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Texte

02. Dezember 2005Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Schwebender Wasserkörper

Ein Strandbad am Kalterersee

Ein Strandbad am Kalterersee

Ende der sechziger Jahre interpretierten junge Wiener wie Hans Hollein, Wolf Prix oder Raimund Abraham die Architektur als Illusion, Ritual und Kunstwerk. Nun führt eine neue Generation die Visionen der einstigen Avantgardisten fort. So versuchen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs seit der Gründung ihres Ateliers «the next ENTERprise» vor fünf Jahren, neue Ideen aktionistisch, konzeptionell oder architektonisch umzusetzen. Beeinflusst von der Fernsehserie «Raumschiff Enterprise», begreifen die 1967 und 1963 geborenen Baukünstler Architektur nicht als Umsetzung baulicher Massnahmen, sondern als Illusion und Experiment.

Bekanntheit erlangte das Team mit der «Hirnsegel» genannten Installation eines temporären Kunstraums unter einer Eisenbahnbrücke, für die es 1997 mit dem Preis für experimentelle Tendenzen in der Architektur ausgezeichnet wurde. Sein bisher überzeugendster Entwurf steht nun kurz vor der Fertigstellung: Es handelt sich um eine Schwimmbadanlage am Kalterersee in Südtirol, die im Frühjahr 2006 eröffnet werden soll.

Als Entwurfsgrundlage dient den beiden Architekten eine Interpretation der pittoresken Umgebung als touristische Erlebniswelt. Deshalb konzipierten sie eine bewusst artifizielle Badewelt, für die sie gleichsam einen Teil des Sees an Land «verlegen». Zudem heben sie die Schwimmbecken so vom Boden ab, dass die Landschaft in Form einer Liegewiese unter den schwebenden Bassins durchfliessen kann. «Wir wollten den See zum Fliegen bringen», meinen Harnoncourt und Fuchs dazu. Die Wasserkörper lagern auf räumlich ausgebildeten Betonstützen, deren Inneres zu Grotten mutiert und einen Whirlpool sowie einen «Regenraum» mit Duschen beherbergt. Das Wechselspiel zwischen menschlicher Intervention und vorgefundener Natur pflegen die Baukünstler bis ins Detail. Widerstandsfähiges Moos soll die Oberflächen der Betonlandschaft überziehen und so die haptische Komponente des Entwurfs unterstreichen. Wie die Avantgardisten der sechziger Jahre versucht auch «the next ENTERprise» den Grenzbereich zwischen Experiment und Realität für sich auszuloten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.12.02



verknüpfte Bauwerke
Seebad Kaltern

01. Oktober 2004Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Schwebender Kubus

Eine Villa der Wiener Gruppe Querkraft

Eine Villa der Wiener Gruppe Querkraft

Im März dieses Jahres zeichnete das britische Architekturmagazin «Building Design» die vier gut vierzigjährigen Architekten Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp und Michael Zinner von der österreichischen Architektengruppe Querkraft mit dem Young Architects of the Year Award 2004 aus. Die Jury würdigte die unkonventionelle Architekturauffassung des Teams, von der auch das kürzlich fertig gestellte Haus DRA in Wien zeugt. Die dreigeschossige Villa schwebt - für das Auge irritierend - über dem Abgrund eines steil abfallenden Grundstücks. Wie ein Würfel, der jeden Moment nach unten zu kippen droht, haftet der strenge Kubus mit minimalem Bodenkontakt an den Hängen des Wiener Waldes.

Die extreme Topographie und die gesetzlich vorgeschriebene Zentrierung des Gebäudes auf der kleinen Parzelle veranlassten die Architekten von Querkraft, das Bauvolumen vom Gelände abzuheben und über den Garten kragen zu lassen. Dadurch verhindern sie die Entstehung eines schmalen, umlaufenden Grünstreifens zugunsten einer überdachten Freifläche. Die eher konventionelle Ausformulierung der Innenräume lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Qualität des Projektes. Diese liegt weniger in der Hinterfragung herkömmlicher Wohnkonzepte als vielmehr in der selbstbewussten und prägnanten Positionierung des Baukörpers im topographischen Umfeld. Nicht die Schaffung zusätzlicher Gartenfläche, sondern die Verweigerung, sich den landschaftlichen Gegebenheiten unterzuordnen, erzeugt die Spannung dieses Entwurfes. Das klassische Thema «Haus am Hang» erfährt dabei eine reizvolle Variation. Als konventioneller Geschossbau würde das Haus DRA in der Ebene wohl kaum Aufsehen erregen, gerade aber die Anwendung der scheinbar falschen Typologie am konkreten Ort macht das Gebäude zu einem markanten architektonischen Zeichen. Der Erfolg der vier jungen Baukünstler gibt ihrem Anspruch, durch das Zusammenspiel von herkömmlichen und unorthodoxen Entwurfselementen Ambivalenz zu erzeugen, Recht: Die aufstrebenden Querdenker vertreten noch bis zum 7. November Österreich zusammen mit anderen Baukünstlern an der Architekturbiennale in Venedig.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.10.01



verknüpfte Bauwerke
Haus DRA

07. Mai 2004Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Urbane Wohnlandschaft

Ein Wiener Dachaufbau von Delugan & Meissl

Ein Wiener Dachaufbau von Delugan & Meissl

Der Umgang mit historischer Bausubstanz führt in Wien immer wieder zu heftigen Diskussionen. Der Um- oder Ausbau alter Fassaden und geschichtsträchtiger Gemäuer verlangt nach Meinung vieler besondere Sorgfalt. Die Stadtväter unterstützten diese Ansicht mit der Schaffung strenger Baurichtlinien. Geht es nach dem Gesetzgeber, so sollte zeitgenössische Architektur möglichst unauffällig hinter den bestehenden Gebäuden zurücktreten. Dagegen verstösst nun ein Dachausbau von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan. Die beiden Architekten, die seit nunmehr zehn Jahren den kommunalen Wohnbau der Donaumetropole revolutionieren, entwarfen eine Struktur aus Aluminium und Glas, welche sie als «Umsetzung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Bewohnern und Umfeld» beschreiben. Die mehrschichtige Hülle, die den Aussenraum in die Wohnung zu saugen scheint, setzt auf Tiefenwirkung und Lichteinfall. Schräg verlaufende Brüstungen und eine schwebende Gaube thematisieren die Wechselwirkung von Intimität und Öffentlichkeit und erzielen gleichzeitig einen dynamischen Effekt.

Doch der ebenso spektakuläre wie gewagte Aufbau aus Metall und Glas hat - typisch wienerisch - auch eine durchaus humoristische Komponente. Im Inneren der Wohnung treiben unzählige silberglänzende Knöpfe, mit denen von den Lüftungsklappen über die Jalousien und den Videoscreen bis hin zur Klimaanlage alles betätigt werden kann, das nicht immer ganz ernsthafte Spiel von Ruhe und Bewegung auf die Spitze. Diese Technologieverliebtheit erinnert wie die gewählte Formensprache an Filmszenen, in denen James Bond seine Widersacher mit raffinierten Geräten in Schach zu halten pflegt.

Das Design jedes Details dieser Architektur ordnet sich dem Gesamtkonzept unter. Veränderbarkeit und Flexibilität sind auf ein Mindestmass reduziert. Um jeden potenziellen Störfaktor auszuschliessen, sind selbst die meisten Möbel fest im Raum verankert. Die Aussenhaut fungiert also gleichsam als Rahmen der zu Immobilien gewordenen Einrichtungsgegenstände. Selbst das Bett schwebt unverrückbar im Schlafzimmer. Delugan spricht vom städtebaulich orientierten Bett, denn die Richtung des Möbelstücks folgt nicht den Wänden des Raumes, sondern den urbanen Achsen der Umgebung. Die unmittelbar an das Bett anschliessende Badewanne, die den Übergang von Schlaf- zu Waschraum manifestiert, verdeutlicht diese Entwurfsidee.

Sämtliche Elemente der Wohnung scheinen bis ins letzte Detail durchdacht und gestaltet zu sein. Kein unnötiges Dekorationsobjekt, kein Kunstwerk stört die perfekte Aufmachung dieses auf den ersten Blick unpersönlichen Refugiums. Kein Buchrücken, kein privater Gegenstand erlaubt dem Besucher schnelle Rückschlüsse auf den sozialen Status, den Beruf oder die Lebensweise der drei Bewohner. So wird der Raum an sich zum einzigen Repräsentationsobjekt, das Apartment zum scheinbar einzigen Besitztum, während die Gegenstände des täglichen Lebens hinter ungezählten Türen verschwinden. Mit seiner «idealistischen» Forderung, architektonische Konzeptionen auch im privaten Wohnalltag konsequent weiterzuleben, schuf sich das Duo eine gebaute Visitenkarte, in der die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Dennoch dient dieses aussergewöhnliche Penthouse nicht allein der Selbstdarstellung zweier Architekten, sondern auch dem Fortgang einer kulturellen Debatte. Delugan & Meissl verweisen mit ihrem Entwurf auf die Notwendigkeit, den Raum immer wieder neu zu erforschen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.05.07



verknüpfte Bauwerke
Ray 1

14. Juni 2002Sonja Stummerer
Neue Zürcher Zeitung

Architektonisch geadelte Mode

Im Tokioter Stadtviertel Omotesando siedelten sich fast über Nacht Niederlassungen der besten Modelabels der Welt an. Nach Flagship Stores von Comme des Garçons oder Issey Miyake realisiert der japanische Jungstar Jun Aoki für Louis Vuitton ein Geschäft, während Herzog & de Meuron für Prada einen spektakulären Bau errichten.

Im Tokioter Stadtviertel Omotesando siedelten sich fast über Nacht Niederlassungen der besten Modelabels der Welt an. Nach Flagship Stores von Comme des Garçons oder Issey Miyake realisiert der japanische Jungstar Jun Aoki für Louis Vuitton ein Geschäft, während Herzog & de Meuron für Prada einen spektakulären Bau errichten.

Italiens Modelabel Prada setzt auf grosse Architekten. Szenestar Rem Koolhaas konzipierte den vor kurzem eröffneten Flagship Store in New York, weitere Läden in Los Angeles und San Francisco werden demnächst folgen. Beide Parteien vermarkten sich gegenseitig hervorragend. Nun wagt sich Prada gemeinsam mit Herzog & de Meuron in jene Stadt vor, in der das Einkaufen längst zum Erlebnis stilisiert wurde. Die Selbstverständlichkeit der breiten Masse, teure Markenprodukte zu erwerben und zu tragen, bezeugt das ungezwungene Verhältnis der Japaner zum Konsum. Angesichts der Tatsache, dass eine Japanerin für einen Kimono mehr als doppelt so viel auslegen muss wie für ein Chanel-Kostüm, dürfen Marken wie Prada auf ein kauffreudigeres Publikum zählen als in Europa oder in Amerika. Auch die japanische Lust am Spiel mit dem Verkaufsambiente kommt dem italienischen Label entgegen. Die neugierigen Konsumenten wollen von kreativen Marketingideen unterhalten werden, wobei ungewöhnliche Präsentationen und atmosphärische Räume besonders geschätzt werden. Die Idee, den Kunden zusätzlich zu den Waren auch Serviceleistungen und Unterhaltung anzubieten, hat in Japan Tradition.


Prada Plaza

Auf dieses «Mehr an Service» antworten nun Prada und Herzog & de Meuron mit der Schaffung eines öffentlichen Raumes im sonst so dichten Tokio. Die sogenannte Prada Plaza vor dem im Entstehen begriffenen Gebäude soll zum Treffpunkt im belebten Omotesando-Viertel werden. In dieser teuren Stadt ist unbebautes Land ein Luxus, den Prada geschickt als Marketing- Gag einsetzt. Ein weiterer Anziehungspunkt soll die Fassade werden, denn eigens entwickelte dreidimensionale Glaswaben sorgen für Durchsichtigkeit bei doch nicht gänzlicher Transparenz. Die sanft abgerundeten Ecken der Fassade erinnern an die Ästhetik der siebziger Jahre und harmonieren perfekt mit dem gegenwärtig so beliebten Retrostil von Prada.

Mit seinem Erscheinungsbild wird sich der neue Prada Flagship Store in Omotesando in bester Gesellschaft befinden. In unmittelbarer Nähe eröffnete Comme des Garçons schon 1989 ein Geschäft mit einer Glashülle aus gebogenen, blauen Scheiben, die es bei Nacht in einen magischen Hybriden aus Licht und Raum verwandeln. Yoshi Yamamoto, Issey Miyake und dessen neues Label Apoc verkaufen ihre Kultmode ein paar Häuserblocks weiter. Die berühmten japanischen Designer wählten Omotesando als Standort, um sich von der Ginza, dem noblen Einkaufsviertel in unmittelbarer Nachbarschaft des Kaiserpalastes, abzuheben, und gaben damit das erste Signal für die weitere Entwicklung des Stadtteils. In der Ginza treffen sich Noblesse und Tradition, in Omotesando hingegen geben sich Avantgarde und junges Publikum ein Stelldichein.


Calvin Klein als Trendsetter

Die stadträumliche Entwicklung Tokios kennzeichnet sich grundsätzlich durch eine ständige Verschiebung von Hierarchie und Bedeutung der einzelnen Quartiere. Trendviertel entstehen in zuvor unbedeutenden Wohngebieten und verschwinden nach einiger Zeit wieder, um anderswo neu zu entstehen. Noch vor wenigen Jahren beherbergte die Ginza alle wichtigen Marken aus Übersee. Damals war Omotesando nicht mehr als ein Paradies für konsumwütige Teenager. Möglichst auffällige Mode war das Credo der Vergangenheit, doch nun hat sich die breite Allee, die von der Omotesando-Kreuzung zum Bahnhof Harajuku führt, zum schicksten Einkaufsviertel der Stadt entwickelt. Extravaganz wird hier mit teuren Markenprodukten verbunden. Gerade deswegen setzen internationale Designermarken in Japan auf einen Imagewechsel, der nicht mehr nur die arrivierte Mittelklasse, sondern das kaufkräftige junge Publikum ansprechen soll.

Calvin Klein war der erste ausländische Modemacher, der das Potenzial von Omotesando entdeckte und 1994 sein weltweit erstes Exklusivgeschäft hier eröffnete. Doch nicht nur die Wahl des Standorts, sondern auch die Idee, in Tokio einen Flagship Store zu errichten, machte «CK» zum Trendsetter. Kurze Zeit später folgte Gucci und löste einen wahren Boom mit Folgen für die Stadtentwicklung aus. Omotesando wurde zu einer einzigartigen Ansammlung frei stehender Flagship Stores in Dimensionen, die ihresgleichen in Europa suchen. 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche sind keine Seltenheit. Doch nicht nur die Grösse dieser Markentempel ist erstaunlich, sondern auch der Umstand, dass es sich um eine Art kleiner Kaufhäuser handelt, die ausschliesslich Produkte einer einzigen Marke anbieten. Die japanischen Kunden schätzen an Omotesando aber nicht nur die europäischen Marken, sondern auch die für Tokio ungewöhnliche Atmosphäre eines fast schon pariserisch anmutenden Boulevards. Die breite Allee erlaubt nämlich als einzige Strasse Tokios den in Europa so beliebten Schaufensterbummel. Üblicherweise wird in Japan nur im Inneren riesiger Kaufhäuser flaniert. Deren universellem Angebot setzen die exklusiven Flagship Stores eine für Japan neuartige Produktpräsentation entgegen.

Die mittlerweile so beliebte Zelkoven-Allee diente ursprünglich nicht dem Kommerz, sondern als Verbindungsstrasse zwischen dem Kaiserpalast und dem Meiji-Schrein, der wichtigsten religiösen Anlage der Stadt. An hohen Feiertagen benützt der Kaiser auch heute noch die alte Strasse, doch die gegenwärtige Religion in Omotesando heisst Mode. Selbst traditionelle Marken wie Louis Vuitton oder Chanel versuchen in Omotesando neuen Trends zu folgen. Obwohl Taschen und Accessoires von Louis Vuitton in Japan seit Jahrzehnten zu den begehrtesten Markenartikeln zählen, beauftragte das Label einen Jungstar der hiesigen Architekturszene mit dem Entwurf eines neuen Flagship Store. Jun Aoki ist bekannt für seine eigenwillig spielerische Formensprache, und so scheint es, als seien die Zeiten, in denen Designermode mit Noblesse einhergehen musste, endgültig vorüber. Bei Chanel wird man in Omotesando nicht mehr mit eleganter Zurückhaltung begrüsst. Vielmehr sieht man sich einem leinwandgrossen Bildschirm gegenüber, auf dem die jüngsten Modeschauen zu sehen sind.

Oft aber wird die Hinwendung zum jungen Publikum erst zaghaft gewagt, und noch bestechen viele Interieurs nicht durch grosse Ideen. Spürbar wird vielmehr die Auswechselbarkeit der Inneneinrichtungen. Davon hält Prada selbstverständlich nichts. Das italienische Modelabel wetteifert lieber mit seinen japanischen Nachbarn: mit dem unvergleichlichen Shop von Comme des Garçons, dem schon dreimal vollkommen neu gestalteten Geschäft von Yoshi Yamamoto und mit Issey Miyake, der stets mit lokalen Architekten zusammenarbeitet. Für diese japanischen Designer ist die Interpretation des Standorts von grosser Bedeutung, denn gerade in Tokio ist auch der urbane Raum austauschbar. Hier wird nicht nur schnell ein Interieur ausgewechselt, sondern gleich das Erscheinungsbild eines ganzen Stadtteils. Omotesando ist momentan schick, doch schon macht sich Daikanyama bereit. Junge Designer aus London und aus Tokio haben dort bereits Quartier bezogen und einige phantastische Geschäfte eröffnet. Mode- und Kunststudenten sowie andere Trendsetter versuchen dort schon heute ihre Kleidung von morgen zu finden. Sie denken nicht mehr an Omotesando, doch Herzog & de Meuron haben die Chance, einem schnelllebigen Stadtteil Architektur zu geben, die dauern wird.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.06.14

01. Februar 2002Sonja Stummerer
ORF.at

Die Stadt als Shoppingmall

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import...

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import...

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import und Tradition. Rolex, Louis Vuitton und feinstes italienisches Trüffelöl finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft von 400 Jahre alten Weihrauchgeschäften und Spezialläden für Teezeremonienzubehör. Wer nach kleinen, exquisiten Boutiquen sucht, die vielleicht noch architektonischen Wert besitzen, der wird der Ginza enttäuscht den Rücken kehren. Vielmehr ist der Besucher mit einer Fülle von Werbescreens, monumentalen Großkaufhäusern und Menschenmassen konfrontiert. Eine Unmenge aller Weltmarken trifft in der Ginza auf eine ebensolche Unmenge an potentiellen Käufern.


Homebase der (japanischen) Globalisierung

Doch nicht nur westliche Geschäftsleute ließen sich in der Ginza nieder, auch Japaner, die versuchten, mit Hilfe von westlichen Errungenschaften japanische Brands zu gründen, wählten die Ginza als Standort für ihr Vorhaben. So ist es kein Zufall, dass gerade in der Ginza das erste japanische Kaufhaus eröffnet wurde, das man betreten durfte, ohne vorher die Schuhe auszuziehen. Bis dahin waren die Geschäfte auf Tatamimatten kniend abgewickelt worden.


Panorama der Superlative

Bis heute hat sich der gute Ruf der Ginza gehalten. Noch immer lockt ihr Name als Garant für Exklusivität Käufer und Schaulustige gleichermaßen an. Große japanische Brands wie Sony oder Nissan nützen dieses Image, um ihre Produkte einer außergewöhnlich interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

In der Ginza einen Showroom zu besitzen, dessen innovative Gestaltung mit den Importbrands in Konkurrenz treten kann, ist für japanische Marken neuerdings von großer Bedeutung. Auch der Autokonzern Nissan verlässt sich nicht auf Altbewährtes im gebauten Sinne. Vielmehr versucht der von Architekt Fumita im Februar 2001 eingerichtete Showroom mit zeitgenössischen „europäischen Mitteln“ nicht nur geografisch in den Mittelpunkt der Ginza zu rücken.

Design und Marketing des neuen Nissan, die dazugehörige Werbelinie und der Showroom in der Ginza bilden eine konzeptionelle Einheit. Der Raum wirkt zeitgeistig und maßgeschneidert für die Präsentation des aktuellen Modells. Diese Zusammengehörigkeit ist so klar, dass der Showroom fast wie ein real gewordenes Bühnenset für den entsprechenden Werbespot wirkt. Die Grenzen dieses Raumes jedoch werden nicht mehr nur von Baugesetzen und Kundenwünschen definiert, sondern auch und vor allem vom Marketingkonzept.


Shiseido-Superbranding

Für den Kosmetikriesen Shiseido waren branchenübergreifende Konzepte schon seit seiner Gründung Teil des Erfolgs. Die erste westliche Apotheke der Stadt war nicht nur als japanischer Konterpart zu französischen Kosmetika bekannt, sondern auch als der erste Ort in Tokio, an dem Eiscreme verkauft wurde. Schon bald gesellten sich zu diesem durchschlagenden Erfolg die ersten Restaurants. Dass diese Restaurants keine japanischen Gerichte offerierten, sondern europäische, versteht sich von selbst.

Bereits seit 1927 betreibt Shiseido eine Kunstgalerie gleichen Namens und darf wohl nicht zuletzt deswegen als Vorläufer und Wegbereiter des sogenannten Superbranding bezeichnet werden, denn jede der oben genannten Aktivitäten präsentierte sich stets mit dem Firmenlogo und unterstand den Marketingprämissen des Konzerns. Das Konzept des von Ricardo Bofill kürzlich errichteten Repräsentationsbaus in der Ginza stellt eine Weiterentwicklung dieser Strategie dar. Es sieht keinerlei Funktionen mehr vor, die in direktem Zusammenhang mit den Produkten der Firma Shiseido stehen, vielmehr handelt es sich um einen kulturorientierten Vergnügungs- und Gourmettempel im Herzen der Ginza.


Der Architekt als Model

Auch der berühmte Name des italienischen Stars Renzo Piano bildete einen nicht unbedeutenden Teil der Werbekampagne, welche die Ankunft des französischen Modelabels Hermès in Tokio feierte. Monatelange Ankündigungen und die späteren Warteschlangen vor dem kürzlich eröffneten Flagshipstore des ehemaligen Nobelsattlers bezeugen ihren Erfolg.

Der Bauplatz für das Gebäude war denkbar klein und die Ginza mit all ihren Leuchtreklamen, akustischen Untermalungen und Menschenmassen ist gewiss keine Probebühne, um eine Marke wie Hermès optimal zur Geltung zu bringen. Piano antwortete auf die urbane Situation gerade deshalb mit einer aufsehenerregenden Fassade. Sie ist sowohl konzeptionell als auch technisch außergewöhnlich, Glasbausteine werden als Vorhangfassade benutzt und damit bewusst verfremdet. Das bekannte Material wird in neuem Kontext verwendet, während die Transluzenz das Gebäude mit einer Aura des Geheimnisvollen umhüllt. Der Lichteffekt bei Nacht verstärkt diese Wirkung und kontrastiert mit den üppigen Leuchtreklamen der Ginza.

Wenn man jedoch in das Innere vordringt, bleibt von der Faszination der Außenhaut wenig übrig. Das Gebäude vermag weder räumlich noch konzeptionell zu überzeugen, denn dem Architekten wurde nicht zugebilligt, das Interieur des Gebäudes zu entwerfen. Dies wurde von Rena Dumas, der Frau des Hermès-Chefs Jean-Louis Dumas persönlich übernommen. Gediegenes Design, beinahe antiquiertes Ambiente und konservative Noblesse waren dabei die Leitlinien. Der Architekt ist hier nur noch imageträchtiger Fassadenmacher, dazu bestimmt, eine hübsche Hülle zu entwerfen und somit auch das Gebaute seiner persönlichen Rolle zu unterwerfen, der des Imageträgers. Einem Fotomodell gleich dient der Architekt nur noch als teurer Botschafter einer Geschäftsidee.


[Den Originalbeitrag finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

ORF.at, Fr., 2002.02.01

Publikationen

Presseschau 12

02. Dezember 2005Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Schwebender Wasserkörper

Ein Strandbad am Kalterersee

Ein Strandbad am Kalterersee

Ende der sechziger Jahre interpretierten junge Wiener wie Hans Hollein, Wolf Prix oder Raimund Abraham die Architektur als Illusion, Ritual und Kunstwerk. Nun führt eine neue Generation die Visionen der einstigen Avantgardisten fort. So versuchen Marie-Therese Harnoncourt und Ernst J. Fuchs seit der Gründung ihres Ateliers «the next ENTERprise» vor fünf Jahren, neue Ideen aktionistisch, konzeptionell oder architektonisch umzusetzen. Beeinflusst von der Fernsehserie «Raumschiff Enterprise», begreifen die 1967 und 1963 geborenen Baukünstler Architektur nicht als Umsetzung baulicher Massnahmen, sondern als Illusion und Experiment.

Bekanntheit erlangte das Team mit der «Hirnsegel» genannten Installation eines temporären Kunstraums unter einer Eisenbahnbrücke, für die es 1997 mit dem Preis für experimentelle Tendenzen in der Architektur ausgezeichnet wurde. Sein bisher überzeugendster Entwurf steht nun kurz vor der Fertigstellung: Es handelt sich um eine Schwimmbadanlage am Kalterersee in Südtirol, die im Frühjahr 2006 eröffnet werden soll.

Als Entwurfsgrundlage dient den beiden Architekten eine Interpretation der pittoresken Umgebung als touristische Erlebniswelt. Deshalb konzipierten sie eine bewusst artifizielle Badewelt, für die sie gleichsam einen Teil des Sees an Land «verlegen». Zudem heben sie die Schwimmbecken so vom Boden ab, dass die Landschaft in Form einer Liegewiese unter den schwebenden Bassins durchfliessen kann. «Wir wollten den See zum Fliegen bringen», meinen Harnoncourt und Fuchs dazu. Die Wasserkörper lagern auf räumlich ausgebildeten Betonstützen, deren Inneres zu Grotten mutiert und einen Whirlpool sowie einen «Regenraum» mit Duschen beherbergt. Das Wechselspiel zwischen menschlicher Intervention und vorgefundener Natur pflegen die Baukünstler bis ins Detail. Widerstandsfähiges Moos soll die Oberflächen der Betonlandschaft überziehen und so die haptische Komponente des Entwurfs unterstreichen. Wie die Avantgardisten der sechziger Jahre versucht auch «the next ENTERprise» den Grenzbereich zwischen Experiment und Realität für sich auszuloten.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2005.12.02



verknüpfte Bauwerke
Seebad Kaltern

01. Oktober 2004Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Schwebender Kubus

Eine Villa der Wiener Gruppe Querkraft

Eine Villa der Wiener Gruppe Querkraft

Im März dieses Jahres zeichnete das britische Architekturmagazin «Building Design» die vier gut vierzigjährigen Architekten Jakob Dunkl, Gerd Erhartt, Peter Sapp und Michael Zinner von der österreichischen Architektengruppe Querkraft mit dem Young Architects of the Year Award 2004 aus. Die Jury würdigte die unkonventionelle Architekturauffassung des Teams, von der auch das kürzlich fertig gestellte Haus DRA in Wien zeugt. Die dreigeschossige Villa schwebt - für das Auge irritierend - über dem Abgrund eines steil abfallenden Grundstücks. Wie ein Würfel, der jeden Moment nach unten zu kippen droht, haftet der strenge Kubus mit minimalem Bodenkontakt an den Hängen des Wiener Waldes.

Die extreme Topographie und die gesetzlich vorgeschriebene Zentrierung des Gebäudes auf der kleinen Parzelle veranlassten die Architekten von Querkraft, das Bauvolumen vom Gelände abzuheben und über den Garten kragen zu lassen. Dadurch verhindern sie die Entstehung eines schmalen, umlaufenden Grünstreifens zugunsten einer überdachten Freifläche. Die eher konventionelle Ausformulierung der Innenräume lenkt die Aufmerksamkeit auf die eigentliche Qualität des Projektes. Diese liegt weniger in der Hinterfragung herkömmlicher Wohnkonzepte als vielmehr in der selbstbewussten und prägnanten Positionierung des Baukörpers im topographischen Umfeld. Nicht die Schaffung zusätzlicher Gartenfläche, sondern die Verweigerung, sich den landschaftlichen Gegebenheiten unterzuordnen, erzeugt die Spannung dieses Entwurfes. Das klassische Thema «Haus am Hang» erfährt dabei eine reizvolle Variation. Als konventioneller Geschossbau würde das Haus DRA in der Ebene wohl kaum Aufsehen erregen, gerade aber die Anwendung der scheinbar falschen Typologie am konkreten Ort macht das Gebäude zu einem markanten architektonischen Zeichen. Der Erfolg der vier jungen Baukünstler gibt ihrem Anspruch, durch das Zusammenspiel von herkömmlichen und unorthodoxen Entwurfselementen Ambivalenz zu erzeugen, Recht: Die aufstrebenden Querdenker vertreten noch bis zum 7. November Österreich zusammen mit anderen Baukünstlern an der Architekturbiennale in Venedig.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.10.01



verknüpfte Bauwerke
Haus DRA

07. Mai 2004Sonja Stummerer
Martin Hablesreiter
Neue Zürcher Zeitung

Urbane Wohnlandschaft

Ein Wiener Dachaufbau von Delugan & Meissl

Ein Wiener Dachaufbau von Delugan & Meissl

Der Umgang mit historischer Bausubstanz führt in Wien immer wieder zu heftigen Diskussionen. Der Um- oder Ausbau alter Fassaden und geschichtsträchtiger Gemäuer verlangt nach Meinung vieler besondere Sorgfalt. Die Stadtväter unterstützten diese Ansicht mit der Schaffung strenger Baurichtlinien. Geht es nach dem Gesetzgeber, so sollte zeitgenössische Architektur möglichst unauffällig hinter den bestehenden Gebäuden zurücktreten. Dagegen verstösst nun ein Dachausbau von Elke Delugan-Meissl und Roman Delugan. Die beiden Architekten, die seit nunmehr zehn Jahren den kommunalen Wohnbau der Donaumetropole revolutionieren, entwarfen eine Struktur aus Aluminium und Glas, welche sie als «Umsetzung der unterschiedlichen Geschwindigkeiten von Bewohnern und Umfeld» beschreiben. Die mehrschichtige Hülle, die den Aussenraum in die Wohnung zu saugen scheint, setzt auf Tiefenwirkung und Lichteinfall. Schräg verlaufende Brüstungen und eine schwebende Gaube thematisieren die Wechselwirkung von Intimität und Öffentlichkeit und erzielen gleichzeitig einen dynamischen Effekt.

Doch der ebenso spektakuläre wie gewagte Aufbau aus Metall und Glas hat - typisch wienerisch - auch eine durchaus humoristische Komponente. Im Inneren der Wohnung treiben unzählige silberglänzende Knöpfe, mit denen von den Lüftungsklappen über die Jalousien und den Videoscreen bis hin zur Klimaanlage alles betätigt werden kann, das nicht immer ganz ernsthafte Spiel von Ruhe und Bewegung auf die Spitze. Diese Technologieverliebtheit erinnert wie die gewählte Formensprache an Filmszenen, in denen James Bond seine Widersacher mit raffinierten Geräten in Schach zu halten pflegt.

Das Design jedes Details dieser Architektur ordnet sich dem Gesamtkonzept unter. Veränderbarkeit und Flexibilität sind auf ein Mindestmass reduziert. Um jeden potenziellen Störfaktor auszuschliessen, sind selbst die meisten Möbel fest im Raum verankert. Die Aussenhaut fungiert also gleichsam als Rahmen der zu Immobilien gewordenen Einrichtungsgegenstände. Selbst das Bett schwebt unverrückbar im Schlafzimmer. Delugan spricht vom städtebaulich orientierten Bett, denn die Richtung des Möbelstücks folgt nicht den Wänden des Raumes, sondern den urbanen Achsen der Umgebung. Die unmittelbar an das Bett anschliessende Badewanne, die den Übergang von Schlaf- zu Waschraum manifestiert, verdeutlicht diese Entwurfsidee.

Sämtliche Elemente der Wohnung scheinen bis ins letzte Detail durchdacht und gestaltet zu sein. Kein unnötiges Dekorationsobjekt, kein Kunstwerk stört die perfekte Aufmachung dieses auf den ersten Blick unpersönlichen Refugiums. Kein Buchrücken, kein privater Gegenstand erlaubt dem Besucher schnelle Rückschlüsse auf den sozialen Status, den Beruf oder die Lebensweise der drei Bewohner. So wird der Raum an sich zum einzigen Repräsentationsobjekt, das Apartment zum scheinbar einzigen Besitztum, während die Gegenstände des täglichen Lebens hinter ungezählten Türen verschwinden. Mit seiner «idealistischen» Forderung, architektonische Konzeptionen auch im privaten Wohnalltag konsequent weiterzuleben, schuf sich das Duo eine gebaute Visitenkarte, in der die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen. Dennoch dient dieses aussergewöhnliche Penthouse nicht allein der Selbstdarstellung zweier Architekten, sondern auch dem Fortgang einer kulturellen Debatte. Delugan & Meissl verweisen mit ihrem Entwurf auf die Notwendigkeit, den Raum immer wieder neu zu erforschen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2004.05.07



verknüpfte Bauwerke
Ray 1

14. Juni 2002Sonja Stummerer
Neue Zürcher Zeitung

Architektonisch geadelte Mode

Im Tokioter Stadtviertel Omotesando siedelten sich fast über Nacht Niederlassungen der besten Modelabels der Welt an. Nach Flagship Stores von Comme des Garçons oder Issey Miyake realisiert der japanische Jungstar Jun Aoki für Louis Vuitton ein Geschäft, während Herzog & de Meuron für Prada einen spektakulären Bau errichten.

Im Tokioter Stadtviertel Omotesando siedelten sich fast über Nacht Niederlassungen der besten Modelabels der Welt an. Nach Flagship Stores von Comme des Garçons oder Issey Miyake realisiert der japanische Jungstar Jun Aoki für Louis Vuitton ein Geschäft, während Herzog & de Meuron für Prada einen spektakulären Bau errichten.

Italiens Modelabel Prada setzt auf grosse Architekten. Szenestar Rem Koolhaas konzipierte den vor kurzem eröffneten Flagship Store in New York, weitere Läden in Los Angeles und San Francisco werden demnächst folgen. Beide Parteien vermarkten sich gegenseitig hervorragend. Nun wagt sich Prada gemeinsam mit Herzog & de Meuron in jene Stadt vor, in der das Einkaufen längst zum Erlebnis stilisiert wurde. Die Selbstverständlichkeit der breiten Masse, teure Markenprodukte zu erwerben und zu tragen, bezeugt das ungezwungene Verhältnis der Japaner zum Konsum. Angesichts der Tatsache, dass eine Japanerin für einen Kimono mehr als doppelt so viel auslegen muss wie für ein Chanel-Kostüm, dürfen Marken wie Prada auf ein kauffreudigeres Publikum zählen als in Europa oder in Amerika. Auch die japanische Lust am Spiel mit dem Verkaufsambiente kommt dem italienischen Label entgegen. Die neugierigen Konsumenten wollen von kreativen Marketingideen unterhalten werden, wobei ungewöhnliche Präsentationen und atmosphärische Räume besonders geschätzt werden. Die Idee, den Kunden zusätzlich zu den Waren auch Serviceleistungen und Unterhaltung anzubieten, hat in Japan Tradition.


Prada Plaza

Auf dieses «Mehr an Service» antworten nun Prada und Herzog & de Meuron mit der Schaffung eines öffentlichen Raumes im sonst so dichten Tokio. Die sogenannte Prada Plaza vor dem im Entstehen begriffenen Gebäude soll zum Treffpunkt im belebten Omotesando-Viertel werden. In dieser teuren Stadt ist unbebautes Land ein Luxus, den Prada geschickt als Marketing- Gag einsetzt. Ein weiterer Anziehungspunkt soll die Fassade werden, denn eigens entwickelte dreidimensionale Glaswaben sorgen für Durchsichtigkeit bei doch nicht gänzlicher Transparenz. Die sanft abgerundeten Ecken der Fassade erinnern an die Ästhetik der siebziger Jahre und harmonieren perfekt mit dem gegenwärtig so beliebten Retrostil von Prada.

Mit seinem Erscheinungsbild wird sich der neue Prada Flagship Store in Omotesando in bester Gesellschaft befinden. In unmittelbarer Nähe eröffnete Comme des Garçons schon 1989 ein Geschäft mit einer Glashülle aus gebogenen, blauen Scheiben, die es bei Nacht in einen magischen Hybriden aus Licht und Raum verwandeln. Yoshi Yamamoto, Issey Miyake und dessen neues Label Apoc verkaufen ihre Kultmode ein paar Häuserblocks weiter. Die berühmten japanischen Designer wählten Omotesando als Standort, um sich von der Ginza, dem noblen Einkaufsviertel in unmittelbarer Nachbarschaft des Kaiserpalastes, abzuheben, und gaben damit das erste Signal für die weitere Entwicklung des Stadtteils. In der Ginza treffen sich Noblesse und Tradition, in Omotesando hingegen geben sich Avantgarde und junges Publikum ein Stelldichein.


Calvin Klein als Trendsetter

Die stadträumliche Entwicklung Tokios kennzeichnet sich grundsätzlich durch eine ständige Verschiebung von Hierarchie und Bedeutung der einzelnen Quartiere. Trendviertel entstehen in zuvor unbedeutenden Wohngebieten und verschwinden nach einiger Zeit wieder, um anderswo neu zu entstehen. Noch vor wenigen Jahren beherbergte die Ginza alle wichtigen Marken aus Übersee. Damals war Omotesando nicht mehr als ein Paradies für konsumwütige Teenager. Möglichst auffällige Mode war das Credo der Vergangenheit, doch nun hat sich die breite Allee, die von der Omotesando-Kreuzung zum Bahnhof Harajuku führt, zum schicksten Einkaufsviertel der Stadt entwickelt. Extravaganz wird hier mit teuren Markenprodukten verbunden. Gerade deswegen setzen internationale Designermarken in Japan auf einen Imagewechsel, der nicht mehr nur die arrivierte Mittelklasse, sondern das kaufkräftige junge Publikum ansprechen soll.

Calvin Klein war der erste ausländische Modemacher, der das Potenzial von Omotesando entdeckte und 1994 sein weltweit erstes Exklusivgeschäft hier eröffnete. Doch nicht nur die Wahl des Standorts, sondern auch die Idee, in Tokio einen Flagship Store zu errichten, machte «CK» zum Trendsetter. Kurze Zeit später folgte Gucci und löste einen wahren Boom mit Folgen für die Stadtentwicklung aus. Omotesando wurde zu einer einzigartigen Ansammlung frei stehender Flagship Stores in Dimensionen, die ihresgleichen in Europa suchen. 2000 Quadratmeter Verkaufsfläche sind keine Seltenheit. Doch nicht nur die Grösse dieser Markentempel ist erstaunlich, sondern auch der Umstand, dass es sich um eine Art kleiner Kaufhäuser handelt, die ausschliesslich Produkte einer einzigen Marke anbieten. Die japanischen Kunden schätzen an Omotesando aber nicht nur die europäischen Marken, sondern auch die für Tokio ungewöhnliche Atmosphäre eines fast schon pariserisch anmutenden Boulevards. Die breite Allee erlaubt nämlich als einzige Strasse Tokios den in Europa so beliebten Schaufensterbummel. Üblicherweise wird in Japan nur im Inneren riesiger Kaufhäuser flaniert. Deren universellem Angebot setzen die exklusiven Flagship Stores eine für Japan neuartige Produktpräsentation entgegen.

Die mittlerweile so beliebte Zelkoven-Allee diente ursprünglich nicht dem Kommerz, sondern als Verbindungsstrasse zwischen dem Kaiserpalast und dem Meiji-Schrein, der wichtigsten religiösen Anlage der Stadt. An hohen Feiertagen benützt der Kaiser auch heute noch die alte Strasse, doch die gegenwärtige Religion in Omotesando heisst Mode. Selbst traditionelle Marken wie Louis Vuitton oder Chanel versuchen in Omotesando neuen Trends zu folgen. Obwohl Taschen und Accessoires von Louis Vuitton in Japan seit Jahrzehnten zu den begehrtesten Markenartikeln zählen, beauftragte das Label einen Jungstar der hiesigen Architekturszene mit dem Entwurf eines neuen Flagship Store. Jun Aoki ist bekannt für seine eigenwillig spielerische Formensprache, und so scheint es, als seien die Zeiten, in denen Designermode mit Noblesse einhergehen musste, endgültig vorüber. Bei Chanel wird man in Omotesando nicht mehr mit eleganter Zurückhaltung begrüsst. Vielmehr sieht man sich einem leinwandgrossen Bildschirm gegenüber, auf dem die jüngsten Modeschauen zu sehen sind.

Oft aber wird die Hinwendung zum jungen Publikum erst zaghaft gewagt, und noch bestechen viele Interieurs nicht durch grosse Ideen. Spürbar wird vielmehr die Auswechselbarkeit der Inneneinrichtungen. Davon hält Prada selbstverständlich nichts. Das italienische Modelabel wetteifert lieber mit seinen japanischen Nachbarn: mit dem unvergleichlichen Shop von Comme des Garçons, dem schon dreimal vollkommen neu gestalteten Geschäft von Yoshi Yamamoto und mit Issey Miyake, der stets mit lokalen Architekten zusammenarbeitet. Für diese japanischen Designer ist die Interpretation des Standorts von grosser Bedeutung, denn gerade in Tokio ist auch der urbane Raum austauschbar. Hier wird nicht nur schnell ein Interieur ausgewechselt, sondern gleich das Erscheinungsbild eines ganzen Stadtteils. Omotesando ist momentan schick, doch schon macht sich Daikanyama bereit. Junge Designer aus London und aus Tokio haben dort bereits Quartier bezogen und einige phantastische Geschäfte eröffnet. Mode- und Kunststudenten sowie andere Trendsetter versuchen dort schon heute ihre Kleidung von morgen zu finden. Sie denken nicht mehr an Omotesando, doch Herzog & de Meuron haben die Chance, einem schnelllebigen Stadtteil Architektur zu geben, die dauern wird.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.06.14

01. Februar 2002Sonja Stummerer
ORF.at

Die Stadt als Shoppingmall

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import...

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import...

Die Ginza in Tokio, ist eine der berühmtesten und teuersten Einkaufsregionen der Welt. Das Viertel besticht durch einen Mix aus Ost und West, aus Import und Tradition. Rolex, Louis Vuitton und feinstes italienisches Trüffelöl finden sich in unmittelbarer Nachbarschaft von 400 Jahre alten Weihrauchgeschäften und Spezialläden für Teezeremonienzubehör. Wer nach kleinen, exquisiten Boutiquen sucht, die vielleicht noch architektonischen Wert besitzen, der wird der Ginza enttäuscht den Rücken kehren. Vielmehr ist der Besucher mit einer Fülle von Werbescreens, monumentalen Großkaufhäusern und Menschenmassen konfrontiert. Eine Unmenge aller Weltmarken trifft in der Ginza auf eine ebensolche Unmenge an potentiellen Käufern.


Homebase der (japanischen) Globalisierung

Doch nicht nur westliche Geschäftsleute ließen sich in der Ginza nieder, auch Japaner, die versuchten, mit Hilfe von westlichen Errungenschaften japanische Brands zu gründen, wählten die Ginza als Standort für ihr Vorhaben. So ist es kein Zufall, dass gerade in der Ginza das erste japanische Kaufhaus eröffnet wurde, das man betreten durfte, ohne vorher die Schuhe auszuziehen. Bis dahin waren die Geschäfte auf Tatamimatten kniend abgewickelt worden.


Panorama der Superlative

Bis heute hat sich der gute Ruf der Ginza gehalten. Noch immer lockt ihr Name als Garant für Exklusivität Käufer und Schaulustige gleichermaßen an. Große japanische Brands wie Sony oder Nissan nützen dieses Image, um ihre Produkte einer außergewöhnlich interessierten Öffentlichkeit zu präsentieren.

In der Ginza einen Showroom zu besitzen, dessen innovative Gestaltung mit den Importbrands in Konkurrenz treten kann, ist für japanische Marken neuerdings von großer Bedeutung. Auch der Autokonzern Nissan verlässt sich nicht auf Altbewährtes im gebauten Sinne. Vielmehr versucht der von Architekt Fumita im Februar 2001 eingerichtete Showroom mit zeitgenössischen „europäischen Mitteln“ nicht nur geografisch in den Mittelpunkt der Ginza zu rücken.

Design und Marketing des neuen Nissan, die dazugehörige Werbelinie und der Showroom in der Ginza bilden eine konzeptionelle Einheit. Der Raum wirkt zeitgeistig und maßgeschneidert für die Präsentation des aktuellen Modells. Diese Zusammengehörigkeit ist so klar, dass der Showroom fast wie ein real gewordenes Bühnenset für den entsprechenden Werbespot wirkt. Die Grenzen dieses Raumes jedoch werden nicht mehr nur von Baugesetzen und Kundenwünschen definiert, sondern auch und vor allem vom Marketingkonzept.


Shiseido-Superbranding

Für den Kosmetikriesen Shiseido waren branchenübergreifende Konzepte schon seit seiner Gründung Teil des Erfolgs. Die erste westliche Apotheke der Stadt war nicht nur als japanischer Konterpart zu französischen Kosmetika bekannt, sondern auch als der erste Ort in Tokio, an dem Eiscreme verkauft wurde. Schon bald gesellten sich zu diesem durchschlagenden Erfolg die ersten Restaurants. Dass diese Restaurants keine japanischen Gerichte offerierten, sondern europäische, versteht sich von selbst.

Bereits seit 1927 betreibt Shiseido eine Kunstgalerie gleichen Namens und darf wohl nicht zuletzt deswegen als Vorläufer und Wegbereiter des sogenannten Superbranding bezeichnet werden, denn jede der oben genannten Aktivitäten präsentierte sich stets mit dem Firmenlogo und unterstand den Marketingprämissen des Konzerns. Das Konzept des von Ricardo Bofill kürzlich errichteten Repräsentationsbaus in der Ginza stellt eine Weiterentwicklung dieser Strategie dar. Es sieht keinerlei Funktionen mehr vor, die in direktem Zusammenhang mit den Produkten der Firma Shiseido stehen, vielmehr handelt es sich um einen kulturorientierten Vergnügungs- und Gourmettempel im Herzen der Ginza.


Der Architekt als Model

Auch der berühmte Name des italienischen Stars Renzo Piano bildete einen nicht unbedeutenden Teil der Werbekampagne, welche die Ankunft des französischen Modelabels Hermès in Tokio feierte. Monatelange Ankündigungen und die späteren Warteschlangen vor dem kürzlich eröffneten Flagshipstore des ehemaligen Nobelsattlers bezeugen ihren Erfolg.

Der Bauplatz für das Gebäude war denkbar klein und die Ginza mit all ihren Leuchtreklamen, akustischen Untermalungen und Menschenmassen ist gewiss keine Probebühne, um eine Marke wie Hermès optimal zur Geltung zu bringen. Piano antwortete auf die urbane Situation gerade deshalb mit einer aufsehenerregenden Fassade. Sie ist sowohl konzeptionell als auch technisch außergewöhnlich, Glasbausteine werden als Vorhangfassade benutzt und damit bewusst verfremdet. Das bekannte Material wird in neuem Kontext verwendet, während die Transluzenz das Gebäude mit einer Aura des Geheimnisvollen umhüllt. Der Lichteffekt bei Nacht verstärkt diese Wirkung und kontrastiert mit den üppigen Leuchtreklamen der Ginza.

Wenn man jedoch in das Innere vordringt, bleibt von der Faszination der Außenhaut wenig übrig. Das Gebäude vermag weder räumlich noch konzeptionell zu überzeugen, denn dem Architekten wurde nicht zugebilligt, das Interieur des Gebäudes zu entwerfen. Dies wurde von Rena Dumas, der Frau des Hermès-Chefs Jean-Louis Dumas persönlich übernommen. Gediegenes Design, beinahe antiquiertes Ambiente und konservative Noblesse waren dabei die Leitlinien. Der Architekt ist hier nur noch imageträchtiger Fassadenmacher, dazu bestimmt, eine hübsche Hülle zu entwerfen und somit auch das Gebaute seiner persönlichen Rolle zu unterwerfen, der des Imageträgers. Einem Fotomodell gleich dient der Architekt nur noch als teurer Botschafter einer Geschäftsidee.


[Den Originalbeitrag finden Sie in architektur aktuell, Österreichs größter Architekturzeitschrift.]

ORF.at, Fr., 2002.02.01

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