätsklasse VIII zu berechnen (g=Erdbeschleunigung).»

[Zu den Interviewpartnern: Hugo Bachmann ist der Doyen des schweizerischen Erdbebeningenieurwesens. Er hat in den 1970er Jahren die internationale Forschung in die Schweiz gebracht und als damaliger Professor für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen an der ETH Zürich etabliert.

Die Wissenschaftshistorikerin Monika Gisler ist eine profilierte Kennerin der Erdbebengeschichte der Schweiz, die in ihrer Dissertation die Anfänge einer naturwissenschaftlichen Beschreibung von Erdbeben beschreibt.

Sascha Roesler ist Architekt und Lehrbeauftragter an der ETH Zürich im Wahlfach «Einführung in die ethnografische Forschung der modernen Architektur».]

Steeldoc, Di., 2011.12.20



verknüpfte Zeitschriften
steeldoc 2011/03+04 Erdbebensicherheit im Stahlbau

03. August 2001Sascha Roesler
Neue Zürcher Zeitung

Tickt Basel anders?

Phänomen der Zwischennutzung von Industriearealen

Phänomen der Zwischennutzung von Industriearealen

Die Zwischennutzung ehemaliger Industrieareale ist heute in der Schweiz ein verbreitetes Phänomen. Normalerweise wird es als ein befristetes Bewirtschaften brachliegender Räume aufgefasst. Inwiefern könnte es aber ein Mittel zur Stadtentwicklung werden? Ein Zwischennutzungsprojekt in Basel stellt diese Frage zur Diskussion.

Wenn heute allenthalben von Partizipation und Mitbestimmung der Öffentlichkeit an politischen Entscheidungsprozessen die Rede ist, so muss das seine tieferliegenden Gründe haben. Auf dem Internet präsentieren Städte und Gemeinden die neusten Konzepte und Ergebnisse solcher Bürgerbeteiligung. E-Democracy und Online-Democracy sind Schlagworte gegenwärtiger Versuche, Stimmen und Meinungen der Bürger direkt in den demokratischen Prozess der Lösungsfindung einzuspeisen. In der Stadt Basel lässt sich momentan beobachten, was es insbesondere für Planungsprozesse heissen könnte, wenn städtebauliche Entwicklungen den Bewohnern nichtnachträglich schmackhaft gemacht werden, sondern gleichsam unter deren Einfluss geraten.


Öffentlichkeit in Planungsprozessen

Seit rund vier Jahren wird dank anhaltenden Diskussionen ein Areal ins Bewusstsein der Basler zurückgeführt, das auf Grund seiner spezifischen Nutzung während Jahrzehnten nicht zu existieren schien. Die Rede ist vom 18 Hektaren grossen ehemaligen Güterumschlagsplatz der Deutschen Bahn, kurz DB-Areal genannt. Obwohl noch im Innenstadtbereich gelegen - das DB-Areal bildet den nordöstlichen Abschluss des unteren Kleinbasel -, ist das Gelände weiten Kreisen unbekannt, da es als Bahnareal und Zollabfertigungszone während Jahrzehnten nicht öffentlich zugänglich war. Als die Deutsche Bahn Mitte der neunziger Jahre die Aufhebung des Güterumschlags in Basel bekanntgab, sahen sich die Basler Behörden mit der Möglichkeit konfrontiert, einen ganzen Stadtteil vollumfänglich neu zu entwickeln. Die Planungsbehörde des Kantons Basel-Stadt spricht denn auch vom DB- Areal als «einem der letzten grösseren Entwicklungsgebiete» der Stadt. Im Jahr 1996 initiierte deshalb der Kanton Basel-Stadt zusammen mit der Grundeigentümerin, der Deutschen Bahn, einen planerisch-städtebaulichen Ideenwettbewerb, der erste Aufschlüsse über das «städtebauliche Potenzial» des Areals bringen sollte. Im Sinne einer «Mischnutzung» wurden von den Wettbewerbsteilnehmern Projekte erwartet, die neben 20 Prozent öffentlichen Grün- und Freiflächen zu gleichen Teilen Wohnen, Arbeiten und Infrastrukturbauten bieten. Ein Lebensraum für rund 2000 Personen sollte skizziert werden.

Sehr früh unterstrichen Basler Politiker aber auch die Bedeutung der «Bedürfnisse und Ideen der Basler Bevölkerung» bei der Gestaltung des neuen Stadtteils. Solche Verlautbarungen sind insofern nicht ganz selbstverständlich, als gerade die schweizerische Planungspraxis durch das Selbstverständnis der Planer als unparteiische Spezialisten bzw. durch die schiere Macht des Grundeigentums geprägt ist. Unter solchen Voraussetzungen stellt sich die Frage, welche Rolleder Öffentlichkeit in Planungsprozessen zukommen kann: Besteht sie aus lauter «Laien», die über eine komplexe Materie unterrichtet werden müssen? Ist sie einfach der «Souverän», der über die erarbeiteten Konzepte der Fachleute abstimmt und diese Konzepte allenfalls zu Fall bringt? Oder stellt sie den Kreis der «Betroffenen» dar, denen man deshalb Mitbestimmung zugestehen muss, weil sie später mit den realisierten Planungsobjekten zu leben haben? Erfahrungsgemäss werden mit «Öffentlichkeit» Minderheiten mit einflussreicher Stellung in Politik und Gesellschaft angesprochen, die einer Planung zumDurchbruch verhelfen bzw. deren Durchsetzbarkeit nachhaltig gefährden könnten.

Mitwirkungsverfahren, in denen die vom Planungsvorhaben betroffene Bevölkerung eingebunden wird, sind für die Planungsbehörden nicht nur viel schwieriger zu koordinieren, sie sind in der Praxis schlicht nicht eingeübt - gerade dann, wenn eine öffentliche Debatte nicht nur der Durchsetzung, sondern auch der Generierung von Planungsideen dienen soll. Auf die Vorteile eines auf Mitwirkung abzielenden Planungsverfahrens hat der Basler Soziologe Lucius Burckhardt bereits vor einigen Jahrzehnten hingewiesen: «Nureine ständige Diskussion mit den Betroffenen verhindert, dass unerwünschte Wirkungen und ungeliebte Ziele erreicht werden.» Gefahren, die gerade bei grösseren Planungsvorhaben wie dem DB-Areal nicht von der Hand zu weisen sind.

Als aussergewöhnlich für Basel beurteilt denn auch die kantonale Planungsbehörde ihr Vorgehen im Anschluss an die erste Wettbewerbsstufe. Mittels einer Veranstaltungsreihe wurde versucht, den Istzustand des DB-Areals und die dazu erarbeiteten Planungskonzepte der Bevölkerung vorzustellen: Führungen boten Gelegenheit,das DB-Areal kennenzulernen. Es wurden Workshops abgehalten, in denen für Anwohner und Gewerbetreibende die Möglichkeit bestand, mit Planern und Vertretern der Deutschen Bahn ins Gespräch zu kommen. Dabei wurde auch erstmals über mögliche Formen der Um- und Zwischennutzung des bestehenden Areals diskutiert.Der Gedanke, auf dem DB-Areal Zwischennutzungen anzustreben, war insofern sehr naheliegend, als bei einem so komplexen Planungsvorhaben mit Realisierungszeiten von bis zu 20 Jahren gerechnet werden muss. Es entsprach denn auch den Interessen der Basler Planungsbehörde, dass im Sommer 1999 erstmals präzisere Vorstellungen zu einer Zwischennutzung von privater Seite geäussert wurden. Anhaltende rechtliche und planerische Unstimmigkeiten zwischen dem Kanton Basel-Stadt und der Deutschen Bahn hatten den Fortgang des Wettbewerbsverfahrens blockiert und drohten auch das öffentliche Interesse am DB-Areal schwinden zu lassen.


Zwischennutzung und Stadtentwicklung

Ein Stadtplaner und ein Geograph, Philippe Cabane und Matthias Bürgin, publizierten auf dem Internet eine Studie, die bereits im Titel programmatisch vertritt, was sie im Kontext des DB- Areals sein könnte: «Akupunktur für Basel». Die Vorschläge sind insofern ungewöhnlich, als sie Zwischennutzung als «ein Mittel zur Regulierung von Stadtentwicklung» begriffen haben wollen. Die an sich weit verbreitete Praxis der Um- und Zwischennutzung von ehemaligen Industriearealen erhält eine markante Umdeutung: Wird unter Zwischennutzung gemeinhin ein «befristetes und weitgehend zweckfreies Bewirtschaften brachliegender Räume» verstanden, so soll sie auf dem DB-Areal «gleichzeitig und zusätzlich auch als Strategie zur Stadt(teil)entwicklung zum Einsatz kommen». Zwischennutzung so verstanden wäre also nicht mehr nur eine temporäre Angelegenheit, sondern gleichsam die Initialzündung für das neue Quartier auf dem DB-Areal. Die beiden Autoren nennen einige plausible Gründe, die dafür sprechen, dem Phänomen der Zwischennutzung auch aus städteplanerischer Sicht Beachtungzu schenken - vor allem dann, wenn die Bedürfnisse und Ideen der betroffenen Bevölkerung ernst genommen werden sollen.

Neue Stadtteile - und somit auch das zukünftige Quartier auf dem DB-Areal - leiden durchwegs unter dem «Problem des Anfangs». Sie ringen umso mehr um eine Geschichte, je mehr ihnen gewachsene Quartierstrukturen fehlen. Um solche aber möglichst früh entstehen zu lassen, reicht es nicht aus, die Stadt mit typologischen, regionalistischen oder historischen Anleihen weiterzubauen. Die beiden Autoren der Studie meinen daher, es brauche «verortete Geschichtlichkeit. Zwischennutzung kann dies herstellen, sie kann Spuren hinterlassen - oder vorausschicken. Sie kann ein Terrain vorbereiten, sie ist Garant für eine lebendige Kontinuität. Eine neue Überbauung braucht so nicht bei null anzufangen. Dieurbane Geschichte eines Ortes muss frühzeitig beginnen, nicht mit dem ersten Spatenstich.»


Von Archigram lernen

Die öffentliche Debatte rund um das DB-Areal hat schon früh den Wunsch nach ausgedehnten Grünanlagen im zukünftigen Quartier aufgezeigt. Das Planungsamt hat ihm Rechnung getragen, indem sie nunmehr einen Grün- und Freiflächenanteil von rund 45 anstelle der ursprünglich veranschlagten 20 Prozent für den weiteren Planungsverlauf festgeschrieben hat. Die Zwischennutzung bietet Gelegenheit, diese Form der Bedürfniseruierung im Hinblick auf den weiteren Planungsprozess kontinuierlich voranzutreiben. Im Anschluss an die heutzutage viel diskutierten Ideen der britischen Architektengruppe Archigram empfehlen die beiden Autoren, «städtischeEntwicklung» vermehrt über Aktivitäten der Bevölkerung einzuleiten bzw. an den bereits vorhandenen Aktivitäten zu messen. Darum wird auch nahegelegt, für das DB-Areal nicht nur bauliche Massnahmen, sondern auch «Aktivitäten zu planen», die im Sinne einer Zwischennutzung sofort entfaltet werden können: «Stadtplanung ist in der Schweiz weitgehend formelle Planung. Damit ist sie eigentümerorientiert und hat wenig Einfluss auf Alltagsqualitäten und Gebrauchswert. Nimmt man die Bedürfnisse der Bevölkerung ernst, bedarf es informeller Verfahren, was nichts anderes heisst als: Man plane Aktivitäten, dann kommen die erforderlichen Nutzungen von selbst.» - Viele Bedürfnisse der umliegenden Quartiere lassen sich dank Zwischennutzung mit einfachen organisatorischen Mitteln sofort erfüllen und bedürfen nicht der mehrjährigen Vorbereitungszeit, die ein herkömmlicher Planungsprozess oftmals mit sich bringt. Voraussetzung für die tatsächliche Wirksamkeit all dieser Vorschläge ist neben dem Goodwill der Eigentümer die Bereitschaft der kantonalen Behörden, entsprechend grosszügig die nötigen Bewilligungen auszusprechen.


Öffentlichkeit schaffen

Nach zähem Ringen mit dem kantonalen Polizeidepartement wurden im vergangenen Sommerdie ersten Bewilligungen für eine temporäre Bewirtschaftung des DB-Areals erteilt. Ganz unterschiedliche Leute beteiligen sich am «nt/areal»genannten Zwischennutzungsprojekt. In der ehemaligen Kantine des Bahngeländes sorgt inzwischen das Restaurant Erlkönig dafür, dass dasbrachliegende DB-Areal kontinuierlich ein Publikum findet. Das gediegen ausstaffierte Restaurant zieht vor allem Leute über dreissig an. Im selben Gebäude untergebracht ist die Lounge, in deren Veranstaltungskalender neben Partys und Konzerten auch Filmveranstaltungen und Diskussionsforen zu finden sind - etwa zu den Themenkreisen Stadt und öffentlicher Raum. Vor dereinstigen Kantine erstreckt sich das weite Geleisefeld. Ein Weg soll fortan die beiden QuartiereMatthäus und Rosenthal mit dem Naherholungsgebiet der Langen Erlen verbinden, das bisher nur auf Umwegen erreichbar war. Gleich neben der Kantine befindet sich das ehemalige Wagenmeistergebäude. In diesem «Labor» sollen in Zukunft die verschiedenartigen Aktivitäten auf dem Areal koordiniert und neue angezettelt werden.

Was unterscheidet nun die Aktivitäten auf dem DB-Areal von anderen Zwischennutzungen ehemaliger Industrieareale? Und was hat das momentane Angebot auf dem DB-Areal mit den theoretischen Positionen der Studie zu tun? Ein wenig Musik, Kunst und Kommerz, das Übliche halt - könnte aus kulturgesättigter Sicht kritisiert werden. Doch zunächst sollte man zuwarten, wie sich das durchaus städtische Selbstbewusstsein der «nt»-Leute auf die weitere Planungsdiskussion in Basel auswirkt. Tatsache ist, dass sich aufdem DB-Areal eine Art von Öffentlichkeit formiert, die aus dem weiteren arealbezogenen Planungsprozess nunmehr schwer wegzudenken ist.Und das ist schon ein gar nicht so kleiner Unterschied.


[Die oben angesprochene Studie, das laufende Programm sowie die Hintergründe des Zwischennutzungsprojektes auf dem DB-Areal sind im Internet unter www.areal.org auffindbar.]


[Wettbewerb DB-Areal

lwi. Als 1913 der Badische Bahnhof in Basel eingeweiht wurde, gab es das Grossherzogtum Baden noch, und der Bahnhof hatte einen Fürstenbau. Er liegt heute am westlichen Ende der schönen Jugendstilanlage und öffnet sich mit einem Cour d'honneur zur Stadt. Davor verläuft die Schwarzwald-Allee und darunter der Autobahntunnel, der Deutschland mit der Schweiz und Italien verbindet. Das zum Bahnhof gehörende, 18 Hektaren grosse Areal wurde während 150 Jahren von der Eisenbahn aus Deutschland genutzt. Es hat eine kuriose Rechtslage, da das Grundstück in der Schweiz liegt, aber auf Grund eines Staatsvertrages zwischen dem Grossherzogtum Baden und dem Kanton Basel-Stadt vondeutscher Seite gebraucht wird. Für dieses grösste innerstädtische Grundstück der Schweiz wurde 1996 ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der aus der Ostschweiz stammende Wahlberliner Max Dudler für sich entscheiden konnte. Der Wettbewerb geht nun in die zweite Runde. Eingeladen sind alle neunzehn Preisträger von 1997. Die Jury ist noch nicht fest bestallt, aber es werden ihr der Kantonsbaumeister Fritz Schumacher und sein Vorgänger Carl Fingerhuth sowie - beratend - der Stadtgeograph Matthias Bürgin angehören. Ende Oktober sollen die Wettbewerbsvorbereitungen abgeschlossen sein, und Anfang 2002 soll die Entscheidung folgen.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.08.03

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Presseschau 12

03. April 2020Sascha Roesler
Neue Zürcher Zeitung

Epidemiologie und Stadtplanung haben eine gemeinsame Geschichte und auch Zukunft

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03. November 2012Sascha Roesler
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Festung der Wissenschaft

Das 1924 vollendete erste Gebäude des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mittels einer imaginären Rekonstruktion des Gebäudes lassen sich die widersprüchlichen ideologischen Anleihen freilegen, die diesen wichtigen Bau prägten.

Das 1924 vollendete erste Gebäude des Frankfurter Instituts für Sozialforschung wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. Mittels einer imaginären Rekonstruktion des Gebäudes lassen sich die widersprüchlichen ideologischen Anleihen freilegen, die diesen wichtigen Bau prägten.

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20. Dezember 2011Sascha Roesler
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Erdbebensicher bauen als Selbstverständlichkeit

Obwohl die Schweiz nicht zu den hochgefährdeten Erdbebenzonen Europas gehört, gibt es immer wieder Erdstösse, die für Menschen und Kulturgüter gefährlich sind. Im Gespräch wird klar, wie in der Vergangenheit mit diesem Risiko umgegangen wurde, weshalb Erdbebensicherheit im Entwurf zur Selbstverständlichkeit gehören sollte und welches die politischen und normativen Hürden sind, die es noch zu überwinden gilt.

Mit Hugo Bachmann und Monika Gisler sprach Architekt Sascha Roesler

Obwohl die Schweiz nicht zu den hochgefährdeten Erdbebenzonen Europas gehört, gibt es immer wieder Erdstösse, die für Menschen und Kulturgüter gefährlich sind. Im Gespräch wird klar, wie in der Vergangenheit mit diesem Risiko umgegangen wurde, weshalb Erdbebensicherheit im Entwurf zur Selbstverständlichkeit gehören sollte und welches die politischen und normativen Hürden sind, die es noch zu überwinden gilt.

Mit Hugo Bachmann und Monika Gisler sprach Architekt Sascha Roesler

Gemäss einer Risikostudie des Bundesamtes für Zivilschutz ist die Erdbebengefahr die bedeutendste Naturgefahr in der Schweiz. Doch ist das Ausmass einer Erdbeben- Katastrophe nicht in hohem Masse menschengemacht? Und wie wurde diese Verantwortung in der Geschichte gedeutet?

MG: Die Katastrophe ist nicht das Beben selbst, sondern was mit den Gebäuden und den Menschen passiert. Somit ist die Bauweise entscheidend dafür, wie katastrophal sich ein Erdbeben auswirkt. Den Menschen trifft also eine gewisse Eigenverantwortung für das Ausmass des Schadens. Das zeigt sich auch in der Geschichte. Lange Zeit wurden Erdbeben nicht naturwissenschaftlich, sondern theologisch erklärt. Man deutete das Beben als Strafe für ein schlechtes oder als Ermahnung für ein besseren Leben.

HB: Seit dem verheerenden Erdbeben von Lissabon 1755 wurde auch die sogenannte Theodizee-Frage gestellt: Warum lässt Gott das zu? Diese Frage taucht bis heute auf. Erdbeben werden so als Strafe Gottes definiert.

MG: Erst im Laufe des 18. Jahrhunderts hat man Erdbeben in zunehmendem Masse auch naturwissenschaftlich erklärt, so dass nun unterschiedliche Deutungsmuster nebeneinander bestehen konnten, naturwissenschaftliche und theologische. Man hat beispielsweise Erdbeben mit dem Wetter zu verknüpfen versucht und wollte dies auch empirisch nachweisen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts existierte die Theorie der Elektrizität als Ursache von Erdbeben. Und etwa zur selben Zeit sind die ersten Zusammenhänge zwischen Erdbeben und der Entstehung der Erde hergestellt worden. Erst jedoch seit den frühen 1960er-Jahren hat man die heute gültige Theorie der Plattentektonik formuliert. Bis Ende des 19. Jahrhunderts hatte man also keine klare Vorstellung davon, wie Erdbeben entstehen und damit auch keine brauchbare Erdbeben-Prävention.

Frühe bauliche Massnahmen

Seit wann gibt es einen gelehrten Diskurs über sinnvolle bauliche Massnahmen?

MG: Kulturgeschichtlich ist das ein sehr junges Thema. Rousseau hatte nach dem Beben in Lissabon 1755 die schlechte Bauweise der Stadt kritisiert. Solche Hinweise waren jedoch sehr vereinzelt. Und man findet keine baulichen Umsetzungen solcher Warnungen. Für die Schweiz kenne ich bis ins 20. Jahrhundert hinein keine schriftlichen Quellen, die auf eine Erdbeben bedingte Ertüchtigung von Gebäuden hindeuten würden. Insofern unterscheiden sich Erdbeben von anderen Naturkatastrophen. Im Fall von Hochwasser etwa wurden viel früher Überlegungen angestellt, wie man Dämme bauen könnte.

HB: Ich glaube, das hängt damit zusammen, dass Hochwasser relativ häufig auftreten. Eigentliche Schadenserdbeben gibt es bloss etwa alle 100 Jahre. 1946 war das letzte grosse Schadensbeben der Schweiz, im Wallis. Und ganz schwere Erdbeben mit katastrophalen Schäden gibt es in der Schweiz sogar nur etwa alle 500 bis 1000 Jahre. Ein schlimmes Erdbeben verursacht zwar bis zu 100 mal grössere Schäden als ein schlimmes Hochwasser – heute wäre mit rund 100 Milliarden Franken Schäden zu rechnen, wenn in Basel ein grosses Erdbeben stattfinden würde. Die wirklich schlimmen Erdbeben ereignen sich aber in einem so weiten zeitlichen Abstand zueinander, dass sie sich nicht in unserem gesellschaftlichen Bewusstsein verankern. Das ist der Hauptgrund dafür, dass man in der Schweiz bis in jüngster Zeit keine baulichen Massnahmen gegen Erdbeben ergriffen hat. MG: Im Vergleich zu Hochwasserkatastrophen muss man feststellen, dass in der Schweiz die Opferzahlen von Erdbeben immer sehr gering waren. Vom Basler Beben von 1356, immer noch das stärkste Erdbebenereignis der letzten 1000 Jahre, nimmt man an, dass nicht sehr viele Leute gestorben sind.

Gab es denn im Bereich eines alltäglichen Bauens schon früher vorbildhafte Ansätze zu einem erdebensicheren Bauen?

HB: Es gibt kaum überzeugende Anhaltspunkte, dass man Erdbebengefahren systematisch berücksichtigt hätte. In mittelalterlichen Städten beobachte ich immer wieder Eckpfeiler an alten Häusern. Nach dem Erdbeben von Basel hat man die Häuser mit Eckpfeilern gebaut. In Wil, Bischofszell, Zofingen, in den Zähringerstädten im Raum Bern usw. gibt es solche Eckpfeiler. Das ist meine private Ansicht, aber ich sehe keinen Grund, weshalb man solche Eckpfeiler sonst gemacht hätte. Die Eckpfeiler tragen zur Stabilität des Mauerwerks eines Gebäudes bei. Das waren vielleicht erste bauliche Massnahmen, um Gebäude in der Schweiz gegen Erdbeben sicherer zu machen.

Forschung zum erdbebensicheren Bauen

Welche historische Rolle spielt der Stahlbau für ein erdbebensichereres Bauen? Und seit wann wird dieser Zusammenhang systematisch erforscht?

HB: Für die Forschungsgeschichte bedeutsam war das Erdbeben von San Francisco 1906. Unter dem Eindruck dieses Ereignisses hat man angefangen, sich darüber Gedanken zu machen, wie man Gebäude erdbebensicherer ausbilden könnte; ebenso nach dem berühmten Tokio Erdbeben 1923 mit 150 000 Toten und, wie in San Francisco auch, mit tagelangen Bränden. In der Folge hat man insbesondere dem Stahlbau anstelle von Mauerwerk eine besondere Leistungsfähigkeit im Erdbebenfall zugeschrieben – allerdings ohne dass man damals verstanden hätte, wie sich ein Erdbeben auf ein Bauwerk auswirkt.
Was mit einem Gebäude während eines Erdbebens passiert, ist sehr komplex. Einigermassen verstanden wird das erst in den letzten drei Jahrzehnten. Das Erdbeben-Ingenieurwesen hat sich in einem wissenschaftlichen Sinn erst in den 1960er Jahren etabliert, primär im Zusammenhang mit dem Bau kalifornischer Atomkraftwerke. Aus diesem Umfeld sind am Anfang die stärksten wissenschaftlichen Impulse gekommen. Auch die ersten Bauwerke der Schweiz, für die eine so genannte Erdbebenbemessung gemacht wurde, waren unsere AKW; natürlich waren diese Bemessungen aus heutiger Sicht bloss rudimentär. Die Idee, dass man ein Gebäude für den Erdbebenfall möglichst sicher bauen sollte, habe auch ich das erste Mal in den 1960er Jahren gehört, als man unsere ersten AKW geplant hat. Die Atomindustrie hat entsprechend auch die ersten Forschungsgelder zur Verfügung gestellt, um an den Hochschulen erste kleinere Forschungsprojekte durchzuführen. Mit der Zeit wurde dieses Wissen auch auf andere Gebäudetypologien übertragen. Die ersten modernen Erdbeben- Normen auf wissenschaftlicher Basis sind in den 1970er und 80er Jahren in den USA und in Neuseeland erarbeitet worden, gleichsam mit einem wachsenden Bewusstsein für das Risiko und die Schwächen der Technokratie. Eine neue Methode: Duktilität und Kapazitätsbemessung Forschungsgeschichtlich kann man also sagen, dass die Baudynamik erst ungefähr ein halbes Jahrhundert nach den Erkenntnissen in der Seismologie folgte. HB: Ja. Die entscheidende Methode, die das ganze Erdbebeningenieurwesen auf den Kopf gestellt hat, wurde in den 1980er Jahren in Neuseeland entwickelt: das Capacity-Design; auf Deutsch: Kapazitätsbemessung. Entdeckt und entwickelt wurde die Methode insbesondere von Professor Thomas Paulay, für den ich damals arbeitete. Die Methode hat zur sogenannt duktilen Bauweise geführt. Ein Bauwerk ist dann duktil konstruiert, wenn es sich unter Erdbebeneinwirkung so stark verformen kann, dass es dabei zwar lokal bleibende Verformungen erfährt, aber ohne einzustürzen. Duktilität meint plastische Verformbarkeit des Tragwerks, was unter Umständen bleibende Verformungen mit starken lokalen Schäden miteinschliesst; auf keinen Fall jedoch zu einem Zusammenbruch des Tragwerks führt. Heute verwendet man überall auf der Welt diese duktile Bauweise im Gegensatz zu einer nicht-erdbebengerechten Bauweise.

Welche Bedeutung kommt den Architekten für die Konzeption duktiler Gebäude zu?

HB: Die Architekten verfügen über die wichtigsten Schalthebel. Im Ablauf der Planung ist das Entscheidende der erdbebengerechte Entwurf. Von der ersten Skizze an sollte der Aspekt der Erdbebensicherheit von Architekten berücksichtigt werden. Und um das zu machen, muss man keine einzige Berechnung durchführen; man muss bloss einige wesentliche Grundsätze berücksichtigen.[1] Am besten geschieht dies durch eine frühzeitige Zusammenarbeit zwischen Architekt und Ingenieur beim Entwurf des Gebäudes. Mit wenigen gescheiten Massnahmen kann man die Erdbebensicherheit von Gebäuden enorm verbessern. Wenn man es jedoch nicht macht, dann kann der Ingenieur noch so viel rechnen; das Gebäude bleibt ein schlechter erdbebenbezogener Entwurf. Der Ingenieur berücksichtigt mit der Berechnung, der Bemessung und der konstruktiven Durchbildung des Tragwerks und der nicht-tragenden Bauteile wie Zwischenwände und Fassadenelemente zwar die Norm, aber die Norm sagt wenig zu den grundsätzlichen Entwurfsprinzipien.

Erdbeben-Normen in der Schweiz

Ob eine Gesellschaft bauliche Massnahmen gegen Erdbebengefahren ergreift, ist letztlich abhängig davon, wie sie die Gefahren einschätzt. Sie, Herr Bachmann, sprechen mit Blick auf den öffentlichen Erdbebendiskurs der Schweiz von den «vergessenen Erdbeben». Moderne Erdbebennormen sind erst seit 1989 in Kraft. Haben wir in der Schweiz ein Wahrnehmungs- und Überlieferungsproblem betreffend der real existierenden Erdbebengefahren; oder sind wir bloss europäischer Durchschnitt?

MG: In der Schweiz sind die Erdbeben-Normen noch ein bisschen jünger als beispielsweise in Italien; aber auch dort ist die Normgebung relativ jung, aus den 1970er Jahren. Wenn man sich vor Augen führt, dass es dort schon immer schwere Erdbeben gegeben hat, mutet das besonders erstaunlich an. Wenn wir heute davon reden, dass man Erdbebengefahren ernst nehmen soll, dann hat das mit Berechnungen zu tun, was passieren könnte, wenn es wieder ein schweres Erdbeben gibt. Überlegungen zur Erdbebensicherheit muten sehr theoretisch an und müssen entsprechend stark institutionell forciert werden: mit Normen, mit Gesetzgebungen. Ansonsten hat man sozusagen kaum einen Grund, sich mit Erdbeben zu beschäftigen. Es geht darum, mittels Normen die Wahrnehmung von Erdbeben zu institutionalisieren.

HB: Es ist schwierig, das vorhandene komplexe Wissen in einfache Regeln umzusetzen, die man beim Planen und Bauen brauchen kann. Zudem hat man bloss langsam verstanden, was ein Erdbeben mit einem Gebäude macht. In der SIA-Norm von 1970 hatte man nur einen kurzen Abschnitt zur Erdbebensicherheit drin.[2] Da war noch kaum von Schwingungen die Rede. Vor dem Hintergrund der genannten internationalen Entwicklungen habe ich 1980 vom SIA den Auftrag erhalten, als Vorsitzender einer entsprechenden Kommission für die Schweiz eine eigentliche Erdbeben-Norm auszuarbeiten. 1989 ist diese erste moderne Erdbeben-Norm der Schweiz in Kraft getreten. Wobei man sagen muss, dass auch die jüngste Norm eine blosse Empfehlung darstellt.
SIA Normen haben grundsätzlich die Rechtskraft von Vereinsstatuten. Die Anwendung der Norm unterliegt dem Privatrecht; entscheidend ist, was in den Bauverträgen steht: «Die SIA-Normen sind einzuhalten». Da entstehen natürlich Interpretationsspielräume. Und weil Erdbeben nicht im öffentlichen Bewusstsein sind, wird sogar heute noch nicht-erdbebengerecht gebaut. Heute weiss man sehr gut, wie man Gebäude duktil gestalten kann. Das ist in die heutigen Normen eingeflossen. Auf einem anderen Blatt steht, ob die Normen tatsächlich angewendet werden. Bis jetzt ist die Anwendung der SIA-Erdbeben-Normen für private Bauten nicht gesamtschweizerisch verbindlich vorgeschrieben. Nur die Kantone Wallis und Basel-Stadt haben sie seit einigen Jahren vorgeschrieben.

Wo müsste man ansetzen, um den Normen gesamtschweizerisch mehr Geltung und Nachachtung zu verschaffen?

HB: Das Bauwesen ist in der Schweiz rechtlich Sache der Kantone. Der Bund hat keine Verfassungskompetenz im Erdbebeningenieurwesen – im Gegensatz zum Hochwasser. Man hat zwar versucht, das zu ändern – man wollte einen neuen Bundesverfassungsartikel zu Naturgefahren, der auch die heute verstreuten gesetzlichen Bestimmungen zu Hochwasser, Lawinen etc. zusammenfasst – blieb jedoch ohne Erfolg. Viele Kantone haben bis heute bezüglich der privaten Bauten noch nichts unternommen, andere sind aktiv geworden. Etwa die Hälfte aller Kantone bauen unterdessen ihre eigenen, also öffentlichen Gebäude nach den SIA-Normen. Und viele Kantone haben angefangen, ihre eigenen Bauten auf Erdbebensicherheit zu überprüfen. Der Bund setzt jetzt ebenfalls bei allen seinen eigenen Bauten – Hochschulen, Verwaltungsgebäuden etc. – die SIA Normen durch. Insgesamt machen die öffentlichen Bauten immerhin ein paar Prozent aus, ca. fünf bis sechs Prozent. Der grosse Teil jedoch, etwa 90 Prozent, sind private Bauten. Dass es Auflagen bei Baubewilligungen und entsprechende Kontrollen gibt, ist bloss in Basel und im Wallis durchgesetzt. Andere Kantone, z.B. Fribourg, Waadt, Nidwalden, nähern sich momentan Basel und Wallis an. Aber in jenen Kantonen, die die grösste Bausubstanz und somit auch das grösste Risiko aufweisen – im Mittelland – sind die privaten Bauten immer noch, um es salopp zu sagen, vogelfrei. Da macht niemand Auflagen und Kontrollen, wenn der Bauherr, der Architekt oder der Ingenieur das nicht durchsetzt.

Ertüchtigung bestehender Bauten

Fürchten viele Bauherren die Kosten für entsprechende Massnahmen der Ertüchtigung bei bestehenden Bauten?

MG: Die einzige Massnahme, um sich vor den Folgen von Erdbeben zu schützen, ist das erdbebensichere Bauen und Ertüchtigen bestehender Bauten. Eine kürzlich erstellte Studie zeigt aber, dass es sehr teuer ist, bestehende Gebäude, und seien sie auch kulturell wertvoll, zu ertüchtigen. Am sinnvollsten wäre dies also anlässlich einer sowieso anstehenden Sanierung.

HB: Von Neubauten wissen wir, dass erdbebensicheres Bauen fast nichts zusätzlich kostet, wenn man es richtig macht. Der Aufwand liegt zwischen null und einem Prozent der Baukosten. Darum ist es unverantwortlich, wenn man es nicht macht. Mit der 2004 eingeführten SIA Richtlinie 2018 gibt es ausserdem ein ganz hervorragendes Verfahren, mittels dessen man mit ökonomischen Kriterien – und auch unter Einbezug von kulturellen und rechtlichen Wertmassstäben – bestehende Gebäude untersuchen kann. Mittels dieses Verfahrens kann man klar sagen, wo es verhältnismässig ist, zu ertüchtigen und wo nicht. Das hängt von den Ertüchtigungskosten ab, aber es hängt auch von der sogenannten Personen-Belegungszahl ab. Das Hauptziel des Ingenieur-Erdbebenwesen ist immer noch, Tote zu verhindern; oder grössere Umweltkatastrophen, wenn man an die Basler Chemie denkt.

Welche Erdbebenstärken halten denn vor 1989 gebaute Gebäude aus?

HB: 85 bis 90 Prozent des Gebäudebestandes der Schweiz hat nie eine Erdbebenbemessung erfahren. Diese Gebäude weisen häufig eine ungenügende Erdbebensicherheit auf. Man kann jedoch keine generelle Aussage machen. Jedes Gebäude ist ein Individuum, ganz besonders in der Schweiz. Wenn man Erdbebengefahren beim Entwurf, bei der Bemessung und bei der Konstruktion nicht berücksichtigt, dann resultieren Gebäude, die zufälligerweise sehr erdbebensicher sein können und solche, die bereits bei einem schwachen Erdbeben in sich zusammenfallen. Es kann von kleinen Veränderungen abhängen, ob die Erdbebensicherheit besser oder schlechter wird; und man kann deshalb auch nicht von einer spezifischen Erdbebenstärke ausgehen.

Erdbebenertüchtigung ist also ein grosses Thema in der Schweiz. Mit welchen Prioritäten sollte man hier vorgehen?

HB: Ich gehe von 200 bis 300 Gebäuden aus, die bis heute in der Schweiz auf Erdbeben ertüchtigt wurden und die jetzt eine einigermassen genügende Erdbebensicherheit aufweisen. Der Bund hat auch bei seinen eigenen, bestehenden Gebäuden eine systematische Überprüfung bezüglich Erdbebentüchtigkeit eingeleitet. Bei rund der Hälfte der Bundesbauten muss bei der anstehenden Sanierung auch die Erdbebensicherheit verbessert werden. Einige ganz schlimme Fälle hat man unterdessen bereits ertüchtigt, zum Beispiel 1994 das Auditoriumsgebäude der ETH Zürich auf dem Hönggerberg. Der Kanton Zürich hat alle seine Schulhäuser und Spitäler überprüft. Einige, wie das Spital Winterthur, sind unterdessen ertüchtigt worden.

Zum Schluss die Frage: Wie schätzen Sie die Potentiale von Stahl für ein zukünftiges erdbebensicheres Bauen in der Schweiz ein?

HB: Erdbebensicheres Bauen ist grundsätzlich nicht von der Bauweise abhängig. Bei der Ertüchtigung von bestehenden Gebäuden hat der Stahl jedoch bestimmt eine wichtige Rolle zu spielen. Stahlelemente sind konstruktiv flexibel, man kann sie einfach in die gewünschte Form bringen und man kann sie einfach transportieren. Deshalb ist Stahl bei der Ertüchtigung, wenn es um Verstärkungen geht, ein besonders praktischer Baustoff.


Anmerkungen:
[01] Hugo Bachmann: Erdbebengerechter Entwurf von Hochbauten – Grundsätze für Ingenieure, Architekten, Bauherren und Behörden, Richtlinien des BWG, Bern 2002.
[02] «Die Tragwerke sollen den Beanspruchungen durch Erdbeben widerstehen. Die Intensitätsklasse VII nach der Rossi-Forel-Skala ist für das ganze Land gültig. An stärker gefährdeten Orten kann die zuständige Behörde die Intensitätsklasse VIII vorschreiben. […] Die Tragwerke sind für eine horizontale Beschleunigung b=g/50 für die Intensitätsklasse VII und b=g/20 für die Intensitätsklasse VIII zu berechnen (g=Erdbeschleunigung).»

[Zu den Interviewpartnern: Hugo Bachmann ist der Doyen des schweizerischen Erdbebeningenieurwesens. Er hat in den 1970er Jahren die internationale Forschung in die Schweiz gebracht und als damaliger Professor für Baudynamik und Erdbebeningenieurwesen an der ETH Zürich etabliert.

Die Wissenschaftshistorikerin Monika Gisler ist eine profilierte Kennerin der Erdbebengeschichte der Schweiz, die in ihrer Dissertation die Anfänge einer naturwissenschaftlichen Beschreibung von Erdbeben beschreibt.

Sascha Roesler ist Architekt und Lehrbeauftragter an der ETH Zürich im Wahlfach «Einführung in die ethnografische Forschung der modernen Architektur».]

Steeldoc, Di., 2011.12.20



verknüpfte Zeitschriften
steeldoc 2011/03+04 Erdbebensicherheit im Stahlbau

03. August 2001Sascha Roesler
Neue Zürcher Zeitung

Tickt Basel anders?

Phänomen der Zwischennutzung von Industriearealen

Phänomen der Zwischennutzung von Industriearealen

Die Zwischennutzung ehemaliger Industrieareale ist heute in der Schweiz ein verbreitetes Phänomen. Normalerweise wird es als ein befristetes Bewirtschaften brachliegender Räume aufgefasst. Inwiefern könnte es aber ein Mittel zur Stadtentwicklung werden? Ein Zwischennutzungsprojekt in Basel stellt diese Frage zur Diskussion.

Wenn heute allenthalben von Partizipation und Mitbestimmung der Öffentlichkeit an politischen Entscheidungsprozessen die Rede ist, so muss das seine tieferliegenden Gründe haben. Auf dem Internet präsentieren Städte und Gemeinden die neusten Konzepte und Ergebnisse solcher Bürgerbeteiligung. E-Democracy und Online-Democracy sind Schlagworte gegenwärtiger Versuche, Stimmen und Meinungen der Bürger direkt in den demokratischen Prozess der Lösungsfindung einzuspeisen. In der Stadt Basel lässt sich momentan beobachten, was es insbesondere für Planungsprozesse heissen könnte, wenn städtebauliche Entwicklungen den Bewohnern nichtnachträglich schmackhaft gemacht werden, sondern gleichsam unter deren Einfluss geraten.


Öffentlichkeit in Planungsprozessen

Seit rund vier Jahren wird dank anhaltenden Diskussionen ein Areal ins Bewusstsein der Basler zurückgeführt, das auf Grund seiner spezifischen Nutzung während Jahrzehnten nicht zu existieren schien. Die Rede ist vom 18 Hektaren grossen ehemaligen Güterumschlagsplatz der Deutschen Bahn, kurz DB-Areal genannt. Obwohl noch im Innenstadtbereich gelegen - das DB-Areal bildet den nordöstlichen Abschluss des unteren Kleinbasel -, ist das Gelände weiten Kreisen unbekannt, da es als Bahnareal und Zollabfertigungszone während Jahrzehnten nicht öffentlich zugänglich war. Als die Deutsche Bahn Mitte der neunziger Jahre die Aufhebung des Güterumschlags in Basel bekanntgab, sahen sich die Basler Behörden mit der Möglichkeit konfrontiert, einen ganzen Stadtteil vollumfänglich neu zu entwickeln. Die Planungsbehörde des Kantons Basel-Stadt spricht denn auch vom DB- Areal als «einem der letzten grösseren Entwicklungsgebiete» der Stadt. Im Jahr 1996 initiierte deshalb der Kanton Basel-Stadt zusammen mit der Grundeigentümerin, der Deutschen Bahn, einen planerisch-städtebaulichen Ideenwettbewerb, der erste Aufschlüsse über das «städtebauliche Potenzial» des Areals bringen sollte. Im Sinne einer «Mischnutzung» wurden von den Wettbewerbsteilnehmern Projekte erwartet, die neben 20 Prozent öffentlichen Grün- und Freiflächen zu gleichen Teilen Wohnen, Arbeiten und Infrastrukturbauten bieten. Ein Lebensraum für rund 2000 Personen sollte skizziert werden.

Sehr früh unterstrichen Basler Politiker aber auch die Bedeutung der «Bedürfnisse und Ideen der Basler Bevölkerung» bei der Gestaltung des neuen Stadtteils. Solche Verlautbarungen sind insofern nicht ganz selbstverständlich, als gerade die schweizerische Planungspraxis durch das Selbstverständnis der Planer als unparteiische Spezialisten bzw. durch die schiere Macht des Grundeigentums geprägt ist. Unter solchen Voraussetzungen stellt sich die Frage, welche Rolleder Öffentlichkeit in Planungsprozessen zukommen kann: Besteht sie aus lauter «Laien», die über eine komplexe Materie unterrichtet werden müssen? Ist sie einfach der «Souverän», der über die erarbeiteten Konzepte der Fachleute abstimmt und diese Konzepte allenfalls zu Fall bringt? Oder stellt sie den Kreis der «Betroffenen» dar, denen man deshalb Mitbestimmung zugestehen muss, weil sie später mit den realisierten Planungsobjekten zu leben haben? Erfahrungsgemäss werden mit «Öffentlichkeit» Minderheiten mit einflussreicher Stellung in Politik und Gesellschaft angesprochen, die einer Planung zumDurchbruch verhelfen bzw. deren Durchsetzbarkeit nachhaltig gefährden könnten.

Mitwirkungsverfahren, in denen die vom Planungsvorhaben betroffene Bevölkerung eingebunden wird, sind für die Planungsbehörden nicht nur viel schwieriger zu koordinieren, sie sind in der Praxis schlicht nicht eingeübt - gerade dann, wenn eine öffentliche Debatte nicht nur der Durchsetzung, sondern auch der Generierung von Planungsideen dienen soll. Auf die Vorteile eines auf Mitwirkung abzielenden Planungsverfahrens hat der Basler Soziologe Lucius Burckhardt bereits vor einigen Jahrzehnten hingewiesen: «Nureine ständige Diskussion mit den Betroffenen verhindert, dass unerwünschte Wirkungen und ungeliebte Ziele erreicht werden.» Gefahren, die gerade bei grösseren Planungsvorhaben wie dem DB-Areal nicht von der Hand zu weisen sind.

Als aussergewöhnlich für Basel beurteilt denn auch die kantonale Planungsbehörde ihr Vorgehen im Anschluss an die erste Wettbewerbsstufe. Mittels einer Veranstaltungsreihe wurde versucht, den Istzustand des DB-Areals und die dazu erarbeiteten Planungskonzepte der Bevölkerung vorzustellen: Führungen boten Gelegenheit,das DB-Areal kennenzulernen. Es wurden Workshops abgehalten, in denen für Anwohner und Gewerbetreibende die Möglichkeit bestand, mit Planern und Vertretern der Deutschen Bahn ins Gespräch zu kommen. Dabei wurde auch erstmals über mögliche Formen der Um- und Zwischennutzung des bestehenden Areals diskutiert.Der Gedanke, auf dem DB-Areal Zwischennutzungen anzustreben, war insofern sehr naheliegend, als bei einem so komplexen Planungsvorhaben mit Realisierungszeiten von bis zu 20 Jahren gerechnet werden muss. Es entsprach denn auch den Interessen der Basler Planungsbehörde, dass im Sommer 1999 erstmals präzisere Vorstellungen zu einer Zwischennutzung von privater Seite geäussert wurden. Anhaltende rechtliche und planerische Unstimmigkeiten zwischen dem Kanton Basel-Stadt und der Deutschen Bahn hatten den Fortgang des Wettbewerbsverfahrens blockiert und drohten auch das öffentliche Interesse am DB-Areal schwinden zu lassen.


Zwischennutzung und Stadtentwicklung

Ein Stadtplaner und ein Geograph, Philippe Cabane und Matthias Bürgin, publizierten auf dem Internet eine Studie, die bereits im Titel programmatisch vertritt, was sie im Kontext des DB- Areals sein könnte: «Akupunktur für Basel». Die Vorschläge sind insofern ungewöhnlich, als sie Zwischennutzung als «ein Mittel zur Regulierung von Stadtentwicklung» begriffen haben wollen. Die an sich weit verbreitete Praxis der Um- und Zwischennutzung von ehemaligen Industriearealen erhält eine markante Umdeutung: Wird unter Zwischennutzung gemeinhin ein «befristetes und weitgehend zweckfreies Bewirtschaften brachliegender Räume» verstanden, so soll sie auf dem DB-Areal «gleichzeitig und zusätzlich auch als Strategie zur Stadt(teil)entwicklung zum Einsatz kommen». Zwischennutzung so verstanden wäre also nicht mehr nur eine temporäre Angelegenheit, sondern gleichsam die Initialzündung für das neue Quartier auf dem DB-Areal. Die beiden Autoren nennen einige plausible Gründe, die dafür sprechen, dem Phänomen der Zwischennutzung auch aus städteplanerischer Sicht Beachtungzu schenken - vor allem dann, wenn die Bedürfnisse und Ideen der betroffenen Bevölkerung ernst genommen werden sollen.

Neue Stadtteile - und somit auch das zukünftige Quartier auf dem DB-Areal - leiden durchwegs unter dem «Problem des Anfangs». Sie ringen umso mehr um eine Geschichte, je mehr ihnen gewachsene Quartierstrukturen fehlen. Um solche aber möglichst früh entstehen zu lassen, reicht es nicht aus, die Stadt mit typologischen, regionalistischen oder historischen Anleihen weiterzubauen. Die beiden Autoren der Studie meinen daher, es brauche «verortete Geschichtlichkeit. Zwischennutzung kann dies herstellen, sie kann Spuren hinterlassen - oder vorausschicken. Sie kann ein Terrain vorbereiten, sie ist Garant für eine lebendige Kontinuität. Eine neue Überbauung braucht so nicht bei null anzufangen. Dieurbane Geschichte eines Ortes muss frühzeitig beginnen, nicht mit dem ersten Spatenstich.»


Von Archigram lernen

Die öffentliche Debatte rund um das DB-Areal hat schon früh den Wunsch nach ausgedehnten Grünanlagen im zukünftigen Quartier aufgezeigt. Das Planungsamt hat ihm Rechnung getragen, indem sie nunmehr einen Grün- und Freiflächenanteil von rund 45 anstelle der ursprünglich veranschlagten 20 Prozent für den weiteren Planungsverlauf festgeschrieben hat. Die Zwischennutzung bietet Gelegenheit, diese Form der Bedürfniseruierung im Hinblick auf den weiteren Planungsprozess kontinuierlich voranzutreiben. Im Anschluss an die heutzutage viel diskutierten Ideen der britischen Architektengruppe Archigram empfehlen die beiden Autoren, «städtischeEntwicklung» vermehrt über Aktivitäten der Bevölkerung einzuleiten bzw. an den bereits vorhandenen Aktivitäten zu messen. Darum wird auch nahegelegt, für das DB-Areal nicht nur bauliche Massnahmen, sondern auch «Aktivitäten zu planen», die im Sinne einer Zwischennutzung sofort entfaltet werden können: «Stadtplanung ist in der Schweiz weitgehend formelle Planung. Damit ist sie eigentümerorientiert und hat wenig Einfluss auf Alltagsqualitäten und Gebrauchswert. Nimmt man die Bedürfnisse der Bevölkerung ernst, bedarf es informeller Verfahren, was nichts anderes heisst als: Man plane Aktivitäten, dann kommen die erforderlichen Nutzungen von selbst.» - Viele Bedürfnisse der umliegenden Quartiere lassen sich dank Zwischennutzung mit einfachen organisatorischen Mitteln sofort erfüllen und bedürfen nicht der mehrjährigen Vorbereitungszeit, die ein herkömmlicher Planungsprozess oftmals mit sich bringt. Voraussetzung für die tatsächliche Wirksamkeit all dieser Vorschläge ist neben dem Goodwill der Eigentümer die Bereitschaft der kantonalen Behörden, entsprechend grosszügig die nötigen Bewilligungen auszusprechen.


Öffentlichkeit schaffen

Nach zähem Ringen mit dem kantonalen Polizeidepartement wurden im vergangenen Sommerdie ersten Bewilligungen für eine temporäre Bewirtschaftung des DB-Areals erteilt. Ganz unterschiedliche Leute beteiligen sich am «nt/areal»genannten Zwischennutzungsprojekt. In der ehemaligen Kantine des Bahngeländes sorgt inzwischen das Restaurant Erlkönig dafür, dass dasbrachliegende DB-Areal kontinuierlich ein Publikum findet. Das gediegen ausstaffierte Restaurant zieht vor allem Leute über dreissig an. Im selben Gebäude untergebracht ist die Lounge, in deren Veranstaltungskalender neben Partys und Konzerten auch Filmveranstaltungen und Diskussionsforen zu finden sind - etwa zu den Themenkreisen Stadt und öffentlicher Raum. Vor dereinstigen Kantine erstreckt sich das weite Geleisefeld. Ein Weg soll fortan die beiden QuartiereMatthäus und Rosenthal mit dem Naherholungsgebiet der Langen Erlen verbinden, das bisher nur auf Umwegen erreichbar war. Gleich neben der Kantine befindet sich das ehemalige Wagenmeistergebäude. In diesem «Labor» sollen in Zukunft die verschiedenartigen Aktivitäten auf dem Areal koordiniert und neue angezettelt werden.

Was unterscheidet nun die Aktivitäten auf dem DB-Areal von anderen Zwischennutzungen ehemaliger Industrieareale? Und was hat das momentane Angebot auf dem DB-Areal mit den theoretischen Positionen der Studie zu tun? Ein wenig Musik, Kunst und Kommerz, das Übliche halt - könnte aus kulturgesättigter Sicht kritisiert werden. Doch zunächst sollte man zuwarten, wie sich das durchaus städtische Selbstbewusstsein der «nt»-Leute auf die weitere Planungsdiskussion in Basel auswirkt. Tatsache ist, dass sich aufdem DB-Areal eine Art von Öffentlichkeit formiert, die aus dem weiteren arealbezogenen Planungsprozess nunmehr schwer wegzudenken ist.Und das ist schon ein gar nicht so kleiner Unterschied.


[Die oben angesprochene Studie, das laufende Programm sowie die Hintergründe des Zwischennutzungsprojektes auf dem DB-Areal sind im Internet unter www.areal.org auffindbar.]


[Wettbewerb DB-Areal

lwi. Als 1913 der Badische Bahnhof in Basel eingeweiht wurde, gab es das Grossherzogtum Baden noch, und der Bahnhof hatte einen Fürstenbau. Er liegt heute am westlichen Ende der schönen Jugendstilanlage und öffnet sich mit einem Cour d'honneur zur Stadt. Davor verläuft die Schwarzwald-Allee und darunter der Autobahntunnel, der Deutschland mit der Schweiz und Italien verbindet. Das zum Bahnhof gehörende, 18 Hektaren grosse Areal wurde während 150 Jahren von der Eisenbahn aus Deutschland genutzt. Es hat eine kuriose Rechtslage, da das Grundstück in der Schweiz liegt, aber auf Grund eines Staatsvertrages zwischen dem Grossherzogtum Baden und dem Kanton Basel-Stadt vondeutscher Seite gebraucht wird. Für dieses grösste innerstädtische Grundstück der Schweiz wurde 1996 ein Wettbewerb ausgeschrieben, den der aus der Ostschweiz stammende Wahlberliner Max Dudler für sich entscheiden konnte. Der Wettbewerb geht nun in die zweite Runde. Eingeladen sind alle neunzehn Preisträger von 1997. Die Jury ist noch nicht fest bestallt, aber es werden ihr der Kantonsbaumeister Fritz Schumacher und sein Vorgänger Carl Fingerhuth sowie - beratend - der Stadtgeograph Matthias Bürgin angehören. Ende Oktober sollen die Wettbewerbsvorbereitungen abgeschlossen sein, und Anfang 2002 soll die Entscheidung folgen.]

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.08.03

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