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07. Juli 2008Oliver Pohlisch
TEC21

New Orleans – Drei Jahre nach der Flut

Vor drei Jahren, am 29. August 2005, fegte Katrina über New Orleans. Die Flutwelle, die der Hurrikan vor sich hertrieb, brachte Deiche und Schutz­mauern zum Bersten, vier Fünftel der Stadt wurden überschwemmt, 1300 Menschen starben. Heute sind die Spuren der Verwüstung noch immer deutlich sichtbar. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. Die hoffnungsvollsten Projekte werden durch NGO und Bürgerinitiativen in Gang gebracht – nicht zuletzt als Reaktion auf Stadtentwicklungspläne, die für ärmere afroamerikanische Teile der Bevölkerung keinen Platz mehr in New Orleans vorsehen.

Vor drei Jahren, am 29. August 2005, fegte Katrina über New Orleans. Die Flutwelle, die der Hurrikan vor sich hertrieb, brachte Deiche und Schutz­mauern zum Bersten, vier Fünftel der Stadt wurden überschwemmt, 1300 Menschen starben. Heute sind die Spuren der Verwüstung noch immer deutlich sichtbar. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. Die hoffnungsvollsten Projekte werden durch NGO und Bürgerinitiativen in Gang gebracht – nicht zuletzt als Reaktion auf Stadtentwicklungspläne, die für ärmere afroamerikanische Teile der Bevölkerung keinen Platz mehr in New Orleans vorsehen.

Wie Filmkulissen eines Südstaatenmelodrams nehmen sich die Fassaden vereinzelter rekonstruierter Häuser in den von der Katastrophe geschaffenen weiten Brachen der Stadt aus. Um sie herum wurden komplette Gebäudezeilen abgerissen, und über die verbliebenen Betonfundamente breitet sich Wildwuchs aus. Nicht wenige Ruinen stehen aber noch; ihre Fenster sind mit Brettern vernagelt und die Türen von den Behörden versiegelt worden. Immerhin: Dort, wo sich von der Federal Emergency Management Agency (FEMA) bereitgestellte Wohnwagen befinden, arbeiten weitere Hausbesitzer beharrlich an der Wiederherstellung ihres Zuhauses. Die Pfahlbau-Ästhetik, die bei der Rekonstruktion dominiert, wird von den Versicherungen quasi mitdiktiert. Diese entschädigen nur, wenn die Eigentümer ihr Heim gemäss den Vorgaben der FEMA für das jeweilige Stadtviertel auf eine bestimmte Höhe anheben. Die geringe Dichte des Wiederaufbaus hingegen ist das Ergebnis einer knausrigen Verteilung von bundesstaatlichen Geldern an Hausbesitzer ohne ausreichenden Versicherungsschutz: Die Mittelvergabe aus dem Home Road Program bemisst sich am Verkehrswert eines Gebäudes vor der Katastrophe. Im Falle des Eigentums von afroamerikanischen Mittelschichts- und Arbeiterfamilien liegt dieser oft weit unter den Kosten für die Instandsetzung.

Nach der Katastrophe der Themenpark?

Seit die Stadt wieder trockengelegt ist, kämpft die schwarze Community oft unbeachtet von den Medien darum, überhaupt eine Zukunft in New Orleans zu haben. Zwar ist die Einwohnerzahl wieder auf 327000 gestiegen, das sind 72% der Bevölkerungsgrösse vor Katrina. Allerdings war die Stadt im Sommer 2005 zu 67% schwarz, heute ist sie es nur noch zu 58%. Nach Ansicht des Urbanisten Mike Davis wird die Rückkehr der afroamerikanischen Bevölkerung von einer Politik erschwert, welche die Katastrophe als einmalige Chance begriffen hat, um New Orleans mit Vertreibungen, Privatisierungen und Umstrukturierungen in einen makellosen Themenpark für den gehobenen Tourismus zu verwandeln. Schwarze fänden darin nur noch als Museumshüter der von ihnen geprägten weltbekannten Jazz- und Karnevalskultur Verwendung.[1]

Einer der grössten Grundstücksbesitzer im French Quarter äusserte sich unverblümt: «Der Hurrikan hat arme Leute und Kriminelle aus der Stadt gefegt, und wir hoffen, dass sie nicht zurückkommen werden. Die Party ist für diese Leute endlich vorbei, und nun müssen sie sich einen anderen Platz zum Leben in den Vereinigten Staaten suchen.» In der Bevölkerung ging die Angst vor einem Landraub um: Der schwarzen Arbeiter- und Mittelschicht solle dank planerischen Restriktionen der Grund abspenstig gemacht werden, damit Investoren darauf profitable Grossprojekte errichten könnten. Tatsächlich hatte der demokratische Bürgermeister Ray Nagin im Rahmen des im Winter 2005 lancierten «Bring New OrleansBack»-Plans (BNOB-Plan) das von der US-Immobilienbranche gesponserte Urban Land Institute (ULI) damit beauftragt, ein Landnutzungskonzept für New Orleans zu erstellen. Die ULI-Planer propagierten eine radikale Zäsur in der Stadtentwicklung. Sie schlugen vor, die Siedlungsfläche zu verkleinern, und illustrierten das mit Karten, auf denen die am stärksten überfluteten Quartiere durch Grünflächen ersetzt waren. Dieser Vorschlag erwies sich als PR-Desaster. Die Wut betroffener Einwohner darüber, dass die Zukunft ihrer Viertel in Frage gestellt wurde, liess die Mitgliederzahlen von Nachbarschaftsorganisationen und Bürger­initiativen massiv ansteigen. Einige begannen sogar, mit Hilfe von Architekturbüros und Wissenschaftern eigene Entwicklungspläne für ihr Quartier aufzustellen.

Ein Plan, bei dem alle mitreden

Bürgermeister Nagin distanzierte sich schnell von der Idee der Stadtverkleinerung, da er fürchtete, bei den bevorstehenden Wahlen sein Amt zu verlieren. Stattdessen betonte er nun, dass alle das sofortige Recht auf Rückkehr hätten. Der freie Markt solle entscheiden, welche Quartiere Überlebenschancen hätten und welche nicht. Der Stadtrat beauftragte Wohnungsbauberater Paul Lambert mit der Durchführung von Bürgerbeteiligungsverfahren in den 46 von der Flut betroffenen Stadtteilen. Der so genannte Lambert-Plan wurde mit 2.9 Mio. Dollar aus Bundesmitteln gefördert. Weil ihm aber ein langfristiges Konzept für die gesamte Stadt fehlte, gab die Louisiana Recovery Authority (LRA) die dringend gebrauchten Hilfsmittel des Bundes nicht frei. Ein Jahr nach Katrina war New Orleans die letzte betroffene Verwaltungseinheit, die noch immer keinen kohärenten Wiederaufbauplan vorweisen konnte. Die LRA begann nun Druck auf die Kommune auszuüben, und die Rockefeller Foundation erklärte sich bereit, ein die ganze Stadt umfassendes Planungsverfahren mit 3.5 Mio. Dollar zu unterstützen. Der Bundesstaat Louisiana, die Stadt und die FEMA kamen schliesslich überein, mit diesem Geld den «Unified New Orleans Plan» (UNOP) anzuschieben.

Der UNOP-Prozess kann wohl als eines der grössten Bürgerbeteiligungsverfahren in der US-Geschichte gelten. Seine wesentliche Aufgabe war es, den Unmut unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren über den bisherigen Verlauf des Wiederaufbaus zu kanalisieren. In den dreizehn städtischen Planungsdistrikten konnten die am UNOP-Prozess teilnehmenden Nachbarschaftsvertreter je ein Team aus landesweit tätigen Architektur- und Planungsbüros auswählen, mit dem sie Pläne für ihren Distrikt entwarfen. Diese Arbeit wurde mit der Entwicklung eines Gesamtkonzepts für New Orleans synchronisiert. Auf drei sogenannten Community Congresses partizipierten auch noch nicht zurückgekehrte Flüchtlinge per Konferenzschaltung in andere US-Städte am Planungsprozess.[2]

Nur vier Monate waren für den UNOP-Prozess angesetzt. Rob Olshansky, Professor für Stadtplanung an der Universität Urbana, Illinois, und Mitarbeiter des UNOP-Stabes, bezeichnet ihn als äusserst erfolgreich. Nach dieser kurzen Zeit konnte der LRA ein kohärenter Entwicklungsplan vorgelegt werden, der endlich die Auszahlung der staatlichen Wiederaufbaugelder auslöste. «UNOP hat eine grosse Anzahl von Einwohnern dazu gebracht, über ihre Viertel und die Beziehungen zwischen den einzelnen Stadtteilen nachzudenken und zu diskutieren», so Olshansky. Die quartierübergreifende Vernetzung von Nachbarschaftsgruppen sei gefördert worden, und der UNOP bilde eine solide Basis für die folgenden Planungen der Kommune.[3]

Im Dezember 2006, während der UNOP-Prozess anlief, bündelte Bürgermeister Nagin acht verschiedene Verwaltungsstellen im Office of Recovery Management (später in New Orleans Redevelopment Agency umbenannt) zur besseren Koordination des städtischen Wiederaufbaus. Als dessen Chef setzte er Edward J. Blakely ein, Dekan der Fakultät für Stadtplanung an der Universität Berkeley, der sich beim Wiederaufbau Oaklands nach dem Erdbeben von 1989 einen guten Ruf als Experte für Stadtentwicklung im Katastrophenfall erworben hatte. Blakely übersetzte den UNOP im Frühjahr 2007 in den sogenannten «17 Target Zones»-Plan. Dieser weist 17 Förderzonen mit jeweils einem Durchmesser von einer halben Meile aus, die sich entlang wichtiger Verkehrsachsen und rund um traditionelle Geschäftszentren erstrecken. Blakely baut auf einen Domino-Effekt: Die begrenzten Finanzmittel der Stadt werden in Infrastruktur investiert und als Darlehen für private Investitionen in diese Zonen vergeben. Deren Revitalisierung, hofft er, greife mit der Zeit auf die umliegenden Areale über. Die Intensität der Förderung soll sich nach dem Ausmass der Zerstörung der Bausubstanz und der sozialen Strukturen in der jeweiligen Zone richten. Darüber hinaus will die Stadt vor allem den Ausbau medizinischer Einrichtungen im Stadtzentrum als einen Motor der lokalen Wirtschaft fördern.

Der Katastrophenmanager bleibt stecken

Doch heute, ein Jahr später, zeigen sich viele Einwohner der Stadt darüber frustriert, dass in den 17 Förderzonen nur wenige Aktivitäten zu registrieren sind. Ed Blakely erklärt die schleppende Entwicklung mit bürokratischen Hürden, einer verzögerten Auszahlung der Bundeshilfen und den strengen Massstäben für die Ausgabe öffentlicher Gelder. Letzteres sei eine Konsequenz aus der an Misswirtschaft reichen Geschichte der Stadtverwaltung. Zudem wird Blakely nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der Wiederaufbau von Oakland schliesslich mehr als eine Dekade gedauert habe. Inzwischen herrscht erneut Kakofonie im Wiederaufbauprozess. Die New Orleans Building Corporation, im Jahr 2000 vom Stadtrat eingesetzt, um städtischen Grund profitabel zu entwickeln, treibt die Transformation der alten Hafenanlagen am Mississippi in eine Kette von Parks, Veranstaltungsorten und Restaurants voran. Doch für die Uferaufwertung und andere von privatwirtschaftlicher Seite favorisierte Grossprojekte wie Sportstätten rund um den Superdome, neue Behördenkomplexe sowie einen Theaterdistrikt am Rande des French Quarter fehlt das Geld. Die von lokalen Unternehmern getragene Initiative «Global New Orleans, a Vision for Change» möchte es mit dem Verkauf der Betreiberrechte des Louis Armstrong International Airport an Louisiana beschaffen. 500 Mio. Dollar soll der Staat dafür an die Stadt zahlen und mit dem Ausbau des Flughafens möglichst noch den Wirtschaftsstandort New Orleans attraktiver machen.

Architekturlabor dank Non-Profit-Sektor und Showbiz

Vorderhand ist die Selbstorganisation auf Stadtteilebene das Schlüsselelement im Wiederaufbau. Doch trotz allen Vernetzungsbemühungen: Die jahrelange staatliche Politik der Mittelverknappung und des Rückzugs aus kommunalen Dienstleistungen zwingt die einzelnen Stadtteile tendenziell in einen Wettbewerb um Hilfsgelder von karitativ gesinnten Privatpersonen und Unternehmen. «Nachbarschaften, die nicht kreativ denken und ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen, können ins Hintertreffen geraten», legitimiert etwa die Broadmoor Development Corporation ihre Kooperation mit HGTV, einem kommer-ziellen Fernsehprogramm mit Einrichtungs- und Garten-Ratgebersendungen, beim Bau von zwei Häusern und diversen Aufräumarbeiten im Stadtteil.[4]

Dort, wo die Bewohner kaum eigene Mittel besitzen, um ihre Existenz in New Orleans sicherzustellen, ist in den vergangenen zwei Jahren immerhin eine vielfältige Szene von Non-Profit-Organisationen eingesprungen. Mit akademischer Expertise und oft dank öffentlichkeitswirksamer Unterstützung durch das Showbiz hat sie kleinteilige Wiederaufbauprojekte angeschoben und trotzt so der Behauptung, dass die Quartiere der ärmeren Afroamerikaner keine Zukunft hätten. In dem von der Flut am schwersten heimgesuchten Lower Ninth Ward und in angrenzenden Vierteln entwickelt sich New Orleans dank dem Non-Profit-Sektor zum Schaufenster experimenteller Öko-Architektur für schmale Geldbeutel und prekäre Topografien. Das «Make it Right»-Projekt von Hollywoodstar Brad Pitt ist derzeit das aufsehenerregendste unter diesen Projekten (vgl. Artikel S. 33–35).

Brad Pitt unterstützt daneben auch ein Projekt von Global Green USA, einer landesweiten Organisation, die nachhaltiges Bauen propagiert. Zusammen mit der Home Depot tion hat sie im Mai das erste Solarenergiehaus im Lower Ninth Ward eingeweiht.[5] Als temporäres Büro der Holy Cross Neighborhood Association und Besucherzentrum ist es Teil einer grösseren Anlage nach einem Entwurf von Matthew Berman und Andrew Kotchen von Workshop/APD, der unter 125 Eingaben im Wettbewerb «Sustainable Design for New Orleans» ausgewählt wurde. Das Projekt umfasst sechs Einfamilienhäuser, ein Apartmenthaus mit 18 Wohnungen, ein Community Center und ein Institut für nachhaltiges Design und Klimaschutz.

Ein anderes Vorhaben fokussiert auf den Schutz des kreativen Milieus der ärmeren afroamerikanischen Quartiere. Das Musicians’ Village im Upper Ninth Ward soll mit über siebzig Einfamilienhäusern Heimstatt für Musiker und Musikerinnen werden, die durch Katrina ihr Hab und Gut verloren haben. Realisiert wird die Siedlung von Habitat for Humanity, ihr Entwurf beruht auf Ideen von Harry Cornick jr. und Branford Marsalis, zwei der berühmtesten Musiker mit Wurzeln in New Orleans. Herzstück der Siedlung wird das Ellis Marsalis Center for Music mit Konzertsaal, Proberäumen, Einrichtungen für den Musikunterricht und einem Quartierzentrum mit sozialen Dienstleistungen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Anlage sein. Habitat for Humanity hat es besonders gut verstanden, Politiker und andere Prominente für das eigene Projekt einzuspannen. Selbst Präsident Bush hat schon einige Nägel ins Dachgebälk gehämmert.

Den nachhaltigsten Widerstand gegen ein Verschwinden der afroamerikanischen Quartiere hat aber wohl Acorn geleistet. Die in den 1970er-Jahren gegründete landesweite Organisa-tion einkommensschwacher Mieter und Hausbesitzer verfügt in New Orleans über eine Mitgliederbasis von 9000 Familien. Als die Stadt im Dezember 2005 den Hausbesitzern mit Enteignung und Abriss ihres beschädigten Eigentums drohte, wenn sie die Schlammmassen und ihren wertlos gewordenen Hausrat nicht entsorgten, organisierte Acorn 15 000 Freiwillige für Aufräumarbeiten und konnte so 2500 Häuser retten.[6]

Acorn stellte auch das Planungsteam für das Lower Ninth Ward im erwähnten UNOP-Verfahren. Mit Hilfe von Forschenden dreier Universitäten dokumentierte Acorn im «People’s Plan for Rebuilding the Lower Ninth Ward» den Rückkehrwillen der Bevölkerung des Quartiers und entwickelte ein detailliertes Konzept für dessen Revitalisierung. Es war entscheidend für die mit 145 Mio. Dollar dotierte Aufnahme des Lower Ninth Ward als Wiederaufbauzone in den «17 Target Zones»-Plan. Damit war die Idee einer Renaturierung des Quartiers endgültig vom Tisch. Im Februar 2007 konnte Acorn im Lower Ninth Ward zwei sturmresistente Energiesparhäuser fertig stellen, und die Organisation hat auch den Zuschlag für den Wiederaufbau von weiteren 150 Objekten erhalten.

12000 Obdachlose – Stadt bricht Sozialsiedlungen ab

Doch Nachbarschaftsvertretungen und Non-Profit-Organisationen können sich nicht allen Härten staatlicher Politik entgegenstellen. Vor allem einfachen Mieterinnen und Mietern scheint die Rückkehr in ihre Stadt auf Dauer verbaut zu sein. Die Flutkatastrophe hat zwei Drittel des Mietwohnungsbestandes in Mitleidenschaft gezogen. Die folgende Knappheit hat zu horrenden Mietpreissteigerungen geführt. Hope House, eine Mieterinitiative, berichtet von monatlich vier- bis fünfhundert Personen, die sie wegen abgedrehter Strom- und Wasserversorgung, drohender oder schon erfolgter Räumung um Hilfe bitten. Mit 12000 ist die Zahl der Obdachlosen heute doppelt so hoch wie vor der Flut. Die Kommune trägt noch aktiv zu dieser Wohnungskrise bei. Der Stadtrat beschloss im Dezember 2007, vier Sozialbausiedlungen mit 4500 Wohnungen abzureissen. Schon vor Katrina standen sie im Ruf, «Brutstätten der Kriminalität» zu sein. Die «New York Times» kritisierte diesen Beschluss als ein Echo der rabiaten Slumreinigungspolitik der 1960er-Jahre und pries Teile der Siedlungen als vorbildliche Beispiele des öffentlichen Wohnungsbaus während der Phase des New Deal in den 1930er-Jahren.[7] Die einst für die Siedlungen zuständige städtische Sozialwohnungsbaubehörde wurde 2000 wegen Misswirtschaft unter Zwangsverwaltung des Bundesministeriums für Stadtplanung (HUD) gestellt. Das HUD will nun anstelle der alten Bauten von privaten Investoren Anlagen mit sozialer Durchmischung errichten lassen. Es wird dort nicht mehr genug Platz für die rund 20000 Personen geben, die vor Katrina in diesen Housing Projects lebten. Die UNO fordert den Stopp des Abrisses, da er eine Menschenrechtsverletzung darstelle.

Die Vernichtung öffentlichen Wohnraums ist tatsächlich ein Indiz für die Absicht massgeblicher Akteure in Politik und Wirtschaft, zumindest die rasche Rückkehr der afroamerikanischen Working Poor ans Mississippiufer zu verhindern. Dass sich aber die apokalyptischen Prophezeiungen von Mike Davis und anderen nicht bruchlos bewahrheitet haben, ist vor allem den lokalen Stadtteilinitiativen und landesweiten Non-Profit-Organisationen zu verdanken, die das Fortbestehen der am stärksten zerstörten Viertel mit Vehemenz zu sichern versuchen. Ob die Kommune diese städtische Bewegung zukünftig stärker an politischen Entscheidungen teilhaben lassen möchte, wird sich dann wirklich zeigen, wenn sie über die Verwendung der vielen leergeräumten Grundstücke von Hauseigentümern entscheiden muss, die – gegen Entschädigung aus dem Road Home Program – New Orleans tatsächlich für immer Lebewohl gesagt haben.

Anmerkungen
[1] Mike Davis: «Gentrifying Disaster», in: Mother Jones, 25. Oktober 2005
[2] Zum UNOP-Prozess und dessen Vorgeschichte vgl. Ray Mikell: A Unified New Orleans? Neighborhood Organizations, Factionalism and Rebuilding after Katrina: A Preliminary Report, 6. Januar 2007, New Orleans
[3] Gespräch mit dem Autor am 21.Mai 2008
[4] Becky Bohrer: «With ‹Katrina Fatigue› Worn Off, Magazines Chronicle a Rebirth», in: The Washington Post, 5. April 2008, S. F11, Washington
[5] Website von Global Green: www.globalgreen.org
[6] Website von Acorn: www.acorn.org
[7] Nicolai Ourousoff: «High Noon in New Orleans: The Bulldozers Are Ready», in: The New York Times, 19. Dezember 2007, New York

TEC21, Mo., 2008.07.07



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|27-28 New Orleans Blues

London plant wieder

Im Londoner Osten findet zwei Jahrzehnte nach dem Umbau der Docklands zum Finanzzentrum erneut ein Umbruch statt. Bis 2012, wenn hier die Olympischen Spiele stattfinden, soll das East End, die «schmutzige Seite der Stadt», ein «attraktiver Standort» werden. Die Renaissance der Planung unter Mayor Ken Living-stone und die im «London Plan» publizierten Szenarien der Stadtregierung vermitteln das Bild einer Metropole, die nach dem Laisser-faire der Thatcher-Ära wieder Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt. Doch ist unsicher, ob das gelingt; die Spielräume der Planung sind klein, die Interessen vielschichtig.

Im Londoner Osten findet zwei Jahrzehnte nach dem Umbau der Docklands zum Finanzzentrum erneut ein Umbruch statt. Bis 2012, wenn hier die Olympischen Spiele stattfinden, soll das East End, die «schmutzige Seite der Stadt», ein «attraktiver Standort» werden. Die Renaissance der Planung unter Mayor Ken Living-stone und die im «London Plan» publizierten Szenarien der Stadtregierung vermitteln das Bild einer Metropole, die nach dem Laisser-faire der Thatcher-Ära wieder Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt. Doch ist unsicher, ob das gelingt; die Spielräume der Planung sind klein, die Interessen vielschichtig.

Aldgate, ein Verkehrskreisel, dessen bauliche Umgebung allen Aufwertungsmassnahmen zu trotzen scheint, markiert den östlichen Zugang zum Nervenzentrum der Global City. Bis 1761 stand hier ein Stadttor, und auch heute wird der Eintritt zur «Square Mile» streng kontrolliert: Strassenmarkierungen und Videoüberwachung sorgen dafür, dass alle, die mit ihrem Auto passieren, die Congestion Charge entrichten, jene Gebühr für den motorisierten Individualverkehr, die Londons Innenstadt ein wenig vom Stauchaos befreit hat. Hier verläuft auch der Ring of Steel, den die Sicherheitsbehörden nach dem IRA-Bombenterror der 1980er- und frühen 1990er-Jahre rund um den Finanzdistrikt errichtet haben, mit Kameras, Wachhäuschen und Fahrbahnverengungen an den Einfahrten. Unter dem Asphalt liegt ein Gleisdreieck des U-Bahn-Netzes, hier zweigt die District Line vom Stammnetz der Circle Line ins East End ab. Am 7. Juli 2005 war es einer der Schauplätze der Anschläge islamistischer Attentäter auf Londons öffentlichen Nahverkehr (Bild 11).

Aldgate ist das Scharnier zwischen Innenstadt und East End. Hier treffen die unterschiedlichen Interessen und Lebenswelten der 7.3 Mio. Londoner aufeinander. Auf der einen Seite steht das boomende Geschäftsviertel mit seiner global orientierten, hochqualifizierten Klasse von Managern und seinen Armeen von Angestellten. Auf der anderen beginnen die deindustrialisierten Aussenquartiere mit einer Bewohnerschaft, die häufig über eine geringe Berufsqualifikation verfügt und schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs nachgeht.
Bereits Brick Lane, eine Strasse, die unweit von Aldgate in Nord-Süd-Richtung durch das East End verläuft, liegt im Schatten der City. Sie stellt einen «liminal space» dar, wie die Stadtforscherin Sharon Zukin diese Schnittpunkte der unterschiedlichen Logiken, Dynamiken und Realitäten einer postindustriellen Stadt nennt.[1] Seit Jahrhunderten wird hier der Textilhandel abgewickelt, doch seine Bedeutung hat stark abgenommen. Zuerst wurde der Markt von Hugenotten, später von Juden kontrolliert. Seit den 1960er-Jahren haben ihn muslimische Einwanderer aus Bangladesch übernommen, von denen heute rund 40000 im East End leben. Die Synagoge wurde schon 1976 zur Moschee umgenutzt, nur eine Bagel-Bäckerei erinnert noch an die ehemals jüdische Einwohnerschaft der heutigen «Banglatown».

Einen kritischen Blick auf die gelebte Multikulturalität in «Banglatown» lieferte 2003 der Roman «Brick Lane» von Monica Ali. Ihre Darstellung eines Frauenschicksals kam zwar beim britischen Publikum gut an. Einige Wortführer der muslimischen Gemeinde betrachteten den Roman aber als verunglimpfende Darstellung ihrer Lebensweise und blockieren derzeit seine Verfilmung vor Ort.
Noch immer ist das East End für viele Londoner eine Terra incognita. Doch in den letzten Jahren hat sich die Gegend um Brick Lane immer mehr zu einem Schwerpunkt des Nachtlebens und zur Touristenattraktion entwickelt. Zahlreiche Clubs und um Kundschaft kämpfende Curry-Restaurants bieten einen ersten Zugang zum Londoner Osten. Der Gentrifizierungsprozess gewann an Fahrt, als der Spitalfield’s Market, eine alte Obst- und Gemüsemarkthalle, von Trödelhändlern übernommen und die ehemalige Truman-Brauerei zum Kulturzentrum mit Szenecafés und Boutiquen umgenutzt wurde. Inzwischen stösst man unweit der Brick Lane auf die Dependance der Zürcher Galerie Hauser & Wirth, die wie andere Galerien die Gegend als Adresse für zeitgenössische Kunst erschliesst. Das Gelände des Güterbahnhofs Bishopsgate ist leergeräumt, hier soll eine grosse Büroüberbauung nach Plänen von Kees Christiaanse entstehen.

Der rote Ken – Kaiser ohne Land?

Der Ausbau der East London Line dürfte das East End über «Banglatown» hinaus zum attraktiven Stadtviertel machen. Ihre bisherige Endstation Shoreditch wird seit Juni wegen der Baumassnahmen nicht mehr angefahren. Hinter Brick Lane versteckt, kündet der Zustand dieses Bahnhofs von der jahrzehntelangen Unterfinanzierung von London Underground und erinnert daran, dass die traditionellen Arbeiterbezirke einst nur zögerlich in den Einzugsbereich des U-Bahn-Netzes integriert worden waren. Um die East London Line ins ebenfalls ärmliche Hackney zu verlängern, sollen nun stillgelegte Bahnstrecken reaktiviert und zusammengeschlossen werden. Eine langfristige Planung beabsichtigt, die East London Line mit weiteren Bahnstrecken im Norden, Süden und Westen zu verknüpfen und in einem neuen innerstädtischen S-Bahn-Ring (Orbirail) aufgehen zu lassen
(vgl.Kasten Bahnverkehr in London, S.13).

In den überlasteten Zügen von Londons U-Bahn-Netz ist einer allgegenwärtig: Ken Livingstone, Mayor of London. Sein Konterfei und sein fast schon zur Marke gewordener Name erwecken nach den Jahren, in denen die Alltagsbelange von den 33 Stadtbezirksverwaltungen geregelt wurden, die wichtigen Entscheidungen über Londons Zukunft aber die britische Regierung traf, den Eindruck: «London regiert sich wieder selbst». 1986 hatte Premierministerin Margaret Thatcher den Greater London Council (GLC), den damals vom linken Labour-Flügel dominierten Londoner Magistrat, kurzerhand abgeschafft, weil er sich ihren Angriffen auf den Sozialstaat widersetzte. Der Name des GLC-Vorstehers lautete – Ken Livingstone.

An die politische Spitze der Stadt zurückgekehrt, besitzt der «rote Ken», eingezwängt zwischen dem Zentralismus von Westminster und den Ansprüchen von Stadtbezirken mit bis zu 340000 Einwohnern, bisher nur eingeschränkte Macht. De facto unterstehen dem Mayor Polizei, Feuerwehr, Teile des Strassennetzes sowie der Grossteil des öffentlichen Verkehrssystems. Im Londoner Alltag sind es jedoch weiterhin die 33 Boroughs, in denen sich die Stadt für ihre Einwohner verkörpert. Sie haben ihre eigenen Parlamente, die Councils, sind für Volksschulen, Biblio­theken und die medizinische Grundversorgung zuständig und verwalten den sozialen Wohnungsbau. Auch die Council Tax, die von Thatcher eingeführte, je nach Stadtteil unterschiedlich hohe Kopfsteuer, wird von den Boroughs erhoben. Alex Bax, Senior Policy Advisor von Ken Livingstone, behauptet, dass der Londoner Bürgermeister nur 10% der Kompetenzen seiner Kollegen in anderen europäischen Grossstädten besitze. Die seit 1997 in Grossbritannien regierende Labour-Partei hat sich trotz ihres Bekenntnisses zur Dezentralisierung lange gescheut, Befugnisse von der nationalen auf die regionale oder die städtische Ebene zu übertragen. Im Zuge einer Überprüfung ihrer regionalpolitischen Ziele beabsichtigt sie jetzt, Londons Rathaus mit mehr Entscheidungsgewalt auszustatten. Die wichtigste Änderung: In Zukunft kann der Bürgermeister über das bislang national verwaltete, 850 Mio. Pfund schwere Budget für die Wohnbauförderung in London verfügen. Für die Verbesserung der beruflichen Ausbildung und Qualifikation der Arbeitskräfte soll demnächst ein von Livingstone geführtes Skills and Employment Board zuständig sein.

Die Vertreter der Boroughs kritisieren, dass die Neuausrichtung der kommunalen Zuständigkeiten die Autonomie der Bezirke beschneide. Denn bisher liegt auch das Recht zur Ausschreibung und Genehmigung von Bauprojekten in ihrer Hand. Der Bürgermeister kann auf planerische Entscheidungen der Bezirke nur über Leitbilder, Empfehlungen und Richtpläne einwirken. Als stärkste Handhabe bleibt ihm die Möglichkeit, Vorhaben zu stoppen, die der gesamtstädtischen Planungsstrategie zuwiderlaufen. Künftig soll der Mayor aber Entwicklungsprojekte, die von stadtweiter Bedeutung sind, selbst in die Wege leiten können – auch über Einsprüche der Bezirke hinweg. Livingstone hat jedoch verlauten lassen, dass er diese Befugnis nur sparsam und vor allem zum dringend nötigen Bau von erschwinglichem Wohnraum in Anspruch nehmen will.

Der «London Plan»

Die hinzugewonnene Entscheidungsgewalt ist die Anerkennung Westminsters für Livingstones starke Regierungsleistung während der letzten sechs Jahre. So betreibt Londons Stadtoberhaupt mit beschränkten Mitteln eine äusserst ambitionierte Stadtplanung, die er 2004 im «London Plan» bündelte. Dieser soll die künftige Entwicklung Londons in eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Richtung lenken. Drei Jahre dauerte die Arbeit an dem Planwerk, das sich 2006 in der Vernehmlassung befindet. Den eigentlichen Anstoss dazu gab das Gesetz zur Schaffung der Greater London Authority (GLA). Es verpflichtete die Stadtregierung, eine Strategie zur räumlichen Entwicklung Londons für die nächsten 15bis20 Jahre zu entwerfen, die das Stückwerk aus bisher existierenden Plänen ersetzen soll.

Die GLA geht bei ihrer Planung von der Annahme aus, der in der Globalisierung begründete Zentralisierungsdruck werde über die nächsten Dekaden anhalten. Sie rechnet von 2003 bis 2016 mit einer Zunahme der Londoner Bevölkerung um 810000 Einwohner. Um dieses Wachstum aufzufangen, müssten pro Jahr rund 30000 neue Wohnungen errichtet werden. Die Planer kalkulieren auch mit 636000 neuen Jobs vor allem im Finanz- und Firmendienstleistungssektor in der City und in den Docklands sowie in der Freizeit-, Tourismus- und Kulturindustrie.

Livingstone problematisiert die Wachstumsprognosen nicht. Im Gegenteil: Jeder Versuch, das Wachstum zu bremsen und London die zum Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Ressourcen zu verweigern, würde, so sein Vorwort zum 2002 erschienenen ersten Entwurf des London Plan, «die ökonomische Effizienz der Stadt schwächen, die Lebensqualität der Londoner mindern und Londons Umwelt zerstören».2 Denn aus Livingstones Sicht bietet der Zentralisierungsdruck die Chance, den ökologisch bedenklichen Suburbanisierungstendenzen der vergangenen Jahrzehnte zu begegnen. Keinesfalls sollen die neuen Wohnungen und Arbeitsplätze den Green Belt, den nach 1945 um London gelegten Grüngürtel, tangieren. Vielmehr soll innerhalb des Green Belt zwischen schon vorhandenen Bebauungen oder auf stillgelegten Industriearealen verdichtet werden, und zwar mit Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Der London Plan weist die grössten dieser spezifischen Lagen als «Opportunity Areas» aus. Sie sollten mindes-tens 5000 Jobs, 2500 Wohnungen oder eine Mischung aus beidem beherbergen und mit Einkaufs-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen ausgestattet sein. Daneben werden Gebiete, die unter einem hohen Mass an sozialer Ausgrenzung und ökonomischem Niedergang leiden, zu «Areas of Regeneration» erklärt. Planung soll hier mit gesundheits-, sicherheits-, bildungs-, arbeits- und wohnungspolitischen Programmen verzahnt werden, um die durch den Wohnort bedingten Benachteiligungen der Bevölkerung dieser Quartiere innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre zu beseitigen.[3]

Diese strategischen Vorgaben mit ihren stadtweiten Effekten erfordern die koordinierte Anstrengung der 33 Boroughs. Deren Entwicklungspläne müssen den neuen gesetzlichen Grundlagen der GLA zufolge eine «generelle Konformität zum Gesamtplan» aufweisen. Um die Zusammenarbeit zu forcieren, teilt der London Plan die Stadt in die fünf Subregionen West-, North-, Central-, South- und East-London ein, für die es konkretere Planungsrahmen zu erarbeiten gilt.

Den Osten regenerieren

Ein solcher Planungsrahmen liegt für den Londoner Osten seit Mai 2005 vor. Die Stadtregierung weist der Entwicklung dieser Subregion oberste Priorität zu, denn ihr haftet nach wie vor der Ruf an, die «schmutzige Seite» der Stadt zu sein, obwohl der Hafen, die Werften und der überwiegende Teil der Fabrikation, die den Osten über Jahrhunderte zum wirtschaftlichen Motor Londons gemacht hatten, spätestens Ende der 1970er-Jahre stillgelegt wurden (Bild 12). Nach 1980 entstanden in den Docklands, dem von der Thatcher-Regierung angeschobenen Stadtentwicklungsprojekt, zwar 17000 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Doch der Bezirk Tower Hamlets, in dem die Docklands liegen, gehört wie Hackney und Newham weiterhin zu den zehn ärmsten Verwaltungseinheiten Englands. Die drei Boroughs weisen mit bis zu 16% die höchsten Arbeitslosenzahlen des Landes auf. Nirgendwo sonst in London leben so viele Menschen in derart vernachlässigten Sozialbausiedlungen – eine Folge des ebenfalls unter Thatcher vollzogenen Rückzugs des Staates aus der Verantwortung für ihren Unterhalt (vgl. Kasten Das gentrifizierte Hochhaus»», S.16). Deshalb identifiziert der London Plan weite Teile der drei Bezirke als «Areas of Regeneration».
In deren unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich aber auch die meisten der «Opportunity Areas», die der London Plan für den Osten markiert, wie etwa das Gelände der Olympischen Spiele 2012. Nicht zuletzt die erklärte Absicht der Stadtregierung, die Ausrichtung der Spiele als aktives Instrument zur Aufwertung des vernachlässigten East End einzusetzen, überzeugte das IOC von Londons Bewerbung, weshalb die Stadt überraschend den Zuschlag vor der Favoritin Paris bekam. Wenige Kilometer östlich von Brick Lane entstehen nun innerhalb von sechs Jahren im ehemals stark industrialisierten Lower Lea Valley ein neues Olympiastadion und Wettkampfarenen für Schwimmen, Hockey, Basketball, Handball und Radsport (vgl. Kasten Die Olympischen Spiele 2012, S.17).

Die Kandidatur Londons war auch deshalb erfolgreich, weil die Sportstättenplanung sich auf schon fast fertig gestellte Verbesserungen des öffentlichen Transportsystems gründen kann. So wird 2007 mitten auf dem zukünftigen Olympiagelände der Bahnhof Stratford International eröffnet, eine Haltestelle auf dem Channel Tunnel Link für die Züge vom Kontinent, der dann weiter bis in den erneuerten Bahnhof St.Pancras am nördlichen Innenstadtrand führt. Von St.Pancras soll 2012 die unterirdische Shuttle-Verbindung Zehntausende Olympiabesucher in nur sieben Minuten ins Lower Lea Valley befördern.

Südöstlich von Stratford International und des Olympiageländes entsteht ein komplett neues Büro- und Geschäftsviertel, das nach der City und den Docklands als dritter Londoner Standort für global agierende Finanz- und Firmendienstleistungen vorgesehen ist. Hier sollen 30000 der rund 213000 Jobs angesiedelt werden, für die in den «Opportunity Areas» des Ostens laut London Plan Kapazität besteht.[4]

Planung als Symbolpolitik

Die Greater London Authority versucht mit Hilfe des London Plan der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung der Stadt entgegenzutreten, die nach 1980 im Gefolge von Deregulierung und dem Aufstieg Londons zur prosperierenden Global City einsetzte. Der Banken- und Firmendienstleistungssektor der Stadt erwirtschaftet heute rund ein Fünftel des britischen Bruttosozialprodukts. Doch dem Londoner Stadtforscher und Planer Michael Edwards zufolge wirkte das metropolitane Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte ebenso als Armuts- wie als Wohlstandsmaschine. Statistiken legen die Schattenseiten der Entwicklung rasch frei: So leben über 40% der Kinder Londons in Armut, um nur ein Beispiel zu nennen.[5]
Livingstone will von nun an ökonomisches Wachstum nachhaltig gestalten und alle Bewohner daran teilhaben lassen. Diese Zielsetzung lässt sich heute nicht mehr mit flächendeckenden und starren Konzepten und noch viel weniger mit in Architektur und Städtebau verfestigten Bildern einer Stadt oder Region verfolgen. Planung als Antwort auf die Effekte der Globalisierung und vergangener Privatisierungspolitiken erfordert vor allem Moderation, Vertrauensbildung und Kommunikation – erst recht in London, wo nationalstaatliche Ministerien und Behören, die Verwaltungen der 33 Boroughs, Nichtregierungsorganisationen und Nachbarschaftsinitiativen und natürlich auch die Privatwirtschaft im Planungsprozess mitreden. Livingstone versucht mit seiner für die kommunale Politik ungewöhnlich gut geölten PR-Maschinerie und Schlagwörtern wie «accessible city», «inclusive city» oder «examplary sustainable world city» die Hoheit über den Planungsdiskurs zu erlangen. Dabei wendet er auch geschickt die Taktik der Personalisierung und Symbolisierung an. So realisierte Norman Forster 2002 Livingstones Amtssitz an der Themse gegenüber dem Tower of London als futuristisch transparentes Objekt, das zugleich Zukunftsorientierung und Verschlankung der Bürokratie demonstrieren soll. Ein weiterer Etablierter der britischen Architekturszene, Sir Richard Rogers, ist Chef der Architecture and Urbanism Unit des Rathauses. Diese übernimmt die Funktion einer Ratgeberin für «good urban design» und hat jüngst eine Richtschnur für Behörden zur Durchführung von – bisher praktisch unbekannten – Architektur- und Städtebauwettbewerben formuliert.

Livingstones Planwerk: offene Fragen

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Kritik an Livingstones Entwicklungsstrategie sich ausgerechnet daran entzündet, dass diese das Prunkstück der Londoner Planungsgeschichte, den Green Belt, für sakrosankt erklärt. Generationen europäischer Planer haben ihre britischen Kollegen um das Amalgam von Siedlungstrenngürtel, Erholungsraum und Agrarfläche beneidet. Heute sind es gerade die älteren britischen Planer wie Sir Peter Hall, Michael Edwards oder Drummond Robson, die den Green Belt als mittlerweile sinnentleertes Relikt einer längst vergangenen Ära taxieren. Für sie steht seine Unantastbarkeit besseren Lösungen im Weg. Diese Sichtweise wird leicht nachvollziehbar, betrachtet man die Entwicklung der durchschnittlichen Reisezeit zum Arbeitsplatz in der Metropolregion. Zwischen 1991 und 2001 haben die Pendeldistanzen – durchaus im Einklang mit dem europaweiten Trend – erheblich zugenommen, und zwar gerade in den Distrikten, die am weitesten von der Londoner City entfernt sind. Mit anderen Worten: Der Green Belt hat die Sogwirkung des Zentrums nicht unterbinden können. Vielmehr hat er, weil er viel potenzielles Siedlungsgebiet besetzt, zu einer beträchtlichen Verteuerung der Immobilien geführt.
Mit der Erhaltung des Green Belt vergibt der heutige London Plan nach Ansicht seiner Kritiker die Chance, die monozentristische Tendenz des jüngsten Entwicklungsschubs aufzubrechen. Alternative Wege zu beschreiten hiesse aber, den Fokus auf die Stadt aufzugeben und ein grossräumiges Vorgehen anzustreben, wie dies 1944 der Greater London Plan tat (vgl. Kasten S.16). Vorschläge dieser Art liegen vor, so das Orbinet-Konzept, das mehrere Verkehrsknoten in den äusseren Stadtteilen effizient miteinander zu verbinden sucht. Damit liesse sich nicht nur das Zentrum entlasten, sondern die Planer könnten sich direkt der Aufgabe stellen, an welcher sich nach Ansicht vieler Experten die Zukunft Londons entscheiden wird: der Entwicklung der Suburbs, in denen heute der grösste Teil der Londoner Bevölkerung zuhause ist.[6]
Livingstones London Plan, meinen seine Kritiker, weiche dieser Herausforderung aus. Stattdessen entfache er eine unerquickliche Debatte über die Verdichtung der City mit weiteren, diesmal jedoch ökologisch korrekten Hochhaus-Ikonen. Livingstones Politik vertraue auf eine Fortsetzung des ökonomischen Booms und treffe keine Vorkehrungen für den Fall, dass die Wachstumsmotoren der Londoner Entwicklung ins Stottern kommen sollten.

Kooperationen innerhalb begrenzter Spielräume

Livingstone untersteht ein Gebiet, dessen Einwohnerzahl jene der Schweiz übertrifft. Doch anders als die Eidgenossenschaft hat London innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts vier unterschiedliche Regierungsformen erfahren (vgl. Chonik S.12). Politische und wirtschaftliche Umbrüche haben aus London einen fragmentierten Raum gemacht, in dem sich die Machtsphären lokaler, regionaler und nationaler Institutionen überschneiden, blockieren und teilweise wieder auflösen. In diesem Gebilde fehlt es dem Mayor an Macht, um direkt auf die Triebkräfte der Stadtentwicklung einzuwirken, wie dies seinen Vorgängern nach 1945 z.B. über Investitionslenkungen und grossflächigen so-zialen Wohnungsbau möglich war. In den sechs Jahren seiner Amtszeit hat Livingstone jedoch demonstrieren können, dass die wichtigsten Mittel der Planung längst nicht mehr das Reissbrett und die grossen Entwürfe sind, sondern mediale Präsenz und ein moderierender Regierungsstil, der die unterschiedlichsten Akteure in Entscheidungsprozesse einbindet. So lassen sich trotz des beschränkten Handlungsspielraums Dinge in Bewegung setzen. Beispielsweise schafft der London Plan eine stadträumliche Wahrnehmung über die Grenzen der Boroughs hinweg und befördert so die Einsicht in die gegenseitige Abhängigkeit und neue Formen der Kooperation. Oder er legt Orientierungslinien für Standards im Wohnungsbau fest und präsentiert in den von Richard Rogers orchestrierten Arbeiten Typologien höherer Dichte.

Der London Plan ist voll von Absichtserklärungen zu allen zentralen Belangen der Londoner Stadtwirklichkeit. Doch die Umsetzung, insbesondere von Livingstones sozialpolitischen Zielen, hängt wesentlich davon ab, inwieweit es der Greater London Authority gelingt, stabile Kompromisse zu etablieren zwischen den stark divergierenden Interessen der Privatwirtschaft und einer breiten, auf staatliche Unterstützung angewiesenen Bevölkerung. Ein letzter Blick auf das East End macht den Balanceakt deutlich, den die GLA vollführen will. Ohne eigene Ressourcen ist die Stadt auf Developer angewiesen, um den Raum östlich von Aldgate baulich weiterzuentwickeln. Doch mit ihren auf grösstmögliche Rendite ausgerichteten Inszenierungen einer exklusiven Urbanität waren Developer in der Vergangenheit treibende Kräfte bei der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen. Die Frage stellt sich, ob der Bau des Olympiageländes im Lower Lea Valley oder des neuen Geschäftsviertels in Stratford dieses Muster durchbrechen kann. Es bleibt abzuwarten, ob es dem Bürgermeister mit der erweiterten Planungsbefugnis und seiner neu gewonnenen Zuständigkeit über die Wohnungsbauförderung gelingt, der sozialräumlichen Polarisierung Einhalt zu gebieten. Mit der Verkehrspolitik hält Livingstone jedoch einen Trumpf in der Hand, den er jetzt schon im Sinne der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung einzusetzen versucht. Die Eindämmung der allgegenwärtigen Staus mit Hilfe der Congestion Charge, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und erste Tarifermässigungen haben der Stadt schon jetzt eine neue Prägung verliehen. Die Massnahmen zielen nicht zuletzt darauf ab, den Lebens- und Arbeitsalltag der Londoner mit geringerem Einkommen zu erleichtern. Ihr Erfolg und ihre Popularität könnten für jenen Rückhalt in der Bevölkerung sorgen, den die Stadtregierung braucht, um die ambitionierten Ziele des London Plan zu erreichen. Angesichts der vielschichtigen Machtfelder und Interessenlagen, die in der Global City aufeinanderstossen, ist Planung hier ein Moderieren instabiler Koalitionen in einem unberechenbaren Kräftespiel.


Zusatz 1:
Vier Regierungsformen Londons

1888 –1964 London County Council (LCC): erste Londoner Zentralbehörde
1965 –1985 Greater London Council (GLC): Reorganisation Grossraum London zu 33 Bezirken (bis heute gültige Einteilung)
1986 –1999 London Planning Authority Committee: Rumpfbehörde nach Abschaffung von GLC (Aufteilung der Kompetenzen zwischen Nationalregierung und 33 Stadtbezirken)
seit 2000 Greater London Authority (GLA) unter Mayor Ken Livingstone (erste Direktwahl eines Bürgermeisters in Londons Geschichte)


Chronik

1944 Veröffentlichung des Greater London Plan im Hinblick auf den Wiederaufbau, Verfasser Patrick Abercrombie im Auftrag der Churchill-Regierung, Entscheid zur Gründung von 10 New Towns in der Agglomeration
1947 Town and Country Planning Act der Atlee-Regierung: Stärkung der Planungshoheit von LCC, Eindämmung von Sonderprivilegien der City, Unterbindung von Grundstückspekulation
1951 Festival of Britain im Jubiläumsjahr der Weltausstellung von 1851: Ankurbelung von Regeneration am deindustrialisierten Südufer der Themse (Southbank-Kulturzentrum) und von Wohnungsbau im East End (Wohnbauausstellung Lansbury Estate)
1956 – 1968 nationale Wohnungsbaupolitik: Subventionierung von Wohnhochhäusern («tower flats», umfangreiche Flächen-sanierung und Wohnungsbauproduktion im East End
ab 1969 Umwandlung stillgelegter Hafenanlagen im East End, Landverkauf finanziert neuen Containerhafen an der Themsemündung
1970 Baubeginn Thamesmead: letzte GLC-Grosssiedlung mit 60  000 Einwohnern
1973 erste Docklands-Planungen unter GLC
1976 Annahme Greater London Development Plan (Vorgänger des aktuellen London Plan)
1981 Rückzug von GLC aus sozialem Wohnungsbau, schrittweise Übertragung des Bestands an Bezirke, Right to Buy (Privatisierung von 177  000 Einheiten in 10 Jahren)
1981 Gründung London Docklands Development Corpora-tion durch Thatcher-Regierung: marktwirtschaftlich orientierte Regeneration von East-End-Hafenbrachen, GLC und Bezirk Tower Hamlets verlieren Planungshoheit
1985 Local Government Act der Thatcher-Regierung: Beschluss zur Abschaffung von GLC
1987 Eröffnung London City Airport und Docklands Light Railway (privat erstellte Hochbahn zur Verbindung des Regenera-tionsgebiets mit der City)
1988 Baubeginn Docklands-Finanzzentrum Canary Wharf, Hauptmieter Credit Suisse First Boston
1994 Schaffung des Amts «Minister for London» im nationalen Umweltministerium
1999 Greater London Authority Act der Blair-Regierung: Beschluss zur Schaffung einer Londoner Zentralbehörde mit Bürgermeister
2000 Wahl von Ken Livingstone zum Mayor of London
2001 Schaffung von Transport for London: Zuständigkeit für
U-Bahn, Busse, Strassen, ab 2006 S-Bahn auf Stadtgebiet
2003 Einführung der Congestion Charge (Strassenmaut im Stadtzentrum, 2007 Verdoppelung nach Westen)
2004 Veröffentlichung London Plan, Wiederwahl von Ken Livingstone
2005 (6. / 7.  Juli) IOC-Entscheid für London als Austragungsort der Olymischen Spiele 2012
2005 Attentate islamistischer Terroristen auf öffentlichen Verkehr in London mit 52 Todesopfern
2007 unterirdische Schnellverbindung zum Kanaltunnel, neuer Eurostar-Terminal in London St.  Pancras, Stratford International als Zwischenstation im East End (Fahrzeit nach Brüssel: 1. 45 h)



Zusatz 2:
Bahnverkehr in London

London war nie eine Metropole aus einem Guss, sondern in den Worten des Schriftstellers Henry James «a tremendous chapter of accidents». Stadträumliche Orientierung hängt hier weniger von städtebaulichen Hierarchien als von individuellen Interessen ab. Im Unterschied zu Paris, Wien oder Berlin verfügt London über keine «eindeutige» Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie. Nach einem übergeordneten Strukturprinzip wurde jedoch in der Moderne gesucht: Im Hinblick auf den Wiederaufbau nach Kriegsende erfand der Greater London Plan von 1944 eher willkürlich eine konzentrische Struktur für den Londoner Grossraum. Immerhin erhielt der zweitäusserste von vier Ringen eine Bestätigung, als dort die Ringautobahn M25 gebaut wurde. Dass London heute als Stadt mit Kern und Rand wahrgenommen wird, hängt vor allem mit dem in den 1970er-Jahren eingeführten Tarifsystem des öffentlichen Verkehrs zusammen. So berechnet London Underground die Fahrpreise nicht nach zurückgelegter Distanz, sondern nach starren Tarifzonen. Diese legen sich als Ringe um das Herz von Greater London. Angesichts der horrenden Tarife kann sich ein Leben innerhalb oder ausserhalb von «Zone 1» auf das persönliche Budget ähnlich auswirken wie der Steuerfuss einer Schweizer Gemeinde.
Eher von infrastrukturellen als von stadtmorphologischen Ordnungen diktiert, erscheint die Modellierung des Grossraums London manchmal beinah japanisch. Ihre «Abstraktheit» ist Ausdruck schierer Grösse und Komplexität, aber auch die Folge einer britischen Tradition: Stets stand die Hauptstadt Machtdemonstrationen einzelner Akteure in Gestalt von städtebaulichen Inszenierungen skeptisch gegenüber. In diesem Vakuum wird Städtebau über Verkehrssysteme betrieben, seit Mitte des 19.  Jahrhunderts private Unternehmer die Grundlagen zu «London Underground» legten. Weil diese den Ausbau des Netzes zum wohlhabenden Westen und Norden forcierten, bekamen der Osten und der Süden erst mit grosser Verspätung U-Bahn-Anschluss.
Eine leistungsfähige und moderne Verkehrsinfrastruktur erhielt das East End erst im Zug der Docklands-Planungen. Als frühe Formen von Public-Private-Partnerships sind die Docklands Light Railway (DLR) und die Jubilee Line Beiprodukte von Thatchers privatisierter Stadtentwicklung. Sie waren als reine Direktverbindungen zwischen dem Dienstleistungszentrum Canary Wharf und dem Westen vorgesehen, konnten aber nach langen Verhandlungen zu Verteilern für das East End aufgewertet werden. Über die Docklands hinaus verlängert, bilden DLR und Jubilee Line nun das künftige Rückgrat für den Ausbau Stratfords zum metropolitanen Geschäftszentrum. Die weitere Erschliessung des Londoner Ostens beabsichtigt auch das seit kurzem aufliegende Crossrail-Projekt: Eine neue S-Bahn-Durchmesserlinie soll die U-Bahn entlasten und im Grossraum London eine grössere Mobilität in ost-westlicher Richtung ermöglichen. Dazu ist ein leistungsfähiger Innenstadttunnel mit vielen neuen Haltestellen bis hinaus zum Flughafen Heathrow vorgesehen. Allerdings bestehen erhebliche finanzielle und politische Unwägbarkeiten auf dem Weg zur Realisierung des Vorhabens, das ausserhalb von Livingstones Einflussbereich auf nationaler Ebene verhandelt wird. Umstritten ist Crossrail gerade auch im East End, würde doch seine Sogwirkung den wirtschaftlichen Druck auf Viertel wie Brick Lane weiter steigern.


Zusatz 3:
Greater London Plan 1944

Livingstones London Plan lässt Erinnerungen an den Greater London Plan wach werden – einen Meilenstein der Planungsgeschichte. Seine Verfasser, Patrick Abercrombie und John Henry Forshaw, legten 1944 im Auftrag der Churchill-Regierung ein Wiederaufbaukonzept für die massiv durch deutsche Bomben geschädigte Hauptstadt vor. Dabei erachteten sie die Zerstörungen als Chance zu einer grundlegenden Neuorganisation des Londoner Grossraums. Kernstück bildete ein Konzept von vier konzentrischen Ringen, deren entscheidender der Green Belt war. Dieser in einem Umkreis von 25 bis 35 Meilen um die City gelegte Landschaftsgürtel trennte die Stadt und den ersten Vorortering markant vom Umland ab. So sollte die seit Jahrzehnten anhaltende wirtschaftliche und demografische Sogwirkung der Hauptstadt gebrochen werden. Ausserhalb dieses Gürtels sah der Plan autarke Städte von bescheidener Grösse vor, wie sie dann nach 1947 mit den «New Towns» realisiert wurden.
Im Greater London Plan konkretisierte sich das an der Kleinstadt orientierte Stadtideal der britischen Planer jener Zeit, das auch Abercrombies Reorganisationsvorschläge für die inneren Zonen anleitete. Zugleich war der Plan Ausdruck eines sich seit der Jahrhundertwende verfestigenden planerischen Denkens, wonach gesellschaftliche Probleme wie die Dominanz Londons, die anhaltend prekären Lebensverhältnisse in der Stadt und die Strukturkrisen in Nord- und Mittelengland durch Raumpolitik zu lösen waren. Der Greater London Plan beabsichtigte eine regionale Umverteilung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen und Wohnungen für über eine Million Menschen. Unter Planung verstand man damals massive bauliche Eingriffe: Abercrombie und sein Team entwarfen das städtische Leben auf dem Reissbrett, formulierten «Neighbourhoods» als ideale, überschaubare Wohneinheiten, definierten maximale bauliche Dichten, verteilten Quartiere und Stadtteile und konzipierten dafür neue Zent-ren mit allen notwendigen Einrichtungen.
Diese Form von Planung prägte die britische Politik bis Mitte der 1970er-Jahre. Doch bereits seit den 1960er-Jahren mehrten sich in den grossen Sozialbausiedlungen in London oder Liverpool die Zeichen dafür, dass es unmöglich war, gesellschaftliche Entwicklungen allein mit physischer Planung langfristig positiv zu beeinflussen. Erfolglos waren auch die Bemühungen, die New Towns als neue Wachstumskerne in Krisenregionen zu etablieren.
Der Greater London Plan fokussierte auf die Anforderungen der traditionellen britischen Industriegesellschaft und schuf dafür ein prägnantes räumliches Bild. Als gesellschaftliches Entwicklungsszenario hatte er aber für Probleme der Nachkriegszeit wie Massenmotorisierung oder Deindustrialisierung keine Antworten parat. Nach 1970 wurde seine Logik der technokratischen Bearbeitung und Standardisierung örtlicher Belange von lokalen Protestbewegungen in Frage gestellt. Die Konservativen warfen schliesslich den Stadtplanern vor, jede unternehmerische Initiative im Keim zu ersticken. In ihrer zweiten Amtszeit entmachtete Thatcher den Greater London Council und riss planerische Kompetenzen an sich. Die Umrüstung Londons in eine Schaltzentrale globalisierter Kapitalströme geschah nun mittels Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, privaten Sonderwirtschaftszonen und Public-Private-Partnership-Projekten.


Zusatz 4:
Das gentrifizierte Hochhaus

Mit seinen exorbitanten Wohnpreisen steht London heute bei den Lebenskosten an der Weltspitze. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Nach Jahrzehnten des Bevölkerungsrückgangs begann 1984 die Einwohnerzahl von Greater London wieder zu wachsen. Zugleich befand sich damals der Staat auf dem Rückzug aus der Wohnungsbauförderung. Mietern wurde der Kauf ihrer Sozialwohnung ermöglicht, was den Wohnungsbesitz in öffentlicher Hand in zehn Jahren um beinah 200  000 Einheiten reduzierte. Das Wohnen wurde vom Kräftespiel des freien Marktes erst richtig erfasst, als sich im folgenden Jahrzehnt die Konjunktur erholte und die Zuwanderung zunahm, seit 2004 auch aus den neuen EU-Ländern in Osteuropa. Im East End spürt man diese gesteigerte Nachfrage lange vor den Aufwertungsmassnahmen, die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von 2012 zu erwarten sind. Bereits heute reagieren Immobilienfirmen mit spektakulären Instandsetzungen, so etwa in Whitechapel hinter der East London Mosque. Dort wird das ehemalige Männerwohnheim Tower House zu Lofts umgebaut. In dieser denkmalgeschützten viktorianischen Trutzburg logierte einst Stalin, als er, wie viele andere Russen, nach der fehlgeschlagenen Revolution von 1905 im East End unterkam.
Denkmalgeschützt ist auch das Keeling House in Bethnal Green (Bild 17). Das 1959 nach Plänen von Denys Lasdun errichtete Wohnhochhaus gehört zu den wenigen innovativen Beispielen der Baugattung «Tower Flats», die damals dank staatlichen Zuschüssen im ganzen Land starke Verbreitung fand. Keeling House war der Versuch, Eigenschaften der lokalen Reihenhausviertel in ein skulptural moduliertes System vertikaler «Nachbarschaften» zu übertragen. Dazu stapelte Lasdun 64 Duplexwohnungen an Laubengängen kleeblattförmig um einen offenen Erschliessungskern. Dieses von strukturalistischen Theorien inspirierte Cluster-Prinzip vermochte dennoch nicht den Herausforderungen standzuhalten, mit denen die britische Wohnungsbaupolitik in den folgenden Jahrzehnten konfrontiert war. Die Schwierigkeiten im Viertel, die sozialen Probleme der Mieterschaft, unzureichender Unterhalt und zunehmender Vandalismus in den öffentlich zugänglichen Bereichen des Gebäudes liessen Lasduns Turmexperiment schliesslich scheitern. Ohne den Eingriff des Denkmalschutzes wäre das Keeling House 1993 gesprengt worden. Von einem Developer grundlegend saniert und umgebaut, erscheint es heute wie ein Design-Fetisch aus dem Lifestyle-Magazin «Wallpaper». Den Sockel umgeben nun ein Gitter und ein japanisierender Teich mit schicker Beleuchtung; in der neu zugefügten Eingangshalle sitzt ein Portier. Eine mehrheitlich in der City tätige Bewohnerschaft ist bereit, für eine Zweizimmerwohnung über dem harten Pflaster von Bethnal Green 700  000 Franken zu bezahlen.


Zusatz 5:
Die Olympischen Spiele 2012

Die Queen stand schon hier oben, um sich ein Bild von der Zukunft des East End zu machen: Der Blick von der Kabine auf dem Dach des Holden Point, einem 21-stöckigen Altersheim im Bezirk Newham, fällt gegen Westen auf eine planierte Brache, die vom Channel Tunnel Rail Link durchschnitten wird (Bild 14). Dahinter erstreckt sich ein Wirrwarr aus Fabrikruinen, kleinen Werkstätten, Schrottplätzen, Busdepots, Wiesen und Gestrüpp entlang des River Lea. In sechs Jahren finden auf dem rund 438 ha grossen Areal die Olympischen Spiele statt. 86 % der Fläche befinden sich schon im Besitz der Organisatoren, und diese hoffen, dass bis Ende Dezember eine Einigung mit den rund 100 Betrieben erzielt sein wird, die sich der Räumungsanordnung noch widersetzen. 2007 soll der Bau der Sportstätten beginnen.
Politiker und Planer versprechen sich von dem Mega-Event, dass es die verarmten Stadtteile des Ostens in eine blühende Landschaft verwandelt, und verweisen dabei auf Barcelona, das die Ausrichtung der Olympiade 1992 mit einer allseits als gelungen betrachteten Stadterneuerung verband. Stets wird betont: Für den Erfolg der Londoner Spiele sei entscheidend, was nach ihrem Ende für die Bewohner in der Nachbarschaft übrig bleibt. Schon jetzt ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs östlich der City sichtbar, in den bis 2012 7 Mrd. Pfund investiert werden. Um die Lebensqualität im East End zu steigern, wird das Olympiagelände nach dem Ereignis zum grössten Stadtpark umfunktioniert, der in Europa in den letzten 150 Jahren entstanden ist. Das olympische Dorf soll dann 4000 Wohnungen bieten; weitere 35  000 Wohnungen sollen später hinzukommen, die Hälfte für Haushalte mit geringem Einkommen. Kritiker befürchten jedoch, dass es schon vorher zu einer Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsteile kommen wird. Kurz nachdem London den Zuschlag für die Spiele erhalten hatte, zogen in Newham die Immobilienpreise massiv an.
Für die Vergabe einzelner Bauprojekte an Architekten werden keine Wettbewerbe durchgeführt. Einzig für das Schwimmstadion ist aus mehreren Entwürfen jener von Zaha Hadid ausgewählt worden. Der Olympiapark wird vom EDAW-Konsortium in Zusammenarbeit mit Arup und Atkins gestaltet, das schon den Masterplan für die Bewerbung entworfen hat (Bild 16). Unklar ist noch, wer das neue Olympiastadion baut. Es soll 80  000 Zuschauer fassen, nach den Spielen auf 25  000 Plätze reduziert werden und als Leichtathletikarena dienen.
Die Kosten für die Spiele werden derzeit auf 3.5 Mrd. Pfund geschätzt. Neben Geldern von privaten Sponsoren werden Mittel aus der staatlichen Lotterie fliessen. Zudem zahlt jeder Londoner Haushalt bis 2012 eine jährliche Olympiasteuer von 20 Pfund.
Für Unmut sorgt bei vielen Bürgern, dass sie Olympia wegen steigender Lohnkosten im Bausektor und verstärkter Sicherheitsmassnahmen noch teurer zu stehen kommen könnte. Bereits rechnet die Bauindustrie mit 400 statt wie ursprünglich mit 280 Mio. Pfund für das Stadion. Alle Mehrkosten muss die Stadt übernehmen. Dieser Tage wird entschieden, welches Unternehmen die Aufsicht über den Bau des Olympiageländes führen soll.

TEC21, Mi., 2006.10.04



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2006|40 The London Plan

Presseschau 12

07. Juli 2008Oliver Pohlisch
TEC21

New Orleans – Drei Jahre nach der Flut

Vor drei Jahren, am 29. August 2005, fegte Katrina über New Orleans. Die Flutwelle, die der Hurrikan vor sich hertrieb, brachte Deiche und Schutz­mauern zum Bersten, vier Fünftel der Stadt wurden überschwemmt, 1300 Menschen starben. Heute sind die Spuren der Verwüstung noch immer deutlich sichtbar. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. Die hoffnungsvollsten Projekte werden durch NGO und Bürgerinitiativen in Gang gebracht – nicht zuletzt als Reaktion auf Stadtentwicklungspläne, die für ärmere afroamerikanische Teile der Bevölkerung keinen Platz mehr in New Orleans vorsehen.

Vor drei Jahren, am 29. August 2005, fegte Katrina über New Orleans. Die Flutwelle, die der Hurrikan vor sich hertrieb, brachte Deiche und Schutz­mauern zum Bersten, vier Fünftel der Stadt wurden überschwemmt, 1300 Menschen starben. Heute sind die Spuren der Verwüstung noch immer deutlich sichtbar. Der Wiederaufbau geht nur schleppend voran. Die hoffnungsvollsten Projekte werden durch NGO und Bürgerinitiativen in Gang gebracht – nicht zuletzt als Reaktion auf Stadtentwicklungspläne, die für ärmere afroamerikanische Teile der Bevölkerung keinen Platz mehr in New Orleans vorsehen.

Wie Filmkulissen eines Südstaatenmelodrams nehmen sich die Fassaden vereinzelter rekonstruierter Häuser in den von der Katastrophe geschaffenen weiten Brachen der Stadt aus. Um sie herum wurden komplette Gebäudezeilen abgerissen, und über die verbliebenen Betonfundamente breitet sich Wildwuchs aus. Nicht wenige Ruinen stehen aber noch; ihre Fenster sind mit Brettern vernagelt und die Türen von den Behörden versiegelt worden. Immerhin: Dort, wo sich von der Federal Emergency Management Agency (FEMA) bereitgestellte Wohnwagen befinden, arbeiten weitere Hausbesitzer beharrlich an der Wiederherstellung ihres Zuhauses. Die Pfahlbau-Ästhetik, die bei der Rekonstruktion dominiert, wird von den Versicherungen quasi mitdiktiert. Diese entschädigen nur, wenn die Eigentümer ihr Heim gemäss den Vorgaben der FEMA für das jeweilige Stadtviertel auf eine bestimmte Höhe anheben. Die geringe Dichte des Wiederaufbaus hingegen ist das Ergebnis einer knausrigen Verteilung von bundesstaatlichen Geldern an Hausbesitzer ohne ausreichenden Versicherungsschutz: Die Mittelvergabe aus dem Home Road Program bemisst sich am Verkehrswert eines Gebäudes vor der Katastrophe. Im Falle des Eigentums von afroamerikanischen Mittelschichts- und Arbeiterfamilien liegt dieser oft weit unter den Kosten für die Instandsetzung.

Nach der Katastrophe der Themenpark?

Seit die Stadt wieder trockengelegt ist, kämpft die schwarze Community oft unbeachtet von den Medien darum, überhaupt eine Zukunft in New Orleans zu haben. Zwar ist die Einwohnerzahl wieder auf 327000 gestiegen, das sind 72% der Bevölkerungsgrösse vor Katrina. Allerdings war die Stadt im Sommer 2005 zu 67% schwarz, heute ist sie es nur noch zu 58%. Nach Ansicht des Urbanisten Mike Davis wird die Rückkehr der afroamerikanischen Bevölkerung von einer Politik erschwert, welche die Katastrophe als einmalige Chance begriffen hat, um New Orleans mit Vertreibungen, Privatisierungen und Umstrukturierungen in einen makellosen Themenpark für den gehobenen Tourismus zu verwandeln. Schwarze fänden darin nur noch als Museumshüter der von ihnen geprägten weltbekannten Jazz- und Karnevalskultur Verwendung.[1]

Einer der grössten Grundstücksbesitzer im French Quarter äusserte sich unverblümt: «Der Hurrikan hat arme Leute und Kriminelle aus der Stadt gefegt, und wir hoffen, dass sie nicht zurückkommen werden. Die Party ist für diese Leute endlich vorbei, und nun müssen sie sich einen anderen Platz zum Leben in den Vereinigten Staaten suchen.» In der Bevölkerung ging die Angst vor einem Landraub um: Der schwarzen Arbeiter- und Mittelschicht solle dank planerischen Restriktionen der Grund abspenstig gemacht werden, damit Investoren darauf profitable Grossprojekte errichten könnten. Tatsächlich hatte der demokratische Bürgermeister Ray Nagin im Rahmen des im Winter 2005 lancierten «Bring New OrleansBack»-Plans (BNOB-Plan) das von der US-Immobilienbranche gesponserte Urban Land Institute (ULI) damit beauftragt, ein Landnutzungskonzept für New Orleans zu erstellen. Die ULI-Planer propagierten eine radikale Zäsur in der Stadtentwicklung. Sie schlugen vor, die Siedlungsfläche zu verkleinern, und illustrierten das mit Karten, auf denen die am stärksten überfluteten Quartiere durch Grünflächen ersetzt waren. Dieser Vorschlag erwies sich als PR-Desaster. Die Wut betroffener Einwohner darüber, dass die Zukunft ihrer Viertel in Frage gestellt wurde, liess die Mitgliederzahlen von Nachbarschaftsorganisationen und Bürger­initiativen massiv ansteigen. Einige begannen sogar, mit Hilfe von Architekturbüros und Wissenschaftern eigene Entwicklungspläne für ihr Quartier aufzustellen.

Ein Plan, bei dem alle mitreden

Bürgermeister Nagin distanzierte sich schnell von der Idee der Stadtverkleinerung, da er fürchtete, bei den bevorstehenden Wahlen sein Amt zu verlieren. Stattdessen betonte er nun, dass alle das sofortige Recht auf Rückkehr hätten. Der freie Markt solle entscheiden, welche Quartiere Überlebenschancen hätten und welche nicht. Der Stadtrat beauftragte Wohnungsbauberater Paul Lambert mit der Durchführung von Bürgerbeteiligungsverfahren in den 46 von der Flut betroffenen Stadtteilen. Der so genannte Lambert-Plan wurde mit 2.9 Mio. Dollar aus Bundesmitteln gefördert. Weil ihm aber ein langfristiges Konzept für die gesamte Stadt fehlte, gab die Louisiana Recovery Authority (LRA) die dringend gebrauchten Hilfsmittel des Bundes nicht frei. Ein Jahr nach Katrina war New Orleans die letzte betroffene Verwaltungseinheit, die noch immer keinen kohärenten Wiederaufbauplan vorweisen konnte. Die LRA begann nun Druck auf die Kommune auszuüben, und die Rockefeller Foundation erklärte sich bereit, ein die ganze Stadt umfassendes Planungsverfahren mit 3.5 Mio. Dollar zu unterstützen. Der Bundesstaat Louisiana, die Stadt und die FEMA kamen schliesslich überein, mit diesem Geld den «Unified New Orleans Plan» (UNOP) anzuschieben.

Der UNOP-Prozess kann wohl als eines der grössten Bürgerbeteiligungsverfahren in der US-Geschichte gelten. Seine wesentliche Aufgabe war es, den Unmut unter den zivilgesellschaftlichen Akteuren über den bisherigen Verlauf des Wiederaufbaus zu kanalisieren. In den dreizehn städtischen Planungsdistrikten konnten die am UNOP-Prozess teilnehmenden Nachbarschaftsvertreter je ein Team aus landesweit tätigen Architektur- und Planungsbüros auswählen, mit dem sie Pläne für ihren Distrikt entwarfen. Diese Arbeit wurde mit der Entwicklung eines Gesamtkonzepts für New Orleans synchronisiert. Auf drei sogenannten Community Congresses partizipierten auch noch nicht zurückgekehrte Flüchtlinge per Konferenzschaltung in andere US-Städte am Planungsprozess.[2]

Nur vier Monate waren für den UNOP-Prozess angesetzt. Rob Olshansky, Professor für Stadtplanung an der Universität Urbana, Illinois, und Mitarbeiter des UNOP-Stabes, bezeichnet ihn als äusserst erfolgreich. Nach dieser kurzen Zeit konnte der LRA ein kohärenter Entwicklungsplan vorgelegt werden, der endlich die Auszahlung der staatlichen Wiederaufbaugelder auslöste. «UNOP hat eine grosse Anzahl von Einwohnern dazu gebracht, über ihre Viertel und die Beziehungen zwischen den einzelnen Stadtteilen nachzudenken und zu diskutieren», so Olshansky. Die quartierübergreifende Vernetzung von Nachbarschaftsgruppen sei gefördert worden, und der UNOP bilde eine solide Basis für die folgenden Planungen der Kommune.[3]

Im Dezember 2006, während der UNOP-Prozess anlief, bündelte Bürgermeister Nagin acht verschiedene Verwaltungsstellen im Office of Recovery Management (später in New Orleans Redevelopment Agency umbenannt) zur besseren Koordination des städtischen Wiederaufbaus. Als dessen Chef setzte er Edward J. Blakely ein, Dekan der Fakultät für Stadtplanung an der Universität Berkeley, der sich beim Wiederaufbau Oaklands nach dem Erdbeben von 1989 einen guten Ruf als Experte für Stadtentwicklung im Katastrophenfall erworben hatte. Blakely übersetzte den UNOP im Frühjahr 2007 in den sogenannten «17 Target Zones»-Plan. Dieser weist 17 Förderzonen mit jeweils einem Durchmesser von einer halben Meile aus, die sich entlang wichtiger Verkehrsachsen und rund um traditionelle Geschäftszentren erstrecken. Blakely baut auf einen Domino-Effekt: Die begrenzten Finanzmittel der Stadt werden in Infrastruktur investiert und als Darlehen für private Investitionen in diese Zonen vergeben. Deren Revitalisierung, hofft er, greife mit der Zeit auf die umliegenden Areale über. Die Intensität der Förderung soll sich nach dem Ausmass der Zerstörung der Bausubstanz und der sozialen Strukturen in der jeweiligen Zone richten. Darüber hinaus will die Stadt vor allem den Ausbau medizinischer Einrichtungen im Stadtzentrum als einen Motor der lokalen Wirtschaft fördern.

Der Katastrophenmanager bleibt stecken

Doch heute, ein Jahr später, zeigen sich viele Einwohner der Stadt darüber frustriert, dass in den 17 Förderzonen nur wenige Aktivitäten zu registrieren sind. Ed Blakely erklärt die schleppende Entwicklung mit bürokratischen Hürden, einer verzögerten Auszahlung der Bundeshilfen und den strengen Massstäben für die Ausgabe öffentlicher Gelder. Letzteres sei eine Konsequenz aus der an Misswirtschaft reichen Geschichte der Stadtverwaltung. Zudem wird Blakely nicht müde, darauf hinzuweisen, dass der Wiederaufbau von Oakland schliesslich mehr als eine Dekade gedauert habe. Inzwischen herrscht erneut Kakofonie im Wiederaufbauprozess. Die New Orleans Building Corporation, im Jahr 2000 vom Stadtrat eingesetzt, um städtischen Grund profitabel zu entwickeln, treibt die Transformation der alten Hafenanlagen am Mississippi in eine Kette von Parks, Veranstaltungsorten und Restaurants voran. Doch für die Uferaufwertung und andere von privatwirtschaftlicher Seite favorisierte Grossprojekte wie Sportstätten rund um den Superdome, neue Behördenkomplexe sowie einen Theaterdistrikt am Rande des French Quarter fehlt das Geld. Die von lokalen Unternehmern getragene Initiative «Global New Orleans, a Vision for Change» möchte es mit dem Verkauf der Betreiberrechte des Louis Armstrong International Airport an Louisiana beschaffen. 500 Mio. Dollar soll der Staat dafür an die Stadt zahlen und mit dem Ausbau des Flughafens möglichst noch den Wirtschaftsstandort New Orleans attraktiver machen.

Architekturlabor dank Non-Profit-Sektor und Showbiz

Vorderhand ist die Selbstorganisation auf Stadtteilebene das Schlüsselelement im Wiederaufbau. Doch trotz allen Vernetzungsbemühungen: Die jahrelange staatliche Politik der Mittelverknappung und des Rückzugs aus kommunalen Dienstleistungen zwingt die einzelnen Stadtteile tendenziell in einen Wettbewerb um Hilfsgelder von karitativ gesinnten Privatpersonen und Unternehmen. «Nachbarschaften, die nicht kreativ denken und ihre Angelegenheiten selbst in die Hände nehmen, können ins Hintertreffen geraten», legitimiert etwa die Broadmoor Development Corporation ihre Kooperation mit HGTV, einem kommer-ziellen Fernsehprogramm mit Einrichtungs- und Garten-Ratgebersendungen, beim Bau von zwei Häusern und diversen Aufräumarbeiten im Stadtteil.[4]

Dort, wo die Bewohner kaum eigene Mittel besitzen, um ihre Existenz in New Orleans sicherzustellen, ist in den vergangenen zwei Jahren immerhin eine vielfältige Szene von Non-Profit-Organisationen eingesprungen. Mit akademischer Expertise und oft dank öffentlichkeitswirksamer Unterstützung durch das Showbiz hat sie kleinteilige Wiederaufbauprojekte angeschoben und trotzt so der Behauptung, dass die Quartiere der ärmeren Afroamerikaner keine Zukunft hätten. In dem von der Flut am schwersten heimgesuchten Lower Ninth Ward und in angrenzenden Vierteln entwickelt sich New Orleans dank dem Non-Profit-Sektor zum Schaufenster experimenteller Öko-Architektur für schmale Geldbeutel und prekäre Topografien. Das «Make it Right»-Projekt von Hollywoodstar Brad Pitt ist derzeit das aufsehenerregendste unter diesen Projekten (vgl. Artikel S. 33–35).

Brad Pitt unterstützt daneben auch ein Projekt von Global Green USA, einer landesweiten Organisation, die nachhaltiges Bauen propagiert. Zusammen mit der Home Depot tion hat sie im Mai das erste Solarenergiehaus im Lower Ninth Ward eingeweiht.[5] Als temporäres Büro der Holy Cross Neighborhood Association und Besucherzentrum ist es Teil einer grösseren Anlage nach einem Entwurf von Matthew Berman und Andrew Kotchen von Workshop/APD, der unter 125 Eingaben im Wettbewerb «Sustainable Design for New Orleans» ausgewählt wurde. Das Projekt umfasst sechs Einfamilienhäuser, ein Apartmenthaus mit 18 Wohnungen, ein Community Center und ein Institut für nachhaltiges Design und Klimaschutz.

Ein anderes Vorhaben fokussiert auf den Schutz des kreativen Milieus der ärmeren afroamerikanischen Quartiere. Das Musicians’ Village im Upper Ninth Ward soll mit über siebzig Einfamilienhäusern Heimstatt für Musiker und Musikerinnen werden, die durch Katrina ihr Hab und Gut verloren haben. Realisiert wird die Siedlung von Habitat for Humanity, ihr Entwurf beruht auf Ideen von Harry Cornick jr. und Branford Marsalis, zwei der berühmtesten Musiker mit Wurzeln in New Orleans. Herzstück der Siedlung wird das Ellis Marsalis Center for Music mit Konzertsaal, Proberäumen, Einrichtungen für den Musikunterricht und einem Quartierzentrum mit sozialen Dienstleistungen für die Bewohnerinnen und Bewohner der Anlage sein. Habitat for Humanity hat es besonders gut verstanden, Politiker und andere Prominente für das eigene Projekt einzuspannen. Selbst Präsident Bush hat schon einige Nägel ins Dachgebälk gehämmert.

Den nachhaltigsten Widerstand gegen ein Verschwinden der afroamerikanischen Quartiere hat aber wohl Acorn geleistet. Die in den 1970er-Jahren gegründete landesweite Organisa-tion einkommensschwacher Mieter und Hausbesitzer verfügt in New Orleans über eine Mitgliederbasis von 9000 Familien. Als die Stadt im Dezember 2005 den Hausbesitzern mit Enteignung und Abriss ihres beschädigten Eigentums drohte, wenn sie die Schlammmassen und ihren wertlos gewordenen Hausrat nicht entsorgten, organisierte Acorn 15 000 Freiwillige für Aufräumarbeiten und konnte so 2500 Häuser retten.[6]

Acorn stellte auch das Planungsteam für das Lower Ninth Ward im erwähnten UNOP-Verfahren. Mit Hilfe von Forschenden dreier Universitäten dokumentierte Acorn im «People’s Plan for Rebuilding the Lower Ninth Ward» den Rückkehrwillen der Bevölkerung des Quartiers und entwickelte ein detailliertes Konzept für dessen Revitalisierung. Es war entscheidend für die mit 145 Mio. Dollar dotierte Aufnahme des Lower Ninth Ward als Wiederaufbauzone in den «17 Target Zones»-Plan. Damit war die Idee einer Renaturierung des Quartiers endgültig vom Tisch. Im Februar 2007 konnte Acorn im Lower Ninth Ward zwei sturmresistente Energiesparhäuser fertig stellen, und die Organisation hat auch den Zuschlag für den Wiederaufbau von weiteren 150 Objekten erhalten.

12000 Obdachlose – Stadt bricht Sozialsiedlungen ab

Doch Nachbarschaftsvertretungen und Non-Profit-Organisationen können sich nicht allen Härten staatlicher Politik entgegenstellen. Vor allem einfachen Mieterinnen und Mietern scheint die Rückkehr in ihre Stadt auf Dauer verbaut zu sein. Die Flutkatastrophe hat zwei Drittel des Mietwohnungsbestandes in Mitleidenschaft gezogen. Die folgende Knappheit hat zu horrenden Mietpreissteigerungen geführt. Hope House, eine Mieterinitiative, berichtet von monatlich vier- bis fünfhundert Personen, die sie wegen abgedrehter Strom- und Wasserversorgung, drohender oder schon erfolgter Räumung um Hilfe bitten. Mit 12000 ist die Zahl der Obdachlosen heute doppelt so hoch wie vor der Flut. Die Kommune trägt noch aktiv zu dieser Wohnungskrise bei. Der Stadtrat beschloss im Dezember 2007, vier Sozialbausiedlungen mit 4500 Wohnungen abzureissen. Schon vor Katrina standen sie im Ruf, «Brutstätten der Kriminalität» zu sein. Die «New York Times» kritisierte diesen Beschluss als ein Echo der rabiaten Slumreinigungspolitik der 1960er-Jahre und pries Teile der Siedlungen als vorbildliche Beispiele des öffentlichen Wohnungsbaus während der Phase des New Deal in den 1930er-Jahren.[7] Die einst für die Siedlungen zuständige städtische Sozialwohnungsbaubehörde wurde 2000 wegen Misswirtschaft unter Zwangsverwaltung des Bundesministeriums für Stadtplanung (HUD) gestellt. Das HUD will nun anstelle der alten Bauten von privaten Investoren Anlagen mit sozialer Durchmischung errichten lassen. Es wird dort nicht mehr genug Platz für die rund 20000 Personen geben, die vor Katrina in diesen Housing Projects lebten. Die UNO fordert den Stopp des Abrisses, da er eine Menschenrechtsverletzung darstelle.

Die Vernichtung öffentlichen Wohnraums ist tatsächlich ein Indiz für die Absicht massgeblicher Akteure in Politik und Wirtschaft, zumindest die rasche Rückkehr der afroamerikanischen Working Poor ans Mississippiufer zu verhindern. Dass sich aber die apokalyptischen Prophezeiungen von Mike Davis und anderen nicht bruchlos bewahrheitet haben, ist vor allem den lokalen Stadtteilinitiativen und landesweiten Non-Profit-Organisationen zu verdanken, die das Fortbestehen der am stärksten zerstörten Viertel mit Vehemenz zu sichern versuchen. Ob die Kommune diese städtische Bewegung zukünftig stärker an politischen Entscheidungen teilhaben lassen möchte, wird sich dann wirklich zeigen, wenn sie über die Verwendung der vielen leergeräumten Grundstücke von Hauseigentümern entscheiden muss, die – gegen Entschädigung aus dem Road Home Program – New Orleans tatsächlich für immer Lebewohl gesagt haben.

Anmerkungen
[1] Mike Davis: «Gentrifying Disaster», in: Mother Jones, 25. Oktober 2005
[2] Zum UNOP-Prozess und dessen Vorgeschichte vgl. Ray Mikell: A Unified New Orleans? Neighborhood Organizations, Factionalism and Rebuilding after Katrina: A Preliminary Report, 6. Januar 2007, New Orleans
[3] Gespräch mit dem Autor am 21.Mai 2008
[4] Becky Bohrer: «With ‹Katrina Fatigue› Worn Off, Magazines Chronicle a Rebirth», in: The Washington Post, 5. April 2008, S. F11, Washington
[5] Website von Global Green: www.globalgreen.org
[6] Website von Acorn: www.acorn.org
[7] Nicolai Ourousoff: «High Noon in New Orleans: The Bulldozers Are Ready», in: The New York Times, 19. Dezember 2007, New York

TEC21, Mo., 2008.07.07



verknüpfte Zeitschriften
tec21 2008|27-28 New Orleans Blues

London plant wieder

Im Londoner Osten findet zwei Jahrzehnte nach dem Umbau der Docklands zum Finanzzentrum erneut ein Umbruch statt. Bis 2012, wenn hier die Olympischen Spiele stattfinden, soll das East End, die «schmutzige Seite der Stadt», ein «attraktiver Standort» werden. Die Renaissance der Planung unter Mayor Ken Living-stone und die im «London Plan» publizierten Szenarien der Stadtregierung vermitteln das Bild einer Metropole, die nach dem Laisser-faire der Thatcher-Ära wieder Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt. Doch ist unsicher, ob das gelingt; die Spielräume der Planung sind klein, die Interessen vielschichtig.

Im Londoner Osten findet zwei Jahrzehnte nach dem Umbau der Docklands zum Finanzzentrum erneut ein Umbruch statt. Bis 2012, wenn hier die Olympischen Spiele stattfinden, soll das East End, die «schmutzige Seite der Stadt», ein «attraktiver Standort» werden. Die Renaissance der Planung unter Mayor Ken Living-stone und die im «London Plan» publizierten Szenarien der Stadtregierung vermitteln das Bild einer Metropole, die nach dem Laisser-faire der Thatcher-Ära wieder Verantwortung für das Gemeinwohl übernimmt. Doch ist unsicher, ob das gelingt; die Spielräume der Planung sind klein, die Interessen vielschichtig.

Aldgate, ein Verkehrskreisel, dessen bauliche Umgebung allen Aufwertungsmassnahmen zu trotzen scheint, markiert den östlichen Zugang zum Nervenzentrum der Global City. Bis 1761 stand hier ein Stadttor, und auch heute wird der Eintritt zur «Square Mile» streng kontrolliert: Strassenmarkierungen und Videoüberwachung sorgen dafür, dass alle, die mit ihrem Auto passieren, die Congestion Charge entrichten, jene Gebühr für den motorisierten Individualverkehr, die Londons Innenstadt ein wenig vom Stauchaos befreit hat. Hier verläuft auch der Ring of Steel, den die Sicherheitsbehörden nach dem IRA-Bombenterror der 1980er- und frühen 1990er-Jahre rund um den Finanzdistrikt errichtet haben, mit Kameras, Wachhäuschen und Fahrbahnverengungen an den Einfahrten. Unter dem Asphalt liegt ein Gleisdreieck des U-Bahn-Netzes, hier zweigt die District Line vom Stammnetz der Circle Line ins East End ab. Am 7. Juli 2005 war es einer der Schauplätze der Anschläge islamistischer Attentäter auf Londons öffentlichen Nahverkehr (Bild 11).

Aldgate ist das Scharnier zwischen Innenstadt und East End. Hier treffen die unterschiedlichen Interessen und Lebenswelten der 7.3 Mio. Londoner aufeinander. Auf der einen Seite steht das boomende Geschäftsviertel mit seiner global orientierten, hochqualifizierten Klasse von Managern und seinen Armeen von Angestellten. Auf der anderen beginnen die deindustrialisierten Aussenquartiere mit einer Bewohnerschaft, die häufig über eine geringe Berufsqualifikation verfügt und schlecht bezahlten Dienstleistungsjobs nachgeht.
Bereits Brick Lane, eine Strasse, die unweit von Aldgate in Nord-Süd-Richtung durch das East End verläuft, liegt im Schatten der City. Sie stellt einen «liminal space» dar, wie die Stadtforscherin Sharon Zukin diese Schnittpunkte der unterschiedlichen Logiken, Dynamiken und Realitäten einer postindustriellen Stadt nennt.[1] Seit Jahrhunderten wird hier der Textilhandel abgewickelt, doch seine Bedeutung hat stark abgenommen. Zuerst wurde der Markt von Hugenotten, später von Juden kontrolliert. Seit den 1960er-Jahren haben ihn muslimische Einwanderer aus Bangladesch übernommen, von denen heute rund 40000 im East End leben. Die Synagoge wurde schon 1976 zur Moschee umgenutzt, nur eine Bagel-Bäckerei erinnert noch an die ehemals jüdische Einwohnerschaft der heutigen «Banglatown».

Einen kritischen Blick auf die gelebte Multikulturalität in «Banglatown» lieferte 2003 der Roman «Brick Lane» von Monica Ali. Ihre Darstellung eines Frauenschicksals kam zwar beim britischen Publikum gut an. Einige Wortführer der muslimischen Gemeinde betrachteten den Roman aber als verunglimpfende Darstellung ihrer Lebensweise und blockieren derzeit seine Verfilmung vor Ort.
Noch immer ist das East End für viele Londoner eine Terra incognita. Doch in den letzten Jahren hat sich die Gegend um Brick Lane immer mehr zu einem Schwerpunkt des Nachtlebens und zur Touristenattraktion entwickelt. Zahlreiche Clubs und um Kundschaft kämpfende Curry-Restaurants bieten einen ersten Zugang zum Londoner Osten. Der Gentrifizierungsprozess gewann an Fahrt, als der Spitalfield’s Market, eine alte Obst- und Gemüsemarkthalle, von Trödelhändlern übernommen und die ehemalige Truman-Brauerei zum Kulturzentrum mit Szenecafés und Boutiquen umgenutzt wurde. Inzwischen stösst man unweit der Brick Lane auf die Dependance der Zürcher Galerie Hauser & Wirth, die wie andere Galerien die Gegend als Adresse für zeitgenössische Kunst erschliesst. Das Gelände des Güterbahnhofs Bishopsgate ist leergeräumt, hier soll eine grosse Büroüberbauung nach Plänen von Kees Christiaanse entstehen.

Der rote Ken – Kaiser ohne Land?

Der Ausbau der East London Line dürfte das East End über «Banglatown» hinaus zum attraktiven Stadtviertel machen. Ihre bisherige Endstation Shoreditch wird seit Juni wegen der Baumassnahmen nicht mehr angefahren. Hinter Brick Lane versteckt, kündet der Zustand dieses Bahnhofs von der jahrzehntelangen Unterfinanzierung von London Underground und erinnert daran, dass die traditionellen Arbeiterbezirke einst nur zögerlich in den Einzugsbereich des U-Bahn-Netzes integriert worden waren. Um die East London Line ins ebenfalls ärmliche Hackney zu verlängern, sollen nun stillgelegte Bahnstrecken reaktiviert und zusammengeschlossen werden. Eine langfristige Planung beabsichtigt, die East London Line mit weiteren Bahnstrecken im Norden, Süden und Westen zu verknüpfen und in einem neuen innerstädtischen S-Bahn-Ring (Orbirail) aufgehen zu lassen
(vgl.Kasten Bahnverkehr in London, S.13).

In den überlasteten Zügen von Londons U-Bahn-Netz ist einer allgegenwärtig: Ken Livingstone, Mayor of London. Sein Konterfei und sein fast schon zur Marke gewordener Name erwecken nach den Jahren, in denen die Alltagsbelange von den 33 Stadtbezirksverwaltungen geregelt wurden, die wichtigen Entscheidungen über Londons Zukunft aber die britische Regierung traf, den Eindruck: «London regiert sich wieder selbst». 1986 hatte Premierministerin Margaret Thatcher den Greater London Council (GLC), den damals vom linken Labour-Flügel dominierten Londoner Magistrat, kurzerhand abgeschafft, weil er sich ihren Angriffen auf den Sozialstaat widersetzte. Der Name des GLC-Vorstehers lautete – Ken Livingstone.

An die politische Spitze der Stadt zurückgekehrt, besitzt der «rote Ken», eingezwängt zwischen dem Zentralismus von Westminster und den Ansprüchen von Stadtbezirken mit bis zu 340000 Einwohnern, bisher nur eingeschränkte Macht. De facto unterstehen dem Mayor Polizei, Feuerwehr, Teile des Strassennetzes sowie der Grossteil des öffentlichen Verkehrssystems. Im Londoner Alltag sind es jedoch weiterhin die 33 Boroughs, in denen sich die Stadt für ihre Einwohner verkörpert. Sie haben ihre eigenen Parlamente, die Councils, sind für Volksschulen, Biblio­theken und die medizinische Grundversorgung zuständig und verwalten den sozialen Wohnungsbau. Auch die Council Tax, die von Thatcher eingeführte, je nach Stadtteil unterschiedlich hohe Kopfsteuer, wird von den Boroughs erhoben. Alex Bax, Senior Policy Advisor von Ken Livingstone, behauptet, dass der Londoner Bürgermeister nur 10% der Kompetenzen seiner Kollegen in anderen europäischen Grossstädten besitze. Die seit 1997 in Grossbritannien regierende Labour-Partei hat sich trotz ihres Bekenntnisses zur Dezentralisierung lange gescheut, Befugnisse von der nationalen auf die regionale oder die städtische Ebene zu übertragen. Im Zuge einer Überprüfung ihrer regionalpolitischen Ziele beabsichtigt sie jetzt, Londons Rathaus mit mehr Entscheidungsgewalt auszustatten. Die wichtigste Änderung: In Zukunft kann der Bürgermeister über das bislang national verwaltete, 850 Mio. Pfund schwere Budget für die Wohnbauförderung in London verfügen. Für die Verbesserung der beruflichen Ausbildung und Qualifikation der Arbeitskräfte soll demnächst ein von Livingstone geführtes Skills and Employment Board zuständig sein.

Die Vertreter der Boroughs kritisieren, dass die Neuausrichtung der kommunalen Zuständigkeiten die Autonomie der Bezirke beschneide. Denn bisher liegt auch das Recht zur Ausschreibung und Genehmigung von Bauprojekten in ihrer Hand. Der Bürgermeister kann auf planerische Entscheidungen der Bezirke nur über Leitbilder, Empfehlungen und Richtpläne einwirken. Als stärkste Handhabe bleibt ihm die Möglichkeit, Vorhaben zu stoppen, die der gesamtstädtischen Planungsstrategie zuwiderlaufen. Künftig soll der Mayor aber Entwicklungsprojekte, die von stadtweiter Bedeutung sind, selbst in die Wege leiten können – auch über Einsprüche der Bezirke hinweg. Livingstone hat jedoch verlauten lassen, dass er diese Befugnis nur sparsam und vor allem zum dringend nötigen Bau von erschwinglichem Wohnraum in Anspruch nehmen will.

Der «London Plan»

Die hinzugewonnene Entscheidungsgewalt ist die Anerkennung Westminsters für Livingstones starke Regierungsleistung während der letzten sechs Jahre. So betreibt Londons Stadtoberhaupt mit beschränkten Mitteln eine äusserst ambitionierte Stadtplanung, die er 2004 im «London Plan» bündelte. Dieser soll die künftige Entwicklung Londons in eine sozial, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Richtung lenken. Drei Jahre dauerte die Arbeit an dem Planwerk, das sich 2006 in der Vernehmlassung befindet. Den eigentlichen Anstoss dazu gab das Gesetz zur Schaffung der Greater London Authority (GLA). Es verpflichtete die Stadtregierung, eine Strategie zur räumlichen Entwicklung Londons für die nächsten 15bis20 Jahre zu entwerfen, die das Stückwerk aus bisher existierenden Plänen ersetzen soll.

Die GLA geht bei ihrer Planung von der Annahme aus, der in der Globalisierung begründete Zentralisierungsdruck werde über die nächsten Dekaden anhalten. Sie rechnet von 2003 bis 2016 mit einer Zunahme der Londoner Bevölkerung um 810000 Einwohner. Um dieses Wachstum aufzufangen, müssten pro Jahr rund 30000 neue Wohnungen errichtet werden. Die Planer kalkulieren auch mit 636000 neuen Jobs vor allem im Finanz- und Firmendienstleistungssektor in der City und in den Docklands sowie in der Freizeit-, Tourismus- und Kulturindustrie.

Livingstone problematisiert die Wachstumsprognosen nicht. Im Gegenteil: Jeder Versuch, das Wachstum zu bremsen und London die zum Erhalt seiner Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Ressourcen zu verweigern, würde, so sein Vorwort zum 2002 erschienenen ersten Entwurf des London Plan, «die ökonomische Effizienz der Stadt schwächen, die Lebensqualität der Londoner mindern und Londons Umwelt zerstören».2 Denn aus Livingstones Sicht bietet der Zentralisierungsdruck die Chance, den ökologisch bedenklichen Suburbanisierungstendenzen der vergangenen Jahrzehnte zu begegnen. Keinesfalls sollen die neuen Wohnungen und Arbeitsplätze den Green Belt, den nach 1945 um London gelegten Grüngürtel, tangieren. Vielmehr soll innerhalb des Green Belt zwischen schon vorhandenen Bebauungen oder auf stillgelegten Industriearealen verdichtet werden, und zwar mit Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr.

Der London Plan weist die grössten dieser spezifischen Lagen als «Opportunity Areas» aus. Sie sollten mindes-tens 5000 Jobs, 2500 Wohnungen oder eine Mischung aus beidem beherbergen und mit Einkaufs-, Freizeit- und Bildungseinrichtungen ausgestattet sein. Daneben werden Gebiete, die unter einem hohen Mass an sozialer Ausgrenzung und ökonomischem Niedergang leiden, zu «Areas of Regeneration» erklärt. Planung soll hier mit gesundheits-, sicherheits-, bildungs-, arbeits- und wohnungspolitischen Programmen verzahnt werden, um die durch den Wohnort bedingten Benachteiligungen der Bevölkerung dieser Quartiere innerhalb der nächsten zehn bis zwanzig Jahre zu beseitigen.[3]

Diese strategischen Vorgaben mit ihren stadtweiten Effekten erfordern die koordinierte Anstrengung der 33 Boroughs. Deren Entwicklungspläne müssen den neuen gesetzlichen Grundlagen der GLA zufolge eine «generelle Konformität zum Gesamtplan» aufweisen. Um die Zusammenarbeit zu forcieren, teilt der London Plan die Stadt in die fünf Subregionen West-, North-, Central-, South- und East-London ein, für die es konkretere Planungsrahmen zu erarbeiten gilt.

Den Osten regenerieren

Ein solcher Planungsrahmen liegt für den Londoner Osten seit Mai 2005 vor. Die Stadtregierung weist der Entwicklung dieser Subregion oberste Priorität zu, denn ihr haftet nach wie vor der Ruf an, die «schmutzige Seite» der Stadt zu sein, obwohl der Hafen, die Werften und der überwiegende Teil der Fabrikation, die den Osten über Jahrhunderte zum wirtschaftlichen Motor Londons gemacht hatten, spätestens Ende der 1970er-Jahre stillgelegt wurden (Bild 12). Nach 1980 entstanden in den Docklands, dem von der Thatcher-Regierung angeschobenen Stadtentwicklungsprojekt, zwar 17000 neue Arbeitsplätze im Dienstleistungssektor. Doch der Bezirk Tower Hamlets, in dem die Docklands liegen, gehört wie Hackney und Newham weiterhin zu den zehn ärmsten Verwaltungseinheiten Englands. Die drei Boroughs weisen mit bis zu 16% die höchsten Arbeitslosenzahlen des Landes auf. Nirgendwo sonst in London leben so viele Menschen in derart vernachlässigten Sozialbausiedlungen – eine Folge des ebenfalls unter Thatcher vollzogenen Rückzugs des Staates aus der Verantwortung für ihren Unterhalt (vgl. Kasten Das gentrifizierte Hochhaus»», S.16). Deshalb identifiziert der London Plan weite Teile der drei Bezirke als «Areas of Regeneration».
In deren unmittelbarer Nachbarschaft befinden sich aber auch die meisten der «Opportunity Areas», die der London Plan für den Osten markiert, wie etwa das Gelände der Olympischen Spiele 2012. Nicht zuletzt die erklärte Absicht der Stadtregierung, die Ausrichtung der Spiele als aktives Instrument zur Aufwertung des vernachlässigten East End einzusetzen, überzeugte das IOC von Londons Bewerbung, weshalb die Stadt überraschend den Zuschlag vor der Favoritin Paris bekam. Wenige Kilometer östlich von Brick Lane entstehen nun innerhalb von sechs Jahren im ehemals stark industrialisierten Lower Lea Valley ein neues Olympiastadion und Wettkampfarenen für Schwimmen, Hockey, Basketball, Handball und Radsport (vgl. Kasten Die Olympischen Spiele 2012, S.17).

Die Kandidatur Londons war auch deshalb erfolgreich, weil die Sportstättenplanung sich auf schon fast fertig gestellte Verbesserungen des öffentlichen Transportsystems gründen kann. So wird 2007 mitten auf dem zukünftigen Olympiagelände der Bahnhof Stratford International eröffnet, eine Haltestelle auf dem Channel Tunnel Link für die Züge vom Kontinent, der dann weiter bis in den erneuerten Bahnhof St.Pancras am nördlichen Innenstadtrand führt. Von St.Pancras soll 2012 die unterirdische Shuttle-Verbindung Zehntausende Olympiabesucher in nur sieben Minuten ins Lower Lea Valley befördern.

Südöstlich von Stratford International und des Olympiageländes entsteht ein komplett neues Büro- und Geschäftsviertel, das nach der City und den Docklands als dritter Londoner Standort für global agierende Finanz- und Firmendienstleistungen vorgesehen ist. Hier sollen 30000 der rund 213000 Jobs angesiedelt werden, für die in den «Opportunity Areas» des Ostens laut London Plan Kapazität besteht.[4]

Planung als Symbolpolitik

Die Greater London Authority versucht mit Hilfe des London Plan der zunehmenden sozialräumlichen Polarisierung der Stadt entgegenzutreten, die nach 1980 im Gefolge von Deregulierung und dem Aufstieg Londons zur prosperierenden Global City einsetzte. Der Banken- und Firmendienstleistungssektor der Stadt erwirtschaftet heute rund ein Fünftel des britischen Bruttosozialprodukts. Doch dem Londoner Stadtforscher und Planer Michael Edwards zufolge wirkte das metropolitane Wachstum der vergangenen zwei Jahrzehnte ebenso als Armuts- wie als Wohlstandsmaschine. Statistiken legen die Schattenseiten der Entwicklung rasch frei: So leben über 40% der Kinder Londons in Armut, um nur ein Beispiel zu nennen.[5]
Livingstone will von nun an ökonomisches Wachstum nachhaltig gestalten und alle Bewohner daran teilhaben lassen. Diese Zielsetzung lässt sich heute nicht mehr mit flächendeckenden und starren Konzepten und noch viel weniger mit in Architektur und Städtebau verfestigten Bildern einer Stadt oder Region verfolgen. Planung als Antwort auf die Effekte der Globalisierung und vergangener Privatisierungspolitiken erfordert vor allem Moderation, Vertrauensbildung und Kommunikation – erst recht in London, wo nationalstaatliche Ministerien und Behören, die Verwaltungen der 33 Boroughs, Nichtregierungsorganisationen und Nachbarschaftsinitiativen und natürlich auch die Privatwirtschaft im Planungsprozess mitreden. Livingstone versucht mit seiner für die kommunale Politik ungewöhnlich gut geölten PR-Maschinerie und Schlagwörtern wie «accessible city», «inclusive city» oder «examplary sustainable world city» die Hoheit über den Planungsdiskurs zu erlangen. Dabei wendet er auch geschickt die Taktik der Personalisierung und Symbolisierung an. So realisierte Norman Forster 2002 Livingstones Amtssitz an der Themse gegenüber dem Tower of London als futuristisch transparentes Objekt, das zugleich Zukunftsorientierung und Verschlankung der Bürokratie demonstrieren soll. Ein weiterer Etablierter der britischen Architekturszene, Sir Richard Rogers, ist Chef der Architecture and Urbanism Unit des Rathauses. Diese übernimmt die Funktion einer Ratgeberin für «good urban design» und hat jüngst eine Richtschnur für Behörden zur Durchführung von – bisher praktisch unbekannten – Architektur- und Städtebauwettbewerben formuliert.

Livingstones Planwerk: offene Fragen

Es entbehrt nicht der Ironie, dass die Kritik an Livingstones Entwicklungsstrategie sich ausgerechnet daran entzündet, dass diese das Prunkstück der Londoner Planungsgeschichte, den Green Belt, für sakrosankt erklärt. Generationen europäischer Planer haben ihre britischen Kollegen um das Amalgam von Siedlungstrenngürtel, Erholungsraum und Agrarfläche beneidet. Heute sind es gerade die älteren britischen Planer wie Sir Peter Hall, Michael Edwards oder Drummond Robson, die den Green Belt als mittlerweile sinnentleertes Relikt einer längst vergangenen Ära taxieren. Für sie steht seine Unantastbarkeit besseren Lösungen im Weg. Diese Sichtweise wird leicht nachvollziehbar, betrachtet man die Entwicklung der durchschnittlichen Reisezeit zum Arbeitsplatz in der Metropolregion. Zwischen 1991 und 2001 haben die Pendeldistanzen – durchaus im Einklang mit dem europaweiten Trend – erheblich zugenommen, und zwar gerade in den Distrikten, die am weitesten von der Londoner City entfernt sind. Mit anderen Worten: Der Green Belt hat die Sogwirkung des Zentrums nicht unterbinden können. Vielmehr hat er, weil er viel potenzielles Siedlungsgebiet besetzt, zu einer beträchtlichen Verteuerung der Immobilien geführt.
Mit der Erhaltung des Green Belt vergibt der heutige London Plan nach Ansicht seiner Kritiker die Chance, die monozentristische Tendenz des jüngsten Entwicklungsschubs aufzubrechen. Alternative Wege zu beschreiten hiesse aber, den Fokus auf die Stadt aufzugeben und ein grossräumiges Vorgehen anzustreben, wie dies 1944 der Greater London Plan tat (vgl. Kasten S.16). Vorschläge dieser Art liegen vor, so das Orbinet-Konzept, das mehrere Verkehrsknoten in den äusseren Stadtteilen effizient miteinander zu verbinden sucht. Damit liesse sich nicht nur das Zentrum entlasten, sondern die Planer könnten sich direkt der Aufgabe stellen, an welcher sich nach Ansicht vieler Experten die Zukunft Londons entscheiden wird: der Entwicklung der Suburbs, in denen heute der grösste Teil der Londoner Bevölkerung zuhause ist.[6]
Livingstones London Plan, meinen seine Kritiker, weiche dieser Herausforderung aus. Stattdessen entfache er eine unerquickliche Debatte über die Verdichtung der City mit weiteren, diesmal jedoch ökologisch korrekten Hochhaus-Ikonen. Livingstones Politik vertraue auf eine Fortsetzung des ökonomischen Booms und treffe keine Vorkehrungen für den Fall, dass die Wachstumsmotoren der Londoner Entwicklung ins Stottern kommen sollten.

Kooperationen innerhalb begrenzter Spielräume

Livingstone untersteht ein Gebiet, dessen Einwohnerzahl jene der Schweiz übertrifft. Doch anders als die Eidgenossenschaft hat London innerhalb eines knappen halben Jahrhunderts vier unterschiedliche Regierungsformen erfahren (vgl. Chonik S.12). Politische und wirtschaftliche Umbrüche haben aus London einen fragmentierten Raum gemacht, in dem sich die Machtsphären lokaler, regionaler und nationaler Institutionen überschneiden, blockieren und teilweise wieder auflösen. In diesem Gebilde fehlt es dem Mayor an Macht, um direkt auf die Triebkräfte der Stadtentwicklung einzuwirken, wie dies seinen Vorgängern nach 1945 z.B. über Investitionslenkungen und grossflächigen so-zialen Wohnungsbau möglich war. In den sechs Jahren seiner Amtszeit hat Livingstone jedoch demonstrieren können, dass die wichtigsten Mittel der Planung längst nicht mehr das Reissbrett und die grossen Entwürfe sind, sondern mediale Präsenz und ein moderierender Regierungsstil, der die unterschiedlichsten Akteure in Entscheidungsprozesse einbindet. So lassen sich trotz des beschränkten Handlungsspielraums Dinge in Bewegung setzen. Beispielsweise schafft der London Plan eine stadträumliche Wahrnehmung über die Grenzen der Boroughs hinweg und befördert so die Einsicht in die gegenseitige Abhängigkeit und neue Formen der Kooperation. Oder er legt Orientierungslinien für Standards im Wohnungsbau fest und präsentiert in den von Richard Rogers orchestrierten Arbeiten Typologien höherer Dichte.

Der London Plan ist voll von Absichtserklärungen zu allen zentralen Belangen der Londoner Stadtwirklichkeit. Doch die Umsetzung, insbesondere von Livingstones sozialpolitischen Zielen, hängt wesentlich davon ab, inwieweit es der Greater London Authority gelingt, stabile Kompromisse zu etablieren zwischen den stark divergierenden Interessen der Privatwirtschaft und einer breiten, auf staatliche Unterstützung angewiesenen Bevölkerung. Ein letzter Blick auf das East End macht den Balanceakt deutlich, den die GLA vollführen will. Ohne eigene Ressourcen ist die Stadt auf Developer angewiesen, um den Raum östlich von Aldgate baulich weiterzuentwickeln. Doch mit ihren auf grösstmögliche Rendite ausgerichteten Inszenierungen einer exklusiven Urbanität waren Developer in der Vergangenheit treibende Kräfte bei der Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen. Die Frage stellt sich, ob der Bau des Olympiageländes im Lower Lea Valley oder des neuen Geschäftsviertels in Stratford dieses Muster durchbrechen kann. Es bleibt abzuwarten, ob es dem Bürgermeister mit der erweiterten Planungsbefugnis und seiner neu gewonnenen Zuständigkeit über die Wohnungsbauförderung gelingt, der sozialräumlichen Polarisierung Einhalt zu gebieten. Mit der Verkehrspolitik hält Livingstone jedoch einen Trumpf in der Hand, den er jetzt schon im Sinne der sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit der Stadtentwicklung einzusetzen versucht. Die Eindämmung der allgegenwärtigen Staus mit Hilfe der Congestion Charge, der Ausbau des öffentlichen Verkehrs und erste Tarifermässigungen haben der Stadt schon jetzt eine neue Prägung verliehen. Die Massnahmen zielen nicht zuletzt darauf ab, den Lebens- und Arbeitsalltag der Londoner mit geringerem Einkommen zu erleichtern. Ihr Erfolg und ihre Popularität könnten für jenen Rückhalt in der Bevölkerung sorgen, den die Stadtregierung braucht, um die ambitionierten Ziele des London Plan zu erreichen. Angesichts der vielschichtigen Machtfelder und Interessenlagen, die in der Global City aufeinanderstossen, ist Planung hier ein Moderieren instabiler Koalitionen in einem unberechenbaren Kräftespiel.


Zusatz 1:
Vier Regierungsformen Londons

1888 –1964 London County Council (LCC): erste Londoner Zentralbehörde
1965 –1985 Greater London Council (GLC): Reorganisation Grossraum London zu 33 Bezirken (bis heute gültige Einteilung)
1986 –1999 London Planning Authority Committee: Rumpfbehörde nach Abschaffung von GLC (Aufteilung der Kompetenzen zwischen Nationalregierung und 33 Stadtbezirken)
seit 2000 Greater London Authority (GLA) unter Mayor Ken Livingstone (erste Direktwahl eines Bürgermeisters in Londons Geschichte)


Chronik

1944 Veröffentlichung des Greater London Plan im Hinblick auf den Wiederaufbau, Verfasser Patrick Abercrombie im Auftrag der Churchill-Regierung, Entscheid zur Gründung von 10 New Towns in der Agglomeration
1947 Town and Country Planning Act der Atlee-Regierung: Stärkung der Planungshoheit von LCC, Eindämmung von Sonderprivilegien der City, Unterbindung von Grundstückspekulation
1951 Festival of Britain im Jubiläumsjahr der Weltausstellung von 1851: Ankurbelung von Regeneration am deindustrialisierten Südufer der Themse (Southbank-Kulturzentrum) und von Wohnungsbau im East End (Wohnbauausstellung Lansbury Estate)
1956 – 1968 nationale Wohnungsbaupolitik: Subventionierung von Wohnhochhäusern («tower flats», umfangreiche Flächen-sanierung und Wohnungsbauproduktion im East End
ab 1969 Umwandlung stillgelegter Hafenanlagen im East End, Landverkauf finanziert neuen Containerhafen an der Themsemündung
1970 Baubeginn Thamesmead: letzte GLC-Grosssiedlung mit 60  000 Einwohnern
1973 erste Docklands-Planungen unter GLC
1976 Annahme Greater London Development Plan (Vorgänger des aktuellen London Plan)
1981 Rückzug von GLC aus sozialem Wohnungsbau, schrittweise Übertragung des Bestands an Bezirke, Right to Buy (Privatisierung von 177  000 Einheiten in 10 Jahren)
1981 Gründung London Docklands Development Corpora-tion durch Thatcher-Regierung: marktwirtschaftlich orientierte Regeneration von East-End-Hafenbrachen, GLC und Bezirk Tower Hamlets verlieren Planungshoheit
1985 Local Government Act der Thatcher-Regierung: Beschluss zur Abschaffung von GLC
1987 Eröffnung London City Airport und Docklands Light Railway (privat erstellte Hochbahn zur Verbindung des Regenera-tionsgebiets mit der City)
1988 Baubeginn Docklands-Finanzzentrum Canary Wharf, Hauptmieter Credit Suisse First Boston
1994 Schaffung des Amts «Minister for London» im nationalen Umweltministerium
1999 Greater London Authority Act der Blair-Regierung: Beschluss zur Schaffung einer Londoner Zentralbehörde mit Bürgermeister
2000 Wahl von Ken Livingstone zum Mayor of London
2001 Schaffung von Transport for London: Zuständigkeit für
U-Bahn, Busse, Strassen, ab 2006 S-Bahn auf Stadtgebiet
2003 Einführung der Congestion Charge (Strassenmaut im Stadtzentrum, 2007 Verdoppelung nach Westen)
2004 Veröffentlichung London Plan, Wiederwahl von Ken Livingstone
2005 (6. / 7.  Juli) IOC-Entscheid für London als Austragungsort der Olymischen Spiele 2012
2005 Attentate islamistischer Terroristen auf öffentlichen Verkehr in London mit 52 Todesopfern
2007 unterirdische Schnellverbindung zum Kanaltunnel, neuer Eurostar-Terminal in London St.  Pancras, Stratford International als Zwischenstation im East End (Fahrzeit nach Brüssel: 1. 45 h)



Zusatz 2:
Bahnverkehr in London

London war nie eine Metropole aus einem Guss, sondern in den Worten des Schriftstellers Henry James «a tremendous chapter of accidents». Stadträumliche Orientierung hängt hier weniger von städtebaulichen Hierarchien als von individuellen Interessen ab. Im Unterschied zu Paris, Wien oder Berlin verfügt London über keine «eindeutige» Beziehung zwischen Zentrum und Peripherie. Nach einem übergeordneten Strukturprinzip wurde jedoch in der Moderne gesucht: Im Hinblick auf den Wiederaufbau nach Kriegsende erfand der Greater London Plan von 1944 eher willkürlich eine konzentrische Struktur für den Londoner Grossraum. Immerhin erhielt der zweitäusserste von vier Ringen eine Bestätigung, als dort die Ringautobahn M25 gebaut wurde. Dass London heute als Stadt mit Kern und Rand wahrgenommen wird, hängt vor allem mit dem in den 1970er-Jahren eingeführten Tarifsystem des öffentlichen Verkehrs zusammen. So berechnet London Underground die Fahrpreise nicht nach zurückgelegter Distanz, sondern nach starren Tarifzonen. Diese legen sich als Ringe um das Herz von Greater London. Angesichts der horrenden Tarife kann sich ein Leben innerhalb oder ausserhalb von «Zone 1» auf das persönliche Budget ähnlich auswirken wie der Steuerfuss einer Schweizer Gemeinde.
Eher von infrastrukturellen als von stadtmorphologischen Ordnungen diktiert, erscheint die Modellierung des Grossraums London manchmal beinah japanisch. Ihre «Abstraktheit» ist Ausdruck schierer Grösse und Komplexität, aber auch die Folge einer britischen Tradition: Stets stand die Hauptstadt Machtdemonstrationen einzelner Akteure in Gestalt von städtebaulichen Inszenierungen skeptisch gegenüber. In diesem Vakuum wird Städtebau über Verkehrssysteme betrieben, seit Mitte des 19.  Jahrhunderts private Unternehmer die Grundlagen zu «London Underground» legten. Weil diese den Ausbau des Netzes zum wohlhabenden Westen und Norden forcierten, bekamen der Osten und der Süden erst mit grosser Verspätung U-Bahn-Anschluss.
Eine leistungsfähige und moderne Verkehrsinfrastruktur erhielt das East End erst im Zug der Docklands-Planungen. Als frühe Formen von Public-Private-Partnerships sind die Docklands Light Railway (DLR) und die Jubilee Line Beiprodukte von Thatchers privatisierter Stadtentwicklung. Sie waren als reine Direktverbindungen zwischen dem Dienstleistungszentrum Canary Wharf und dem Westen vorgesehen, konnten aber nach langen Verhandlungen zu Verteilern für das East End aufgewertet werden. Über die Docklands hinaus verlängert, bilden DLR und Jubilee Line nun das künftige Rückgrat für den Ausbau Stratfords zum metropolitanen Geschäftszentrum. Die weitere Erschliessung des Londoner Ostens beabsichtigt auch das seit kurzem aufliegende Crossrail-Projekt: Eine neue S-Bahn-Durchmesserlinie soll die U-Bahn entlasten und im Grossraum London eine grössere Mobilität in ost-westlicher Richtung ermöglichen. Dazu ist ein leistungsfähiger Innenstadttunnel mit vielen neuen Haltestellen bis hinaus zum Flughafen Heathrow vorgesehen. Allerdings bestehen erhebliche finanzielle und politische Unwägbarkeiten auf dem Weg zur Realisierung des Vorhabens, das ausserhalb von Livingstones Einflussbereich auf nationaler Ebene verhandelt wird. Umstritten ist Crossrail gerade auch im East End, würde doch seine Sogwirkung den wirtschaftlichen Druck auf Viertel wie Brick Lane weiter steigern.


Zusatz 3:
Greater London Plan 1944

Livingstones London Plan lässt Erinnerungen an den Greater London Plan wach werden – einen Meilenstein der Planungsgeschichte. Seine Verfasser, Patrick Abercrombie und John Henry Forshaw, legten 1944 im Auftrag der Churchill-Regierung ein Wiederaufbaukonzept für die massiv durch deutsche Bomben geschädigte Hauptstadt vor. Dabei erachteten sie die Zerstörungen als Chance zu einer grundlegenden Neuorganisation des Londoner Grossraums. Kernstück bildete ein Konzept von vier konzentrischen Ringen, deren entscheidender der Green Belt war. Dieser in einem Umkreis von 25 bis 35 Meilen um die City gelegte Landschaftsgürtel trennte die Stadt und den ersten Vorortering markant vom Umland ab. So sollte die seit Jahrzehnten anhaltende wirtschaftliche und demografische Sogwirkung der Hauptstadt gebrochen werden. Ausserhalb dieses Gürtels sah der Plan autarke Städte von bescheidener Grösse vor, wie sie dann nach 1947 mit den «New Towns» realisiert wurden.
Im Greater London Plan konkretisierte sich das an der Kleinstadt orientierte Stadtideal der britischen Planer jener Zeit, das auch Abercrombies Reorganisationsvorschläge für die inneren Zonen anleitete. Zugleich war der Plan Ausdruck eines sich seit der Jahrhundertwende verfestigenden planerischen Denkens, wonach gesellschaftliche Probleme wie die Dominanz Londons, die anhaltend prekären Lebensverhältnisse in der Stadt und die Strukturkrisen in Nord- und Mittelengland durch Raumpolitik zu lösen waren. Der Greater London Plan beabsichtigte eine regionale Umverteilung von Zehntausenden von Arbeitsplätzen und Wohnungen für über eine Million Menschen. Unter Planung verstand man damals massive bauliche Eingriffe: Abercrombie und sein Team entwarfen das städtische Leben auf dem Reissbrett, formulierten «Neighbourhoods» als ideale, überschaubare Wohneinheiten, definierten maximale bauliche Dichten, verteilten Quartiere und Stadtteile und konzipierten dafür neue Zent-ren mit allen notwendigen Einrichtungen.
Diese Form von Planung prägte die britische Politik bis Mitte der 1970er-Jahre. Doch bereits seit den 1960er-Jahren mehrten sich in den grossen Sozialbausiedlungen in London oder Liverpool die Zeichen dafür, dass es unmöglich war, gesellschaftliche Entwicklungen allein mit physischer Planung langfristig positiv zu beeinflussen. Erfolglos waren auch die Bemühungen, die New Towns als neue Wachstumskerne in Krisenregionen zu etablieren.
Der Greater London Plan fokussierte auf die Anforderungen der traditionellen britischen Industriegesellschaft und schuf dafür ein prägnantes räumliches Bild. Als gesellschaftliches Entwicklungsszenario hatte er aber für Probleme der Nachkriegszeit wie Massenmotorisierung oder Deindustrialisierung keine Antworten parat. Nach 1970 wurde seine Logik der technokratischen Bearbeitung und Standardisierung örtlicher Belange von lokalen Protestbewegungen in Frage gestellt. Die Konservativen warfen schliesslich den Stadtplanern vor, jede unternehmerische Initiative im Keim zu ersticken. In ihrer zweiten Amtszeit entmachtete Thatcher den Greater London Council und riss planerische Kompetenzen an sich. Die Umrüstung Londons in eine Schaltzentrale globalisierter Kapitalströme geschah nun mittels Entscheidungen hinter verschlossenen Türen, privaten Sonderwirtschaftszonen und Public-Private-Partnership-Projekten.


Zusatz 4:
Das gentrifizierte Hochhaus

Mit seinen exorbitanten Wohnpreisen steht London heute bei den Lebenskosten an der Weltspitze. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Nach Jahrzehnten des Bevölkerungsrückgangs begann 1984 die Einwohnerzahl von Greater London wieder zu wachsen. Zugleich befand sich damals der Staat auf dem Rückzug aus der Wohnungsbauförderung. Mietern wurde der Kauf ihrer Sozialwohnung ermöglicht, was den Wohnungsbesitz in öffentlicher Hand in zehn Jahren um beinah 200  000 Einheiten reduzierte. Das Wohnen wurde vom Kräftespiel des freien Marktes erst richtig erfasst, als sich im folgenden Jahrzehnt die Konjunktur erholte und die Zuwanderung zunahm, seit 2004 auch aus den neuen EU-Ländern in Osteuropa. Im East End spürt man diese gesteigerte Nachfrage lange vor den Aufwertungsmassnahmen, die im Zusammenhang mit den Olympischen Spielen von 2012 zu erwarten sind. Bereits heute reagieren Immobilienfirmen mit spektakulären Instandsetzungen, so etwa in Whitechapel hinter der East London Mosque. Dort wird das ehemalige Männerwohnheim Tower House zu Lofts umgebaut. In dieser denkmalgeschützten viktorianischen Trutzburg logierte einst Stalin, als er, wie viele andere Russen, nach der fehlgeschlagenen Revolution von 1905 im East End unterkam.
Denkmalgeschützt ist auch das Keeling House in Bethnal Green (Bild 17). Das 1959 nach Plänen von Denys Lasdun errichtete Wohnhochhaus gehört zu den wenigen innovativen Beispielen der Baugattung «Tower Flats», die damals dank staatlichen Zuschüssen im ganzen Land starke Verbreitung fand. Keeling House war der Versuch, Eigenschaften der lokalen Reihenhausviertel in ein skulptural moduliertes System vertikaler «Nachbarschaften» zu übertragen. Dazu stapelte Lasdun 64 Duplexwohnungen an Laubengängen kleeblattförmig um einen offenen Erschliessungskern. Dieses von strukturalistischen Theorien inspirierte Cluster-Prinzip vermochte dennoch nicht den Herausforderungen standzuhalten, mit denen die britische Wohnungsbaupolitik in den folgenden Jahrzehnten konfrontiert war. Die Schwierigkeiten im Viertel, die sozialen Probleme der Mieterschaft, unzureichender Unterhalt und zunehmender Vandalismus in den öffentlich zugänglichen Bereichen des Gebäudes liessen Lasduns Turmexperiment schliesslich scheitern. Ohne den Eingriff des Denkmalschutzes wäre das Keeling House 1993 gesprengt worden. Von einem Developer grundlegend saniert und umgebaut, erscheint es heute wie ein Design-Fetisch aus dem Lifestyle-Magazin «Wallpaper». Den Sockel umgeben nun ein Gitter und ein japanisierender Teich mit schicker Beleuchtung; in der neu zugefügten Eingangshalle sitzt ein Portier. Eine mehrheitlich in der City tätige Bewohnerschaft ist bereit, für eine Zweizimmerwohnung über dem harten Pflaster von Bethnal Green 700  000 Franken zu bezahlen.


Zusatz 5:
Die Olympischen Spiele 2012

Die Queen stand schon hier oben, um sich ein Bild von der Zukunft des East End zu machen: Der Blick von der Kabine auf dem Dach des Holden Point, einem 21-stöckigen Altersheim im Bezirk Newham, fällt gegen Westen auf eine planierte Brache, die vom Channel Tunnel Rail Link durchschnitten wird (Bild 14). Dahinter erstreckt sich ein Wirrwarr aus Fabrikruinen, kleinen Werkstätten, Schrottplätzen, Busdepots, Wiesen und Gestrüpp entlang des River Lea. In sechs Jahren finden auf dem rund 438 ha grossen Areal die Olympischen Spiele statt. 86 % der Fläche befinden sich schon im Besitz der Organisatoren, und diese hoffen, dass bis Ende Dezember eine Einigung mit den rund 100 Betrieben erzielt sein wird, die sich der Räumungsanordnung noch widersetzen. 2007 soll der Bau der Sportstätten beginnen.
Politiker und Planer versprechen sich von dem Mega-Event, dass es die verarmten Stadtteile des Ostens in eine blühende Landschaft verwandelt, und verweisen dabei auf Barcelona, das die Ausrichtung der Olympiade 1992 mit einer allseits als gelungen betrachteten Stadterneuerung verband. Stets wird betont: Für den Erfolg der Londoner Spiele sei entscheidend, was nach ihrem Ende für die Bewohner in der Nachbarschaft übrig bleibt. Schon jetzt ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs östlich der City sichtbar, in den bis 2012 7 Mrd. Pfund investiert werden. Um die Lebensqualität im East End zu steigern, wird das Olympiagelände nach dem Ereignis zum grössten Stadtpark umfunktioniert, der in Europa in den letzten 150 Jahren entstanden ist. Das olympische Dorf soll dann 4000 Wohnungen bieten; weitere 35  000 Wohnungen sollen später hinzukommen, die Hälfte für Haushalte mit geringem Einkommen. Kritiker befürchten jedoch, dass es schon vorher zu einer Verdrängung einkommensschwacher Bevölkerungsteile kommen wird. Kurz nachdem London den Zuschlag für die Spiele erhalten hatte, zogen in Newham die Immobilienpreise massiv an.
Für die Vergabe einzelner Bauprojekte an Architekten werden keine Wettbewerbe durchgeführt. Einzig für das Schwimmstadion ist aus mehreren Entwürfen jener von Zaha Hadid ausgewählt worden. Der Olympiapark wird vom EDAW-Konsortium in Zusammenarbeit mit Arup und Atkins gestaltet, das schon den Masterplan für die Bewerbung entworfen hat (Bild 16). Unklar ist noch, wer das neue Olympiastadion baut. Es soll 80  000 Zuschauer fassen, nach den Spielen auf 25  000 Plätze reduziert werden und als Leichtathletikarena dienen.
Die Kosten für die Spiele werden derzeit auf 3.5 Mrd. Pfund geschätzt. Neben Geldern von privaten Sponsoren werden Mittel aus der staatlichen Lotterie fliessen. Zudem zahlt jeder Londoner Haushalt bis 2012 eine jährliche Olympiasteuer von 20 Pfund.
Für Unmut sorgt bei vielen Bürgern, dass sie Olympia wegen steigender Lohnkosten im Bausektor und verstärkter Sicherheitsmassnahmen noch teurer zu stehen kommen könnte. Bereits rechnet die Bauindustrie mit 400 statt wie ursprünglich mit 280 Mio. Pfund für das Stadion. Alle Mehrkosten muss die Stadt übernehmen. Dieser Tage wird entschieden, welches Unternehmen die Aufsicht über den Bau des Olympiageländes führen soll.

TEC21, Mi., 2006.10.04



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