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31. August 2011Gretl Köfler
db

Luxus auf dem Land

Das alteingesessene Modehaus »Föger Woman Pure« erhielt auf einem schmalen Nachbargrundstück einen expressiven Anbau, der Schaufenster, Präsentationsraum und Laufsteg zugleich ist. Die kleinräumliche Gliederung des Altbaus wird dort in räumliche Opulenz überführt. Trotz fein ausgearbeiteter Details bedürfen der ruppige Charme der Oberflächen und die ungekannte Großzügigkeit des Anbaus seitens der Kundschaft noch einiger Gewöhnung.

Das alteingesessene Modehaus »Föger Woman Pure« erhielt auf einem schmalen Nachbargrundstück einen expressiven Anbau, der Schaufenster, Präsentationsraum und Laufsteg zugleich ist. Die kleinräumliche Gliederung des Altbaus wird dort in räumliche Opulenz überführt. Trotz fein ausgearbeiteter Details bedürfen der ruppige Charme der Oberflächen und die ungekannte Großzügigkeit des Anbaus seitens der Kundschaft noch einiger Gewöhnung.

Der alte Industrieort Telfs, eine 15 000-Einwohner-Gemeinde im Tiroler Oberland, hat keine kunsthistorischen Baudenkmäler aufzuweisen und nur wenige Zeugnisse beachtenswerter zeitgenössischer Architektur. Giebelhäuser mit Satteldach säumen die Hauptstraße. Und so wirkt das Schaufenster des Luxusmodengeschäfts wie ein Bote von einem fremden Stern.

Seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts beherbergt das unscheinbare dreigeschossige Haus an der Telfer Hauptstraße ein Textilgeschäft. Eine Vorfahrin hatte hier die von der längst verblichenen Textilindustrie erzeugten Stoffe in ihrem Resteladen auf 20 m² unter die Leute gebracht. Das Geschäft blieb in der Familie, die inzwischen an mehreren Fronten erfolgreich unternehmerisch tätig ist. Midi Moser-Föger erbte es vor über 20 Jahren, hat es nach und nach erweitert und dem Sortiment ein »Upgrade« verpasst. Vor einigen Jahren kaufte sie das angrenzende Wohnhäuschen, ließ es abreißen und an seiner Stelle im Vorjahr von Reto Pedrocchi ein spektakuläres Schaufenster errichten.

Das Medieninteresse war groß – und beabsichtigt. Wenn eine mutige Unternehmerin fernab der mondänen Nobelorte mit den exquisitesten Labels Geschäfte machen will, braucht sie Aufmerksamkeit.

Den Architekten hatte sie über ihre Verbindungen zu großen Pariser Modehäusern kennengelernt; als Projektleiter hatte er schon für Herzog & de Meuron den Prada-Flagshipstore in Tokio umgesetzt und für Comme des Garçons zwei »Guerillastores« in Basel. Pedrocchi war verblüfft, wie viel Entgegenkommen er vonseiten der lokalen Baubehörde erfuhr, nur Straßenflucht, Bauhöhe und v. a. der Rhythmus der Satteldachsilhouette waren einzuhalten.

Der im alpinen Raum eigentlich überall präsente und gefürchtete Ortsbildschutz ist in Telfs kein Thema – im Ort ist man bemüht, Leerstände im Zentrum zu vermeiden, ohne sich dabei auf Kebab, Pizza, Banken und Telefonshops zu beschränken.

Schaufenster im XXL-Format

Das Gesamtkonzept war einfach, es bestand lediglich darin, eine adäquate Hülle für anspruchsvolle Mode zu schaffen. Eigentlich ist es ein kleines Projekt mit nur 140 m² Nutzfläche, doch ein Entwurf von hoher Komplexität, wobei Struktur, Raum und Nutzung zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen. Das aus Dreiecksflächen zusammengefügte Betondach ist außen mit schwarzem Lochblech überzogen und hat die Form einer verschobenen Pyramide. Es schwebt bis 7,3 m hoch über einer lichten, stützenfreien Halle, die aufsteigend ihre räumliche Wirkung entfaltet. Der zur Straße hin leicht abfallende Raum wird an zwei Seiten von tragenden Wänden begrenzt, die Fassade besteht aus nach außen gekippten, in verschiedene geometrische Formen gebrochenen Glasflächen, Hocker aus Gummigranulat verhindern, dass sich die Fußgänger versehentlich am Glas stoßen. Der Zugang erfolgt über einen breiten Gang vom Altbau her, die frühere Eingangssituation wurde nicht verändert. Nichts stört die Offenheit des Raums, der sich von innen heraus entwickelt und letztlich so etwas wie ein begehbares Schaufenster bildet. Den Blickfang bilden zwei, auf halber Höhe den Raum querende Stahlbetonträger, die sich im spitzen Winkel kreuzen. Das Betonkreuz ist nicht nur statische Notwendigkeit, sondern auch Grundlage des flexiblen Raumkonzepts, die Hülle bleibt gleich, die Inhalte können sich ohne Verlust der architektonischen Qualität ändern. An langen Edelstahlhaken schwingen die Gewänder frei im Raum, begleitet von an der Wand entlangziehenden Ablagen für exquisite Accessoires. Die kargen, nüchternen Materialien Rohbeton, Glas und Edelstahl kontrastieren mit der warmen Farbe des Natursteinbodens. Das große Raumvolumen und die harten Oberflächen erzeugen einen starken Nachhall und damit die Wirkung eines hohen großen Raums. Kein aufdringlicher Raumduft und kein nervtötender Klangteppich stören. Für Kühlung und Belüftung sorgen Schlitze entlang der Fassade und eine Bodenheizung. Durch die hohen Scheiben fällt natürliches Licht und betont die Farbechtheit, Fluoreszenz-Leuchten führen über und unter dem Betonkreuz entlang und verborgene LED-Lichtstreifen beleuchten die Regale. Dank der Lichtführung verwandelt sich der Raum nachts in ein leuchtendes Prisma.

Die Umkleidekabinen, bei denen auch die Sanitäranlage angesiedelt ist, liegen hinter der Kuppel. Mit Oberlichtern versehen, weichem Teppichboden und grüngolden schimmernden Mosaiken formen sie eine intimere Atmosphäre.

Kunstwerke

Die museale Anmutung zeigt mit der Art der Hängung kreative Wege in der Warenpräsentation und verleiht den Schaustücken die Aura eines Kunstwerks, was auch ihrem Wert entspricht. Die rohen Oberflächen ohne »Innenarchitektur« bieten wenig Möglichkeiten für Veränderungen und sind per se ein Beispiel für Zeitlosigkeit, falls das Material in Würde altert.

Der Neubau als großes Schaufenster bereitet eine Bühne für die Kundinnen, die diese neugierig begutachten, aber noch kaum nutzen. Ebenso wenig wie die großzügigen Umkleidekabinen, zu deren Nutzung sie von den Verkäuferinnen auch nicht ermuntert werden. Das Neue ist Kontrast und Ergänzung zum eleganten, »wohnlichen« Altbau mit seinen Nischen und Ecken, der innen unverändert blieb, nur die Oberflächen wurden aufpoliert und die Böden geschliffen, denn die Kundinnen sind eher konservativ. Der äußere Zusammenhang zwischen Alt und Neu ist subtil inszeniert. Die Glasfront zieht sich über beide Teile und das Giebelhaus aus den 50er Jahren bekam statt des weißen einen dunkelgrauen Anstrich.

Was im Entwurf eine einfache, klare Lösung schien, war bei der Umsetzung mit viel Energie und Kraftaufwand verbunden. Das, so weiß Reto Pedrocchi, passiert ihm öfter, denn unkonventionelle Lösungen gehen an die Grenzen des Könnens und der Motivation. Die Probleme begannen beim Rechnen; zu viel Armierungseisen sei verbaut worden, glaubt er. Erwiesen ist, dass sich mehrere Firmen eine Umsetzung nicht zutrauten und dass die Innsbrucker Technische Fakultät mit der Kontrolle der statischen Berechnungen betraut wurde. Zum Glück hat sich das ortsansässige Architekturbüro Walch bei der Bauleitung sehr engagiert. Über die Kosten breitet sich ein Mantel des Schweigens, aber für ein solides Einfamilienhaus hätte es wohl gereicht.

db, Mi., 2011.08.31



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db 2011|09 Erlebnis Kaufraum

06. Juli 2006Gretl Köfler
db

Vielfalt als Corporate Design

Mit ihren jeweils individuell und dabei stets mit hohem architektonischen Anspruch gestalteten Filialen erzielt die Tiroler Supermarktkette MPreis einen hohen Wiedererkennungswert ohne dabei in Gleichförmigkeit zu verfallen. Ihr Anliegen ist es, dem Kunden nicht nur eine attraktive Produktauswahl, sondern ein räumliches Kauferlebnis zu bieten.

Mit ihren jeweils individuell und dabei stets mit hohem architektonischen Anspruch gestalteten Filialen erzielt die Tiroler Supermarktkette MPreis einen hohen Wiedererkennungswert ohne dabei in Gleichförmigkeit zu verfallen. Ihr Anliegen ist es, dem Kunden nicht nur eine attraktive Produktauswahl, sondern ein räumliches Kauferlebnis zu bieten.

Italienische Antipasti und Serranoschinken, Couscous, Kokosmilch und Trüffelleberwurst - solche kulinarischen Köstlichkeiten gibt es in Tirol nicht nur in den städtischen Zentren, sondern auch in vielen Dörfern, von Elbigenalp bis Ebbs, von Nauders bis Sillian. Selbst die Urlauber halten inzwischen Ausschau nach dem oft spielerisch verformten roten Würfellogo mit dem silbernen „M“. Statt auf öde Einkaufskisten treffen sie auf Orte, wo mit modernen Materialien, mit Licht und Weite der alltägliche Einkauf zum Erlebnis wird. An die 140 „MPreis-Filialen“ gibt es inzwischen und fast jeden Monat eröffnet irgendwo ein neuer, wobei die Landesgrenzen nur selten überschritten werden.

MPreis sieht sich selbst als Lebensmittelnahversorger, nicht als Architekturprojekt. Gründerin ist die legendäre Stammmutter Therese Mölk. Sie legte in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einer Gemischtwarenhandlung, einer Bäckerei und einer Molkerei in Innsbruck den Grundstein für den Erfolg des Familienunternehmens. Zusammen mit ihrem Ehemann und acht Kindern betrieb sie bereits 1929 elf Verkaufsläden in Innsbruck und Hall. Seit den siebziger Jahren ist die dritte Generation am Ruder. Die Cousins Hansjörg und Anton Mölk formten aus etwa 30 stagnierenden Tante-Emma-Läden eine äußerst erfolgreiche Lebensmittelkette, die ihren Marktanteil von 2,5 Prozent auf derzeit 35 steigern konnte. Sie ist mit 3800 Mitarbeitern und einem Umsatz von 430 Millionen Euro (Zahlen von Juni 2006) der zweitgrößte Nahversorger des Landes. Die Strategie ist ebenso einfach wie wirkungsvoll. Ein zeitgemäßes, vollständiges Angebot - derzeit fast 11000 Waren - wird möglichst nahe an den Kunden herangebracht und die Preise sind überall gleich. Die starke Vernetzung mit der regionalen Wirtschaft in Nord- und Südtirol ermöglicht neben internationalen Marken auch regionalen Klein- und Mittelbetrieben ihre Produkte landesweit anzubieten, Bio vom Berg und Fair Trade haben ihren fixen Platz. Die Kunden außerhalb der zentralen Orte fühlen sich ernst genommen und werden nicht mit einem lückenhaften Angebot zweiter Wahl zu überhöhten Preisen abgefertigt. Teil der Erfolgsstory sind die integrierten „Baguettes“, sonnendurchflutete Cafés mit Ausblick und hauseigenem Gebäck, die sich zu kommunikativen Zentren entwickelten. Wo der Dorfladen und das Wirtshaus den Betrieb eingestellt haben, trifft man sich zum Plausch bei MPreis und in den gesichtslosen Gewerbegebieten können die Hausfrauen auf Einkaufstour und die Angestellten in der Mittagspause einen erholsamen Stopp einlegen.

MPreis füllt die Lücke zwischen Greißlerei (Ausschank mit Verkauf, Anmerkung der Redaktion) und Einkaufszentrum, Architektur dient dabei als wichtiges, aber nicht einziges Mittel zum Zweck. „Gerade in einem Land, in dem eine solche Vielfalt an landschaftlichen Besonderheiten, kulturellen Traditionen und Dialekten herrscht, ist die Verantwortung diesem Umstand gegenüber groß“ meint Hansjörg Mölk. Das Ergebnis ist das Produkt eines über Jahrzehnte fortlaufenden Diskussionsprozesses zwischen Bauherren und Architekten mit viel Lust am Experiment. Am Anfang, als Corporate Identity (CI) im deutschsprachigen Raum zum flächendeckenden Siegeszug ansetzte, traf Anton Mölk auf den Innsbrucker Architekten Heinz Planatscher. Er entwickelte Mitte der achtziger Jahre ein dezidiert architektonisches Gestaltungskonzept und das Logo für die bis dahin farblosen Märkte; die horizontalen Putzfaschen und die blauen Fenster sind noch heute kennzeichnendes Merkmal mehrerer Innsbrucker Filialen. Der Erfolg gab ihm Recht und die Sensibilität der beiden Unternehmer für Architektur war geweckt, sie entsprang nicht vordergründig marktstrategischen Überlegungen, sondern echtem Interesse und Leidenschaft.

Den nächsten Entwicklungsschritt setzte mit dem Architekten Wolfgang Pöschl wiederum eine Zufallsbekanntschaft. Der damals 40-jährige, wie viele seiner Generation in partnerschaftlicher Beziehungsarbeit trainiert, wusste aus eigener Erfahrung einiges über den Frust des täglichen Lebensmitteleinkaufs, über dunkle Räume, schwere Taschen, lange Wege. Folgerichtig empfiehlt er in seiner Anleitung für Kopisten „Gehen Sie selbst regelmäßig einkaufen, erledigen Sie den Wocheneinkauf für Ihre Familie.“ Nach längeren Diskussionen mit den Bauherren und deren Aufforderung: „Machen Sie aus dem Lebensmittelmarkt ein positives Umfeld, Einkaufen gehen muss nicht wehtun“ entwarf Pöschl das Konzept eines „fiktiven MPreises“, wobei er primär Überlegungen über die Funktion anstellte. Es galt keinen „schönen Raum“ zu schaffen, in dem „leider“ Regale stehen, sondern sich mit den Funktionen und Bedürfnissen eines Lebensmittelmarktes so auseinanderzusetzen, dass sie ein logischer, wenn auch austauschbarer Bestandteil des Ganzen werden. Das Konzept gilt heute noch. Materialien, Regalstellungen, Konstruktion, Lichtlösungen und Raumkonzepte werden immer wieder hinterfragt und neue, ungewöhnliche Lösungen sind inzwischen Teil der CI. Das einzige Argument, das einen Architekten in den Augen der Bauherren disqualifiziert, ist, wenn er sich nur über die Hülle und nicht über den Inhalt den Kopf zerbricht. Sogar Dominique Perrault - als einziger auswärtiger Architekt mit drei MPreis-Filialen in Wattens und Zirl vertreten - zerbrach sich den Kopf über das richtige Licht am Wurststand.

Anfangs stießen die neuen Konzepte auf Widerstand. Bürgermeistern gefiel die Form nicht, Kammervertreter mäkelten und die anderen Lebensmittelketten sahen ihre Positionen bedroht. Pöschls erster Entwurf für Hall wurde unter fadenscheinigen Vorwänden abgewürgt. Bereits sein zweites Projekt am nördlichen Ortsrand von Lienz erhielt 1993 als erster Supermarkt die „Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen“. Die Kunden fragten sich anfangs zwar, wann die fragile Konstruktion aus Wellblech und Spanplatten zusammenbräche, doch die wechselnden Tageslichtstimmung und die Aussicht auf einen alten Nussbaum überzeugten. Die Widerborstigkeit und Fetzigkeit war nicht zufällig, sondern genau kalkuliert und Heterogenität gehörte zum Programm. Alles was „Bedeutung“ suggerierte, war dem Architekten suspekt, denn „die starrsten Firmen haben am besten das CI beherrscht“. Inzwischen haben über 30 Tiroler Architekten aus drei Generationen - viele von ihnen über die Landesgrenzen bekannt - ihre architektonische Handschrift hinterlassen und MPreis hat dafür internationale Aufmerksamkeit und viele Baupreise eingeheimst. Für jeden Ort werden die Räume im Dialog mit den Bauherren maßgeschneidert. Zwar ist der Kostenrahmen vorgegeben - er liegt angeblich um 30 Prozent niedriger als bei der Konkurrenz, doch innerhalb dieses Rahmens genießt der Architekt größtmögliche Freiheit, trifft auf wenige bürokratische Hindernisse und jeder erhält dasselbe Honorar. Kein Supermarkt gleicht dem anderen, jeder ist sorgfältig in die Landschaft komponiert, mit seiner Umgebung vernetzt und achtet die Bedürfnisse der Anrainer.

In den neunziger Jahren waren die Supermärkte vornehmlich an den Ortsrändern angesiedelt, wobei für MPreis die ideale Größe bei ca. 1300 m² lag. Die novellierte Tiroler Raumordnung hat das Wachstum außerhalb der Kernzonen gebremst und auf dem derzeitigen Stand eingefroren. Die uferlose Größe ist passé. MPreis setzt deshalb zunehmend auf Intensivierung und Verdichtung in den Zentren und an ungewöhnlichen Punkten. Bedingt durch die ständig steigenden Treibstoffpreise wird „Fußläufigkeit“ wieder zum Thema. Da in den Ortskernen die Baugründe rar sind, wird eine langfristig Planung in Kombination mit anderen Bauvorhaben sinnvoll, mit dem Gemeindezentrum oder der Arztpraxis, mit dem Kindergarten oder dem Seniorenheim. Es ist jedenfalls absehbar, dass MPreis auch weiterhin wirtschaftlichen Erfolg und baukulturellen Anspruch unter einen Hut bringen wird.

db, Do., 2006.07.06



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db 2006|07 Branding

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Presseschau 12

31. August 2011Gretl Köfler
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Luxus auf dem Land

Das alteingesessene Modehaus »Föger Woman Pure« erhielt auf einem schmalen Nachbargrundstück einen expressiven Anbau, der Schaufenster, Präsentationsraum und Laufsteg zugleich ist. Die kleinräumliche Gliederung des Altbaus wird dort in räumliche Opulenz überführt. Trotz fein ausgearbeiteter Details bedürfen der ruppige Charme der Oberflächen und die ungekannte Großzügigkeit des Anbaus seitens der Kundschaft noch einiger Gewöhnung.

Das alteingesessene Modehaus »Föger Woman Pure« erhielt auf einem schmalen Nachbargrundstück einen expressiven Anbau, der Schaufenster, Präsentationsraum und Laufsteg zugleich ist. Die kleinräumliche Gliederung des Altbaus wird dort in räumliche Opulenz überführt. Trotz fein ausgearbeiteter Details bedürfen der ruppige Charme der Oberflächen und die ungekannte Großzügigkeit des Anbaus seitens der Kundschaft noch einiger Gewöhnung.

Der alte Industrieort Telfs, eine 15 000-Einwohner-Gemeinde im Tiroler Oberland, hat keine kunsthistorischen Baudenkmäler aufzuweisen und nur wenige Zeugnisse beachtenswerter zeitgenössischer Architektur. Giebelhäuser mit Satteldach säumen die Hauptstraße. Und so wirkt das Schaufenster des Luxusmodengeschäfts wie ein Bote von einem fremden Stern.

Seit den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts beherbergt das unscheinbare dreigeschossige Haus an der Telfer Hauptstraße ein Textilgeschäft. Eine Vorfahrin hatte hier die von der längst verblichenen Textilindustrie erzeugten Stoffe in ihrem Resteladen auf 20 m² unter die Leute gebracht. Das Geschäft blieb in der Familie, die inzwischen an mehreren Fronten erfolgreich unternehmerisch tätig ist. Midi Moser-Föger erbte es vor über 20 Jahren, hat es nach und nach erweitert und dem Sortiment ein »Upgrade« verpasst. Vor einigen Jahren kaufte sie das angrenzende Wohnhäuschen, ließ es abreißen und an seiner Stelle im Vorjahr von Reto Pedrocchi ein spektakuläres Schaufenster errichten.

Das Medieninteresse war groß – und beabsichtigt. Wenn eine mutige Unternehmerin fernab der mondänen Nobelorte mit den exquisitesten Labels Geschäfte machen will, braucht sie Aufmerksamkeit.

Den Architekten hatte sie über ihre Verbindungen zu großen Pariser Modehäusern kennengelernt; als Projektleiter hatte er schon für Herzog & de Meuron den Prada-Flagshipstore in Tokio umgesetzt und für Comme des Garçons zwei »Guerillastores« in Basel. Pedrocchi war verblüfft, wie viel Entgegenkommen er vonseiten der lokalen Baubehörde erfuhr, nur Straßenflucht, Bauhöhe und v. a. der Rhythmus der Satteldachsilhouette waren einzuhalten.

Der im alpinen Raum eigentlich überall präsente und gefürchtete Ortsbildschutz ist in Telfs kein Thema – im Ort ist man bemüht, Leerstände im Zentrum zu vermeiden, ohne sich dabei auf Kebab, Pizza, Banken und Telefonshops zu beschränken.

Schaufenster im XXL-Format

Das Gesamtkonzept war einfach, es bestand lediglich darin, eine adäquate Hülle für anspruchsvolle Mode zu schaffen. Eigentlich ist es ein kleines Projekt mit nur 140 m² Nutzfläche, doch ein Entwurf von hoher Komplexität, wobei Struktur, Raum und Nutzung zu einer untrennbaren Einheit verschmelzen. Das aus Dreiecksflächen zusammengefügte Betondach ist außen mit schwarzem Lochblech überzogen und hat die Form einer verschobenen Pyramide. Es schwebt bis 7,3 m hoch über einer lichten, stützenfreien Halle, die aufsteigend ihre räumliche Wirkung entfaltet. Der zur Straße hin leicht abfallende Raum wird an zwei Seiten von tragenden Wänden begrenzt, die Fassade besteht aus nach außen gekippten, in verschiedene geometrische Formen gebrochenen Glasflächen, Hocker aus Gummigranulat verhindern, dass sich die Fußgänger versehentlich am Glas stoßen. Der Zugang erfolgt über einen breiten Gang vom Altbau her, die frühere Eingangssituation wurde nicht verändert. Nichts stört die Offenheit des Raums, der sich von innen heraus entwickelt und letztlich so etwas wie ein begehbares Schaufenster bildet. Den Blickfang bilden zwei, auf halber Höhe den Raum querende Stahlbetonträger, die sich im spitzen Winkel kreuzen. Das Betonkreuz ist nicht nur statische Notwendigkeit, sondern auch Grundlage des flexiblen Raumkonzepts, die Hülle bleibt gleich, die Inhalte können sich ohne Verlust der architektonischen Qualität ändern. An langen Edelstahlhaken schwingen die Gewänder frei im Raum, begleitet von an der Wand entlangziehenden Ablagen für exquisite Accessoires. Die kargen, nüchternen Materialien Rohbeton, Glas und Edelstahl kontrastieren mit der warmen Farbe des Natursteinbodens. Das große Raumvolumen und die harten Oberflächen erzeugen einen starken Nachhall und damit die Wirkung eines hohen großen Raums. Kein aufdringlicher Raumduft und kein nervtötender Klangteppich stören. Für Kühlung und Belüftung sorgen Schlitze entlang der Fassade und eine Bodenheizung. Durch die hohen Scheiben fällt natürliches Licht und betont die Farbechtheit, Fluoreszenz-Leuchten führen über und unter dem Betonkreuz entlang und verborgene LED-Lichtstreifen beleuchten die Regale. Dank der Lichtführung verwandelt sich der Raum nachts in ein leuchtendes Prisma.

Die Umkleidekabinen, bei denen auch die Sanitäranlage angesiedelt ist, liegen hinter der Kuppel. Mit Oberlichtern versehen, weichem Teppichboden und grüngolden schimmernden Mosaiken formen sie eine intimere Atmosphäre.

Kunstwerke

Die museale Anmutung zeigt mit der Art der Hängung kreative Wege in der Warenpräsentation und verleiht den Schaustücken die Aura eines Kunstwerks, was auch ihrem Wert entspricht. Die rohen Oberflächen ohne »Innenarchitektur« bieten wenig Möglichkeiten für Veränderungen und sind per se ein Beispiel für Zeitlosigkeit, falls das Material in Würde altert.

Der Neubau als großes Schaufenster bereitet eine Bühne für die Kundinnen, die diese neugierig begutachten, aber noch kaum nutzen. Ebenso wenig wie die großzügigen Umkleidekabinen, zu deren Nutzung sie von den Verkäuferinnen auch nicht ermuntert werden. Das Neue ist Kontrast und Ergänzung zum eleganten, »wohnlichen« Altbau mit seinen Nischen und Ecken, der innen unverändert blieb, nur die Oberflächen wurden aufpoliert und die Böden geschliffen, denn die Kundinnen sind eher konservativ. Der äußere Zusammenhang zwischen Alt und Neu ist subtil inszeniert. Die Glasfront zieht sich über beide Teile und das Giebelhaus aus den 50er Jahren bekam statt des weißen einen dunkelgrauen Anstrich.

Was im Entwurf eine einfache, klare Lösung schien, war bei der Umsetzung mit viel Energie und Kraftaufwand verbunden. Das, so weiß Reto Pedrocchi, passiert ihm öfter, denn unkonventionelle Lösungen gehen an die Grenzen des Könnens und der Motivation. Die Probleme begannen beim Rechnen; zu viel Armierungseisen sei verbaut worden, glaubt er. Erwiesen ist, dass sich mehrere Firmen eine Umsetzung nicht zutrauten und dass die Innsbrucker Technische Fakultät mit der Kontrolle der statischen Berechnungen betraut wurde. Zum Glück hat sich das ortsansässige Architekturbüro Walch bei der Bauleitung sehr engagiert. Über die Kosten breitet sich ein Mantel des Schweigens, aber für ein solides Einfamilienhaus hätte es wohl gereicht.

db, Mi., 2011.08.31



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db 2011|09 Erlebnis Kaufraum

06. Juli 2006Gretl Köfler
db

Vielfalt als Corporate Design

Mit ihren jeweils individuell und dabei stets mit hohem architektonischen Anspruch gestalteten Filialen erzielt die Tiroler Supermarktkette MPreis einen hohen Wiedererkennungswert ohne dabei in Gleichförmigkeit zu verfallen. Ihr Anliegen ist es, dem Kunden nicht nur eine attraktive Produktauswahl, sondern ein räumliches Kauferlebnis zu bieten.

Mit ihren jeweils individuell und dabei stets mit hohem architektonischen Anspruch gestalteten Filialen erzielt die Tiroler Supermarktkette MPreis einen hohen Wiedererkennungswert ohne dabei in Gleichförmigkeit zu verfallen. Ihr Anliegen ist es, dem Kunden nicht nur eine attraktive Produktauswahl, sondern ein räumliches Kauferlebnis zu bieten.

Italienische Antipasti und Serranoschinken, Couscous, Kokosmilch und Trüffelleberwurst - solche kulinarischen Köstlichkeiten gibt es in Tirol nicht nur in den städtischen Zentren, sondern auch in vielen Dörfern, von Elbigenalp bis Ebbs, von Nauders bis Sillian. Selbst die Urlauber halten inzwischen Ausschau nach dem oft spielerisch verformten roten Würfellogo mit dem silbernen „M“. Statt auf öde Einkaufskisten treffen sie auf Orte, wo mit modernen Materialien, mit Licht und Weite der alltägliche Einkauf zum Erlebnis wird. An die 140 „MPreis-Filialen“ gibt es inzwischen und fast jeden Monat eröffnet irgendwo ein neuer, wobei die Landesgrenzen nur selten überschritten werden.

MPreis sieht sich selbst als Lebensmittelnahversorger, nicht als Architekturprojekt. Gründerin ist die legendäre Stammmutter Therese Mölk. Sie legte in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mit einer Gemischtwarenhandlung, einer Bäckerei und einer Molkerei in Innsbruck den Grundstein für den Erfolg des Familienunternehmens. Zusammen mit ihrem Ehemann und acht Kindern betrieb sie bereits 1929 elf Verkaufsläden in Innsbruck und Hall. Seit den siebziger Jahren ist die dritte Generation am Ruder. Die Cousins Hansjörg und Anton Mölk formten aus etwa 30 stagnierenden Tante-Emma-Läden eine äußerst erfolgreiche Lebensmittelkette, die ihren Marktanteil von 2,5 Prozent auf derzeit 35 steigern konnte. Sie ist mit 3800 Mitarbeitern und einem Umsatz von 430 Millionen Euro (Zahlen von Juni 2006) der zweitgrößte Nahversorger des Landes. Die Strategie ist ebenso einfach wie wirkungsvoll. Ein zeitgemäßes, vollständiges Angebot - derzeit fast 11000 Waren - wird möglichst nahe an den Kunden herangebracht und die Preise sind überall gleich. Die starke Vernetzung mit der regionalen Wirtschaft in Nord- und Südtirol ermöglicht neben internationalen Marken auch regionalen Klein- und Mittelbetrieben ihre Produkte landesweit anzubieten, Bio vom Berg und Fair Trade haben ihren fixen Platz. Die Kunden außerhalb der zentralen Orte fühlen sich ernst genommen und werden nicht mit einem lückenhaften Angebot zweiter Wahl zu überhöhten Preisen abgefertigt. Teil der Erfolgsstory sind die integrierten „Baguettes“, sonnendurchflutete Cafés mit Ausblick und hauseigenem Gebäck, die sich zu kommunikativen Zentren entwickelten. Wo der Dorfladen und das Wirtshaus den Betrieb eingestellt haben, trifft man sich zum Plausch bei MPreis und in den gesichtslosen Gewerbegebieten können die Hausfrauen auf Einkaufstour und die Angestellten in der Mittagspause einen erholsamen Stopp einlegen.

MPreis füllt die Lücke zwischen Greißlerei (Ausschank mit Verkauf, Anmerkung der Redaktion) und Einkaufszentrum, Architektur dient dabei als wichtiges, aber nicht einziges Mittel zum Zweck. „Gerade in einem Land, in dem eine solche Vielfalt an landschaftlichen Besonderheiten, kulturellen Traditionen und Dialekten herrscht, ist die Verantwortung diesem Umstand gegenüber groß“ meint Hansjörg Mölk. Das Ergebnis ist das Produkt eines über Jahrzehnte fortlaufenden Diskussionsprozesses zwischen Bauherren und Architekten mit viel Lust am Experiment. Am Anfang, als Corporate Identity (CI) im deutschsprachigen Raum zum flächendeckenden Siegeszug ansetzte, traf Anton Mölk auf den Innsbrucker Architekten Heinz Planatscher. Er entwickelte Mitte der achtziger Jahre ein dezidiert architektonisches Gestaltungskonzept und das Logo für die bis dahin farblosen Märkte; die horizontalen Putzfaschen und die blauen Fenster sind noch heute kennzeichnendes Merkmal mehrerer Innsbrucker Filialen. Der Erfolg gab ihm Recht und die Sensibilität der beiden Unternehmer für Architektur war geweckt, sie entsprang nicht vordergründig marktstrategischen Überlegungen, sondern echtem Interesse und Leidenschaft.

Den nächsten Entwicklungsschritt setzte mit dem Architekten Wolfgang Pöschl wiederum eine Zufallsbekanntschaft. Der damals 40-jährige, wie viele seiner Generation in partnerschaftlicher Beziehungsarbeit trainiert, wusste aus eigener Erfahrung einiges über den Frust des täglichen Lebensmitteleinkaufs, über dunkle Räume, schwere Taschen, lange Wege. Folgerichtig empfiehlt er in seiner Anleitung für Kopisten „Gehen Sie selbst regelmäßig einkaufen, erledigen Sie den Wocheneinkauf für Ihre Familie.“ Nach längeren Diskussionen mit den Bauherren und deren Aufforderung: „Machen Sie aus dem Lebensmittelmarkt ein positives Umfeld, Einkaufen gehen muss nicht wehtun“ entwarf Pöschl das Konzept eines „fiktiven MPreises“, wobei er primär Überlegungen über die Funktion anstellte. Es galt keinen „schönen Raum“ zu schaffen, in dem „leider“ Regale stehen, sondern sich mit den Funktionen und Bedürfnissen eines Lebensmittelmarktes so auseinanderzusetzen, dass sie ein logischer, wenn auch austauschbarer Bestandteil des Ganzen werden. Das Konzept gilt heute noch. Materialien, Regalstellungen, Konstruktion, Lichtlösungen und Raumkonzepte werden immer wieder hinterfragt und neue, ungewöhnliche Lösungen sind inzwischen Teil der CI. Das einzige Argument, das einen Architekten in den Augen der Bauherren disqualifiziert, ist, wenn er sich nur über die Hülle und nicht über den Inhalt den Kopf zerbricht. Sogar Dominique Perrault - als einziger auswärtiger Architekt mit drei MPreis-Filialen in Wattens und Zirl vertreten - zerbrach sich den Kopf über das richtige Licht am Wurststand.

Anfangs stießen die neuen Konzepte auf Widerstand. Bürgermeistern gefiel die Form nicht, Kammervertreter mäkelten und die anderen Lebensmittelketten sahen ihre Positionen bedroht. Pöschls erster Entwurf für Hall wurde unter fadenscheinigen Vorwänden abgewürgt. Bereits sein zweites Projekt am nördlichen Ortsrand von Lienz erhielt 1993 als erster Supermarkt die „Auszeichnung des Landes Tirol für Neues Bauen“. Die Kunden fragten sich anfangs zwar, wann die fragile Konstruktion aus Wellblech und Spanplatten zusammenbräche, doch die wechselnden Tageslichtstimmung und die Aussicht auf einen alten Nussbaum überzeugten. Die Widerborstigkeit und Fetzigkeit war nicht zufällig, sondern genau kalkuliert und Heterogenität gehörte zum Programm. Alles was „Bedeutung“ suggerierte, war dem Architekten suspekt, denn „die starrsten Firmen haben am besten das CI beherrscht“. Inzwischen haben über 30 Tiroler Architekten aus drei Generationen - viele von ihnen über die Landesgrenzen bekannt - ihre architektonische Handschrift hinterlassen und MPreis hat dafür internationale Aufmerksamkeit und viele Baupreise eingeheimst. Für jeden Ort werden die Räume im Dialog mit den Bauherren maßgeschneidert. Zwar ist der Kostenrahmen vorgegeben - er liegt angeblich um 30 Prozent niedriger als bei der Konkurrenz, doch innerhalb dieses Rahmens genießt der Architekt größtmögliche Freiheit, trifft auf wenige bürokratische Hindernisse und jeder erhält dasselbe Honorar. Kein Supermarkt gleicht dem anderen, jeder ist sorgfältig in die Landschaft komponiert, mit seiner Umgebung vernetzt und achtet die Bedürfnisse der Anrainer.

In den neunziger Jahren waren die Supermärkte vornehmlich an den Ortsrändern angesiedelt, wobei für MPreis die ideale Größe bei ca. 1300 m² lag. Die novellierte Tiroler Raumordnung hat das Wachstum außerhalb der Kernzonen gebremst und auf dem derzeitigen Stand eingefroren. Die uferlose Größe ist passé. MPreis setzt deshalb zunehmend auf Intensivierung und Verdichtung in den Zentren und an ungewöhnlichen Punkten. Bedingt durch die ständig steigenden Treibstoffpreise wird „Fußläufigkeit“ wieder zum Thema. Da in den Ortskernen die Baugründe rar sind, wird eine langfristig Planung in Kombination mit anderen Bauvorhaben sinnvoll, mit dem Gemeindezentrum oder der Arztpraxis, mit dem Kindergarten oder dem Seniorenheim. Es ist jedenfalls absehbar, dass MPreis auch weiterhin wirtschaftlichen Erfolg und baukulturellen Anspruch unter einen Hut bringen wird.

db, Do., 2006.07.06



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