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18. Oktober 2022André Krammer
dérive

Das Leitbild der Polyzentralität. Eine kritische Evaluation

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen...

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen...

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen Karriere machte und seine Spuren in Stadtentwicklungsplänen vieler Städte hinterlassen hat. Primär handelt es sich um ein Modell, das ökonomisch auf Standortfragen ausgerichtet ist, aber in dessen Rahmen auch potentiell positive soziale Effekte verhandelt werden. Bereits in den 1960er Jahren starteten in europäischen Großstädten Versuche, der alten gewachsenen Stadt eine neue City gegenüberzustellen. Meist handelte es sich dabei um Büroviertel mit Zusatzfunktionen. La Defense in Paris kam eine (zweifelhafte) Vorbildwirkung zu. Wien zog mit der Wiener Donaucity Mitte der 1990er Jahre verspätet nach. Auch in Wien wird die Sinnhaftigkeit dieser zweiten City immer wieder in Frage gestellt, hat diese doch nie ganz das Image der Künstlichkeit und Retortenhaftigkeit ablegen können. Das Zweit-Zentrum schien vielerorts bald in einer allzu groben Dialektik festgefahren. Die polyzentrische Stadt ist auch der Versuch, eine stärker plurale und dynamische Entwicklung in den Blick zu nehmen.

Gegenwärtig wird das Konzept der Polyzentralität auf unterschiedliche Maßstäbe angewandt – auf Metropolregionen, die mehrere Städte umfassen, auf Städte und ihr Umland oder auf das engere Stadtgebiet. Dabei geht es immer um ein komplementäres Zusammenwirken einer gegebenen Anzahl zentraler Orte. Durch Kooperationen sollen nicht nur wirtschaftliche und soziale Synergien erzielt werden, von denen man sich in der globalen Konkurrenz Standortvorteile erhofft, sondern auch drängende Probleme – wie aktuell etwa Mobilitäts- und Klimafragen – die durch Zusammenarbeit der maßgeblichen Akteur:innen großräumlich verhandelt und gelöst werden können.

Vorbild Randstad

Seit den 1960er Jahren gilt die niederländische Städte­region Randstad als die archetypische polyzentrische Metropolis. Sie umfasst heute ca. 7.000 km² und zählt rund sieben Millionen Einwohner:innen. Im Verbund übernehmen die einzelnen Städte spezielle Aufgaben. Amsterdam etwa hat seinen Schwerpunkt im Bereich Wirtschaft und Finanzen, Den Haag in den Feldern Regierung und Verwaltung bzw. Internationale Gerichtsbarkeit, in Rotterdam sind der Hafen und die Logistik im Zentrum und Utrecht ist für Forschung und Entwicklung zuständig (Nadin, Zonneveld 2022). Befürworter:innen des Randstad-Verbunds heben die Komplementarität der maßgeblichen Städte hervor, die eine Effektivitätssteigerung mit sich bringe und Doppelgleisigkeiten vermeide. Kritiker:innen verweisen auf die geringe Alltagsmobilität zwischen den Kernzonen. Zef Hemel von der Amsterdamer Stadtplanung spricht in diesem Zusammenhang gar von einem »Mythos Randstad« (ebd.). Ähnliche Diskussionen begleiten auch andere Agglomerationen wie etwa das Deutsche Ruhrgebiet. In der polyzentral ausgerichteten Randstad, für die es einen übergeordneten Raumplan und ein einheitliches Fördersystem gibt, geht die Kooperation über Fragen der wirtschaftlichen Prosperität und der Siedlungsentwicklung hinaus. Auch wird zumindest versucht, Maßnahmen gegen den Klimawandel weitgehend abzustimmen, den Kampf gegen das Hochwasser zu koordinieren und die soziale Durchlässigkeit und Mobilität zu erhöhen.

Multizentrale Konzepte der Stadtplanung

Schon das rasante Städtewachstum im Rahmen der Industrialisierung ließ monozentrale Stadtstrukturen auf Grund der oft enormen Distanz zwischen der Kernstadt und ihren flächenmäßig explodierenden Randzonen zunehmend als defizitär erscheinen. Das radikalste Gegenmodell war die Gartenstadt, deren Konzept Ebenezer Howard 1902 vorstellte. 
Eine zentrale Gartenstadt wird ab einer festgelegten Wachstumsgrenze durch Töchterstädte ergänzt, die mit der Mutterstadt in einer symbiotischen Beziehung stehen. Die Bevölkerungszahl, die territoriale Ausdehnung und das Verhältnis privater wie öffentlicher Räume ist hier mathematisch kalkuliert und kalibriert. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen, die zur Versorgung der Garden Cities of Tomorrow gebraucht werden, sind sichergestellt. Die Reform existierender Städte, die nach Vorbild des Gartenstadtmodells reformiert werden sollten, war ein komplexes Verfahren. Oft sind nur Tochter- und Satellitenstädte von der Utopie übriggeblieben. Die Konzeption des Stadtarchipels von Oswald Maria Ungers und Rem Koolhaas von 1977 (Hertwek & Marot 2013) imaginierte Berlin als shrinking city, in der die Natur sich die Stadt rückerobert und nur eine Sammlung urbaner Fragmente zurücklässt, die in eine neuartige Interaktion treten sollen.

Mit der Netzstadt propagierten Peter Baccini und Franz Oswald (Baccini & Oswald 1999) eine Analyse und Planung netzförmiger urbaner Systeme, die sich nicht mehr hierarchisch in Zentrum und Peripherie gliedern lassen, sondern komplexe Gebilde darstellen, ähnlich Ökosystemen (ebd., S. 48). Eine einfache wie bestechende Vision stellt Yona Friedmans Continent City Europa dar. Darin verbindet ein Netzwerk aus Schnellzügen – ein Interrailsystem – alle europäischen Haupt- und Großstädte zu einer kontinentalen Metropolregion.

Aktueller Diskurs

Im aktuellen Diskurs zur polyzentralen Raumentwicklung dominieren heute noch immer wirtschaftliche Gesichtspunkte (Wertschöpfung) und Ansätze einer effizienten Verteilung von Versorgungseinrichtungen und sozialer Infrastruktur. Welche Vorteile bietet die polyzentrale Stadt bzw. Stadtregion aber ihren Bewohner:innen? Wird das »multioptionale« Angebot von Arbeitsplätzen, Wohnorten und Freizeitangeboten genutzt (vgl. Kühl, Wörmer 2012) oder bleibt die gewünschte Mobilität und soziale Durchlässigkeit eingeschränkt? Urbanität und eine Steigerung der Lebensqualität wird immer wieder als Nebeneffekt und Zielsetzung einer funktionalen Verdichtung an einzelnen Standorten beschworen. Die Verwaltungsfrage wird breit diskutiert – so wird etwa die räumlich gefasste, stark institutionalisierte Region einem vergleichsweise losen Patchwork, in dem inhalts- und akteursbezogen kooperiert wird, gegenübergestellt (Growe et al. 2012). Polyzentrale Regionen können sich durch Kooperationen einzelner Akteur:innen, durch konkrete administrativ zusammengeschlossene Territorien konstituieren.

Auch die Hoffnung nach mehr Demokratie und Beteiligung wird mit der Polycentric City in Verbindung gebracht (King 2004). Eine Vermeidung von zentralisierten Entscheidungsstrukturen soll die lokale Kompetenz erhöhen und eine plural verwaltete Stadtlandschaft generieren. Liberale Verfechter:innen einer dezentralen Verwaltung sehen hier eine Fragmentierung der Entscheidungsstrukturen als Chance und setzen auf erhöhte soziale Mobilität (Aufstiegschancen) und Wahlfreiheit in Bezug auf Wohnort und Arbeitsstelle, während Vertreter:innen des Kommunitarismus geteilte Werte und Präferenz in den Vordergrund stellen (ebd.). Gesichert ist, dass heute die regionale Maßstabsebene vielerorts erhöhte ökonomische Bedeutung erlangt hat (ebd.).

Polyzentrales Territorium oder polyzentrales Netzwerk?

In Bezug auf die polyzentrische Region Ruhr in Nordrhein-Westfalen – die viele künftig zur Ruhrstadt bzw. zur 
Metropole Ruhr ausgebaut sehen wollen – wurde auf die bisherige Dominanz einer netzwerkartigen, auf die Kernzonen der beteiligten Städte fokussierte Kooperation verwiesen, unter Vernachlässigung der dazwischen liegenden, suburban geprägten Zonen (Growe et al. 2012). Das Ruhrgebiet wird von manchen eher als Agglomerationsraum mehrerer Städte beschrieben, der noch kein gemeinsamer Handlungsraum ist (ebd.). Temporäre Veranstaltungen wie die RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas waren auch Versuche, eine verstärkte Kooperation anzustoßen.

Das polyzentrale System tendiert mancherorts zur Betonung der Zentren und zur Ausblendung der Zwischenzonen. Mit dem Schnellzug TGV kann man vom französischen Lille das Zentrum Londons in rund 80 Minuten erreichen. Zentren wachsen zusammen, die dazwischenliegende (Stadt-)Landschaft rückt in die Ferne, wird zum vom Zugfenster gerahmten Bild, wenn nicht gar Zerrbild.

Wien und die Bürde der Monozentralität

Wien war lange stadtstrukturell und funktional auf die ›Innere Stadt‹ ausgerichtet. Die ringförmig konzentrisch ausgerichteten Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert, mit ins Zentrum zielenden Radialstraßen, die stark ausgeprägte Raumhierarchie in der feudalistisch geprägten Stadt – Hofburg und Kirche im Zentrum, Palais des Hochadels im Anschluss, Arbeiterviertel in der Vorstadt – haben eine Monozentralität verfestigt, die bis ins republikanische Zeitalter, wenn auch unter anderen Vorzeichen in ihren Grundzügen erhalten geblieben ist. Berlin etwa weist aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen ein Doppelzentrum auf (Ost, West), das als Chance begriffen wird und ist in seiner Flächenausdehnung – die zweifache von Wien – eher dafür prädestiniert, ein System emanzipierter Nebenzentren auszubilden. In Wien gab es in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche, Subzentren abseits der auf wirtschaftlicher, administrativer und kultureller Ebene so dominanten City zu etablieren. Stadtplaner Ronald Rainer propagierte bereits in seinem Planungskonzept für Wien 1962 eine polyzentrische Stadterweiterung. In Kagran, Liesing, Favoriten und in den Gebieten links der Donau sollten neue Zentren entstehen. Punkt 4 seiner 11 Grundsätze einer zukünftigen Stadtentwicklung Wiens befasst sich mit der Bildung neuer städtischer Zentren. In späteren Stadtentwicklungsplänen (STEPs) sollte dieser Aspekt aufgegriffen und weitergeführt werden. Der STEP 85 sah an Schnittstellen der wesent­lichen radialen Achsen, die durch öffentliche Verkehrsmittel – vorzugsweise die U-Bahn – geprägt waren, eine Reihe von neuen bzw. ›aufzuwertenden‹ Zentren vor. In den 1990er und 2000er Jahren wurde viel über neue urbane Zentren bzw. Town-in-Town-Konzepte diskutiert, die Zonen in den Blick nahmen, die sich durch eine Integration von Arbeitsplätzen, Wohnen, Versorgungseinrichtungen und Freizeitangeboten auszeichnen sollten und an das öffentliche Verkehrsnetz 
angeschlossen sind.

Wien polyzentral

In jüngster Zeit ist eine verstärkte Zuwendung zu einem polyzentralen Leitbild in Wien zu verzeichnen. Die Wiener Stadtplanung publizierte die Studie Wien polyzentral. Forschungsstudie zur Zentren-Entwicklung Wiens (2016) und das dem STEP 2025 beigestellte Fachkonzept Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrales Wien (2020). Auch im übergeordneten Stadtentwicklungsplan 2025 wird die Erweiterung von City-Bereichen (Zonen mit hochrangigen Büro- und Verwaltungsfunktionen, Universitäten, Handel, Kultur, Einkaufs- und Freizeitzone) in Bereiche einer Reihe zukünftig auszubauender Hauptzentren thematisiert und (vage) verortet sowie ein System von Stadtteilzentren und Subzentren – zum Teil basierend auf den alten Ortskernen der Vorstädte – skizziert. Die Zentren sollen sich durch Multifunktionalität und Vielfalt auszeichnen (STEP 2025, S. 61). Versorgungs- und Konsumangebote, Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten sollen idealerweise kombiniert werden (ebd., S. 60). Es wird auf die Immobilienprojekte verwiesen, die zur Attraktivierung des Stadtlebens beitragen sollen (ebd., S. 61). Wie eine übergeordnete Wertabschöpfung der ›unternehmerischen Stadt‹ der Allgemeinheit konkret zugutekommen kann, bleibt unklar.

Wien wird zudem in einer Metropolregion zwischen St. Pölten, Brünn, Bratislava, Györ und Wiener Neustadt (CENTROPE) verortet (ebd., S. 69). Damit werden allgemein »Wachstumschancen« verbunden (ebd.). Im aktuellen Fachkonzept Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrales Wien wird die Schaffung und Stärkung zentraler Orte mit Fragen des Wirtschaftsstandorts, der Lebensqualität und dem Image der Stadt verbunden (Fachkonzept, S. 10). Wien soll als Standort für internationale Unternehmen und als Tourismusstadt gestärkt werden. Auffallend ist die Fixierung auf die Bereiche Handel und Versorgung, auch wenn immer wieder darüber hinausgehende soziale Aspekte wie der »freie Zugang & sozialer Raum für unterschiedliche NutzerInnengruppen« (ebd., S. 18) angesprochen werden. Der Suburbanisierungsprozess und die damit einhergehende Tendenz zum autozentrierten Einzelhandelszentrum sollen durch die Stärkung der Stadt- und Ortskerne konterkariert werden (ebd., S. 17). Es werden Ausschlusszonen für neue Einkaufszentren »auf der grünen Wiese« definiert (ebd., S. 83).

Wie sieht es aber mit den Mehrwerten einer gestärkten polyzentralen Struktur für eine emanzipierte, selbstbestimmte Stadtgesellschaft aus? Da bleibt das Fachkonzept vage und erinnert an eine Werbebroschüre, etwa wenn darauf verwiesen wird, dass »Initiativen zur Mitgestaltung des Grätzels zunehmen« (ebd., S. 23). Das Räumliche Leitbild – Polyzentrale Raumstruktur unterscheidet Metropolzentren (Innere Stadt, Mariahilfer Straße), von Hauptzentren (wie etwa die Wiedner Hauptstraße, das Zentrum Kagran, das Zentrum Floridsdorf), Quartierszentren bzw. zentralen Bereichen und neu im Entstehen begriffenen »Neuen Quartierszentren«. Der Seestadt Aspern als ausgewiesenes »Neues Hauptzentrum« kommt besondere Bedeutung zu. Die Konzeption der Seestadt – derzeit Europas größtes zusammenhängendes Stadtentwicklungsgebiet – als ›Stadt in der Stadt‹, wie sie auch im vorliegenden Fachkonzept beschrieben wird, setzt auf Urbanität in peripherer Lage. Die Distanz zur City wurde durch den U-Bahnanschluss reduziert (ca. 30 Minuten), aber die angestrebte Rolle als neues Zentrum für die Donaustadt und darüber hinaus wird die innerstädtische Satellitenstadt (ein Paradox) erst finden müssen.

Noch immer wird die Donau von vielen Wiener:innen als Barriere wahrgenommen, die ein Cis- von einem Transdanubien trennt. Die zahlreichen Zentren, Citys und Städte im Gebiet links der Donau geben ein urbanes Versprechen, das nur schwer einzulösen ist: Die Donau City, das Zentrum Donaustadt, die Frauen-Werk-Stadt, die Compact City, die Siemens City, nicht zuletzt die Seestadt Aspern markieren so mehr eine Distanz zur Inneren Stadt als dass sie eine Autonomie glaubhaft machen können.

Zentralität anders betrachtet

Zentralität wird in polyzentralen Konzepten – auch in Wien – primär wirtschaftlich und auf den Versorgungsaspekt (Handel, Dienstleistung, soziale Infrastruktur) fokussiert verstanden. Soziale Aspekte werden tendenziell als Nebeneffekte ins Treffen geführt. Oft ist da sehr vage von ›Urbanität‹ die Rede, die mit ›Zentralität‹ verbunden sei. Interessanterweise handelt es sich dabei um zwei Begriffe, die eine wichtige Rolle in der Tradition eines kritischen Urbanismus einnehmen, 
der auf den französischen Sozialtheoretiker Henri Lefebvre (1901–1991) zurückgeht. Lefebvre geht in seinem Werk von einer Kritik von allen Formen der Herrschaft im marktförmig strukturierten System aus und verbindet die Hoffnung auf eine selbstbestimmtere Gesellschaft insbesondere mit einer schrittweisen Revolution einer sich urbanisierenden Alltagskultur. ›Urbanität‹ im Sinne Lefebvres ist eine zukünftige Gesellschaft im Werden, die sich dadurch auszeichnet, dass differente Elemente der Gesellschaft zusammengeführt werden und miteinander in Austausch treten. Auf diese Weise soll der ›abstrakte Raum‹, der technokratisch von oben verwaltet wird, durch einen ›differentiellen Raum‹ abgelöst werden. Auch wenn Urbanität so verstanden theoretisch überall entstehen kann, kommt städtischer Zentralität, die sich oft durch soziale Dichte und das Nebeneinander von Gegensätzen auf engem Raum auszeichnet, eine besondere Bedeutung zu (vgl. Ronneberger 2015). Diese Zentralität, die auf soziales Leben und soziales Ausverhandeln von Differenzen und Konflikten ausgerichtet ist, unterscheidet sich grundlegend vom zentralen Kommerzraum der innerstädtischen City, die das Ergebnis einer zentral gelenkten Konsumgesellschaft ist (Vogelpohl 2011, Ronneberger 2012). Doch sind Städte für Lefebvre nicht ausschließlich abstrakter Raum bzw. hierarchisch organisierte Machtzentren, sondern auch Zentren des sozialen und politischen Lebens. Zentralität kann im Idealfall einen kreativen Überschuss generieren, der keine ökonomische Zielsetzung kennt. Zentralität kann auch als gesellschaftliche Ressource verstanden werden, wo Orte selbstbestimmt von den Vielen genutzt werden, in der Freizeit, im Rahmen von Festen oder für die Produktion von Wissen. Die Abnahme von Kontrolle und Normierung im Alltag ist Voraussetzung für eine steigende Selbstbestimmung der Stadtbewohner:innen (Ronneberger 2015, Vogenpohl 2011).

Andrej Holm und Dirk Gebhardt fassen den Zentralitätsbegriff bei Lefebvre folgendermaßen zusammen (Holm, Gebhard 2011): »Recht auf Zentralität, als den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens; und das Recht auf Differenz, das für eine Stadt als Ort des Zusammentreffens, des Sich-Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung steht […]. Es beschränkt sich nicht auf die konkrete Benutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen und strategischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade. Das Recht auf die Stadt orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüsse des Urbanen.«

Emanzipatorisch ausgerichtete Bewegungen wie etwa die bereits global formierte Recht-auf-Stadt-Bewegung, die sich in ihre Forderung nach Teilhabe, Selbstbestimmung und Repolitisierung des urbanen Raums immer wieder auf Lefebvre bezieht, benötigen aber auch – wie der anvisierte Urbanisierungsprozess insgesamt – Orte und konkrete Räume, wo Teilhabe, Begegnung und Austausch außerhalb eine dominierenden Marktförmigkeit möglich ist.

Wien – Selbstermächtigung und Freiräume der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaftliches Engagement ist in einer fürsorglichen und manchmal auch paternalistisch verwalteten Stadt wie Wien keine Selbstverständlichkeit. Dennoch haben sich immer wieder von unten initiierte und manchmal auch erkämpfte Orte bzw. Zentren der weitgehend selbstverwalteten Alternativkultur herausgebildet, interessanterweise oft dort, wo Gebäudestrukturen aus der Produktionslogik herausgefallen sind. Das ehemalige Schlachthofgelände in Erdberg, das als Arena ab Anfang der 1970er Jahre Veranstaltungen der Alternativkultur (Theater, Konzerte) beherbergte, wurde Mitte der 1970er Jahre von engagierten Wiener:innen besetzt, nachdem Abrisspläne der Stadt publik geworden waren. Die Arena etablierte sich in Folge als Kulturzentrum im Bereich des sogenannten Inlandsschlachthofs. Auch das Werkstätten- und Kulturhaus – kurz WUK, ehemals Lokomotivfabrik und später Technologisches Gewerbemuseum, konnte Ende der 1970er Jahre auf Grund von Bürger*inneninitiativen für einen weitgehend selbstverwalteten und autonomen Kulturbetrieb bis heute erhalten werden. Das Amerlinghaus am Wiener Spittelberg wurde Mitte der 1970er Jahre besetzt, den Verwertungsbestrebungen der Stadt entzogen und ist bis heute ein für diverse zivilgesellschaftliche Initiativen offen gehaltener Ort.

Dass die Etablierung alternativ genutzter Räume in Wien nach wie vor auf Schwierigkeiten stoßen kann, zeigt etwa die Kontroverse um die Nordbahnhalle, eine vakant gewordene frühere Lagerhalle auf einem Gelände der Österreichischen Bundesbahnen, die temporär von der Technischen Universität Wien und einer Reihe von lokalen Initiativen als Gemeinschafts- und Kulturzentrum genutzt wurde. Eine Zusage zu Erhalt und Weiternutzung seitens der Stadt blieb aus. 2019 fiel die Halle während der Kampagne für ihren Erhalt einer Brandlegung zum Opfer. Die Hintergründe der Tat sind bis heute ungeklärt.

Kleinteilige Vernetzung auf Nachbarschaftsebene

In Wien werden die Pole der sozialen Betreuung und der sozialen Selbstbestimmung vielerorts immer wieder neu verhandelt. Ein Netzwerk an Nachbarschaftszentren soll am Gemeinwesen orientierte Aktivitäten, Austausch, aber auch lokale Sozial- und Gesundheitsbetreuung ermöglichen (Kirsch-Soriano da Silva & Rautner 2019). Oft basiert diese ›Soziale Arbeit‹ sowohl auf der Betreuung durch Institutionen wie der Wiener Caritas, den Wohnpartnern – diese leisten seit 2011 Gemeinwesenarbeit in Wiener Gemeindebauten – oder den Teams der Lokalen Agenda sowie auch auf Freiwilligenarbeit.
Ein jüngeres Beispiel ist das kooperative Stadtteilzentrum Herbststraße 15 das von verschiedenen sozialen Einrichtungen ins Leben gerufen wurde. Sogenannte ehrenamtlich engagierte Grätzel-Eltern, die aus unterschiedlichen Communitys stammen und in insgesamt 25 Sprachen kommunizieren, versorgen neu zugewanderte Personen im Quartier mit dringend benötigtem Wissen (ebd.).

Gleichzeitig werden u. a. Sprach-, Computer-, Theater- und Tanzkurse angeboten. Dabei wird der Gehsteig- bzw. Straßenraum temporär bespielt, auch um Sichtbarkeit zu erzeugen. Katharina Kirsch-Soriano da Silva und Florian Rautner weisen in ihrer Zwischenbilanz darauf hin, dass die Herstellung einer Gleichberechtigung der beteiligten Akteur:innen eine große Herausforderung darstellt und auch von Konflikten geprägt ist, die nur durch eine übergeordnete Organisationsstruktur im verträglichen Rahmen gehalten werden kann. Auch hier wird das Spannungsfeld zwischen Betreuung auf der einen und Selbstbestimmung auf der anderen Seite wieder deutlich spürbar. Ein kleinteiliges Netzwerk dezentraler Orte der Zusammenkunft bleibt aber weiterhin ein anzustrebendes Ideal. Wien zeichnet unter anderem die Dichte seines öffentlichen Verkehrsnetzes aus. Das bietet nicht zuletzt die Chance zu Urbanität im Sinne Lefebvres an schier unzähligen Stellen.

Konzentration versus Verteilung

Stadt ist immer durch ein bestimmtes Verhältnis von Konzentration und Verteilung von Funktionen geprägt. Der Fallstrick eines betont polyzentralen Systems ist die Konzentration von Funktionen und Kapitaleinsatz an einigen wenigen hervorgehobenen Orten. Das kann auch zu einer Verarmung der unmittelbaren Umgebung etwa in punkto der Versorgungsstruktur führen. So betrachtet, kann es zu einem Energieverlust in der Fläche kommen, zu einer Art urbanem Vampirismus. Stadtplanerische Konzepte wie die gegenwärtige vielfach lancierte 15-Minuten-Stadt – die eine Erreichbarkeit wesentlicher Funktionen des Alltags in einer Gehdistanz von einer Viertelstunde propagiert – bedürfen eher einer Verteilung der urbanen Versorgungstruktur als deren Konzentration an ausgewiesenen Stellen. Der von Carlos Moreno und anderen beschworene ›Chronourbanismus‹ setzt auf kleinteilige lokale Produktion, lokale Konsumption einer flächendeckend gemischt genutzten Stadt (Allam, Moreno et al. 2021). Die Versorgung mit den wesentlichen Funktionen in unmittelbarer Nähe würde die Alltagswege entscheidend verkürzen und die motorisierte Mobilität stark reduzieren. Der gewonnene Straßenraum könnte stärker begrünt werden und so das Stadtklima positiv beeinflusst werden.

In gewisser Hinsicht ist die ›Polyzentrale Stadt‹ als ›Funktionale Stadt‹ jenseits einer Tabula-rasa-Doktrin zu verstehen. Da eine tiefgreifende und großflächige Transformation der Europäischen Stadt durch Kahlschläge glücklicherweise nicht mehr in Betracht gezogen wird, können nur ausgewählte Zonen nach Maßgabe aktueller funktionalistischer Konzepte entwickelt werden. Der propagierte Nutzungsmix der Orte mit Zentrumsfunktion ähnelt sich oft, sodass aus aller Buntheit nur derselbe Grauton entsteht und statt tatsächlicher Urbanität nur deren mattes Abbild entsteht.

Der Stadtplaner Vicente Guallart – von 2011–2015 als offizieller Chefarchitekt von Barcelona tätig – forderte in der Konferenz Drivers of a polycentric city model, veranstaltet vom Moskauer urban forum 2015 dazu auf, in der Stadtplanung immer auch vom Einzelnen, der Nachbarschaft, von den Fußgänger:innen auszugehen, im Sinne einer ›Stadt der kurzen Wege‹. Die einseitige Ausrichtung auf eine Reihe ausgewählter, von der Stadtplanung in den Fokus genommener Hauptzentren sei zu wenig, will man eine für das Gemeinwohl erstrebenswerte Metropolis of Neighbourhoods sicherstellen.

Andre Krammer ist Architekt und Urbanist in Wien. Er lehrt und forscht am Forschungsbereich Städtebau der Technischen Universität Wien.

dérive, Di., 2022.10.18



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Bidonvilles, Fischkistensiedlungen, Bretteldörfer

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen...

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen...

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen Südens. Wir wollen mit dieser Ausgabe von dérive zeigen, dass informelle Siedlungen eine räumlich ausgreifende, bis heute vielfach präsente Realität der europäischen Stadt waren bzw. sind. Ihre Entwicklungsgeschichte ist in der Forschung unterrepräsentiert und tritt meist nur lokalhistorisch in Erscheinung. Dieser Umstand ist der sozialhistorischen wie urbanistischen Bedeutung informeller Siedlungen nicht angemessen.

Der vorliegende Schwerpunkt versammelt Anschauungsmaterial aus 100 Jahren informeller Stadtproduktion in Europa. Er beleuchtet neben ihren Ursachen verschiedene Formen des Umgangs mit dieser (wie Upgrading, Downgrading, Konsolidierungsprozesse, Räumungen etc.) und ihre Deutung. Der Fokus dieser Ausgabe von dérive liegt auf informellen Siedlungsstrukturen, die in Reaktion auf soziale und existentielle Not als Selbsthilfeprojekte entstanden sind. Es sind Entwicklungen, die weiter andauern: Roma-Siedlungen, Wagenplätze, Obdachlosigkeit oder informelle Flüchtlingslager existieren heute in Europa oft nur wenige Meter entfernt von Investorentürmen und den Quartieren der Wohlhabenden.

Auf die Vielschichtigkeit der Thematik ist dabei hinzuweisen: Informelle Raumproduktion kann auch von Partikularinteressen ökonomisch und sozial potenter AkteurInnen vorangetrieben werden – in Italien verdanken etwa unzählige Villen, Hotels und Spekulationsobjekte ihre Existenz der Abwesenheit einer gesellschaftlich als verbindlich angesehenen Raum- und Bauordnung.

Bretteldörfer – ein globales Phänomen zwischen Kritik und Romantisierung

Spätestens seit dem UN-Report The Challenge of Slums von 2003 wird Informalität nicht zuletzt als ein »Ausdruck struktureller Anpassungen an globale Marktkräfte« gesehen (Altvater 2005, S. 309). Die Zahlen der UN-Studie veranschaulichen, dass es sich bei der global rasch anwachsenden informellen Stadt an den Rändern der Metropolen keineswegs um eine vernachlässigbare Erscheinung handelt. 2003 lebte bereits jeder sechste Mensch weltweit – insgesamt eine Milliarde – in einer informellen Siedlung. Den US-amerikanischen Urbanisten Mike Davis motivierte der UN-Bericht zu vertiefenden Recherchen. In seinem Buch Planet of Slums (2006) belegt er Ausmaß und Zusammenhänge der weltweit rasant zunehmenden Elendsurbanisierung, insbesondere in den Metropolen des Südens. Davis sieht das Wachstum der informellen Stadt durch neoliberale Politik angestoßen – nicht zuletzt durch die berüchtigten IWF-Programme zur Strukturanpassung, die weite Bevölkerungsschichten ökonomisch und räumlich marginalisierten. Für viele, die massenhaft in die Städte strömen, wird die informelle Siedlung dabei von der Übergangs- zur Dauerlösung.

Neben der neomarxistischen Sichtweise Davis’, die den Planet der Slums als Krisensymptom des globalisierten Kapitalismus interpretiert, sind auch zahlreiche sich als pragmatisch verstehende Annäherungen an das Phänomen der informellen Raumproduktion zu verzeichnen. Diese eint die Vorstellung, das Informelle nach dem Motto Learning from... in zukünftige kapitalistische Stadtmodelle auf produktive Weise integrieren zu können. Prominente VertreterInnen dieses Ansatzes sind u.a. der holländische Stararchitekt Rem Koolhaas[1], der peruanische Ökonom Hernando de Soto[2] oder der britisch-kanadische Journalist Doug Saunders[3]. Der Selbstorganisation und der Improvisation wird dabei ein unternehmerisches Potenzial zugeschrieben, dass es mit dem neoliberalen Imperativ der Eigeninitiative kompatibel macht (Hagemann 2012, S. 76f.). Das Informelle wird zum »Experimentierfeld für die Untersuchung von Anpassungs- und Innovationsprozessen« erklärt (Brillembourg 2005, S. 302) bzw. en passant zur Keimzelle einer neuen »solidarischen Ökonomie« ausgerufen (Altvater 2005, S. 309).

Diese teils offen affirmativen Zugänge tendieren dazu, Armut zu ästhetisieren und so einer Slum-Faszination, einem Favela-Chic und einem überwunden geglaubten kolonialen Gestus zu unterliegen (Krasny 2012, S. 23; Hagemann 2012, S. 73). Dabei bleibt die Rezeption des Informellen meist selektiv und tendenziell phänomenologisch verkürzt. So kann etwa das – an sich durchaus berechtigte – akademische Interesse an Formen des Selbstbaus die Tatsache verdecken, dass informelle Siedlungen auch Ausdruck von globalen wie lokalen Machtstrukturen, Marginalisierung und Ausbeutung sind (Hagemann 2012, S. 73f.).

Auf der Berliner Weltkonferenz zur Zukunft der Städte URBAN 21 im Jahr 2000 wurden sogar bis dahin eher als ein Übel angesehene illegale Landbesetzungen als wirtschaftlicher Motor der Stadtentwicklung gefeiert (Becker 2003, S. 14) – und informelle Urbanisierung damit unter der Hand auch als eine Art Neoliberalismus von unten vereinnahmt.

Formell-informell

Die Stadtforscherin Anke Hagemann charakterisiert das Informelle als einen unscharfen, schillernden Sammelbegriff. Er leitet sich vom lateinischen informis ab, das übersetzt unförmig, formlos, aber auch unschön, hässlich, garstig bedeuten kann. Verschiedene, oft schwer voneinander zu trennende strukturalistische, ästhetische und moralische Perspektiven tönen da mit. Das Informelle beinhaltet immer eine Negation, bezieht sich stets auf etwas, das es selbst nicht ist.

Die informelle Stadt ist demnach nur in ihrem Verhältnis zur formalisierten, geordneten, konsolidierten Stadt verstehund analysierbar. Bei der formellen und der informellen Stadt handelt es sich allerdings keineswegs um parallele Welten, etwa eine produktive und eine parasitäre Sphäre oder eine normierte und eine ungezwungene Lebenswelt, sondern um ökonomisch und sozial vielfach miteinander verflochtene Strukturen (Becker 2003, S. 13). Der postmoderne Slum ist – wie schon sein viktorianischer Vorfahre – in ein übergeordnetes sozioökonomisches Gesamtsystem eingebettet, auf dessen innere Mechanismen und Widersprüche er bezogen bleibt. Die realen Lebensbedingungen in der informellen Stadt, die nicht selten von Kriminalität, Armut, Krankheit, Immobilienspekulation und Ausbeutung geprägt sind, dürfen dabei nicht ausgeblendet werden. Insbesondere auf den ersten Blick positive Maßnahmen der Aufwertung, der Formalisierung und der Legalisierung sollten jedoch immer auch in Hinblick auf inhärente repressive Agenden analysiert werden: Was wird gegen den Anschluss an das kommunale Wasser- und Stromnetz, gegen den formellen Status etc. eingetauscht? Und wer profitiert davon?

Heute kann das Formelle nicht mehr vereinfachend mit einer Top-down-Planung, das Informelle nicht mit einer Raumproduktion Bottom-Up gleichgesetzt werden. Das Primat des Ökonomischen, das die unternehmerische Stadt[4] (Harvey 1989, S. 3-17) der Gegenwart prägt, hat längst zu einer Erosion hoheitlicher Zugriffsmöglichkeiten auf die Raumproduktion geführt. Stadtentwicklung ist heute bekanntlich oft nur die Summe von Einzelinteressen am Markt Konkurrierender. Auch die deregulierte unternehmerische Stadt basiert somit auf einer Form der Informalisierung, doch wird diese nicht von unten und für alle, sondern privatwirtschaftlich von oben und sehr selektiv vorangetrieben.

Europäische Ursprünge

Die räumliche Entwicklung der europäischen Stadt ist von spezifischen Ausgrenzungsmustern geprägt. Das moderne Armenviertel war nicht zuletzt eine zwangsläufige Begleiterscheinung der industriellen Revolution. Die Schlammviertel (Spiller 1911/2008) begleiten die moderne Großstadt gleichsam als ihr langer Modernisierungsschatten. Die Augen des Bürgertums nahmen sie häufig als gefährlichen Stadtdschungel wahr und sie riefen früh SozialreformerInnen[5] auf den Plan. Die Armen galten als gefährliche, zu Kriminalität und Unmoral neigende Masse (Evans 1997, S. 99). Hier wurde eine Tradition mitbegründet, die in die Agenden der Moderne im 20. Jahrhundert eingehen und diese mitprägen sollte: Die Vorstellung einer kausalen Verknüpfung von Raumdisposition und sozialen Verhältnissen.

Selbst der revolutionär gesinnte Flügel der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung hatte allerdings seine Probleme mit dem inhomogenen Subproletariat, setzte man doch allein auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt. So heißt es bereits bei Marx und Engels im Kommunistischen Manifest von 1848: »Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.« (Marx, Engels 2007, S. 8)

Eine eigenwillige Verkehrung dieses Standpunkts findet sich 160 Jahre später bei dem Philosophen Slavoj Žižek, der die global wachsende Menge an SlumbewohnerInnen und Überflüssigen leichthin zum neuen, zukünftigen revolutionären Subjekt erklärt (Žižek 2009, S. 256f.). Das bedrohliche Pendant dazu bilden Szenarien und Planspiele zur counter-insurgency aus Militärkreisen, die sich gegen die potenziell gefährlichen »Armeen der Armen« richten (Davis 2006, S. 214). In derartigen Zuspitzungen ist nicht zuletzt die Warnung enthalten, dass Worte und ideologische Zuschreibungen jederzeit – wie in der Vergangenheit allzu oft – in nackte Gewalt umschlagen können.

Ein blinder Fleck?

In der bis heute wirksamen Erzählung, in der die europäische Stadt des 19. Jahrhunderts posthum zur keimfreien Idealwelt bürgerlicher Urbanität verklärt wird, ebenso wie in der Geschichte der funktionalen Stadt der klassischen Moderne gelten die Bretteldörfer und Barackensiedlungen eher als Störgeräusche. Dabei ist es auffällig, dass gerade die informellen Armensiedlungen als Zerrbild und Vorläuferinnen des z.B. von der Bauhaus-Avantgarde propagierten industriellen Wohnbaus gesehen werden können. Es waren die Elenden und Marginalisierten, die sich lange vor dem fordistischen Nachkriegsboom aus industriell gefertigten Massenprodukten wie Kanistern (frz.: bidon) und Fischkisten, Kohlewägen, ausrangierten Eisenbahnwaggons oder den Chassis von alten Autobussen ihre Unterkünfte bauten.

Auch der Topos der Siedlung selbst und die dort erprobte genossenschaftliche Organisation wurde zeitweise zu einem wichtigen, wenn auch ambivalenten Leitbild der architektonischen Moderne. Eine Aussage des sozialdemokratischen Wiener Ökonomen und Theoretikers Otto Neurath aus dem Jahr 1921 spricht das an: »Genossenschaftsleben hat zwei Verwandte: kleinbürgerliche Vereinsmeierei und Organisationstreiben breiter Massen. Es hängt von der geschichtlichen Lage ab, in welcher Richtung es sich entwickelt.« (Neurath, Arbeiter-Zeitung vom 20.11.1921, S. 7)

Die Gegenwart des Informellen in Europa

Die in den Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts der Not entsprungenen ungeregelten Landnahmen, die nach wie vor oft informellen Siedlungen der Roma und Sinti (siehe dérive Nr. 64) sowie die bis heute existierenden französischen Bidonvilles (siehe den Artikel von Muriel Cohen & Marie-Claude Blanc-Chaléard auf S. 24) werden trotz ihrer Ausdehnung und Permanenz häufig immer noch als urbanistischer Nebenschauplatz gehandelt.

Anders stellt sich die Situation – wie bereits angedeutet – im südeuropäischen Kontext dar. Als Beispiel bietet sich Italien an, das mit mehr als 20 Millionen ohne Rücksicht auf Baugesetze und Raumordnung errichteten Objekten so etwas wie das Kernland des informellen Bauens unter den Industrienationen ist (vgl. Dominik Straub, Der Standard vom 3.9.2017)[6]. In manchen südlichen Regionen wie Kalabrien, Kampanien oder Sizilien wird der Anteil der illegalen Bauführungen gegenwärtig auf etwa ein Drittel geschätzt (Maura Salerno, Edilizia e Territorio vom 3.12.2015)[7], seit den 1980er Jahren gab es mehrere landesweite Generalamnestien für Bausünder. Auch wenn wir das komplexe Phänomen der italienischen case abusive hier nicht weiter thematisieren können, halten wir es für wichtig, auf den Fall hinzuweisen, weil es sich dabei seit Jahrzehnten um ein klassenübergreifendes Massenphänomen handelt. Durch die schiere Menge illegaler oder halblegaler Gebäude wird – falls existent – regelmäßig die Raumplanung unterlaufen, das Konzept der formellen Stadt relativiert und letztlich der bürgerliche Rechtsstaat in Frage gestellt. Da es sich nur in kleinen Teilen um Elendsurbanisierung handelt und es zudem regelmäßig um die Zersiedlung ökologisch sensibler und oft geschützter Gebiete und verbreitet um Immobilienspekulation geht (Biffi 2014)[8], erweist sich einmal mehr: Informell und Bottom-up sind weder gleichzusetzen noch a priori positive oder emanzipatorische Kategorien.

Dubravka Sekulić zeichnet in ihrem Artikel für diesen Schwerpunkt die Entwicklung illegaler Landnahme und Bautätigkeit an der Belgrader Peripherie nach. Im damaligen Jugoslawien setzten die wilden SiedlerInnen der sozialistischen Logik gemeinschaftlichen Eigentums und kommunaler Wohnraumversorgung – die in der ökonomischen Krise der 1970er und 80er Jahre nicht mehr Wohnraum für alle bereitstellen konnte – Eigeninitiative und die Logik einer privaten Raumproduktion entgegen, die auch als Vorläufer der späteren, marktförmigen Entwicklung angesehen werden kann.

In Mittel- und Nordeuropa stellt sich die europäische Stadt für ZuwanderInnen längst als eine Ankunftsstadt, eine weitere globale arrival city dar (Saunders 2013). Dort sind sie – meist in peripheren Zonen –, um ihr Überleben sichern zu können, weitgehend auf informelle räumliche und soziale Praktiken angewiesen. Informelle und halb-formelle Flüchtlingslager, wie sie sich etwa in Frankreich herausgebildet haben – bezeichnenderweise wurde das bekannteste von ihnen in post-viktorianischer Manier Calais Jungle benannt –, verweisen zudem auf die ungebrochene Aktualität des Themas. Zunehmend repressive Migrationsregime und Phantasmagorien einer räumlichen Ausgrenzung gigantischen Ausmaßes, wie sie sich im hermetischen Bild der Festung Europa manifestieren, können daran wenig ändern.

Informelle Stadtproduktion hat in der Vergangenheit entscheidend dazu beigetragen, Krisen- und Modernisierungsschübe zu bewältigen. Wie die Rezeption in neueren Arbeiten zu umkämpftem Grün und urban commons zeigt, besitzen die semi-subsistenten Modelle kollektiver Selbsthilfe in Wien nach 1918 noch immer eine gewisse Strahlkraft (Kumnig et al. 2017; Baldauf et al. 2016). Auch unser Beitrag für diesen Schwerpunkt zeigt: Das rote und das wilde Wien waren zwei Systeme, die nicht nur in der Zwischenkriegszeit ökonomisch und stadträumlich aufeinander bezogen waren. Die wilden Siedlungen in der Übergangszone zwischen Stadt und Land waren ein der Not entsprungenes Laboratorium einer neuartigen bukolischen Urbanität, die noch zu erforschen wäre. Auch die gegenwärtige, zunehmend globalisierte Recht-auf-Stadt-Bewegung kann von historischen Formen einer Stadt von unten etwas lernen und so die eigene Positionierung in der Geschichte sozial-räumlicher Selbstermächtigung und Emanzipation genauer verorten.[9]


Anmerkungen:

[01] Rem Koolhaas hat im Rahmen des Forschungsprojekts Harvard Project on the City die nigerianische Metropole Lagos untersucht, die besonders stark von informellem Wachstum geprägt ist. Seine neo-organizistische Perspektive vernachlässigt dabei – wie KritikerInnen anmerkten – die drückende Armut, Gewalt und infrastrukturelle Defizite, die in den informellen Armenvierteln der afrikanischen Metropole den Alltag prägen.
[02] Hernando de Soto ist ein peruanischer Ökonom, der mit seinen Arbeiten zur informellen Ökonomie bekannt wurde. De Soto betont die Bedeutung von Eigentumsrechten für wirtschaftliche Prosperität. Er hält die globalen SlumbewohnerInnen für TrägerInnen heute noch ungenutzten Reichtums. Zentral für De Soto ist mittelfristig die Schaffung von privaten Besitzrechten in Folge der zuerst informellen Landnahme. Er propagiert eine Revolution und eine Zukunft des Kapitalismus durch eine Marktwirtschaft von unten – der Favela-Bewohner- Innen von heute als KapitalistInnen von morgen.
[03] Siehe: Saunders’ (2013) Buch kann teilweise als Gegenthese zu Mike Davis Planet der Slums gelesen werden. Auch hier werden mit Slums, die Saunders Ankunftsstädte nennt, wirtschaftliche Potenziale für die Zukunft verknüpft. Die Ankunftsstadt ist in dieser Sichtweise eine notwendige Übergangszone für jene, die vom Land in die Stadt strömen.
[04] Harvey prägte in seinem Aufsatz den Begriff eines urban entrepreneurialism, der im deutschen Sprachraum in der Übersetzung unternehmerische Stadt Karriere machte.
[05] Etwa Charles Booth, britischer Sozialforscher und Philanthrop, gemeinsam mit Henry Mayhew ein Pionier der Stadtforschung, erforschte die Londoner Arbeiterklasse Ende des 19. Jahrhunderts.
[06] Siehe: derstandard. at/2000063485588/Italien- Das-Land-in-dem-alle- Bausuenden-vergeben-werden.
[07] Siehe: www.ediliziaeterritorio. ilsole24ore.com/art/ citta-e-urbanistica/ 2015-12-02/istat-italiapatria- abusivismo-sudillegali- quasi-60- fabbricati-100--162429.php? uuid=ACk5wclB&refresh_ce=1
[08] Siehe: www.legambiente.it/ sites/default/files/docs/ abusivismo_litalia_frana_ il_parlamento_condona- _dossierfile.pdf
[09] Siehe auch: dérive Nr. 60 Henri Lefebvre und das Recht auf Stadt; dérive Nr. 61 Perspektiven eines kooperativen Urbanismus; dérive 49 Stadt selber machen bzw. Festival urbanize. 2015: Do it together, etc.


Literatur
Altvater, Elmar (2005): Globalisierung und die Informalisierung des urbanen Raums. In: Brillembourg et al, S. 306-309.
Baldauf, Anette; Gruber, Stefan; Hille, Moira; Krauss, Annette; Miller, Vladimir; Verlic´, Mara; Wang, Hong-Kai & Wieger, Julia (2016): Spaces of Commoning. Artistic Research and the Utopia of the Everyday. Berlin, New York: Sternberg Press.
Becker, Jochen; Burbaum, Claudia; Kaltwasser, Martin; Köbberling, Fölke; Lanz, Stephan & Reichard, Katja (2003): Learning from. Städte von Welt, Phantasmen der Zivilgesellschaft, informelle Organisation. Berlin: NGBK.
Blum, Elisabeth & Neitzke Peter (Hrsg.) (2014): FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Sao Paulo. Basel: Birkhäuser Verlag.
Davis, Mike (2011): Planet der Slums. Berlin, Hamburg: Assoziation A Verlag.
Brillembourg, Alfredo & Feireiss, Kirstin & Hubert Klumpner (2005): Informal City. Caracas Case. München: Prestel Verlag.
Evans, Robin (1996): Translation form drawing to building. London: AA Documents.
Hagemann, Anke (2012): Der Mainstream des Informellen: Urbanistische Forschung zwischen Romantisierung und städtischer Realität. In: Krasny, Elke (Hrsg.) (2012):
Hands-on Urbanism 1850–2012. Vom Recht auf Grün. Wien, Berlin: Turia + Kant.
Harvey, David (1989): From managerialism to entrepreneurialism: the transformation of urban governance. In: Geografiska Annaler. Series B, Human Geography, Vol. 71, No.1, The Roots of Geographical Change: 1973 to the Present. (1989), S. 3-17.
Kumnig, Sarah; Rosol, Marit & Exner, Andreas (2017): Umkämpftes Grün. Bielefeld: Transcript Verlag.
Krasny, Elke (Hrsg.) (2012): Hands-on Urbanism 1850–2012. Vom Recht auf Grün. Wien, Berlin: Turia + Kant.
Marx, Karl & Engels, Friedrich (1848/2005): Manifest der Kommunistischen Partei. www.vulture-bookz.de
Sassen, Saskia (2005): Fragmentierte urbane Topographien und die ihnen zugrunde liegenden gegenseitigen Verbindungen. In: Brillembourg et al, S. 315-323.
Saunders, Doug (2013): Arrival City. Die neue Völkerwanderung. München: Pantheon Verlag.
Spiller (1911/2008): Slums. Erlebnisse in den Schlammvierteln moderner Großstädte. Wien: Czernin Verlag.
Žižek, Slavoj (2009): Auf verlorenem Posten. Berlin: Insel Verlag.
Zwoch, Felix (2005): Fünf Versionen des In/Formellen. In: Brillembourg et al, S. 304-306.

dérive, Mo., 2018.04.30



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dérive 71 Bidonvilles und Bretteldörfer

13. Januar 2017André Krammer
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Am Ende der Anfang?

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig...

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig...

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig das kollektive Gedächtnis aller Architektur- und Stadtinteressierten, wie sie auch eine subjektive Zeitreise von Dietmar Steiner darstellen.

Steiner, der seit der Gründung des Wiener Architekturzentrums im Jahr 1993 dessen Direktor war, verabschiedet sich mit Ende des Jahres in den Ruhestand. Das scheint insofern konsequent, waren doch Institution und Person in der Ära Steiner schon immer untrennbar miteinander verbunden. So stehen auch in der aktuellen Schau und im nun veröffentlichten „Tagebuch“ die biografische Notiz, der Brief, die Erinnerung an eine persönliche Begegnung, gleichberechtigt neben der Nachlese unterschiedlicher Positionierungen in Praxis und Theorie. Dabei ist das Namedropping unausweichlich, handelt es sich doch auch um die Vorstellung eines erweiterten Freundeskreises. Streift man durch Schau und Katalog wird rasch deutlich wie eng die vielen Ismen der letzten fünfzig Jahre mit charismatischen Persönlichkeiten verbunden waren, die eine Idee, einen Stil, eine Haltung nicht nur behaupteten, sondern regelrecht verkörperten.

Chronologisch setzt die Schau mit dem letzten Kongress der CIAM – den Congrès Internationaux d’Architecture Moderne – 1959 in Otterloo ein, auf dem eine jüngere PlanerInnengeneration viele Dogmen der alten Modernen endgültig über Bord warf und so das einläutete, was wir heute vereinfacht als Postmoderne bezeichnen. Der Funktionalismus der Moderne, der zum letzten Mal eine Einheit von Politik und Raumproduktion proklamiert hatte, war da längst durch interne Kritik, als auch durch äußere Erschütterungen in die Krise geraten. Nach den CIAM fehlte der universale beziehungsweise der universalistische Bezugsrahmen und der Diskurs zersplitterte in den 1960er Jahren und den darauffolgenden Jahrzehnten in unzählige parallele Entwicklungen. Selbst Positionen, die sich auf einen Ismus einigen konnten, trennte oft mehr als sie auf den ersten Blick einigte. Driftet man in der Schau von den Collagen, Utopien, Manifesten der 1960er Jahre zu italienischen, österreichischen, Schweizer und angloamerikanischen Positionen der sogenannten Postmoderne bis man – schon etwas erschöpft – zur Signatur-Architektur der Gegenwart gelangt, so wirkt die Buntheit erst einmal gefährlich versöhnlich. So sehr sind wir schon an die Versuchsanordnungen, das Labor, den stilistischen Pluralismus und an die Stadt als Patchwork gewöhnt. Die Glasscheibe ist zersplittert und schon die Rekonstruktion kleinerer Fragmente erscheint schwierig. Dennoch kann man der Versuchung unterliegen – vielleicht etwas paranoid – nach subkutanen Strömungen zu suchen, die unter den charismatischen Oberflächen verborgen liegen mögen und die Ismen der letzten Jahrzehnte zu transzendieren vermögen. Man will sich ja nicht mit dem Geschichtsunterricht begnügen und hofft – auch wenn sich eine rückblickende Evaluierung aus der Perspektive der Gegenwart aus Gründen der Redlichkeit verbieten mag – etwas aus der Vergangenheit ableiten zu können. Wer genau hinsieht, kann vielleicht eine Pendelbewegung wahrnehmen. Und die geht hin und her zwischen einer Forderung nach einer weitgehenden Autonomie der Architektur (und des Städtebaus) und der Proklamation des Gegenteils, einer weitgehenden Ausdehnung der Disziplin, bis hin zur Selbstauflösung: „Alles ist Architektur!“ hieß es Ende der 1960er. Das kann rückblickend auch als eine Flucht nach vorn interpretiert werden. Die Welt und somit die Stadt waren da bereits ein unwirtlicher Ort, der Wohlfahrtsstaat, die Technikgläubigkeit, der Fortschrittsglaube insgesamt brüchig geworden. Da man nicht mehr so recht an eine tiefgehende Transformation der Wirklichkeit glaubte, träumten die einen von Parallelwelten, Blasen und Sciencefiction, die anderen von der Glitzerwelt des Pop und des Konsums. Ein anderer entdeckte die Stadt als Theater der Erinnerung wieder, dem seltsamerweise – und das fällt vielleicht gerade Nachgeborenen auf – die Gegenwart abhanden gekommen scheint, die ja gerade die Vergangenheit permanent hervorbringen muss.

Es lohnt sich in der Schau, wie auch bei der Lektüre des Katalogs, da und dort vom vorgegebenen Pfad abzuweichen und den Film rückwärts laufen zu lassen. Dann wachsen dem arrivierten Avantgardisten der Signatur-Architektur, der einen Anzug von Prada oder vielleicht auch nur einen von Knize trägt, wieder lange Haare und man kann ihm zuschauen, wie er Manifeste an die Wand wirft, die noch gegen das Establishment gerichtet sind, dem er später selbst angehören soll.

Auch kann es seltsam anmuten, wie exotisch gerade Strömungen wirken, die nur kurz zurückliegen. In diesem Sinn ist die Schau ehrlich und ungeschönt. Die subjektive Erinnerung Steiners ist nicht so selektiv und glättend wie der Zeitgeist. Und gerade das Unreine ist ja auch immer das Sympathische. Es hat ja auch etwas mit dem Alltäglichen zu tun und der Welt außerhalb der Akademien und Hochschulen. Der Aufruf eines ebenso aberwitzigen, wie intelligenten amerikanischen Ehepaars Anfang der 1970er, der sich nicht zuletzt gegen verstaubte Institutionen der Architektur- und Städtebaulehre richtete und forderte, doch endlich die Augen zu öffnen und in die Welt hinaus zu gehen, ist ja noch immer nicht verhallt. Zwanzig Jahre später war es ein Büro, das sich generell für metropolitane Angelegenheiten zuständig erklärte, das sich von dem Aufruf besonders angesprochen fühlte und das „Lernen von...“ zum (Anti)-Dogma erhob.

Aber: Wer lernen will, darf nicht im selben Augenblick kritisch sein. Doch von einer radikalen Kritik war man Anfang der 1990er Jahre ohnehin schon meilenweit entfernt. Die kritische Theorie und die negative Dialektik waren längst zu Grabe getragen. 1989 hörte für viele die Uhr zu ticken auf.

Das Ende der Geschichte wurde – vorschnell wie wir heute wissen – ausgerufen. Der postmoderne Zeitgeist in der Planungswelt hatte sich in einen spät-modernen Flattergeist verwandelt, der sich aus einem Cocktail von Affirmation und (oft nur ersehnter) Subversion nährte. An einem bestimmten Punkt gerinnt dann auch die Ambivalenz, die Eigenschaftslosigkeit zur Signatur. Die Sehnsucht nach langen Phasen der Nabelschau wieder part of the game zu sein, kann eben auch zu Risiken und Nebenwirkungen führen. Wer mutig auf der Welle surft, droht an die Felsen zu knallen. Das mag dann mitunter auch mehr mit Goethes Faust zu tun haben als mit der Wirklichkeit. Aber ist das nicht allemal besser, als am Strand in der Sonne zu liegen und dort von der Schönheit der Jugend (der Stadt) zu schwärmen?

Doch es gibt subkutane Strömungen, die auch in der Schau vertreten sind, die da und dort den Boden wieder zu verfestigen scheinen. Es sind wohl am ehesten jene, die vom alten Funktionalismus die soziale Frage geerbt haben, ohne an universelle Antworten zu glauben. Von einer orchestrierten Festlegung des Gebrauchs ist man bei der Wunschproduktion und der Ermöglichung angelangt. Die Fragen, die da gestellt werden, sind oft sehr einfach. Etwa: Wie kann man kostengünstig für die und mit der verarmte(n) Landbevölkerung im ländlichen Alabama bauen? Oder grundsätzlicher: Wie könnten neue Formen einer gemeinschaftsbasierten Raumproduktion aussehen? Eine Verschiebung vom Ismus zum Prozess wird da spürbar, die darauf hoffen lässt, endlich dem Spiegelkabinett zu entkommen, ohne wiederum in falschen Gewissheiten zu landen. Bedürfnisorientiertes Bauen Bottom-Up ist auch eine Form von Funktionalismus – der Kreis scheint sich dann doch zu schließen – aber im besten Fall kein kontrollierender und verfestigender, sondern ein offener.

Katalog
Kunstuniversität Linz (Hg.)
Steiner’s Diary. Über Architektur seit 1959
Zürich: Park Books, 2016
398 Seiten, 48 Euro

dérive, Fr., 2017.01.13



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dérive 66 Judentum und Urbanität

31. Januar 2016André Krammer
dérive

Das Rahmenwerk der Architektur

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers...

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers...

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers Yona Friedman, der später die französische Staatsbürgerschaft annahm. Friedman wurde in erster Linie auf Grund der utopischen Stadtentwürfe seiner Ville Spatiale bekannt. Sie wurden gemeinhin als Beitrag zur Konzeption der Mega-struktur wahrgenommen, welche die Architekturavantgarde der 1960er Jahren prägen sollte.

Im ersten Teil der umfangreichen Publikation werden Konzeptionen Friedmans von der Ville Spatiale bis hin zu aktuellen Projekten vorgestellt, während Friedmans Co-Autor Manuel Orazi im zweiten Teil eine Einordnung von Friedmans Werk in die Geschichte der Architektur-Avantgarde nach 1945 vornimmt und so einen weit über die Einzelfigur hinausgehenden Überblick über einen verwinkelten Diskurs und seine ProtagonistInnen gibt, der sich über weite Strecken spannend liest. Dabei wird auch der Kritik, die im Laufe der Jahrzehnte an Friedmans Konzeptionen geübt wurde, einiger Platz eingeräumt.

Der Buchtitel gibt einen ersten Aufschluss zur Ausrichtung von Friedmans Denken. Dilution, das soviel wie Verwäs-serung und Abschwächung bedeutet, verweist auf eine Eigentümlichkeit der Stadtentwürfe Friedmans, die über der existierenden Stadt, aufgeständert auf mächtigen Pilotis, eine zweite Raumschicht ausbilden. Sie sind einerseits Megastruktur, unterscheiden sich jedoch gleichzeitig vom grundlegenden totalen Design verwandter utopische Entwürfe. Bei Friedman kommt der Architektur eine dezidiert dienende Rolle zu. Sie wird zur sozialen Kunst erklärt, die lediglich ein Rahmenwerk ausbilden soll, innerhalb dessen sich selbst-ermächtigte NutzerInnen, ihrer Wunschproduktion folgend, einrichten können. Friedman gehört somit zu den Pionieren und Befürwortern einer partizipativen Raumproduktion. Folgerichtig weisen die Gebäude seiner oft etwas naiv wirkenden Collagen und Modelle keine Fassaden auf und verweigern ihrer Großmaßstäblichkeit zum Trotz jeden Objektcharakter. Es sind unfertige Bilder, die von Friedman als Denkanstöße verstanden werden möchten. So erstaunt es nicht, dass das Netzwerk, in dem sich Friedman bewegte und bewegt, ein interdisziplinärer Pool von ProtagonistInnen ist. Soziologie, Spieltheorie und Mathematik spielen eine ebenso große Rolle wie Fragen der Statik und der technischen Infrastruktur. Friedman hat sich mit dem Physiker Werner Heisenberg und dem Informatiker Nicholas Negroponte aus-getauscht. Er ist mit den SituationistInnen zusammengetroffen, hat mit Constant Nieuwenhuys einen Disput über die Stadt von morgen geführt, hat in jungen Jahren am CIAM-Kongress in Dubrovnik teilgenommen und dabei immer ein interdisziplinäres Denken propagiert, das über die engen Grenzen der jeweiligen Einzeldisziplin hinausgeht.

Aus heutiger Sicht erscheinen die Unterschiede seiner Entwürfe zu verwandten Konzeptionen interessanter als ihre augenfällige und vielleicht nur oberflächliche Übereinstimmung. Während Constant Nieuwenhuys’ utopisches Projekt seines New Babylon beispielsweise von einer zukünftig post-industriellen und im Wesent-lichen kollektiv organisierten Gesellschaft ausgeht, finden sich in Friedmans Texten keine Ansätze einer implizit kollektiven Utopie. Er scheint eher einer anarchistischen Denktradition näher zu stehen, die die Freiheit in den Mittelpunkt stellt. Folgerichtig ist bei Friedman von der »Koexistenz in Diversität« die Rede.

In den letzten Jahrzehnten wurde sein Werk vermehrt im Kunstkontext rezipiert. Seine Arbeit wurde wiederholt auf der Documenta und auf der Kunstbiennale in Venedig gezeigt. Die seiner Arbeit innewohnende Reserve gegenüber traditioneller Planung und die Thematisierung des Prozessdesigns scheinen oft mehr mit gegenwärtigen künstlerischen Praktiken gemein zu haben als mit einer Architekturszene, die nach wie vor von der radikalen Umdeutung des Architekten vom Gestalter hin zum Koordinator – wie sie Yona Friedman vorgenommen hatte – überfordert ist, da sie das Selbstverständnis der Disziplin in Frage stellt. Dennoch hat Friedman immer wieder Stichworte geliefert, die später auch im konventionellen Planungsdiskurs auftauchten. Er hat zum Beispiel Urban Farming und Fragen der Versorgungsautarkie thematisiert, bevor das Thema seinen Hipnessfaktor bekommen hat.

Seine Projekte verstanden sich von Anfang an als Szenarien der Verdichtung bestehender Städte und sind somit weit von den Projekten entfernt, die auf einer Tabula rasa eingerichtet wurden. Gleichzeitig spielen das kollektive Gedächtnis und die Geschichte der Stadt, die in der Postmoderne thematisiert wurden, im Denken Friedmans eine untergeordnete Rolle. Die schwebenden Strukturen Friedmans, die er in schier unendlichen Varianten und Inkarnationen bis heute weiterentwickelt hat, flottieren weiterhin hoch über der Stadt, verweigern die Landung und somit die direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit – wie KritikerInnen angemerkt haben. Friedman geht es bei seinen Visualisierungen in erster Linie um die möglichst breitenwirksame Vermittlung seiner Visionen. Die im Laufe der Jahre zunehmend vereinfachten Diagramme, comichaften Erläuterungen, Modelle und Collagen entstammen auch einer anti-elitären Haltung, die auf leichte Verständlichkeit setzt und eine akademische Vermittlungspraxis meidet.

Friedman weiß natürlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Realisierung seiner Konzeptionen nur gelingen kann, wenn möglichst viele Menschen von ihr überzeugt sind. Außer dem Lycée David in Angers hat er bisher kein Gebäude verwirklichen können. So entsteht mitunter der beklemmende Eindruck, dass Friedmans Stadtvisionen Geisterstädte sind, aus denen die Bevölkerung ausgezogen der in die noch niemand eingezogen ist.

Und dennoch: Auch wenn die Umsetzung von Friedmans Ideen kaum direkt erfolgte, weisen sie unbestreitbar viele Bezüge zum gegenwärtigen Diskurs auf. Fragestellungen einer prozessualen Stadtentwicklung, die nicht auf fertige Leitbilder, sondern auf Qualitätsmanagement und avancierte Verfahrenskultur setzt, finden in Friedmans Konzeptionen ihren Widerhall. ErforscherInnen informeller Siedlungsformen des globalen Südens teilen mit Friedman eine gewisse Faszination an prozesshaften, auf Eigenermächtigung der NutzerInnen setzende Strategien.

Aus heutiger Sicht erscheint vielleicht ein Projekt besonders interessant. Basierend auf dem existierenden europäischen Eisenbahnnetz hat Yona Friedman eine Konzeption Europas als Kontinent-Stadt propagiert. Ein Netzwerk aus Städten, verbunden durch die Eisenbahn, ist zugleich ein einfaches wie ein radikales Modell. Nationale Grenzen sind darin aufgelöst. Die Landschaft, die sich zwischen den Städten aufspannt, ist frei von suburbanen Verwerfungen. Es handelt sich um ein Szenario der Verdichtung und der Vernetzung, von dem das heutige Europa soweit entfernt scheint wie nie zuvor.


Nader Seraj (Hg.)
Yona Friedman. The Dilution of Architecture
Paris: Park Books, 2014
581 Seiten, 48,00 Euro

dérive, So., 2016.01.31



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dérive 62 Sampler

31. Oktober 2013André Krammer
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Die Welt als Bürolandschaft

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur...

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur...

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur der Arbeit«. Bei diesem Auftakt handelt es sich um die gleichnamige, überarbeitete Dissertation von Andreas Rumpfhuber.

Beschrieben wird das komplexe Verhältnis der postindustriellen, zunehmend von immaterieller Arbeit geprägten Lebenswelt zu einer neuartigen räumlichen Praxis, die nicht mehr von einer traditionellen »Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit« von Arbeitsprozessen ausgehen kann.

Obwohl der Wandel der Arbeitswelt historisch weiter zurück geht, fokussiert Andreas Rumpfhuber enigmatische Projekte der 1960er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Form einer punktuellen Tiefenbohrung, die mehr als Momentaufnahme denn als Beschreibung historischer Entwicklungslinien angelegt ist. In den 1960er Jahren wurde die Bedeutung von Kommunikation und Information für die neue Arbeitswelt wirklich greifbar. Verhandelt werden Projekte, die eine veränderte Arbeitswelt in neuen Raumkonzeptionen spiegeln. Die immaterielle Arbeit spaltete sich vom Ort der Produktion ab, der einst geschlossene Container der Fabrik löste sich auf. An die Stelle der fordistischen Forderung nach maximaler Effizienz der Arbeitsabläufe – die Moderne war nicht zuletzt von der Zielsetzung geprägt, die Anforderungen der Produktionsabläufe möglichst direkt, also funktionalistisch in räumliche Konstruktionen zu übersetzen – tritt die vom Einzelnen geforderte Kreativität, der der »Geist der immateriellen Arbeit« zu Grunde liegt. Die physischen und psychischen Grenzen der Arbeitswelt lösen sich in der Nachkriegszeit immer mehr auf – Leben und Arbeit, Erwerbstätigkeit und Freizeit werden zunehmend nicht mehr als getrennte Sphären betrachtet. Eine starre Hierarchie, die auf Anordnungen top-down basiert, wird in avancierten Bürostrukturen von einer netzwerkartigen Organisation abgelöst.

Die Einleitung des Bandes dient einer diskursiven Standortbestimmung, die zwischen einer poststrukturalistischen Raum- und Gesellschaftsanalyse eines Michel Foucault und einer »post-marxistischen« Gesellschaftstheorie angesiedelt ist – ein Amalgam, das sich insbesondere in den Schriften Toni Negris und Michael Hardts finden lässt, die eine Fusion beider Denk-traditionen anstreben.

Hat man erst einmal die breite Diskurslandschaft der Einleitung hinter sich gelassen und sich auf die Einengung auf die 1960er Jahre eingelassen, zeichnen sich interessante Blickrichtungen ab. Der Autor beschreibt Stationen einer Entwicklung, ausgehend von der Erfindung der Bürolandschaft im Deutschland der frühen 1960er Jahre, über die Architekturperformance Mobiles Büro von Hans Hollein, in der er sich selbst in einer pneumatischen Hülle als Arbeitsnomade inszeniert – die pneumatische Blase als Vorfahre einer ortlosen, digitalisierten Arbeitswelt –, bis zur Bed-in-Performance John Lennons und Yoko Onos, welche sich die Tendenz der Grand Hotels, gleichzeitig Lebens- wie Arbeitswelt zu sein, für ihre politische Agenda – den Weltfrieden – zu Nutze machten.

Der Autor beschreibt die Projekte in anschaulichen Details, oft an Hand von Fotos aus der Zeit, die viel über den zeithistorischen ideologischen Background verraten.

Die rigide Organisation des Großraumbüros amerikanischer Prägung wird an der Bürolandschaft Buch und Ton deutlich, die der Bertelsmann-Konzern 1960/61 umsetzte. Die scheinbar hierarchielose, horizontale Bürolandschaft, die gemäß der Vorstellung einer radikalen Flexibilität der Arbeitsprozesse konzipiert wurde, orientierte sich an den Grundsätzen der Kybernetik, eines psycho-mechanischen Denk- und Steuerungsmodells, das in den 1960er Jahren in Mode kam. Der hindernisfreie, horizontale, nur durch Möblierung und Beleuchtung strukturierte Raum sollte flache Hierarchien fördern und ein »Wohlfühlambiente« – Stichwort: Wohnen im Büro – erzeugen. Das anvisierte egalitäre System, scheinbar chaotisch und ungeordnet, war – worauf Rumpfhuber ausdrücklich hinweist – auch tendenziell als konfliktfreier, entpolitisierter Raum entwickelt worden. Später wurden kommerzielle Programme und Freizeiteinrichtungen in die Bürostruktur integriert, etwa im – im Buch angeführten – strukturalistisch geprägten Bürogebäude Centraal Beheer (1967-72) von Herman Hertzberger. Die Öffnung wird gleichzeitig als eine Implosion beschrieben: In der Innenwelt wird die Außenwelt simuliert.

Rumpfhuber beschreibt eine Entwicklung, die von einer räumlichen Innenorientierung (Verlagsgebäude Buch und Ton) hin zu einer Öffnung zum umgebenden (Stadt-)Raum verläuft (Herman Hertzberger), bis hin zu einer radikalen Auflösung von Innen und Außen, die dem Fun Palace zu Grunde liegt, der von Cedric Price als grenzenlose, permanent veränderbare Mitmachmaschine entworfen wurde – eine unfertige Anti-Architektur, konzipiert als Generator von Ereignissen.

Die Stadtutopien der 1960er Jahre basierten oft auf der Annahme, dass die »Automatisierung« der Arbeitsabläufe weitgehend zu einer Abschaffung der Erwerbsarbeit führen würde. Rumpfhuber analysiert Constants New Babylon und Yona Friedmans Raumstadt als utopische Großstrukturen im Dienste einer von Arbeit befreiten anti-hierarchischen Freizeitgesellschaft, die sich – und darin liegt der emanzipatorische Impetus – selbst organisiert.

Im Rückblick zeigen sich erste Verwerfungen, die auch unsere gegenwärtige Arbeitswelt heimsuchen. Bereits in den 1960er Jahren scheint das neue, zur Unabhängigkeit verurteilte unternehmerische Selbst, das untrennbar mit dem Geist der immateriellen Arbeiten verbunden scheint, erste Ermüdungserscheinungen aufzuweisen. Rumpfhuber verweist auf einen Schnappschuss eines Bed-in. John Lennon ist zu sehen, der im Bett neben Yoko Ono angesichts der Reporterschar für einen Augenblick seine Erschöpfung nicht verbergen kann, die auch als Folge der neuen Selbstbestimmtheit des Individuums gelesen werden kann.

Im Schlusswort kommt Rumpfhuber auf die Frage des Verhältnisses zwischen Architektur und Gesellschaft zurück. Die beschriebenen Beispiele zeigen an Hand paradigmatischer Projekte der 1960er Jahre, wie sich das einst deterministisch gedachte Verhältnis zwischen Architektur und Arbeitsprozess zu Gunsten eines komplexeren Verhältnisses aufzulösen begann. Und dennoch behält der architektonische Raum auch in Zeiten einer zunehmend global vernetzten Kybernetik seine Eigenschaft als »Rahmung des Möglichen«, wie Andreas Rumpfhuber schreibt. Eine Frage scheint mitzuschwingen, ohne angesprochen oder gar beantwortet zu werden: die Frage, inwieweit auch Subversion durch Architektur möglich ist, eine hidden agenda, die über die Abbildung vorgegebener gesellschaftlicher Verhältnisse hinausgeht – dem gegenwärtigen Zeitgeist zum Trotz.


Andreas Rumpfhuber
Architektur immaterieller Arbeit kollektive gestalten
Band 1, Hg. Andreas Rumpfhuber, Johan Frederik Hartle
Wien: Turia + Kant, 2013
220 Seiten, 26 Euro, kostenloser download: oapen.org

dérive, Do., 2013.10.31



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dérive 53 Citopia Now

26. August 2013André Krammer
dérive

Das Verschwinden des Objekts und die neue Architektur

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer...

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer...

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer auf einen weiten geografischen Raum, der China, Südkorea, Taiwan und Japan umfasst. Die Kuratoren Andreas Fogarasi und Christian Teckert zeigen aber glücklicherweise Mut zur Lücke, der auch strategisch begründet ist.

Vorgestellt wird kein großes Narrativ, sondern es sind Parallelerzählungen, die nebeneinander gestellt werden und der Rezeption Raum zum Atmen lassen. Und dennoch handelt es sich um eine umfangreiche Ausstellung, die auf eine angenehme Weise überfordert: Rund 70 Projekte aus den Bereichen Architektur und Urbanismus werden gezeigt. Die Gestaltung der einzel­nen Projekten gewidmeten Paravents nimmt Bezüge zum Dargestellten auf, zitiert eine Materialität, ein räumliches Detail oder eine Idee. Der Umgang der Ausstellung mit Ästhetik und gesellschaftlichem Gehalt ist betont leichtfüßig in Analogie mit der Leichtigkeit der präsentierten Raumkonstruktionen. Der Flaneur zwischen den Paravents wird eingeladen sich von den eleganten Oberflächen der Ausstellung zerstreuen zu lassen, um dann unweigerlich hängen zu bleiben und sich thematisch zu vertiefen. An den Wänden werden begleitend Karten, Fotografien, Texte und Axonometrien von Stadtlandschaften versammelt, die so etwas wie ein ergänzendes Informationstableau anbieten. Modelle, Fotos, Pläne, Texte und Filme – eine Kurzfilmreihe, kuratiert von Andréa Picard, wird in einer Blackbox gezeigt – stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die ästhetisch wirksame Präsentation so mancher farbenfroher Statistik erinnert an die fröhliche Wissenschaft des Office for Metropolitan Architecture.

Die räumliche Organisation der Ausstellung nimmt Anleihe bei der japanischen Axonometrie, die im Gegensatz zur Zentralperspektive eine anti-hierarchische Raumorganisation betont.

Sie erlaubt Streifzüge, die an die Bewegung in einer (urbanen) Landschaft erinnert. Die gezeigten Projekte sind ästhetisch und räumlich avanciert und im intensiven Austausch mit der sie umgebenden Alltagskultur entstanden, die sie wie gezielte Akupunkturen zu beeinflussen suchen oder von der sie geprägt wurden. Im Zentrum stehen Projekte, die interessante Bezüge zum räumlichen und gesellschaftlichen Umfeld aufweisen. Die Schau verzichtet weitgehend auf die Präsentation von Architektur-Ikonen, ohne aber die Strahlkraft einzelner Projekte zu verleugnen. Betont werden die relationalen Qualitäten eines Gebäudes und dessen Potenziale neue Nutzungsmuster und Situationen zu erlauben. Es wird kein neuer Ismus vorgestellt, keine konzertierte Avantgardebewegung, die mit der Konsistenz der historischen Bewegung des Metabolismus vergleichbar wäre, sondern eine hybride Baukultur, die in der Synthese aus Rezeption internationaler Tendenzen und lokaler Spezifika generiert wird. Gezeigt wird eine regionale Architekturelite unter der sich auch der eine oder die andere PrizkerpreisträgerIn befindet, aber auch diese werden in den räumlich-sozialen Kontext der Raumproduktion eingebettet.

Die Zusammenhänge zwischen Projekten, Brüchen und Widersprüchen erschließen sich auf den zweiten Blick. Gemeinsam ist vielen Projekten die Überschreitung von Dualismen, wie die Auflösung einer Dichotomie von innen und außen, Licht und Schatten und der Ablöse festgeschriebener funktionaler Festschreibungen zugunsten eines programmatischen Minimalismus, der Raum für Unvorhergesehenes zu generieren verspricht. Viele Gebäude wirken durchlässig, nehmen eine offene und flexible Beziehung zu ihrer Umgebung ein. Zwischenräume und Leerräume spielen im asiatischen Raum traditionell eine große Rolle. In den besten Projekten vermittelt sich eine radikale Zurücknahme des entwerferischen Egos zu Gunsten einer offeneren Struktur, die erst im Gebrauch komplettiert wird, wie ein Kunstwerk, das erst in der Rezeption seinen (immer vorläufigen) Abschluss findet. Aber auch großmaßstäblichere Entwicklungen werden gezeigt, wie die Ausformungen des japanischen »train based urbanism« (siehe dazu auch den Beitrag »Total Living Industry« von Christian Teckert in dérive 28) oder Cluster- und Inselbildungen. In der Paju Book City in Seoul bilden Verlagshäuser eine kleine Stadt in der Stadt, die noch an ihrer Monofunktionalität zu leiden scheint. Im Heyriu Art Valley in Korea haben sich KünstlerInnen, LiteratInnen und MusikerInnen zusammengefunden, um ihre eigene Stadt zu entwickeln. Auch die nach wie vor existierenden staatlichen Planungsbüros in China werden vorgestellt, wie auch die Protestbewegungen, die sich gegen soziale Verdrängungsmechanismen in Südkorea formiert haben oder der Massenwohnbau, der den Alltag der Raumproduktion nach wie vor oft bestimmt. Im Querlesen werden kritische Aspekte sichtbar, die den affirmativen Zugang auf angenehme Weise konterkarieren. Die Parklandschaft des Miyashita Parks in Tokyo, entworfen vom japanischen Büro Bow Wow wurde  – worauf der Ausstellungstext hinweist – von der Firma Nike mitfinanziert. Der Zugang ist kostenpflichtig. Die Komplexität der Entwicklungen wird insbesondere da deutlich, wo allzu voreilige kritische Reflexe im Rückbezug auf den spezifischen Kontext relativiert werden.

Die Zonen der Creative industries, die insbesondere in China wie Pilze aus dem Boden wachsen, verweisen auf den Versuch Chinas seine von fordistischer Produktions­weise dominierte Vergangenheit hinter sich zu lassen und das »Made in China« um ein »Created in China« zu erweitern, um im internationalen Wettbewerb auch als Produzent intellektuellen Kapitals ernst genommen zu werden. Trotz aller Brüche, die zwischen avancierten Projekten und dem politischen Kontext auch sichtbar werden, ist in der Ausstellung eine kollektive Aufbruchstimmung spürbar. Es wird deutlich, dass die Architektur im Grunde einer performativen Kultur angehört, Situationen und Praktiken erlaubt oder erschwert. Die schillernden Objekte der StararchitektInnen, die sich in einer visuell geprägten globalen Kultur zu behaupten suchen, können ja auch als Versuch gelesen werden, diesem scheinbaren Mangel entgegenzutreten. Der konzentrierte Blick auf das Objekt lässt dieses aber nur kurz aufleuchten, auf lange Sicht aber verschwinden. Die Schau im MAK verspricht eine andere Zukunft: Die Gegenwart des Abwesenden.

dérive, Mo., 2013.08.26



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dérive 52 Sampler

17. Januar 2012André Krammer
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Visionäre Pragmatik

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er...

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er...

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er entstammte der Wiener Städtebauschule, studierte in Wien bei Karl Mayreder, einem Zeitgenossen Otto Wagners, und beteiligte sich nach seiner Rückkehr 1948 bis zu seinem Tod 1960 am Wiederaufbau Wiens.

Trotzdem schien Brunner lange Zeit hierzulande in Vergessenheit geraten. Andreas Hofer, der am Städtebauinstitut der TU Wien lehrt, hat nun einen „Zwischenbericht“ zu seinen langjährigen Forschungen zu Karl Brunner und dem Einfluss des europäischen Städtebaus auf Lateinamerika im Allgemeinen in Buchform herausgebracht.

Eine chilenische Delegation, bestehend aus fortschrittlichen KünstlerInnen und PlanerInnen, war Ende der 1920er Jahre auf den Wiener Städtebauer Brunner aufmerksam geworden. 1929 wurde er in Santiago de Chile zum städtebaulichen Berater der Regierung berufen und beeinflusste in den kommenden Jahren in höchsten Planungsämtern insbesondere die städtebauliche Entwicklung von Santiago, Bogotá und Panama-Stadt, aber auch zahlreiche Entwicklungskonzepte von Provinzstädten in Chile, Kolumbien und Panama. Andreas Hofer zeichnet in seinem Buch das fachliche Profil des Städtebauers Brunner nach und setzt die Einzelperson in Beziehung zum historischen Kontext, insbesondere zur architektonischen Moderne. Mit dieser teilte Brunner das Interesse an sozialreformerischen Konzepten, begegnete aber wesentlichen Paradigmen der „Funktionalen Stadt“, wie sie in der Charta von Athen propagiert worden war, mit Kritik. Brunner war beeinflusst vom sozialen Wohnbau des Roten Wien, kombinierte funktionale Fragen aber immer mit einer akribischen Analyse des Status Quo vor Ort. Den Planungen gingen detaillierte Analysen der existierenden Stadt voraus. Er analysierte die Wohndichte –die EinwohnerInnenzahl bezogen auf die bebaute Fläche –, setzte Luftaufnahmen als Analyseinstrument ein, ließ Verkehrszählungen durchführen und distanzierte sich von den Stadtvisionen, die auf Kahlschlag und einer „tabula rasa“ beruhten. Er konzipierte pragmatische Strategien auf der Ebene der Stadterneuerung und Stadterweiterung, und statt einem radikalen Kahlschlag setzte er auf durchdachte partielle Eingriffe im Stadtgefüge.

Le Corbusiers Stadtvisionen betrachtete er als einen Kniefall vor dem Individualverkehr, während Brunner selbst die Wichtigkeit des öffentlichen Verkehrssystems betonte und einen Baustopp in Quartieren durchsetzen ließ, die öffentlich nicht erschlossen waren. In seinen Stadtentwicklungsplänen finden sich dezidiert gemischte Zonen, die eine funktionale Trennung konterkarieren. Interessanterweise mussten Karl Brunners Konzepte in seiner Zeit unmodern und traditionell wirken, heute aber wirken seine Strategien überraschend zeitgemäß. Seine reformistische Auseinandersetzung mit der Stadt wurde in späteren Jahren durch morphologische Untersuchungen ergänzt. Brunner kritisierte die vorherrschenden Rastergrundrisse der lateinamerikanischen Städte, da sie aus seiner Sicht eine Abstraktion waren, die nicht zuletzt topografische Gegebenheiten eines Kontextes negierten. Brunner setzte – wie Andreas Hofer betont – den vorgefertigten Modellen, die viele EuropäerInnen nach Südamerika zu exportieren trachteten, eine beweglichere Städtebaupraxis entgegen, geprägt von „trial and error“, Empirie sowie Adaptions- und Lernfähigkeit. Karl Brunner wäre in diesem Sinn als spätmoderner Vordenker zu entdecken. Seine Vernetzung von Städtebau, Politik und Volkswirtschaft, die Integration sozialwissenschaftlicher Parameter und der Kulturwissenschaft in die Planung, seine Kritik an einer profitorientierten Wohnbaupraxis sind Bausteine eines integrativen Städtebaus, dessen Grundsätze auch heute noch relevant erscheinen.

dérive, Di., 2012.01.17



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dérive 46 Vom Superblock zur Überstadt. Das Modell Wiener Wohnbau

26. September 2010André Krammer
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Von der Allmacht zur Kooperation

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren...

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren...

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren Disziplinen. Landschafts-
architekten entwerfen neue Stadtteile, Architekten recherchieren Sozialdaten und betreiben urbanistische Studien, Stadtplaner entwerfen urbane Events. Auch Literaturwissenschaftler schreiben über Raumtheorien, die Urbanistik wird zum Thema der großen zeitgenössischen Kunstausstellungen. Research by Design versucht Forschung und Entwerfen wieder fruchtbar zu verknüpfen. Architektur wird als die Kunst, Raum zu artikulieren (Eco, 1968) in der Urbanistik wieder aktuell. Die Kultur des Raumes wird wieder als entscheidend für die Kultur der Städte angesehen.«
Sophie Wolfrum, 2008


Von der Allmacht zur Ohnmacht

Einst sollte die neue funktionelle Stadt, wie sie die modernistischen ArchitektInnen der Congrés Internationaux d’Architecture Moderne (1928 – 1959) konzipierten, nicht nur wieder Ordnung in den chaotisch wuchernden Agglomerationen des Industriezeitalters etablieren, sondern auch unausweichlich zu einer besseren Gesellschaft führen. Der Städtebau wurde zur Königsdisziplin erklärt, zur Universalmedizin, die dem kranken Stadt- und Sozialkörper wieder auf die Beine helfen sollte. Le Corbusier hielt in den 30er Jahren die Architektur für das geeignete Instrument, um eine bessere räumliche und gesellschaftliche Ordnung herzustellen. Das neue städtebauliche System, die strahlende Stadt der Moderne sollte die Gesellschaft reformieren und auf diese Weise sogar mithelfen, Revolutionen zu vermeiden.

Wir haben uns längst von dieser Utopie verabschiedet, beziehungsweise haben wir auch den ihr innewohnenden dystopischen Charakter erkannt. Der Traum vom universalistischen Zugriff auf die Stadt und die Allmächtigkeit des Plans ist geplatzt und hat einer Vielstimmigkeit der städtebaulichen Konzeptionen Platz gemacht. Der Städtebau ist in die zweite Reihe zurückgetreten und definiert seine Position angesichts der Unübersichtlichkeit der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kräfte, die gegenwärtig die Stadtentwicklung vorantreiben, neu. Strategische Allianzen mit benachbarten Disziplinen drängen sich auf, will man auch zukünftig eine gewichtige und keine marginale Rolle spielen.

Innerhalb der Disziplin Städtebau herrscht in Hinblick auf die Frage, was zu tun wäre, um wieder eine entscheidende Rolle in der Raumproduktion zu spielen, bestenfalls Uneinigkeit. Heute, da wir mit wohligem Schauer zusehen, wie vorgeblich unkontrollierbare globale Kraftfelder die Städte auf den Kopf stellen, haben sich die einen längst vom Traum der Allmacht verabschiedet und gelernt, die Schwäche als Chance zu sehen, während andere dem Phantomschmerz mit Nostalgie und Eskapismus begegnen und Rekonstruktionen alter Stadtmodelle wiederzubeleben suchen und allzu oft nur potemkinsche Dörfer errichten. Jenen, die sich der Tradition der Avantgarde verpflichtet fühlen, erscheint nach dem »Ende der großen Erzählungen« (Jean-François Lyotard), also auch nach dem »Ende der großen Projekte«, das Fragmentarische im dialektischen Kurzschluss als das neue Ganze. Die formalistische Avantgarde setzt nach wie vor auf das autonome Objekt.

In den letzten Jahren hat eine Hinwendung zur informellen Stadt der Armenviertel stattgefunden, die die Ränder der global cities dominieren. Die Favela entzieht sich als räumliches und legistisches System dem Zugriff klassischer Instrumente der Planung. Sie entsteht bottom up. In der Faszination, die informelle Strukturen ausüben, liegt nicht zuletzt das Bedürfnis, das Instrumentarium des traditionellen Städtebaus und die Steuerung der Stadt top down zu hinterfragen. Die Tätigkeit der Entwicklungshilfe, die meist in der Bereitstellung von dringend benötigter Infrastruktur besteht, wird vom Wunsch begleitet, von Formen der Selbstorganisation zu lernen und diese in abgewandelter Form in die eigene Praxis zu integrieren – Import-Export. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass man einer Ästhetisierung der Armut Vorschub leistet und ökonomische und machtpolitische Hintergründe zugunsten eines romantisierenden Blicks von außen ausblendet. Nichts ist gänzlich umsonst.

Die neue Rolle zwischen Plan und Wirklichkeit und die Macht der Bilder

Die vielen »Learning from …« verweisen unter anderem im positiven Sinn darauf, dass, da keine Disziplin das Primat in der Herstellung und Erforschung von Stadt für sich allein beanspruchen kann, auch der Städtebau sich zunehmend als ein Player unter anderen versteht. Die Dialektik des Lernens von der Wirklichkeit und der Transformation von Wirklichkeit kann auch als ein fruchtbares Zusammenspiel von Hermeneutik (Verstehen und Lernen) und Handeln (Vita activa) angesehen werden. Die Grenzen der eigenen Disziplin müssen nicht mehr schamhaft verborgen werden, sondern können auch als Potenzial begriffen werden. Die Geschwindigkeit der Stadtentwicklung im »Zeitalter der Städte« erzwingt eine Öffnung der Disziplin, will man sich nicht mit Scheingefechten im Elfenbeinturm zufriedengeben. Es mutet ja auch seltsam an, hinter verschlossenen Türen fröhlich über die »gute Stadt« zu debattieren – nebenbei ohne wirkliche Chance auf Einigung – während draußen vor der Tür Stadtregionen unter rasant steigenden Urbanisierungsraten geradezu explodieren, andere Städte wiederum implodieren und schrumpfen, um das Bild dezent zuzuspitzen. Es bedarf zunehmend eines strategischen Denkens und Handelns, neuer kommunikativer Skills und auch neuer kollektiver Anstrengungen, um sich auf der stadt- und regionalpolitischen Ebene Gehör zu verschaffen. Die traditionelle Fixierung des Städtebaus auf einen idealisierten Endzustand spielt dabei eine immer geringere Rolle. Die Projektbegleitung und Qualitätssicherung während der Realisierungsphase hat in jenem Maß an Bedeutung gewonnen, als sich die Kluft zwischen Plan und realer Entwicklung ausgeweitet hat. Vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein Projekt, einen Plan, eine Strategie. Die »eigenschaftslose Stadt« (Rem Koolhaas), die Endless City der Suburbia verzichtet ja weitgehend auf Planung. Der Planer, die Planerin übernimmt heute im Idealfall neben den klassischen Aufgaben der Planung auch die Rolle des Moderators und der Dramaturgin, aufgrund der spezifischen Raum-(strategischen) Kompetenz und der integrativen Funktion der Formgebung, die der Städtebau einbringen kann.

Allerdings ist das Phänomen der longue durée, das Nachwirken von alten Strukturen unter der Oberfläche des Neuen, nicht zu vernachlässigen. Während einerseits die PlanerInnen aus guten Gründen nicht mehr einfach ausschließlich als »Herren und Damen der Pläne« und als SchöpferInnen großartiger Panoramabilder auftreten können, ist gleichzeitig feststellbar, dass gerade heute wieder allzu eingängige Bilder zukünftiger Projekte Hochkonjunktur haben. Auch in Wien setzt die Politik gerne auf die Stadtvision als großes Gemälde, etwa auf die etwas autistisch anmutende Seestadt mit zentraler Wasserskulptur. Einprägsame Bilder und Labels sind verführerischer und leichter vermarktbar als ein schwer vermittelbares Konzept einer prozessualen Planung und Umsetzung, die nicht primär über Bilder funktioniert, sondern notwendige Leerstellen belässt, um auf künftige Entwicklungen reagieren zu können. Die Einbettung der Seestadt in ihr Umfeld bleibt da auf der Strecke. Die Dominanz der Bilderwelt degradiert die Stadt zur Bühne und Marketingfläche. Unter diesen Vorzeichen ist der Städtebau gefährdet, zu einer postmodernen Übung in Simulation zu verkommen. Wo primär Bilder reproduziert werden und die Alltagskultur ausgeblendet wird, entstehen Retorten. Am Berliner Potsdamer Platz treten die herbeigesehnten Flaneure höchstens in Form von Hologrammen auf. Die mittelalterliche Stadt, die wir im Urlaub aufsuchen, ist nicht das Produkt eines ästhetischen Programms, sondern die Manifestation der spezifischen Gesellschafts- und Wirtschaftsform des Feudalismus. Der Städtebau ist schon deshalb keine Bilderfabrik, da die Arbeit am städtebaulichen Plan keine direkte Arbeit am Objekt ist. Ein Maler oder Bildhauer bearbeitet sein Medium direkt, die ArchitektInnen und PlanerInnen bedienen sich eines Instrumentariums, wie Pläne, Regelsysteme etc., die der Materialisierung vorgeschaltet sind. Zwischen Plan und Wirklichkeit besteht a priori eine Differenz.

Universeller Partikularismus: Endlose Interieurs und die Wiederentdeckung der Infrastruktur

Welche Gefahren bergen der Partikularismus und die pluralistische Perspektive auf die Stadt, die den Universalismus abgelöst haben? Die Stadt, die aus divergierenden Einzelinteressen zusammengesetzt wird, gerät leicht zum Patchwork, das kein kongruentes Ganzes mehr ausbildet, sondern sich zunehmend als Ideensammlung ohne Zusammenhang präsentiert. Auch der urbanistische Diskurs spiegelt einen Zustand der Fragmentierung wider. Forschungsprojekte, Informationen, Datenbanken und Publikationen sind weit gestreut und werden nur selten (interdisziplinär) in Beziehung gesetzt. Im Städtebau und der Städtebauforschung führte dieser Umstand zu einer intensivierten Beschäftigung mit klein- und großmaßstäblichen Infrastrukturen, die die Hardware der Raumentwicklung ausbilden und in der Lage sind, die Stadtpartikel wieder zusammenzubinden. Wie der Stadtgrundriss, der die historischen Relationen der Stadt überliefert, bilden diese die Grundlage für das Funktionieren der Stadt aus. Auch scheinbar banale und große Programme wie Einkaufzentren oder Freizeitkomplexe werden wieder in die avancierte Theorie und Praxis inkludiert. Expandierende Indoor-Welten prägen immer mehr die urbane Landschaft. Diese Interieurs konkurrieren mit dem klassischen öffentlichen Raum, der im Zentrum der städtebaulichen Kunst steht. Das Verhältnis zwischen Innen und Außen hat sich nachhaltig verschoben, die Quantität der Außenhülle nimmt proportional mit der Zunahme der Indoor-Fläche ab. Hatte die Erfindung des Aufzugs durch Otis eine neue Morphologie der Städte ermöglicht, so generiert das Air-Conditioning eine neue Kultur der Fläche. Neue mediale Kommunikationsformen, die das Internet ermöglicht, gehen mit Raumstrukturen neuartige Kombinationen ein. In den jüngsten Protesten in Teheran 
spielte der mediale Raum (Twitter, Blogs etc.) eine dem Stadtraum zumindest gleichwertige Rolle.

Die Krise und das Zeitfenster

Die jüngste Finanzkrise, insbesondere das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase, das zum Symbol für eine fehlgeleitete Raumpolitik avanciert ist, hat auch Risse in der Legitimation der unternehmerischen Stadt hinterlassen. Die Konzeption einer Stadt, die sich nach Marktgesetzen selbst generiert, darf wieder laut hinterfragt werden. Der Leerraum, den der jüngste Crash hinterlassen hat, wäre in einen Freiraum für Ideen und Konzepte umzudeuten. Auch Wien ist eine Stadt, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder maßgeblich transformiert hat. Die Gründerzeit, Otto Wagners infrastrukturelle Erneuerungen oder die Wohnbaupolitik des Roten Wien prägen die Stadt bis heute. Es gäbe also eine Tradition von mutigen und visionären städtebaulichen Ideen und Konzepten, an die man anknüpfen könnte.

Der Städtebau in der Forschungslandschaft

Wie sieht es mit dem Verhältnis zwischen Stadtforschung und Städtebau aus? Sicherlich können andere Forschungsfelder, insbesondere die Stadtforschung, nicht als Pool fungieren, aus dem der Städtebau allzu leichtfertig Legitimation für seine Konzepte bezieht. Ein Auftritt im Gewand des Soziologen, des Philosophen oder des Psychoanalytikers etc. wäre ein bereits überwunden geglaubter Anachronismus. Der Glaube an die Möglichkeit einer Ableitung der Stadt von morgen aus statistischen Kennzahlen ist (glücklicherweise) längst aufgegeben. Und dennoch ist der städtebauliche Entwurf auch in der postheroischen Zeit, ob bewusst oder unbewusst, immer ein Weltentwurf in Miniatur, eine Stellungnahme, die auf die weltanschauliche Position eines Autors, einer AutorIn oder von AutorInnen verweist.

Der Städtebau agiert zwangsläufig auch auf einer sozialen, politischen und sprachlichen Ebene und berührt somit auch andere Forschungsbereiche und Praktiken. Er agiert in Theorie und Praxis inmitten der Gesellschaft. Genau darin liegt nach wie vor die Faszination dieser Disziplin. Sie stellt unweigerlich große Fragen. Der Stadtentwurf weist immer auch über die Grenzen der Disziplin hinaus. Etwa die Frage, was unter Urbanität zu verstehen und wie diese zu konzipieren und in Realität umzusetzen wäre, lässt sich nur im interdisziplinären Dialog aushandeln. Neue ökologische Herausforderungen, sich verändernde Arbeitswelten oder neue Migrationsbewegungen wirken sich direkt auf die urbane Gegenwart und somit auf die künftige Konzeption von Stadt aus. Die neue Rolle des Städtebaus verlangt nach einer interdisziplinären Offenheit und Kooperationsbereitschaft, um auf der Höhe der Zeit agieren und der Dynamik der Stadtentwicklung gerecht werden zu können. Multiperspektivität ist so gesehen eine Chance und ermöglicht erst den kritischen Diskurs. Dialog und Kooperation bedeuten nicht zwangsweise die Aufkündigung jeder Differenz, die Auflösung der Kompetenzen der Einzeldisziplinen und den Eintritt in einen lähmenden Konsens. Nachdem es das eine, heilbringende System nicht gibt, kann die Zukunft der Stadt nur kollektiv ausgehandelt werden. Dazu müssen die Einzelakteure vom Sockel steigen, den Elfenbeinturm verlassen, in die Stadt hinaus gehen, sich auf dérives im Raum und in der Theorie einlassen – auch wenn damit eine Ambivalenz zwischen Faszination und Kritik verbunden ist, die schon Walter Benjamins Denken angesichts der modernen Metropole bestimmte. Der amerikanische Architektur- und Systemtheoretiker Christopher Alexander propagiert eine Stadt, die sich aus komplexen Überschneidungen von Aktivitäten im Raum generiert. Das Gleiche kann und sollte man für den interdisziplinären Stadt-Diskurs einfordern.

Die Städtebaulehre zwischen Lehrbuch und Kompetenzvermittlung

Die Städtebaulehre ist in vielen Ländern wie auch in Österreich Teil der Architekturausbildung und wird im Studienplan hinsichtlich des angebotenen Lehrumfangs geradezu stiefmütterlich behandelt. Das hängt auch damit zusammen, dass die ArchitektInnen und StädtebauerInnen traditionell in Personalunion auftreten, obwohl die beiden Tätigkeiten zumindest teilweise gänzlich unterschiedliche Anforderungen stellen und der Städtebau keinesfalls nur als Anhängsel der Architektur betrachtet werden kann. Städtebau ist nicht einfach »Architektur in einem größeren Maßstab«. Rem Koolhaas hat in diesem Zusammenhang gar einmal von Schizophrenie gesprochen, die vonnöten wäre, um simultan als Architekt und Städtebauer zu arbeiten. Während ein architektonisches Projekt vom Entwurfsgedanken bis zur Schlüsselübergabe in Form einer fortschreitenden Präzisierung abgewickelt wird, operiert der städtebauliche Entwurf mit Simulation und einer notwendigen Unschärfe, da er nur das Rahmenwerk, nicht aber die detaillierte Ausführung der Einzelobjekte definiert und Entwicklungen in langen Zeiträumen, oft viele Jahre bis Jahrzehnte, antizipieren muss. Während ein architektonisches Objekt perfektioniert werden kann, ist das städtebauliche Objekt mit Fehlern, Missverständnissen, Unzulänglichkeiten und Unkontrollierbarem konfrontiert. Eine geglückte Entwicklung emanzipiert sich oft vom zugrunde liegenden Masterplan in Form einer Neuinterpretation und profitiert doch vom Rahmenwerk. In der Städtebaulehre sollte die Diskrepanz zwischen Plan und Wirklichkeit thematisiert werden und die Frage gestellt werden: Was kann Planung heute leisten, was muss sie definieren und festhalten und was darf und muss sie offen lassen? Städtebau ist ein Training im dialektischen Denken. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen in der Analyse die Wirklichkeit und der Kontext gefiltert, abstrahiert und repräsentiert werden. Die Lehre muss – in kurzer Zeit – ein objektivierbares Wissen (wie wird ein städtebauliches Projekt entwickelt, argumentiert und repräsentiert) und (intellektuelle) Kompetenzen vermitteln, die immer wichtiger werden, um später in Diskurs und Praxis bestehen zu können. Diese Kompetenzen sind auch die Voraussetzung dafür, in den interdisziplinären Dialog eintreten zu können. StudentInnen bringen glücklicherweise geradezu ideale Vorraussetzung mit: Sie sind per se aufgrund ihrer Lebensphase intensive und kompetente StadtnutzerInnen, sind geübt in der Fähigkeit Stadt zu lesen, sind offen für die Auseinandersetzung mit urbanen Phänomenen und bringen somit die beste Voraussetzung mit, Stadt zu gestalten. Die Kompetenz, sich auf einer diskursiven Ebene in Form kommunikativen Handelns mit städtebaulichen Fragestellungen auseinanderzusetzen, wäre schon die ideale Voraussetzung, sich auch in der Welt der Stadtforschung zurechtzufinden.

Anmerkungen zu ausgewählten Beiträgen dieser Ausgabe

Diese Jubiläumsausgabe versammelt interessante Stimmen, die sich gegenwärtig mit aktuellen urbanistischen Fragestellungen auseinandersetzen, die auch für den städtebaulichen Diskurs von Bedeutung sind. Auf vier davon möchte ich besonders hinweisen.
Der Architektur- und Stadtforscher Eyal Weizman berichtet von jenem Mord im Junkspace (Assassination in Junkspace), der gerade noch die Medien beschäftigte. Am 19. Jänner 2010 wurde in Dubai das Hamasmitglied Mahmoud al Mabhouh – wahrscheinlich von Mossad-Agenten – ermordet. Zahllose Sicherheitskameras zeichneten Fragmente dieses Vorgangs in einer Serie von Innenräumen auf, die kein Außen zu haben scheinen. Die Videos kursierten bald darauf im Internet. Eyal Weizman nimmt dieses Ereignis zum Anlass, die machtpolitischen Implikationen dieser überwachten Räume (Flughafen, Luxushotel, Shopping-Mall) zu hinterfragen.
Der Stadtforscher Stephan Lanz berichtet von einem gerade anlaufenden, groß angelegten Forschungsprojekt, das sich dem Verhältnis zwischen dem Städtischen und dem Religiösen widmet. War man lange Zeit davon ausgegangen, dass der globale Urbanisierungsschub mit einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft einhergehen würde, so kann man gegenwärtig von einer Rückkehr des Religiösen in die Stadt sprechen. Stephan Lanz skizziert auf den Seiten 32ff. die Themen, Fragestellungen und Methoden, die dem aktuellen Forschungsprojekt Global Prayers: Ein transdisziplinäres Forschungs- und Kulturprojekt zugrunde liegen. In acht Städten wurden wissenschaftliche und künstlerische Fallstudien initiiert: Rio de Janeiro, Jarkata, Mumbai, Lagos, Beirut, Istanbul, London und Berlin.

Stefano Boeri, italienischer Architekt und Urbanist, steuert ein Manifest in einer an sich an Manifesten armen Zeit bei (Seite 143ff.). Arguments for a planetary garden ist ein Plädoyer für eine neue, nicht-anthropozentrische urbane Ethik, für eine neue Geographie des Urbanen, Ländlichen und Natürlichen, die den einzelnen Sphären wieder spezifische Qualitäten zurückgeben will und die Rückgewinnung des Einflusses auf (über)regionale Entwicklungen zum Ziel hat. Der Text ist im Rahmen der Entwicklung eines Konzepts für das Ausstellungsgelände der Weltausstellung 2015 in Mailand Feeding the planet, energy for life entstanden. Ein ökologischer Turn hätte das Potenzial, Stadt wieder vermehrt als ein Ergebnis kollektiver Anstrengung zu begreifen.
Die amerikanische Architektin und Urbanistin Keller Easterling erforscht seit Jahren das Verhältnis von Globalisierung zu Architektur und Stadt. Easterling spiegelt in ihren Essays, die eine hochkomplexe Sprache und thematische Dichte auszeichnet, die Transformationen globaler Räume wider und schafft so wie niemand sonst Sprachkunstwerke, die für sich stehen können und doch so viel über unsere Gegenwart zu erzählen wissen. Empfohlen sei auch Easterlings Essaysammlung Enduring innocence. Global architecture and its political masquerades, die 2005 bei MIT Press erschienen ist.

The Action is the Form in dieser dérive-Ausgabe ist ein Vorabdruck eines Essays, der 2011 veröffentlicht werden wird. Die Übersetzung, die wir zusätzlich in diesem Heft zum englischen Original abdrucken, ist eine Premiere im deutschen Sprachraum. Es ist unserem Wissen nach der erste Text von Keller Easterling, der ins Deutsche übersetzt wurde. Die Aktion ist die Form thematisiert die Disposition von Gegenständen, Gebäuden, Infrastrukturen und Technologien, als Akteure tätig zu werden, zu handeln und uns zu beeinflussen.

dérive, So., 2010.09.26



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dérive 40/41 Understanding Stadtforschung

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Presseschau 12

18. Oktober 2022André Krammer
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Das Leitbild der Polyzentralität. Eine kritische Evaluation

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen...

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen...

Die polyzentrale Stadt ist eines der Leitbilder – wie etwa auch jenes der Smart City –, das in den letzten Jahrzehnten auf Konferenzen und in Publikationen Karriere machte und seine Spuren in Stadtentwicklungsplänen vieler Städte hinterlassen hat. Primär handelt es sich um ein Modell, das ökonomisch auf Standortfragen ausgerichtet ist, aber in dessen Rahmen auch potentiell positive soziale Effekte verhandelt werden. Bereits in den 1960er Jahren starteten in europäischen Großstädten Versuche, der alten gewachsenen Stadt eine neue City gegenüberzustellen. Meist handelte es sich dabei um Büroviertel mit Zusatzfunktionen. La Defense in Paris kam eine (zweifelhafte) Vorbildwirkung zu. Wien zog mit der Wiener Donaucity Mitte der 1990er Jahre verspätet nach. Auch in Wien wird die Sinnhaftigkeit dieser zweiten City immer wieder in Frage gestellt, hat diese doch nie ganz das Image der Künstlichkeit und Retortenhaftigkeit ablegen können. Das Zweit-Zentrum schien vielerorts bald in einer allzu groben Dialektik festgefahren. Die polyzentrische Stadt ist auch der Versuch, eine stärker plurale und dynamische Entwicklung in den Blick zu nehmen.

Gegenwärtig wird das Konzept der Polyzentralität auf unterschiedliche Maßstäbe angewandt – auf Metropolregionen, die mehrere Städte umfassen, auf Städte und ihr Umland oder auf das engere Stadtgebiet. Dabei geht es immer um ein komplementäres Zusammenwirken einer gegebenen Anzahl zentraler Orte. Durch Kooperationen sollen nicht nur wirtschaftliche und soziale Synergien erzielt werden, von denen man sich in der globalen Konkurrenz Standortvorteile erhofft, sondern auch drängende Probleme – wie aktuell etwa Mobilitäts- und Klimafragen – die durch Zusammenarbeit der maßgeblichen Akteur:innen großräumlich verhandelt und gelöst werden können.

Vorbild Randstad

Seit den 1960er Jahren gilt die niederländische Städte­region Randstad als die archetypische polyzentrische Metropolis. Sie umfasst heute ca. 7.000 km² und zählt rund sieben Millionen Einwohner:innen. Im Verbund übernehmen die einzelnen Städte spezielle Aufgaben. Amsterdam etwa hat seinen Schwerpunkt im Bereich Wirtschaft und Finanzen, Den Haag in den Feldern Regierung und Verwaltung bzw. Internationale Gerichtsbarkeit, in Rotterdam sind der Hafen und die Logistik im Zentrum und Utrecht ist für Forschung und Entwicklung zuständig (Nadin, Zonneveld 2022). Befürworter:innen des Randstad-Verbunds heben die Komplementarität der maßgeblichen Städte hervor, die eine Effektivitätssteigerung mit sich bringe und Doppelgleisigkeiten vermeide. Kritiker:innen verweisen auf die geringe Alltagsmobilität zwischen den Kernzonen. Zef Hemel von der Amsterdamer Stadtplanung spricht in diesem Zusammenhang gar von einem »Mythos Randstad« (ebd.). Ähnliche Diskussionen begleiten auch andere Agglomerationen wie etwa das Deutsche Ruhrgebiet. In der polyzentral ausgerichteten Randstad, für die es einen übergeordneten Raumplan und ein einheitliches Fördersystem gibt, geht die Kooperation über Fragen der wirtschaftlichen Prosperität und der Siedlungsentwicklung hinaus. Auch wird zumindest versucht, Maßnahmen gegen den Klimawandel weitgehend abzustimmen, den Kampf gegen das Hochwasser zu koordinieren und die soziale Durchlässigkeit und Mobilität zu erhöhen.

Multizentrale Konzepte der Stadtplanung

Schon das rasante Städtewachstum im Rahmen der Industrialisierung ließ monozentrale Stadtstrukturen auf Grund der oft enormen Distanz zwischen der Kernstadt und ihren flächenmäßig explodierenden Randzonen zunehmend als defizitär erscheinen. Das radikalste Gegenmodell war die Gartenstadt, deren Konzept Ebenezer Howard 1902 vorstellte. 
Eine zentrale Gartenstadt wird ab einer festgelegten Wachstumsgrenze durch Töchterstädte ergänzt, die mit der Mutterstadt in einer symbiotischen Beziehung stehen. Die Bevölkerungszahl, die territoriale Ausdehnung und das Verhältnis privater wie öffentlicher Räume ist hier mathematisch kalkuliert und kalibriert. Die landwirtschaftlich genutzten Flächen, die zur Versorgung der Garden Cities of Tomorrow gebraucht werden, sind sichergestellt. Die Reform existierender Städte, die nach Vorbild des Gartenstadtmodells reformiert werden sollten, war ein komplexes Verfahren. Oft sind nur Tochter- und Satellitenstädte von der Utopie übriggeblieben. Die Konzeption des Stadtarchipels von Oswald Maria Ungers und Rem Koolhaas von 1977 (Hertwek & Marot 2013) imaginierte Berlin als shrinking city, in der die Natur sich die Stadt rückerobert und nur eine Sammlung urbaner Fragmente zurücklässt, die in eine neuartige Interaktion treten sollen.

Mit der Netzstadt propagierten Peter Baccini und Franz Oswald (Baccini & Oswald 1999) eine Analyse und Planung netzförmiger urbaner Systeme, die sich nicht mehr hierarchisch in Zentrum und Peripherie gliedern lassen, sondern komplexe Gebilde darstellen, ähnlich Ökosystemen (ebd., S. 48). Eine einfache wie bestechende Vision stellt Yona Friedmans Continent City Europa dar. Darin verbindet ein Netzwerk aus Schnellzügen – ein Interrailsystem – alle europäischen Haupt- und Großstädte zu einer kontinentalen Metropolregion.

Aktueller Diskurs

Im aktuellen Diskurs zur polyzentralen Raumentwicklung dominieren heute noch immer wirtschaftliche Gesichtspunkte (Wertschöpfung) und Ansätze einer effizienten Verteilung von Versorgungseinrichtungen und sozialer Infrastruktur. Welche Vorteile bietet die polyzentrale Stadt bzw. Stadtregion aber ihren Bewohner:innen? Wird das »multioptionale« Angebot von Arbeitsplätzen, Wohnorten und Freizeitangeboten genutzt (vgl. Kühl, Wörmer 2012) oder bleibt die gewünschte Mobilität und soziale Durchlässigkeit eingeschränkt? Urbanität und eine Steigerung der Lebensqualität wird immer wieder als Nebeneffekt und Zielsetzung einer funktionalen Verdichtung an einzelnen Standorten beschworen. Die Verwaltungsfrage wird breit diskutiert – so wird etwa die räumlich gefasste, stark institutionalisierte Region einem vergleichsweise losen Patchwork, in dem inhalts- und akteursbezogen kooperiert wird, gegenübergestellt (Growe et al. 2012). Polyzentrale Regionen können sich durch Kooperationen einzelner Akteur:innen, durch konkrete administrativ zusammengeschlossene Territorien konstituieren.

Auch die Hoffnung nach mehr Demokratie und Beteiligung wird mit der Polycentric City in Verbindung gebracht (King 2004). Eine Vermeidung von zentralisierten Entscheidungsstrukturen soll die lokale Kompetenz erhöhen und eine plural verwaltete Stadtlandschaft generieren. Liberale Verfechter:innen einer dezentralen Verwaltung sehen hier eine Fragmentierung der Entscheidungsstrukturen als Chance und setzen auf erhöhte soziale Mobilität (Aufstiegschancen) und Wahlfreiheit in Bezug auf Wohnort und Arbeitsstelle, während Vertreter:innen des Kommunitarismus geteilte Werte und Präferenz in den Vordergrund stellen (ebd.). Gesichert ist, dass heute die regionale Maßstabsebene vielerorts erhöhte ökonomische Bedeutung erlangt hat (ebd.).

Polyzentrales Territorium oder polyzentrales Netzwerk?

In Bezug auf die polyzentrische Region Ruhr in Nordrhein-Westfalen – die viele künftig zur Ruhrstadt bzw. zur 
Metropole Ruhr ausgebaut sehen wollen – wurde auf die bisherige Dominanz einer netzwerkartigen, auf die Kernzonen der beteiligten Städte fokussierte Kooperation verwiesen, unter Vernachlässigung der dazwischen liegenden, suburban geprägten Zonen (Growe et al. 2012). Das Ruhrgebiet wird von manchen eher als Agglomerationsraum mehrerer Städte beschrieben, der noch kein gemeinsamer Handlungsraum ist (ebd.). Temporäre Veranstaltungen wie die RUHR.2010 – Kulturhauptstadt Europas waren auch Versuche, eine verstärkte Kooperation anzustoßen.

Das polyzentrale System tendiert mancherorts zur Betonung der Zentren und zur Ausblendung der Zwischenzonen. Mit dem Schnellzug TGV kann man vom französischen Lille das Zentrum Londons in rund 80 Minuten erreichen. Zentren wachsen zusammen, die dazwischenliegende (Stadt-)Landschaft rückt in die Ferne, wird zum vom Zugfenster gerahmten Bild, wenn nicht gar Zerrbild.

Wien und die Bürde der Monozentralität

Wien war lange stadtstrukturell und funktional auf die ›Innere Stadt‹ ausgerichtet. Die ringförmig konzentrisch ausgerichteten Stadterweiterungen im 19. Jahrhundert, mit ins Zentrum zielenden Radialstraßen, die stark ausgeprägte Raumhierarchie in der feudalistisch geprägten Stadt – Hofburg und Kirche im Zentrum, Palais des Hochadels im Anschluss, Arbeiterviertel in der Vorstadt – haben eine Monozentralität verfestigt, die bis ins republikanische Zeitalter, wenn auch unter anderen Vorzeichen in ihren Grundzügen erhalten geblieben ist. Berlin etwa weist aus den bekannten zeitgeschichtlichen Gründen ein Doppelzentrum auf (Ost, West), das als Chance begriffen wird und ist in seiner Flächenausdehnung – die zweifache von Wien – eher dafür prädestiniert, ein System emanzipierter Nebenzentren auszubilden. In Wien gab es in den letzten Jahrzehnten zahlreiche Versuche, Subzentren abseits der auf wirtschaftlicher, administrativer und kultureller Ebene so dominanten City zu etablieren. Stadtplaner Ronald Rainer propagierte bereits in seinem Planungskonzept für Wien 1962 eine polyzentrische Stadterweiterung. In Kagran, Liesing, Favoriten und in den Gebieten links der Donau sollten neue Zentren entstehen. Punkt 4 seiner 11 Grundsätze einer zukünftigen Stadtentwicklung Wiens befasst sich mit der Bildung neuer städtischer Zentren. In späteren Stadtentwicklungsplänen (STEPs) sollte dieser Aspekt aufgegriffen und weitergeführt werden. Der STEP 85 sah an Schnittstellen der wesent­lichen radialen Achsen, die durch öffentliche Verkehrsmittel – vorzugsweise die U-Bahn – geprägt waren, eine Reihe von neuen bzw. ›aufzuwertenden‹ Zentren vor. In den 1990er und 2000er Jahren wurde viel über neue urbane Zentren bzw. Town-in-Town-Konzepte diskutiert, die Zonen in den Blick nahmen, die sich durch eine Integration von Arbeitsplätzen, Wohnen, Versorgungseinrichtungen und Freizeitangeboten auszeichnen sollten und an das öffentliche Verkehrsnetz 
angeschlossen sind.

Wien polyzentral

In jüngster Zeit ist eine verstärkte Zuwendung zu einem polyzentralen Leitbild in Wien zu verzeichnen. Die Wiener Stadtplanung publizierte die Studie Wien polyzentral. Forschungsstudie zur Zentren-Entwicklung Wiens (2016) und das dem STEP 2025 beigestellte Fachkonzept Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrales Wien (2020). Auch im übergeordneten Stadtentwicklungsplan 2025 wird die Erweiterung von City-Bereichen (Zonen mit hochrangigen Büro- und Verwaltungsfunktionen, Universitäten, Handel, Kultur, Einkaufs- und Freizeitzone) in Bereiche einer Reihe zukünftig auszubauender Hauptzentren thematisiert und (vage) verortet sowie ein System von Stadtteilzentren und Subzentren – zum Teil basierend auf den alten Ortskernen der Vorstädte – skizziert. Die Zentren sollen sich durch Multifunktionalität und Vielfalt auszeichnen (STEP 2025, S. 61). Versorgungs- und Konsumangebote, Begegnungs- und Austauschmöglichkeiten sollen idealerweise kombiniert werden (ebd., S. 60). Es wird auf die Immobilienprojekte verwiesen, die zur Attraktivierung des Stadtlebens beitragen sollen (ebd., S. 61). Wie eine übergeordnete Wertabschöpfung der ›unternehmerischen Stadt‹ der Allgemeinheit konkret zugutekommen kann, bleibt unklar.

Wien wird zudem in einer Metropolregion zwischen St. Pölten, Brünn, Bratislava, Györ und Wiener Neustadt (CENTROPE) verortet (ebd., S. 69). Damit werden allgemein »Wachstumschancen« verbunden (ebd.). Im aktuellen Fachkonzept Mittelpunkte des städtischen Lebens. Polyzentrales Wien wird die Schaffung und Stärkung zentraler Orte mit Fragen des Wirtschaftsstandorts, der Lebensqualität und dem Image der Stadt verbunden (Fachkonzept, S. 10). Wien soll als Standort für internationale Unternehmen und als Tourismusstadt gestärkt werden. Auffallend ist die Fixierung auf die Bereiche Handel und Versorgung, auch wenn immer wieder darüber hinausgehende soziale Aspekte wie der »freie Zugang & sozialer Raum für unterschiedliche NutzerInnengruppen« (ebd., S. 18) angesprochen werden. Der Suburbanisierungsprozess und die damit einhergehende Tendenz zum autozentrierten Einzelhandelszentrum sollen durch die Stärkung der Stadt- und Ortskerne konterkariert werden (ebd., S. 17). Es werden Ausschlusszonen für neue Einkaufszentren »auf der grünen Wiese« definiert (ebd., S. 83).

Wie sieht es aber mit den Mehrwerten einer gestärkten polyzentralen Struktur für eine emanzipierte, selbstbestimmte Stadtgesellschaft aus? Da bleibt das Fachkonzept vage und erinnert an eine Werbebroschüre, etwa wenn darauf verwiesen wird, dass »Initiativen zur Mitgestaltung des Grätzels zunehmen« (ebd., S. 23). Das Räumliche Leitbild – Polyzentrale Raumstruktur unterscheidet Metropolzentren (Innere Stadt, Mariahilfer Straße), von Hauptzentren (wie etwa die Wiedner Hauptstraße, das Zentrum Kagran, das Zentrum Floridsdorf), Quartierszentren bzw. zentralen Bereichen und neu im Entstehen begriffenen »Neuen Quartierszentren«. Der Seestadt Aspern als ausgewiesenes »Neues Hauptzentrum« kommt besondere Bedeutung zu. Die Konzeption der Seestadt – derzeit Europas größtes zusammenhängendes Stadtentwicklungsgebiet – als ›Stadt in der Stadt‹, wie sie auch im vorliegenden Fachkonzept beschrieben wird, setzt auf Urbanität in peripherer Lage. Die Distanz zur City wurde durch den U-Bahnanschluss reduziert (ca. 30 Minuten), aber die angestrebte Rolle als neues Zentrum für die Donaustadt und darüber hinaus wird die innerstädtische Satellitenstadt (ein Paradox) erst finden müssen.

Noch immer wird die Donau von vielen Wiener:innen als Barriere wahrgenommen, die ein Cis- von einem Transdanubien trennt. Die zahlreichen Zentren, Citys und Städte im Gebiet links der Donau geben ein urbanes Versprechen, das nur schwer einzulösen ist: Die Donau City, das Zentrum Donaustadt, die Frauen-Werk-Stadt, die Compact City, die Siemens City, nicht zuletzt die Seestadt Aspern markieren so mehr eine Distanz zur Inneren Stadt als dass sie eine Autonomie glaubhaft machen können.

Zentralität anders betrachtet

Zentralität wird in polyzentralen Konzepten – auch in Wien – primär wirtschaftlich und auf den Versorgungsaspekt (Handel, Dienstleistung, soziale Infrastruktur) fokussiert verstanden. Soziale Aspekte werden tendenziell als Nebeneffekte ins Treffen geführt. Oft ist da sehr vage von ›Urbanität‹ die Rede, die mit ›Zentralität‹ verbunden sei. Interessanterweise handelt es sich dabei um zwei Begriffe, die eine wichtige Rolle in der Tradition eines kritischen Urbanismus einnehmen, 
der auf den französischen Sozialtheoretiker Henri Lefebvre (1901–1991) zurückgeht. Lefebvre geht in seinem Werk von einer Kritik von allen Formen der Herrschaft im marktförmig strukturierten System aus und verbindet die Hoffnung auf eine selbstbestimmtere Gesellschaft insbesondere mit einer schrittweisen Revolution einer sich urbanisierenden Alltagskultur. ›Urbanität‹ im Sinne Lefebvres ist eine zukünftige Gesellschaft im Werden, die sich dadurch auszeichnet, dass differente Elemente der Gesellschaft zusammengeführt werden und miteinander in Austausch treten. Auf diese Weise soll der ›abstrakte Raum‹, der technokratisch von oben verwaltet wird, durch einen ›differentiellen Raum‹ abgelöst werden. Auch wenn Urbanität so verstanden theoretisch überall entstehen kann, kommt städtischer Zentralität, die sich oft durch soziale Dichte und das Nebeneinander von Gegensätzen auf engem Raum auszeichnet, eine besondere Bedeutung zu (vgl. Ronneberger 2015). Diese Zentralität, die auf soziales Leben und soziales Ausverhandeln von Differenzen und Konflikten ausgerichtet ist, unterscheidet sich grundlegend vom zentralen Kommerzraum der innerstädtischen City, die das Ergebnis einer zentral gelenkten Konsumgesellschaft ist (Vogelpohl 2011, Ronneberger 2012). Doch sind Städte für Lefebvre nicht ausschließlich abstrakter Raum bzw. hierarchisch organisierte Machtzentren, sondern auch Zentren des sozialen und politischen Lebens. Zentralität kann im Idealfall einen kreativen Überschuss generieren, der keine ökonomische Zielsetzung kennt. Zentralität kann auch als gesellschaftliche Ressource verstanden werden, wo Orte selbstbestimmt von den Vielen genutzt werden, in der Freizeit, im Rahmen von Festen oder für die Produktion von Wissen. Die Abnahme von Kontrolle und Normierung im Alltag ist Voraussetzung für eine steigende Selbstbestimmung der Stadtbewohner:innen (Ronneberger 2015, Vogenpohl 2011).

Andrej Holm und Dirk Gebhardt fassen den Zentralitätsbegriff bei Lefebvre folgendermaßen zusammen (Holm, Gebhard 2011): »Recht auf Zentralität, als den Zugang zu den Orten des gesellschaftlichen Reichtums, der städtischen Infrastruktur und des Wissens; und das Recht auf Differenz, das für eine Stadt als Ort des Zusammentreffens, des Sich-Erkennens und Anerkennens und der Auseinandersetzung steht […]. Es beschränkt sich nicht auf die konkrete Benutzung städtischer Räume, sondern umfasst ebenso den Zugang zu den politischen und strategischen Debatten über die künftigen Entwicklungspfade. Das Recht auf die Stadt orientiert sich an den utopischen Versprechungen des Städtischen und reklamiert ein Recht auf die schöpferischen Überschüsse des Urbanen.«

Emanzipatorisch ausgerichtete Bewegungen wie etwa die bereits global formierte Recht-auf-Stadt-Bewegung, die sich in ihre Forderung nach Teilhabe, Selbstbestimmung und Repolitisierung des urbanen Raums immer wieder auf Lefebvre bezieht, benötigen aber auch – wie der anvisierte Urbanisierungsprozess insgesamt – Orte und konkrete Räume, wo Teilhabe, Begegnung und Austausch außerhalb eine dominierenden Marktförmigkeit möglich ist.

Wien – Selbstermächtigung und Freiräume der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaftliches Engagement ist in einer fürsorglichen und manchmal auch paternalistisch verwalteten Stadt wie Wien keine Selbstverständlichkeit. Dennoch haben sich immer wieder von unten initiierte und manchmal auch erkämpfte Orte bzw. Zentren der weitgehend selbstverwalteten Alternativkultur herausgebildet, interessanterweise oft dort, wo Gebäudestrukturen aus der Produktionslogik herausgefallen sind. Das ehemalige Schlachthofgelände in Erdberg, das als Arena ab Anfang der 1970er Jahre Veranstaltungen der Alternativkultur (Theater, Konzerte) beherbergte, wurde Mitte der 1970er Jahre von engagierten Wiener:innen besetzt, nachdem Abrisspläne der Stadt publik geworden waren. Die Arena etablierte sich in Folge als Kulturzentrum im Bereich des sogenannten Inlandsschlachthofs. Auch das Werkstätten- und Kulturhaus – kurz WUK, ehemals Lokomotivfabrik und später Technologisches Gewerbemuseum, konnte Ende der 1970er Jahre auf Grund von Bürger*inneninitiativen für einen weitgehend selbstverwalteten und autonomen Kulturbetrieb bis heute erhalten werden. Das Amerlinghaus am Wiener Spittelberg wurde Mitte der 1970er Jahre besetzt, den Verwertungsbestrebungen der Stadt entzogen und ist bis heute ein für diverse zivilgesellschaftliche Initiativen offen gehaltener Ort.

Dass die Etablierung alternativ genutzter Räume in Wien nach wie vor auf Schwierigkeiten stoßen kann, zeigt etwa die Kontroverse um die Nordbahnhalle, eine vakant gewordene frühere Lagerhalle auf einem Gelände der Österreichischen Bundesbahnen, die temporär von der Technischen Universität Wien und einer Reihe von lokalen Initiativen als Gemeinschafts- und Kulturzentrum genutzt wurde. Eine Zusage zu Erhalt und Weiternutzung seitens der Stadt blieb aus. 2019 fiel die Halle während der Kampagne für ihren Erhalt einer Brandlegung zum Opfer. Die Hintergründe der Tat sind bis heute ungeklärt.

Kleinteilige Vernetzung auf Nachbarschaftsebene

In Wien werden die Pole der sozialen Betreuung und der sozialen Selbstbestimmung vielerorts immer wieder neu verhandelt. Ein Netzwerk an Nachbarschaftszentren soll am Gemeinwesen orientierte Aktivitäten, Austausch, aber auch lokale Sozial- und Gesundheitsbetreuung ermöglichen (Kirsch-Soriano da Silva & Rautner 2019). Oft basiert diese ›Soziale Arbeit‹ sowohl auf der Betreuung durch Institutionen wie der Wiener Caritas, den Wohnpartnern – diese leisten seit 2011 Gemeinwesenarbeit in Wiener Gemeindebauten – oder den Teams der Lokalen Agenda sowie auch auf Freiwilligenarbeit.
Ein jüngeres Beispiel ist das kooperative Stadtteilzentrum Herbststraße 15 das von verschiedenen sozialen Einrichtungen ins Leben gerufen wurde. Sogenannte ehrenamtlich engagierte Grätzel-Eltern, die aus unterschiedlichen Communitys stammen und in insgesamt 25 Sprachen kommunizieren, versorgen neu zugewanderte Personen im Quartier mit dringend benötigtem Wissen (ebd.).

Gleichzeitig werden u. a. Sprach-, Computer-, Theater- und Tanzkurse angeboten. Dabei wird der Gehsteig- bzw. Straßenraum temporär bespielt, auch um Sichtbarkeit zu erzeugen. Katharina Kirsch-Soriano da Silva und Florian Rautner weisen in ihrer Zwischenbilanz darauf hin, dass die Herstellung einer Gleichberechtigung der beteiligten Akteur:innen eine große Herausforderung darstellt und auch von Konflikten geprägt ist, die nur durch eine übergeordnete Organisationsstruktur im verträglichen Rahmen gehalten werden kann. Auch hier wird das Spannungsfeld zwischen Betreuung auf der einen und Selbstbestimmung auf der anderen Seite wieder deutlich spürbar. Ein kleinteiliges Netzwerk dezentraler Orte der Zusammenkunft bleibt aber weiterhin ein anzustrebendes Ideal. Wien zeichnet unter anderem die Dichte seines öffentlichen Verkehrsnetzes aus. Das bietet nicht zuletzt die Chance zu Urbanität im Sinne Lefebvres an schier unzähligen Stellen.

Konzentration versus Verteilung

Stadt ist immer durch ein bestimmtes Verhältnis von Konzentration und Verteilung von Funktionen geprägt. Der Fallstrick eines betont polyzentralen Systems ist die Konzentration von Funktionen und Kapitaleinsatz an einigen wenigen hervorgehobenen Orten. Das kann auch zu einer Verarmung der unmittelbaren Umgebung etwa in punkto der Versorgungsstruktur führen. So betrachtet, kann es zu einem Energieverlust in der Fläche kommen, zu einer Art urbanem Vampirismus. Stadtplanerische Konzepte wie die gegenwärtige vielfach lancierte 15-Minuten-Stadt – die eine Erreichbarkeit wesentlicher Funktionen des Alltags in einer Gehdistanz von einer Viertelstunde propagiert – bedürfen eher einer Verteilung der urbanen Versorgungstruktur als deren Konzentration an ausgewiesenen Stellen. Der von Carlos Moreno und anderen beschworene ›Chronourbanismus‹ setzt auf kleinteilige lokale Produktion, lokale Konsumption einer flächendeckend gemischt genutzten Stadt (Allam, Moreno et al. 2021). Die Versorgung mit den wesentlichen Funktionen in unmittelbarer Nähe würde die Alltagswege entscheidend verkürzen und die motorisierte Mobilität stark reduzieren. Der gewonnene Straßenraum könnte stärker begrünt werden und so das Stadtklima positiv beeinflusst werden.

In gewisser Hinsicht ist die ›Polyzentrale Stadt‹ als ›Funktionale Stadt‹ jenseits einer Tabula-rasa-Doktrin zu verstehen. Da eine tiefgreifende und großflächige Transformation der Europäischen Stadt durch Kahlschläge glücklicherweise nicht mehr in Betracht gezogen wird, können nur ausgewählte Zonen nach Maßgabe aktueller funktionalistischer Konzepte entwickelt werden. Der propagierte Nutzungsmix der Orte mit Zentrumsfunktion ähnelt sich oft, sodass aus aller Buntheit nur derselbe Grauton entsteht und statt tatsächlicher Urbanität nur deren mattes Abbild entsteht.

Der Stadtplaner Vicente Guallart – von 2011–2015 als offizieller Chefarchitekt von Barcelona tätig – forderte in der Konferenz Drivers of a polycentric city model, veranstaltet vom Moskauer urban forum 2015 dazu auf, in der Stadtplanung immer auch vom Einzelnen, der Nachbarschaft, von den Fußgänger:innen auszugehen, im Sinne einer ›Stadt der kurzen Wege‹. Die einseitige Ausrichtung auf eine Reihe ausgewählter, von der Stadtplanung in den Fokus genommener Hauptzentren sei zu wenig, will man eine für das Gemeinwohl erstrebenswerte Metropolis of Neighbourhoods sicherstellen.

Andre Krammer ist Architekt und Urbanist in Wien. Er lehrt und forscht am Forschungsbereich Städtebau der Technischen Universität Wien.

dérive, Di., 2022.10.18



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dérive 89 polyzentral und ökosozial

30. April 2018André Krammer
Friedrich Hauer
dérive

Bidonvilles, Fischkistensiedlungen, Bretteldörfer

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen...

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen...

Die informelle Stadt ist in aller Munde. Gedacht wird dabei oft reflexartig an Favelas, Shantytowns, Barriadas – an die zahlreichen Slums des globalen Südens. Wir wollen mit dieser Ausgabe von dérive zeigen, dass informelle Siedlungen eine räumlich ausgreifende, bis heute vielfach präsente Realität der europäischen Stadt waren bzw. sind. Ihre Entwicklungsgeschichte ist in der Forschung unterrepräsentiert und tritt meist nur lokalhistorisch in Erscheinung. Dieser Umstand ist der sozialhistorischen wie urbanistischen Bedeutung informeller Siedlungen nicht angemessen.

Der vorliegende Schwerpunkt versammelt Anschauungsmaterial aus 100 Jahren informeller Stadtproduktion in Europa. Er beleuchtet neben ihren Ursachen verschiedene Formen des Umgangs mit dieser (wie Upgrading, Downgrading, Konsolidierungsprozesse, Räumungen etc.) und ihre Deutung. Der Fokus dieser Ausgabe von dérive liegt auf informellen Siedlungsstrukturen, die in Reaktion auf soziale und existentielle Not als Selbsthilfeprojekte entstanden sind. Es sind Entwicklungen, die weiter andauern: Roma-Siedlungen, Wagenplätze, Obdachlosigkeit oder informelle Flüchtlingslager existieren heute in Europa oft nur wenige Meter entfernt von Investorentürmen und den Quartieren der Wohlhabenden.

Auf die Vielschichtigkeit der Thematik ist dabei hinzuweisen: Informelle Raumproduktion kann auch von Partikularinteressen ökonomisch und sozial potenter AkteurInnen vorangetrieben werden – in Italien verdanken etwa unzählige Villen, Hotels und Spekulationsobjekte ihre Existenz der Abwesenheit einer gesellschaftlich als verbindlich angesehenen Raum- und Bauordnung.

Bretteldörfer – ein globales Phänomen zwischen Kritik und Romantisierung

Spätestens seit dem UN-Report The Challenge of Slums von 2003 wird Informalität nicht zuletzt als ein »Ausdruck struktureller Anpassungen an globale Marktkräfte« gesehen (Altvater 2005, S. 309). Die Zahlen der UN-Studie veranschaulichen, dass es sich bei der global rasch anwachsenden informellen Stadt an den Rändern der Metropolen keineswegs um eine vernachlässigbare Erscheinung handelt. 2003 lebte bereits jeder sechste Mensch weltweit – insgesamt eine Milliarde – in einer informellen Siedlung. Den US-amerikanischen Urbanisten Mike Davis motivierte der UN-Bericht zu vertiefenden Recherchen. In seinem Buch Planet of Slums (2006) belegt er Ausmaß und Zusammenhänge der weltweit rasant zunehmenden Elendsurbanisierung, insbesondere in den Metropolen des Südens. Davis sieht das Wachstum der informellen Stadt durch neoliberale Politik angestoßen – nicht zuletzt durch die berüchtigten IWF-Programme zur Strukturanpassung, die weite Bevölkerungsschichten ökonomisch und räumlich marginalisierten. Für viele, die massenhaft in die Städte strömen, wird die informelle Siedlung dabei von der Übergangs- zur Dauerlösung.

Neben der neomarxistischen Sichtweise Davis’, die den Planet der Slums als Krisensymptom des globalisierten Kapitalismus interpretiert, sind auch zahlreiche sich als pragmatisch verstehende Annäherungen an das Phänomen der informellen Raumproduktion zu verzeichnen. Diese eint die Vorstellung, das Informelle nach dem Motto Learning from... in zukünftige kapitalistische Stadtmodelle auf produktive Weise integrieren zu können. Prominente VertreterInnen dieses Ansatzes sind u.a. der holländische Stararchitekt Rem Koolhaas[1], der peruanische Ökonom Hernando de Soto[2] oder der britisch-kanadische Journalist Doug Saunders[3]. Der Selbstorganisation und der Improvisation wird dabei ein unternehmerisches Potenzial zugeschrieben, dass es mit dem neoliberalen Imperativ der Eigeninitiative kompatibel macht (Hagemann 2012, S. 76f.). Das Informelle wird zum »Experimentierfeld für die Untersuchung von Anpassungs- und Innovationsprozessen« erklärt (Brillembourg 2005, S. 302) bzw. en passant zur Keimzelle einer neuen »solidarischen Ökonomie« ausgerufen (Altvater 2005, S. 309).

Diese teils offen affirmativen Zugänge tendieren dazu, Armut zu ästhetisieren und so einer Slum-Faszination, einem Favela-Chic und einem überwunden geglaubten kolonialen Gestus zu unterliegen (Krasny 2012, S. 23; Hagemann 2012, S. 73). Dabei bleibt die Rezeption des Informellen meist selektiv und tendenziell phänomenologisch verkürzt. So kann etwa das – an sich durchaus berechtigte – akademische Interesse an Formen des Selbstbaus die Tatsache verdecken, dass informelle Siedlungen auch Ausdruck von globalen wie lokalen Machtstrukturen, Marginalisierung und Ausbeutung sind (Hagemann 2012, S. 73f.).

Auf der Berliner Weltkonferenz zur Zukunft der Städte URBAN 21 im Jahr 2000 wurden sogar bis dahin eher als ein Übel angesehene illegale Landbesetzungen als wirtschaftlicher Motor der Stadtentwicklung gefeiert (Becker 2003, S. 14) – und informelle Urbanisierung damit unter der Hand auch als eine Art Neoliberalismus von unten vereinnahmt.

Formell-informell

Die Stadtforscherin Anke Hagemann charakterisiert das Informelle als einen unscharfen, schillernden Sammelbegriff. Er leitet sich vom lateinischen informis ab, das übersetzt unförmig, formlos, aber auch unschön, hässlich, garstig bedeuten kann. Verschiedene, oft schwer voneinander zu trennende strukturalistische, ästhetische und moralische Perspektiven tönen da mit. Das Informelle beinhaltet immer eine Negation, bezieht sich stets auf etwas, das es selbst nicht ist.

Die informelle Stadt ist demnach nur in ihrem Verhältnis zur formalisierten, geordneten, konsolidierten Stadt verstehund analysierbar. Bei der formellen und der informellen Stadt handelt es sich allerdings keineswegs um parallele Welten, etwa eine produktive und eine parasitäre Sphäre oder eine normierte und eine ungezwungene Lebenswelt, sondern um ökonomisch und sozial vielfach miteinander verflochtene Strukturen (Becker 2003, S. 13). Der postmoderne Slum ist – wie schon sein viktorianischer Vorfahre – in ein übergeordnetes sozioökonomisches Gesamtsystem eingebettet, auf dessen innere Mechanismen und Widersprüche er bezogen bleibt. Die realen Lebensbedingungen in der informellen Stadt, die nicht selten von Kriminalität, Armut, Krankheit, Immobilienspekulation und Ausbeutung geprägt sind, dürfen dabei nicht ausgeblendet werden. Insbesondere auf den ersten Blick positive Maßnahmen der Aufwertung, der Formalisierung und der Legalisierung sollten jedoch immer auch in Hinblick auf inhärente repressive Agenden analysiert werden: Was wird gegen den Anschluss an das kommunale Wasser- und Stromnetz, gegen den formellen Status etc. eingetauscht? Und wer profitiert davon?

Heute kann das Formelle nicht mehr vereinfachend mit einer Top-down-Planung, das Informelle nicht mit einer Raumproduktion Bottom-Up gleichgesetzt werden. Das Primat des Ökonomischen, das die unternehmerische Stadt[4] (Harvey 1989, S. 3-17) der Gegenwart prägt, hat längst zu einer Erosion hoheitlicher Zugriffsmöglichkeiten auf die Raumproduktion geführt. Stadtentwicklung ist heute bekanntlich oft nur die Summe von Einzelinteressen am Markt Konkurrierender. Auch die deregulierte unternehmerische Stadt basiert somit auf einer Form der Informalisierung, doch wird diese nicht von unten und für alle, sondern privatwirtschaftlich von oben und sehr selektiv vorangetrieben.

Europäische Ursprünge

Die räumliche Entwicklung der europäischen Stadt ist von spezifischen Ausgrenzungsmustern geprägt. Das moderne Armenviertel war nicht zuletzt eine zwangsläufige Begleiterscheinung der industriellen Revolution. Die Schlammviertel (Spiller 1911/2008) begleiten die moderne Großstadt gleichsam als ihr langer Modernisierungsschatten. Die Augen des Bürgertums nahmen sie häufig als gefährlichen Stadtdschungel wahr und sie riefen früh SozialreformerInnen[5] auf den Plan. Die Armen galten als gefährliche, zu Kriminalität und Unmoral neigende Masse (Evans 1997, S. 99). Hier wurde eine Tradition mitbegründet, die in die Agenden der Moderne im 20. Jahrhundert eingehen und diese mitprägen sollte: Die Vorstellung einer kausalen Verknüpfung von Raumdisposition und sozialen Verhältnissen.

Selbst der revolutionär gesinnte Flügel der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung hatte allerdings seine Probleme mit dem inhomogenen Subproletariat, setzte man doch allein auf die Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt. So heißt es bereits bei Marx und Engels im Kommunistischen Manifest von 1848: »Das Lumpenproletariat, diese passive Verfaulung der untersten Schichten der alten Gesellschaft, wird durch eine proletarische Revolution stellenweise in die Bewegung hineingeschleudert, seiner ganzen Lebenslage nach wird es bereitwilliger sein, sich zu reaktionären Umtrieben erkaufen zu lassen.« (Marx, Engels 2007, S. 8)

Eine eigenwillige Verkehrung dieses Standpunkts findet sich 160 Jahre später bei dem Philosophen Slavoj Žižek, der die global wachsende Menge an SlumbewohnerInnen und Überflüssigen leichthin zum neuen, zukünftigen revolutionären Subjekt erklärt (Žižek 2009, S. 256f.). Das bedrohliche Pendant dazu bilden Szenarien und Planspiele zur counter-insurgency aus Militärkreisen, die sich gegen die potenziell gefährlichen »Armeen der Armen« richten (Davis 2006, S. 214). In derartigen Zuspitzungen ist nicht zuletzt die Warnung enthalten, dass Worte und ideologische Zuschreibungen jederzeit – wie in der Vergangenheit allzu oft – in nackte Gewalt umschlagen können.

Ein blinder Fleck?

In der bis heute wirksamen Erzählung, in der die europäische Stadt des 19. Jahrhunderts posthum zur keimfreien Idealwelt bürgerlicher Urbanität verklärt wird, ebenso wie in der Geschichte der funktionalen Stadt der klassischen Moderne gelten die Bretteldörfer und Barackensiedlungen eher als Störgeräusche. Dabei ist es auffällig, dass gerade die informellen Armensiedlungen als Zerrbild und Vorläuferinnen des z.B. von der Bauhaus-Avantgarde propagierten industriellen Wohnbaus gesehen werden können. Es waren die Elenden und Marginalisierten, die sich lange vor dem fordistischen Nachkriegsboom aus industriell gefertigten Massenprodukten wie Kanistern (frz.: bidon) und Fischkisten, Kohlewägen, ausrangierten Eisenbahnwaggons oder den Chassis von alten Autobussen ihre Unterkünfte bauten.

Auch der Topos der Siedlung selbst und die dort erprobte genossenschaftliche Organisation wurde zeitweise zu einem wichtigen, wenn auch ambivalenten Leitbild der architektonischen Moderne. Eine Aussage des sozialdemokratischen Wiener Ökonomen und Theoretikers Otto Neurath aus dem Jahr 1921 spricht das an: »Genossenschaftsleben hat zwei Verwandte: kleinbürgerliche Vereinsmeierei und Organisationstreiben breiter Massen. Es hängt von der geschichtlichen Lage ab, in welcher Richtung es sich entwickelt.« (Neurath, Arbeiter-Zeitung vom 20.11.1921, S. 7)

Die Gegenwart des Informellen in Europa

Die in den Nachkriegszeiten des 20. Jahrhunderts der Not entsprungenen ungeregelten Landnahmen, die nach wie vor oft informellen Siedlungen der Roma und Sinti (siehe dérive Nr. 64) sowie die bis heute existierenden französischen Bidonvilles (siehe den Artikel von Muriel Cohen & Marie-Claude Blanc-Chaléard auf S. 24) werden trotz ihrer Ausdehnung und Permanenz häufig immer noch als urbanistischer Nebenschauplatz gehandelt.

Anders stellt sich die Situation – wie bereits angedeutet – im südeuropäischen Kontext dar. Als Beispiel bietet sich Italien an, das mit mehr als 20 Millionen ohne Rücksicht auf Baugesetze und Raumordnung errichteten Objekten so etwas wie das Kernland des informellen Bauens unter den Industrienationen ist (vgl. Dominik Straub, Der Standard vom 3.9.2017)[6]. In manchen südlichen Regionen wie Kalabrien, Kampanien oder Sizilien wird der Anteil der illegalen Bauführungen gegenwärtig auf etwa ein Drittel geschätzt (Maura Salerno, Edilizia e Territorio vom 3.12.2015)[7], seit den 1980er Jahren gab es mehrere landesweite Generalamnestien für Bausünder. Auch wenn wir das komplexe Phänomen der italienischen case abusive hier nicht weiter thematisieren können, halten wir es für wichtig, auf den Fall hinzuweisen, weil es sich dabei seit Jahrzehnten um ein klassenübergreifendes Massenphänomen handelt. Durch die schiere Menge illegaler oder halblegaler Gebäude wird – falls existent – regelmäßig die Raumplanung unterlaufen, das Konzept der formellen Stadt relativiert und letztlich der bürgerliche Rechtsstaat in Frage gestellt. Da es sich nur in kleinen Teilen um Elendsurbanisierung handelt und es zudem regelmäßig um die Zersiedlung ökologisch sensibler und oft geschützter Gebiete und verbreitet um Immobilienspekulation geht (Biffi 2014)[8], erweist sich einmal mehr: Informell und Bottom-up sind weder gleichzusetzen noch a priori positive oder emanzipatorische Kategorien.

Dubravka Sekulić zeichnet in ihrem Artikel für diesen Schwerpunkt die Entwicklung illegaler Landnahme und Bautätigkeit an der Belgrader Peripherie nach. Im damaligen Jugoslawien setzten die wilden SiedlerInnen der sozialistischen Logik gemeinschaftlichen Eigentums und kommunaler Wohnraumversorgung – die in der ökonomischen Krise der 1970er und 80er Jahre nicht mehr Wohnraum für alle bereitstellen konnte – Eigeninitiative und die Logik einer privaten Raumproduktion entgegen, die auch als Vorläufer der späteren, marktförmigen Entwicklung angesehen werden kann.

In Mittel- und Nordeuropa stellt sich die europäische Stadt für ZuwanderInnen längst als eine Ankunftsstadt, eine weitere globale arrival city dar (Saunders 2013). Dort sind sie – meist in peripheren Zonen –, um ihr Überleben sichern zu können, weitgehend auf informelle räumliche und soziale Praktiken angewiesen. Informelle und halb-formelle Flüchtlingslager, wie sie sich etwa in Frankreich herausgebildet haben – bezeichnenderweise wurde das bekannteste von ihnen in post-viktorianischer Manier Calais Jungle benannt –, verweisen zudem auf die ungebrochene Aktualität des Themas. Zunehmend repressive Migrationsregime und Phantasmagorien einer räumlichen Ausgrenzung gigantischen Ausmaßes, wie sie sich im hermetischen Bild der Festung Europa manifestieren, können daran wenig ändern.

Informelle Stadtproduktion hat in der Vergangenheit entscheidend dazu beigetragen, Krisen- und Modernisierungsschübe zu bewältigen. Wie die Rezeption in neueren Arbeiten zu umkämpftem Grün und urban commons zeigt, besitzen die semi-subsistenten Modelle kollektiver Selbsthilfe in Wien nach 1918 noch immer eine gewisse Strahlkraft (Kumnig et al. 2017; Baldauf et al. 2016). Auch unser Beitrag für diesen Schwerpunkt zeigt: Das rote und das wilde Wien waren zwei Systeme, die nicht nur in der Zwischenkriegszeit ökonomisch und stadträumlich aufeinander bezogen waren. Die wilden Siedlungen in der Übergangszone zwischen Stadt und Land waren ein der Not entsprungenes Laboratorium einer neuartigen bukolischen Urbanität, die noch zu erforschen wäre. Auch die gegenwärtige, zunehmend globalisierte Recht-auf-Stadt-Bewegung kann von historischen Formen einer Stadt von unten etwas lernen und so die eigene Positionierung in der Geschichte sozial-räumlicher Selbstermächtigung und Emanzipation genauer verorten.[9]


Anmerkungen:

[01] Rem Koolhaas hat im Rahmen des Forschungsprojekts Harvard Project on the City die nigerianische Metropole Lagos untersucht, die besonders stark von informellem Wachstum geprägt ist. Seine neo-organizistische Perspektive vernachlässigt dabei – wie KritikerInnen anmerkten – die drückende Armut, Gewalt und infrastrukturelle Defizite, die in den informellen Armenvierteln der afrikanischen Metropole den Alltag prägen.
[02] Hernando de Soto ist ein peruanischer Ökonom, der mit seinen Arbeiten zur informellen Ökonomie bekannt wurde. De Soto betont die Bedeutung von Eigentumsrechten für wirtschaftliche Prosperität. Er hält die globalen SlumbewohnerInnen für TrägerInnen heute noch ungenutzten Reichtums. Zentral für De Soto ist mittelfristig die Schaffung von privaten Besitzrechten in Folge der zuerst informellen Landnahme. Er propagiert eine Revolution und eine Zukunft des Kapitalismus durch eine Marktwirtschaft von unten – der Favela-Bewohner- Innen von heute als KapitalistInnen von morgen.
[03] Siehe: Saunders’ (2013) Buch kann teilweise als Gegenthese zu Mike Davis Planet der Slums gelesen werden. Auch hier werden mit Slums, die Saunders Ankunftsstädte nennt, wirtschaftliche Potenziale für die Zukunft verknüpft. Die Ankunftsstadt ist in dieser Sichtweise eine notwendige Übergangszone für jene, die vom Land in die Stadt strömen.
[04] Harvey prägte in seinem Aufsatz den Begriff eines urban entrepreneurialism, der im deutschen Sprachraum in der Übersetzung unternehmerische Stadt Karriere machte.
[05] Etwa Charles Booth, britischer Sozialforscher und Philanthrop, gemeinsam mit Henry Mayhew ein Pionier der Stadtforschung, erforschte die Londoner Arbeiterklasse Ende des 19. Jahrhunderts.
[06] Siehe: derstandard. at/2000063485588/Italien- Das-Land-in-dem-alle- Bausuenden-vergeben-werden.
[07] Siehe: www.ediliziaeterritorio. ilsole24ore.com/art/ citta-e-urbanistica/ 2015-12-02/istat-italiapatria- abusivismo-sudillegali- quasi-60- fabbricati-100--162429.php? uuid=ACk5wclB&refresh_ce=1
[08] Siehe: www.legambiente.it/ sites/default/files/docs/ abusivismo_litalia_frana_ il_parlamento_condona- _dossierfile.pdf
[09] Siehe auch: dérive Nr. 60 Henri Lefebvre und das Recht auf Stadt; dérive Nr. 61 Perspektiven eines kooperativen Urbanismus; dérive 49 Stadt selber machen bzw. Festival urbanize. 2015: Do it together, etc.


Literatur
Altvater, Elmar (2005): Globalisierung und die Informalisierung des urbanen Raums. In: Brillembourg et al, S. 306-309.
Baldauf, Anette; Gruber, Stefan; Hille, Moira; Krauss, Annette; Miller, Vladimir; Verlic´, Mara; Wang, Hong-Kai & Wieger, Julia (2016): Spaces of Commoning. Artistic Research and the Utopia of the Everyday. Berlin, New York: Sternberg Press.
Becker, Jochen; Burbaum, Claudia; Kaltwasser, Martin; Köbberling, Fölke; Lanz, Stephan & Reichard, Katja (2003): Learning from. Städte von Welt, Phantasmen der Zivilgesellschaft, informelle Organisation. Berlin: NGBK.
Blum, Elisabeth & Neitzke Peter (Hrsg.) (2014): FavelaMetropolis. Berichte und Projekte aus Rio de Janeiro und Sao Paulo. Basel: Birkhäuser Verlag.
Davis, Mike (2011): Planet der Slums. Berlin, Hamburg: Assoziation A Verlag.
Brillembourg, Alfredo & Feireiss, Kirstin & Hubert Klumpner (2005): Informal City. Caracas Case. München: Prestel Verlag.
Evans, Robin (1996): Translation form drawing to building. London: AA Documents.
Hagemann, Anke (2012): Der Mainstream des Informellen: Urbanistische Forschung zwischen Romantisierung und städtischer Realität. In: Krasny, Elke (Hrsg.) (2012):
Hands-on Urbanism 1850–2012. Vom Recht auf Grün. Wien, Berlin: Turia + Kant.
Harvey, David (1989): From managerialism to entrepreneurialism: the transformation of urban governance. In: Geografiska Annaler. Series B, Human Geography, Vol. 71, No.1, The Roots of Geographical Change: 1973 to the Present. (1989), S. 3-17.
Kumnig, Sarah; Rosol, Marit & Exner, Andreas (2017): Umkämpftes Grün. Bielefeld: Transcript Verlag.
Krasny, Elke (Hrsg.) (2012): Hands-on Urbanism 1850–2012. Vom Recht auf Grün. Wien, Berlin: Turia + Kant.
Marx, Karl & Engels, Friedrich (1848/2005): Manifest der Kommunistischen Partei. www.vulture-bookz.de
Sassen, Saskia (2005): Fragmentierte urbane Topographien und die ihnen zugrunde liegenden gegenseitigen Verbindungen. In: Brillembourg et al, S. 315-323.
Saunders, Doug (2013): Arrival City. Die neue Völkerwanderung. München: Pantheon Verlag.
Spiller (1911/2008): Slums. Erlebnisse in den Schlammvierteln moderner Großstädte. Wien: Czernin Verlag.
Žižek, Slavoj (2009): Auf verlorenem Posten. Berlin: Insel Verlag.
Zwoch, Felix (2005): Fünf Versionen des In/Formellen. In: Brillembourg et al, S. 304-306.

dérive, Mo., 2018.04.30



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13. Januar 2017André Krammer
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Am Ende der Anfang?

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig...

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig...

Die Schau Am Ende: Architektur. Zeitreisen 1959–2019 und die Begleitpublikation Steiner´s Diary - Über Architektur seit 1959 adressieren gleichzeitig das kollektive Gedächtnis aller Architektur- und Stadtinteressierten, wie sie auch eine subjektive Zeitreise von Dietmar Steiner darstellen.

Steiner, der seit der Gründung des Wiener Architekturzentrums im Jahr 1993 dessen Direktor war, verabschiedet sich mit Ende des Jahres in den Ruhestand. Das scheint insofern konsequent, waren doch Institution und Person in der Ära Steiner schon immer untrennbar miteinander verbunden. So stehen auch in der aktuellen Schau und im nun veröffentlichten „Tagebuch“ die biografische Notiz, der Brief, die Erinnerung an eine persönliche Begegnung, gleichberechtigt neben der Nachlese unterschiedlicher Positionierungen in Praxis und Theorie. Dabei ist das Namedropping unausweichlich, handelt es sich doch auch um die Vorstellung eines erweiterten Freundeskreises. Streift man durch Schau und Katalog wird rasch deutlich wie eng die vielen Ismen der letzten fünfzig Jahre mit charismatischen Persönlichkeiten verbunden waren, die eine Idee, einen Stil, eine Haltung nicht nur behaupteten, sondern regelrecht verkörperten.

Chronologisch setzt die Schau mit dem letzten Kongress der CIAM – den Congrès Internationaux d’Architecture Moderne – 1959 in Otterloo ein, auf dem eine jüngere PlanerInnengeneration viele Dogmen der alten Modernen endgültig über Bord warf und so das einläutete, was wir heute vereinfacht als Postmoderne bezeichnen. Der Funktionalismus der Moderne, der zum letzten Mal eine Einheit von Politik und Raumproduktion proklamiert hatte, war da längst durch interne Kritik, als auch durch äußere Erschütterungen in die Krise geraten. Nach den CIAM fehlte der universale beziehungsweise der universalistische Bezugsrahmen und der Diskurs zersplitterte in den 1960er Jahren und den darauffolgenden Jahrzehnten in unzählige parallele Entwicklungen. Selbst Positionen, die sich auf einen Ismus einigen konnten, trennte oft mehr als sie auf den ersten Blick einigte. Driftet man in der Schau von den Collagen, Utopien, Manifesten der 1960er Jahre zu italienischen, österreichischen, Schweizer und angloamerikanischen Positionen der sogenannten Postmoderne bis man – schon etwas erschöpft – zur Signatur-Architektur der Gegenwart gelangt, so wirkt die Buntheit erst einmal gefährlich versöhnlich. So sehr sind wir schon an die Versuchsanordnungen, das Labor, den stilistischen Pluralismus und an die Stadt als Patchwork gewöhnt. Die Glasscheibe ist zersplittert und schon die Rekonstruktion kleinerer Fragmente erscheint schwierig. Dennoch kann man der Versuchung unterliegen – vielleicht etwas paranoid – nach subkutanen Strömungen zu suchen, die unter den charismatischen Oberflächen verborgen liegen mögen und die Ismen der letzten Jahrzehnte zu transzendieren vermögen. Man will sich ja nicht mit dem Geschichtsunterricht begnügen und hofft – auch wenn sich eine rückblickende Evaluierung aus der Perspektive der Gegenwart aus Gründen der Redlichkeit verbieten mag – etwas aus der Vergangenheit ableiten zu können. Wer genau hinsieht, kann vielleicht eine Pendelbewegung wahrnehmen. Und die geht hin und her zwischen einer Forderung nach einer weitgehenden Autonomie der Architektur (und des Städtebaus) und der Proklamation des Gegenteils, einer weitgehenden Ausdehnung der Disziplin, bis hin zur Selbstauflösung: „Alles ist Architektur!“ hieß es Ende der 1960er. Das kann rückblickend auch als eine Flucht nach vorn interpretiert werden. Die Welt und somit die Stadt waren da bereits ein unwirtlicher Ort, der Wohlfahrtsstaat, die Technikgläubigkeit, der Fortschrittsglaube insgesamt brüchig geworden. Da man nicht mehr so recht an eine tiefgehende Transformation der Wirklichkeit glaubte, träumten die einen von Parallelwelten, Blasen und Sciencefiction, die anderen von der Glitzerwelt des Pop und des Konsums. Ein anderer entdeckte die Stadt als Theater der Erinnerung wieder, dem seltsamerweise – und das fällt vielleicht gerade Nachgeborenen auf – die Gegenwart abhanden gekommen scheint, die ja gerade die Vergangenheit permanent hervorbringen muss.

Es lohnt sich in der Schau, wie auch bei der Lektüre des Katalogs, da und dort vom vorgegebenen Pfad abzuweichen und den Film rückwärts laufen zu lassen. Dann wachsen dem arrivierten Avantgardisten der Signatur-Architektur, der einen Anzug von Prada oder vielleicht auch nur einen von Knize trägt, wieder lange Haare und man kann ihm zuschauen, wie er Manifeste an die Wand wirft, die noch gegen das Establishment gerichtet sind, dem er später selbst angehören soll.

Auch kann es seltsam anmuten, wie exotisch gerade Strömungen wirken, die nur kurz zurückliegen. In diesem Sinn ist die Schau ehrlich und ungeschönt. Die subjektive Erinnerung Steiners ist nicht so selektiv und glättend wie der Zeitgeist. Und gerade das Unreine ist ja auch immer das Sympathische. Es hat ja auch etwas mit dem Alltäglichen zu tun und der Welt außerhalb der Akademien und Hochschulen. Der Aufruf eines ebenso aberwitzigen, wie intelligenten amerikanischen Ehepaars Anfang der 1970er, der sich nicht zuletzt gegen verstaubte Institutionen der Architektur- und Städtebaulehre richtete und forderte, doch endlich die Augen zu öffnen und in die Welt hinaus zu gehen, ist ja noch immer nicht verhallt. Zwanzig Jahre später war es ein Büro, das sich generell für metropolitane Angelegenheiten zuständig erklärte, das sich von dem Aufruf besonders angesprochen fühlte und das „Lernen von...“ zum (Anti)-Dogma erhob.

Aber: Wer lernen will, darf nicht im selben Augenblick kritisch sein. Doch von einer radikalen Kritik war man Anfang der 1990er Jahre ohnehin schon meilenweit entfernt. Die kritische Theorie und die negative Dialektik waren längst zu Grabe getragen. 1989 hörte für viele die Uhr zu ticken auf.

Das Ende der Geschichte wurde – vorschnell wie wir heute wissen – ausgerufen. Der postmoderne Zeitgeist in der Planungswelt hatte sich in einen spät-modernen Flattergeist verwandelt, der sich aus einem Cocktail von Affirmation und (oft nur ersehnter) Subversion nährte. An einem bestimmten Punkt gerinnt dann auch die Ambivalenz, die Eigenschaftslosigkeit zur Signatur. Die Sehnsucht nach langen Phasen der Nabelschau wieder part of the game zu sein, kann eben auch zu Risiken und Nebenwirkungen führen. Wer mutig auf der Welle surft, droht an die Felsen zu knallen. Das mag dann mitunter auch mehr mit Goethes Faust zu tun haben als mit der Wirklichkeit. Aber ist das nicht allemal besser, als am Strand in der Sonne zu liegen und dort von der Schönheit der Jugend (der Stadt) zu schwärmen?

Doch es gibt subkutane Strömungen, die auch in der Schau vertreten sind, die da und dort den Boden wieder zu verfestigen scheinen. Es sind wohl am ehesten jene, die vom alten Funktionalismus die soziale Frage geerbt haben, ohne an universelle Antworten zu glauben. Von einer orchestrierten Festlegung des Gebrauchs ist man bei der Wunschproduktion und der Ermöglichung angelangt. Die Fragen, die da gestellt werden, sind oft sehr einfach. Etwa: Wie kann man kostengünstig für die und mit der verarmte(n) Landbevölkerung im ländlichen Alabama bauen? Oder grundsätzlicher: Wie könnten neue Formen einer gemeinschaftsbasierten Raumproduktion aussehen? Eine Verschiebung vom Ismus zum Prozess wird da spürbar, die darauf hoffen lässt, endlich dem Spiegelkabinett zu entkommen, ohne wiederum in falschen Gewissheiten zu landen. Bedürfnisorientiertes Bauen Bottom-Up ist auch eine Form von Funktionalismus – der Kreis scheint sich dann doch zu schließen – aber im besten Fall kein kontrollierender und verfestigender, sondern ein offener.

Katalog
Kunstuniversität Linz (Hg.)
Steiner’s Diary. Über Architektur seit 1959
Zürich: Park Books, 2016
398 Seiten, 48 Euro

dérive, Fr., 2017.01.13



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dérive 66 Judentum und Urbanität

31. Januar 2016André Krammer
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Das Rahmenwerk der Architektur

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers...

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers...

The Dilution of architecture ist der erste große Überblick über das umfangreiche Lebenswerk des 1923 in Ungarn gebo-renen Architekten, Visionärs und Künstlers Yona Friedman, der später die französische Staatsbürgerschaft annahm. Friedman wurde in erster Linie auf Grund der utopischen Stadtentwürfe seiner Ville Spatiale bekannt. Sie wurden gemeinhin als Beitrag zur Konzeption der Mega-struktur wahrgenommen, welche die Architekturavantgarde der 1960er Jahren prägen sollte.

Im ersten Teil der umfangreichen Publikation werden Konzeptionen Friedmans von der Ville Spatiale bis hin zu aktuellen Projekten vorgestellt, während Friedmans Co-Autor Manuel Orazi im zweiten Teil eine Einordnung von Friedmans Werk in die Geschichte der Architektur-Avantgarde nach 1945 vornimmt und so einen weit über die Einzelfigur hinausgehenden Überblick über einen verwinkelten Diskurs und seine ProtagonistInnen gibt, der sich über weite Strecken spannend liest. Dabei wird auch der Kritik, die im Laufe der Jahrzehnte an Friedmans Konzeptionen geübt wurde, einiger Platz eingeräumt.

Der Buchtitel gibt einen ersten Aufschluss zur Ausrichtung von Friedmans Denken. Dilution, das soviel wie Verwäs-serung und Abschwächung bedeutet, verweist auf eine Eigentümlichkeit der Stadtentwürfe Friedmans, die über der existierenden Stadt, aufgeständert auf mächtigen Pilotis, eine zweite Raumschicht ausbilden. Sie sind einerseits Megastruktur, unterscheiden sich jedoch gleichzeitig vom grundlegenden totalen Design verwandter utopische Entwürfe. Bei Friedman kommt der Architektur eine dezidiert dienende Rolle zu. Sie wird zur sozialen Kunst erklärt, die lediglich ein Rahmenwerk ausbilden soll, innerhalb dessen sich selbst-ermächtigte NutzerInnen, ihrer Wunschproduktion folgend, einrichten können. Friedman gehört somit zu den Pionieren und Befürwortern einer partizipativen Raumproduktion. Folgerichtig weisen die Gebäude seiner oft etwas naiv wirkenden Collagen und Modelle keine Fassaden auf und verweigern ihrer Großmaßstäblichkeit zum Trotz jeden Objektcharakter. Es sind unfertige Bilder, die von Friedman als Denkanstöße verstanden werden möchten. So erstaunt es nicht, dass das Netzwerk, in dem sich Friedman bewegte und bewegt, ein interdisziplinärer Pool von ProtagonistInnen ist. Soziologie, Spieltheorie und Mathematik spielen eine ebenso große Rolle wie Fragen der Statik und der technischen Infrastruktur. Friedman hat sich mit dem Physiker Werner Heisenberg und dem Informatiker Nicholas Negroponte aus-getauscht. Er ist mit den SituationistInnen zusammengetroffen, hat mit Constant Nieuwenhuys einen Disput über die Stadt von morgen geführt, hat in jungen Jahren am CIAM-Kongress in Dubrovnik teilgenommen und dabei immer ein interdisziplinäres Denken propagiert, das über die engen Grenzen der jeweiligen Einzeldisziplin hinausgeht.

Aus heutiger Sicht erscheinen die Unterschiede seiner Entwürfe zu verwandten Konzeptionen interessanter als ihre augenfällige und vielleicht nur oberflächliche Übereinstimmung. Während Constant Nieuwenhuys’ utopisches Projekt seines New Babylon beispielsweise von einer zukünftig post-industriellen und im Wesent-lichen kollektiv organisierten Gesellschaft ausgeht, finden sich in Friedmans Texten keine Ansätze einer implizit kollektiven Utopie. Er scheint eher einer anarchistischen Denktradition näher zu stehen, die die Freiheit in den Mittelpunkt stellt. Folgerichtig ist bei Friedman von der »Koexistenz in Diversität« die Rede.

In den letzten Jahrzehnten wurde sein Werk vermehrt im Kunstkontext rezipiert. Seine Arbeit wurde wiederholt auf der Documenta und auf der Kunstbiennale in Venedig gezeigt. Die seiner Arbeit innewohnende Reserve gegenüber traditioneller Planung und die Thematisierung des Prozessdesigns scheinen oft mehr mit gegenwärtigen künstlerischen Praktiken gemein zu haben als mit einer Architekturszene, die nach wie vor von der radikalen Umdeutung des Architekten vom Gestalter hin zum Koordinator – wie sie Yona Friedman vorgenommen hatte – überfordert ist, da sie das Selbstverständnis der Disziplin in Frage stellt. Dennoch hat Friedman immer wieder Stichworte geliefert, die später auch im konventionellen Planungsdiskurs auftauchten. Er hat zum Beispiel Urban Farming und Fragen der Versorgungsautarkie thematisiert, bevor das Thema seinen Hipnessfaktor bekommen hat.

Seine Projekte verstanden sich von Anfang an als Szenarien der Verdichtung bestehender Städte und sind somit weit von den Projekten entfernt, die auf einer Tabula rasa eingerichtet wurden. Gleichzeitig spielen das kollektive Gedächtnis und die Geschichte der Stadt, die in der Postmoderne thematisiert wurden, im Denken Friedmans eine untergeordnete Rolle. Die schwebenden Strukturen Friedmans, die er in schier unendlichen Varianten und Inkarnationen bis heute weiterentwickelt hat, flottieren weiterhin hoch über der Stadt, verweigern die Landung und somit die direkte Konfrontation mit der Wirklichkeit – wie KritikerInnen angemerkt haben. Friedman geht es bei seinen Visualisierungen in erster Linie um die möglichst breitenwirksame Vermittlung seiner Visionen. Die im Laufe der Jahre zunehmend vereinfachten Diagramme, comichaften Erläuterungen, Modelle und Collagen entstammen auch einer anti-elitären Haltung, die auf leichte Verständlichkeit setzt und eine akademische Vermittlungspraxis meidet.

Friedman weiß natürlich, dass die Wahrscheinlichkeit einer Realisierung seiner Konzeptionen nur gelingen kann, wenn möglichst viele Menschen von ihr überzeugt sind. Außer dem Lycée David in Angers hat er bisher kein Gebäude verwirklichen können. So entsteht mitunter der beklemmende Eindruck, dass Friedmans Stadtvisionen Geisterstädte sind, aus denen die Bevölkerung ausgezogen der in die noch niemand eingezogen ist.

Und dennoch: Auch wenn die Umsetzung von Friedmans Ideen kaum direkt erfolgte, weisen sie unbestreitbar viele Bezüge zum gegenwärtigen Diskurs auf. Fragestellungen einer prozessualen Stadtentwicklung, die nicht auf fertige Leitbilder, sondern auf Qualitätsmanagement und avancierte Verfahrenskultur setzt, finden in Friedmans Konzeptionen ihren Widerhall. ErforscherInnen informeller Siedlungsformen des globalen Südens teilen mit Friedman eine gewisse Faszination an prozesshaften, auf Eigenermächtigung der NutzerInnen setzende Strategien.

Aus heutiger Sicht erscheint vielleicht ein Projekt besonders interessant. Basierend auf dem existierenden europäischen Eisenbahnnetz hat Yona Friedman eine Konzeption Europas als Kontinent-Stadt propagiert. Ein Netzwerk aus Städten, verbunden durch die Eisenbahn, ist zugleich ein einfaches wie ein radikales Modell. Nationale Grenzen sind darin aufgelöst. Die Landschaft, die sich zwischen den Städten aufspannt, ist frei von suburbanen Verwerfungen. Es handelt sich um ein Szenario der Verdichtung und der Vernetzung, von dem das heutige Europa soweit entfernt scheint wie nie zuvor.


Nader Seraj (Hg.)
Yona Friedman. The Dilution of Architecture
Paris: Park Books, 2014
581 Seiten, 48,00 Euro

dérive, So., 2016.01.31



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dérive 62 Sampler

31. Oktober 2013André Krammer
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Die Welt als Bürolandschaft

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur...

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur...

Der erste Band der Reihe kollektive gestalten, herausgegeben von Andreas Rumpfhuber und Johan Frederik Hartle, widmet sich den Ausformungen einer »Architektur der Arbeit«. Bei diesem Auftakt handelt es sich um die gleichnamige, überarbeitete Dissertation von Andreas Rumpfhuber.

Beschrieben wird das komplexe Verhältnis der postindustriellen, zunehmend von immaterieller Arbeit geprägten Lebenswelt zu einer neuartigen räumlichen Praxis, die nicht mehr von einer traditionellen »Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit« von Arbeitsprozessen ausgehen kann.

Obwohl der Wandel der Arbeitswelt historisch weiter zurück geht, fokussiert Andreas Rumpfhuber enigmatische Projekte der 1960er Jahre des vergangenen Jahrhunderts in Form einer punktuellen Tiefenbohrung, die mehr als Momentaufnahme denn als Beschreibung historischer Entwicklungslinien angelegt ist. In den 1960er Jahren wurde die Bedeutung von Kommunikation und Information für die neue Arbeitswelt wirklich greifbar. Verhandelt werden Projekte, die eine veränderte Arbeitswelt in neuen Raumkonzeptionen spiegeln. Die immaterielle Arbeit spaltete sich vom Ort der Produktion ab, der einst geschlossene Container der Fabrik löste sich auf. An die Stelle der fordistischen Forderung nach maximaler Effizienz der Arbeitsabläufe – die Moderne war nicht zuletzt von der Zielsetzung geprägt, die Anforderungen der Produktionsabläufe möglichst direkt, also funktionalistisch in räumliche Konstruktionen zu übersetzen – tritt die vom Einzelnen geforderte Kreativität, der der »Geist der immateriellen Arbeit« zu Grunde liegt. Die physischen und psychischen Grenzen der Arbeitswelt lösen sich in der Nachkriegszeit immer mehr auf – Leben und Arbeit, Erwerbstätigkeit und Freizeit werden zunehmend nicht mehr als getrennte Sphären betrachtet. Eine starre Hierarchie, die auf Anordnungen top-down basiert, wird in avancierten Bürostrukturen von einer netzwerkartigen Organisation abgelöst.

Die Einleitung des Bandes dient einer diskursiven Standortbestimmung, die zwischen einer poststrukturalistischen Raum- und Gesellschaftsanalyse eines Michel Foucault und einer »post-marxistischen« Gesellschaftstheorie angesiedelt ist – ein Amalgam, das sich insbesondere in den Schriften Toni Negris und Michael Hardts finden lässt, die eine Fusion beider Denk-traditionen anstreben.

Hat man erst einmal die breite Diskurslandschaft der Einleitung hinter sich gelassen und sich auf die Einengung auf die 1960er Jahre eingelassen, zeichnen sich interessante Blickrichtungen ab. Der Autor beschreibt Stationen einer Entwicklung, ausgehend von der Erfindung der Bürolandschaft im Deutschland der frühen 1960er Jahre, über die Architekturperformance Mobiles Büro von Hans Hollein, in der er sich selbst in einer pneumatischen Hülle als Arbeitsnomade inszeniert – die pneumatische Blase als Vorfahre einer ortlosen, digitalisierten Arbeitswelt –, bis zur Bed-in-Performance John Lennons und Yoko Onos, welche sich die Tendenz der Grand Hotels, gleichzeitig Lebens- wie Arbeitswelt zu sein, für ihre politische Agenda – den Weltfrieden – zu Nutze machten.

Der Autor beschreibt die Projekte in anschaulichen Details, oft an Hand von Fotos aus der Zeit, die viel über den zeithistorischen ideologischen Background verraten.

Die rigide Organisation des Großraumbüros amerikanischer Prägung wird an der Bürolandschaft Buch und Ton deutlich, die der Bertelsmann-Konzern 1960/61 umsetzte. Die scheinbar hierarchielose, horizontale Bürolandschaft, die gemäß der Vorstellung einer radikalen Flexibilität der Arbeitsprozesse konzipiert wurde, orientierte sich an den Grundsätzen der Kybernetik, eines psycho-mechanischen Denk- und Steuerungsmodells, das in den 1960er Jahren in Mode kam. Der hindernisfreie, horizontale, nur durch Möblierung und Beleuchtung strukturierte Raum sollte flache Hierarchien fördern und ein »Wohlfühlambiente« – Stichwort: Wohnen im Büro – erzeugen. Das anvisierte egalitäre System, scheinbar chaotisch und ungeordnet, war – worauf Rumpfhuber ausdrücklich hinweist – auch tendenziell als konfliktfreier, entpolitisierter Raum entwickelt worden. Später wurden kommerzielle Programme und Freizeiteinrichtungen in die Bürostruktur integriert, etwa im – im Buch angeführten – strukturalistisch geprägten Bürogebäude Centraal Beheer (1967-72) von Herman Hertzberger. Die Öffnung wird gleichzeitig als eine Implosion beschrieben: In der Innenwelt wird die Außenwelt simuliert.

Rumpfhuber beschreibt eine Entwicklung, die von einer räumlichen Innenorientierung (Verlagsgebäude Buch und Ton) hin zu einer Öffnung zum umgebenden (Stadt-)Raum verläuft (Herman Hertzberger), bis hin zu einer radikalen Auflösung von Innen und Außen, die dem Fun Palace zu Grunde liegt, der von Cedric Price als grenzenlose, permanent veränderbare Mitmachmaschine entworfen wurde – eine unfertige Anti-Architektur, konzipiert als Generator von Ereignissen.

Die Stadtutopien der 1960er Jahre basierten oft auf der Annahme, dass die »Automatisierung« der Arbeitsabläufe weitgehend zu einer Abschaffung der Erwerbsarbeit führen würde. Rumpfhuber analysiert Constants New Babylon und Yona Friedmans Raumstadt als utopische Großstrukturen im Dienste einer von Arbeit befreiten anti-hierarchischen Freizeitgesellschaft, die sich – und darin liegt der emanzipatorische Impetus – selbst organisiert.

Im Rückblick zeigen sich erste Verwerfungen, die auch unsere gegenwärtige Arbeitswelt heimsuchen. Bereits in den 1960er Jahren scheint das neue, zur Unabhängigkeit verurteilte unternehmerische Selbst, das untrennbar mit dem Geist der immateriellen Arbeiten verbunden scheint, erste Ermüdungserscheinungen aufzuweisen. Rumpfhuber verweist auf einen Schnappschuss eines Bed-in. John Lennon ist zu sehen, der im Bett neben Yoko Ono angesichts der Reporterschar für einen Augenblick seine Erschöpfung nicht verbergen kann, die auch als Folge der neuen Selbstbestimmtheit des Individuums gelesen werden kann.

Im Schlusswort kommt Rumpfhuber auf die Frage des Verhältnisses zwischen Architektur und Gesellschaft zurück. Die beschriebenen Beispiele zeigen an Hand paradigmatischer Projekte der 1960er Jahre, wie sich das einst deterministisch gedachte Verhältnis zwischen Architektur und Arbeitsprozess zu Gunsten eines komplexeren Verhältnisses aufzulösen begann. Und dennoch behält der architektonische Raum auch in Zeiten einer zunehmend global vernetzten Kybernetik seine Eigenschaft als »Rahmung des Möglichen«, wie Andreas Rumpfhuber schreibt. Eine Frage scheint mitzuschwingen, ohne angesprochen oder gar beantwortet zu werden: die Frage, inwieweit auch Subversion durch Architektur möglich ist, eine hidden agenda, die über die Abbildung vorgegebener gesellschaftlicher Verhältnisse hinausgeht – dem gegenwärtigen Zeitgeist zum Trotz.


Andreas Rumpfhuber
Architektur immaterieller Arbeit kollektive gestalten
Band 1, Hg. Andreas Rumpfhuber, Johan Frederik Hartle
Wien: Turia + Kant, 2013
220 Seiten, 26 Euro, kostenloser download: oapen.org

dérive, Do., 2013.10.31



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dérive 53 Citopia Now

26. August 2013André Krammer
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Das Verschwinden des Objekts und die neue Architektur

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer...

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer...

Die am 5. Juni im Wiener MAK eröffnete Ausstellung Eastern Promises. Zeitgenössische Architektur und Raumproduktion in Ostasien wirft den Scheinwerfer auf einen weiten geografischen Raum, der China, Südkorea, Taiwan und Japan umfasst. Die Kuratoren Andreas Fogarasi und Christian Teckert zeigen aber glücklicherweise Mut zur Lücke, der auch strategisch begründet ist.

Vorgestellt wird kein großes Narrativ, sondern es sind Parallelerzählungen, die nebeneinander gestellt werden und der Rezeption Raum zum Atmen lassen. Und dennoch handelt es sich um eine umfangreiche Ausstellung, die auf eine angenehme Weise überfordert: Rund 70 Projekte aus den Bereichen Architektur und Urbanismus werden gezeigt. Die Gestaltung der einzel­nen Projekten gewidmeten Paravents nimmt Bezüge zum Dargestellten auf, zitiert eine Materialität, ein räumliches Detail oder eine Idee. Der Umgang der Ausstellung mit Ästhetik und gesellschaftlichem Gehalt ist betont leichtfüßig in Analogie mit der Leichtigkeit der präsentierten Raumkonstruktionen. Der Flaneur zwischen den Paravents wird eingeladen sich von den eleganten Oberflächen der Ausstellung zerstreuen zu lassen, um dann unweigerlich hängen zu bleiben und sich thematisch zu vertiefen. An den Wänden werden begleitend Karten, Fotografien, Texte und Axonometrien von Stadtlandschaften versammelt, die so etwas wie ein ergänzendes Informationstableau anbieten. Modelle, Fotos, Pläne, Texte und Filme – eine Kurzfilmreihe, kuratiert von Andréa Picard, wird in einer Blackbox gezeigt – stehen gleichberechtigt nebeneinander. Die ästhetisch wirksame Präsentation so mancher farbenfroher Statistik erinnert an die fröhliche Wissenschaft des Office for Metropolitan Architecture.

Die räumliche Organisation der Ausstellung nimmt Anleihe bei der japanischen Axonometrie, die im Gegensatz zur Zentralperspektive eine anti-hierarchische Raumorganisation betont.

Sie erlaubt Streifzüge, die an die Bewegung in einer (urbanen) Landschaft erinnert. Die gezeigten Projekte sind ästhetisch und räumlich avanciert und im intensiven Austausch mit der sie umgebenden Alltagskultur entstanden, die sie wie gezielte Akupunkturen zu beeinflussen suchen oder von der sie geprägt wurden. Im Zentrum stehen Projekte, die interessante Bezüge zum räumlichen und gesellschaftlichen Umfeld aufweisen. Die Schau verzichtet weitgehend auf die Präsentation von Architektur-Ikonen, ohne aber die Strahlkraft einzelner Projekte zu verleugnen. Betont werden die relationalen Qualitäten eines Gebäudes und dessen Potenziale neue Nutzungsmuster und Situationen zu erlauben. Es wird kein neuer Ismus vorgestellt, keine konzertierte Avantgardebewegung, die mit der Konsistenz der historischen Bewegung des Metabolismus vergleichbar wäre, sondern eine hybride Baukultur, die in der Synthese aus Rezeption internationaler Tendenzen und lokaler Spezifika generiert wird. Gezeigt wird eine regionale Architekturelite unter der sich auch der eine oder die andere PrizkerpreisträgerIn befindet, aber auch diese werden in den räumlich-sozialen Kontext der Raumproduktion eingebettet.

Die Zusammenhänge zwischen Projekten, Brüchen und Widersprüchen erschließen sich auf den zweiten Blick. Gemeinsam ist vielen Projekten die Überschreitung von Dualismen, wie die Auflösung einer Dichotomie von innen und außen, Licht und Schatten und der Ablöse festgeschriebener funktionaler Festschreibungen zugunsten eines programmatischen Minimalismus, der Raum für Unvorhergesehenes zu generieren verspricht. Viele Gebäude wirken durchlässig, nehmen eine offene und flexible Beziehung zu ihrer Umgebung ein. Zwischenräume und Leerräume spielen im asiatischen Raum traditionell eine große Rolle. In den besten Projekten vermittelt sich eine radikale Zurücknahme des entwerferischen Egos zu Gunsten einer offeneren Struktur, die erst im Gebrauch komplettiert wird, wie ein Kunstwerk, das erst in der Rezeption seinen (immer vorläufigen) Abschluss findet. Aber auch großmaßstäblichere Entwicklungen werden gezeigt, wie die Ausformungen des japanischen »train based urbanism« (siehe dazu auch den Beitrag »Total Living Industry« von Christian Teckert in dérive 28) oder Cluster- und Inselbildungen. In der Paju Book City in Seoul bilden Verlagshäuser eine kleine Stadt in der Stadt, die noch an ihrer Monofunktionalität zu leiden scheint. Im Heyriu Art Valley in Korea haben sich KünstlerInnen, LiteratInnen und MusikerInnen zusammengefunden, um ihre eigene Stadt zu entwickeln. Auch die nach wie vor existierenden staatlichen Planungsbüros in China werden vorgestellt, wie auch die Protestbewegungen, die sich gegen soziale Verdrängungsmechanismen in Südkorea formiert haben oder der Massenwohnbau, der den Alltag der Raumproduktion nach wie vor oft bestimmt. Im Querlesen werden kritische Aspekte sichtbar, die den affirmativen Zugang auf angenehme Weise konterkarieren. Die Parklandschaft des Miyashita Parks in Tokyo, entworfen vom japanischen Büro Bow Wow wurde  – worauf der Ausstellungstext hinweist – von der Firma Nike mitfinanziert. Der Zugang ist kostenpflichtig. Die Komplexität der Entwicklungen wird insbesondere da deutlich, wo allzu voreilige kritische Reflexe im Rückbezug auf den spezifischen Kontext relativiert werden.

Die Zonen der Creative industries, die insbesondere in China wie Pilze aus dem Boden wachsen, verweisen auf den Versuch Chinas seine von fordistischer Produktions­weise dominierte Vergangenheit hinter sich zu lassen und das »Made in China« um ein »Created in China« zu erweitern, um im internationalen Wettbewerb auch als Produzent intellektuellen Kapitals ernst genommen zu werden. Trotz aller Brüche, die zwischen avancierten Projekten und dem politischen Kontext auch sichtbar werden, ist in der Ausstellung eine kollektive Aufbruchstimmung spürbar. Es wird deutlich, dass die Architektur im Grunde einer performativen Kultur angehört, Situationen und Praktiken erlaubt oder erschwert. Die schillernden Objekte der StararchitektInnen, die sich in einer visuell geprägten globalen Kultur zu behaupten suchen, können ja auch als Versuch gelesen werden, diesem scheinbaren Mangel entgegenzutreten. Der konzentrierte Blick auf das Objekt lässt dieses aber nur kurz aufleuchten, auf lange Sicht aber verschwinden. Die Schau im MAK verspricht eine andere Zukunft: Die Gegenwart des Abwesenden.

dérive, Mo., 2013.08.26



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dérive 52 Sampler

17. Januar 2012André Krammer
dérive

Visionäre Pragmatik

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er...

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er...

Karl Brunner (1887-1960) war ein österreichischer Städtebauer, der von 1929 bis 1948 die Stadtentwicklung in Lateinamerika wesentlich beeinflusste. Er entstammte der Wiener Städtebauschule, studierte in Wien bei Karl Mayreder, einem Zeitgenossen Otto Wagners, und beteiligte sich nach seiner Rückkehr 1948 bis zu seinem Tod 1960 am Wiederaufbau Wiens.

Trotzdem schien Brunner lange Zeit hierzulande in Vergessenheit geraten. Andreas Hofer, der am Städtebauinstitut der TU Wien lehrt, hat nun einen „Zwischenbericht“ zu seinen langjährigen Forschungen zu Karl Brunner und dem Einfluss des europäischen Städtebaus auf Lateinamerika im Allgemeinen in Buchform herausgebracht.

Eine chilenische Delegation, bestehend aus fortschrittlichen KünstlerInnen und PlanerInnen, war Ende der 1920er Jahre auf den Wiener Städtebauer Brunner aufmerksam geworden. 1929 wurde er in Santiago de Chile zum städtebaulichen Berater der Regierung berufen und beeinflusste in den kommenden Jahren in höchsten Planungsämtern insbesondere die städtebauliche Entwicklung von Santiago, Bogotá und Panama-Stadt, aber auch zahlreiche Entwicklungskonzepte von Provinzstädten in Chile, Kolumbien und Panama. Andreas Hofer zeichnet in seinem Buch das fachliche Profil des Städtebauers Brunner nach und setzt die Einzelperson in Beziehung zum historischen Kontext, insbesondere zur architektonischen Moderne. Mit dieser teilte Brunner das Interesse an sozialreformerischen Konzepten, begegnete aber wesentlichen Paradigmen der „Funktionalen Stadt“, wie sie in der Charta von Athen propagiert worden war, mit Kritik. Brunner war beeinflusst vom sozialen Wohnbau des Roten Wien, kombinierte funktionale Fragen aber immer mit einer akribischen Analyse des Status Quo vor Ort. Den Planungen gingen detaillierte Analysen der existierenden Stadt voraus. Er analysierte die Wohndichte –die EinwohnerInnenzahl bezogen auf die bebaute Fläche –, setzte Luftaufnahmen als Analyseinstrument ein, ließ Verkehrszählungen durchführen und distanzierte sich von den Stadtvisionen, die auf Kahlschlag und einer „tabula rasa“ beruhten. Er konzipierte pragmatische Strategien auf der Ebene der Stadterneuerung und Stadterweiterung, und statt einem radikalen Kahlschlag setzte er auf durchdachte partielle Eingriffe im Stadtgefüge.

Le Corbusiers Stadtvisionen betrachtete er als einen Kniefall vor dem Individualverkehr, während Brunner selbst die Wichtigkeit des öffentlichen Verkehrssystems betonte und einen Baustopp in Quartieren durchsetzen ließ, die öffentlich nicht erschlossen waren. In seinen Stadtentwicklungsplänen finden sich dezidiert gemischte Zonen, die eine funktionale Trennung konterkarieren. Interessanterweise mussten Karl Brunners Konzepte in seiner Zeit unmodern und traditionell wirken, heute aber wirken seine Strategien überraschend zeitgemäß. Seine reformistische Auseinandersetzung mit der Stadt wurde in späteren Jahren durch morphologische Untersuchungen ergänzt. Brunner kritisierte die vorherrschenden Rastergrundrisse der lateinamerikanischen Städte, da sie aus seiner Sicht eine Abstraktion waren, die nicht zuletzt topografische Gegebenheiten eines Kontextes negierten. Brunner setzte – wie Andreas Hofer betont – den vorgefertigten Modellen, die viele EuropäerInnen nach Südamerika zu exportieren trachteten, eine beweglichere Städtebaupraxis entgegen, geprägt von „trial and error“, Empirie sowie Adaptions- und Lernfähigkeit. Karl Brunner wäre in diesem Sinn als spätmoderner Vordenker zu entdecken. Seine Vernetzung von Städtebau, Politik und Volkswirtschaft, die Integration sozialwissenschaftlicher Parameter und der Kulturwissenschaft in die Planung, seine Kritik an einer profitorientierten Wohnbaupraxis sind Bausteine eines integrativen Städtebaus, dessen Grundsätze auch heute noch relevant erscheinen.

dérive, Di., 2012.01.17



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dérive 46 Vom Superblock zur Überstadt. Das Modell Wiener Wohnbau

26. September 2010André Krammer
dérive

Von der Allmacht zur Kooperation

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren...

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren...

»Seit den 1990er Jahren weicht diese unselige Trennung wieder auf. Langsam schließt sich die entstandene Kluft zwischen Architekten, Stadtplanern und weiteren Disziplinen. Landschafts-
architekten entwerfen neue Stadtteile, Architekten recherchieren Sozialdaten und betreiben urbanistische Studien, Stadtplaner entwerfen urbane Events. Auch Literaturwissenschaftler schreiben über Raumtheorien, die Urbanistik wird zum Thema der großen zeitgenössischen Kunstausstellungen. Research by Design versucht Forschung und Entwerfen wieder fruchtbar zu verknüpfen. Architektur wird als die Kunst, Raum zu artikulieren (Eco, 1968) in der Urbanistik wieder aktuell. Die Kultur des Raumes wird wieder als entscheidend für die Kultur der Städte angesehen.«
Sophie Wolfrum, 2008


Von der Allmacht zur Ohnmacht

Einst sollte die neue funktionelle Stadt, wie sie die modernistischen ArchitektInnen der Congrés Internationaux d’Architecture Moderne (1928 – 1959) konzipierten, nicht nur wieder Ordnung in den chaotisch wuchernden Agglomerationen des Industriezeitalters etablieren, sondern auch unausweichlich zu einer besseren Gesellschaft führen. Der Städtebau wurde zur Königsdisziplin erklärt, zur Universalmedizin, die dem kranken Stadt- und Sozialkörper wieder auf die Beine helfen sollte. Le Corbusier hielt in den 30er Jahren die Architektur für das geeignete Instrument, um eine bessere räumliche und gesellschaftliche Ordnung herzustellen. Das neue städtebauliche System, die strahlende Stadt der Moderne sollte die Gesellschaft reformieren und auf diese Weise sogar mithelfen, Revolutionen zu vermeiden.

Wir haben uns längst von dieser Utopie verabschiedet, beziehungsweise haben wir auch den ihr innewohnenden dystopischen Charakter erkannt. Der Traum vom universalistischen Zugriff auf die Stadt und die Allmächtigkeit des Plans ist geplatzt und hat einer Vielstimmigkeit der städtebaulichen Konzeptionen Platz gemacht. Der Städtebau ist in die zweite Reihe zurückgetreten und definiert seine Position angesichts der Unübersichtlichkeit der politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Kräfte, die gegenwärtig die Stadtentwicklung vorantreiben, neu. Strategische Allianzen mit benachbarten Disziplinen drängen sich auf, will man auch zukünftig eine gewichtige und keine marginale Rolle spielen.

Innerhalb der Disziplin Städtebau herrscht in Hinblick auf die Frage, was zu tun wäre, um wieder eine entscheidende Rolle in der Raumproduktion zu spielen, bestenfalls Uneinigkeit. Heute, da wir mit wohligem Schauer zusehen, wie vorgeblich unkontrollierbare globale Kraftfelder die Städte auf den Kopf stellen, haben sich die einen längst vom Traum der Allmacht verabschiedet und gelernt, die Schwäche als Chance zu sehen, während andere dem Phantomschmerz mit Nostalgie und Eskapismus begegnen und Rekonstruktionen alter Stadtmodelle wiederzubeleben suchen und allzu oft nur potemkinsche Dörfer errichten. Jenen, die sich der Tradition der Avantgarde verpflichtet fühlen, erscheint nach dem »Ende der großen Erzählungen« (Jean-François Lyotard), also auch nach dem »Ende der großen Projekte«, das Fragmentarische im dialektischen Kurzschluss als das neue Ganze. Die formalistische Avantgarde setzt nach wie vor auf das autonome Objekt.

In den letzten Jahren hat eine Hinwendung zur informellen Stadt der Armenviertel stattgefunden, die die Ränder der global cities dominieren. Die Favela entzieht sich als räumliches und legistisches System dem Zugriff klassischer Instrumente der Planung. Sie entsteht bottom up. In der Faszination, die informelle Strukturen ausüben, liegt nicht zuletzt das Bedürfnis, das Instrumentarium des traditionellen Städtebaus und die Steuerung der Stadt top down zu hinterfragen. Die Tätigkeit der Entwicklungshilfe, die meist in der Bereitstellung von dringend benötigter Infrastruktur besteht, wird vom Wunsch begleitet, von Formen der Selbstorganisation zu lernen und diese in abgewandelter Form in die eigene Praxis zu integrieren – Import-Export. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass man einer Ästhetisierung der Armut Vorschub leistet und ökonomische und machtpolitische Hintergründe zugunsten eines romantisierenden Blicks von außen ausblendet. Nichts ist gänzlich umsonst.

Die neue Rolle zwischen Plan und Wirklichkeit und die Macht der Bilder

Die vielen »Learning from …« verweisen unter anderem im positiven Sinn darauf, dass, da keine Disziplin das Primat in der Herstellung und Erforschung von Stadt für sich allein beanspruchen kann, auch der Städtebau sich zunehmend als ein Player unter anderen versteht. Die Dialektik des Lernens von der Wirklichkeit und der Transformation von Wirklichkeit kann auch als ein fruchtbares Zusammenspiel von Hermeneutik (Verstehen und Lernen) und Handeln (Vita activa) angesehen werden. Die Grenzen der eigenen Disziplin müssen nicht mehr schamhaft verborgen werden, sondern können auch als Potenzial begriffen werden. Die Geschwindigkeit der Stadtentwicklung im »Zeitalter der Städte« erzwingt eine Öffnung der Disziplin, will man sich nicht mit Scheingefechten im Elfenbeinturm zufriedengeben. Es mutet ja auch seltsam an, hinter verschlossenen Türen fröhlich über die »gute Stadt« zu debattieren – nebenbei ohne wirkliche Chance auf Einigung – während draußen vor der Tür Stadtregionen unter rasant steigenden Urbanisierungsraten geradezu explodieren, andere Städte wiederum implodieren und schrumpfen, um das Bild dezent zuzuspitzen. Es bedarf zunehmend eines strategischen Denkens und Handelns, neuer kommunikativer Skills und auch neuer kollektiver Anstrengungen, um sich auf der stadt- und regionalpolitischen Ebene Gehör zu verschaffen. Die traditionelle Fixierung des Städtebaus auf einen idealisierten Endzustand spielt dabei eine immer geringere Rolle. Die Projektbegleitung und Qualitätssicherung während der Realisierungsphase hat in jenem Maß an Bedeutung gewonnen, als sich die Kluft zwischen Plan und realer Entwicklung ausgeweitet hat. Vorausgesetzt, es gibt überhaupt ein Projekt, einen Plan, eine Strategie. Die »eigenschaftslose Stadt« (Rem Koolhaas), die Endless City der Suburbia verzichtet ja weitgehend auf Planung. Der Planer, die Planerin übernimmt heute im Idealfall neben den klassischen Aufgaben der Planung auch die Rolle des Moderators und der Dramaturgin, aufgrund der spezifischen Raum-(strategischen) Kompetenz und der integrativen Funktion der Formgebung, die der Städtebau einbringen kann.

Allerdings ist das Phänomen der longue durée, das Nachwirken von alten Strukturen unter der Oberfläche des Neuen, nicht zu vernachlässigen. Während einerseits die PlanerInnen aus guten Gründen nicht mehr einfach ausschließlich als »Herren und Damen der Pläne« und als SchöpferInnen großartiger Panoramabilder auftreten können, ist gleichzeitig feststellbar, dass gerade heute wieder allzu eingängige Bilder zukünftiger Projekte Hochkonjunktur haben. Auch in Wien setzt die Politik gerne auf die Stadtvision als großes Gemälde, etwa auf die etwas autistisch anmutende Seestadt mit zentraler Wasserskulptur. Einprägsame Bilder und Labels sind verführerischer und leichter vermarktbar als ein schwer vermittelbares Konzept einer prozessualen Planung und Umsetzung, die nicht primär über Bilder funktioniert, sondern notwendige Leerstellen belässt, um auf künftige Entwicklungen reagieren zu können. Die Einbettung der Seestadt in ihr Umfeld bleibt da auf der Strecke. Die Dominanz der Bilderwelt degradiert die Stadt zur Bühne und Marketingfläche. Unter diesen Vorzeichen ist der Städtebau gefährdet, zu einer postmodernen Übung in Simulation zu verkommen. Wo primär Bilder reproduziert werden und die Alltagskultur ausgeblendet wird, entstehen Retorten. Am Berliner Potsdamer Platz treten die herbeigesehnten Flaneure höchstens in Form von Hologrammen auf. Die mittelalterliche Stadt, die wir im Urlaub aufsuchen, ist nicht das Produkt eines ästhetischen Programms, sondern die Manifestation der spezifischen Gesellschafts- und Wirtschaftsform des Feudalismus. Der Städtebau ist schon deshalb keine Bilderfabrik, da die Arbeit am städtebaulichen Plan keine direkte Arbeit am Objekt ist. Ein Maler oder Bildhauer bearbeitet sein Medium direkt, die ArchitektInnen und PlanerInnen bedienen sich eines Instrumentariums, wie Pläne, Regelsysteme etc., die der Materialisierung vorgeschaltet sind. Zwischen Plan und Wirklichkeit besteht a priori eine Differenz.

Universeller Partikularismus: Endlose Interieurs und die Wiederentdeckung der Infrastruktur

Welche Gefahren bergen der Partikularismus und die pluralistische Perspektive auf die Stadt, die den Universalismus abgelöst haben? Die Stadt, die aus divergierenden Einzelinteressen zusammengesetzt wird, gerät leicht zum Patchwork, das kein kongruentes Ganzes mehr ausbildet, sondern sich zunehmend als Ideensammlung ohne Zusammenhang präsentiert. Auch der urbanistische Diskurs spiegelt einen Zustand der Fragmentierung wider. Forschungsprojekte, Informationen, Datenbanken und Publikationen sind weit gestreut und werden nur selten (interdisziplinär) in Beziehung gesetzt. Im Städtebau und der Städtebauforschung führte dieser Umstand zu einer intensivierten Beschäftigung mit klein- und großmaßstäblichen Infrastrukturen, die die Hardware der Raumentwicklung ausbilden und in der Lage sind, die Stadtpartikel wieder zusammenzubinden. Wie der Stadtgrundriss, der die historischen Relationen der Stadt überliefert, bilden diese die Grundlage für das Funktionieren der Stadt aus. Auch scheinbar banale und große Programme wie Einkaufzentren oder Freizeitkomplexe werden wieder in die avancierte Theorie und Praxis inkludiert. Expandierende Indoor-Welten prägen immer mehr die urbane Landschaft. Diese Interieurs konkurrieren mit dem klassischen öffentlichen Raum, der im Zentrum der städtebaulichen Kunst steht. Das Verhältnis zwischen Innen und Außen hat sich nachhaltig verschoben, die Quantität der Außenhülle nimmt proportional mit der Zunahme der Indoor-Fläche ab. Hatte die Erfindung des Aufzugs durch Otis eine neue Morphologie der Städte ermöglicht, so generiert das Air-Conditioning eine neue Kultur der Fläche. Neue mediale Kommunikationsformen, die das Internet ermöglicht, gehen mit Raumstrukturen neuartige Kombinationen ein. In den jüngsten Protesten in Teheran 
spielte der mediale Raum (Twitter, Blogs etc.) eine dem Stadtraum zumindest gleichwertige Rolle.

Die Krise und das Zeitfenster

Die jüngste Finanzkrise, insbesondere das Platzen der US-amerikanischen Immobilienblase, das zum Symbol für eine fehlgeleitete Raumpolitik avanciert ist, hat auch Risse in der Legitimation der unternehmerischen Stadt hinterlassen. Die Konzeption einer Stadt, die sich nach Marktgesetzen selbst generiert, darf wieder laut hinterfragt werden. Der Leerraum, den der jüngste Crash hinterlassen hat, wäre in einen Freiraum für Ideen und Konzepte umzudeuten. Auch Wien ist eine Stadt, die sich im Laufe der Geschichte immer wieder maßgeblich transformiert hat. Die Gründerzeit, Otto Wagners infrastrukturelle Erneuerungen oder die Wohnbaupolitik des Roten Wien prägen die Stadt bis heute. Es gäbe also eine Tradition von mutigen und visionären städtebaulichen Ideen und Konzepten, an die man anknüpfen könnte.

Der Städtebau in der Forschungslandschaft

Wie sieht es mit dem Verhältnis zwischen Stadtforschung und Städtebau aus? Sicherlich können andere Forschungsfelder, insbesondere die Stadtforschung, nicht als Pool fungieren, aus dem der Städtebau allzu leichtfertig Legitimation für seine Konzepte bezieht. Ein Auftritt im Gewand des Soziologen, des Philosophen oder des Psychoanalytikers etc. wäre ein bereits überwunden geglaubter Anachronismus. Der Glaube an die Möglichkeit einer Ableitung der Stadt von morgen aus statistischen Kennzahlen ist (glücklicherweise) längst aufgegeben. Und dennoch ist der städtebauliche Entwurf auch in der postheroischen Zeit, ob bewusst oder unbewusst, immer ein Weltentwurf in Miniatur, eine Stellungnahme, die auf die weltanschauliche Position eines Autors, einer AutorIn oder von AutorInnen verweist.

Der Städtebau agiert zwangsläufig auch auf einer sozialen, politischen und sprachlichen Ebene und berührt somit auch andere Forschungsbereiche und Praktiken. Er agiert in Theorie und Praxis inmitten der Gesellschaft. Genau darin liegt nach wie vor die Faszination dieser Disziplin. Sie stellt unweigerlich große Fragen. Der Stadtentwurf weist immer auch über die Grenzen der Disziplin hinaus. Etwa die Frage, was unter Urbanität zu verstehen und wie diese zu konzipieren und in Realität umzusetzen wäre, lässt sich nur im interdisziplinären Dialog aushandeln. Neue ökologische Herausforderungen, sich verändernde Arbeitswelten oder neue Migrationsbewegungen wirken sich direkt auf die urbane Gegenwart und somit auf die künftige Konzeption von Stadt aus. Die neue Rolle des Städtebaus verlangt nach einer interdisziplinären Offenheit und Kooperationsbereitschaft, um auf der Höhe der Zeit agieren und der Dynamik der Stadtentwicklung gerecht werden zu können. Multiperspektivität ist so gesehen eine Chance und ermöglicht erst den kritischen Diskurs. Dialog und Kooperation bedeuten nicht zwangsweise die Aufkündigung jeder Differenz, die Auflösung der Kompetenzen der Einzeldisziplinen und den Eintritt in einen lähmenden Konsens. Nachdem es das eine, heilbringende System nicht gibt, kann die Zukunft der Stadt nur kollektiv ausgehandelt werden. Dazu müssen die Einzelakteure vom Sockel steigen, den Elfenbeinturm verlassen, in die Stadt hinaus gehen, sich auf dérives im Raum und in der Theorie einlassen – auch wenn damit eine Ambivalenz zwischen Faszination und Kritik verbunden ist, die schon Walter Benjamins Denken angesichts der modernen Metropole bestimmte. Der amerikanische Architektur- und Systemtheoretiker Christopher Alexander propagiert eine Stadt, die sich aus komplexen Überschneidungen von Aktivitäten im Raum generiert. Das Gleiche kann und sollte man für den interdisziplinären Stadt-Diskurs einfordern.

Die Städtebaulehre zwischen Lehrbuch und Kompetenzvermittlung

Die Städtebaulehre ist in vielen Ländern wie auch in Österreich Teil der Architekturausbildung und wird im Studienplan hinsichtlich des angebotenen Lehrumfangs geradezu stiefmütterlich behandelt. Das hängt auch damit zusammen, dass die ArchitektInnen und StädtebauerInnen traditionell in Personalunion auftreten, obwohl die beiden Tätigkeiten zumindest teilweise gänzlich unterschiedliche Anforderungen stellen und der Städtebau keinesfalls nur als Anhängsel der Architektur betrachtet werden kann. Städtebau ist nicht einfach »Architektur in einem größeren Maßstab«. Rem Koolhaas hat in diesem Zusammenhang gar einmal von Schizophrenie gesprochen, die vonnöten wäre, um simultan als Architekt und Städtebauer zu arbeiten. Während ein architektonisches Projekt vom Entwurfsgedanken bis zur Schlüsselübergabe in Form einer fortschreitenden Präzisierung abgewickelt wird, operiert der städtebauliche Entwurf mit Simulation und einer notwendigen Unschärfe, da er nur das Rahmenwerk, nicht aber die detaillierte Ausführung der Einzelobjekte definiert und Entwicklungen in langen Zeiträumen, oft viele Jahre bis Jahrzehnte, antizipieren muss. Während ein architektonisches Objekt perfektioniert werden kann, ist das städtebauliche Objekt mit Fehlern, Missverständnissen, Unzulänglichkeiten und Unkontrollierbarem konfrontiert. Eine geglückte Entwicklung emanzipiert sich oft vom zugrunde liegenden Masterplan in Form einer Neuinterpretation und profitiert doch vom Rahmenwerk. In der Städtebaulehre sollte die Diskrepanz zwischen Plan und Wirklichkeit thematisiert werden und die Frage gestellt werden: Was kann Planung heute leisten, was muss sie definieren und festhalten und was darf und muss sie offen lassen? Städtebau ist ein Training im dialektischen Denken. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen in der Analyse die Wirklichkeit und der Kontext gefiltert, abstrahiert und repräsentiert werden. Die Lehre muss – in kurzer Zeit – ein objektivierbares Wissen (wie wird ein städtebauliches Projekt entwickelt, argumentiert und repräsentiert) und (intellektuelle) Kompetenzen vermitteln, die immer wichtiger werden, um später in Diskurs und Praxis bestehen zu können. Diese Kompetenzen sind auch die Voraussetzung dafür, in den interdisziplinären Dialog eintreten zu können. StudentInnen bringen glücklicherweise geradezu ideale Vorraussetzung mit: Sie sind per se aufgrund ihrer Lebensphase intensive und kompetente StadtnutzerInnen, sind geübt in der Fähigkeit Stadt zu lesen, sind offen für die Auseinandersetzung mit urbanen Phänomenen und bringen somit die beste Voraussetzung mit, Stadt zu gestalten. Die Kompetenz, sich auf einer diskursiven Ebene in Form kommunikativen Handelns mit städtebaulichen Fragestellungen auseinanderzusetzen, wäre schon die ideale Voraussetzung, sich auch in der Welt der Stadtforschung zurechtzufinden.

Anmerkungen zu ausgewählten Beiträgen dieser Ausgabe

Diese Jubiläumsausgabe versammelt interessante Stimmen, die sich gegenwärtig mit aktuellen urbanistischen Fragestellungen auseinandersetzen, die auch für den städtebaulichen Diskurs von Bedeutung sind. Auf vier davon möchte ich besonders hinweisen.
Der Architektur- und Stadtforscher Eyal Weizman berichtet von jenem Mord im Junkspace (Assassination in Junkspace), der gerade noch die Medien beschäftigte. Am 19. Jänner 2010 wurde in Dubai das Hamasmitglied Mahmoud al Mabhouh – wahrscheinlich von Mossad-Agenten – ermordet. Zahllose Sicherheitskameras zeichneten Fragmente dieses Vorgangs in einer Serie von Innenräumen auf, die kein Außen zu haben scheinen. Die Videos kursierten bald darauf im Internet. Eyal Weizman nimmt dieses Ereignis zum Anlass, die machtpolitischen Implikationen dieser überwachten Räume (Flughafen, Luxushotel, Shopping-Mall) zu hinterfragen.
Der Stadtforscher Stephan Lanz berichtet von einem gerade anlaufenden, groß angelegten Forschungsprojekt, das sich dem Verhältnis zwischen dem Städtischen und dem Religiösen widmet. War man lange Zeit davon ausgegangen, dass der globale Urbanisierungsschub mit einer zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft einhergehen würde, so kann man gegenwärtig von einer Rückkehr des Religiösen in die Stadt sprechen. Stephan Lanz skizziert auf den Seiten 32ff. die Themen, Fragestellungen und Methoden, die dem aktuellen Forschungsprojekt Global Prayers: Ein transdisziplinäres Forschungs- und Kulturprojekt zugrunde liegen. In acht Städten wurden wissenschaftliche und künstlerische Fallstudien initiiert: Rio de Janeiro, Jarkata, Mumbai, Lagos, Beirut, Istanbul, London und Berlin.

Stefano Boeri, italienischer Architekt und Urbanist, steuert ein Manifest in einer an sich an Manifesten armen Zeit bei (Seite 143ff.). Arguments for a planetary garden ist ein Plädoyer für eine neue, nicht-anthropozentrische urbane Ethik, für eine neue Geographie des Urbanen, Ländlichen und Natürlichen, die den einzelnen Sphären wieder spezifische Qualitäten zurückgeben will und die Rückgewinnung des Einflusses auf (über)regionale Entwicklungen zum Ziel hat. Der Text ist im Rahmen der Entwicklung eines Konzepts für das Ausstellungsgelände der Weltausstellung 2015 in Mailand Feeding the planet, energy for life entstanden. Ein ökologischer Turn hätte das Potenzial, Stadt wieder vermehrt als ein Ergebnis kollektiver Anstrengung zu begreifen.
Die amerikanische Architektin und Urbanistin Keller Easterling erforscht seit Jahren das Verhältnis von Globalisierung zu Architektur und Stadt. Easterling spiegelt in ihren Essays, die eine hochkomplexe Sprache und thematische Dichte auszeichnet, die Transformationen globaler Räume wider und schafft so wie niemand sonst Sprachkunstwerke, die für sich stehen können und doch so viel über unsere Gegenwart zu erzählen wissen. Empfohlen sei auch Easterlings Essaysammlung Enduring innocence. Global architecture and its political masquerades, die 2005 bei MIT Press erschienen ist.

The Action is the Form in dieser dérive-Ausgabe ist ein Vorabdruck eines Essays, der 2011 veröffentlicht werden wird. Die Übersetzung, die wir zusätzlich in diesem Heft zum englischen Original abdrucken, ist eine Premiere im deutschen Sprachraum. Es ist unserem Wissen nach der erste Text von Keller Easterling, der ins Deutsche übersetzt wurde. Die Aktion ist die Form thematisiert die Disposition von Gegenständen, Gebäuden, Infrastrukturen und Technologien, als Akteure tätig zu werden, zu handeln und uns zu beeinflussen.

dérive, So., 2010.09.26



verknüpfte Zeitschriften
dérive 40/41 Understanding Stadtforschung

23. Oktober 2006Christian Kühn
André Krammer
dérive

Der erratische Zustand der Realität

Yona Friedman, geb. 1923, ist französischer Architekt, Architekturtheoretiker und Stadtplaner ungarischer Herkunft, wohnhaft in Paris. In den 1960er Jahren veröffentlichte er die Manifeste „Architecture Mobile“ und „La ville spatiale“. Diese visionären Megastrukturen über bestehenden Städten, in denen die BewohnerInnen ihre räumliche und soziale Welt flexibel gestalten sollten, sind bis heute viel diskutierte Klassiker der städtebaulichen Avantgarde. Friedman sprach in seinem Vortrag in Wien über das Prinzip der Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit in der Mathematik, Physik, aber auch von räumlichen und sozialen Entwicklungen. Er plädiert angesichts einer erratischen Realität für das Operieren mit offenen Systemen, für eine in die Praxis umgesetzte direkte Demokratie, nicht zuletzt in der Produktion von Raum.

Yona Friedman, geb. 1923, ist französischer Architekt, Architekturtheoretiker und Stadtplaner ungarischer Herkunft, wohnhaft in Paris. In den 1960er Jahren veröffentlichte er die Manifeste „Architecture Mobile“ und „La ville spatiale“. Diese visionären Megastrukturen über bestehenden Städten, in denen die BewohnerInnen ihre räumliche und soziale Welt flexibel gestalten sollten, sind bis heute viel diskutierte Klassiker der städtebaulichen Avantgarde. Friedman sprach in seinem Vortrag in Wien über das Prinzip der Unberechenbarkeit und Unkontrollierbarkeit in der Mathematik, Physik, aber auch von räumlichen und sozialen Entwicklungen. Er plädiert angesichts einer erratischen Realität für das Operieren mit offenen Systemen, für eine in die Praxis umgesetzte direkte Demokratie, nicht zuletzt in der Produktion von Raum.

dérive: Sie haben Systeme konzipiert, die kontinuierlich verändert werden können – auf Grund sich verändernder Bedürfnisse und Wünsche. Heute dienen Architektur und Stadtplanung oft der Etablierung von Marken – das impliziert ein fixiertes, wieder erkennbares Bild. ArchitektInnen entwickeln ihre eigene Marke, um als „Stars“ wahrgenommen zu werden. Gibt es noch Raum für Konzepte und Strategien?

Yona Friedman: Ich möchte nicht ungerecht sein. Aber das System der Stars ist eine lächerliche Angelegenheit. Ich denke, dass Kultur von Gewohnheiten und Stilen geprägt ist. Es gibt natürlich individuelle Positionen, die aber in eine Gesamtheit eingebettet sein sollten. Auch das „Star-System“ der Vergangenheit brachte negative Resultate. Gotische und mittelalterliche Architektur war großartig, gleichzeitig individuell und doch ein gemeinsamer Stil. Wenn man gewisse Tendenzen in der Renaissance betrachtet, findet man hingegen Schwächen. Ein Stil da, ein anderer dort und keine Kohärenz. Die Kohärenz beginnt auf einer unteren Ebene, nicht auf der „Star“-Ebene. Und es gibt wunderbare Barock-Architektur, aber nicht unbedingt als Folge eines „Star“-Systems.

dérive: Hat Le Corbusier Ihre ville spatiale kommentiert?

YF: Ja – positiv. 1957 war ich sehr unsicher. Ich dachte, ich entwickle mich weg von der Architektur-Gemeinschaft. Ich habe während des CIAM-Kongresses in Dubrovnik bemerkt, dass die ville spatiale etwas Neues für die Architekten war. Ich wusste erst nicht, ob ich hingehen sollte. Ich traf Le Corbusier, und wir sprachen zwei Stunden. Er sagte mir: „Ich würde so etwas nicht machen, aber Sie müssen es machen. Alle Architekten werden gegen Sie sein. Aber das macht nichts.“ Es war eine sehr starke Unterstützung und ich hatte keine Bedenken mehr, mich mit diesem Rückhalt an Alison und Peter Smithson zu wenden. Aber ich komme noch einmal auf Ihre allererste Frage zurück. Le Corbusier hatte eine sehr seltsame Einstellung. Sein Erfolg war ja, dass er kopiert wurde, und er wurde oft kopiert. Aber er war zornig auf die Leute, die ihn kopierten. Das ist sehr seltsam. Weil ja genau diese Kopien sein Erfolg waren.

dérive: In der ville spatiale erbauen die BewohnerInnen die Stadt nach ihren individuellen Präferenzen - der/die ArchitektIn ist nicht SchöpferIn einer finalen Form, sondern stellt ein Rahmenwerk zur Verfügung. Aber individuelle Wünsche werden oft manipuliert – etwa durch Werbung und Kommerz. Sind freundliche, aufgeklärte NutzerInnen nicht eine Illusion?

YF: Ja, freundliche, aufgeklärte NutzerInnen sind eine Illusion, aber das kümmert mich nicht. Es können dumme NutzerInnen sein. Wenn man Leute auf der Straße anschaut, sind diese nicht notwendigerweise geschmackvoll angezogen, aber der generelle Eindruck ist vielfältig. Viele dumme NutzerInnen würden eine facettenreiche Landschaft erzeugen. Einfach auf Grund ihrer Anzahl und auf Grund von Regeln. Ein anderes Beispiel: Auf der Straße schaut man als ArchitektIn auf die Gebäude, aber das tut sonst niemand. Die Straße wird von den Auslagen der Geschäfte gebildet. Die sind banal, und doch geben sie der Straße ihre Lebensqualität.

dérive: Aber etwas anzuschauen und etwas zu erfahren sind zwei unterschiedliche Dinge. Sind Ihre Konzepte in Bezug auf Partizipation und Wahlmöglichkeit der NutzerInnen und Offenheit der Struktur universelle Prinzipien oder sind diese vom Kontext abhängig?

YF: Für mich ist das ein universelles Prinzip. Nicht nur in der Architektur. In meinen letzten Büchern habe ich Unberechenbarkeit thematisiert, in der Physik, in der Mathematik. Die Mathematik wird oft auf Arithmetik reduziert, auf ein regu-läres System, aber das ist sie nicht, sie ist voll von unberechenbaren Elementen. Ich könnte mich auf Gödel beziehen, aber auch, auf einer einfacheren Ebene, auf Leibniz. Man nimmt eine Zahl, addiert eine weitere. Und so weiter. Erhält eine Primzahl, dann eine perfekte Zahl, auf einmal eine Quadratzahl. Das bedeutet, dass man nie weiß, was als nächstes kommt. Das ist die Definition von Unberechenbarkeit/Unkontrollierbarkeit. Von einer bestimmten Stufe aus weiß man nicht, was die nächste bringen wird. Auch im sozialen Verhalten ist es ein Prinzip. Man weiß nicht, wie sich Leute verhalten werden. Alles ist möglich, zu jedem Zeitpunkt. Das ist die erratische Struktur der Realität.

dérive: Gestern in Ihrem Vortrag nannten Sie Architektur ein Hindernis. Als solches steht sie gewissermaßen diesen erratischen Prozessen im Weg. Deshalb möchten Sie sie zur Seite schieben. Hannah Arendt hat über öffentlichen Raum geschrieben, dass er etwas ist wie ein Tisch, ein Objekt zwischen Menschen, das diese gleichzeitig trennt und verbindet. Aber ein Objekt wird benötigt. Das Objekt hat hier nicht nur die Rolle eines Hindernisses, sondern auch die eines Gegenstandes der Verhandlung.

YF: Sie kennen die Raumdefinition von Leibniz. Raum existiert nicht, außer es gibt mindestens ein Objekt. Das ist evident. Das zeigt eine gewisse Komplementarität. Hindernisse sind notwendig, aber ich mag die Idee nicht, dass sie vorherbestimmt sind.

dérive: Es gibt zu viele Hindernisse in der Architektur?

YF: Das hängt vom Kontext ab, deshalb betone ich immer, dass soziales Verhalten erratisch ist. Leute brauchen manchmal Hindernisse, und sie schaffen welche. Manchmal wollen sie sie loswerden. Aber ich denke nicht, dass die Architekten das alleine definieren.

dérive: Welche Form von Machtstruktur wäre Ihrer Meinung nach fähig, ein derart aufwändiges System wie die ville spatiale zu implementieren?

YF: Ich denke, die Machtstruktur wäre nicht geplant und wäre mehr und mehr reduziert. Es würde sehr stark von natürlichen Führungstalenten abhängen. Leute haben eine Idee und könnten eine Gruppe bilden. Das ist noch nicht sehr gefährlich.

dérive: Wie sehen Sie das Verhältnis von Privatheit, Öffentlichkeit und Politik? Was denken Sie über die Beziehung von Politik, Architektur und Urbanismus? Glauben Sie an große Politik, große Projekte?

YF: Ich denke, darin liegt meine Kritik an der Mainstream-Architektur. Sie ist unweigerlich ein politisches Werkzeug. Das Star-System ist typischerweise die Kreation einer bestimmten politischen Einstellung. Mein Denken ist nicht unpolitisch, aber auf andere Weise politisch. Sie könnten es direkte Demokratie nennen, wenn Sie wollen. Aber es geht nicht um große Worte. Sie entsteht im Handeln. Leute laufen über die Kärntnerstraße, das ist ursprüngliche, direkte Demokratie. Niemand stößt an den anderen an. Niemand tötet den anderen. Es funktioniert. Es hat seine eigene Regelhaftigkeit. Das ist für mich Gesellschaft: Individuen, die von Gepflogenheiten zusammengehalten werden. Die Routine ist das stärkste Element. Das ist niemals abstrakt, es passiert affektiv.

dérive: Sehen Sie Ihre Arbeit für die UNESCO als politisch an?

YF: Ja und Nein. Ich habe das nicht als politisch betrachtet, aber es hat Menschen beeinflusst. Sie hatten ein Problem und suchten nach Rat. Und Rat kann nicht nur gelehrt sein, man kann Anstöße geben. Sie machten es dann auch auf Ihre Weise. Ich weiß nicht, ob Sie Paolo Frere kennen. (Anm. d. Red.: Der Initiator einer Pädagogik der Unterdrückten) Er meinte, es wäre das Wichtigste, AnalphabetInnen zu unterrichten. Das war der Grund dafür, dass wir befreundet waren, weil ich das auf visuellem Gebiet versuchte. Als ich Zeichnungen und Poster mit Leuten im öffentlichen Raum in Indien machte, fingen die Leute an, es selbst zu tun, es wurde zu einer Form des Ausdrucks. So wie Rap politisch wurde. Ich denke, es geht immer um die Idee der eigenen Verantwortung in seinen Belangen. Du solltest maximale Information bekommen. Die Information mag parteiisch sein, das ist ihr Charakter. Aber du musst sie schälen und herausnehmen, was du brauchst. Mit der Architektur und der Gesellschaft oder auch der Mathematik ist es das gleiche. Es gibt dieses unausgesprochene Prinzip dahinter. Unausgesprochen, weil ich es nicht kenne.

dérive: Können wir in der Betrachtung des Phänomens von Zersiedelung und Suburbanisierung – trotz aller Kritik – etwas von diesen ungeplanten Territorien lernen? Und: Die Hierarchien zwischen Zentrum und Peripherie werden unscharf. Wird die Polarität verschwinden?

YF: Ich glaube nicht. Ich gebe ein Beispiel: Von Paris nach Tours braucht man 55 Minuten. Von einem Vorort ins Pariser Zentrum ist es mehr als eine Stunde. Aber Tours ist nicht eine Vorstadt von Paris, sondern ein eigenes Zentrum. Paris oder London zu besuchen, ist ein routinierter Akt. Die Peripherie wird nicht besichtigt.
Die Vorstädte wurden mit gutem Willen gebaut. Aber es existiert keine Routine. Sie haben ihre Rolle nicht gefunden.
Es ist nicht nur eine Frage der Ökonomie. Eine ärmliche Gegend innerhalb einer großen Stadt ist etwas wie eine unabhängige Einheit.
Einmal habe ich gesagt, dass das Land unsere letzte Kolonie ist. Aber es ist noch schlimmer. Die Vorstädte sind unsere letzten Kolonien. Und Kolonien explodieren. Denke Sie an die letzte Revolte in Paris. Es war eine sehr interessante Angelegenheit. Es war keine politische Revolte, und sie war nicht zentriert. Es hat angefangen, als die Leute wirklich verärgert waren. Ich glaube, soziale Entwicklungen können nicht gelenkt werden. Aber man kann Werkzeuge bereitstellen, und die Menschen machen etwas damit.

dérive: Gibt es für Sie eine kritische Größe einer Stadt?

YF: Sehen Sie – das ist interessant in Indien. Es ist ein überbevölkertes Land, aber die Städte sind nicht überbevölkert. Ich kannte Bombay in den siebziger Jahren. Heute sind 36 Jahre vergangen. Bombay ist gewachsen, aber nicht explodiert, wie man angenommen hatte.
Auch andere indische Städte sind gewachsen, ohne zu explodieren. Indien hat eine Kleinstadt-Struktur behalten. Ich denke, China auch, obwohl das Land so weitläufig ist – und obwohl Shanghai zu groß geworden ist.
Anders ist die Sache bei Istanbul: Als ich Istanbul kennen lernte, gab es 800.000 EinwohnerInnen. Istanbul für etwa zwei Millionen EinwohnerInnen wäre auch noch ok. Aber heute hat Istanbul 17 Millionen Einwohner. Die Großstadt ist zwar sehr attraktiv, aber dann gibt es auch ziemlich große Enttäuschungen und Probleme.

dérive: Implizieren Sie damit auch, dass – wenn neue Städte geschaffen werden sollten – ab einer gewissen Größe neue Zentren geplant werden sollten? In Asien planen Sie ja gegenwärtig neue Städte. Und auch andere europäische PlanerInnen bauen dort neue Städte.

YF: Ich weiß nicht, wo neue Städte hinführen. Unter Alexander dem Großen wurden 200 Alexandrias gegründet. Heute gibt es eines. Oder wenn Sie nach Amerika schauen: Die Zahl bedeutender Städte des 19. Jahrhunderts, die verschwunden sind, ist überraschend – es ist keine verschwunden. Es ist seltsam, aber so ist es, an vielen Orten. Und die Situation in Europa ist auch weit weniger dramatisch als überall anderswo. In Europa hat sich nie eine Konzentration im Sinne einer Mega--city ausgebildet. Brüssel ist die Hauptstadt Europas und scheint in der Größe beinahe konstant zu bleiben.

dérive: Wir haben eine andere Demografie. Sie nimmt ab.

YF: Außerdem haben wir eine andere ökonomische Realität. In Indien ist ein Grund dafür, dass es keine überbevölkerten Städte gibt, dass es viele Sprachen gibt. Es gibt keine indische Sprache. Es wird Marathi gesprochen, dann gehen Sie in ein Dorf zweihundert Kilometer entfernt, und da ist es komplett anders. Nicht völlig anders, aber anders genug.

dérive: Was denken Sie über den Boom der so genannten minimalistischen Architektur heute? Sie haben ja in den fünfziger und sechziger Jahren ein spezielles Konzept des Minimalen erarbeitet. Wir denken, dass Ihr Konzept des Minimalen eine sehr soziale Idee war und nicht eine rein ästhetische. Minimalismus heute ist dagegen sehr teuer geworden.

YF: Ich weiß. Das hat kommerzielle Gründe. Das ist eben das Star-System. Etwa vor zehn Jahren hat die Stadt nach Unterkünften für Obdachlose in Paris gesucht. Ich machte einen Vorschlag, den ich „2 Wände und 1 Dach“ nannte. Die Leute sollten diese einfachen Strukturen besetzen. Es war als eine Form organisiertes Besetzens gedacht. Das wurde abgelehnt.

dérive: Vielleicht mochte der Wohlfahrtsstaat ihr Modell nicht. „2 Wände und 1 Dach“ ist nicht genug für den Wohlfahrtsstaat, weil er einen minimalen Standard definiert und man nicht darunter gehen kann.

YF: Sicher. Und es gibt noch zwei Schwier-igkeiten: Die Firmen, die der Staat fragte, waren nicht interessiert, weil es nicht perfekt aussah. Und zweitens stellte der Staat Land zur Verfügung, was ja das teuerste Gut ist, und deshalb wollte er etwas Spek-takuläreres machen. Mein Ansatz war, dass nicht Land zur Verfügung gestellt werden sollte, sondern Luftraum genützt werden sollte wie etwa über den Rangierbahnhöfen.

dérive: Denken Sie, dass Ihre Ansätze auch in der Mainstream-Praxis Anwendung finden könnten?

YF: Wissen Sie, es ist in meinem Interesse, gewisse Prozesse in Gang zu bringen. Ich hatte nie die Illusion, dass der Prozess mir gehört oder dass ich ihn kontrollieren könne. Ich kann nicht sagen, was das Resultat sein wird, weil ich auch nicht an finale Resultate glaube. Ich kann nur Prozesse in Gang bringen und dann … ok ...

dérive: Architektur ist eine Einladung zu einem Spiel?

YF: Ich glaube, dass ArchitektInnen nicht verstehen, dass sie nur den Ausgangspunkt eines Prozesses gestalten. In den Siebzigern war ich in Hongkong. Die Regierung hatte einige Gebäude errichtet. Ein Jahr später sahen sie anders aus, weil die Leute Balkone anbauten und Vogelkäfige und Gott weiß was. Ich habe Fotografien von Häusern gemacht, wo man die ursprüngliche von Architekten entworfene Form nicht mehr ausmachen konnte. Als ich 1949 Le Corbusier kennenlernte, sagte er mir: „Schauen Sie sich nicht die Gebäude von mir an, die Leute haben sie verändert. Es ist eine Katastrophe, Sie können sich die cité universitaire anschauen gehen, aber alles andere wurde verändert.“ Aber das war genau das Schöne, dass die Gebäude verändert wurden.

dérive, Mo., 2006.10.23



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