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04. April 2003Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Die Aura des Lichtes

Im oberösterreichischen Steyr gelang dem Architektenteam Riepl Riepl eine aussergewöhnliche Interpretation eines Sakralbaus. Der auf den ersten Blick etwas rau wirkende, leicht grün eingefärbte Betonbau lebt in der Dämmerung auf, wenn ihm das mit moderner Urbanität assoziierte bunte Neonlicht eine ganz neue Dimension verleiht.

Im oberösterreichischen Steyr gelang dem Architektenteam Riepl Riepl eine aussergewöhnliche Interpretation eines Sakralbaus. Der auf den ersten Blick etwas rau wirkende, leicht grün eingefärbte Betonbau lebt in der Dämmerung auf, wenn ihm das mit moderner Urbanität assoziierte bunte Neonlicht eine ganz neue Dimension verleiht.

In unserer zunehmend säkularen Welt werden religiöse Bedürfnisse oft an den Rand gedrängt oder in sogenannte Patchwork-Religionen übergeführt. Die Auflösung von Traditionen hat längst auch den christlichen Glauben und dessen Architektur erfasst. Ungewöhnliche, grenzüberschreitende Kirchenbauten sind die Folge. In Oberösterreich entstanden in den späten fünfziger Jahren zwei eindrückliche Beispiele, die sich völlig konträr verhalten: die Pfarrkirche zur hl. Theresie von Rudolf Schwarz in Linz und das von der Arbeitsgruppe 4 zusammen mit Johann Georg Gsteu im nicht weit entfernten Steyr errichtete Seelsorgezentrum Ennsleiten. Ein gewissermassen «armes» Erscheinungsbild verbindet diese Bauten, die doch die weite Spanne möglicher Interpretationen des Themas aufzeigen. So bilden für Schwarz Mystik, Katholizismus und Gestalttheorie die Grundlagen. Seine Theresienkirche erhebt sich über einem ovalen Grundriss und ist geometrisch konzipiert, gleichwohl semantisch aufgeladen. Vier Dezennien später wird in Steyr- Resthof ein neuer Weg beschritten. Nun manifestieren sich Besinnung und Kontemplation in einem übergeordneten, allgemeinen Sinn. Doch auch diese Kirche ist in ihrer Erscheinung spröde, gleichsam arm, und setzt so die verbindende Tradition der beiden früheren Bauten fort.

Bei genauer Betrachtung ordnet sich die im Vorjahr von Gabriele und Peter Riepl fertig gestellte Pfarrkirche St. Franziskus in jene Tendenz der aktuellen Architekturentwicklung ein, die den einfachen, kubischen Baukörper zunehmend differenziert. Der Kirche liegt zwar eine quadratische Grundform zugrunde, doch im Aufriss findet man keinen einheitlichen Quader, sondern eine Reihe von Volumina, die sich über Abstufungen und Rücksprünge zu einem komplexen Ganzen fügen und an einer Stelle in ein flächiges, geknicktes Element auslaufen. Diese Differenzierung resultiert aus einer ausgeklügelten Grundrisskomposition mit klar definierten, dennoch offenen Räumen. Man kann von Raumsequenzen sprechen, bei denen einzelne überlappende Elemente die Verschränkung betonen. Dem Grundriss fehlt auf den ersten Blick jegliche Hierarchie. Diese entsteht allein auf Grund der Raumgrössen und -höhen. Wenn man die Kirche an der Westseite betritt, so liegt am Ende der Wegachse der dunkle, eher unauffällige Taufstein. Knapp davor knickt der Weg ab, trennt und verbindet verschiedene Räume: den einfachen Hauptraum links und das Atrium mit seinem japanisch anmutenden Gärtchen rechts, die Werktagskapelle, den Taufbereich und das Wasserbecken.

Der Bau ist als Kirchenbau in vielfacher Hinsicht ungewöhnlich. In seiner Abstraktion schafft er eine neue Symbolik, sogar der Glockenturm wurde durch einen schmalen Glaskubus ersetzt, der die durchgehende Horizontalität konterkariert. Auch das dialektische Spiel von Geschlossenheit und Öffnung zur Umgebung ist durchaus unüblich. Die Architekten wollten «Spannungsfelder entwickeln» und die Hermetik mit «forcierter Offenheit konfrontieren». So blickt man beim Eingang durch eine profillose Glaswand in die Vorhalle und weiter durch eine zweite gläserne Trennung ins Atrium und bis zum Taufbereich. Beim diagonal gegenüberliegenden Wasserbecken ist diese Immaterialität der Wand noch grosszügiger. Von aussen sieht man unmittelbar in den Kirchenraum, ist dabei jedoch durch die Wiese auf Distanz gehalten. Die Simultaneität verschiedener räumlicher Zonen ist bereits hier offensichtlich und findet im Inneren ihre logische Fortsetzung. In der Wochentagskapelle bemerkt man folglich nicht nur die seitliche Raumweitung nach oben in den Glaskubus, man blickt zudem über den Taufstein auf das Wasserbecken und die Siedlung im Hintergrund beziehungsweise - jetzt in diagonaler Richtung - zum niederen Weg und zum hohen Hauptraum dahinter.

Ihre wirkliche Vollendung erfährt diese Raumkomposition aber in der Dämmerung mit der Beleuchtung. Wochentagskapelle, Taufkapelle und Hauptraum werden dann in zartes rötliches, bläuliches beziehungsweise gelbliches Licht getaucht. Dies betont jeden einzelnen Bereich innerhalb des Kontinuums und schafft zudem eine besondere Stimmung. Man möchte von einer auratischen Atmosphäre sprechen. Das Licht modelliert die Architektur und hebt Details hervor. So läuft entlang der zweiseitigen Verglasung zum Atrium eine schmale, frei schwebende Platte als informelle Sitzgelegenheit mit einer effektvollen indirekten Beleuchtung an der Unterseite. Das baldachinartige Vordach wird von unten kräftig bestrahlt, und das Innere präsentiert sich an dieser Stelle als komponiertes Bild, bei dem weit hinten, fast entrückt, die Taufkapelle bläulich schimmert. Nahtlos gehen die Architektur und ihre künstlerische Ausgestaltung, zu der man Keith Sonnier einlud, ineinander über. Seine Neonskulpturen bilden den visuellen Höhepunkt.

Sonnier, der dem Postminimalismus zugeordnet wird, entschied sich dafür, seine Arbeiten über dem Taufstein und im erhöhten Glaskubus zu placieren. Im ersten Fall verwendete er zartblau leuchtende, am Ende geknickte Stäbe, die an der Decke zu schweben scheinen. Für den Glaskubus konzipierte er ein kleines Feuerwerk. Etliche bunte Schleifen wirbeln hier durcheinander, wobei ein rötlicher Ton dominiert. So entsteht an dieser Stelle eine betont heitere Stimmung. Ähnliche Schleifen verwendete Sonnier in seiner «Tears»-Serie. Tatsächlich verbindet er selbst mit dem Neonlicht eine religiöse Erfahrung: Als er in seiner Jugend im Süden der USA nachts übers Land fuhr, tauchten im dichten Nebel Wellen von Licht auf, die sich auf und ab bewegten und von einem Klub in der Ferne stammten.

Die Lichtinszenierung lässt einzelne vielleicht weniger gelungene architektonische Details vergessen. Am Ende ist ein vielschichtiges Werk hinsichtlich räumlicher Konzeption, des Zusammenwirkens von Architektur und Kunst, der Interpretation der Funktion und der feinen Symbolik entstanden. Der Hauptraum ist als liturgischer Ort zurückhaltend formuliert, nämlich als einfache Raumschachtel mit heller Birkenholzauskleidung und dreiseitiger Bestuhlung. Die Betonung der Quer- im Vergleich zur Längsachse soll die Idee der Gemeinschaft hervorheben. Insgesamt realisierte man mittels des offenen Raumkonzeptes eine polyzentrische liturgische Idee. In einem Quartier mit einer starken muslimischen Gemeinde und zahlreichen Bewohnern ohne Glaubensbekenntnis ist der Bau als katholische Kirche bewusst zurückgenommen. Erfreulich ist die Akzeptanz des nach gängigen Kriterien ungewöhnlichen Bauwerks. Diesem Faktum liegt ein intensiver Entstehungs- und Diskussionsprozess zugrunde. Mitte der neunziger Jahre wurde auf Initiative des Pfarrers und der Diözese ein Wettbewerb ausgeschrieben, doch auch dieser Schritt musste erst vorbereitet werden; Studentenprojekte hatten den Blick für mögliche architektonische Lösungen geöffnet.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.04.04



verknüpfte Bauwerke
Kirche St. Franziskus

07. Oktober 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Öffnung der Baukunst

Architekturtage in ganz Österreich

Architekturtage in ganz Österreich

Ende September starteten die österreichischen Architekturinstitutionen eine gemeinsame Grossoffensive. Zwei Tage lang wurden unter dem Motto «Jetzt ist alles offen!» landesweit Veranstaltungen angeboten, deren buntes Spektrum von Atelierbesuchen und Baubesichtigungen bis zu Vorträgen und Symposien reichte. Schifffahrten auf der Donau und dem Neusiedlersee bildeten neben den Kooperationen mit den Nachbarländern Tschechien, Slowakei, Ungarn, Liechtenstein, mit Polen und Litauen besondere Attraktionen. Freilich konnte man sich nur punktuell einen Eindruck verschaffen, da sich das Programm über das ganze Land erstreckte. Jedenfalls sind Initiativen wie diese begrüssenswert, um Gegenwartsarchitektur als kulturelles Gut zu popularisieren beziehungsweise um die Faszination von moderner Architektur zu vermitteln. Theater, Tanz, Musik und Film sind längst Teil des österreichischen Kulturlebens; das zeitgenössische Bauen ist nun auf dem besten Weg, es diesen Sparten gleichzutun.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.10.07

04. Oktober 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Präzise Details - präziser Raum

Die Wiener Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck führen in ihren oft einer strengen Orthogonalität verpflichteten und deswegen mitunter fast klassisch anmutenden Bauten und Projekten entwerferische und städtebauliche Konzepte vor, die sich durch besondere Klarheit und Direktheit auszeichnen. Dabei interessieren sie sich für präzise Detaillösungen ebenso wie für neue baukünstlerische Trends.

Die Wiener Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck führen in ihren oft einer strengen Orthogonalität verpflichteten und deswegen mitunter fast klassisch anmutenden Bauten und Projekten entwerferische und städtebauliche Konzepte vor, die sich durch besondere Klarheit und Direktheit auszeichnen. Dabei interessieren sie sich für präzise Detaillösungen ebenso wie für neue baukünstlerische Trends.

Vermittelt über ihren Lehrer Roland Rainer, führten Dieter Henke (1952) und Marta Schreieck (1954) bis jetzt die Tradition der Moderne in einer ganzen Reihe von Bauten fort, die als klassisch bezeichnet werden können, auch wenn sie bestimmte Themen offensichtlich weitertreiben. Die Architekten erforschen selten konzeptionelle Grenzbereiche und erproben kaum gänzlich unbekannte Verfahren und Typologien. Mit ihren Bauten, mit denen sie oft im Rahmen einer strengen Orthogonalität bleiben und die auf exzessive Weise den modernen Baustoff Glas verwenden, führen sie Entwürfe bis hin zu städtebaulichen Konzepten vor, die sich durch besondere Klarheit auszeichnen. Zugleich sind diese immer wieder hinsichtlich der generellen Lösung, des Massstabs, der Proportion und insbesondere was die stadträumlichen Überlegungen betrifft, stimmig. Präzise präsentieren sich auch die Detaillösungen.

Vorbild Moderne

Ein 1997 fertig gestelltes Einfamilienhaus in Wien-Hernals publizierten die Architekten mit einer Baustellenfoto des rohen Stahlskeletts und deklarierten damit ihren Rückgriff auf das konstruktive Konzept der Moderne. Der längliche Quader ist mit geschlossenen Längs- und völlig verglasten Stirnseiten in den üppig überwucherten Hang gesetzt. Im Erdgeschoss liegen die Schlaf- und Kellerräume, im Obergeschoss fliesst der offene Wohnraum um die quer gelagerte Treppe und geht unmittelbar in das Grün des Aussenraums über. Raumfluss und Simultaneität von innen und aussen, die für die Moderne fortschrittliche Themen darstellten, wirken nun ganz selbstverständlich. - Der Wohnbau nimmt im Schaffen von Henke und Schreieck neben Bildungsbauten eine zentrale Stelle ein. Wegweisend war ein Mehrfamilienhaus, das für die Österreichische Beamtenversicherung (ÖBV) Anfang der neunziger Jahre, also noch vor der derzeitigen forcierten Entwicklung des Wiener Wohnbaus, unweit des Einfamilienhauses realisiert wurde.

Bereits die Durchführung eines Gutachterverfahrens seitens der ÖBV war damals ungewöhnlich; der Bau wurde frei finanziert und bot daher einen relativ grossen Gestaltungsspielraum. An der Strassenfassade dominieren zwei Geschosse hohe, verschiebbare Elemente mit Alulamellen als Sicht- und Sonnenschutz vor den Loggien, die den Bau vom Gründerzeitkontext abheben. Zudem sticht eine offene Treppenanlage ins Auge, die die beiden Flügel des Eckbaus trennt und modern interpretierte Laubengänge erschliesst. Im einen Hausteil liegen Geschoss-, im anderen Maisonettewohnungen. Ungewöhnlich an der Grundrisstypologie mag die freie Treppe im Wohnraum sein, die eine Galerie erschliesst. Wieder trägt die Ausstattung - eine blaue Stirnwand im Wohnraum, gläserne Schiebetüren, der raumhohe Glasstreifen zwischen Bad und Treppenaufgang - entscheidend zur architektonischen Qualität bei, und der Wohnraum lebt von der völligen Transparenz zu den Vorgärten. Zugleich ist Intimität auf Grund der flexiblen Lamellenelemente jederzeit möglich. Die zwei Geschosse hohe Loggia wird dabei zur raumhaltigen Schicht zwischen Innen- und Aussenraum.

Dynamisierung der Form

Henke und Schreieck beherrschen auch die grosse städtebauliche Geste. Exemplarisches Beispiel dafür ist die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck, wiederum Resultat eines Wettbewerbes und 1998 fertig gestellt. Die Architekten schufen nicht nur einen geschützten öffentlichen Raum vor dem Haupttrakt, sondern auch einen grosszügigen Innenraum. So liegt in der Mitte der beiden Längstrakte eine glasgedeckte Halle mit einer einläufigen Treppe, die den Raum kaskadenartig erschliesst. Eine weitere Besonderheit stellen die geschwungenen Elemente dar, die diesen 200 Meter langen Fakultätstrakt konterkarieren: ein amöbenhaft geformter Bauteil und eine lang gestreckte, gekrümmte Betonmauer, die den Bau quer durchschneidet. Auch wenn diesen Bauteilen eine räumliche und funktionelle Begründung zugrunde liegt, spiegeln sie doch die zunehmende organische Tendenz unserer Zeit wider.

Bei anderen Projekten wurde diese Haltung schliesslich konstitutiv für den Baukörper, und besonders beim Baumarkt «Baumax» in Schwechat drückt sich das Interesse an einer «dynamischen Weiterentwicklung der Moderne» aus. hier verbindet eine breite Rundung die lang gestreckten Seitenfassaden. Die abstrakte Organik steigert sich zu einer expressiven Dynamik. Die zunächst geschlossenen, breiten Lamellen vor den Glasfronten drehen sich zur Rundung hin kontinuierlich in die Horizontale, die Front kippt zudem nach vorne. Der Baukörper hebt sich allmählich vom Boden ab, und die Dachkante schwingt nach oben. Die Schnittzeichnung suggeriert in der Folge das Dampfermotiv - mit dem Werbeobjekt des «Mega bau-Max» als Schornstein.

Ein besonders prestigeträchtiges Projekt ist derzeit die Renovierung und Erweiterung des ehemaligen Turmhotels Seeber von Lois Welzenbacher in Hall in Tirol, errichtet im Jahr 1931. Das Gebäude führt mit seinen auskragenden, eine Drehbewegung andeutenden Balkonen eine exemplarische Gestaltung des abstrakten Baukörpers der Moderne vor. Die jetzige Renovierung beziehungsweise Adaptierung geht auf die Initiative einer Architektengruppe zurück, die auch die Gefahr des Abrisses abwendete. Bei dem Wettbewerb, der zudem eine Erweiterung zum Thema hatte, erlangte das Projekt von Henke und Schreieck zwar nur den zweiten Preis, dennoch realisieren sie ihr Projekt, was zu Kontroversen führte. Doch ihr Entwurf überzeugt in seiner Prägnanz. Sie setzen einen sich nach oben verbreiternden Zylinder in einiger Entfernung zum Bau von Welzenbacher, auch hier mit Glasfassade und breiten, horizontalen Lamellen davor. Trotz oder vielleicht gerade wegen des Gegensatzes und seiner In-sich-Geschlossenheit lässt dieser Körper den Bau von Welzenbacher nach wie vor wirken. Es entsteht ein Dialog des Konträren. Die erdgeschossige Verbindung des Neubaus mit dem Welzenbacher-Bau und dem Kurhaus, die den Gastronomiebereich aufnimmt, war ein zentrales Argument, dieses Projekt zu realisieren.

Fokus Fassade

In jüngerer Zeit findet man bei den Projekten mäandernde Baukörper, die Freiräume definieren und zugleich ausfliessen lassen. Die Assoziation Mäander entsteht natürlich primär beim Blick von oben auf das Modell. Auf diese Weise geformte Baukörper lagen dem Wettbewerbsentwurf für die Fachhochschule in Kufstein zugrunde, bei dem drei intimere Höfe in einen zentralen, grösseren übergehen. Letztes Jahr stellte man die erste Baustufe, gewissermassen die Grundform des Mäanders fertig. An drei Seiten nimmt man jetzt einen einfachen Kubus wahr. Einmal mehr findet man hier eine klare räumliche Organisation mit zentraler Aula und ringsum laufenden Klassenräumen. Wettbewerb und Projekt entstanden auf Initiative des Bauherrn, dessen Engagement es zudem ermöglichte, ein innovatives Fassadensystem zu entwickeln. Dieses oszilliert zwischen dem Eindruck der Flächigkeit, den die leichte gläserne Aussenhülle weckt, und der Tiefe unmittelbar dahinter. Denn die Isolierverglasung sitzt weit innen, dazwischen liegen die langen und dünnen «Fassadenpfosten», die einen prägnanten Vertikalrhythmus entstehen lassen. Auf diesem modernen Typus des Kastenfensters beruht die zweischalige Klimafassade mit kontrollierter Be- und Entlüftung, die dem anschaulichen Unterricht von Facility-Management dient.

Bei einem aktuellen Projekt wird das Thema der zweischaligen Fassade im Sinne von transluzenter Verhüllung und differenzierten Aus- und Durchblicken weiterentwickelt. Ein neuer «Kaipalast» soll den alten am Franz-Josefs-Kai mit Blick auf den Donaukanal ersetzen. Der Bau von 1912 repräsentierte einen der ersten Eisenbetonbauten von Wien, doch dessen Konstruktion war zu marod, um erhalten zu werden. Der Abbruch war dennoch umstritten, zugleich führte Zürich Kosmos als Bauherr einen geladenen Wettbewerb durch. Das Siegerprojekt von Henke und Schreieck nimmt die Eck-Konfiguration auf und entwickelt seine Eigenart einmal mehr über die Fassade. Ganz im Sinne der Zeit, die den einfachen Kubus immer weiter differenziert, entwickelt schliesslich der Hofraum eine besondere skulpturale Eigenart. Bei dem unregelmässigen Gebilde mit etlichen Vor- und Rücksprüngen durchstossen einzelne Lufträume die Fassaden und paraphrasieren tatsächliche Fenster, die es sonst an der milchigen Aussenhaut mit den lamellenartigen Drehelementen nicht gibt. In funktionaler Hinsicht lockert diese Form den allzu engen, schlecht belichteten Innenhof auf und versucht, über die Fassade zusätzliches Licht hereinzuholen. In ästhetischer Hinsicht bildet der skulpturale Hofraum den Gegenpol zum homogenen äusseren Kubus und erinnert verblüffend an Skulpturen von Eduardo Chillida.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.10.04



verknüpfte Akteure
Henke Schreieck Architekten

01. Februar 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Von der Alhambra lernen

Bezüglich seiner Architekturentwicklung steht Granada auch heute im Bann der Alhambra. Die Öffnung geht nur zögerlich vonstatten. Ein zentrales Beispiel zeitgenössischer Architektur entstand nun an der südlichen Peripherie der Stadt.

Bezüglich seiner Architekturentwicklung steht Granada auch heute im Bann der Alhambra. Die Öffnung geht nur zögerlich vonstatten. Ein zentrales Beispiel zeitgenössischer Architektur entstand nun an der südlichen Peripherie der Stadt.

Die berühmte Ansicht der Alhambra mit der schneebedeckten Sierra Nevada im Hintergrund muss man suchen. Denn Granada bietet eigentlich ein völlig anderes Bild - jenes einer lauten Stadt, deren Reize sich erst nach und nach erschliessen. Die maurische Burganlage verbindet die Strenge der äusseren Erscheinung mit dem gestalterischen Reichtum des Inneren. Auch wenn man auf beinahe überbordende Ornamentik trifft, so ist die Folie dafür zumeist klar und einfach. Zu Beginn der neunziger Jahre liess sich Jacques Herzog von diesen Mustern inspirieren. Rückblickend war dies ein erster Schritt, um ein langeZeit tabuisiertes Thema in die Diskussion zurückzuholen. Heute ist das Thema Ornament wieder salonfähig, beinahe sogar populär.


Wasser als Gestaltungselement

Die Alhambra liegt wie eine Stadt für sich etwas entrückt am Hügel. Dort konzentriert man sich zurzeit auf archäologische Ausgrabungen und Restaurierungen, die die Umgebung des Alhambra-Bereiches mit einschliessen. Die architektonischen Eingriffe des letzten Jahrzehnts sprecheneine reduzierte und durchaus vorbildliche Sprache. Sogar die aus der Mitte der fünfziger Jahre stammende Freilichtbühne des Generalife wirkt erstaunlich aktuell, so dass die adaptierten Ausstellungsräume im Palast Karls V. logisch daran anschliessen. Auch Details wie kleine, mobile Rampen sind entsprechend gestaltet. Entscheidend war schliesslich die Neugestaltung des Zugangsbereiches beziehungsweise der Parkplatzanlagen, um den grossen Besucherandrang organisatorisch zu bewältigen. Zuvor verstellten nämlich Autos weite Bereiche des Parkes zwischen der Alhambra und der Stadt bis hin zum Palast Karls V. Man schrieb deshalb Ende der achtziger Jahre einen Wettbewerb aus, den die Wiener Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass gewannen. Vor vier Jahren stellte man das Projekt fertig, und heute präsentieren sich die Parkplätze selbstverständlich und beinahe unauffällig.

Die Zufahrt wurde zum einen weit abseits an die Ostseite des Alhambra-Hügels verlegt, während das Stadtzentrum an dessen Westseite liegt. Die Parkflächen folgen der Topographie, und die dicht gepflanzten, bereits stattlichen Bäumen verdecken zunehmend die Autos. So artikulieren sichdie architektonischen Massnahmen, die von Beginn an in ihrer Weitläufigkeit etwas schwer zu überblicken waren, abgesehen von einem guten Funktionsablauf immer mehr über architektonische Details. Und diese sind in ihrem Béton brutbetont minimalistisch und karg. Damit sind insbesondere die Bewässerungskanäle gemeint, die das langgestreckte Gelände in der Querrichtung durchziehen und strukturieren. Wie im Generalife ein kleiner Wasserlauf in eine Treppenbrüstung integriert ist und man die Hand in der heissen Jahreszeit im Vorbeigehen kühlen kann, so wird man auch hier vom Wasser begleitet. Doch das System ist technischer, und die Architekten wollten die Idee eines Bewässerungssystems als Metapher einer früheren agrarischen Kultur mit denParkplätzen verbinden. Aber auch die Wasserbecken der Alhambra lassen sich assoziieren.

Eine explizite Trennung von Bewässerungszonen und Parkplätzen musste schliesslich aus pragmatischen Überlegungen einer stärkeren Integration dieser Funktionen weichen. Bei genauerem Blick präsentieren sich die Anlagen als praktisch konzipierte und zugleich künstlerisch überhöhte Komposition. Dies vermittelt sich heute trotz entscheidenden Veränderungen nach Fertigstellung. Vor dem Eingang in die Alhambra verdichtet sich die skulpturale Gestaltung. Hier befindet sich neben einem Bewässerungskanal ein grosses, flaches, aufgestelztes Wasserbecken, das den Besuchern eine verschattete Zone bietet. Die plastische Modellierung der tragenden Wände des Beckens visualisieren wieder jene architektonisch-ästhetische Idee jenseits reiner Funktion, die dem Projekt insgesamt zugrunde liegt.

Die modernen Eingriffe im und um den Alhambra-Bereich belegen, dass Tradition und Neuerung unmittelbar miteinander vereinbar sind. Dennoch entzünden sich an diesem Thema heftige Kontroversen; bestes Beispiel dafür ist die Planung eines Geschäfts- und Wohnhauses von Alvaro Siza im Stadtzentrum. Es fehlt eine übergeordnete Strategie, den konträren Anforderungen von Vergangenheit und Gegenwart gleichermassen gerecht zu werden. Eine Strategie fehlt aber auch für den Stadtrand, wo die hemmende Tradition eigentlich fehlt. An der südlichen Peripherie sticht seit kurzem ein mächtiger grauer Block ins Auge, der Hauptsitz der Caja General de Ahorros de Granada, nach Alhambra und Sierra Nevada drittes und neustes Symbol der Stadt. Der strenge Kubus wirkt in sich geschlossen und abweisend, ein erratischer Block in einer Gegend von Zufälligkeiten und Spekulationen. In der Unwirtlichkeit dieser Peripherie erfreuen sich romantische Architekturmotive besonderer Beliebtheit und bilden gleichsam den Hintergrund für den Neubau des Madrider Architekten Alberto Campo Baeza, der aus einem 1992 durchgeführten Wettbewerb hervorging.

Die distanzierte und zugleich kraftvolle Geste stellt eine mögliche Reaktion auf die disparate Umgebung dar. Der graue, schwere Kubus strahlt Ruhe aus. Diagonal konzipiert, bilden die Seiten gegen Norden geschlossene, plane Flächen, die nur von schmalen, horizontalen Fensterbändern fein durchlöchert werden. Gegen Südosten und Südwesten fällt der mächtige Betonrahmen stärker auf, denn hier umfasst er ein Quadratraster mit tief innenliegenden Fenstern. Licht ist hier im Überfluss vorhanden, und so wirken die Südfassaden als Brise soleil. In die rüde und auf den ersten Blick simpel wirkende Komposition packt Campo Baeza eine Reihe architektonischer Themen. Die Referenzen des strengen Baukörpersmit dem Raster der quadratischen Öffnungen reichen vom Madrider Gewerkschaftsbau der vierziger Jahre über Aldo Rossi bis zu Max Dudler und Diener & Diener in die Gegenwart.


Monumentale Halle

Betritt man die Bank, wird man unmittelbar in das Atrium geführt und ist von dessen Weite überrascht. Vier überdimensionale Säulen ragen in die Höhe und verleihen dem Raum seine spezifische Monumentalität, die eindrucksvoll, aber nicht erdrückend wirkt. So einfach dieser Raum zunächst wirkt, so vielfältig ist er schliesslich im Gesamten. Zunächst ist das Auditorium als kleine Box hineingestellt, wohl auch um die Dimension im Eingangsgeschoss etwas zu reduzieren. Zwei der Säulen ragen aus dieser Box. Ähnlich wie die äusseren sind auch die inneren Fassaden diagonal konzipiert - zwei als geschlossene, im Licht aber changierende und sich daher als dünne Haut artikulierende Alabasterflächen, zwei als transparente Glasflächen. Eine mächtige Dachkonstruktion führt den Fassadenraster fort. Campo Baeza spielt in seinen jüngeren Projekten immer wieder mit dem Gegensatz von Stereotomie und Tektonik: Zur Caja General, deren Stützen er mit denmonumentalen Pfeilern der Kathedrale von Granada vergleicht, gibt es denn auch eine schematische Skizze, die die äussere Box als stereotomisch bezeichnet, die hineingestellten kleineren Boxen für die Büros als tektonisch.

Campo Baeza nähert sich damit einem diffizilen Thema, dessen Umsetzung um einiges komplizierter ist, als die Skizze suggeriert. Die Qualität des Baus resultiert auch aus seinen Ambivalenzen. Die Alabasterflächen im Inneren wirken sowohl massiv als auch transluzent, der tektonische Aufbau verbirgt sich. Auch die Stereotomie der äusseren Box ist keineswegs eindeutig, und die kubische Form wird vom Thema der Diagonale horizontal und vertikal überlagert. Indem die Lichtkuppeln etwas versetzt sind, wird das Licht schräg in den Innenhof geführt. Auf der obersten Ebene bietet sich eine völlig neue Perspektive. Die Bürogeschosse lassen einen Freiraum zur Dachzone; man findet sich unter anderem in einem offenen, zweigeschossigen Raum, dem nicht nur die Fenster- und die Dachkonstruktion Prägnanz verleihen, sondern auch die Endstücke der vorbeilaufenden, mächtigen Säulen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.02.01



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Hauptsitz der Caja General de Ahorros de Granada

14. Juli 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Das minimalistische Ornament

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden...

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden...

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden in jüngerer Zeit Grenzbereiche des Minimalistischen erforscht. Einen pointierten Ausdruck dieser Recherche bilden neue Formen des Ornamentalen, die frühere Traditionen weiterführen. Es handelt sich dabei um gestaltete Oberflächen, denen die Aufgabe zukommt, die Baukörper, die radikal reduziert und gleichsam verarmt sind, zu nobilitieren. Die Bibliothek in Eberswalde von Jacques Herzog und Pierre de Meuron und die Informationstechnischen Institute der TU Graz (2000) von Florian Riegler und Roger Riewe sollen in diesem Kontext eingehender betrachtet werden.

Kaum ein anderes Diktum der neueren Architekturgeschichte hat so sehr und so lange das Bewusstsein geprägt wie jenes von Adolf Loos aus dem Jahr 1908, laut dem das Ornament „Verbrechen“ sei. Resultierte es ursprünglich aus einer Polemik gegen die schwülstigen Auswüchse des Historismus, so galt es in der Folge als Beleg dafür, dass zeitgemässe Architektur davon befreit zu sein habe. Doch das flotte Zitieren vergass auch die differenzierte Argumentation. Der Titel des Aufsatzes lautete „Ornament und Verbrechen“; später distanzierte sich Loos explizit von einer systematischen und konsequenten Abschaffung des Ornaments. Er selbst verwendete nicht nur den blossen, spröden Kubus, sondern auch ornamentale Elemente. Dennoch kam es einem Tabubruch gleich, als Herzog & de Meuron im Zusammenhang mit dem Entwurf für ihre Bibliothek der Fachhochschule in Eberswalde (1999) von der Tätowierung des Gebäudes sprachen und das Äussere mit einer Bilderhaut überzogen. Ganz anders gingen Florian Riegler und Roger Riewe bei ihrem Konzept für die Informationstechnischen Institute der TU Graz (2000) auf den Inffeldgründen vor. Doch auch hier findet man pure Kuben; mittels einer dichten und unregelmässigen Fenstersetzung entsteht eine Art Muster. Oder vielleicht doch ein Ornament oder ein ornamentales Muster? Im Sinne eines Oxymorons überlagert sich Konträres. Eine frühere Dichotomie wird aufgehoben, und es entsteht etwas Neues, das als konsequente Fortsetzung unterschiedlicher Traditionen gelten kann.


Theoretische Grundlagen

Fülle, ungezügelte Phantasie und reicher Schmuck einerseits sowie Reduktion, Vernunft und Konzentration auf das Wesentliche andererseits sind Zeichen konträrer Lebenshaltungen, die mit dem Begriffspaar apollinisch - dionysisch bis in die griechische Mythologie zurückreichen. Während einfache Form und pure Materialität wiederkehrende Themen des 20. Jahrhunderts bildeten, konzentrierte sich das theoretische und praktische Interesse hinsichtlich des Ornaments auf die Jahrhundertwende und die Zeit davor. Für Loos war die Befreiung vom Ornament - zeitbedingt - Ausdruck eines kulturellen Fortschritts. Dagegen steht die Überzeugung von Ernst H. Gombrich, dass es keine Kultur ohne Tradition der Ornamentik gebe. August Schmarsow widmete sich um die Jahrhundertwende so unterschiedlichen Themen wie der Raumgestaltung und der Ornamentik. Letztere bezeichnete er vorsichtig als „Uranfang aller Künste“. In der Diskussion von Gottfried Semper und Alois Riegl spitzten sich schliesslich gegensätzliche Auffassungen und Ansätze zu. Für den Ersten bildeten bekanntermassen Technik, Material und Zweck die Prämissen jeglichen Schaffens; Riegl opponierte dem und leitete seine „Geschichte der Ornamentik“ (1893) aus einem übergeordneten Kunstwollen ab. Doch auch Semper berührt letztlich die Welt des Ornaments, das für ihn Konsequenz und nicht primäres Bedürfnis ist und dessen höchster Ausdruck in der Annäherung ans Immaterielle liegt. - Die breite Diskussion zum Ornament umfasst natürlich auch Fragen seiner Definition und Abgrenzung. Aus kulturkonservativer Sicht beklagte Hans Sedlmayr Mitte des 20. Jahrhunderts den „Tod des Ornaments“, und er verwendete den Begriff des ornamentalen Musters. Gerade die Grenzbereiche - und zwar sowohl zum Muster als auch zum Bildhaften - präsentieren sich als die aktuellen Topoi, eingebettet in die jeweilige Entwurfsstrategie der Architekten. Die traditionellen Grundlagen bleiben weiterhin gültig. So grenzt sich das Ornament vom blossen Muster dahingehend ab, dass es seinen Träger beziehungsweise dessen Form interpretiere, was antike Vasen auf schöne Weise veranschaulichen. Hinsichtlich des Bildes sind zusätzlich Abstraktion und Entindividualisierung ausschlaggebend. Wenn die Fenstersetzung bei Rieger & Riewe zum abstrakten Muster tendiert und Herzog & de Meuron sich unmittelbar des Bildes bedienen, vexiert beides und kippt am Ende ins Ornamentale.

Dies beruht im Sinne eines paradigmatischen Widerspruchs auf einer äussersten Reduktion, und zwar in doppelter Hinsicht. Das neue Ornament artikuliert sich als solches minimalistisch, und es verbindet sich mit einer spezifischen Tendenz, für die der einfache Baukörper die Grundlage bildet. Für Letzteres stellt die Minimal Art der sechziger Jahre insofern eine Voraussetzung dar, als sich damals ein besonderer, plastischer Umgang mit einfachen Volumina etablierte, der in der Folge auch den Blick auf den Kubus der Moderne fundamental veränderte. In den sechziger Jahren brachte man mit dem Ganzen der Körper neue Relationen ins Spiel, sowohl jene zwischen den Teilen als auch die zum umgebenden Raum. Das körperliche Erfahren wurde konstitutiv für das visuelle. Die architektonische Fortsetzung dessen beruht auf der betonten Bündigkeit der Quader in Eberswalde, aber auch auf den Inffeldgründen in Graz.


Ornamentale Fenstersetzung

Die Bauten in Eberswalde und Graz sind jeweils Ausdruck einer umfassenden Entwurfsstrategie, gewissermassen die Pointierung einer spezifischen Thematik. Riegler & Riewe stellten Mitte der neunziger Jahre einen Wohnbau in Graz-Strassgang fertig. Mit diesem Low-cost- Projekt entwickelten sie auf allen Ebenen eine extreme Reduktion: hinsichtlich des Baukörpers, der Materialität, der Wohnungstypologie und damit auch der Interpretation der Funktionen. Die lang gestreckte Sichtbeton-Box scheint einfach auf den flachen Grund gesetzt, obwohl sie unterkellert ist. Differenziert wird dieses pure Konzept mittels der Schiebeelemente aus Nylon und Streckmetall vor den raumhohen Öffnungen. Auf diese Weise überzieht ein gleichmässiges, sich stetig veränderndes Muster die drei Geschosse. Man kann von einem seriellen Streifenmuster sprechen, das knapp vor der Betonfassade deren Konturen wiederholt und eine Art Reliefierung mit starker Schattenwirkung darstellt. Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ansichtszeichnung, die die Architekten als langes, in sich strukturiertes Rechteck ohne jeglichen Umraum publizierten, und die frontale Photographie. Dabei vermittelt sich die Flächigkeit der Fassade, mehr noch, deren Isotropie, die sich eigentlich erst auf Grund des Musters ausdrückt. Die Photographie zeigt verschiedene horizontale Streifen: eine Betonfläche im Vordergrund, das Erdreich, den Baukörper und darüber den Himmel. Natürlich reicht der Baukörper seitlich über das Bild hinaus, und die Fassade wird zur tendenziell unendlich sich fortsetzenden Fläche. Das Fassadenmuster unterstreicht dies, beziehungsweise es konstituiert die essenzielle Idee des Entwurfes.
Das 1998 fertiggestellte Bundesinstitut für Sozialpädagogik in Baden bei Wien setzt dies subtil fort. Riegler & Riewe verwenden hier drei autonome Körper, die aber auch Raum definieren. Den Mittelpunkt bildet der quer gelagerte, fünfgeschossige, mit einer Glashaut überzogene und daher grünlich schimmernde Haupttrakt. An den Längsseiten steht das Kellergeschoss frei. Dies hat natürlich praktische Gründe und wird am Ende zu einem integralen Teil des ästhetischen Konzeptes. Die räumliche Organisation ist simpel; ein Mittelgang, der sich zu einer Halle erweitert, erschliesst die Klassenräume an der Nordseite. Die Fassadenkomposition sticht noch mehr ins Auge als beim früheren Bau. Kleine Öffnungen sind gleichmässig verteilt, an der Südseite weniger, an der Nordseite mehr. Dies verbindet sich mit einem innovativen Heizkonzept, bei dem die südseitige Betonwand als grossflächiger Sonnenkollektor wirkt. Besonders an der Nordseite artikuliert sich auf Grund der stärkeren Durchlöcherung wieder ein gleichförmiges und atektonisches Fassadenmuster. Blickt man vom Park auf den grünlich schimmernden Körper, so versinkt dieser auf Grund des Grabens nun scheinbar im Boden. Die tendenzielle Unendlichkeit der Fassadenfläche wird unmittelbar vor Augen geführt, und das Muster kippt ins Ornamentale.


Städtebauliche Implikationen

Bei den Informationstechnischen Instituten der TU Graz verwenden Riegler & Riewe mit dem lang gestreckten Sichtbetonkörper das Pendant zur glasumhüllten Box. Die Fenster wurden in jedem Geschoss wieder gesplittet und sitzen noch dichter als beim Schulbau in Baden. Auch bei dem Beispiel verwandelt sich das durch die Fenstersetzung entstandene Muster in ein Ornament; dieses paraphrasiert und interpretiert die Idee sowohl des Baukörpers als auch des städtebaulichen Konzeptes insgesamt. - Bei dem Entwurf für das grosse Grundstück am Stadtrand schichtete man lange, schmale Volumina dicht nebeneinander. Bei den besonders eng gesetzten fungiert der Zwischenraum als glasgedeckte Halle; daneben entspricht der Querschnitt der Aussenräume annähernd jenem der Volumina. Baukörper und Raumkörper verwandeln sich einander an, und diese Relation von „void“ und „solid“ wurde bereits von der Minimal Art vorgeführt. Die texturhafte, antihierarchische Komposition füllt nach der letzten Baustufe das rechteckige Grundstück und geriert sich ähnlich autonom wie der einzelne Baukörper.

Variiert wird dieses strenge geometrische Konzept durch die flexiblen Längen der Boxen. Im zentralen Bereich entstehen unregelmässige, amöbenhaft fliessende Aussenräume, die aber auch in die betont langen und schmalen Zwischenräume übergehen. Ein einfaches Grundkonzept entfaltet sich zu einer besonderen Komplexität, wobei das körperliche Erfahren der unterschiedlichen Aussenräume wesentlich wird. Daneben birgt der Wechsel der lang gestreckten, tendenziell unendlichen Innenhallen mit den stark rhythmisierten Querwegen eben diese Erfahrung. So streng der einzelne Baukörper ist, so frei und beinahe verspielt wirken die variablen Längen, auch wenn diese funktionale Anforderungen reflektieren.


Bild contra Ornament

Die Bibliothek in Eberswalde spielt mit der konträren Form des Ornaments. Im OEuvre von Herzog & de Meuron stellen sowohl das nicht abstrakte, figürliche Haus als auch der einfache Kubus kontinuierliche Themen dar. Die neutrale Box bildet dabei den Hintergrund zur vielfältigen strukturellen und materiellen Differenzierung der Fassade bis hin zur Umhüllung mit einer kontinuierlichen Bilderhaut. Die Bibliothek vexiert zwischen dem Banalen und dem Elaborierten. Die freistehende Box ist rüde, vielleicht noch mehr als jene von Riegler & Riewe, das räumliche Konzept vergleichbar einfach. In städtebaulicher Hinsicht ergänzt sie ganz einfach die bestehenden Bauten am Campus der Fachhochschule. Das ästhetische Spiel mit der Wahrnehmung verdichtet sich an der Oberfläche, und zwar an der äussersten Oberfläche. Gottfried Semper pries die Farbe als das immateriellste Bekleidungsmittel; Herzog & de Meuron gelang es, diese Idee noch weiter zu steigern. Die äusserst plastisch wirkenden Bilder resultieren nämlich allein aus der Differenzierung des Betons und der Fenster in raue und glatte Flächen und sind materiell gewissermassen gar nicht existent.

Mittels eines speziell entwickelten Waschbetonverfahrens, das bereits bei der Sportanlage Pfaffenholz angewendet worden war, wurden Zeitungsbilder aus dem Archiv von Thomas Ruff im metaphorischen Sinn auf die einzelnen Betonplatten gedruckt und damit zum zweiten Mal verfremdet. Vom Ornamentfries bis zur flächenhaften Hülle, von der Textur bis zum einzelnen Bild, von tiefen Schatten bis zur glänzenden Oberfläche reichen die Eindrücke - je nach Blickwinkel und Distanz. Mit den Bildern werden Geschichten erzählt, und es wird die Oberflächenmaterialität zu einer äussersten Differenzierung getrieben.

Zur Betonwand der Ricola-Produktions- und -Lagerhalle in Mülhausen meint Jacques Herzog: „Einen oder zwei Tage nach dem Regen rinnt immer noch Wasser ganz langsam herunter fast wie in einem 24-Stunden-Video von Douglas Gordon. Wenn die Wand feucht ist, erscheint sie transparenter als die Glaswand, ein Effekt, den wir wirklich lieben, weil er nicht nur schön ist, sondern auch Fragen nach Festigkeit und Transparenz stellt.“ In Eberswalde bergen die Schatten eine gewisse Schwere, während das Texturhafte die massive Wand mit einer leichten Struktur überlagert.
Bei den Bauten von Herzog & de Meuron kommen immer wieder Einflüsse der Minimal Art ins Spiel. Betont körperlich erfährt man den Raum zwischen Rückfassade und Felswand beim Ricola-Lagerhaus in Laufen, und beim Steinhaus in Tavole stellt man auf diese Weise wechselnde Relationen zwischen dem Kubus und dem Raumgitter her. In Eberswalde hat sich dieser Kubus gänzlich auf sich selbst zurückgezogen. Mittels der Bewegung erlebt man das Changieren der Fassade. Die Bilderhaut bedeutet die Nobilitierung eines Baukörpers, der radikal reduziert und gleichsam verarmt ist. Traditionelle Implikationen des Ornaments, zu denen ausserdem das Phantasievolle und das Luxuriöse zählen, kommen wieder zum Ausdruck. Man kann von Textur contra Bild, aber auch von Realistik contra Abstraktion sprechen. Doch auch bei diesem Beispiel stellt sich die Frage, ob die elaborierte Oberfläche die Form des Volumens in ihrer Essenz interpretiert und zum Ornament wird. Betrachtet man die einzelnen Friese, so umhüllen und umwickeln diese den autonomen Kubus in seiner Reinheit und Bündigkeit. Sie betonen dabei seine In-sich-Geschlossenheit und radikalisieren letztlich die Idee des Solitärs.


Hülle und Kern

Diese subjektiven Interpretationen eines Ornamentalen entwickeln sich aus einer subtilen Materialdifferenzierung heraus. Man bemerkt ausserdem Parallelitäten innerhalb der Architekturentwicklung; so setzte Elsa Prochazka bei ihrem Umbau für Coca-Cola an einer südlichen Ausfallstrasse von Wien ebenfalls die Fenster wie zufällig verstreut - mit dem Argument der besseren Belichtung für die Computerarbeitsplätze. Doch ihre Haltung stellt eine moderat-moderne dar, die anderen präsentieren sich dezidierter. In Eberswalde wie auch auf den Inffeldgründen in Graz wird der pure Kubus in aller Entschiedenheit vor Augen geführt, also gleichsam der gute und wahre Kern. Werner Oechslin wies auf die Wertverschiebung am Beginn des 20. Jahrhunderts von der oberflächlichen Hülle zugunsten dieses Kerns hin. Jetzt kehrt beides gemeinsam zurück und damit auch Gegensätze wie Gebrauchszweck und Kunstzweck, Kernform und Kunstform, Kern und Hülle oder auch nackter Baukörper und Bekleidung. Oechslin zeichnet jene Entwicklung nach, die nach dem Abwerfen der Stilhülsen des 19. Jahrhunderts im befreiten, zeitlosen und ewigen Kern mündete. Wenn sich über den radikalisierten Kern jetzt eine neue Ornamenthülle legt, so bleibt die Frage nach dem Verhältnis der neuen Hülle zu eben diesem Kern.

Den Zeichen der Zeit mit ihren Ambivalenzen folgend, suggerieren die Beispiele von Riegler & Riewe einen klaren und eindeutigen Kern und heben diesen Eindruck im selben Moment wieder auf. Die geschlossenen Stirnseiten der Bauten auf den Grazer Inffeldgründen rücken im ersten Moment den Eindruck des massiven Kerns ganz in den Vordergrund. Doch bald bemerkt man die Fugen knapp neben den Kanten. An den Längsseiten wurden dünne Betonscheiben vorgeblendet, die zudem auf Grund ihrer starken Durchlöcherung nicht tragend sein können.

Die Scheiben interpretieren die klassischerweise Glasstrukturen überantwortete Funktion der Curtain-Wall; die Stützen dahinter bilden das Gestell, das mit den durchlöcherten, dennoch massiven Elementen bekleidet wird. Herzog & de Meuron liegen hingegen viel näher bei einem wirklichen Kern. Zwar findet man auch bei der Bibliothek einen Skelettbau, und der Kubus wird durch die horizontal laufenden Glasbänder unterbrochen. Doch prinzipiell bilden die Fassaden eine Einheit, und die freistehenden Stützen des Inneren verbinden sich mit jenen der Aussenwand. Alle Teile gemeinsam ergeben ein zusammenhängendes statisches System, und dieses fungiert als Träger für die Tafeln der Fassade. Der wahre Kern scheint zurückgekehrt, unverfälscht und bloss, umhüllt von einer ungreifbaren und umso intensiver wirkenden Bilderhaut.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2001.07.14

04. Mai 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Im Inneren der Stadttextur

Im Inneren der Stadttextur
Die jüngsten Bauten von Christian Jabornegg und András Pálffy in Wien

Im Inneren der Stadttextur
Die jüngsten Bauten von Christian Jabornegg und András Pálffy in Wien

Nach der Gestaltung eines Modegeschäfts entwickelten Jabornegg und Pálffy ihre sinnliche Formensprache konsequent weiter und etablierten mit der Generali Foundation eine eindrückliche Form des Minimalismus. Der Umbau der SKWB-Schoellerbank und die Räumlichkeiten des Museums am Judenplatz schliessen eng daran an.

Die Gestaltung von Geschäften und Lokalen bot in Wien immer wieder ein zentrales Betätigungsfeld für Architekten. Herausragende Entwürfe von Adolf Loos über Hans Hollein bis Coop Himmelblau tragen heute zum Flair der Wiener Innenstadt bei und erzählen Architekturgeschichte. Auch für Christian Jabornegg und András Pálffy stand dieses Thema am Beginn der Zusammenarbeit. Mit dem Modegeschäft Pregenzer in Wien-Wieden formulierten sie prägnant und sinnlich ihre konzeptionelle Haltung. Der hohe Raum in dem Gründerzeithaus wurde zu einem von allen Einbauten gereinigten Hintergrund für neue Elemente mit kräftigen Farben. So liegen rote, horizontale Präsentationstafeln direkt hinter den Schaufenstern; ein Fries aus auf Rahmen gespannten gelben Stoffbahnen, die das Licht von Neonröhren streuen, gibt dem Raum im oberen Drittel der Wände optischen Halt und verleiht ihm einen besonderen Reiz.

Die abstrakte Gestaltung, die jedes der hinzugefügten Elemente als Linie oder als Fläche versteht, rekurriert auf das Flächenparadigma der Moderne. Bei den jüngeren Transformationen vorhandener Bausubstanz ist diese Idee weiterhin vorhanden, wenn auch weniger offensichtlich. - Jabornegg und Pálffy dringen immer wieder ins Innere der Stadttextur vor, und die Situationen präsentieren sich dementsprechend komplex. Doch es gelingt den beiden Mittvierzigern - was für Wiener Architekten noch als jung gilt - immer wieder, die schwierige Ausgangslage zu klären. Dies gilt in besonderem Masse für die vor fünf Jahren fertiggestellte Generali Foundation in unmittelbarer Nähe des Modegeschäfts Pregenzer. Die Ausstellungsräume befinden sich auf dem Areal einer ehemaligen Hutfabrik im Hinterhof. Knapp hinter dem Strassentrakt erhebt sich ein zweiter Haustrakt sowie unmittelbar damit verbunden, etwas eingezwängt und daher unregelmässig trapezförmig, die zentrale Ausstellungshalle. Sie übernimmt die Umrisse der früheren Fabrikationshalle, ist jedoch neu gebaut. Der Entwurf verbindet auf souveräne Weise die Trapezfläche mit der Grundfläche des zweiten Haustrakts und einem schmalen Hofbereich davor. Jabornegg und Pálffy gelang es, ruhige Ausstellungsräume zu schaffen. Zugleich entwickelt sich ein komplexer Raumfluss zwischen der langgestreckten, sich verjüngenden grossen Halle, dem quadratischen Mittelbereich und der quergelagerten, kleinen Halle. Im Hauptraum knüpfen die Architekten explizit an das frühere Entwurfskonzept an, denn eine lange Betonwand steht als konstruktives Element frei und wirkt somit als Fläche für sich. Vergleichbares gilt für die transluzente Lichtdecke, die - mit etwas Abstand - knapp über diese Wand greift. Beide Elemente präsentieren sich als Flächenkomposition, die nun konstitutiv für den Innenraum ist.


Vom Museumsbau zum Bankgebäude

Mit der Generali Foundation etablierten sich die zuvor nur Insidern bekannten Architekten in der Wiener Szene. Mit diesem Um- beziehungsweise Neubau formulierten sie ihre grundsätzlichen Themen und nahmen gewissermassen auch ihre nächsten Bauaufgaben vorweg: den Umbau der SKWB-Schoellerbank im Palais Rothschild nahe der Wiener Freyung und die Gestaltung des Museums am Judenplatz (NZZ 26. 10. 00). Letzteres steht in Verbindung mit dem Shoah-Mahnmal von Rachel Whiteread. Beide Bauten wurden nach langen und kontroversen Diskussionen vor wenigen Monaten feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Die grundsätzliche Abstraktion der Architektur sowie ein vergleichbarer Materialkatalog und eine äusserste Präzision in der Durchführung verbinden die Bauwerke. Betritt man die Bank, so glaubt man im ersten Moment, sich in den Ausstellungsräumlichkeiten der Generali Foundation zu befinden. Die grosse Halle im zentralen Bereich des Erdgeschosses dient hier als Mehrzwecksaal. Während jedoch bei der Generali Foundation der unregelmässige Grundstückszuschnitt die Verjüngung der Haupthalle und damit deren besondere Dynamik bedingt, wird in diesem Fall ein in seiner Klarheit klassisch wirkendes Konzept von barocken Gesten umspielt.


Minimalistische Interventionen

Jabornegg und Pálffy gewannen vor drei Jahren ein Gutachterverfahren, das als grundlegende Vorgabe die Erhaltung der Fassade des Gründerzeitbaus formulierte. Da die gesamte Innere Stadt von Wien als Schutzzone definiert ist, hat architektonisch Neues am ehesten Chancen auf Realisierung, wenn es sich nach aussen verbirgt. Im Fall der Bank erscheint die Lösung sinnvoll. Ein schmaler, quergelagerter Trakt blieb sowohl an der Strassen- als auch an der Hofseite erhalten; die Gebäudeteile dazwischen wurden abgebrochen. Ein Neubau ersetzte in diesem Bereich die über Jahre entstandene verwinkelte und somit nicht nur verwirrende, sondern auch räumlich ineffiziente Baustruktur. Über dem grossen Mehrzwecksaal im Erdgeschoss erhebt sich der annähernd quadratische Innenhof. Zwischen diesem und den beiden Altbautrakten liegt jeweils ein überschaubares Grossbüro. An den beiden Längsseiten findet man hingegen die Erschliessung, die Nasszellen und Nebenräume. Die räumlich-funktionelle Klarheit geht Hand in Hand mit energietechnischen Überlegungen. Ganz der Zeit entsprechend interpretierte man den völlig verglasten, den Büroräumen Licht und Leichtigkeit verleihenden Hof als Klimapuffer.

Sichtbeton, weisse Putzflächen, Glas und Edelstahl bilden die immer wieder verwendeten Materialien. Durchgängig ist sowohl die Lesbarkeit - Sichtbeton bedeutet Neubau, weisse Flächen Bestand - als auch die für den architektonischen Minimalismus ganz allgemein charakteristische Suche nach neuen Materialien. Diese werden aber äusserst zurückhaltend eingesetzt. So streuen bei der Generali Foundation milchig-weisse Kunststofffolien, die man als solche kaum identifiziert, das von oben einfallende Licht. Für die Überdachung des Innenhofes der Bank entwickelte man ein besonderes System mit transparenten Membranen, die in der Art von Luftkissen verwendet sind. Sie schwingen in einer fragilen Konstruktion, die in ihrer Immaterialität ins Auge sticht und die strukturelle Leichtigkeit der Glaswände um den Hof weiterführt. Präzision bedeutet für Jabornegg und Pálffy unter anderem Präzision der Materialflächen. Als solche verdeutlichen sie sich durch das Absetzen von Fugen. In der Folge wirkt im Saal der SKWB-Schoellerbank eine mächtige Betonwand wieder als eigenständige Fläche. Dieses Grundthema findet man auch bei silbrig glänzenden Türelementen, die beidseits von Glasstreifen gerahmt, oder bei Stufen, die mit deutlichem Abstand zu den Glasbrüstungen gesetzt sind. Der Bau wird subtil in seine Einzelelemente gesplittet, und die Materialwahl unterstreicht dies.


Umbau des Misrachi-Hauses

Besonderes Augenmerk legen Jabornegg und Pálffy auf die Gestaltung der Treppen, die als zweiläufige Elemente frei in den Raum oder eine Nische gestellt werden. Bereits in der Generali Foundation entstand auf diese Weise ein eindrücklicher Durchblick zwischen Treppenskulptur und Aussenwand über alle Geschosse. In der SKWB-Schoellerbank lehnen sich zwei parallele Treppenläufe an die Querwand des Hofes an und stehen im Übrigen frei. Doch indem die Elemente gegenläufig geführt sind, birgt eine einfache Geste am Ende eine gewisse Dramatik, die sich beim Blick durch den Innenhof verdeutlicht. Man assoziiert barocke Treppenführungen, obwohl eine entsprechende Axialität fehlt. Doch das Raumerlebnis wird auch mittels dieser Treppe, ihrer grünlich schimmernden Glasbrüstungen und der Neonbeleuchtung an der Unterseite inszeniert und gesteigert. - Die jüngste Treppenskulptur findet man schliesslich im Museum zum mittelalterlichen Judentum im Misrachi-Haus am Judenplatz. Die besondere Brisanz dieses Museums beruht auf seiner Nähe zum Shoah-Mahnmal, das im Gedenken an die 65 000 ermordeten österreichischen Juden errichtet wurde.

Nach jahrelangen Diskussionen präsentiert sich der Platz seit kurzem als einer der intimsten und schönsten, aber auch im politischen Sinn eindrücklichsten von Wien. Völlig frei von jeglichem Verkehr - sogar die Fiakerrouten wurden verlegt - steht nun vis-à-vis vom Lessing-Denkmal der Bücherkubus von Whiteread, der in präzise ausgeführtem, hellem Beton dem Ort Gewicht verleiht und die Geschichte unverrückbar in der Gegenwart verankert. Über Gestaltungsdetails mögen unterschiedliche Meinungen bestehen; Dimension und Situierung des Mahnmals fügen sich auf jeden Fall positiv in die Platzfiguration. Für Kontroversen sorgten in der Vergangenheit insbesondere die Grabungsfunde der mittelalterlichen Synagoge unter dem Mahnmal. Die jetzige Lösung, bei der beides getrennt voneinander präsentiert wird, erscheint als adäquate Lösung; die beiden unterschiedlichen Themen werden auf diese Weise nicht verwischt.

Jabornegg und Pálffy gestalteten drei Bereiche: die Platzoberfläche, für die sie alte Granitsteine finden konnten, die Ausstellungsräume im Erdgeschoss und Keller des Misrachi-Hauses sowie den Schauraum der archäologischen Ausgrabung der 1421 zerstörten Synagoge. In gewohnter Präzision und Zurückhaltung präsentieren sich nach der umfassenden Renovierung die überwölbten Ausstellungsräume, die dadurch ihre eigentliche Wirkung entfalten. Über einen neuen Stichgang erreicht man schliesslich den Schauraum mit den Resten der Synagoge, der leicht versetzt unter dem Mahnmal liegt. In der Abgeschlossenheit und mittels einer subtilen Lichtführung entsteht eine Stimmung, die beim im Laufe der Zeit auch diskutierten üblichen Blick von oben auf die offene Grabungsstelle nie hätte erreicht werden können. Brünierte Messingtafeln rahmen den im Halbdunkel liegenden Raum, ein neu entwickelter Lehmboden ergänzt die Materialpalette.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.05.04

06. April 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Der private Lichtkörper

Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer

Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer

In Wien findet man trotz forciertem Wohnbau kaum interessante Bauten. Eine Ausnahme bilden die Siedlungen von Walter Stelzhammer, der innerhalb eng gesteckter Grenzen zukunftsweisende Möglichkeiten auszuloten sucht. Seine jüngsten Projekte interpretieren den Zeiten und Kulturen übergreifenden Typus des Hofhauses neu.

Im Rahmen der Wiener Stadterweiterung versäumte man es, griffige städtebauliche Konzepte als Grundlage für weitere Planungen zu entwickeln. Darunter leidet auch der Wohnungsbau. Hier bilden die restriktiven Vorgaben eine weitere Hürde, sowohl was den Gemeindebau als auch den staatlich geförderten Wohnbau betrifft. Auf diesen Sektor konzentriert sich bereits seit längerer Zeit Walter Stelzhammer. In den neunziger Jahren realisierte er unter anderem Wohnbauten jenseits der Donau und am Leberberg, die in ihrem Kontext positiv auffallen. Stelzhammer kritisiert generell die Strategie, am Stadtrand - also dort, wo man mit weiten Wegen und mangelnder Infrastruktur konfrontiert ist - konventionellen Geschosswohnbau zu realisieren. Mit der Neuinterpretation des Hofhauses will er eine Alternative anbieten, die kostengünstig und wandlungsfähig ist. Das intime Atrium fasst er dabei als integrierten Licht- und Raumkörper auf.


Österreichische Tradition

Als Vorbilder nennt Stelzhammer Roland Rainer sowie seinen Lehrer Ernst Plischke. Letzterer realisierte 1932 das vor zwei Jahren von Hermann Czech wieder hergerichtete Arbeitsamt in Liesing, ein für Wien revolutionäres Beispiel des Internationalen Stils. Vom Berner Atelier 5 beeinflusst, gilt Rainer, was den Wohnbau betrifft, als Apologet des verdichteten Flachbaus. In seinen Schriften propagiert er das Hofhaus, das er von traditionellen orientalischen Kulturen herleitet. Stelzhammer entwickelt die frühen inhaltlichen und formalen Prägungen durch die österreichischen Meister kontinuierlich weiter.

Seine erste Interpretation des Atriumhauses findet man jedoch nicht im Wohnbau, sondern bei einem gründerzeitlichen Eckhaus, das er zum neuen Firmensitz der Österreichischen Beamtenversicherung umbaute und dessen Innenhof er in ein glasgedecktes Atrium verwandelte. Eine abstrakte Struktur aus Pfeilern und Öffnungen umfasst den Hof an drei Seiten; an der vierten liegt eine mattierte Glaswand. Diese Art des Atriums bildet das Grundelement der im letzten Jahr fertiggestellten Siedlung in Atzgersdorf am südlichen Stadtrand von Wien unweit des Arbeitsamtes von Plischke. Die «weisse Architektur» hebt sich prägnant von der Umgebung ab. Nicht die Formensprache, sondern die Typologie bildet das Thema. Atzgersdorf stellt die erste Realisierung in einer ganzen Reihe von Projekten dar und führt die Praktikabilität des Haustyps im städtischen Kontext vor. Bei der «Wohnarche» handelt es sich um ein streng geometrisches System, bei dem die Einzelhäuser dicht aneinander gepackt sind. Zwei U-förmig organisierte Häuser, sogenannte Spangentypen, umfassen jeweils ein Atrium, das von einer mattierten Glaswand getrennt wird. Ein minimal dimensioniertes Raumsystem soll durch die Lichtwirkung vom benachbarten Hofraum profitieren.

Natürlich braucht die starke Introvertiertheit eine psychische Affinität der Bewohner, und das Konzept zeigt in seiner Einfachheit gewisse Tücken. In Atzgersdorf wurde die Masse der eng aneinander geschachtelten Räume auf ein Minimum reduziert; in der Folge ist natürlich auch der Lichteinfall im Atrium trotz der mattierten Glaswand zum Nachbarn begrenzt. Der Raumfluss als Verbindung von Zimmern, Gang und Atrium wäre ein entscheidendes Element zur optischen Erweiterung, auch die Strenge des Systems würde durch völlig transparente Übergänge gemildert. Doch dafür wären feine Details und grossflächige Glasschiebewände notwendig. Stelzhammer ist sich dessen bewusst; die Kostenlimits setzten in dieser Hinsicht Grenzen.

Das in Atzgersdorf realisierte Konzept wurde von städtebaulichen Studien für Gebiete abseits der dichten Stadtstruktur abgeleitet. Beim Bebauungskonzept für die Gartenstadt Süssenbrunn flottieren einzelne Siedlungsquartiere frei im Grünland, und die quadratische Grundform taucht auf dieser übergeordneten Ebene wieder auf. Die kontextuellen Voraussetzungen sind dabei völlig andere, und mittels der verdichteten und klar begrenzten Elemente werden zusammenhängende Grünflächen erhalten. Dem grundsätzlich traditionellen Konzept sind konträre Themen wie Textur und Solitär beziehungsweise Raumbildung und Raumverdrängung inhärent. Evoziert man das Leben in den geordneten, autonomen Quartieren samt dem sie umgebenden, wuchernden Grün, so vermittelt sich eine romantische Idee. Man mag Ebenezer Howards Satellitenstädte assoziieren, auch wenn deren radial-konzentrische Komposition durch eine strukturelle ersetzt ist.


Introvertiertheit

Das einzelne Quartier ist auf Grund seiner Introvertiertheit auch in Zusammenhängen denkbar, wo eine Abschottung notwendig wird, etwa an lärmbelasteten Orten im innerstädtischen Bereich. Das System scheint beinahe universal anwendbar. Stelzhammer entwickelte ausserdem das Konzept eines «Zentrumsquartiers» mit infrastrukturellen Einrichtungen in den beiden unteren Ebenen und zweieinhalbgeschossigen Hofhäusern darüber. Eine solche Strategie wurde dem jüngsten städtebaulichen Expertenverfahren für den geplanten Stationsbereich der U-Bahn-Linie in Stadlau jenseits der Donau zugrunde gelegt. Natürlich tendiert jedes stringente, streng geometrische Konzept zu einer gewissen Dogmatik, die umso stärker wird, je grösser das Planungsgebiet ist. Die Flexibilität des Haustypus zeigt sich andererseits bei der heuer durchgeführten Studie für ein langes, sehr schmales Grundstück im innerstädtischen Bereich. Ein einzelner Spangentyp reiht sich hier entlang einer langen Feuermauer. Das Atrium verwandelt sich in eine Loggia, so dass sich der zuvor introvertierte Grundriss zur Umgebung öffnet. Ein zweigeschossiges Atelier, eine Einliegerwohnung und der variierte Atriumtypus werden jeweils übereinander gestapelt, aber auch diese Aufteilung ist variabel. Der Entwurf wirkt leicht und offen. Die Erschliessung erfolgt über einen abgerückten Steg und die Loggia.

Das exemplarische Vorbild für Stelzhammers Weiterentwicklung des verdichteten Flachbaus bildet die auf die sechziger Jahre zurückgehende Gartenstadt Puchenau bei Linz von Rainer. Formal bleibt die Siedlung in Atzgersdorf im Rahmen einer vertrauten, modernen Sprache. Gleichwohl benötigt der Wohnbausektor kostengünstige Konzepte, und die Variabilität des Systems beeindruckt. Mit veränderbaren Typen beschäftigte sich Stelzhammer zuletzt auch bei einem geförderten Wohnbau im zehnten Bezirk von Wien. Auf knapp sechzig Quadratmetern eröffnet sich, beginnend beim Loft, eine Vielfalt von möglichen Raumteilungen um eine zentrale Nasszelle.

Schliesslich belegen die in regelmässigen Abständen entstehenden Einfamilienhäuser, dass das Publikumsinteresse am elaborierten ästhetisch-räumlichen Experiment vorhanden ist. Bei einer Mitte der neunziger Jahre in Klosterneuburg bei Wien entstandenen Villa begegnet man einem - hinsichtlich der Proportion der Geschosse, der Verkleidung der Pfeiler mit schwarzen Glastafeln, aber auch der Integration eines an die fünfziger Jahre erinnernden Fenstermotivs - spannungsreichen weissen Kubus.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.04.06

01. Dezember 2000Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Architektur und Publizistik

Der 8. Wiener Architekturkongress

Der 8. Wiener Architekturkongress

Das Interesse an Architektur ist in den letzten Jahren beinahe explosionsartig gewachsen. Dies lässt sich aus dem grossen Angebot von Publikationen ableiten. In Österreich wurden zudem in den neunziger Jahren in den Bundesländern Architekturinstitutionen gegründet. Den ersten Rang beansprucht dabei das Architektur-Zentrum Wien, das seit einigen Jahren jeweils im November zu einem Architekturkongress einlädt. Diesmal stand mit der «Problematik der Architekturvermittlung» ein brisantes Thema im Mittelpunkt.

Um das weite Feld der Vermittlungsmöglichkeiten einzuschränken, konzentrierte man sich auf die Printmedien. Im Sinne einer Synopsis spannungs- und aufschlussreicher Gegensätze reihte man einzelne Themenblöcke aneinander: die Architekturkritik im Feuilleton, die Publikumszeitschriften, die Theoriemagazine und schliesslich die klassischen Architekturzeitschriften. Dabei ging leider das aktuelle Thema von Architektur und Photographie vor dem Hintergrund der Etablierung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin unter. Immer wieder wurde der Gegensatz von tatsächlicher Kritik und sogenannter affirmativer Präsentation des Gebauten sowie von politischer und kunstsinnig-ästhetischer Haltung angesprochen. Beklagt wurde, dass die Kritik meist wirkungslos bleibe und auch riskant sei. Hier könnte gerade das Feuilleton eine entscheidende Rolle übernehmen.

Publikums- und Lifestylemagazine bildeten heute eine seriöse Informationsquelle zur Architektur, konnte man in der Programmbroschüre lesen. Dennoch wird die «attraktive Präsentation» für ein breites Publikum unter Insidern etwas skeptisch beäugt, obwohl die Architekten selbst daran interessiert sind. Dass die publikumsnahe Publizistik auch einen Erkenntnisgewinn in sich bergen kann, hätte ein weiteres Diskussionsthema dargestellt. Ganz im Gegensatz zu der Situation dieser erfolgreichen Magazine präsentiert sich jene der reinen Theoriezeitschriften, die sich an eine beschränkte Leserschaft wenden. In einer Zeit, in der von Verlagen ganz allgemein höhere Gewinne eingefordert werden, geraten diese Magazine immer mehr in Bedrängnis. So wurde die Zeitschrift «Daidalos» vor kurzem eingestellt. «Archis» ist vom gleichen Schicksal bedroht. Aber auch das Sterben klassischer Architekturmagazine sowie die Krise des Architektenstandes wurden konstatiert.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.12.01

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Publikationen

Presseschau 12

04. April 2003Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Die Aura des Lichtes

Im oberösterreichischen Steyr gelang dem Architektenteam Riepl Riepl eine aussergewöhnliche Interpretation eines Sakralbaus. Der auf den ersten Blick etwas rau wirkende, leicht grün eingefärbte Betonbau lebt in der Dämmerung auf, wenn ihm das mit moderner Urbanität assoziierte bunte Neonlicht eine ganz neue Dimension verleiht.

Im oberösterreichischen Steyr gelang dem Architektenteam Riepl Riepl eine aussergewöhnliche Interpretation eines Sakralbaus. Der auf den ersten Blick etwas rau wirkende, leicht grün eingefärbte Betonbau lebt in der Dämmerung auf, wenn ihm das mit moderner Urbanität assoziierte bunte Neonlicht eine ganz neue Dimension verleiht.

In unserer zunehmend säkularen Welt werden religiöse Bedürfnisse oft an den Rand gedrängt oder in sogenannte Patchwork-Religionen übergeführt. Die Auflösung von Traditionen hat längst auch den christlichen Glauben und dessen Architektur erfasst. Ungewöhnliche, grenzüberschreitende Kirchenbauten sind die Folge. In Oberösterreich entstanden in den späten fünfziger Jahren zwei eindrückliche Beispiele, die sich völlig konträr verhalten: die Pfarrkirche zur hl. Theresie von Rudolf Schwarz in Linz und das von der Arbeitsgruppe 4 zusammen mit Johann Georg Gsteu im nicht weit entfernten Steyr errichtete Seelsorgezentrum Ennsleiten. Ein gewissermassen «armes» Erscheinungsbild verbindet diese Bauten, die doch die weite Spanne möglicher Interpretationen des Themas aufzeigen. So bilden für Schwarz Mystik, Katholizismus und Gestalttheorie die Grundlagen. Seine Theresienkirche erhebt sich über einem ovalen Grundriss und ist geometrisch konzipiert, gleichwohl semantisch aufgeladen. Vier Dezennien später wird in Steyr- Resthof ein neuer Weg beschritten. Nun manifestieren sich Besinnung und Kontemplation in einem übergeordneten, allgemeinen Sinn. Doch auch diese Kirche ist in ihrer Erscheinung spröde, gleichsam arm, und setzt so die verbindende Tradition der beiden früheren Bauten fort.

Bei genauer Betrachtung ordnet sich die im Vorjahr von Gabriele und Peter Riepl fertig gestellte Pfarrkirche St. Franziskus in jene Tendenz der aktuellen Architekturentwicklung ein, die den einfachen, kubischen Baukörper zunehmend differenziert. Der Kirche liegt zwar eine quadratische Grundform zugrunde, doch im Aufriss findet man keinen einheitlichen Quader, sondern eine Reihe von Volumina, die sich über Abstufungen und Rücksprünge zu einem komplexen Ganzen fügen und an einer Stelle in ein flächiges, geknicktes Element auslaufen. Diese Differenzierung resultiert aus einer ausgeklügelten Grundrisskomposition mit klar definierten, dennoch offenen Räumen. Man kann von Raumsequenzen sprechen, bei denen einzelne überlappende Elemente die Verschränkung betonen. Dem Grundriss fehlt auf den ersten Blick jegliche Hierarchie. Diese entsteht allein auf Grund der Raumgrössen und -höhen. Wenn man die Kirche an der Westseite betritt, so liegt am Ende der Wegachse der dunkle, eher unauffällige Taufstein. Knapp davor knickt der Weg ab, trennt und verbindet verschiedene Räume: den einfachen Hauptraum links und das Atrium mit seinem japanisch anmutenden Gärtchen rechts, die Werktagskapelle, den Taufbereich und das Wasserbecken.

Der Bau ist als Kirchenbau in vielfacher Hinsicht ungewöhnlich. In seiner Abstraktion schafft er eine neue Symbolik, sogar der Glockenturm wurde durch einen schmalen Glaskubus ersetzt, der die durchgehende Horizontalität konterkariert. Auch das dialektische Spiel von Geschlossenheit und Öffnung zur Umgebung ist durchaus unüblich. Die Architekten wollten «Spannungsfelder entwickeln» und die Hermetik mit «forcierter Offenheit konfrontieren». So blickt man beim Eingang durch eine profillose Glaswand in die Vorhalle und weiter durch eine zweite gläserne Trennung ins Atrium und bis zum Taufbereich. Beim diagonal gegenüberliegenden Wasserbecken ist diese Immaterialität der Wand noch grosszügiger. Von aussen sieht man unmittelbar in den Kirchenraum, ist dabei jedoch durch die Wiese auf Distanz gehalten. Die Simultaneität verschiedener räumlicher Zonen ist bereits hier offensichtlich und findet im Inneren ihre logische Fortsetzung. In der Wochentagskapelle bemerkt man folglich nicht nur die seitliche Raumweitung nach oben in den Glaskubus, man blickt zudem über den Taufstein auf das Wasserbecken und die Siedlung im Hintergrund beziehungsweise - jetzt in diagonaler Richtung - zum niederen Weg und zum hohen Hauptraum dahinter.

Ihre wirkliche Vollendung erfährt diese Raumkomposition aber in der Dämmerung mit der Beleuchtung. Wochentagskapelle, Taufkapelle und Hauptraum werden dann in zartes rötliches, bläuliches beziehungsweise gelbliches Licht getaucht. Dies betont jeden einzelnen Bereich innerhalb des Kontinuums und schafft zudem eine besondere Stimmung. Man möchte von einer auratischen Atmosphäre sprechen. Das Licht modelliert die Architektur und hebt Details hervor. So läuft entlang der zweiseitigen Verglasung zum Atrium eine schmale, frei schwebende Platte als informelle Sitzgelegenheit mit einer effektvollen indirekten Beleuchtung an der Unterseite. Das baldachinartige Vordach wird von unten kräftig bestrahlt, und das Innere präsentiert sich an dieser Stelle als komponiertes Bild, bei dem weit hinten, fast entrückt, die Taufkapelle bläulich schimmert. Nahtlos gehen die Architektur und ihre künstlerische Ausgestaltung, zu der man Keith Sonnier einlud, ineinander über. Seine Neonskulpturen bilden den visuellen Höhepunkt.

Sonnier, der dem Postminimalismus zugeordnet wird, entschied sich dafür, seine Arbeiten über dem Taufstein und im erhöhten Glaskubus zu placieren. Im ersten Fall verwendete er zartblau leuchtende, am Ende geknickte Stäbe, die an der Decke zu schweben scheinen. Für den Glaskubus konzipierte er ein kleines Feuerwerk. Etliche bunte Schleifen wirbeln hier durcheinander, wobei ein rötlicher Ton dominiert. So entsteht an dieser Stelle eine betont heitere Stimmung. Ähnliche Schleifen verwendete Sonnier in seiner «Tears»-Serie. Tatsächlich verbindet er selbst mit dem Neonlicht eine religiöse Erfahrung: Als er in seiner Jugend im Süden der USA nachts übers Land fuhr, tauchten im dichten Nebel Wellen von Licht auf, die sich auf und ab bewegten und von einem Klub in der Ferne stammten.

Die Lichtinszenierung lässt einzelne vielleicht weniger gelungene architektonische Details vergessen. Am Ende ist ein vielschichtiges Werk hinsichtlich räumlicher Konzeption, des Zusammenwirkens von Architektur und Kunst, der Interpretation der Funktion und der feinen Symbolik entstanden. Der Hauptraum ist als liturgischer Ort zurückhaltend formuliert, nämlich als einfache Raumschachtel mit heller Birkenholzauskleidung und dreiseitiger Bestuhlung. Die Betonung der Quer- im Vergleich zur Längsachse soll die Idee der Gemeinschaft hervorheben. Insgesamt realisierte man mittels des offenen Raumkonzeptes eine polyzentrische liturgische Idee. In einem Quartier mit einer starken muslimischen Gemeinde und zahlreichen Bewohnern ohne Glaubensbekenntnis ist der Bau als katholische Kirche bewusst zurückgenommen. Erfreulich ist die Akzeptanz des nach gängigen Kriterien ungewöhnlichen Bauwerks. Diesem Faktum liegt ein intensiver Entstehungs- und Diskussionsprozess zugrunde. Mitte der neunziger Jahre wurde auf Initiative des Pfarrers und der Diözese ein Wettbewerb ausgeschrieben, doch auch dieser Schritt musste erst vorbereitet werden; Studentenprojekte hatten den Blick für mögliche architektonische Lösungen geöffnet.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2003.04.04



verknüpfte Bauwerke
Kirche St. Franziskus

07. Oktober 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Öffnung der Baukunst

Architekturtage in ganz Österreich

Architekturtage in ganz Österreich

Ende September starteten die österreichischen Architekturinstitutionen eine gemeinsame Grossoffensive. Zwei Tage lang wurden unter dem Motto «Jetzt ist alles offen!» landesweit Veranstaltungen angeboten, deren buntes Spektrum von Atelierbesuchen und Baubesichtigungen bis zu Vorträgen und Symposien reichte. Schifffahrten auf der Donau und dem Neusiedlersee bildeten neben den Kooperationen mit den Nachbarländern Tschechien, Slowakei, Ungarn, Liechtenstein, mit Polen und Litauen besondere Attraktionen. Freilich konnte man sich nur punktuell einen Eindruck verschaffen, da sich das Programm über das ganze Land erstreckte. Jedenfalls sind Initiativen wie diese begrüssenswert, um Gegenwartsarchitektur als kulturelles Gut zu popularisieren beziehungsweise um die Faszination von moderner Architektur zu vermitteln. Theater, Tanz, Musik und Film sind längst Teil des österreichischen Kulturlebens; das zeitgenössische Bauen ist nun auf dem besten Weg, es diesen Sparten gleichzutun.

Neue Zürcher Zeitung, Mo., 2002.10.07

04. Oktober 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Präzise Details - präziser Raum

Die Wiener Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck führen in ihren oft einer strengen Orthogonalität verpflichteten und deswegen mitunter fast klassisch anmutenden Bauten und Projekten entwerferische und städtebauliche Konzepte vor, die sich durch besondere Klarheit und Direktheit auszeichnen. Dabei interessieren sie sich für präzise Detaillösungen ebenso wie für neue baukünstlerische Trends.

Die Wiener Architekten Dieter Henke und Marta Schreieck führen in ihren oft einer strengen Orthogonalität verpflichteten und deswegen mitunter fast klassisch anmutenden Bauten und Projekten entwerferische und städtebauliche Konzepte vor, die sich durch besondere Klarheit und Direktheit auszeichnen. Dabei interessieren sie sich für präzise Detaillösungen ebenso wie für neue baukünstlerische Trends.

Vermittelt über ihren Lehrer Roland Rainer, führten Dieter Henke (1952) und Marta Schreieck (1954) bis jetzt die Tradition der Moderne in einer ganzen Reihe von Bauten fort, die als klassisch bezeichnet werden können, auch wenn sie bestimmte Themen offensichtlich weitertreiben. Die Architekten erforschen selten konzeptionelle Grenzbereiche und erproben kaum gänzlich unbekannte Verfahren und Typologien. Mit ihren Bauten, mit denen sie oft im Rahmen einer strengen Orthogonalität bleiben und die auf exzessive Weise den modernen Baustoff Glas verwenden, führen sie Entwürfe bis hin zu städtebaulichen Konzepten vor, die sich durch besondere Klarheit auszeichnen. Zugleich sind diese immer wieder hinsichtlich der generellen Lösung, des Massstabs, der Proportion und insbesondere was die stadträumlichen Überlegungen betrifft, stimmig. Präzise präsentieren sich auch die Detaillösungen.

Vorbild Moderne

Ein 1997 fertig gestelltes Einfamilienhaus in Wien-Hernals publizierten die Architekten mit einer Baustellenfoto des rohen Stahlskeletts und deklarierten damit ihren Rückgriff auf das konstruktive Konzept der Moderne. Der längliche Quader ist mit geschlossenen Längs- und völlig verglasten Stirnseiten in den üppig überwucherten Hang gesetzt. Im Erdgeschoss liegen die Schlaf- und Kellerräume, im Obergeschoss fliesst der offene Wohnraum um die quer gelagerte Treppe und geht unmittelbar in das Grün des Aussenraums über. Raumfluss und Simultaneität von innen und aussen, die für die Moderne fortschrittliche Themen darstellten, wirken nun ganz selbstverständlich. - Der Wohnbau nimmt im Schaffen von Henke und Schreieck neben Bildungsbauten eine zentrale Stelle ein. Wegweisend war ein Mehrfamilienhaus, das für die Österreichische Beamtenversicherung (ÖBV) Anfang der neunziger Jahre, also noch vor der derzeitigen forcierten Entwicklung des Wiener Wohnbaus, unweit des Einfamilienhauses realisiert wurde.

Bereits die Durchführung eines Gutachterverfahrens seitens der ÖBV war damals ungewöhnlich; der Bau wurde frei finanziert und bot daher einen relativ grossen Gestaltungsspielraum. An der Strassenfassade dominieren zwei Geschosse hohe, verschiebbare Elemente mit Alulamellen als Sicht- und Sonnenschutz vor den Loggien, die den Bau vom Gründerzeitkontext abheben. Zudem sticht eine offene Treppenanlage ins Auge, die die beiden Flügel des Eckbaus trennt und modern interpretierte Laubengänge erschliesst. Im einen Hausteil liegen Geschoss-, im anderen Maisonettewohnungen. Ungewöhnlich an der Grundrisstypologie mag die freie Treppe im Wohnraum sein, die eine Galerie erschliesst. Wieder trägt die Ausstattung - eine blaue Stirnwand im Wohnraum, gläserne Schiebetüren, der raumhohe Glasstreifen zwischen Bad und Treppenaufgang - entscheidend zur architektonischen Qualität bei, und der Wohnraum lebt von der völligen Transparenz zu den Vorgärten. Zugleich ist Intimität auf Grund der flexiblen Lamellenelemente jederzeit möglich. Die zwei Geschosse hohe Loggia wird dabei zur raumhaltigen Schicht zwischen Innen- und Aussenraum.

Dynamisierung der Form

Henke und Schreieck beherrschen auch die grosse städtebauliche Geste. Exemplarisches Beispiel dafür ist die Sozial- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Innsbruck, wiederum Resultat eines Wettbewerbes und 1998 fertig gestellt. Die Architekten schufen nicht nur einen geschützten öffentlichen Raum vor dem Haupttrakt, sondern auch einen grosszügigen Innenraum. So liegt in der Mitte der beiden Längstrakte eine glasgedeckte Halle mit einer einläufigen Treppe, die den Raum kaskadenartig erschliesst. Eine weitere Besonderheit stellen die geschwungenen Elemente dar, die diesen 200 Meter langen Fakultätstrakt konterkarieren: ein amöbenhaft geformter Bauteil und eine lang gestreckte, gekrümmte Betonmauer, die den Bau quer durchschneidet. Auch wenn diesen Bauteilen eine räumliche und funktionelle Begründung zugrunde liegt, spiegeln sie doch die zunehmende organische Tendenz unserer Zeit wider.

Bei anderen Projekten wurde diese Haltung schliesslich konstitutiv für den Baukörper, und besonders beim Baumarkt «Baumax» in Schwechat drückt sich das Interesse an einer «dynamischen Weiterentwicklung der Moderne» aus. hier verbindet eine breite Rundung die lang gestreckten Seitenfassaden. Die abstrakte Organik steigert sich zu einer expressiven Dynamik. Die zunächst geschlossenen, breiten Lamellen vor den Glasfronten drehen sich zur Rundung hin kontinuierlich in die Horizontale, die Front kippt zudem nach vorne. Der Baukörper hebt sich allmählich vom Boden ab, und die Dachkante schwingt nach oben. Die Schnittzeichnung suggeriert in der Folge das Dampfermotiv - mit dem Werbeobjekt des «Mega bau-Max» als Schornstein.

Ein besonders prestigeträchtiges Projekt ist derzeit die Renovierung und Erweiterung des ehemaligen Turmhotels Seeber von Lois Welzenbacher in Hall in Tirol, errichtet im Jahr 1931. Das Gebäude führt mit seinen auskragenden, eine Drehbewegung andeutenden Balkonen eine exemplarische Gestaltung des abstrakten Baukörpers der Moderne vor. Die jetzige Renovierung beziehungsweise Adaptierung geht auf die Initiative einer Architektengruppe zurück, die auch die Gefahr des Abrisses abwendete. Bei dem Wettbewerb, der zudem eine Erweiterung zum Thema hatte, erlangte das Projekt von Henke und Schreieck zwar nur den zweiten Preis, dennoch realisieren sie ihr Projekt, was zu Kontroversen führte. Doch ihr Entwurf überzeugt in seiner Prägnanz. Sie setzen einen sich nach oben verbreiternden Zylinder in einiger Entfernung zum Bau von Welzenbacher, auch hier mit Glasfassade und breiten, horizontalen Lamellen davor. Trotz oder vielleicht gerade wegen des Gegensatzes und seiner In-sich-Geschlossenheit lässt dieser Körper den Bau von Welzenbacher nach wie vor wirken. Es entsteht ein Dialog des Konträren. Die erdgeschossige Verbindung des Neubaus mit dem Welzenbacher-Bau und dem Kurhaus, die den Gastronomiebereich aufnimmt, war ein zentrales Argument, dieses Projekt zu realisieren.

Fokus Fassade

In jüngerer Zeit findet man bei den Projekten mäandernde Baukörper, die Freiräume definieren und zugleich ausfliessen lassen. Die Assoziation Mäander entsteht natürlich primär beim Blick von oben auf das Modell. Auf diese Weise geformte Baukörper lagen dem Wettbewerbsentwurf für die Fachhochschule in Kufstein zugrunde, bei dem drei intimere Höfe in einen zentralen, grösseren übergehen. Letztes Jahr stellte man die erste Baustufe, gewissermassen die Grundform des Mäanders fertig. An drei Seiten nimmt man jetzt einen einfachen Kubus wahr. Einmal mehr findet man hier eine klare räumliche Organisation mit zentraler Aula und ringsum laufenden Klassenräumen. Wettbewerb und Projekt entstanden auf Initiative des Bauherrn, dessen Engagement es zudem ermöglichte, ein innovatives Fassadensystem zu entwickeln. Dieses oszilliert zwischen dem Eindruck der Flächigkeit, den die leichte gläserne Aussenhülle weckt, und der Tiefe unmittelbar dahinter. Denn die Isolierverglasung sitzt weit innen, dazwischen liegen die langen und dünnen «Fassadenpfosten», die einen prägnanten Vertikalrhythmus entstehen lassen. Auf diesem modernen Typus des Kastenfensters beruht die zweischalige Klimafassade mit kontrollierter Be- und Entlüftung, die dem anschaulichen Unterricht von Facility-Management dient.

Bei einem aktuellen Projekt wird das Thema der zweischaligen Fassade im Sinne von transluzenter Verhüllung und differenzierten Aus- und Durchblicken weiterentwickelt. Ein neuer «Kaipalast» soll den alten am Franz-Josefs-Kai mit Blick auf den Donaukanal ersetzen. Der Bau von 1912 repräsentierte einen der ersten Eisenbetonbauten von Wien, doch dessen Konstruktion war zu marod, um erhalten zu werden. Der Abbruch war dennoch umstritten, zugleich führte Zürich Kosmos als Bauherr einen geladenen Wettbewerb durch. Das Siegerprojekt von Henke und Schreieck nimmt die Eck-Konfiguration auf und entwickelt seine Eigenart einmal mehr über die Fassade. Ganz im Sinne der Zeit, die den einfachen Kubus immer weiter differenziert, entwickelt schliesslich der Hofraum eine besondere skulpturale Eigenart. Bei dem unregelmässigen Gebilde mit etlichen Vor- und Rücksprüngen durchstossen einzelne Lufträume die Fassaden und paraphrasieren tatsächliche Fenster, die es sonst an der milchigen Aussenhaut mit den lamellenartigen Drehelementen nicht gibt. In funktionaler Hinsicht lockert diese Form den allzu engen, schlecht belichteten Innenhof auf und versucht, über die Fassade zusätzliches Licht hereinzuholen. In ästhetischer Hinsicht bildet der skulpturale Hofraum den Gegenpol zum homogenen äusseren Kubus und erinnert verblüffend an Skulpturen von Eduardo Chillida.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.10.04



verknüpfte Akteure
Henke Schreieck Architekten

01. Februar 2002Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Von der Alhambra lernen

Bezüglich seiner Architekturentwicklung steht Granada auch heute im Bann der Alhambra. Die Öffnung geht nur zögerlich vonstatten. Ein zentrales Beispiel zeitgenössischer Architektur entstand nun an der südlichen Peripherie der Stadt.

Bezüglich seiner Architekturentwicklung steht Granada auch heute im Bann der Alhambra. Die Öffnung geht nur zögerlich vonstatten. Ein zentrales Beispiel zeitgenössischer Architektur entstand nun an der südlichen Peripherie der Stadt.

Die berühmte Ansicht der Alhambra mit der schneebedeckten Sierra Nevada im Hintergrund muss man suchen. Denn Granada bietet eigentlich ein völlig anderes Bild - jenes einer lauten Stadt, deren Reize sich erst nach und nach erschliessen. Die maurische Burganlage verbindet die Strenge der äusseren Erscheinung mit dem gestalterischen Reichtum des Inneren. Auch wenn man auf beinahe überbordende Ornamentik trifft, so ist die Folie dafür zumeist klar und einfach. Zu Beginn der neunziger Jahre liess sich Jacques Herzog von diesen Mustern inspirieren. Rückblickend war dies ein erster Schritt, um ein langeZeit tabuisiertes Thema in die Diskussion zurückzuholen. Heute ist das Thema Ornament wieder salonfähig, beinahe sogar populär.


Wasser als Gestaltungselement

Die Alhambra liegt wie eine Stadt für sich etwas entrückt am Hügel. Dort konzentriert man sich zurzeit auf archäologische Ausgrabungen und Restaurierungen, die die Umgebung des Alhambra-Bereiches mit einschliessen. Die architektonischen Eingriffe des letzten Jahrzehnts sprecheneine reduzierte und durchaus vorbildliche Sprache. Sogar die aus der Mitte der fünfziger Jahre stammende Freilichtbühne des Generalife wirkt erstaunlich aktuell, so dass die adaptierten Ausstellungsräume im Palast Karls V. logisch daran anschliessen. Auch Details wie kleine, mobile Rampen sind entsprechend gestaltet. Entscheidend war schliesslich die Neugestaltung des Zugangsbereiches beziehungsweise der Parkplatzanlagen, um den grossen Besucherandrang organisatorisch zu bewältigen. Zuvor verstellten nämlich Autos weite Bereiche des Parkes zwischen der Alhambra und der Stadt bis hin zum Palast Karls V. Man schrieb deshalb Ende der achtziger Jahre einen Wettbewerb aus, den die Wiener Architekten Erich Hubmann und Andreas Vass gewannen. Vor vier Jahren stellte man das Projekt fertig, und heute präsentieren sich die Parkplätze selbstverständlich und beinahe unauffällig.

Die Zufahrt wurde zum einen weit abseits an die Ostseite des Alhambra-Hügels verlegt, während das Stadtzentrum an dessen Westseite liegt. Die Parkflächen folgen der Topographie, und die dicht gepflanzten, bereits stattlichen Bäumen verdecken zunehmend die Autos. So artikulieren sichdie architektonischen Massnahmen, die von Beginn an in ihrer Weitläufigkeit etwas schwer zu überblicken waren, abgesehen von einem guten Funktionsablauf immer mehr über architektonische Details. Und diese sind in ihrem Béton brutbetont minimalistisch und karg. Damit sind insbesondere die Bewässerungskanäle gemeint, die das langgestreckte Gelände in der Querrichtung durchziehen und strukturieren. Wie im Generalife ein kleiner Wasserlauf in eine Treppenbrüstung integriert ist und man die Hand in der heissen Jahreszeit im Vorbeigehen kühlen kann, so wird man auch hier vom Wasser begleitet. Doch das System ist technischer, und die Architekten wollten die Idee eines Bewässerungssystems als Metapher einer früheren agrarischen Kultur mit denParkplätzen verbinden. Aber auch die Wasserbecken der Alhambra lassen sich assoziieren.

Eine explizite Trennung von Bewässerungszonen und Parkplätzen musste schliesslich aus pragmatischen Überlegungen einer stärkeren Integration dieser Funktionen weichen. Bei genauerem Blick präsentieren sich die Anlagen als praktisch konzipierte und zugleich künstlerisch überhöhte Komposition. Dies vermittelt sich heute trotz entscheidenden Veränderungen nach Fertigstellung. Vor dem Eingang in die Alhambra verdichtet sich die skulpturale Gestaltung. Hier befindet sich neben einem Bewässerungskanal ein grosses, flaches, aufgestelztes Wasserbecken, das den Besuchern eine verschattete Zone bietet. Die plastische Modellierung der tragenden Wände des Beckens visualisieren wieder jene architektonisch-ästhetische Idee jenseits reiner Funktion, die dem Projekt insgesamt zugrunde liegt.

Die modernen Eingriffe im und um den Alhambra-Bereich belegen, dass Tradition und Neuerung unmittelbar miteinander vereinbar sind. Dennoch entzünden sich an diesem Thema heftige Kontroversen; bestes Beispiel dafür ist die Planung eines Geschäfts- und Wohnhauses von Alvaro Siza im Stadtzentrum. Es fehlt eine übergeordnete Strategie, den konträren Anforderungen von Vergangenheit und Gegenwart gleichermassen gerecht zu werden. Eine Strategie fehlt aber auch für den Stadtrand, wo die hemmende Tradition eigentlich fehlt. An der südlichen Peripherie sticht seit kurzem ein mächtiger grauer Block ins Auge, der Hauptsitz der Caja General de Ahorros de Granada, nach Alhambra und Sierra Nevada drittes und neustes Symbol der Stadt. Der strenge Kubus wirkt in sich geschlossen und abweisend, ein erratischer Block in einer Gegend von Zufälligkeiten und Spekulationen. In der Unwirtlichkeit dieser Peripherie erfreuen sich romantische Architekturmotive besonderer Beliebtheit und bilden gleichsam den Hintergrund für den Neubau des Madrider Architekten Alberto Campo Baeza, der aus einem 1992 durchgeführten Wettbewerb hervorging.

Die distanzierte und zugleich kraftvolle Geste stellt eine mögliche Reaktion auf die disparate Umgebung dar. Der graue, schwere Kubus strahlt Ruhe aus. Diagonal konzipiert, bilden die Seiten gegen Norden geschlossene, plane Flächen, die nur von schmalen, horizontalen Fensterbändern fein durchlöchert werden. Gegen Südosten und Südwesten fällt der mächtige Betonrahmen stärker auf, denn hier umfasst er ein Quadratraster mit tief innenliegenden Fenstern. Licht ist hier im Überfluss vorhanden, und so wirken die Südfassaden als Brise soleil. In die rüde und auf den ersten Blick simpel wirkende Komposition packt Campo Baeza eine Reihe architektonischer Themen. Die Referenzen des strengen Baukörpersmit dem Raster der quadratischen Öffnungen reichen vom Madrider Gewerkschaftsbau der vierziger Jahre über Aldo Rossi bis zu Max Dudler und Diener & Diener in die Gegenwart.


Monumentale Halle

Betritt man die Bank, wird man unmittelbar in das Atrium geführt und ist von dessen Weite überrascht. Vier überdimensionale Säulen ragen in die Höhe und verleihen dem Raum seine spezifische Monumentalität, die eindrucksvoll, aber nicht erdrückend wirkt. So einfach dieser Raum zunächst wirkt, so vielfältig ist er schliesslich im Gesamten. Zunächst ist das Auditorium als kleine Box hineingestellt, wohl auch um die Dimension im Eingangsgeschoss etwas zu reduzieren. Zwei der Säulen ragen aus dieser Box. Ähnlich wie die äusseren sind auch die inneren Fassaden diagonal konzipiert - zwei als geschlossene, im Licht aber changierende und sich daher als dünne Haut artikulierende Alabasterflächen, zwei als transparente Glasflächen. Eine mächtige Dachkonstruktion führt den Fassadenraster fort. Campo Baeza spielt in seinen jüngeren Projekten immer wieder mit dem Gegensatz von Stereotomie und Tektonik: Zur Caja General, deren Stützen er mit denmonumentalen Pfeilern der Kathedrale von Granada vergleicht, gibt es denn auch eine schematische Skizze, die die äussere Box als stereotomisch bezeichnet, die hineingestellten kleineren Boxen für die Büros als tektonisch.

Campo Baeza nähert sich damit einem diffizilen Thema, dessen Umsetzung um einiges komplizierter ist, als die Skizze suggeriert. Die Qualität des Baus resultiert auch aus seinen Ambivalenzen. Die Alabasterflächen im Inneren wirken sowohl massiv als auch transluzent, der tektonische Aufbau verbirgt sich. Auch die Stereotomie der äusseren Box ist keineswegs eindeutig, und die kubische Form wird vom Thema der Diagonale horizontal und vertikal überlagert. Indem die Lichtkuppeln etwas versetzt sind, wird das Licht schräg in den Innenhof geführt. Auf der obersten Ebene bietet sich eine völlig neue Perspektive. Die Bürogeschosse lassen einen Freiraum zur Dachzone; man findet sich unter anderem in einem offenen, zweigeschossigen Raum, dem nicht nur die Fenster- und die Dachkonstruktion Prägnanz verleihen, sondern auch die Endstücke der vorbeilaufenden, mächtigen Säulen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2002.02.01



verknüpfte Bauwerke
Hauptsitz der Caja General de Ahorros de Granada

14. Juli 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Das minimalistische Ornament

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden...

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden...

Während sich am Beginn der neunziger Jahre der einfache Baukörper als zentrales und eigenständiges Thema der Architekturentwicklung etablierte, wurden in jüngerer Zeit Grenzbereiche des Minimalistischen erforscht. Einen pointierten Ausdruck dieser Recherche bilden neue Formen des Ornamentalen, die frühere Traditionen weiterführen. Es handelt sich dabei um gestaltete Oberflächen, denen die Aufgabe zukommt, die Baukörper, die radikal reduziert und gleichsam verarmt sind, zu nobilitieren. Die Bibliothek in Eberswalde von Jacques Herzog und Pierre de Meuron und die Informationstechnischen Institute der TU Graz (2000) von Florian Riegler und Roger Riewe sollen in diesem Kontext eingehender betrachtet werden.

Kaum ein anderes Diktum der neueren Architekturgeschichte hat so sehr und so lange das Bewusstsein geprägt wie jenes von Adolf Loos aus dem Jahr 1908, laut dem das Ornament „Verbrechen“ sei. Resultierte es ursprünglich aus einer Polemik gegen die schwülstigen Auswüchse des Historismus, so galt es in der Folge als Beleg dafür, dass zeitgemässe Architektur davon befreit zu sein habe. Doch das flotte Zitieren vergass auch die differenzierte Argumentation. Der Titel des Aufsatzes lautete „Ornament und Verbrechen“; später distanzierte sich Loos explizit von einer systematischen und konsequenten Abschaffung des Ornaments. Er selbst verwendete nicht nur den blossen, spröden Kubus, sondern auch ornamentale Elemente. Dennoch kam es einem Tabubruch gleich, als Herzog & de Meuron im Zusammenhang mit dem Entwurf für ihre Bibliothek der Fachhochschule in Eberswalde (1999) von der Tätowierung des Gebäudes sprachen und das Äussere mit einer Bilderhaut überzogen. Ganz anders gingen Florian Riegler und Roger Riewe bei ihrem Konzept für die Informationstechnischen Institute der TU Graz (2000) auf den Inffeldgründen vor. Doch auch hier findet man pure Kuben; mittels einer dichten und unregelmässigen Fenstersetzung entsteht eine Art Muster. Oder vielleicht doch ein Ornament oder ein ornamentales Muster? Im Sinne eines Oxymorons überlagert sich Konträres. Eine frühere Dichotomie wird aufgehoben, und es entsteht etwas Neues, das als konsequente Fortsetzung unterschiedlicher Traditionen gelten kann.


Theoretische Grundlagen

Fülle, ungezügelte Phantasie und reicher Schmuck einerseits sowie Reduktion, Vernunft und Konzentration auf das Wesentliche andererseits sind Zeichen konträrer Lebenshaltungen, die mit dem Begriffspaar apollinisch - dionysisch bis in die griechische Mythologie zurückreichen. Während einfache Form und pure Materialität wiederkehrende Themen des 20. Jahrhunderts bildeten, konzentrierte sich das theoretische und praktische Interesse hinsichtlich des Ornaments auf die Jahrhundertwende und die Zeit davor. Für Loos war die Befreiung vom Ornament - zeitbedingt - Ausdruck eines kulturellen Fortschritts. Dagegen steht die Überzeugung von Ernst H. Gombrich, dass es keine Kultur ohne Tradition der Ornamentik gebe. August Schmarsow widmete sich um die Jahrhundertwende so unterschiedlichen Themen wie der Raumgestaltung und der Ornamentik. Letztere bezeichnete er vorsichtig als „Uranfang aller Künste“. In der Diskussion von Gottfried Semper und Alois Riegl spitzten sich schliesslich gegensätzliche Auffassungen und Ansätze zu. Für den Ersten bildeten bekanntermassen Technik, Material und Zweck die Prämissen jeglichen Schaffens; Riegl opponierte dem und leitete seine „Geschichte der Ornamentik“ (1893) aus einem übergeordneten Kunstwollen ab. Doch auch Semper berührt letztlich die Welt des Ornaments, das für ihn Konsequenz und nicht primäres Bedürfnis ist und dessen höchster Ausdruck in der Annäherung ans Immaterielle liegt. - Die breite Diskussion zum Ornament umfasst natürlich auch Fragen seiner Definition und Abgrenzung. Aus kulturkonservativer Sicht beklagte Hans Sedlmayr Mitte des 20. Jahrhunderts den „Tod des Ornaments“, und er verwendete den Begriff des ornamentalen Musters. Gerade die Grenzbereiche - und zwar sowohl zum Muster als auch zum Bildhaften - präsentieren sich als die aktuellen Topoi, eingebettet in die jeweilige Entwurfsstrategie der Architekten. Die traditionellen Grundlagen bleiben weiterhin gültig. So grenzt sich das Ornament vom blossen Muster dahingehend ab, dass es seinen Träger beziehungsweise dessen Form interpretiere, was antike Vasen auf schöne Weise veranschaulichen. Hinsichtlich des Bildes sind zusätzlich Abstraktion und Entindividualisierung ausschlaggebend. Wenn die Fenstersetzung bei Rieger & Riewe zum abstrakten Muster tendiert und Herzog & de Meuron sich unmittelbar des Bildes bedienen, vexiert beides und kippt am Ende ins Ornamentale.

Dies beruht im Sinne eines paradigmatischen Widerspruchs auf einer äussersten Reduktion, und zwar in doppelter Hinsicht. Das neue Ornament artikuliert sich als solches minimalistisch, und es verbindet sich mit einer spezifischen Tendenz, für die der einfache Baukörper die Grundlage bildet. Für Letzteres stellt die Minimal Art der sechziger Jahre insofern eine Voraussetzung dar, als sich damals ein besonderer, plastischer Umgang mit einfachen Volumina etablierte, der in der Folge auch den Blick auf den Kubus der Moderne fundamental veränderte. In den sechziger Jahren brachte man mit dem Ganzen der Körper neue Relationen ins Spiel, sowohl jene zwischen den Teilen als auch die zum umgebenden Raum. Das körperliche Erfahren wurde konstitutiv für das visuelle. Die architektonische Fortsetzung dessen beruht auf der betonten Bündigkeit der Quader in Eberswalde, aber auch auf den Inffeldgründen in Graz.


Ornamentale Fenstersetzung

Die Bauten in Eberswalde und Graz sind jeweils Ausdruck einer umfassenden Entwurfsstrategie, gewissermassen die Pointierung einer spezifischen Thematik. Riegler & Riewe stellten Mitte der neunziger Jahre einen Wohnbau in Graz-Strassgang fertig. Mit diesem Low-cost- Projekt entwickelten sie auf allen Ebenen eine extreme Reduktion: hinsichtlich des Baukörpers, der Materialität, der Wohnungstypologie und damit auch der Interpretation der Funktionen. Die lang gestreckte Sichtbeton-Box scheint einfach auf den flachen Grund gesetzt, obwohl sie unterkellert ist. Differenziert wird dieses pure Konzept mittels der Schiebeelemente aus Nylon und Streckmetall vor den raumhohen Öffnungen. Auf diese Weise überzieht ein gleichmässiges, sich stetig veränderndes Muster die drei Geschosse. Man kann von einem seriellen Streifenmuster sprechen, das knapp vor der Betonfassade deren Konturen wiederholt und eine Art Reliefierung mit starker Schattenwirkung darstellt. Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Ansichtszeichnung, die die Architekten als langes, in sich strukturiertes Rechteck ohne jeglichen Umraum publizierten, und die frontale Photographie. Dabei vermittelt sich die Flächigkeit der Fassade, mehr noch, deren Isotropie, die sich eigentlich erst auf Grund des Musters ausdrückt. Die Photographie zeigt verschiedene horizontale Streifen: eine Betonfläche im Vordergrund, das Erdreich, den Baukörper und darüber den Himmel. Natürlich reicht der Baukörper seitlich über das Bild hinaus, und die Fassade wird zur tendenziell unendlich sich fortsetzenden Fläche. Das Fassadenmuster unterstreicht dies, beziehungsweise es konstituiert die essenzielle Idee des Entwurfes.
Das 1998 fertiggestellte Bundesinstitut für Sozialpädagogik in Baden bei Wien setzt dies subtil fort. Riegler & Riewe verwenden hier drei autonome Körper, die aber auch Raum definieren. Den Mittelpunkt bildet der quer gelagerte, fünfgeschossige, mit einer Glashaut überzogene und daher grünlich schimmernde Haupttrakt. An den Längsseiten steht das Kellergeschoss frei. Dies hat natürlich praktische Gründe und wird am Ende zu einem integralen Teil des ästhetischen Konzeptes. Die räumliche Organisation ist simpel; ein Mittelgang, der sich zu einer Halle erweitert, erschliesst die Klassenräume an der Nordseite. Die Fassadenkomposition sticht noch mehr ins Auge als beim früheren Bau. Kleine Öffnungen sind gleichmässig verteilt, an der Südseite weniger, an der Nordseite mehr. Dies verbindet sich mit einem innovativen Heizkonzept, bei dem die südseitige Betonwand als grossflächiger Sonnenkollektor wirkt. Besonders an der Nordseite artikuliert sich auf Grund der stärkeren Durchlöcherung wieder ein gleichförmiges und atektonisches Fassadenmuster. Blickt man vom Park auf den grünlich schimmernden Körper, so versinkt dieser auf Grund des Grabens nun scheinbar im Boden. Die tendenzielle Unendlichkeit der Fassadenfläche wird unmittelbar vor Augen geführt, und das Muster kippt ins Ornamentale.


Städtebauliche Implikationen

Bei den Informationstechnischen Instituten der TU Graz verwenden Riegler & Riewe mit dem lang gestreckten Sichtbetonkörper das Pendant zur glasumhüllten Box. Die Fenster wurden in jedem Geschoss wieder gesplittet und sitzen noch dichter als beim Schulbau in Baden. Auch bei dem Beispiel verwandelt sich das durch die Fenstersetzung entstandene Muster in ein Ornament; dieses paraphrasiert und interpretiert die Idee sowohl des Baukörpers als auch des städtebaulichen Konzeptes insgesamt. - Bei dem Entwurf für das grosse Grundstück am Stadtrand schichtete man lange, schmale Volumina dicht nebeneinander. Bei den besonders eng gesetzten fungiert der Zwischenraum als glasgedeckte Halle; daneben entspricht der Querschnitt der Aussenräume annähernd jenem der Volumina. Baukörper und Raumkörper verwandeln sich einander an, und diese Relation von „void“ und „solid“ wurde bereits von der Minimal Art vorgeführt. Die texturhafte, antihierarchische Komposition füllt nach der letzten Baustufe das rechteckige Grundstück und geriert sich ähnlich autonom wie der einzelne Baukörper.

Variiert wird dieses strenge geometrische Konzept durch die flexiblen Längen der Boxen. Im zentralen Bereich entstehen unregelmässige, amöbenhaft fliessende Aussenräume, die aber auch in die betont langen und schmalen Zwischenräume übergehen. Ein einfaches Grundkonzept entfaltet sich zu einer besonderen Komplexität, wobei das körperliche Erfahren der unterschiedlichen Aussenräume wesentlich wird. Daneben birgt der Wechsel der lang gestreckten, tendenziell unendlichen Innenhallen mit den stark rhythmisierten Querwegen eben diese Erfahrung. So streng der einzelne Baukörper ist, so frei und beinahe verspielt wirken die variablen Längen, auch wenn diese funktionale Anforderungen reflektieren.


Bild contra Ornament

Die Bibliothek in Eberswalde spielt mit der konträren Form des Ornaments. Im OEuvre von Herzog & de Meuron stellen sowohl das nicht abstrakte, figürliche Haus als auch der einfache Kubus kontinuierliche Themen dar. Die neutrale Box bildet dabei den Hintergrund zur vielfältigen strukturellen und materiellen Differenzierung der Fassade bis hin zur Umhüllung mit einer kontinuierlichen Bilderhaut. Die Bibliothek vexiert zwischen dem Banalen und dem Elaborierten. Die freistehende Box ist rüde, vielleicht noch mehr als jene von Riegler & Riewe, das räumliche Konzept vergleichbar einfach. In städtebaulicher Hinsicht ergänzt sie ganz einfach die bestehenden Bauten am Campus der Fachhochschule. Das ästhetische Spiel mit der Wahrnehmung verdichtet sich an der Oberfläche, und zwar an der äussersten Oberfläche. Gottfried Semper pries die Farbe als das immateriellste Bekleidungsmittel; Herzog & de Meuron gelang es, diese Idee noch weiter zu steigern. Die äusserst plastisch wirkenden Bilder resultieren nämlich allein aus der Differenzierung des Betons und der Fenster in raue und glatte Flächen und sind materiell gewissermassen gar nicht existent.

Mittels eines speziell entwickelten Waschbetonverfahrens, das bereits bei der Sportanlage Pfaffenholz angewendet worden war, wurden Zeitungsbilder aus dem Archiv von Thomas Ruff im metaphorischen Sinn auf die einzelnen Betonplatten gedruckt und damit zum zweiten Mal verfremdet. Vom Ornamentfries bis zur flächenhaften Hülle, von der Textur bis zum einzelnen Bild, von tiefen Schatten bis zur glänzenden Oberfläche reichen die Eindrücke - je nach Blickwinkel und Distanz. Mit den Bildern werden Geschichten erzählt, und es wird die Oberflächenmaterialität zu einer äussersten Differenzierung getrieben.

Zur Betonwand der Ricola-Produktions- und -Lagerhalle in Mülhausen meint Jacques Herzog: „Einen oder zwei Tage nach dem Regen rinnt immer noch Wasser ganz langsam herunter fast wie in einem 24-Stunden-Video von Douglas Gordon. Wenn die Wand feucht ist, erscheint sie transparenter als die Glaswand, ein Effekt, den wir wirklich lieben, weil er nicht nur schön ist, sondern auch Fragen nach Festigkeit und Transparenz stellt.“ In Eberswalde bergen die Schatten eine gewisse Schwere, während das Texturhafte die massive Wand mit einer leichten Struktur überlagert.
Bei den Bauten von Herzog & de Meuron kommen immer wieder Einflüsse der Minimal Art ins Spiel. Betont körperlich erfährt man den Raum zwischen Rückfassade und Felswand beim Ricola-Lagerhaus in Laufen, und beim Steinhaus in Tavole stellt man auf diese Weise wechselnde Relationen zwischen dem Kubus und dem Raumgitter her. In Eberswalde hat sich dieser Kubus gänzlich auf sich selbst zurückgezogen. Mittels der Bewegung erlebt man das Changieren der Fassade. Die Bilderhaut bedeutet die Nobilitierung eines Baukörpers, der radikal reduziert und gleichsam verarmt ist. Traditionelle Implikationen des Ornaments, zu denen ausserdem das Phantasievolle und das Luxuriöse zählen, kommen wieder zum Ausdruck. Man kann von Textur contra Bild, aber auch von Realistik contra Abstraktion sprechen. Doch auch bei diesem Beispiel stellt sich die Frage, ob die elaborierte Oberfläche die Form des Volumens in ihrer Essenz interpretiert und zum Ornament wird. Betrachtet man die einzelnen Friese, so umhüllen und umwickeln diese den autonomen Kubus in seiner Reinheit und Bündigkeit. Sie betonen dabei seine In-sich-Geschlossenheit und radikalisieren letztlich die Idee des Solitärs.


Hülle und Kern

Diese subjektiven Interpretationen eines Ornamentalen entwickeln sich aus einer subtilen Materialdifferenzierung heraus. Man bemerkt ausserdem Parallelitäten innerhalb der Architekturentwicklung; so setzte Elsa Prochazka bei ihrem Umbau für Coca-Cola an einer südlichen Ausfallstrasse von Wien ebenfalls die Fenster wie zufällig verstreut - mit dem Argument der besseren Belichtung für die Computerarbeitsplätze. Doch ihre Haltung stellt eine moderat-moderne dar, die anderen präsentieren sich dezidierter. In Eberswalde wie auch auf den Inffeldgründen in Graz wird der pure Kubus in aller Entschiedenheit vor Augen geführt, also gleichsam der gute und wahre Kern. Werner Oechslin wies auf die Wertverschiebung am Beginn des 20. Jahrhunderts von der oberflächlichen Hülle zugunsten dieses Kerns hin. Jetzt kehrt beides gemeinsam zurück und damit auch Gegensätze wie Gebrauchszweck und Kunstzweck, Kernform und Kunstform, Kern und Hülle oder auch nackter Baukörper und Bekleidung. Oechslin zeichnet jene Entwicklung nach, die nach dem Abwerfen der Stilhülsen des 19. Jahrhunderts im befreiten, zeitlosen und ewigen Kern mündete. Wenn sich über den radikalisierten Kern jetzt eine neue Ornamenthülle legt, so bleibt die Frage nach dem Verhältnis der neuen Hülle zu eben diesem Kern.

Den Zeichen der Zeit mit ihren Ambivalenzen folgend, suggerieren die Beispiele von Riegler & Riewe einen klaren und eindeutigen Kern und heben diesen Eindruck im selben Moment wieder auf. Die geschlossenen Stirnseiten der Bauten auf den Grazer Inffeldgründen rücken im ersten Moment den Eindruck des massiven Kerns ganz in den Vordergrund. Doch bald bemerkt man die Fugen knapp neben den Kanten. An den Längsseiten wurden dünne Betonscheiben vorgeblendet, die zudem auf Grund ihrer starken Durchlöcherung nicht tragend sein können.

Die Scheiben interpretieren die klassischerweise Glasstrukturen überantwortete Funktion der Curtain-Wall; die Stützen dahinter bilden das Gestell, das mit den durchlöcherten, dennoch massiven Elementen bekleidet wird. Herzog & de Meuron liegen hingegen viel näher bei einem wirklichen Kern. Zwar findet man auch bei der Bibliothek einen Skelettbau, und der Kubus wird durch die horizontal laufenden Glasbänder unterbrochen. Doch prinzipiell bilden die Fassaden eine Einheit, und die freistehenden Stützen des Inneren verbinden sich mit jenen der Aussenwand. Alle Teile gemeinsam ergeben ein zusammenhängendes statisches System, und dieses fungiert als Träger für die Tafeln der Fassade. Der wahre Kern scheint zurückgekehrt, unverfälscht und bloss, umhüllt von einer ungreifbaren und umso intensiver wirkenden Bilderhaut.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2001.07.14

04. Mai 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Im Inneren der Stadttextur

Im Inneren der Stadttextur
Die jüngsten Bauten von Christian Jabornegg und András Pálffy in Wien

Im Inneren der Stadttextur
Die jüngsten Bauten von Christian Jabornegg und András Pálffy in Wien

Nach der Gestaltung eines Modegeschäfts entwickelten Jabornegg und Pálffy ihre sinnliche Formensprache konsequent weiter und etablierten mit der Generali Foundation eine eindrückliche Form des Minimalismus. Der Umbau der SKWB-Schoellerbank und die Räumlichkeiten des Museums am Judenplatz schliessen eng daran an.

Die Gestaltung von Geschäften und Lokalen bot in Wien immer wieder ein zentrales Betätigungsfeld für Architekten. Herausragende Entwürfe von Adolf Loos über Hans Hollein bis Coop Himmelblau tragen heute zum Flair der Wiener Innenstadt bei und erzählen Architekturgeschichte. Auch für Christian Jabornegg und András Pálffy stand dieses Thema am Beginn der Zusammenarbeit. Mit dem Modegeschäft Pregenzer in Wien-Wieden formulierten sie prägnant und sinnlich ihre konzeptionelle Haltung. Der hohe Raum in dem Gründerzeithaus wurde zu einem von allen Einbauten gereinigten Hintergrund für neue Elemente mit kräftigen Farben. So liegen rote, horizontale Präsentationstafeln direkt hinter den Schaufenstern; ein Fries aus auf Rahmen gespannten gelben Stoffbahnen, die das Licht von Neonröhren streuen, gibt dem Raum im oberen Drittel der Wände optischen Halt und verleiht ihm einen besonderen Reiz.

Die abstrakte Gestaltung, die jedes der hinzugefügten Elemente als Linie oder als Fläche versteht, rekurriert auf das Flächenparadigma der Moderne. Bei den jüngeren Transformationen vorhandener Bausubstanz ist diese Idee weiterhin vorhanden, wenn auch weniger offensichtlich. - Jabornegg und Pálffy dringen immer wieder ins Innere der Stadttextur vor, und die Situationen präsentieren sich dementsprechend komplex. Doch es gelingt den beiden Mittvierzigern - was für Wiener Architekten noch als jung gilt - immer wieder, die schwierige Ausgangslage zu klären. Dies gilt in besonderem Masse für die vor fünf Jahren fertiggestellte Generali Foundation in unmittelbarer Nähe des Modegeschäfts Pregenzer. Die Ausstellungsräume befinden sich auf dem Areal einer ehemaligen Hutfabrik im Hinterhof. Knapp hinter dem Strassentrakt erhebt sich ein zweiter Haustrakt sowie unmittelbar damit verbunden, etwas eingezwängt und daher unregelmässig trapezförmig, die zentrale Ausstellungshalle. Sie übernimmt die Umrisse der früheren Fabrikationshalle, ist jedoch neu gebaut. Der Entwurf verbindet auf souveräne Weise die Trapezfläche mit der Grundfläche des zweiten Haustrakts und einem schmalen Hofbereich davor. Jabornegg und Pálffy gelang es, ruhige Ausstellungsräume zu schaffen. Zugleich entwickelt sich ein komplexer Raumfluss zwischen der langgestreckten, sich verjüngenden grossen Halle, dem quadratischen Mittelbereich und der quergelagerten, kleinen Halle. Im Hauptraum knüpfen die Architekten explizit an das frühere Entwurfskonzept an, denn eine lange Betonwand steht als konstruktives Element frei und wirkt somit als Fläche für sich. Vergleichbares gilt für die transluzente Lichtdecke, die - mit etwas Abstand - knapp über diese Wand greift. Beide Elemente präsentieren sich als Flächenkomposition, die nun konstitutiv für den Innenraum ist.


Vom Museumsbau zum Bankgebäude

Mit der Generali Foundation etablierten sich die zuvor nur Insidern bekannten Architekten in der Wiener Szene. Mit diesem Um- beziehungsweise Neubau formulierten sie ihre grundsätzlichen Themen und nahmen gewissermassen auch ihre nächsten Bauaufgaben vorweg: den Umbau der SKWB-Schoellerbank im Palais Rothschild nahe der Wiener Freyung und die Gestaltung des Museums am Judenplatz (NZZ 26. 10. 00). Letzteres steht in Verbindung mit dem Shoah-Mahnmal von Rachel Whiteread. Beide Bauten wurden nach langen und kontroversen Diskussionen vor wenigen Monaten feierlich der Öffentlichkeit übergeben. Die grundsätzliche Abstraktion der Architektur sowie ein vergleichbarer Materialkatalog und eine äusserste Präzision in der Durchführung verbinden die Bauwerke. Betritt man die Bank, so glaubt man im ersten Moment, sich in den Ausstellungsräumlichkeiten der Generali Foundation zu befinden. Die grosse Halle im zentralen Bereich des Erdgeschosses dient hier als Mehrzwecksaal. Während jedoch bei der Generali Foundation der unregelmässige Grundstückszuschnitt die Verjüngung der Haupthalle und damit deren besondere Dynamik bedingt, wird in diesem Fall ein in seiner Klarheit klassisch wirkendes Konzept von barocken Gesten umspielt.


Minimalistische Interventionen

Jabornegg und Pálffy gewannen vor drei Jahren ein Gutachterverfahren, das als grundlegende Vorgabe die Erhaltung der Fassade des Gründerzeitbaus formulierte. Da die gesamte Innere Stadt von Wien als Schutzzone definiert ist, hat architektonisch Neues am ehesten Chancen auf Realisierung, wenn es sich nach aussen verbirgt. Im Fall der Bank erscheint die Lösung sinnvoll. Ein schmaler, quergelagerter Trakt blieb sowohl an der Strassen- als auch an der Hofseite erhalten; die Gebäudeteile dazwischen wurden abgebrochen. Ein Neubau ersetzte in diesem Bereich die über Jahre entstandene verwinkelte und somit nicht nur verwirrende, sondern auch räumlich ineffiziente Baustruktur. Über dem grossen Mehrzwecksaal im Erdgeschoss erhebt sich der annähernd quadratische Innenhof. Zwischen diesem und den beiden Altbautrakten liegt jeweils ein überschaubares Grossbüro. An den beiden Längsseiten findet man hingegen die Erschliessung, die Nasszellen und Nebenräume. Die räumlich-funktionelle Klarheit geht Hand in Hand mit energietechnischen Überlegungen. Ganz der Zeit entsprechend interpretierte man den völlig verglasten, den Büroräumen Licht und Leichtigkeit verleihenden Hof als Klimapuffer.

Sichtbeton, weisse Putzflächen, Glas und Edelstahl bilden die immer wieder verwendeten Materialien. Durchgängig ist sowohl die Lesbarkeit - Sichtbeton bedeutet Neubau, weisse Flächen Bestand - als auch die für den architektonischen Minimalismus ganz allgemein charakteristische Suche nach neuen Materialien. Diese werden aber äusserst zurückhaltend eingesetzt. So streuen bei der Generali Foundation milchig-weisse Kunststofffolien, die man als solche kaum identifiziert, das von oben einfallende Licht. Für die Überdachung des Innenhofes der Bank entwickelte man ein besonderes System mit transparenten Membranen, die in der Art von Luftkissen verwendet sind. Sie schwingen in einer fragilen Konstruktion, die in ihrer Immaterialität ins Auge sticht und die strukturelle Leichtigkeit der Glaswände um den Hof weiterführt. Präzision bedeutet für Jabornegg und Pálffy unter anderem Präzision der Materialflächen. Als solche verdeutlichen sie sich durch das Absetzen von Fugen. In der Folge wirkt im Saal der SKWB-Schoellerbank eine mächtige Betonwand wieder als eigenständige Fläche. Dieses Grundthema findet man auch bei silbrig glänzenden Türelementen, die beidseits von Glasstreifen gerahmt, oder bei Stufen, die mit deutlichem Abstand zu den Glasbrüstungen gesetzt sind. Der Bau wird subtil in seine Einzelelemente gesplittet, und die Materialwahl unterstreicht dies.


Umbau des Misrachi-Hauses

Besonderes Augenmerk legen Jabornegg und Pálffy auf die Gestaltung der Treppen, die als zweiläufige Elemente frei in den Raum oder eine Nische gestellt werden. Bereits in der Generali Foundation entstand auf diese Weise ein eindrücklicher Durchblick zwischen Treppenskulptur und Aussenwand über alle Geschosse. In der SKWB-Schoellerbank lehnen sich zwei parallele Treppenläufe an die Querwand des Hofes an und stehen im Übrigen frei. Doch indem die Elemente gegenläufig geführt sind, birgt eine einfache Geste am Ende eine gewisse Dramatik, die sich beim Blick durch den Innenhof verdeutlicht. Man assoziiert barocke Treppenführungen, obwohl eine entsprechende Axialität fehlt. Doch das Raumerlebnis wird auch mittels dieser Treppe, ihrer grünlich schimmernden Glasbrüstungen und der Neonbeleuchtung an der Unterseite inszeniert und gesteigert. - Die jüngste Treppenskulptur findet man schliesslich im Museum zum mittelalterlichen Judentum im Misrachi-Haus am Judenplatz. Die besondere Brisanz dieses Museums beruht auf seiner Nähe zum Shoah-Mahnmal, das im Gedenken an die 65 000 ermordeten österreichischen Juden errichtet wurde.

Nach jahrelangen Diskussionen präsentiert sich der Platz seit kurzem als einer der intimsten und schönsten, aber auch im politischen Sinn eindrücklichsten von Wien. Völlig frei von jeglichem Verkehr - sogar die Fiakerrouten wurden verlegt - steht nun vis-à-vis vom Lessing-Denkmal der Bücherkubus von Whiteread, der in präzise ausgeführtem, hellem Beton dem Ort Gewicht verleiht und die Geschichte unverrückbar in der Gegenwart verankert. Über Gestaltungsdetails mögen unterschiedliche Meinungen bestehen; Dimension und Situierung des Mahnmals fügen sich auf jeden Fall positiv in die Platzfiguration. Für Kontroversen sorgten in der Vergangenheit insbesondere die Grabungsfunde der mittelalterlichen Synagoge unter dem Mahnmal. Die jetzige Lösung, bei der beides getrennt voneinander präsentiert wird, erscheint als adäquate Lösung; die beiden unterschiedlichen Themen werden auf diese Weise nicht verwischt.

Jabornegg und Pálffy gestalteten drei Bereiche: die Platzoberfläche, für die sie alte Granitsteine finden konnten, die Ausstellungsräume im Erdgeschoss und Keller des Misrachi-Hauses sowie den Schauraum der archäologischen Ausgrabung der 1421 zerstörten Synagoge. In gewohnter Präzision und Zurückhaltung präsentieren sich nach der umfassenden Renovierung die überwölbten Ausstellungsräume, die dadurch ihre eigentliche Wirkung entfalten. Über einen neuen Stichgang erreicht man schliesslich den Schauraum mit den Resten der Synagoge, der leicht versetzt unter dem Mahnmal liegt. In der Abgeschlossenheit und mittels einer subtilen Lichtführung entsteht eine Stimmung, die beim im Laufe der Zeit auch diskutierten üblichen Blick von oben auf die offene Grabungsstelle nie hätte erreicht werden können. Brünierte Messingtafeln rahmen den im Halbdunkel liegenden Raum, ein neu entwickelter Lehmboden ergänzt die Materialpalette.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.05.04

06. April 2001Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Der private Lichtkörper

Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer

Mehrgeschossige Atriumhäuser von Walter Stelzhammer

In Wien findet man trotz forciertem Wohnbau kaum interessante Bauten. Eine Ausnahme bilden die Siedlungen von Walter Stelzhammer, der innerhalb eng gesteckter Grenzen zukunftsweisende Möglichkeiten auszuloten sucht. Seine jüngsten Projekte interpretieren den Zeiten und Kulturen übergreifenden Typus des Hofhauses neu.

Im Rahmen der Wiener Stadterweiterung versäumte man es, griffige städtebauliche Konzepte als Grundlage für weitere Planungen zu entwickeln. Darunter leidet auch der Wohnungsbau. Hier bilden die restriktiven Vorgaben eine weitere Hürde, sowohl was den Gemeindebau als auch den staatlich geförderten Wohnbau betrifft. Auf diesen Sektor konzentriert sich bereits seit längerer Zeit Walter Stelzhammer. In den neunziger Jahren realisierte er unter anderem Wohnbauten jenseits der Donau und am Leberberg, die in ihrem Kontext positiv auffallen. Stelzhammer kritisiert generell die Strategie, am Stadtrand - also dort, wo man mit weiten Wegen und mangelnder Infrastruktur konfrontiert ist - konventionellen Geschosswohnbau zu realisieren. Mit der Neuinterpretation des Hofhauses will er eine Alternative anbieten, die kostengünstig und wandlungsfähig ist. Das intime Atrium fasst er dabei als integrierten Licht- und Raumkörper auf.


Österreichische Tradition

Als Vorbilder nennt Stelzhammer Roland Rainer sowie seinen Lehrer Ernst Plischke. Letzterer realisierte 1932 das vor zwei Jahren von Hermann Czech wieder hergerichtete Arbeitsamt in Liesing, ein für Wien revolutionäres Beispiel des Internationalen Stils. Vom Berner Atelier 5 beeinflusst, gilt Rainer, was den Wohnbau betrifft, als Apologet des verdichteten Flachbaus. In seinen Schriften propagiert er das Hofhaus, das er von traditionellen orientalischen Kulturen herleitet. Stelzhammer entwickelt die frühen inhaltlichen und formalen Prägungen durch die österreichischen Meister kontinuierlich weiter.

Seine erste Interpretation des Atriumhauses findet man jedoch nicht im Wohnbau, sondern bei einem gründerzeitlichen Eckhaus, das er zum neuen Firmensitz der Österreichischen Beamtenversicherung umbaute und dessen Innenhof er in ein glasgedecktes Atrium verwandelte. Eine abstrakte Struktur aus Pfeilern und Öffnungen umfasst den Hof an drei Seiten; an der vierten liegt eine mattierte Glaswand. Diese Art des Atriums bildet das Grundelement der im letzten Jahr fertiggestellten Siedlung in Atzgersdorf am südlichen Stadtrand von Wien unweit des Arbeitsamtes von Plischke. Die «weisse Architektur» hebt sich prägnant von der Umgebung ab. Nicht die Formensprache, sondern die Typologie bildet das Thema. Atzgersdorf stellt die erste Realisierung in einer ganzen Reihe von Projekten dar und führt die Praktikabilität des Haustyps im städtischen Kontext vor. Bei der «Wohnarche» handelt es sich um ein streng geometrisches System, bei dem die Einzelhäuser dicht aneinander gepackt sind. Zwei U-förmig organisierte Häuser, sogenannte Spangentypen, umfassen jeweils ein Atrium, das von einer mattierten Glaswand getrennt wird. Ein minimal dimensioniertes Raumsystem soll durch die Lichtwirkung vom benachbarten Hofraum profitieren.

Natürlich braucht die starke Introvertiertheit eine psychische Affinität der Bewohner, und das Konzept zeigt in seiner Einfachheit gewisse Tücken. In Atzgersdorf wurde die Masse der eng aneinander geschachtelten Räume auf ein Minimum reduziert; in der Folge ist natürlich auch der Lichteinfall im Atrium trotz der mattierten Glaswand zum Nachbarn begrenzt. Der Raumfluss als Verbindung von Zimmern, Gang und Atrium wäre ein entscheidendes Element zur optischen Erweiterung, auch die Strenge des Systems würde durch völlig transparente Übergänge gemildert. Doch dafür wären feine Details und grossflächige Glasschiebewände notwendig. Stelzhammer ist sich dessen bewusst; die Kostenlimits setzten in dieser Hinsicht Grenzen.

Das in Atzgersdorf realisierte Konzept wurde von städtebaulichen Studien für Gebiete abseits der dichten Stadtstruktur abgeleitet. Beim Bebauungskonzept für die Gartenstadt Süssenbrunn flottieren einzelne Siedlungsquartiere frei im Grünland, und die quadratische Grundform taucht auf dieser übergeordneten Ebene wieder auf. Die kontextuellen Voraussetzungen sind dabei völlig andere, und mittels der verdichteten und klar begrenzten Elemente werden zusammenhängende Grünflächen erhalten. Dem grundsätzlich traditionellen Konzept sind konträre Themen wie Textur und Solitär beziehungsweise Raumbildung und Raumverdrängung inhärent. Evoziert man das Leben in den geordneten, autonomen Quartieren samt dem sie umgebenden, wuchernden Grün, so vermittelt sich eine romantische Idee. Man mag Ebenezer Howards Satellitenstädte assoziieren, auch wenn deren radial-konzentrische Komposition durch eine strukturelle ersetzt ist.


Introvertiertheit

Das einzelne Quartier ist auf Grund seiner Introvertiertheit auch in Zusammenhängen denkbar, wo eine Abschottung notwendig wird, etwa an lärmbelasteten Orten im innerstädtischen Bereich. Das System scheint beinahe universal anwendbar. Stelzhammer entwickelte ausserdem das Konzept eines «Zentrumsquartiers» mit infrastrukturellen Einrichtungen in den beiden unteren Ebenen und zweieinhalbgeschossigen Hofhäusern darüber. Eine solche Strategie wurde dem jüngsten städtebaulichen Expertenverfahren für den geplanten Stationsbereich der U-Bahn-Linie in Stadlau jenseits der Donau zugrunde gelegt. Natürlich tendiert jedes stringente, streng geometrische Konzept zu einer gewissen Dogmatik, die umso stärker wird, je grösser das Planungsgebiet ist. Die Flexibilität des Haustypus zeigt sich andererseits bei der heuer durchgeführten Studie für ein langes, sehr schmales Grundstück im innerstädtischen Bereich. Ein einzelner Spangentyp reiht sich hier entlang einer langen Feuermauer. Das Atrium verwandelt sich in eine Loggia, so dass sich der zuvor introvertierte Grundriss zur Umgebung öffnet. Ein zweigeschossiges Atelier, eine Einliegerwohnung und der variierte Atriumtypus werden jeweils übereinander gestapelt, aber auch diese Aufteilung ist variabel. Der Entwurf wirkt leicht und offen. Die Erschliessung erfolgt über einen abgerückten Steg und die Loggia.

Das exemplarische Vorbild für Stelzhammers Weiterentwicklung des verdichteten Flachbaus bildet die auf die sechziger Jahre zurückgehende Gartenstadt Puchenau bei Linz von Rainer. Formal bleibt die Siedlung in Atzgersdorf im Rahmen einer vertrauten, modernen Sprache. Gleichwohl benötigt der Wohnbausektor kostengünstige Konzepte, und die Variabilität des Systems beeindruckt. Mit veränderbaren Typen beschäftigte sich Stelzhammer zuletzt auch bei einem geförderten Wohnbau im zehnten Bezirk von Wien. Auf knapp sechzig Quadratmetern eröffnet sich, beginnend beim Loft, eine Vielfalt von möglichen Raumteilungen um eine zentrale Nasszelle.

Schliesslich belegen die in regelmässigen Abständen entstehenden Einfamilienhäuser, dass das Publikumsinteresse am elaborierten ästhetisch-räumlichen Experiment vorhanden ist. Bei einer Mitte der neunziger Jahre in Klosterneuburg bei Wien entstandenen Villa begegnet man einem - hinsichtlich der Proportion der Geschosse, der Verkleidung der Pfeiler mit schwarzen Glastafeln, aber auch der Integration eines an die fünfziger Jahre erinnernden Fenstermotivs - spannungsreichen weissen Kubus.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2001.04.06

01. Dezember 2000Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Architektur und Publizistik

Der 8. Wiener Architekturkongress

Der 8. Wiener Architekturkongress

Das Interesse an Architektur ist in den letzten Jahren beinahe explosionsartig gewachsen. Dies lässt sich aus dem grossen Angebot von Publikationen ableiten. In Österreich wurden zudem in den neunziger Jahren in den Bundesländern Architekturinstitutionen gegründet. Den ersten Rang beansprucht dabei das Architektur-Zentrum Wien, das seit einigen Jahren jeweils im November zu einem Architekturkongress einlädt. Diesmal stand mit der «Problematik der Architekturvermittlung» ein brisantes Thema im Mittelpunkt.

Um das weite Feld der Vermittlungsmöglichkeiten einzuschränken, konzentrierte man sich auf die Printmedien. Im Sinne einer Synopsis spannungs- und aufschlussreicher Gegensätze reihte man einzelne Themenblöcke aneinander: die Architekturkritik im Feuilleton, die Publikumszeitschriften, die Theoriemagazine und schliesslich die klassischen Architekturzeitschriften. Dabei ging leider das aktuelle Thema von Architektur und Photographie vor dem Hintergrund der Etablierung einer neuen wissenschaftlichen Disziplin unter. Immer wieder wurde der Gegensatz von tatsächlicher Kritik und sogenannter affirmativer Präsentation des Gebauten sowie von politischer und kunstsinnig-ästhetischer Haltung angesprochen. Beklagt wurde, dass die Kritik meist wirkungslos bleibe und auch riskant sei. Hier könnte gerade das Feuilleton eine entscheidende Rolle übernehmen.

Publikums- und Lifestylemagazine bildeten heute eine seriöse Informationsquelle zur Architektur, konnte man in der Programmbroschüre lesen. Dennoch wird die «attraktive Präsentation» für ein breites Publikum unter Insidern etwas skeptisch beäugt, obwohl die Architekten selbst daran interessiert sind. Dass die publikumsnahe Publizistik auch einen Erkenntnisgewinn in sich bergen kann, hätte ein weiteres Diskussionsthema dargestellt. Ganz im Gegensatz zu der Situation dieser erfolgreichen Magazine präsentiert sich jene der reinen Theoriezeitschriften, die sich an eine beschränkte Leserschaft wenden. In einer Zeit, in der von Verlagen ganz allgemein höhere Gewinne eingefordert werden, geraten diese Magazine immer mehr in Bedrängnis. So wurde die Zeitschrift «Daidalos» vor kurzem eingestellt. «Archis» ist vom gleichen Schicksal bedroht. Aber auch das Sterben klassischer Architekturmagazine sowie die Krise des Architektenstandes wurden konstatiert.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.12.01

07. Juli 2000Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Visionen für die Gesellschaft

In der Weiträumigkeit von Los Angeles zu bauen, ist für Architekten eine zwiespältige Erfahrung. Ausser Freeways, Küstenlinien, Bergen und Wolkenkratzern in einem Meer von Einfamilienhäusern gibt es hier kaum Anhaltspunkte. Dennoch haben für Thom Mayne vom Büro Morphosis städtebauliche Fragestellungen einen besonderen Stellenwert. Seinen jüngsten Bauten - zwei Schulhäusern - liegen auch soziale Überlegungen zugrunde.

In der Weiträumigkeit von Los Angeles zu bauen, ist für Architekten eine zwiespältige Erfahrung. Ausser Freeways, Küstenlinien, Bergen und Wolkenkratzern in einem Meer von Einfamilienhäusern gibt es hier kaum Anhaltspunkte. Dennoch haben für Thom Mayne vom Büro Morphosis städtebauliche Fragestellungen einen besonderen Stellenwert. Seinen jüngsten Bauten - zwei Schulhäusern - liegen auch soziale Überlegungen zugrunde.

Unbelastet von Traditionen und begünstigt durch die klimatischen Verhältnisse kann sich die Architektur in Los Angeles freier als anderswo entwickeln. Gleichzeitig fehlt die Folie einer im weitesten Sinn als Stadt definierten Textur. Dennoch haben für Thom Mayne vom Büro Morphosis städtebauliche Fragestellungen einen besonderen Stellenwert. Dem öffentlichen Raum wird eine zentrale Bedeutung eingeräumt. Mayne, der gerne das Image des Künstlerarchitekten in den Vordergrund rückt, legt seinen oft expressiven Bauten auch soziale Überlegungen zugrunde. Manchmal tragen seine Projekte sogar pragmatische Züge.


Entwurfsmethodik

Das Architekturbüro Morphosis stellt gegenwärtig neben dem Atelier von Frank Gehry das international renommierteste Architekturlabor in der bunten Szene von Los Angeles dar. Nach der Aufkündigung der Zusammenarbeit mit Michael Rotondi Anfang der neunziger Jahre wird heute Thom Mayne mit Morphosis identifiziert. Gleichwohl betont dieser die egalitäre und kollektive Form der Zusammenarbeit. Aber Mayne ist die führende Figur, die sich theoretisch äussert und die Richtung vorgibt. Lange Zeit bildete für ihn der Umbau seines eigenen Wohnhauses in Santa Monica ein reiches Experimentierfeld. Wenn er im Inneren einer bestehenden Hülle mit Fragmenten von Stützen, Balken, Wänden oder auch einer Treppe spielte und dabei eine eindrückliche Wohnatmosphäre schuf, so illustriert dieser Ansatz die Entwurfsmethodik vieler Projekte grösseren Massstabs. Das Aufsplitten eines Hauses in Grundelemente und anschliessend das Zusammensetzen aus fragmentierten Einzelteilen bildete über viele Jahre eine entwerferische Leitidee.

Im letzten Jahr stellte das Büro in Los Angeles zwei Schulbauten fertig, die sich von dieser Strategie der komplexen Collage aus heterogenen Elementen distanzieren. Sowohl die International Elementary School in Long Beach als auch die Diamond Ranch High School in Pomona entstanden in Zusammenarbeit mit Thomas Blurock Architects. Als öffentliche Schulen in einer vom Privatsektor dominierten Stadt kommt ihnen besondere Bedeutung zu. Mayne ist sich dessen bewusst und hofft auf eine Vorbildwirkung. So unterschiedlich die beiden Projekte in ihrer Erscheinung sind, so schaffen doch beide spezifische Freiräume, die im Kontext der Stadt eine besondere soziale Funktion übernehmen.

Im weiten Stadtgebiet von Long Beach wirkt die International Elementary School auf den ersten Blick beinahe enttäuschend zurückhaltend. Der Gebäudekomplex erhebt sich über einem rechteckigen Grundriss. Man nimmt ganz einfach Fassaden mit einer dezenten Farbgebung wahr. Erst bei genauerer Betrachtung bemerkt man eine für Morphosis durchaus typische skulpturale Durchformung. An einer der Hauptseiten verschränken sich zwei unterschiedlich geneigte Wände, eine davon kippt die Fensteröffnungen gleichsam nach vorne. Eine Auflösung des kohärenten Baukörpers ist hier zwar angedeutet; in anderen Entwürfen wird sie hingegen viel weiter getrieben. Gleich um die Ecke kragt aus einer blauen Fassadenfläche ein Balkon, dessen scheinbar überdimensionierte, violette Balken und Stützen ein zeichenhaftes Element entstehen lassen. Dieses Spiel mit konstruktiven Teilen, deren eigentliche Funktion in den Hintergrund tritt, findet man bei Morphosis, aber auch bei anderen Architekten in Los Angeles, immer wieder. Die Elemente werden kraftvoll inszeniert und spielen mit einer vagen Symbolik.

Doch in Long Beach sind diese wiederkehrenden Themen nur angedeutet. Der Bau dient in erster Linie seiner Funktion, die Accessoires wirken höchstens auflockernd, aber auch identitätsstiftend. Die Klassenzimmer sind einfach rechteckige Räume, die über zum Teil offene Gänge erschlossen werden. Im Inneren des Komplexes fallen schliesslich die grosszügigen Freiflächen auf, die auf unterschiedlichen Niveaus als Sportareal oder als Schulhof dienen. Die eigentliche räumliche Definition übernimmt an den Aussenkanten ein hochgestelztes, nach innen geneigtes und schliesslich geknicktes Lochblech, das sich dann über dem Eingangsbereich weiter entwickelt. Gestützt von einem filigranen Gestänge, oszilliert es zwischen Transparenz und Opazität, zwischen räumlichem Abschluss und Offenheit. Auch dieses durchscheinende Material kennt man von anderen Projekten, vom Hypo-Alpe-Adria-Zentrum in Klagenfurt oder vom Sun Tower in Seoul, wo es sich grossflächig bis in luftige Höhen faltet.

Ganz anders präsentiert sich die Diamond Ranch High School ganz im Osten des Grossraums Los Angeles. Die Santa Ana Mountains erstrecken sich hier von Südosten her weit ins Stadtgebiet hinein. In Diamond Bar, zwischen grünen Hügeln, vergisst man, dass man eben erst den Pomona Freeway verlassen hat. Die Parkplätze - im Moment riesige freie Asphaltflächen - bildeten ebenso wie die Sportflächen zentrale Entwurfselemente. Sie sind in der Grundfläche um vieles grösser als der eigentliche Bau. Doch die Topographie weit oben am Hügel erwies sich als günstig. Die Flächen wurden, den Höhenlinien folgend, um den Schulbau gruppiert und fügen sich als grosse Terrassen ins Gelände.

Die Architektur selbst präsentiert sich auffälliger. Anders als bei früheren Entwürfen entstand hier ein skulpturales Gebilde von grösserer Einheitlichkeit. Vom Parkplatz sieht man zwei Baukörper, von denen Teile hoch in die Luft greifen, sich annähern und eine Art Tor bilden. Darunter liegt der eigentliche Zugang zum Campus. Im Hintergrund - etwas erhöht - sieht man andere, zerklüftete Gebäudeteile. Über eine breite Treppe gelangt man zwischen der Turnhalle links und dem Verwaltungstrakt rechts in den zentralen Bereich der Anlage, einen mäandrierenden, lang gestreckten Aussenraum. Hier bestimmen schräge Flächen den visuellen Eindruck. Die Gebäude scheinen tatsächlich ins Wanken geraten zu sein. In einer von Erdbeben gefährdeten Zone mag diese Assoziation naheliegend sein, doch der mäandrierende Raum wirkt keineswegs bedrohlich, sondern bewegt und offen. Immer wieder blickt man über tiefer liegende Terrassen auf die Sportflächen darunter. Raum bedeutet hier Aussenraum und wird als gut nutzbarer, intimer und von fortschrittlicher Ästhetik geprägter Bereich zur zentralen Identifikationsfigur der Anlage.


Topologie

Bei den Bauten von Morphosis sticht immer wieder die äussere Konzeption ins Auge. Die spezifische innenräumliche Wirkung - in Pomona etwa bei der Turnhalle - stellt das Resultat eines Konzeptes mit anders gelagerten Prämissen dar. Die Grundlage der skulpturalen Gebäudelandschaft bildet schliesslich eine erstaunlich klare Typologie. Der lang gestreckte Platzraum erfüllt gleichsam die Funktion einer zentralen Halle, von der kammartig drei Klassentrakte ausgreifen - im Inneren wieder mit einfachen Rechteckräumen. Am Ende schweben die an die Formensprache der Moderne erinnernden weissen Trakte über der Böschung. Auf der gegenüberliegenden Seite des zentralen Bereiches erschliesst ein langer Mittelgang die Unterrichtsräume. Ein vielfältiges Wegsystem durchzieht die gesamte Schulanlage und bildet unterschiedlich konfigurierte Höfe. Den Klassentrakten ist jeweils eine von einer gekrümmten Betonmauer eingefasste Wiese zugeordnet. Was sich im Grundriss als doppelte Ohrform abbildet, die am Klassentrakt hängt und wie eine formalistische Spielerei wirkt, schafft in der Realität angenehme Aussenräume für die einzelnen Gruppen.

Mayne verfolgte bei diesem Projekt einmal mehr seine Idee der Modellierung der Landschaft. Die gefaltete Dachfläche will den Baugrund neu formen und spiegelt gleichzeitig die Unregelmässigkeit der Wände. So auffällig die Formenwelt der Diamond Ranch High School auch ist, so bescheiden sind die Materialien - Sichtbeton, Wellblech und Glas. Weisse Putzflächen über Stahlfachwerk akzentuieren die Klassentrakte. An ihrem hangseitigen Ende schliessen scharfkantig, aber auch mit deutlichem Abstand die silbrig verkleideten, kristallinen Volumen an, die die bewegten Wände des Hofraumes bilden. Kritiker mögen durchaus von potemkinschen Fassaden sprechen, hinter denen sich keine vergleichbare innenräumliche Konzeption verbirgt. Gewiss distanziert sich dieser Bau von klassischen architektonischen Themen. Er setzt zugleich ein optimistisches Zeichen: In Los Angeles wird von einem «symbol of renewed civic optimism» gesprochen.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 2000.07.07

24. Juni 2000Margit Ulama
Spectrum

Dialog mit der Landschaft

Sie bewegt sich auf einem schwierigen Terrain: die Kunst im öffentlichen Raum. Das Land Niederösterreich bemüht sich, das Feld zu ebnen. Einige Lokalaugenscheine unter der Perspektive der wechselseitigen Beeinflussung von Skulptur und Architektur.

Sie bewegt sich auf einem schwierigen Terrain: die Kunst im öffentlichen Raum. Das Land Niederösterreich bemüht sich, das Feld zu ebnen. Einige Lokalaugenscheine unter der Perspektive der wechselseitigen Beeinflussung von Skulptur und Architektur.

Kunst, die im öffentlichen Raum placiert wird, bewegt sich auf einem schwierigen Terrain. Denn indem die Kunstwerke die Intimität des Museums oder der Galerie verlassen, präsentieren sie sich in ihrem privaten Charakter der Öffentlichkeit. Man kann das Objekt der Sehnsüchte, Freude oder Irritation, das die Welt künstlerisch interpretiert, nicht mehr frei auswählen, sondern wird unweigerlich damit konfrontiert. Dies ist sicherlich die Schwierigkeit dieser Sparte von Kunst. Das Faszinierende liegt andererseits darin, daß die Objekte an einem spezifischen Ort wirken können und mit der Landschaft oder der städtischen Umgebung in unmittelbare Wechselwirkung treten.

Jenseits von Geschmacksfragen muß man Kunst immer auch für sich interpretieren, was in vielen Fällen zweifellos eine Herausforderung darstellt. Rosalind Krauss notierte, daß die Skulptur in den sechziger Jahren ein kategorisches Niemandsland betreten hätte: „it was what was on or in front of a building that was not the building, or what was in the landscape that was not the landscape.“ Diese anschauliche und in ihrer Einfachheit treffende Beobachtung wirft heute noch eine zentrale Frage auf, nämlich jene, was Kunst im öffentlichen Raum eigentlich bedeute oder welchen Kategorien sie denn folge.

In der Konsequenz drängt sich der architektonische Blickwinkel geradezu auf. Im Laufe des letzten Jahrhunderts näherten sich die unterschiedlichen Medien einander an, und die Grenzen gestalteten sich zunehmend fließend. Die Skulptur beeinflußte die Architektur, und architektonische Prinzipien bestimmten maßgeblich die skulpturale Entwicklung. Wenn man vor diesem breit gefächerten Hintergrund auf das vergangene Jahrzehnt zurückblickt, so bestätigt sich die Aktualität dieser Thematik. Es entstanden in Österreich immer wieder skulpturale Arbeiten, die architektonische Überlegungen in sich tragen beziehungsweise so einen Bezug zu ihrer Umgebung herstellen. Besonders rege hinsichtlich der Förderung der Kunst im öffentlichen Raum präsentiert sich das Land Niederösterreich, und in der Stadt Krems wurde voriges Jahr am Bahnhofsplatz ein Lichtobjekt des renommierten Künstlers Michelangelo Pistoletto fertiggestellt.

Auch in den neuen Regierungsbezirk von St. Pölten integrierte man zahlreiche Kunstwerke. Das „Alphabet“ von Heimo Zobernig und die „Hohlkopfwand“ von Hans Kupelwieser aus dem Jahr 1997 könnten unterschiedlicher nicht sein, doch beide reflektieren architektonische Themen. Zobernig realisierte mit einfachen, überdimensionalen Buchstaben eine bereits in früherer Zeit übliche Architekturinschrift und somit ein traditionelles „Vokabular der Ordnung“. Doch was vormals in die Fassade integriert war, transferierte Zobernig in die Bodenfläche. Die in verkehrter Abfolge aneinandergereihten Buchstaben bilden als lineares Element Inschrift und Platzgestaltung zugleich.

D ie Mitte bleibt dabei frei. Zobernig greift ordnend und strukturierend ein, indem er sich am Rand des Platzes bewegt und die Grenze zwischen Verwaltungs- und Kulturbezirk markiert.

So zurückhaltend sich dieses Kunstwerk dem flachen Blick des Fußgängers präsentiert, so wuchtig erscheint im Gegensatz dazu die „Hohlkopfwand“ von Kupelwieser. Wenn die Buchstabenreihe vom Klangturm aus nach Norden greift, so passiert man diese Wand auf dem Weg vom Turm zum Traisensteg. Mächtig steht sie an einer Stelle, an der die Architektur gewissermaßen in einzelne Teile zerfällt. Die Skulptur tritt in unmittelbaren Dialog mit dem massiven Gebäudevorsprung, vor dem sie steht. Die Abstufung des Gebäudes setzt sich in der Hohlkopfwand fort, und der spiegelnde Stein fungiert - an Stelle des traditionellen Sockels - als Präsentationshintergrund.

Kupelwieser spielt mit der Figürlichkeit eines anonymen Kopfes aus den zwanziger Jahren. Das Element vexiert zwischen der seriellen Reihung der Gesamtkomposition und der Monumentalität des einzelnen Kopfes.

Doch die „Skulptur“ interpretiert nicht nur ihren architektonischen Kontext, sie kann auch als stark reliefierte, klar gebaute Wand gelesen werden, und man kann insgesamt von einer vielschichtigen Interpretation des Ortes sprechen. Wie im Fall von Zobernig bietet auch hier der Klangturm den spannendsten Blick auf und über das Kunstwerk. - Auf ganz andere Weise interpretiert Gerwald Rockenschaub die Themen Schrift und Wand in seinen skulpturalen Arbeiten. Lapidar ist sein Gestus sowohl bei der Schrifttafel für die Universität Wien, die er zum Donaukanal hin an der Spittelauer Lände placierte, als auch bei der Gestaltung einer Feuermauer nahe der Triester Straße. Mit seiner Tafel „Universität Wien“ (1997) verleiht Rockenschaub der gerade auch in städtebaulicher Hinsicht bedenklichen Architektur Prägnanz. Obwohl die Integration einer Beschilderung in größere Gebäudekomplexe durchaus üblich ist, entsteht in diesem Fall ein irritierendes Moment. Der Künstler verwendete als Sockel für sein „Namensschild“ ein Brückenfragment, das erst dadurch eine Funktion erhielt. Außerdem wurde es gleichsam als surreale Aussichtsplattform kodiert. Aber natürlich fehlt an dieser Stelle der pointierte Blick. Aufgrund der Tafel weiß man jetzt, wohin die auffällige Treppe daneben führt, und der zufällige Charakter der Architektur erhielt den Anschein des Kalküls.

Mit der Gestaltung der Feuermauer an der Ecke Quellenstraße/Knöllgasse (1990) im Auftrag der Generali Foundation griff Rockenschaub in einen gründerzeitlichen Kontext ein. Bereits von der Triester Straße fällt die überdimensionale, aufgemalte Ziegelstruktur auf, die das Innere der Mauer scheinbar freilegt. Die Wandmalerei stellt natürlich ein traditionelles architektonisches Mittel dar.

A n dieser Stelle drängte sich die geschlossene Mauer des scheinbar auseinandergerissenen Hauses förmlich als Bildträger auf. Rockenschaub arbeitete mit leichten Verfremdungen, und so verwendete er für die abstrahierte tektonische Struktur die kräftigen Farben Türkis und Umbra. Auch in diesem Fall resultiert die lapidare Gestaltung aus einem bewußten Kalkül, was sich unmittelbar vermittelt.

Marianne Maderna bewegt sich mit ihren Arbeiten immer wieder und auf ganz unterschiedliche Weise im Grenzbereich von Architektur und Kunst. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre realisierte sie drei Skulpturen, die in ihrer Enigmatik die menschliche Figur auf unterschiedliche Weise interpretieren. Im Gutenbrunner Park in Baden placierte sie eine Stele, in der Salzamtgasse in Krems/Stein und in einer Allee in Horn jeweils eine Skulptur. Gerade im ersten Fall kann man von einer direkten Annäherung an den Ort sprechen, von einer mimetischen Anverwandlung der bronzenen Stele an die benachbarten Bäume. Im weitesten Sinn evoziert man auch das geschlossene Volumen einer Säule.

Auch wenn dies nicht der Chronologie der Entstehung entspricht, so kann man doch einen Dreischritt vom kompakten über den geteilten zum gefalteten Körper beobachten. Bei der Skulptur in Krems, die aufgrund von Protesten schließlich an einem nahe gelegenen Bahnübergang aufgestellt wurde, teilt sich das Volumen, und die beiden eckigen Elemente verschieben sich gegeneinander. In ihrer Abstraktion verkörpert die Skulptur Stand- und Spielbein, und die Schrittstellung erfaßt die gesamte Höhe. Aus einer anderen Perspektive knickt ein Bein knapp über dem Boden ab, das andere bleibt gestreckt.

Dieses Thema führt die Skulptur in Horn, ebenfalls aus Cor-Ten-Stahl, weiter und bringt dabei eine für die aktuelle Architektur zentrale Methodik ins Spiel: die Faltung. Maderna denkt in architektonischen Kategorien, und so nennt sie in ihrem Buch „Raum und Ausgang“ ein Kapitel „Blöcke und Faltungen“. Das geknickte Stahlband in Horn zeigt sich je nach Blickwinkel flächig oder linear, massiv oder fragil, und es schließt gleichzeitig in sich Raum ein. Die offensichtlich schreitende Figur steht dabei am Rand der Allee, beiläufig wie ein Spaziergänger, der kaum auffällt.

Hier soll also ein Einblick in ein umfassendes Thema beziehungsweise eine längere Projektstudie gewährt werden, und man könnte weitere Beispiele anführen, etwa das Denkmal für den jüdischen Friedhof in Krems von Kupelwieser, das wieder die Schrift zum zentralen Thema macht, die Installation einer Glaswand von Eva Schlegel im Rahmen der Neugestaltung des österreichischen Biennale-Pavillons oder die erst vor kurzer Zeit von Rüdiger Lainer und Erich Monitzer in der Favoritenstraße realisierte, flächig konzipierte Buchstaben-Haut, die ein aktuelles Beispiel für das anhaltende Interesse an der Integration von Schrift in die Architektur darstellt.

Kunst im öffentlichen Raum ist also ein weites Feld, und bei wirklich qualitätvollen Beispielen verwandelt sich der Kontext, manchmal eben nur durch eine kleine Geste.

Ebenfalls in den neunziger Jahren realisierte Maderna vor dem Polizeigebäude in Eisenstadt eine freistehende Skulptur, Johanna Kandl die Bodengestaltung der „Frauen-Werk-Stadt“ an der Donaufelder Straße in Wien. Die Skulptur interpretiert den postmodern-klassizistischen Bau ganz unmittelbar und verwandelt auf faszinierende Weise eine an sich uninteressante Stadtrandsituation. Kandl erhöht hingegen mit ihrer spielerischen Geste die Lebensqualität des fließenden Innenhofes.

Spectrum, Sa., 2000.06.24

18. Dezember 1999Margit Ulama
Spectrum

Jenseits aller Etikettierungen

„Aufgeschlossenheit, Modernität, Internationalität“ schrieb sich eine Kärntner Bank auf ihre Fahnen. Dieses Image spiegelt die von Morphosis entworfene Zentrale in Klagenfurt wider: ein dynamisches skulpturales Gebilde, das herkömmliche Kategorien weit hinter sich läßt.

„Aufgeschlossenheit, Modernität, Internationalität“ schrieb sich eine Kärntner Bank auf ihre Fahnen. Dieses Image spiegelt die von Morphosis entworfene Zentrale in Klagenfurt wider: ein dynamisches skulpturales Gebilde, das herkömmliche Kategorien weit hinter sich läßt.

Kürzlich stand in einer angeregten Diskussion zu fortgeschrittener Stunde auf einmal die Idee im Raum, man könnte Architektur doch in eine U- und E-Kategorie einteilen, so wie dies in der Musik üblich sei. Auf den ersten Blick ein einleuchtender Gedanke, doch die Tücke liegt auch in diesem Fall im Detail. Denn was wäre konkret der „Unterhaltung“ und was dem „Ernst“ zuzuordnen? Zu Schwierigkeiten führt insbesondere die den beiden Begriffen implizite Wertung.

Unabhängig von der Problematik, die beiden Kategorien auf das andere Medium zu übertragen, bemerkt man heute unzweifelhaft eine Tendenz, die die Architektur zum Ereignis macht. Die Rezeption wird zu einem sinnlichen, abwechslungsreichen Erlebnis, bei dem unerwartete Effekte und damit das Neue im Mittelpunkt stehen. Das Bauwerk gliedert sich damit einer Erlebniskultur ein, die alles und jedes erfaßt - doch ist dies notwendigerweise mit einer Abwertung verbunden? Der kulturelle Stellenwert muß sich bei zunehmendem sinnlichen Vergnügen nicht unbedingt verringern.

Als architektonisches Ereignis par excellence präsentiert sich die neue Hypo-Bank-Zentrale in Klagenfurt von Morphosis, die einem vielfältigen Szenario für die Sinne einen avancierten kulturellen Anspruch unterlegt. Die zersplitterten Gebäudeteile bieten ständig wechselnde Bilder, und man muß die Architektur um- und durchwandern, um sie erleben zu können. Die einzelnen Elemente scheinen ihre Stabilität völlig verloren zu haben, so wie auch die eindeutig fixierte Betrachtungsperspektive aufgehoben ist. Das Gebäude stellt ein dynamisches skulpturales Gebilde dar, das herkömmliche Kategorien hinter sich läßt. Das ist zwar in fiktiven Entwürfen bereits gängig, in der Realität brauchen Bauten dieser Art aber einen couragierten Bauherrn.

In diesem Sinn entwickelte sich eine fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Thom Mayne als einem Architekten mit komplexem Erfahrungshintergrund und der Kärntner Hypo-Bank, die Offenheit mit wirtschaftlichem Kalkül verband. Die Hypo-Bank verfolgte in den letzten Jahren eine innovative Strategie im Management und ließ erfolgreich das Image der Regionalbank hinter sich. Im Sinne von „Aufgeschlossenheit, Modernität und Internationalität“ expandierte man in die Nachbarländer Friaul, Slowenien und Kroatien. Diese selbstsichere, offensive Haltung spiegelt sich jetzt in der neuen Zentrale an der Völkermarkter Straße wider. Das Engagement seitens der Bank ermöglichte also die Realisierung eines ungewöhnlichen Baus, der sogleich - auch in den regionalen Medien vielfach publiziert - zum effektiven Werbeträger avancierte.

Thom Mayne gründete die Gruppe Morphosis 1971 gemeinsam mit Michael Rotondi und arbeitet seit Beginn der neunziger Jahre alleine unter diesem Titel. Wenn Morphosis heute zu den international renommiertesten Architekten der USA zählt, so bildet die Basis dafür eine langjährige intensive Auseinandersetzung hinsichtlich der gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedeutung von Architektur. Mayne vereint widersprüchliche Ansätze und führt konträre Vorbilder in seinem Werk zusammen. Postmoderne und dekonstruktive Einflüsse, der Prozeß des Zeichnens als Formfindungsprozeß und die theoretische Reflexion, Rationalität und Intuition bilden bei ihm keine unvereinbaren Gegensätze, sondern führen zu Formen jenseits eindeutiger Etikettierungen.

Im Jahr 1996 prämierte eine Jury unter dem Vorsitz von Günther Domenig das Projekt von Morphosis. Der Wettbewerb war für ein großes, trapezförmiges Grundstück ausgeschrieben worden, und Mayne reagierte mit einer spezifischen Entwurfsmethodik für den suburbanen Kontext, die er bereits zuvor erprobt hatte. Mittels einer durchgehenden Gebäudeoberfläche versuchte er, die Landschaft zu modellieren beziehungsweise zu ersetzen. Er löste nicht nur das solitäre Bauwerk, sondern auch den Gegensatz von Bauwerk und Landschaft auf und schuf eine Textur eigener Art - als Antwort auf die schwierige Frage, wie Städtebau sich heute entwickeln könne.

Da das Grundstück an der Peripherie von Klagenfurt liegt, reflektierte Mayne das Thema des Ackers. Er legte die durchgehende Gebäudeoberfläche über einen breiten Streifen des Grundstücks entlang der Ausfallstraße und schnitt - die Furchen eines Ackers paraphrasierend - schmale Schlitze in diese Fläche. In der Ansicht artikulierte sich dies als langgestreckter Bauteil mit weitgekrümmtem Dach, das einem Kreis mit einem Radius von einer Meile folgte. Die solcherart zusammengefaßte Architektur wurde durch Fragmente elliptischer Formen und gekreuzte gerade Volumen ergänzt, die zum Grundvokabular des Architekten zählen.

Doch dann folgte mit der Teilung des Grundstücks eine fundamentale Änderung der Prämissen, die Flexibilität des Architekten war herausgefordert. Einem auf Ganzheitlichkeit angelegten Entwurf wurde sozusagen der Rumpf und damit die Grundidee gekappt, sodaß der zersplitterte Kopfbau ins Zentrum rückte. Was als auffällige Geste in Richtung des Stadtzentrums gedacht und in einen Gesamtkomplex eingebunden war, verwandelte sich unfreiwillig zur Hauptidee des Baus. Was jetzt realisiert wurde und wird, ist das Fragment eines Konzepts, das selbst mit der Fragmentierung spielt.

Der Bau beeindruckt mit seiner städtebaulich-räumlichen, konzeptionellen Idee, der Innenraum steht hingegen im Hintergrund. Gleichsam den Mittelpunkt bildet ein ellipsenförmiger, halböffentlicher Platz, der geschützt und gut proportioniert zwischen dem langgestreckten Haupttrakt an der Völkermarkter Straße und der abgerückten Veranstaltungshalle liegt. Bei letzterer vermittelt sich noch immer die Idee der aus dem Boden emporsteigenden Dachfläche. Diese greift auf der einen Seite weit über die Halle und knickt nach unten, auf der anderen steigt sie in die Höhe und drückt sich an das angrenzende, verglaste Volumen, bis nur mehr ein Spalt frei bleibt. Darunter geht man zum Eingang der Schalterhalle und weiter zum inneren Platz.

Auch diesem Zugang fehlt ein vertrauter Code, sodaß er zuerst kaum als solcher identifizierbar ist. Unter der verglasten Stirnseite senkt sich schließlich der Boden und bildet mit seinen Basaltsteinen, effektvoll beleuchtet, eine neue, künstliche Landschaft. Über diese Senke führt eine Brücke und leitet den Besucher. Das Thema der manipulierten Landschaft, das im übrigen Entwurf zur Metapher wird, äußert sich hier direkt.

Die Bezugsfiguren von Morphosis reichen von James Stirling über Aldo Rossi und Oswald Mathias Ungers bis zu Frank Gehry. Postmoderne Relikte finden sich bei den jüngeren Bauten. In Klagenfurt fallen Lochbleche als großflächige äußere Wandverkleidung auf. Bei ihrer Teilung assoziiert man ein traditionelles Mauerwerk aus großen Quadern, das im Gegensatz zur eigentlichen Entwurfsidee steht. Doch die ursprüngliche Schwere eines solchen Mauerwerks ist hier aufgrund der Durchlässigkeit des Materials aufgehoben, das Bild wird paraphrasiert und verfremdet.

Im Wandbereich steht dennoch die Wirkung einer geschichteten Mauer im Vordergrund, im Dachbereich hingegen die Transparenz des Materials. Hier bilden sich filigran strukturierte, offene Räume. Im gesamten Entwurf differenzieren schließlich transparente und transluzente Materialien den Wandaufbau im Sinne einer horizontalen Schichtung.
Die Hülle aus Lochblech wird immer wieder atektonisch behandelt und unregelmäßig abgeschnitten. Ein Fragment der Hülle taucht bei der Brüstung des Aussichtsbalkons auf, der die langgestreckte Fassade an der Völkermarkter Straße in luftiger Höhe schräg durchdringt und als zeichenhaftes Element über die Fassade ragt. Einige Stufen laufen an dieser Stelle ins Leere. Obwohl der Bau natürlich Funktionen erfüllt, verweigert er sich einer direkten, allzu geradlinigen Funktionserfüllung, setzt auf einer ganz anderen Ebene an und gleitet auch ins unmittelbar Spielerische. Mayne will mit seiner Architektur die gegenwärtige Gesellschaft in ihrer Komplexität und Instabilität „authentisch“ interpretieren.

Die Hypo-Bank setzt aber nicht nur in ästhetisch-konzeptioneller, sondern auch in organisatorischer Hinsicht ein Zeichen. Denn die Projektleitung in Österreich wird von Martin Krammer mehr oder weniger im Alleingang mittels aktueller Technologie abgewickelt, der Entwurfs- und Detaillierungsprozeß gleichzeitig im Büro in Los Angeles weiterentwickelt. Die Mediatisierung des Alltags bildet bereits einen Teil der Realisierung.

Spectrum, Sa., 1999.12.18



verknüpfte Bauwerke
Hypobank Klagenfurt

03. September 1999Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Das Haus als manipulierte Landschaft

Der in Los Angeles arbeitende Architekt Thom Mayne vom Büro Morphosis realisierte für eine Kärntner Regionalbank ein architektonisches Manifest. Mayne will mit seinem Bau die heutige Gesellschaft in ihrer Komplexität und Instabilität interpretieren. Mit dem ungewöhnlichen Bankgebäude gelang ihm darüber hinaus ein ausdrucksstarker Werbeträger.

Der in Los Angeles arbeitende Architekt Thom Mayne vom Büro Morphosis realisierte für eine Kärntner Regionalbank ein architektonisches Manifest. Mayne will mit seinem Bau die heutige Gesellschaft in ihrer Komplexität und Instabilität interpretieren. Mit dem ungewöhnlichen Bankgebäude gelang ihm darüber hinaus ein ausdrucksstarker Werbeträger.

Das südlichste Bundesland Österreichs kann kaum mit wegweisender Gegenwartsarchitektur brillieren. Seit kurzem sticht jedoch an einer Ausfallstrasse von Klagenfurt ein architektonisches Manifest ins Auge, das «Hypo Alpe-Adria-Zentrum» des in Los Angeles arbeitenden Architekten Thom Mayne. So ungewöhnlich der Neubau in Kärnten ist, so bewusst wurde er gleichzeitig initiiert. Noch vor wenigen Jahren war die Kärntner «Landes- und Hypothekenbank» eine kleine Regionalbank. Diese entschied sich jüngst für eine Vorwärtsstrategie im Sinne von «Aufgeschlossenheit, Modernität und Internationalität» und expandiert seither auch - zunehmend erfolgreich - nach Friaul, Slowenien und Kroatien. Als ein Neubau der Hypo-Zentrale zur Diskussion stand, wählte man bewusst ein auffälliges architektonisches Image. Trotz einer einschneidenden Abänderung beeindruckt das zügig realisierte Gebäude, und man spürt auf Bauherrenseite grosse Begeisterung für das Projekt.


Zwischen Architektur und Skulptur

Der Terminus Gebäude kann diese Art Architektur natürlich kaum fassen. In der gegenwärtigen Baukunst verschwimmen vielfach die Grenzen zwischen Architektur und Skulptur, und gerade in diesem Fall ergeben schräg liegende, geknickte, teilweise auch fragmentierte Teile ein dynamisches, gleichzeitig irritierendes skulpturales Gebilde, das anfangs schwer zu entziffern ist. Doch trotz den Brüchen und der ungewöhnlichen Syntax eines ebenso ungewöhnlichen Vokabulars entsteht im weitesten Sinn eine Harmonie der Teile. Die Hypo-Zentrale setzt ein auffälliges architektonisches Zeichen Richtung Innenstadt. Neben einem aufgestelzten schmalen und langen Bauteil an der Völkermarkter Strasse und einer gläsernen Stirnseite knickt ein flächenhaftes Element in die Höhe. Ergänzt wird diese Komposition durch eine effektvolle Beleuchtung des abgesenkten, mit Basaltsteinen verkleideten Grundes. Dass man hier letztlich auch zu den versteckt liegenden Eingängen der Bank und der Veranstaltungshalle gelangt, kann man nur erahnen. Doch es führt eine Brücke über die Senke, die den Besucher leitet.

Basaltgrund und Brücke schaffen eine neue, künstliche Landschaft und drücken auf diese Weise eine zentrale Idee des gesamten Entwurfes aus. Was im übrigen zur Metapher wird, äussert sich hier ganz unmittelbar. Mayne, der die Gruppe Morphosis 1971 gründete, lange Jahre eine Partnerschaft mit Michael Rotondi bildete und seit Beginn der neunziger Jahre alleine unter dem Label Morphosis arbeitet, entwickelte eine spezifische Entwurfsstrategie für Projekte grösseren Massstabs. Er bedient sich der durchgehenden Gebäudeoberfläche, um die eigentliche Landschaft zu modellieren beziehungsweise zu ersetzen. Dabei wird nicht nur das solitäre Bauwerk, sondern auch der Gegensatz von Bauwerk und Landschaft aufgelöst. Da das Grundstück an der Peripherie von Klagenfurt liegt, reflektierte der Architekt bei seinem Wettbewerbsprojekt das Thema des Ackers. Er legte die durchgehende Gebäudeoberfläche über einen breiten Streifen des Grundstücks entlang der Hauptstrasse und schnitt - die Furchen eines Ackers paraphrasierend - schmale Schlitze in diese Fläche. In der Ansicht artikulierte sich dies als langgestreckter Bauteil mit weit gekrümmtem Dach, das einem Kreis mit dem Radius von einer Meile folgte. Die solcherart zusammengefasste Architektur wurde durch Fragmente elliptischer Formen und gekreuzte gerade Volumen ergänzt, die zum Grundvokabular des Architekten zählen.

Mayne entwickelte eine neue städtebauliche Methodik für den suburbanen Kontext. Erst zu einem viel zu späten Zeitpunkt erfolgte jedoch eine entscheidende Änderung der Prämissen, indem man das grosse, trapezförmige Grundstück annähernd in der Mitte teilte. Was jetzt realisiert wurde und wird, ist also das Fragment eines Konzeptes, das selbst mit der Fragmentierung spielt. Der Rest dieser Grundstückshälfte wird in der zweiten und dritten Bauphase etwas abgeändert gegenüber dem Wettbewerbsprojekt bebaut.


Städtebau im suburbanen Kontext

Durch die Teilung reduzierte sich in erster Linie die durchgehende, leicht gekrümmte Gebäudeoberfläche, die nur mehr rudimentär zu spüren ist. Fragmentierte, geknickte und sich durchdringende Teile, also die dekonstruktivistischen Elemente des Entwurfs, rückten in den Vordergrund. Doch im Bereich der Veranstaltungshalle vermittelt sich noch immer die Idee der aus dem Boden emporsteigenden Dachfläche. Diese greift auf der einen Seite weit über die Halle und knickt nach unten, auf der anderen steigt sie in die Höhe und drückt sich an das angrenzende, verglaste Volumen, bis nur noch ein Spalt frei bleibt. Darunter geht man zum Eingang der Schalterhalle und weiter zu einem andeutungsweise elliptischen Platz, einem eindrücklichen öffentlichen Raum mit angenehmen Proportionen.

Morphosis zählt zu den international renommiertesten Architekten der USA. Auch wenn das Büro mit Verbindungen zum Dekonstruktivismus arbeitet, so sind die Bezugsfiguren doch widersprüchlich und reichen von James Stirling und Aldo Rossi bis zu Frank Gehry. Frühe Bauten lassen eine Nähe zur Postmoderne spüren. Relikte davon finden sich in den jüngeren Bauten, die unter anderem die Tektonik der Mauer thematisieren. Bei der Hypo-Bank bilden Lochbleche grossflächig die äussere Wandverkleidung, und man assoziiert bei ihrer Unterteilung ein Mauerwerk aus grossen Quadern. Doch die ursprüngliche Schwere ist hier auf Grund des durchlässigen Materials aufgehoben. Im Wandbereich steht dennoch die Wirkung einer geschichteten Mauer im Vordergrund, im Dachbereich hingegen die Transparenz des Materials. Hier bilden sich auch filigran strukturierte, offene Räume. Im gesamten Entwurf differenzieren transparente und transluzente Materialien den Wandaufbau im Sinne einer horizontalen Schichtung.


Komplexität und Instabilität

Ein Fragment der tektonischen Hülle aus Lochblech taucht schliesslich bei der Brüstung des Aussichtsbalkons auf, der die langgestreckte Fassade an der Völkermarkter Strasse in luftiger Höhe schräg durchdringt. Einige Stufen laufen an dieser Stelle ins Leere. Obwohl der Bau natürlich Funktionen erfüllt, verweigert er sich einer direkten, allzu geradlinigen Funktionserfüllung, setzt auf einer ganz anderen Ebene an und gleitet auch ins unmittelbar Spielerische. Mayne will mit seiner Architektur die gegenwärtige Gesellschaft in ihrer Komplexität und Instabilität «authentisch» interpretieren. Mit der ungewöhnlichen äusseren Konzeption des Baus gelang ihm dies zweifellos. Die Hypo-Bank ihrerseits erhielt einen ausdrucksstarken Werbeträger.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.09.03



verknüpfte Bauwerke
Hypobank Klagenfurt

02. Juli 1999Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Architektonische Schichtungen

Ähnlich wie in anderen Bereichen haben auch in der Architektur Frauen noch häufig einen schweren Stand. In diesem Umfeld verfolgt die Wiener Architektin Elsa Prochazka seit den späten siebziger Jahren einen konsequenten Weg. Dies wurde in den vergangenen Jahren anerkannt und mit Einladungen an die Architekturbiennale in Venedig belohnt.

Ähnlich wie in anderen Bereichen haben auch in der Architektur Frauen noch häufig einen schweren Stand. In diesem Umfeld verfolgt die Wiener Architektin Elsa Prochazka seit den späten siebziger Jahren einen konsequenten Weg. Dies wurde in den vergangenen Jahren anerkannt und mit Einladungen an die Architekturbiennale in Venedig belohnt.

Bereits zweimal war Elsa Prochazka auf der Architekturbiennale von Venedig vertreten: 1991 stellte die 51jährige Wiener Architektin im österreichischen Pavillon eine der «13 Austrian Positions» vor; 1996 repräsentierte sie eine der «Emerging voices». Die damals gezeigte Neugestaltung der Wiener Musikergedenkstätten stellt eine spezifische Version der Detailkultur der Stadt dar. Vom Beginn der neunziger Jahre stammt das museographische Konzept des Jüdischen Museums in Hohenems. Bei weiteren Installationen und Ausstellungsgestaltungen reflektierte die Architektin immer wieder das Thema der Präsentation. Die verschiedenen Entwürfe vexieren zwischen zurückhaltendem Minimalismus und eigenwilliger Expressivität. Das jüngste Beispiel in dieser Reihe von Arbeiten stellt die Ausgestaltung des im Vorjahr in Wien eröffneten Arnold-Schönberg-Centers dar. Parallel dazu entstand ein Büro- und Produktionsgebäude für Coca-Cola an der südlichen Stadtkante. Trotz den unterschiedlichen Massstäben kann man bei beiden Beispielen von der kalkulierten Umdeutung einer vorhandenen Bausubstanz sprechen.

Das Arnold-Schönberg-Center

Mit der Gründung des Arnold-Schönberg-Centers holte man den 1951 in Los Angeles verstorbenen Komponisten in seine Geburtsstadt zurück. Schönbergs gesamter Nachlass wurde von Kalifornien nach Wien transferiert, wo man einen Ort vielfältiger Aktivitäten schuf. Das dafür notwendige Engagement seitens der Politik wurde durch die Entscheidung für eine adäquate architektonische Gestaltung der Räumlichkeiten ergänzt. Diese befinden sich in einem neoklassizistischen Repräsentationsbau von Ernst von Gotthilf- Miscolczy und Alexander Neumann am Schwarzenbergplatz. Bei der Umgestaltung handelt es sich weniger um eine architektonische Interpretation des Themas; Prochazka schuf vielmehr eine der Funktion entsprechende Atmosphäre.

Auffällig sind in diesem Zusammenhang die beiden Foyers. Die Räumlichkeiten erstrecken sich über 1300 Quadratmeter und damit über das gesamte Geschoss des ungewöhnlichen dreiflügligen Baukörpers mit Innenhof. Von den beiden Treppenhäusern öffnen sich relativ schmale Gänge, die dennoch als repräsentative Empfangsräume fungieren sollten: einmal als Foyer für Ausstellungsbereich, Bibliothek, Medienraum, Handschriftensammlung und diverse Arbeitsräume, das andere Mal als feierliche Überleitung zum Veranstaltungsraum. Eine gekonnte Verwandlung der Raumatmosphäre gelang Prochazka durch die Einfügung von silbrig glänzenden, massiv wirkenden Wandelementen, die unmittelbar an weiss verputzte Flächen anschliessen. Integriert sind Türen, etwa jene zur Garderobe, die sich nahtlos schliessen lassen, aber auch eine indirekte Beleuchtung und Klappelemente, die während der Pausen schmale Ablageflächen bilden. Die Wandstücke vereinen somit die Idee des intelligenten Möbels mit einer raumdefinierenden Funktion im architektonischen Sinn. Auch an anderen Stellen verwandelt sich das Möbel in Architektur und umgekehrt.

Beim Schönberg-Center galt es, eine «Hybridnutzung» in einen Geschossbau zu integrieren. Zur Lösung dieser schwierigen Aufgabe situierte Prochazka die Funktionen mit besonderer Öffentlichkeit an den Eckpunkten; die Bibliothek liegt in einem ovalen Raum mit weitem Blick über den Schwarzenbergplatz, die Ausstellungsfläche bildet ein Rechteck, der Veranstaltungssaal eine ungewöhnliche V-förmige Konfiguration. Unterschiedliche Farben - Gelb, Grün und Blaugrau - visualisieren das Konzept. Für die Ausstellungen wurden nicht nur eigene Vitrinen geschaffen, sondern auch verschiebbare Wandelemente, die je nach den Erfordernissen offene Raumnischen bilden und die Fensterreihe abschliessen können. Beim technisch ausgeklügelten Konzertsaal in elegantem Blaugrau entsteht durch die V-Form eine unter den gegebenen Bedingungen erstaunliche räumliche Grosszügigkeit.

Auf Grund der belassenen Glastüren wird die Überlagerung einer etwas älteren mit einer jüngeren Schicht ablesbar. Die spezifischen Raumstimmungen entstehen durch die Verwendung von Halbfertigfabrikaten, und zwar im Sinne einer offenen, lebendigen Ästhetik. Ein gewisser Verfremdungseffekt der Materialien kommt zum Tragen. Den Arbeitsräumen verleihen braune MDF- Platten also einerseits eine «werkstattähnliche» Atmosphäre, farbig differenziert schaffen diese andererseits eine gehobene Stimmung.

Ein Umbau für Coca-Cola

Die architektonischen Lösungen entsprechen funktionalen Erfordernissen und entwickeln doch einen eigenen Ausdruck, der sowohl den zeitlichen als auch den örtlichen Kontext erkennen lässt. Um 1980 realisierte die Arbeitsgemeinschaft Werner Appelt, Eberhard Kneissl und Elsa Prochazka drei kirchliche Mehrzweckhallen, die heute als eigenwillige Bauten jener Zeit bereits etwas fremd wirken. Auch bei diesen experimentierten die Architekten mit der Überlagerung konträrer Schichten, handelsübliche Produkte wurden in einem neuen Zusammenhang mit unterschiedlichen Referenzen verwendet. Auf diese frühe Zeit mag Prochazkas Vorliebe für Halbfertigprodukte zurückgehen. Beim Umbau des Firmensitzes von Coca-Cola an der Triesterstrasse kommen ähnliche Materialien zum Einsatz wie beim Schönberg- Center, wieder überlagern sich Schichten, und wieder drückt sich Dekoratives aus.

Das Coca-Cola-Gebäude steht schräg vis-à-vis dem «Philipshaus» aus den frühen sechziger Jahren von Karl Schwanzer. Lange Zeit war dieser Bau das einzige, gleichzeitig prominente Zeichen an der südlichen Stadtausfahrt. Prochazka fand einen Kubus aus den sechziger und siebziger Jahren vor, der umgebaut und um ein Geschoss aufgestockt werden sollte. Unter der Prämisse eines engen gestalterischen Spielraumes wurde das Stahlbetonskelett erhalten, die einzelnen Büros reihen sich an der Fassade aneinander und umfassen eine offene innere Zone mit Nebenräumen und einem Besprechungsraum. Bei einer konventionellen inneren Konzeption verdichtet sich die Gestaltung in der äusseren Hülle. Prochazka splittete die Fenster, um den Anforderungen der heutigen Bildschirmarbeit gerecht zu werden. Die unregelmässige Anordnung der Öffnungen erzeugt verschattete Zonen. Müssen sie im mittleren Bereich dennoch abgedunkelt werden, bleiben Ausblicke im Fuss- und Deckenbereich erhalten.

Was im Inneren die Büroräume auflockert, erzeugt aussen ein Muster, das die Geschossteilungen verwischt. Prochazka spricht vom «computergenerierten digital-pattern» der Alu-Paneelfassade, das heisst, unterschiedliche Möglichkeiten der Fensteranordnung wurden am Computer durchgespielt. Der so produzierte Eindruck des Dekorativen variiert nicht nur ein Thema anderer Arbeiten, etwa die wie zufällig verteilten Erker beim Wohnbau der «Frauen-Werk-Stadt» jenseits der Donau. Die Textur der Aussenhaut antwortet gewissermassen auch auf die vorgehängten, tief eingedrückten Elemente des unmittelbar angrenzenden Baus von Coca-Cola. Doch das neu fertiggestellte Gebäude betont im Gegensatz dazu die bündige Fläche als Folie für das «pattern» der Fenster. Vergleichbares beobachtet man bei jüngeren Bauten der Grazer Architekten Florian Riegler und Roger Riewe, und Herzog & de Meuron legten erst jüngst in Eberswalde den glatten Kubus ihrer ornamentalen Fassadengestaltung zugrunde. Die strenge Reduktion auf ein einfaches Volumen wird konterkariert. Prochazka schuf jedoch keinen perfekten Körper. Der unverändert belassene Waschbetonsockel visualisiert wiederum das Thema der Schichtung.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1999.07.02



verknüpfte Bauwerke
Coca-Cola Beverages

26. Juni 1999Margit Ulama
Spectrum

Moderne, pragmatisch

Zeitenübergreifender Dialog: Mit seiner Landesberufsschule für das Bau- und Malergewerbe in Absam, Tirol, knüpft Hanno Schlögl an einen Schulbau aus den sechziger Jahren – und an die Landschaft der Umgebung an.

Zeitenübergreifender Dialog: Mit seiner Landesberufsschule für das Bau- und Malergewerbe in Absam, Tirol, knüpft Hanno Schlögl an einen Schulbau aus den sechziger Jahren – und an die Landschaft der Umgebung an.

Jedes Jahrzehnt vermittelt ein spezifisches Lebensgefühl und schafft einen immer wieder neuen ästhetischen Ausdruck. – Dieser Gedanke vereinfacht sicherlich komplexe Zusammenhänge und Entwicklungen, und doch stellt gerade die Architektur die jeweilige Entstehungszeit visuell dar und materialisiert gleichsam die für das Jahrzehnt charakteristische Atmosphäre. Bezüglich der Dekaden nach dem Zweiten Weltkrieg vermischen sich für uns Nähe und Ferne. Sie sind uns vertraut und fremd zugleich, aber der Blick aus der zeitlichen Distanz rahmt die Dinge neu.

Heute interessieren bereits die sechziger und siebziger Jahre wieder. Die Architektur nimmt Themen auf und transponiert sie, und einen solchen zeitenübergreifenden Dialog führte Hanno Schlögl in Absam. Die unterschiedlichen Jahrzehnte stehen hier gewissermaßen direkt nebeneinander. Die Landesberufsschule für das Gastgewerbe manifestierte sich in den sechziger Jahren dominant in einer beeindruckenden Landschaft. Während das „Philipshaus“ von Karl Schwanzer an der Wiener Triester Straße zu den prominenten Bürohochhäusern der Zeit zählt, ist dieser Bau quasi ein anonymer, aber dennoch zeittypischer. Bei der Komposition einfacher Volumen liegt ein Quertrakt auf dem Erdgeschoß und schaut mit der Stirnseite zum Tal. Das Ende kragt aus, was sicherlich keinen subtilen Akt des Schwebens darstellt (beim Philipshaus formulierte Schwanzer dieses Thema hingegen prägnant).

Für Schlögl, respektive seine Landesberufsschule für das Bau- und Malergewerbe, bildete dieser Bau mit seinen spezifischen Themen jedenfalls genauso wie die Landschaft eine Vorgabe. Schlögl respektierte beides. Vom Tal aus betrachtet, verdoppelt sich jetzt der horizontale, langgestreckte Bauteil, er fügt sich ein, indem er die Grenze zwischen den ansteigenden Wiesen und dem Bergmassiv dahinter markiert. Der auffällige Quertrakt erhielt so ein adäquates „leises“ Gegengewicht, das bis zu einer auffälligen Hügelkuppe mit drei Bäumen reicht. Diese künstlich erscheinende, trotzdem natürliche Topographie faßt den gesamten Bau im Osten. Schlögl verwendete zwar wieder ein langgestrecktes Volumen mit Bandfenstern, dennoch präsentiert sich der Neubau mit den dezent rötlichvioletten Betonsteinen ungleich eleganter als der ältere Bau. Und er ist durchgehend horizontal organisiert, wobei diese Geste in schwebende Dächer und Vordächer ausläuft.

Im Laufe seiner langjährigen Tätigkeit setzte Schlögl viele architektonische Akzente, immer in einer zurückhaltenden Handschrift, die sich jedoch langsam wandelte. In jüngerer Zeit entstanden einfache Gebäudekonfigurationen mit genauer Durchbildung im Detail. Bei dem Wohn- und Pflegeheim Unterperfuss, das in Zusammenarbeit mit Karlheinz Peer entstand und 1997 eingeweiht wurde, handelt es sich um die Differenzierung eines einfachen Winkels.

Der Entwurf löste einzelne Wandflächen als selbständige Elemente aus dem kompakten Volumen, ergänzte raumgreifende, schwebende Dächer und ließ den Bau in einzelne Sichtbetonflächen, die als Gartenmauern dienen, auslaufen. Bei der Schule in Absam ist der Winkeltypus Teil eines Gesamtgefüges, das im Grundriß einem Rechteck folgt. Der höhere Winkel tritt klar in Erscheinung, wobei der vordere, lange Trakt leicht versetzt hinter dem östlichen Flügel des Altbaus die Hauptansicht prägt. Der Entwurf, 1995 in einem Gutachterverfahren prämiert, zeigt die „Schlichtheit einer architektonischen Großform“. Dennoch entstehen angenehme Freiräume: einerseits der intime Gartenhof zwischen den beiden Schulbauten, in den der verglaste Mehrzwecksaal ragt, andererseits der Grünraum zum Tal hin.

Eingefaßt von Alt- und Neubau sowie der prägnanten Hügelkuppe, öffnet sich dieser Bereich nach Süden, ist geschützt und frei zugleich und profitiert vom schönen Baumbestand. Ähnlich selbstverständlich wie diese Freiräume wirkt die Gliederung des gesamten Baus. Nur der Eingangstrakt steht quer zum Hang, die übrigen Funktionen sind – beginnend mit dem Längstrakt –parallel hintereinander gestaffelt, und die Erschließung erfolgt zum Teil in weiten Schleifen. Ins Auge sticht die offene Anlieferungszone für den Bauhoftrakt, wo in die horizontale Dachfläche große, runde Öffnungen geschnitten sind. Diese weitausgreifende Dachfläche definiert das Gebäude innerhalb des Winkels, und sie referiert zwei architektonische Topoi: das Schweben sowie die Fläche als selbständiges Element.

Was die Moderne programmatisch formulierte, findet man hier pragmatisch umgesetzt, und beides spielt in der aktuellen Architekturentwicklung in unterschiedlichster Weise eine Rolle. Schlögl variiert diese Themen bei den Vordächern und den südseitigen Sonnenschutzlamellen, die in ihrer strukturellen Auflösung zur Prägnanz der langen Fassade beitragen. Zusätzlich greifen – ähnlich wie beim Altenheim in Unterperfuss – vertikale Flächen vom Baukörper in die Umgebung, sie begrenzen eine Treppe oder Parkplätze und binden gleichzeitig die Landschaft an.

Die einzige Inkonsequenz findet man im Bereich des verglasten Mehrzwecksaales, der in den Innenhof ragt. Denn dieses vorspringende Element deutet eine Axialität an, die einer Hauptfassade entsprechen würde; tatsächlich befindet man sich hier aber an der Schmalseite.

Doch ausschlaggebend sind letztlich die Qualitäten, unter anderem die räumlichen Qualitäten des Baus. So sind im Hauptteil die einzelnen Funktionen – Klassen, Gang, Bauhoftrakt, Anlieferung und Parkplätze –zwar einfach parallel hintereinander gestaffelt, doch es entstehen räumliche Übergriffe und visuelle Verbindungen. Die Gänge sind in vertikaler Richtung offen, und gleichzeitig blickt man durch großflächige Fenster direkt in die angrenzenden, tieferliegenden Werkstattbereiche.

Eine typologisch vergleichbare, im Detail natürlich unterschiedliche Lösung realisierten Regina und Rainer Noldin bei ihrem noblen Altenheim in Feldkirch. Doch insbesondere atmosphärisch unterscheiden sich diese beiden Bauten. In seiner direkten Materialästhetik wird der neue Bau in Absam seinem Thema – dem Bau- und Malergewerbe – gerecht.

Spectrum, Sa., 1999.06.26



verknüpfte Bauwerke
Tiroler Fachberufsschule für Bautechnik und Malerei Absam

09. Januar 1999Margit Ulama
Spectrum

Mäander und Zickzack

Ein gestaffelter „Volumsberg“ und eine „alchimistische Adaption an den Genius loci“: Mit dem Museum Liner in Appenzell und dem Umbau der Sammlung Reinhart in Winterthur schuf das Zürcher Architektenduo Gigon & Guyer zwei Blickfänge.

Ein gestaffelter „Volumsberg“ und eine „alchimistische Adaption an den Genius loci“: Mit dem Museum Liner in Appenzell und dem Umbau der Sammlung Reinhart in Winterthur schuf das Zürcher Architektenduo Gigon & Guyer zwei Blickfänge.

Auch nach der forcierten Entwicklung des Museumsbaus in den achtziger Jahren wurden mittels dieses Bautypus immer wieder architektonische Ideen beziehungsweise Entwurfsmethoden dargestellt. Die Entwicklung reduzierte sich zwar etwas, trotzdem entstanden Gebäude, die sich als „Zeichen der Zeit“ etablierten. Das Museum, die Kunsthalle oder ganz einfach der Ausstellungsbau dienten dabei weiterhin der primären Funktion, Raum zu schaffen. Raum für die Präsentation von Kunstwerken und damit Raum, der ausschließlich der Wahrnehmung dient.

Parallel zu den architektonischen Realisierungen entstand eine Diskussion, die im Dilemma der Frage mündete, welche Art des Raumes für Ausstellungszwecke denn nun wirklich geeignet sei. Doch letztlich bedarf diese Aporie gar keiner Auflösung, wenn die gesamte Situation nur anders betrachtet wird. Denn die Museen und Ausstellungshäuser spiegeln gerade in ihrer gegensätzlichen Ästhetik unsere Zeit mit ihren konträren Sehnsüchten wider.

Das Guggenheim Museum in Bilbao von Frank Gehry entwickelte sich nicht nur zu der touristischen Attraktion der neunziger Jahre, es stellte von Beginn an auch und vor allem ein Manifest dar. Zu einem solchen – egal welcher Architekturrichtung zugehörigen – Zeichen des Museumsbaus konnte sich Wien mangels einer selbstbewußten Haltung nicht durchringen.

In der Schweiz findet man hingegen gleich mehrere solche architektonische Zeichen. Trotz ihrer geringeren Dimensionen sind sie charakteristisch für das aktuelle Jahrzehnt: das Kirchner Museum in Davos und die Erweiterung des Kunstmuseums Winterthur vom Beginn der neunziger Jahre, schließlich der Umbau der Sammlung Oskar Reinhart, ebenfalls in Winterthur, sowie das Museum Liner in Appenzell, die erst vorwenigen Wochen fertiggestellt wurden. Alle diese Beispiele stammen vom jungen Deutschschweizer Architektenteam Annette Gigon und Mike Guyer, sodaß sie nicht nur ein Jahrzehnt dokumentieren, sondern auch die erstaunlich breite Spanne einer persönlichen Entwicklung.

Bemerkt man am Beginn dieser konsequenten Entwicklung eine minimalistische Reduktion, so mündet diese schließlich in eine ebensolche Expressivität. Beim Kirchner Museum in Davos isolierten die Architekten den einfachen, traditionellen Ausstellungsraum und machten ihn dadurch zum selbständigen Kubus. Vier solche Würfel setzten sie mehr oder weniger unregelmäßig, der „Negativraum“ dazwischen fungiert als Erschließungsbereich. Unter Beibehaltung der Orthogonalität entstand dennoch eine unregelmäßige äußere Erscheinung. Die Erweiterung des Kunstmuseums Winterthur stellt sich hingegen als einheitliches Volumen über einem rechteckigen Grundriß dar, und die Expressivität liegt in den Sheddächern mit ihrer gezackten Umrißlinie.

Die Ansätze dieser beiden Museen nehmen Gigon &Guyer mit ihren jüngsten Bauten auf und entwickeln sie weiter. Während es sich in Davos jedoch um eine ruhige Komposition aus einzelnen großen Boxen handelte, beobachtet man jetzt bei der Erweiterung „Am Römerholz“ ein verdichtetes Auftürmen kleinerer Volumen, eine Art gestaffelten „Volumsberg“; und wenn der erste Bau in Winterthur mit seinem auffälligen Dachabschluß auf Grund der Dreiteilung der Fassade noch immer klassisch wirkt, so entstand nun mit dem Museum Liner ein Volumen, bei dem die Zackenform der Sheds einen integralen Teil der Komposition bildet.

In Winterthur handelt es sich um eine Renovierung und Erweiterung einer Villa, die Anfang dieses Jahrhunderts im Stile eines französischen Landhauses gebaut und bereits in den zwanziger Jahren um einen Galerieanbau erweitert wurde. So entstand ein romantischer, sowohl im Grundriß als auch in den Höhen vielfältig differenzierter Komplex. Neu gebaut wurden jetzt nur drei relativ kleine Ausstellungsräume zwischen dem ehemaligen Wohnhaus und dem zurückgesetzten Galerieteil.

Mit dieser geringen Kubatur gelang den Architekten aber nicht nur das Transponieren eigener Themen, sondern auch eine adäquate Interpretation des Bestandes. Die Abstraktion, die der Baukörperstaffelung zugrunde liegt, wiederholen Gigon & Guyer auch auf der Ebene der Materialität. Die Architekten sprechen dabei von dem „,alchimistischen‘ Versuch einer Adaption des Neubaus an den genius loci“. Dem Beton wurden also Jurakalkstein und Kupfer als Materialien, die man bei der Villa verwendete, in zerkleinerter Form beigefügt. Durch diese Kombination entwickelte sich rasch eine Patinierung, die bereits jetzt in der grünlichen Färbung des Betons erkennbar ist.

Während bei der Sammlung Reinhart das solcherart differenzierte einfache Volumen in der verdichteten Form noch immer erkennbar ist, gehen Gigon & Guyer beim Museum Liner einen ganzen Schritt weiter. Dieses monographische Museum, das den Appenzeller Malern Vater und Sohn Carl Liner gewidmet ist, präsentiert sich als skulpturaler Entwurf, dessen Zickzackform sowohl regionale Satteldächer als auch Industriesheds interpretiert. Auch die silbrigen Schindeln greifen ein Thema des Ortes auf. Doch die Elemente wurden verfremdet, und so denkt man weder beiden Sheds unmittelbar an Industriehallen noch bei den großen Schindeln an die traditionellen Häuser der Gegend.

Der gezackte Dachbereich wurde in die Gesamtform integriert, was schließlich zum skulpturalen Ausdruck des Baukörpers führt.

Bei genauerer Betrachtung bemerkt man eine zusätzliche Steigerung dieser Expressivität. Denn an den Längsseiten verstärkt sich die perspektivische Wirkung, da der Rhythmus der einzelnen Sheds enger wird und ihre Höhe abnimmt. Parallel dazu werden die silbrigen Schindeln kleiner. Dadurch lockert sich aber die an sich strenge Raumabfolge im Inneren. Annette Gigon und Mike Guyer halten zwar konsequent an einer orthogonalen Raumkomposition fest, doch die mäandrierende Gehlinie wirkt lebendig, ebenso bedeutet die unterschiedliche Raumproportion Abwechslung.

Die Architekten schufen immer wieder Orte für die konzentrierte Wahrnehmung, doch gerade in Appenzell entstand gleichzeitig ein Bau mit einer starken und eigenwilligen Ästhetik. Dem „Sehen“ wird dabei eine zentrale Bedeutung eingeräumt, was auch an den betonten Fensterrahmen ablesbar ist. Als Elemente, die den Blick einrahmen, treten sie an der Fassade auffällig in Erscheinung. Gleichzeitig werden „Bilder der Realität“ in die Ausstellungsräume integriert.

Spectrum, Sa., 1999.01.09



verknüpfte Bauwerke
Museum Liner

06. November 1998Margit Ulama
Neue Zürcher Zeitung

Orte der geistigen Konzentration

Wie kaum ein anderes jüngeres Architektenteam konnten sich die Zürcher Annette Gigon und Mike Guyer auf dem Gebiet des Museumsbaus verwirklichen. Ein Vergleich der von ihnen erbauten Museen in Davos, Winterthur und Appenzell veranschaulicht eine Entwicklung von der klassischen Reduktion hin zu einer geradezu expressiven Formgestaltung.

Wie kaum ein anderes jüngeres Architektenteam konnten sich die Zürcher Annette Gigon und Mike Guyer auf dem Gebiet des Museumsbaus verwirklichen. Ein Vergleich der von ihnen erbauten Museen in Davos, Winterthur und Appenzell veranschaulicht eine Entwicklung von der klassischen Reduktion hin zu einer geradezu expressiven Formgestaltung.

Im Zusammenhang mit der forcierten Architekturentwicklung der neunziger Jahre bemerkt man eine Dichotomie, die die Gegenwart in ihrem Antagonismus widerspiegelt. Auf der einen Seite werden traditionelle Kategorien auf dynamische oder auch dekonstruktive Weise hinter sich gelassen, auf der anderen zeigt sich das einfache, abstrakte Volumen in seiner ganzen Virulenz. Es werden sowohl vertraute Grenzen provokant überschritten als auch die vielfältigen Möglichkeiten innerhalb eines definierten Rahmens ausgelotet. Die Zürcher Architekten Annette Gigon und Mike Guyer positionieren sich klar und nehmen die letztere Haltung ein. Als gerade Dreissigjährige reüssierten sie Anfang der neunziger Jahre mit dem Kirchner-Museum in Davos, knapp danach folgte der Erweiterungsbau des Kunstmuseums Winterthur. Nun stehen zwei weitere Projekte dieses Bautyps zur Diskussion: der Umbau der Sammlung Oskar Reinhart «Am Römerholz» in Winterthur und das Museum Liner in Appenzell (NZZ 26. 9. 98). Insgesamt dokumentieren diese Bauten die beeindruckende Entwicklung eines jungen Teams innerhalb eines Jahrzehnts, und sie verdeutlichen gleichzeitig die Spanne architektonischer Gestaltung in einem allgemeinen Sinn. Denn während die beiden ersten Beispiele in ihrer Reduktion klassisch wirken, führen die neuen Bauten die früheren Themen auf verdichtete und sogar expressive Weise fort.

Expressive Steigerung

Die Grundlage bildet bei allen Museumsbauten von Gigon & Guyer der orthogonale, von oben belichtete Ausstellungssaal. Das Kirchner-Museum als erster Bau war in doppelter Hinsicht programmatisch. Der traditionelle Ausstellungsraum wurde in der gewohnten Materialität, jedoch ohne die üblichen Details umgesetzt. Dieser purifizierte Raum wurde zum selbständigen, vierfach gesetzten Baukörper mit dazwischenliegender Erschliessungszone. So unregelmässig die Kontur im Grundriss auch ist, aussen präsentiert sich das Museum mit seinen gleich hohen Kuben dennoch regelmässig, und die durchlaufenden horizontalen Kanten bilden die Grundlage für eine klassische Dreiteilung der gläsernen Bauhülle. Bei der Erweiterung des Kunstmuseums in Winterthur variierten Gigon & Guyer die Themen. Sie griffen auf das geschlossene Volumen über einem rechteckigen Grundriss zurück und wiederholten gleichzeitig in der äusseren Glashaut das Thema von Sockel, Mittelteil und Dachzone. Doch bereits hier kam es zu einer Steigerung des Ausdrucks auf Grund des gezackten Dachabschlusses. Das Sheddach führte auch im Inneren eine expressive Dimension ein, und grosse, bis zum Boden reichende Öffnungen bezogen die Aussenwelt in den Kunstraum mit ein.

Konzeptuell führte dieser Bau schliesslich zum Museum Liner, das Kirchner-Museum hingegen zur Erweiterung der Sammlung Reinhart. Wenn es sich in Davos also noch um eine ruhige Komposition aus einzelnen grossen Boxen handelte, so beobachtet man bei der «Römerholz»-Erweiterung ein verdichtetes Auftürmen kleinerer Volumen, eine Art gestaffelten «Volumberg»; und wenn der Annex an das Winterthurer Kunstmuseum mit seinem auffälligen Dachabschluss noch immer klassisch wirkt, so entstand nun mit dem Liner-Museum ein betont skulpturales Volumen, bei dem die Zackenform der Sheds einen integralen Teil der Gesamtkomposition bildet. Mit der spezifischen Behandlung dieses Baukörpers führen Gigon & Guyer gänzlich neue Themen in ihr Œuvre ein. Angemerkt sei in diesem Zusammenhang, dass das Volumen im Sinne eines monolithischen Ganzen erst jüngst von Herzog & de Meuron beim Haus Rudin (NZZ 12. 9. 98) prototypisch interpretiert wurde.

Die international bedeutende Kunstsammlung von Oskar Reinhart ist in einer Villa untergebracht, die 1913-15 vom Genfer Architekten Maurice Turrettini im Stile eines französischen Landhauses gebaut und von diesem 1924 um einen Galerieanbau erweitert wurde. So entstand ein romantischer, sowohl im Grundriss als auch in den Höhen vielfältig differenzierter Komplex, den man jetzt renovierte. Neu gebaut wurden nur drei relative kleine Ausstellungsräume zwischen dem ehemaligen Wohnhaus und dem zurückgesetzten Galerieteil. Mit dieser geringen Kubatur gelang den Architekten aber nicht nur das Transponieren eigener Themen, sondern auch eine adäquate Interpretation des Bestandes. Im Grundriss schliessen die drei neuen Räume den Galerieteil im Sinne eines einfachen Rechteckes ab, wodurch der Hof an der Rückseite des Haupthauses klar gefasst wird. Unterschiedliche Höhen definieren die einzelnen Räume als eigene Kuben, unterstützt durch die Fugen der Betonfertigteile, die die kleinen Baukörper jeweils auch in sich teilen. Im Inneren taucht das quaderförmige Volumen in der Form eines flachen Glaskörpers an der Decke auf. Dadurch soll das Oberlicht in den Raum geholt und besser verteilt werden. Das Thema unterschiedlicher Gebäudehöhen wird schliesslich auch bei den Dachvolumen aufgenommen. Diese überlappen die Ausstellungsräume ausserdem in der Horizontalen und führen damit die Komposition zur letzten Konsequenz. Funktionelle Überlegungen münden in einer eigenständigen gestalterischen Geste.

Die abstrakte Interpretation der Villa, die der erwähnten Baukörperstaffelung zugrunde liegt, wiederholen Gigon & Guyer auch auf der Ebene der Materialität. Die Architekten sprechen dabei von dem «‹alchimistischen› Versuch einer Adaption des Neubaus an den Genius loci». Dem Beton wurden deshalb zwei Materialien, die auch bei der alten Villa verwendet wurden, nämlich Jurakalkstein und Kupfer, in zerkleinerter Form beigefügt. Durch diese Kombination entwickelte sich eine rasche Patinierung, die bereits jetzt in der grünlichen Färbung des Betons erkennbar ist und die sich durch das mit Kupferionen angereicherte Dachwasser noch weiter verstärken wird. Die Farbe als ursprünglich immateriellstes Bekleidungsmittel der Architektur durchzieht die gesamte Wand. Die subtile Material- und Oberflächendifferenzierung ist typisch für eine aktuelle Architekturtendenz, sie präsentiert sich in diesem Zusammenhang aber konsistent und zugleich sinnlich. Während bei der Sammlung Reinhart das solcherart differenzierte einfache Volumen in der verdichteten Form noch immer erkennbar ist, gehen Gigon & Guyer beim Museum Liner in Appenzell einen entschiedenen Schritt weiter.

Innenraum und Aussenwelt

Das am Ortsrand gelegene Gebäude, das dem Maler Carl August Liner (1871-1946) und dessen Sohn Carl Walter Liner (1914-97) gewidmet ist, spielt auf Grund seiner Lage und Form mit dem Thema Industriebau. In diesem Sinn fehlt die repräsentative Geste. Statt dessen konstituiert sich - wie bei den anderen Beispielen - ein Ort der konzentrierten Wahrnehmung. Bei ihrem Entwurf für Davos wurden Gigon & Guyer unter anderem von den Reflexionen Rémy Zauggs zum Thema Kunstmuseum angeregt. Beim Museum Liner handelt es sich immer noch um einen Ort der Konzentration, auch wenn das Expressive mit der gezackten, skulpturalen Form in den Vordergrund rückt. Der Rhythmus der einzelnen Sheds wird dabei zusehends, enger und ihre Höhe nimmt ab. Gleichzeitig ändert sich die Grösse der Schindeln aus Chromstahlblech und verstärkt so die perspektivische Wirkung. An den Enden stülpt sich der längliche Baukörper nach aussen, und die verglasten Stirnflächen formen an dem sonst eher hermetischen Bau eigene Körper. Das Innere wird den Passanten in einer kleinen Box sichtbar gemacht, umgekehrt wird die Aussenwelt zu einer hervorgehobenen Szenerie im Inneren.

Die Fenster fungieren gleichsam als «Sehinstrumente» - ein Begriff, den Annette Gigon im Zusammenhang mit ihrem jüngsten Wettbewerb für den «Archäologischen Museumspark Kalkriese» in der Nähe von Osnabrück im Teutoburger Wald (NZZ 7. 8. 98) verwendet. Die Shedöffnung über der Eingangshalle sowie die übrigen Fenster fallen schliesslich auf Grund des äusseren breiten Rahmens auf, den man auch von anderen Bauten der Architekten kennt. Die Realität wird also bewusst in die Kunstwelt hereingeholt und lenkt natürlich auch ab, so wie dies die Räume in ihrer expressiven Form tun. Doch letzteres beschränkt sich auf den Deckenbereich, denn im Grundriss reihen sich kleine Rechtecke aneinander. Die offenen Fugen in den Raumkanten betonen die Konfiguration und lassen die Wände leicht und kartonartig erscheinen.

Auf gänzlich unterschiedliche Weise interpretieren die beiden jüngsten Bauten von Gigon & Guyer den jeweiligen Kontext. Trotz ihrer engen Verbundenheit mit der Deutschschweizer Architekturentwicklung finden Gigon & Guyer zu neuen, spezifischen Formen des Ausdrucks. Beim Wettbewerb für den Museumspark bei Osnabrück kehren sie zum klaren Gebäudekubus zurück. Die Herausforderung liegt hier in der Interpretation einer Landschaftszone, die im Jahr 9 n. Chr. Schauplatz der Varus-Schlacht war. So einfach die auf dem Gebiet verteilten Ausstellungspavillons erscheinen, so komplex präsentiert sich die Gestaltung des Freiraums. Auf abstrakt-sinnliche Weise sollen hier unterschiedliche Zeitschichten erfahrbar gemacht werden, und wieder bedienen sich Annette Gigon und Mike Guyer der Hervorhebung mittels gerahmter Ausschnitte. In einem abgegrenzten rechteckigen Feld wird die ehemalige Landschaft rekonstruiert - im Sinne eines «historischen Biotops», eines «Fensters in die Zeit». Die Darstellung von Distanz als reflektierter Form der Betrachtung wird bei diesem ebenso ungewöhnlichen wie interessanten Museumsprojekt zu einem konstitutiven Faktor des Entwurfs.

Neue Zürcher Zeitung, Fr., 1998.11.06

06. September 1998Margit Ulama
Spectrum

Grazer Schulen der Irritation

Sie gelten als Vertreter der „Neuen Einfachheit“: die Grazer Architekten Florian Riegler und Roger Riewe. Und sie bekennen sich auch zur „Box“ sowie zu puren Materialien. Aber sie erzielen damit außergewöhnliche Wirkungen.

Sie gelten als Vertreter der „Neuen Einfachheit“: die Grazer Architekten Florian Riegler und Roger Riewe. Und sie bekennen sich auch zur „Box“ sowie zu puren Materialien. Aber sie erzielen damit außergewöhnliche Wirkungen.

Anfang dieses Jahres wurde an der renommierten Architectural Association School of Architecture in London eine Ausstellung gezeigt, die eine spezifische Zeittendenz dokumentierte. „Beyond the Minimal“ war der prägnante Titel, der die Idee des Minimalen hervorhob und gleichzeitig darauf hinwies, daß diese Idee heute nicht genügen kann.

Man präsentierte eine prononcierte allgemeine Tendenz dieses Jahrzehnts am Beispiel österreichischer Architekten. Doch gerade im Sinne eines „beyond“ differieren die Arbeiten von ARTEC, Adolf Krischanitz, PAUHOF und Riegler & Riewe, die bei dieser Schau vorgestellt wurden. Insgesamt spricht man auch von einer „Neuen Einfachheit“, ein Begriff, der in der Schweiz geprägt wurde. Die österreichische Entwicklung zeichnet sich durch betont subjektive Ansätze aus, die teilweise auch mit manieristischen Gesten verbunden sind. Dabei konstituiert sich der Baukörper oft als bloßer Kubus, und eine entscheidende Rolle spielt die pure, jedoch vielfältige Verwendung von Materialien.

Florian Riegler und Roger Riewe gründeten ihr gemeinsames Büro 1987 in Graz. In der Folge entwickelten sie eine konsequente architektonische Haltung, die sich von der über lange Jahre im Vordergrund stehenden Grazer Schule mit ihrer Expressivität deutlich distanzierte und sich der deutsch-schweizerischen Entwicklung annäherte.

Einem breiteren Publikum wurden Riegler & Riewe mit dem Umbau und der Erweiterung des vor vier Jahren fertiggestellten Flughafens in Graz bekannt. Nun realisierten sie eine Schule in Baden bei Wien, das Bundesinstitut für Sozialpädagogik, sowie den ersten Abschnitt der Informations- und Elektrotechnischen Institute der Technischen Universität Graz auf den Inffeldgründen. Beide Projekte präsentieren sich als Variationen eines Themas: der Idee des prägnanten Baukörpers mit einer spezifischen Materialität. Es entstehen schließlich vexierende Bilder, und eine besondere Fensterkomposition führt das von der Moderne verpönte Thema des Ornamentalen wieder ein.

Den Kontext bildet in beiden Fällen eine aufgelöste städtische Struktur ohne klare Definition von Außenräumen. In Baden setzten die Architekten drei Volumen wie Dominosteine. Die beiden kleineren definieren einen geraden Weg von der Straße zum zurückgesetzten Hauptbau, der auf der Rückseite zu einem parkartigen Gelände schaut. Die durchgehende Glashülle dieser großen Box schimmert leicht grünlich, manchmal spiegelt sich die Umgebung, und die zahlreichen Fenster irritieren die Wahrnehmung des Maßstabs.

Denn man muß wissen, daß diese gesplittet sind, daß jeder Klassenraum schmale, übereinanderliegende Fenster hat und man daher die Geschoße an der Fassade nicht mehr im traditionellen Sinn ablesen kann. Die gleichförmig repetitive Fassadengestaltung stellt vielmehr ein unendlich erweiterbares, effektvolles Muster dar.

Die Klassenräume, die sich entlang der Fassade auf konventionelle Weise aneinanderreihen, sind auf Grund des fragmentierten Blicks in den Park ungewöhnlich. Doch die Architekten unterscheiden zwischen Öffnungen mit klarem und solchen mit mattem Glas. Zwischen den transparenten Feldern liegen also zusätzlich transluzente, und diese kann man außen nur in der Nacht erkennen. Wenn das Innere beleuchtet ist, liegt über dem gesamten Gebäude eine Art Schatten, der von Feldern unterschiedlicher Helligkeit unterbrochen wird.

Der Schulbau in Baden entstand als Resultat eines Wettbewerbes. So ungewöhnlich der Bau von Riegler & Riewe in seiner äußeren Erscheinung wirkt, so lapidar ist das grundsätzliche Konzept aus drei unterschiedlich weit in den Boden abgesenkten Volumen. Die Architekten bekennen sich zur einfachen Geometrie, sie wollen „optimale Raumfreiheit mit minimalen Mitteln erreichen“. Sie wenden in Baden den bekannten Typus einer Gangschule an, die Erschließung erweitert sich zu einer Art Halle.

Man findet keine räumlichen Finessen, der Ausdruck wird dem präzisen Konzept, auch dem präzisen Materialkonzept überantwortet. Dazu gehört nun die räumliche Stimmung, die durch die geteilten Fenster samt den zusätzlichen transluzenten Feldern entsteht - letztere sollten nach dem Wunsch der Architekten eigentlich bis zum Boden reichen. Der Prototyp eines Wandabschnittes veranschaulicht schließlich bezüglich der äußeren Glashaut einen entscheidenden Unterschied zum realisierten Bau. Das stärker durchsichtige Profilitglas des Musters zeigt eine deutlichere optische Präsenz der inneren Wandschicht, und die Fensterelemente scheinen in einer entmaterialisierten Fläche zu schweben. Sicherheitsbedenken des Bauherrn, der Bundesimmobiliengesellschaft, betreffend Glasbruch führten schließlich zur Verwendung eines anderen, sogar teureren Glastyps.

Das Bundesinstitut für Sozialpädagogik reiht sich qualitativ in die Reihe der renommierten Bauten des Wiener Schulbauprogramms 2000 ein. Auch dabei stellt Glas in seiner avancierten Technologie ein zentrales Material dar, doch die interessantesten Beispiele entwickeln auch eine differenzierte Räumlichkeit im Bereich der Halle. Dies fehlt dem Bau in Baden, es fehlt aber auch eine betonte Offenheit, denn die durchgehende äußere Glashülle ist als bekleidendes Material verwendet.

Die Architekten schließen die Südseite noch stärker als die Nordseite zu der Parklandschaft und umgehen damit von vornherein jegliche Temperaturprobleme. Sie nutzen jedoch die südseitig gelegene, tragende Betonwand hinter dem Glas als großflächigen Sonnenkollektor.

Zur Nordseite geleitet, gibt die erwärmte Flüssigkeit die Wärme über Industrieheizkörper unmittelbar hinter der Glashaut ab. Die technischen Überlegungen sind unsichtbar, ohne direkte Auswirkungen auf die Ästhetik des Baus.

Dem Konzept für die Institute der TU Graz liegt zwar ebenfalls die architektonische Box zugrunde, doch auf Grund seiner Größe kann dieses Projekt eine neuartige städtebauliche Komplexität entfalten. Im Endausbau sollen 16 parallel geschichtete, langgestreckte Volumen ein rechteckiges Feld füllen, das sich somit - genau wie die Baukörper selbst - autonom gibt. Es entsteht eine texturhafte Komposition mit fließenden, unregelmäßigen Außenräumen.

In der äußeren Erscheinung stellen die einzelnen Bauten die Pendants zum Hauptbau in Baden dar. Doch das ornamentale Muster der Fenster liegt hier auf dem anthrazit gefärbten Beton, der in seiner puren, unmittelbaren Verwendung ebenfalls zeittypisch ist; und sowohl die Glashaut als auch der Beton vexieren in ihrer Wirkung, je nach Tageszeit beziehungsweise Lichtverhältnissen.

Von der städtebaulichen Idee dieses Projekts lassen sich Verbindungslinien zu ganz anderen Entwurfsebenen von Riegler & Riewe ziehen. Beim Grazer Flughafen gestalteten sie die lange Fassade zum Flugfeld hin als überdimensionales Signet. Horizontale Aluminiumsprossen, die die Glasfläche in unterschiedlicher Dichte teilen, machen auf große Distanz den Namen der Stadt lesbar.

Dieses Prinzip legten die Architekten auch der graphischen Gestaltung ihrer Namen für den Brief- und Plankopf zugrunde. In den Leerstellen zwischen den horizontalen Linien werden wieder Buchstaben erkennbar. Konzentriert man sich jedoch auf einen Ausschnitt dieser graphischen Gestaltung, so scheint die Länge der Striche einem Zufallsprinzip zu folgen. Gleichzeitig kann man dieses Signet als städtebaulichen Plan lesen, bei dem die Linien stark abstrahierte langgestreckte Baukörper von unterschiedlicher Länge repräsentieren.

Genau diese Idee liegt nun dem städtebaulichen Konzept für die Informations- und Elektrotechnischen Institute der TU Graz zugrunde; die Ähnlichkeit wird besonders im Modell deutlich. Was im einen Fall zweidimensional umgesetzt ist, wird im anderen zur dreidimensionalen Schichtung von Baukörpern.

Der Entwurf für Graz sieht acht Gebäudeschichten vor, die im Mittelbereich unregelmäßig unterbrochen sind und damit 16 eigenständige Körper ergeben. Auf Grund der unterschiedlichen Länge der Volumen ergibt ein regelmäßiges System schließlich ein zufälliges Muster. Dadurch wird nicht nur die Strenge aufgehoben, es entsteht auch ein komplexes räumliches Modell. Denn im mittleren Bereich der texturhaften Komposition bildet sich ein zwar klar definierter, aber dennoch unregelmäßig fließender Außenraum. So kann man sogar von einem zentralen Platz sprechen, der sich jedoch amöbenhaft ausdehnt und schließlich in die länglichen Räume zwischen den Baukörpern ausfließt.

An den Stirnseiten des Grundstücks wird die regelmäßige Schichtung deutlich, die man auf den geraden Verbindungswegen in der Querrichtung unmittelbar erfährt. Der Innenraum wechselt dabei beständig mit dem Außenraum und einer schmäleren Zwischenzone. „Baukörper“ und „Raumkörper“ haben ähnliche Dimensionen, der Freiraum wirkt als oben offener Innenraum. So definiert dieses Projekt in städtebaulicher Hinsicht beziehungsweise in seiner Gesamtkomposition allgemeine architektonische Themen wie Nähe und Weite, Offenheit und Geschlossenheit, Weg und Platz, aber auch Schichtung und Raum auf neue Art und Weise.

Spectrum, So., 1998.09.06

06. Juni 1998Margit Ulama
Spectrum

Ein Rückgrat für drei Körper

„Beinharte Bedingungen“ und „umfangreichste Vorgaben“ hatte Walter Stelzhammer bei der Planung seiner Wohnhausanlage am Leberberg, Wien-Simmering, zu bewältigen. Viele seiner anderen Ideen für die Stadterweiterung sind derzeit - leider - nur Projekt.

„Beinharte Bedingungen“ und „umfangreichste Vorgaben“ hatte Walter Stelzhammer bei der Planung seiner Wohnhausanlage am Leberberg, Wien-Simmering, zu bewältigen. Viele seiner anderen Ideen für die Stadterweiterung sind derzeit - leider - nur Projekt.

Am Leberberg nahe dem Zentralfriedhof entstand während der vergangenen Jahre eines der größten Stadterweiterungsgebiete Wiens. Ähnlich wie bei den neuen Gebieten jenseits der Donau zeigen sich auch hier an der südöstlichen Peripherie hauptsächlich Mängel. Immer wieder fehlen überzeugende, der Zeit adäquate städtebauliche Konzepte oder zumindest Versuche in dieser Richtung, es fehlen überzeugende architektonische Konzepte. Beides findet man nur ansatzweise beziehungsweise in Ausnahmefällen.

Der neue Stadtteil am Leberberg beruht auf einer ringförmigen Anlage und wirkt dadurch in sich geschlossen. Zu Recht immer wieder kritisiert, präsentieren sich die meisten Bauten in einer eigenartigen „postmodernen“ Ästhetik. Insgesamt entsteht eine abgehobene, beinahe surreale Atmosphäre.

Doch primär ist die Frage nach der Lebensqualität in solch einem Stadtteil. Am Leberberg wurden durchgehend mehrgeschossige Bauten errichtet, und gerade diese Dichte wird seitens engagierter Architekten kritisiert. Hier werde gebaut wie im engeren Stadtgebiet, daher habe man lange Wege, eine schlechte Infrastruktur und könne doch nicht die Vorteile eines „Wohnens im Grünen“ genießen.

Genau diese Argumente bringt Walter Stelzhammer vor, der auf eine beinahe 20jährige Erfahrung im Zusammenhang mit dem Wohnbau in seinen unterschiedlichsten Facetten zurückblickt. Und er realisierte am Leberberg direkt neben der renommierten Schule von Dieter Henke und Marta Schreieck einen Bau, der positiv auffällt, der aber gleichzeitig die engen Rahmenbedingungen, unter denen er entstanden ist, widerspiegelt.

Der Bau ist eine Wohnhausanlage der Gemeinde, und der Planer werde beim Wohnbau mit „beinharten Bedingungen“, mit „umfangreichsten Vorgaben“ konfrontiert, gerade bei der Stadt Wien, so Stelzhammer.

Einerseits war es für ihn am Leberberg schwierig, von der von Josef Krawina vorgeschlagenen Blockrandbebauung abzuweichen. Mit einem Typus, der sich zur großen, öffentlichen Grünfläche hin öffnet, wollte er wenigstens einen minimalen Bezug zum Grünraum herstellen. An einem Rückgrat hängen also drei Baukörper in der Form eines Kamms. Jeder davon wird von Laubengängen erschlossen, die an die Fassaden gesetzt sind und den Volumen eine starke Plastizität verleihen.

Im Sinne einer einfachen, rationalen Reihung bildet eine dieser Fassaden dann die Front zur Straße, was irritieren mag. Auf einen repräsentativen oder motivischen Ausdruck wurde dadurch jedoch bewußt verzichtet. Diese hermetische Straßenfassade steht im Gegensatz zur anderen, nach Westen orientierten. Mit den großen Glasbausteinflächen und den Loggien, die tiefe, verschattete Stellen darstellen, wirkt diese fremdartig und beeindruckt gerade in ihrer ungewöhnlichen Komposition. Diese Flächigkeit samt ihrer spezifischen Tiefe bildet aber das genaue Gegenteil zur Plastizität der Laubengänge. Die betonte Vertikalität der Ecke fungiert schließlich als rhythmische Verbindung zwischen diesen beiden Gegensätzen.

Eine der Vorgaben der Stadt Wien besteht darin, daß der Laubengang aus wartungstechnischen Gründen geschlossen sein muß und Aufenthaltsräume nicht über den Laubengang belichtet oder belüftet werden dürfen. Dies wird schon allein durch die Realität in Frage gestellt, denn in den traditionellen Gründerzeithäusern haben die Küchen immer wieder zum Gang hin Fenster. Jedenfalls versetzte Stelzhammer die Laubengänge halbgeschossig, glich dadurch die Neigung des Grundstücks aus und ermöglichte über dem Laubengang eine direkte Belichtung der Küche.

Die Wohnungen selbst folgen dem Maisonettetypus, sie erstrecken sich also über zwei Geschosse. Doch auch die große Zahl von Wohnungen dieser Art war eine Gratwanderung, sind diese doch bei der Gemeinde Wien mit 15 Prozent der Gesamtwohnungszahl limitiert. Letztlich wurde jedoch ein ideeller Ausgleich mit anderen Bauteilen erreicht. Den restriktiven Bedingungen stehen aber neue Wohnbedürfnisse gegenüber. Stelzhammer beobachtet jedenfalls einen Anstieg der qualitativen Anforderungen, den man mit dem üblichen Standard des Gemeindebaus nicht mehr abdecken könne. Es wird heute auch von einer „Wohlstandsnachfrage“ gesprochen.

Parallel zu seiner Bautätigkeit am Leberberg suchte Stelzhammer also nach grundsätzlichen Ideen für die Stadterweiterung an der Peripherie. So entstand das Konzept für die Gartenstadt Süßenbrunn beziehungsweise die städtebauliche Studie für die Marchfelder Quartiere, beides im äußersten Nordosten Wiens gelegen.

Die Grundlage bildete in beiden Fällen der verdichtete Flachbau, den Stelzhammer auf spezifische, stringente Weise weiterentwickelte. Er erhöhte die Dichte der klassischen Teppichsiedlung, indem er zweieinhalb Geschosse verwendete, und formulierte außerdem klar abgegrenzte, quadratische Siedlungskörper. Diese flottieren nun auf scheinbar zufällige Weise im Grünraum, insgesamt fünf solche Elemente verteilen sich zwischen Alt- und Neu-Süßenbrunn.

Dies bedeutet somit eine prägnante Abgrenzung zwischen Bebauung und Grünraum, und der Zersiedelung der Landschaft soll dadurch entgegengewirkt werden. Die Quartiere selbst sind mit infrastrukturellen Einrichtungen ausgestattet, und ein feines Wegnetz durchzieht sie, wobei die Plätze jeweils tangential erschlossen werden - eine bewußte oder unbewußte Referenz an Josef Frank. Das Wegnetz verbindet schließlich auch die Quartiere untereinander.

Die Idee der im Grünland verteilten, sogar autarken Zellen wurde bereits zur Jahrhundertwende von Ebenezer Howard formuliert, doch seine Gartenstadt ist größer, radial aufgebaut und in sich hierarchisch strukturiert.

Stelzhammer setzt in seinen autonomen Stadtpartikeln sowohl den Gedanken der traditionellen Textur als auch den des modernen Solitärs um; man könnte auch von Raumbildung bei gleichzeitiger Raumverdrängung sprechen, was schließlich in einer klaren städtebaulichen Idee für den Stadtrand mündet. Deren Dichte wäre zwar geringer als jene am Leberberg, dafür gäbe es große Grünflächen zwischen den einzelnen Quartieren, und der Geschoßwohnungsbau wäre durch Individualhäuser ersetzt.

Stelzhammer greift auf den introvertierten Typus des Atriumhauses zurück und erhöht die Dichte der Teppichsiedlung, wie man sie von Roland Rainer kennt. Die Marchfelder Quartiere bauen schließlich auf acht Einzelelementen auf, jeweils mit 40 Häusern oder 90 Wohnungen, bei Ausmaßen des Siedlungskorpus von 70 Metern im Quadrat. Wiederum sind die Elemente unregelmäßig ins Umfeld plaziert, in sich dagegen streng orthogonal gegliedert. In der horizontalen und vertikalen Differenzierung kleiner Kuben vermittelt sich ein strukturalistischer Ansatz, der gerade im Modell deutlich wird. Wie im klassischen holländischen Strukturalismus baut auch dieses Konzept auf „objektiven“ Strukturen von Formen auf.

Von den unterschiedlichen architektonischen Fragestellungen zählen jene, die den Städtebau betreffen, zu den schwierigsten. In diesem Zusammenhang gibt es heute sicherlich keine allgemeingültigen Lösungen. Man könnte jedoch jeweils adäquate, in sich logische und dabei auch unterschiedlichste Konzepte anstreben. In diesem Sinne stellen die von Walter Stelzhammer entwickelten Lösungen prägnante, konsequente Möglichkeiten dar, die in dieser Form im Moment jedoch nicht realisiert werden.

Im Sinne einer Transformation der Idee entstehen nun Atriumhäuser im Süden von Wien. In Atzgersdorf handelt es sich also nicht um eigene Siedlungskörper im Grünland, sondern um 36 Häuser mit Innenhof und Dachgarten innerhalb einer bestehenden Bebauung.

Hier wird quasi ein Teilbereich eines Wohnquartiers umgesetzt - was die vielfältige Anwendbarkeit der Idee beziehungsweise des Haustypus illustriert, aber auch dessen autonomen Charakter. Die Häuser bestehen für sich, ohne unmittelbar auf die Umgebung zu reagieren.

Während Walter Stelzhammer bei früheren Projekten die einzelnen Räume stärker den Bedürfnissen entsprechend entwickelte, machte er bei den Atriumhäusern den Schritt zum nutzungsneutralen Raum, man könnte auch von der einfachen Raum-Schachtel sprechen. Die persönliche Entwicklung spiegelt damit eine allgemeine Tendenz wider und birgt gleichzeitig eine der unauflösbaren architektonischen Fragestellungen, nämlich jene, welche Art des Raumes letztlich besser nutzbar oder ganz allgemein dem Menschen adäquater sei. Unbestritten ist in diesem Fall jedoch der Vorteil einer flexiblen Nutzung, unbestritten ist dabei auch die Attraktivität des privaten Innenhofes sowie des eigenen Dachgartens.

Spectrum, Sa., 1998.06.06



verknüpfte Bauwerke
Wohnhausanlage am Leberberg

14. März 1998Margit Ulama
Spectrum

Vom Charme des Ornaments

Markenzeichen von Eva Ceska & Fritz Priesner sind nicht technologisch avancierte Materialien, sondern solche mit einem besonderen Erinnerungswert. Auch ihr jüngster Bau, ein Wohnhaus in Wien-Hernals, entzieht sich modischen Tendenzen.

Markenzeichen von Eva Ceska & Fritz Priesner sind nicht technologisch avancierte Materialien, sondern solche mit einem besonderen Erinnerungswert. Auch ihr jüngster Bau, ein Wohnhaus in Wien-Hernals, entzieht sich modischen Tendenzen.

Was ist eigentlich die Funktion einer Architekturkritik? Scheinbar einfach, ist diese Frage in ihrer Komplexität hier jedoch kaum zu beantworten. Immerhin kann auf den eigenen Blickwinkel hingewiesen werden, und gleich drängt sich die nächste Frage auf: Was berechtigt eigentlich zur Architekturkritik?

Doch natürlich hängt beides zusammen. Was die Funktion betrifft, wird der Terminus Kritik meist im gängigen, negativen Sinn verstanden. Man weist auf Beispiele hin und begründet, warum man sie für schlecht hält. Doch es gibt auch die Kritik im positiven Sinn, wie sie Walter Benjamin an Hand eines spezifischen philosophischen Kontextes formulierte.

Eine Kritik entwickelt dieser Auffassung folgend die Idee, die der jeweiligen Architektur zugrunde liegt, sie geht dabei auch über die Ansätze der Architekten hinaus, stellt Zusammenhänge dar und öffnet somit ein komplexes ideelles Spektrum. Am Ende sollte sich vermitteln, worin die über die bloße Pragmatik hinausgehende Qualität der Architektur liegt, mehr noch, worin deren Faszination liegt. Doch für diese Art der Wahrnehmung muß der Blick geschult sein, und damit wird die Frage nach der Berechtigung, über Architektur zu schreiben, berührt.

Die beiden möglichen Formen der Architekturkritik könnte man auch unter diesem Blickwinkel sehen: Die eine Haltung will Entwicklungen verhindern, indem sie negative Beispiele kritisiert. Doch um produktiv zu werden, braucht es immer den positiven Gedanken, und oft - in Gesprächen, in Diskussionen unter Architekten - bleibt es beim Lamento, das letztlich auf der Stelle tritt. Der Hinweis der Kritik auf negative Entwicklungen ist sicher notwendig, doch noch wichtiger ist die Formulierung beziehungsweise Forcierung von positiven Ansätzen, die doch vorhanden sind, man braucht sie nur zu sehen.

In diesem Sinn sei im folgenden die Stadtentwicklung an der Peripherie nur gestreift. Egal ob man den Leberberg oder die neuen Wohngebiete nördlich der Donau betrachtet - architektonische Qualität muß man suchen, und man findet sie leider nur punktuell. Wiederum eine Gretchenfrage: Warum beauftragt man denn nicht bessere Architekten? Da gibt es natürlich den komplexen, oft auch rigiden Bauprozeß mit den immer wieder angeführten ökonomischen Rahmenbedingungen oder auch die rein ökonomischen Ambitionen; da gibt es aber auch eine weite Unsicherheit, was denn nun wirklich architektonische Qualität sei, und je avancierter die Architektur, umso größer die Unsicherheit. Und hier schließt sich der Kreis zur Funktion der Architekturkritik, nämlich die Qualität in ihren unterschiedlichsten Facetten zu sehen und darauf aufmerksam zu machen.

Eva Ceska & Fritz Priesner zählen zu jenen Architekten der jüngeren Generation, die Qualität in einem pragmatischen Sinn anstreben und bei der Realisierung ihrer bisherigen Wohnbauten außerdem sowohl einen eigenen Sprachduktus als auch besondere Grundrisse entwickelten. Das Wohnen, also die Benutzbarkeit, stellt für sie einen primären Faktor dar. Ihr Wohnbau in der Balderichgasse, eine konventionelle Schließung einer Baulücke, veranschaulicht dabei die unterschiedlichen Dimensionen ihrer Haltung, nämlich eine spezifische Form einer rauhen, herben Ästhetik, kombiniert mit einem charmanten Gestus.

Das Rauhe drückt sich besonders an der Fassade auf Grund der Farbgebung, einer Differenzierung von Grautönen, aus. Das übergeordnete Element ist ein länglicher, verputzter Rahmen, der den Mittelteil der Fassade einfaßt, darunter liegt ein Sockelgeschoß, darüber das Dachgeschoß. Die Stirnseiten von Wand- und Deckenelementen strukturieren die innere Fläche kreuzförmig, was durch die Aluprofile der Fenster fortgesetzt wird.

Eternitelemente dienen als Balkonbrüstungen, das Pendant zu diesen flächigen Teilen sind einerseits die Aluminiumelemente als Ergänzung der Glasscheiben, andererseits die niederen Heizkörper im Inneren. Breite Jalousien stellen dann je nach Verwendung die feinste Strukturierung dar. Dieses in sich logische Konzept der Fassade korrespondiert schließlich mit dem Rahmenmotiv um die Fenster des Nachbarhauses.

Die Logik dieser Konzeption und die damit verbundene Materialverwendung machen die architektonische Qualität aus, doch dies auch sinnlich so zu empfinden bedarf - beinahe wie bei einem hermetischen Tafelbild - längerer Betrachtung. Im Inneren wechselt dann die Stimmung. Im Hausflur findet man eine Betonbrüstung und einen lapidaren Gummibelag auf dem Boden, die Postkästen bergen in der Art, wie sie auf der Brüstung sitzen, sogar einen Hauch von Witz und Ironie. Das Auffällige ist hier aber eine heute kaum mehr gebräuchliche Wandgestaltung, das feine, rötliche Walzenmuster, das seitlich ansetzt und sich entlang der Treppe weiterzieht. Ein dünner Handlauf und eine Brüstung im Fensterbereich ergänzen die Wandgestaltung im gleichen Farbton, und gerade in ihrem Minimalismus entwickelt die leichte Ornamentierung ihren besonderen Charme.

So zeigt sich bei diesem Wohnbau eine Dichotomie der Architektur: Auf der einen Seite liegt der rauhe Ausdruck des Materials, auf der anderen Seite konstituiert sich bei der Wandgestaltung das Thema Bekleidung, doch in beiden Fällen ist der Ausdruck unmittelbar. Die Malerei im Stiegenhaus bedient sich - im Semperschen Sinn - nicht nur des immateriellsten Bekleidungsmittels, der Farbe, diese bedeckt zusätzlich nur ganz zart den weißen Untergrund.

Man könnte auch von einer lakonischen Haltung sprechen, die die Entwürfe der Architekten in verschiedenster Hinsicht durchzieht. Parallel zum Wohnhaus in der Balderichgasse realisierten Ceska & Priesner einen Wohnbau in der Ludwiggasse, und da übernahmen sie einfach einen Grundriß von Paul Baumgarten aus dem Jahr 1957, der sich den Bedingungen entsprechend anbot - wiederum eine sehr direkte Lösung.

Gerade bei diesem zweiten Wohnbau findet man eine zeittypische Collage unterschiedlicher Materialien, und mit dem Profilitglas gibt es wiederum ein Element, das früher gängig war. Ceska & Priesner spielen auch auf diese Weise mit der architektonischen Oberfläche. Sie distanzieren sich in ihrer direkten Art jedoch von einer ästhetischen Haltung und greifen sowohl mit dem Glas als auch mit dem rötlichen Walzenmuster in die Vergangenheit zurück. Sie setzen also nicht, wie heute oft üblich, technologisch avancierte Produkte ein, sondern solche, die einen besonderen Erinnerungswert haben.

Diese Materialverwendung steht in Verbindung mit einem grundsätzlichen Interesse für Strukturen. Eva Ceska experimentiert mit dem Medium der Photographie und löst dabei aus dem Kontext des Alltags und der Kunst Materialstrukturen heraus, um Anregungen für die eigene architektonische Arbeit zu bekommen.

Im Gegensatz zu den perfekt gegliederten Grundrissen bei ihrem Wohnbau in der Braunhirschengasse findet man in der Balderichgasse loftartige, also offene Wohnbereiche an der Straßenseite, die die Kreativität der Bewohner herausfordern, die aber auch in konventionelle Räume teilbar sind. Und wieder gibt es auch bei dem jüngsten Wohnbau eine Sonderlösung: ein Atelier im Erdgeschoß, das sich in der Art einer Maisonette mit einem Wohnbereich darüber verbindet.

Im Prinzip stellt der Bau in der Balderichgasse ein konventionelles Wohnhaus in einer Baulücke dar, ungewöhnlich ist die architektonische Ausformulierung. Wie sich Ceska & Priesner im weiteren eine Innenraumgestaltung vorstellen, vermittelt sowohl ihr eigenes Atelier in der Nelkengasse als auch das Geschäft „eva fuchs einkleidung“ in der Neubaugasse. Bei letzterem tritt der rauhe Gestus in den Hintergrund, die Gestaltung wird beinahe nobel, trotzdem bleiben die direkte Ästhetik und die damit verbundene unmittelbare Materialwirkung erhalten. Gerade in der Zusammenschau der verschiedenen Beispiele erkennt man schließlich das gestalterische Spektrum der Architekten.

Spectrum, Sa., 1998.03.14



verknüpfte Bauwerke
Wohnhaus Balderichgasse

15. November 1997Margit Ulama
Spectrum

Hypostyl und Architrav

Hermann Czech gilt als eigenwillig und kompliziert. Er wechselt zwischen betont zurückhaltend und formal exzessiv. Mit seinen jüngsten Wiener Bauten, einer Wohnhausanlage und der Neugestaltung einer Bank, setzt er diese Linie fort.

Hermann Czech gilt als eigenwillig und kompliziert. Er wechselt zwischen betont zurückhaltend und formal exzessiv. Mit seinen jüngsten Wiener Bauten, einer Wohnhausanlage und der Neugestaltung einer Bank, setzt er diese Linie fort.

In der Wiener Architekturszene ist Hermann Czech eine der eigenwilligsten und kompliziertesten Persönlichkeiten, und dies drückt sich auch in seinen Bauten aus. Scheinbar unabhängig von nationalen und internationalen Trends entwickelte er eine spezifische architektonische Sprache, die zwar zahlreiche Referenzen hat und einer besonderen Tradition des Ortes folgt, die aber dennoch einen individuellen, immer wieder neuen Ausdruck findet.

Kreativität und Wissen beziehungsweise Bildung stellen dafür die Grundlage dar, und Czechs Atelier in der Wiener Innenstadt paraphrasiert gewissermaßen seine architektonische Haltung. Man erreicht es über einen langen, komplizierten Weg vom Eingang bis zum obersten Geschoß eines hinteren Haustraktes. Am Ende bietet sich ein eindrucksvoller Blick in und über die Dachlandschaft des ersten Bezirks. Der verschlungene Weg und der Blick über die Stadt und ihre Geschichte, die Kenntnis von Geschichte ganz allgemein, stehen also in enger Verbindung, das eine ist ohne das andere nicht zu denken, und beides gemeinsam umschreibt metaphorisch das Czechsche Denken.

Gerade die Dichte und Vielschichtigkeit des Ausdrucks verbinden Czech mit manchen seiner hiesigen Architektenkollegen, die doch völlig konträre Richtungen vertreten. Als einziger entwickelte er seine Entwurfsmethodik jedoch in engem Zusammenhang mit seinen publizistischen beziehungsweise theoretischen Äußerungen. Voriges Jahr wurden nun seine zum ersten Mal 1977 unter dem Titel „Zur Abwechslung“ erschienenen und längere Zeit vergriffenen Schriften wieder aufgelegt. In der kaum veränderten, jedoch erweiterten Form dokumentieren diese „Kritiken und Essays“ auch seine Auseinandersetzung mit jeweils aktuellen Themen. Die Schriften mit ihrem eigenwilligen Sprachduktus und der an manchen Stellen einprägsamen Rhythmik ermöglichen einen leichteren Zugang zu seiner tendenziell hermetischen Architektur, die intellektuell fundiert ist. Loos habe gegen jede Form gekämpft, die nicht Gedanke sei, bemerkt Czech und folgt dieser Idee auch mit den eigenen Arbeiten.

Man könnte den Czechschen Entwurfsprozeß so beschreiben, daß eine grundlegende Idee mehr und mehr angereichert wird. Immer wieder verwendet er dabei den einfachen Kubus als primäre Form des Baukörpers. Czech betont im weiteren die semantische Ebene, wenn auch nie in eindeutiger Weise, sondern immer gebrochen. Gerade dadurch wird der Betrachter aber irritiert. Die Bedeutung der Elemente verändert sich auf Grund ungewöhnlicher syntaktischer Zusammenhänge, auf Grund von Maßstabssprüngen und Fragmentierungen. Legendär sind in diesem Zusammenhang die überdimensionalen Kreuzrippen der Wunder-Bar aus den siebziger Jahren, die den unregelmäßigen Gewölben ei- nen räumlichen Halt verleihen sollten.

Knapp zehn Jahre später realisierte Czech beim Souterrain-Umbau im Palais Schwarzenberg wiederum eine mit irritierenden semantischen Anspielungen angereicherte Interpretation des historischen Kontextes. Auch bei den jüngsten Bauten, der Blockbebauung Paltaufgasse und dem Umbau des Bank-Austria-Kundenzentrums Am Hof, bestimmt der jeweilige Kontext den Entwurf. Beide Beispiele wirken, ähnlich wie die Wunder-Bar, ambivalent: sowohl selbstverständlich als auch ungewöhnlich.

Der kürzlich fertiggestellte Wohnbau am westlichen Stadtrand von Wien liegt unmittelbar neben der Vorortelinie von Otto Wagner. Für die neu gebaute U-Bahn sollte hier eine Wendeanlage entstehen. 1991 erarbeitete Czech im Rahmen einer Bebauungsstudie daher prinzipielle Vorschläge zur Integration dieser Wendeanlage in die Bebauungsstruktur, wobei er von Beginn an die U-Bahn-Trasse deutlich sichtbar machen wollte. Seine Studie mündete in der letztlich auch realisierten Lösung, bei der das Brückentragwerk den Baublock teilt und am Ende einfach abgeschnitten ist. Diese Lösung birgt nicht nur den Widerspruch von ungewöhnlicher, zugleich selbstverständlicher Wirkung, sie evoziert auch zufällig Entstandenes.

Beides, sowohl das Selbstverständliche als auch das Zufällige, reflektiert Czech in seinen Schriften. Er spricht ebenso vom Vorhandenen, und vorhanden war in diesem Fall die U-Bahn-Trasse, die er zum Thema des gesamten Baus machte. Während diese auf der einen Seite in unveränderter Form in den Block hineinfährt, wird das Brückentragwerk auf der anderen Seite, wo es abgeschnitten ist, zur von den Hausfassaden gerahmten, überdimensionalen Skulptur, die, getragen von zwei mächtigen Stützen, etwas in den Straßenraum ragt. Den Raum unter diesem Tragwerk plante Czech als öffentliche Passage und assoziierte mit seinen archaischen Stützenstellungen das Hypostyl des Amun-Tempels in Karnak. Doch seitens des Bauträgers stand die Verwertbarkeit der Flächen im Vordergrund, und so wurde die Passage geschlossen und vermietet. Auf Grund zurückgesetzter Eingänge entsprechen zumindest die Fassaden noch der eigentlichen Entwurfsidee.

Innerhalb der traditionellen, geschlossenen Blockbebauung sind die Schnittflächen entlang der U-Bahn-Trasse mittels einer expressiven rötlichen Farbe hervorgehoben. Auffallend bei den Fassaden ist deren Dreiteilung. Über einem Sockelgeschoß mit Schaufensterflächen liegen in engem Rhythmus banale Rechteckfenster, die eine Büronutzung suggerieren, tatsächlich wurden aber hauptsächlich Wohnungen realisiert.

Die darüberliegende Zone drückt mit ihren Loggien und Terrassen unverkennbar diese Nutzung aus. Bei der Collage unterschiedlicher Fassadenbereiche fallen die obersten Geschoße in ihrer Unregelmäßigkeit auf.

Czech wollte auch im Dachbereich, wo eine Mindestdachneigung von 35 Grad vorgeschrieben war, sowohl adäquate Räume als auch eine akzeptable äußere Erscheinung erreichen. So kombinierte er schräge Dachabschnitte mit Terrassen und einer besonderen Form der Gaube, die bündig in der Fassadenfläche liegt und als kleiner Kubus emporwächst. Auf diese Weise definierte er auch eine klare Gebäudeoberkante.

Als Gauben akzeptierte man seitens der Behörden diese Elemente aber nur mit einem Rücksprung. Traditionell liegt dieser in der Dachfläche, Czech setzte ihn jedoch als minimalen Rücksprung ein Geschoß tiefer. Rechts und links des Brückentragwerks liegen schließlich zwei symmetrische Fassaden, die mit den geschlossenen Seiten der Gauben die Idee des differenzierten Kubus darstellen.

Czechs Bauten wechselten immer zwischen Auffälligkeit und Unauffälligkeit, zwischen formaler Zurückhaltung und exzessiver Fülle. Sein Wohnbau in der Petrusgasse und der Stadtparksteg sind ungewöhnlich zurückhaltend.

Immer wieder liegt den Entwürfen ein übergeordnetes räumliches Denken zugrunde, so dem Stadtparksteg der Gedanke eines möglichst freien Blickes entlang des Wienflusses. In vergleichbarer Weise wollte er im Zusammenhang mit der Blockbebauung Paltaufgasse und der Errichtung des Brückentragwerks den freien stadtauswärtigen Blick auf der Thaliastraße erhalten.

Im Sinne eines freien Blicks, der das Erfassen von größeren Zusammenhängen ermöglicht, verstand Czech auch die Renovierung und räumliche Reorganisation des Bank-Austria-Kundenzentrums in der Wiener Innenstadt. Das Kundenzentrum liegt in einem gediegenen, traditionalistischen Bau, der 1914 von Ernst von Gotthilf und Alexander Neumann fertiggestellt worden war. Czech entfernte alle Einbauten, sodaß sich das Hauptgeschoß jetzt als ein überblickbares Raumkontinu- um präsentiert, das verschiedene Pfeilerstellungen gliedern.

In der Mitte liegt die zentrale Halle mit den beiden seitlichen Kassensälen als basilikale Raumkonfiguration. In die geklärte Baustruktur setzte Czech dann einzelne für ihn typische Elemente. Ergänzend zum bestehenden Eingang in der Längsachse öffnete man das Geschoß in der Querachse zum Fußgängerstrom. Hinter dem Eingang, dessen Vordach beiläufig die Metapher eines Fledermausflügels birgt, liegt eine kleine, dennoch komplizierte Treppenanlage - und verwinkelte oder schräge Treppen bilden einen kontinuierlichen Topos im Oeuvre von Czech.

Am auffälligsten sind hier jedoch die Luftausbläser aus Nirosta. Im äußeren Bereich der Kassensäle stehen sie jeweils vor den Pfeilern und wiederholen damit die Raumstruktur. Mit dem kubischen Sockel und dem leicht nach vorne geneigten Säulenschaft interpretieren sie klassische Architekturelemente. Die Querteile mit den Weitwurfdüsen wirken fremd, doch sie können als Teile eines Architravs gelesen werden - mit den Düsen in der Art eines fragmentierten Frieses.

Diese klassischen Implikationen mögen der Grund dafür sein, daß sich die mächtigen, die Warmluftausbläser im Schaltersaal des Postsparkassenamtes von Otto Wagner evozierenden Elemente doch in den Raum einfügen. Auf exemplarische Weise integrieren sie den Rekurs auf die Geschichte in ein modernes, zeitgemäßes Denken.

Spectrum, Sa., 1997.11.15



verknüpfte Bauwerke
Umbau Bank Austria Kundenzentrum

14. Juni 1997Margit Ulama
Spectrum

Die Zeit der Träume ist vorbei

Die Donau-City ist eines der brisantesten städtebaulichen Projekte in Wien. Trotz Beteiligung renommierter Planer: Man wünschte sich mehr Mut und Qualitätsbewußtsein bei der anspruchsvollen Aufgabe, ein zweites Stadtzentrum zu schaffen.

Die Donau-City ist eines der brisantesten städtebaulichen Projekte in Wien. Trotz Beteiligung renommierter Planer: Man wünschte sich mehr Mut und Qualitätsbewußtsein bei der anspruchsvollen Aufgabe, ein zweites Stadtzentrum zu schaffen.

Noch kann man träumen - von wirklich moderner, zeitgenössischer Architektur an einer zentralen Stelle der Stadt, von einem Klein-Manhattan am jenseitigen Ufer der Donau, von einem neuen Stadtzentrum, das ohne Zaudern und Ängste entstehen würde, basierend auf völlig frei konzipierter, zukunftsweisender Architektur. So materialgebunden und realitätsnah Architektur letztlich ist, war sie immer auch ein Medium der Visionen und Utopien. Doch im Gegensatz dazu äußerte sich natürlich auch immer der Wunsch, Architektur möge Sicherheit und Geborgenheit nicht nur bieten, sondern auch darstellen, und das mit traditionellen Bildern.

Jede architektonische Äußerung bewegt sich - etwas weiter gedacht - zwischen den beiden Polen Utopie und Pragmatik. Die äußeren Einflüsse nehmen dabei immer mehr zu, je größer der Maßstab ist, und so wird auch die Entwicklung eines städtischen Zentrums, wie es die Donau-City darstellen soll, zu einem äußerst komplexen Prozeß. Ökonomische, politische und ästhetische Dimensionen sind auf unterschiedliche Weise bestimmend, und letztere haben hier insofern Bedeutung, als das neu entstehende Gebiet die Idee der Stadt, also deren grundsätzliche Identität prägen beziehungsweise erweitern wird.

Das Diktum von Josef Frank, die Menschheit brauche Symbole - und er meinte damit auch architektonische Symbole - , hat sicherlich gerade im Zusammenhang mit der Stadt noch Gültigkeit. Die Frage ist somit, welches Symbol sich Wien mit der Donau-City geben wird.

Die Geschichte dieses Stadtteils, der als zweites Zentrum von Wien propagiert wird, reicht einige Jahre zurück, nämlich bis zur „Expo '95“ und deren Absage auf Grund einer Volksbefragung im Jahr 1991. Von Beginn an war die Nachnutzung ein Thema; schließlich wurde die Idee eines neuen Zentrums im Sinne einer bipolaren Stadtentwicklung geboren. Im Zuge der Expansion der Stadt, besonders an deren Rändern, erscheint die Entlastung des historischen Zentrums logisch.

Kritik gab es in erster Linie bezüglich der Lage der Donau-City, die eine Art erweiterten Brückenkopf der Reichsbrücke darstellt, an den übrigen Seiten begrenzt von Neuer Donau, UNO-City und Donaupark: Dieses Gebiet werde isoliert im Stadtkörper liegen und sei außerdem zu klein für eine wirkliche Zentrumsfunktion. Doch mangels eines idealen Ortes kommen hier die positiven Argumente zum Tragen, wie etwa die Situierung an der U 1 und damit an der städtebaulichen Entwicklungsachse in nordöstlicher Richtung, die durch die gute Anbindung über die Donauufer-Autobahn ergänzt wird. Für die Benutzer wird schließlich auch die Lage am Donaupark und an der Neuen Donau sowie der Blick zum Kahlenberg attraktiv sein.

Zur Entwicklung des Gebietes gründete man im Jahr 1991 die „Wiener Entwicklungsgesellschaft für den Donauraum AG“, die nun als Generaldeve- loper der Donau-City agiert. Beteiligt sind an der WED österreichische Banken und Versicherungen sowie die Wiener Holding AG und das japanische Wertpapierhaus Nomura, wobei die Bank Austria Hauptaktionär ist. In dieser Hand liegt somit die Verantwortlichkeit für die Entwicklung des Gebietes nicht nur in ökonomischer, sondern auch in kultureller Hinsicht.

Finanziell aufwendig waren die Investitionen, die notwendig waren, um eine Bebauung überhaupt zu ermöglichen. Dies bezieht sich auf die Tatsache, daß man in der Nachkriegszeit das Gebiet als Mülldeponie benutzte, aber auch auf die Donauufer-Autobahn. Über das gesamte Gebiet wollte man zuerst eine „Platte“ legen, schließlich wurde die Deponie jedoch ausgehoben, und es entstand eine „Grube“, in die man eine überdimensionale „Schachtel“ stellen wollte - gleichsam eine Finger- und Sprachübung entlang architektonischer Grundbegriffe. Aufgrund der Vorinvestitionen entstand teurer Baugrund und damit ökonomischer Druck, Investitionsdruck, der den Handlungsspielraum verkleinerte.

In die Grube wurde schließlich doch keine Tiefgarage in Form einer riesigen Schachtel gestellt, und überplattet wurde nur die Autobahn. Man beauftragte Adolf Krischanitz und Heinz Neumann mit der Erstellung eines Masterplans, und sie formulierten das Konzept für eine sukzessive Bebauung, das ohne ein solches Basisbauwerk auskam. Für eine mögliche zeitliche Entwicklung teilten sie die Fläche in quadratische Parzellen, auf die die Baukörper wie Dominosteine gesetzt werden konnten.

Der prototypische Entwurf zeigt in der Draufsicht ein unregelmäßiges, gezacktes Muster, das durch die Kombination einfacher Volumen entsteht. Die sich ständig verändernden, fließenden Freiräume zwischen den Baukörpern erweitern dabei das herkömmliche Schema von Straße und Platz, es entsteht eine grundsätzlich neue Kategorie der Komposition im großen Maßstab.

Ein weiteres Spezifikum dieses in städtebaulicher Hinsicht visionären, dabei mit traditionellen Bauvolumen operierenden Entwicklungskonzepts war die Differenzierung der vertikalen Ebenen. Nach dem Aushub der Mülldeponie lag der gewachsene Boden des Planungsgebietes neun Meter unter dem Niveau der Umgebung, und der Masterplan sieht hier sowohl Erschließungsstraßen und Garagen als auch üppige Grünflächen vor. Nur mit Stützen den Boden berührend, sollte darauf die eigentliche Bebauung gesetzt werden. Die Fußgängerebene schließt unmittelbar an die Umgebung an, knapp darunter liegt die Ebene der technischen Infrastruktur. Auch diese vertikale Schichtung sollte eine sukzessive Bebauung ermöglichen, außerdem dreidimensionale Transparenz schaffen.

Doch die Zeit der architektonischen Träume im Zusammenhang mit der Donau-City ist beinahe zu Ende - aber hat es sie denn, abgesehen vom Masterplan, konzeptuell je gegeben? Haben nach der Absage der Expo nicht verschiedenste Faktoren eine Eigendynamik entfaltet, die den weiteren Prozeß der Entwicklung in starkem Maße bestimmte? Jedenfalls versuchte man zwar, auf Basis der von Krischanitz/Neumann formulierten architektonischen Grammatik konkrete Planungen zu entwickeln, die Stringenz der Idee des Masterplanes ging aber verloren.

Das gesamte Gebiet präsentiert sich derzeit als riesige Baustelle. Am Beginn eines zukünftigen diagonalen Boulevards steht der Andromeda-Tower von Wilhelm Holzbauer, dessen Bau bereits weit fortgeschritten ist, ein pragmatischer, gläserner Büroturm in Ellipsenform mit ökonomischen Grundrissen, bei denen unterschiedlich konische Räume entlang der Fassade addiert sind. Dann soll der Doppelturm von Gustav Peichl und Arata Isozaki folgen, den man in der dritten Bauetappe realisieren will, und schließlich am Ende der Diagonale, genau über der A 22, das Guggenheim-Museum von Hans Hollein.

Dieser Entwurf eines geöffneten Zylinders beruht auf einem zentralen Freiraum, den verschiedenste unregelmäßige, dynamisch wirkende Gebäudeteile umfassen, ein architektonisches „Juwel“ in vorderster Reihe. Ein Kultur-Magnet dieser Art wäre für die Attraktivität der Donau-City sicherlich wichtig, das Problem eines Guggenheim-Projektes ist die nötige Finanzierung von österreichischer Seite.

Außer dem Andromeda-Tower sind derzeit die geförderten Wohnbauten an der Seite des Donauparks in Bau, geplant von Margarethe Cufer mit Péter Balogh und Thomas Bammer, Elke Delugan-Meissl & Roman Delugan und Michael Loudon; enttäuschend ist, daß man Hermann Czech durch Eric Steiner ersetzte.

Problematisch erscheint rückblickend die gemeinsame Erarbeitung eines städtebaulichen Leitbildes, bei der die Differenzierungen der Gutachterprojekte verlorengingen. Lange, zehngeschoßige Baukörper umfassen nun zwei quadratische Höfe. Der gestalterische Spielraum für die Architekten ist eng, und doch können gerade so große Baumassen einzig in der Detail- und Materiallösung architektonische Qualität entfalten.

Neben dem diagonalen, von Hollein konzipierten Boulevard bildet das Rückgrat des Gebiets die parallel zum Fluß geführte, von Krischanitz gestaltete Donau-City-Straße. Aktuell ist im Moment außerdem der Wettbewerb für die Maschinenbaufakultät der TU, die Realisierung einer Volksschule von Hollein und die Planung eines Science- und Technologieparks durch Holzbauer und Sepp Frank.

Im letzten Fall wirft die Architektur wohl die Frage nach dem Verhältnis von Inhalt und Form auf, also nach der Art der Präsentation neuer Technologien. Holzbauer/Frank werden, so kann man annehmen, nicht mit architektonischen Experimenten auf das Thema reagieren. Die Chance zur Realisierung innovativer Architektur bietet sich nun beim zweiten Standort des Technologieparks in Floridsdorf mit einem Projekt von Coop Himmelb(l)au.

In der Donau-City befindet sich im Moment ein Drittel der insgesamt möglichen Kubatur in Bau, und so ist letztlich einiges offen. Im Sinne der Bedeutung des Gebietes wäre zu hoffen, daß sich die Akzeptanz qualitätvoller, zukunftsweisender Architektur noch stärker durchsetzte. Erst dann entwickelte sich die Donau-City als kultureller Gegenpol zur traditionellen, zu Recht berühmten Wiener Innenstadt.

Spectrum, Sa., 1997.06.14

12. April 1997Margit Ulama
Spectrum

Gemeinschaft ohne Windfang

Am Satzingerweg in Wien-Floridsdorf liefern Heidecker & Neuhauser einen praktikablen Beitrag zur Entschärfung einer konfliktträ:chtigen Situation: Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem Wohnbau.

Am Satzingerweg in Wien-Floridsdorf liefern Heidecker & Neuhauser einen praktikablen Beitrag zur Entschärfung einer konfliktträ:chtigen Situation: Menschen aus verschiedenen Kulturen in einem Wohnbau.

Zwischen Floridsdorf und Kagran und somit zwischen zwei wichtigen Entwicklungsachsen von Wien entstehen derzeit Siedlungen und Wohngebiete mit programmatischen Namen: Sun City, Autofreies Wohnen, Frauen-Werk-Stadt und Interkulturelles Wohnen sind - zum Teil bereits realisierte - Manifestationen des Urban Sprawl. Diese sogenannten Themenstädte formieren sich zu einem Patchwork verschiedener Inhalte und Identitäten. Die unmittelbare Nachbarschaft des Wohnprojekts von Heidecker & Neuhauser zeigt sich zusätzlich divergent: Dem Milliardenprojekt der neuen Veterinärmedizinischen Universität fehlt wirkliches architektonisches Engagement; dagegen ist der neue Schulbau von ARTEC (Götz & Manahl) nordöstlich davon spröd, dennoch avanciert; und ein Wohnbau von Jean Nouvel gibt sich in Farbe und Form gänzlich unösterreichisch, mit einer Art französischer Heiterkeit.

Mitten in diesem Patchwork unterschiedlicher architektonischer Sprachen steht der Wohnbau am Satzingerweg pragmatisch und moderat modern. Drei Riegel und ein einzelner Baukörper umfassen einen Hof, ein durchgehender Laubengang erschließt die Wohnungen. Das politisch engagierte Projekt wurde 1995 mit dem Wiener Integrationspreis ausgezeichnet, 1996 zählte es beim Adolf-Loos-Architekturpreis zu den fünf prämierten Bauten.

Das Patchwork der Themen und Identitäten, aber auch der architektonischen Sprachen spiegelt gegenwärtige gesellschaftliche Tendenzen wider. Divergenz ist das Zeichen der Zeit. Diese Uneinheitlichkeit manifestiert sich auch bei den Planungen für die Donau-City unmittelbar vor der UNO-City: Holleins Guggenheim-Entwurf zelebriert Architektur, die Wohnbauten zum Donaupark hin sind dagegen grundsätzlich einfach konzipiert. Die gegensätzlichen Formen unterstreichen hier den jeweiligen Inhalt.

Unterschiedlichste architektonische Haltungen findet man auch bei den zahlreichen neuen Wohnbauten an der städtischen Peripherie. Die Themenstädte repräsentieren dabei den Versuch, eine Identifikationsmöglichkeit für die zukünftigen Bewohner zu schaffen, indem sie bestimmte gesellschaftliche Tendenzen in den Vordergrund rücken.

Neben der engagierten Haltung, die dabei zum Ausdruck kommt, könnte man aber auch von einer - durchaus legitimen - Marktstrategie seitens der Bauträger sprechen. Denn heute gibt es eine differenzierte Nachfrage nach Wohnungen, eine „Wohlstandsnachfrage“, so Karl Wurm, Geschäftsführer des für das Projekt Satzingerweg verantwortlichen Bauträgers Gewog. Auch im Zusammenhang mit dem Wohnen etablierten sich Trends und Moden.

Dem Wohnbau am Satzingerweg liegt ein von Kurt Leitner, Susanne Reppé und Herbert Appelt durchgeführtes Forschungsprojekt zum Thema „Interkulturelles Wohnen“ zugrunde. Man intendierte dabei die Integration von Personen aus verschiedensten Kulturen innerhalb eines Wohnbaus und damit eine emotionale und ideelle Öffnung zum Fremden. An der Entwicklung dieser Projektidee war auch der Bauträger beteiligt. Neben der Integration von „Ausländern“ wollte man gemeinschaftliche, besonders kulturelle Aktivitäten innerhalb des Wohnbaus fördern beziehungsweise initiieren, und von Beginn an bezog man die Bewohner in den Planungsprozeß mit ein.

Im Gegensatz zu früheren Partizipationsprojekten konnten sich diese bei den Treffen mit der Architektur vertraut machen und gleichzeitig erste nachbar-schaftliche Kontakte knüpfen; der Entwurf wurde jedoch - bis auf kleine mögliche Änderungen - von den Architekten festgelegt.

Das Projekt präsentiert sich somit in zweifacher Hinsicht engagiert: einerseits auf Grund der im Rahmen des Forschungsprojekts durchgeführten begleitenden Betreuung der Bewohner, die eigentlich bei jedem neuen Wohnbau notwendig wäre; unter anderem, um architektonische Bildung, an der es zumeist fehlt, an Hand der Praxis zumindest ansatzweise zu vermitteln. Andererseits ist diese Themenstadt natürlich unmittelbar politisch: Die bewußte Integration fremder Kulturen bleibt auch in diesem von einer finanziell abgesicherten Mittelschicht bewohnten geförderten Projekt ein gerade heute entscheidender Schritt. Außerdem wurden über den Fonds zur Integration von Flüchtlingen des Innenministeriums drei bosnische Familien aufgenommen - bei einem Projekt dieser Größe doch ein beachtlicher und gleichzeitig angemessen erscheinender Anteil.

Es wird immer wieder die Frage gestellt, inwieweit Architektur die Gesellschaft verändern könne. Mit einem solchen Anspruch würde man sicherlich zu hoch greifen, adäquater wäre es, von einer Beeinflussung zu sprechen. Architektur kann bestimmte Verhaltensweisen ermöglichen, andere unterbinden.

Soziale Kontakte und gemeinschaftliche Aktivitäten will der Wohnbau am Satzingerweg mittels eines Hofes und einer Laubengangerschließung fördern. Und tatsächlich vermittelt diese Konzeption, die Gruppierung von modernen Zeilen um einen traditionellen Platz, ein gemeinschaftliches Gefühl, oh- ne beengend zu wirken. Für unterschiedliche Aktivitäten der Bewohner wurden außerdem im Kubus an der Schmalseite des Hofes eigene Räume geschaffen, und teilweise verzichteten die Architekten auf die Vorräume, um die Wohnungen unmittelbar an die halböffentliche Zone zu binden. Inwieweit die Bewohner die Architektur tatsächlich in einem verbindenden Sinn erfahren, will das Forschungsprojekt in seinem dritten Teil untersuchen. - Die Architektur dieses Wohnbaus nimmt Elemente und Themen der klassischen Moderne auf. So sind die drei Baukörperzeilen zwar nicht parallel angeordnet, doch auch in der Gruppierung um einen Hof bleiben sie als selbständige Teile erkennbar.

Als verbindendes Element fungiert der Laubengang. Dieser bildet - quasi als Paraphrase der Außenfassaden - eine strukturelle Schicht vor der eigentlichen Hausmauer. An der Nordseite der Anlage wurde diese Innenseite des Baukörpers nach außen gedreht, der Laubengang zur Erschließung war daher nicht mehr nötig. Doch als ästhetisch strukturierendes Element fehlt er, die Lochfassade allein kann hier keine wirkliche architektonische Qualität entfalten.

Das Pendant der Laubengänge stellen die Loggien dar, deren Teile als Flächen wirken, was durch das Freistehen der Brüstungselemente betont wird. Hinzu kommen die unterschiedlichen Strukturen und Farben des Trapez- und des Lochbleches sowie der Holzverkleidung der Seiten. Hier zeigt sich - zurückhaltend - die aktuelle Tendenz, gegensätzliche Materialien zu kombinieren, was die Außenbereiche lebendig wirken läßt.

Diese Loggien nehmen einen Fassadentypus der sechziger Jahre auf, der damals jedoch sehr streng mit durchlaufenden Öffnungen und Brüstungen konzipiert war. Zur räumlichen Trennung der Loggien verwenden Heidecker & Neuhauser kleine Kuben, die als Abstellräume Elemente mit gleichermaßen ästhetischer wie praktischer Funktion darstellen. Die Architekten verwenden einen ähnlichen kleinen Kubus auch im Innenraum, wo er der räumlichen Gliederung des offenen Wohnbereichs dient. Quasi die Negativform dieses Kubus bildet in der Nordzeile die Toilette. Beide Elemente, sowohl die Positiv- als auch die Negativform, liegen auf einer Achse, die kleinen Räume markieren so die Mitte der Wohnungen.

Neben der insgesamt perfekten Ausführung, die einfache Materialien als besondere erscheinen läßt, sind also die Grundrisse genauestens überlegt, was schließlich zu einer beeindruckenden Räumlichkeit innerhalb einer grundsätzlich konventionellen Konzeption führt. Die Grundrisse sind logisch, trotzdem subtil. Letzteres zeigt sich unter anderem in den auf Wegachsen beziehungsweise -linien liegenden, gleichzeitig leicht versetzten Türachsen. Diese feine Irritation zur Auflockerung eines Konzeptes geht auf Josef Frank zurück, ebenso das eigentlich falsche Aufschlagen des Türflügels, das wiederum der Betonung des Weges dient.

Auch dieses Sichöffnen der Türe gegen den Raum findet man im Wohnbau am Satzingerweg, hier jeweils in Kombination mit einem Mauervorsprung, an den sich die geöffnete Türe anlehnt. Eine andere Besonderheit der Grundrißkonzeption, das Fehlen der Windfänge, beruht auf einer Sondergenehmigung, da dies nicht den rechtlichen Forderungen entspricht; die großzügigen Laubengänge, die Gemeinschaftsräume, die Schiebetüren, der Lift und die Abstellräume der Loggien konnten dagegen auf Grund der ökonomischen Gesamtplanung finanziert werden.

Die Referenz an die Moderne wird in der äußeren Konzeption der Anlage deutlich. Auch Heidecker & Neuhauser schneiden die Zeilen quasi ab, wodurch diese Fassaden einen eigenen Stellenwert bekommen. Hier wirken sie nicht so sehr auf Grund der ausgetüftelten Komposition innerhalb der Fläche - durch die Schräge des Dachgeschoßes sind die Fassaden außerdem leicht deformiert, eine Schräge, die auf Grund der Bebauungsbestimmungen verwendet wurde - , sondern vielmehr in der Gesamtkomposition. Dies trifft besonders auf die Südseite der Anlage zu, wo zwischen den beiden Zeilen ein weißer Kubus eingeklemmt ist. An dieser Stelle zitieren die Architekten eindeutig aus dem Repertoire der Moderne.

Spectrum, Sa., 1997.04.12



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage ´Interkulturelles Wohnen´

26. Oktober 1996Margit Ulama
Spectrum

Schürzen und Schatten

Die zentralen Stadtteile von Tel Aviv, der „Weißen Stadt“ imNahen Osten, entstanden in den dreißiger Jahren. Vom Verfall bedroht, werden diese Bauten heute unter schwierigen Bedingungen renoviert.

Die zentralen Stadtteile von Tel Aviv, der „Weißen Stadt“ imNahen Osten, entstanden in den dreißiger Jahren. Vom Verfall bedroht, werden diese Bauten heute unter schwierigen Bedingungen renoviert.

Tel Aviv ist eine junge, erst am Beginn dieses Jahr-hunderts gegründete Stadt. Die Entwicklung ging vom osmanischen Jaffa aus und erstreckte sich zuerst auf das Gebiet im Nordosten entlang des Meeres. Hier bot sich genügend Raum für eine neue Besiedelung. Das Photo des Gründungstreffens aus dem Jahr 1908 zeigt eine dichtgedrängte Menschengruppe inmitten von weiten Sanddünen. Durch die verschiedenen Einwanderungswellen nahm die Bevölkerungszahl von Tel Aviv rapide zu und stieg in den dreißiger Jahren von 50.000 auf 150.000. Während sich in Europa die wirtschaftliche und politische Situation immer mehr zuspitzte, entstand im Nahen Osten eine komplett neue Stadt, die erste hebräische Stadt. Und während in Deutschland die Nationalsozialisten die avantgardistische Architektur diffamierten, manifestierten sich hier die Ideen der Moderne in einer Ausdehnung, die in Europa keine Entsprechung hat.

Die Gründung von Tel Aviv war mit den utopischen Hoffnungen der Gründung einer „neuen Gesellschaft“ verbunden, die die moderne Architektur visualisieren sollte. Diese hatte zudem die Funktion, die jüdische Identität in Abgrenzung zur arabischen Bevölkerung zu stärken.

Die historischen Photos zeigen Einzigartiges: in unmittelbarer Nähe des Meeres neu angelegte Straßenzüge und helle, drei- bis viergeschoßige Appartementhäuser in knappen Abständen. Die weiten, in kurzer Zeit entstandenen Wohngebiete, wie sie auf Luftaufnahmen zu sehen sind, wirken frisch und neu, die Aufbruchsstimmung der damaligen Zeit unmittelbar ausdrückend.

Die Qualität der einzelnen Bauten reichte zwar nicht an jene der herausragenden europäischen Beispiele heran; dafür faszinieren die Wohngebiete auf Grund ihrer Ausdehnung und der alltäglichen, lebendigen Atmosphäre auch heute noch - trotz des schlechten Zustandes der meisten Bauten. Die städtebauliche Struktur trägt zu dieser Atmosphäre bei, sie beruht auf einem gelockerten, differenzierten Raster, bei dem die Hauptstraßen deutlich von den Nebenstraßen, die nur der Erschließung dienen, unterschieden sind.

Obwohl die Stadt in den dreißiger Jahren mit großem Enthusiasmus entstanden ist, ging in Israel das Bewußtsein von der Besonderheit dieser Entwicklung mit den Jahren verloren. Dies ist auch ein Grund für den schlechten Zustand der Bausubstanz. Erst in den achtziger Jahren wurde die Tradition der Moderne wiederentdeckt, und Anfang der neunziger Jahre präsentierte eine Ausstellung des Instituts für Auslandsbeziehungen in Stuttgart und des Architekturmuseums der TU München die Tel Aviver Moderne der europäischen Öffentlichkeit.

Obwohl die Architekten aus unterschiedlichen Ländern immigriert waren, entwickelte sich eine spezifische Ausprägung der Moderne, die in ihrer Vielfalt ein einheitliches Stadtbild ergab. Ein Wohnhaus von Salomon Liaskowski und Jacov Ornstein am östlichen Rand des zentralen Stadtgebietes zeigt einen zwar schlechten, doch einigermaßen originalen Zustand. Die abgerundete Balkone stellen für Tel Aviv typische Elemente dar, ebenso die auskragenden Betonplatten darüber, die der Verschattung dienen. Die Syntax der Einzelteile in der abgestuften, expressiven Fassade hebt sich jedoch von den übrigen Bauten ab.

In den Rundungen von Ge-bäudeecken und Balkonen zahlreicher Häuser zeigt sich der Einfluß Erich Mendelsohns, der nach seiner Emigration aus Deutschland 1933 auch große Komplexe wie das Regierungskrankenhaus in Haifa oder das Hadassah-Krankenhaus auf dem Mount Scopus in Jerusalem ausführte, der in Tel Aviv aber nicht baute. Die abgerundeten Gebäudeecken, halbkreisförmigen Gebäudeteile und Balkone blieben über die Jahre als Spezifikum erhalten. Die von der europäischen Moderne übernommenen Elemente wurden aber dem Klima angepaßt; so verlängerte man häufig die Balkonbrüstungen als sogenannte Schürzen zur stärkeren Schattenbildung nach unten. Die auf diese Weise entstandenen schmalen Öffnungen zwischen den Balkonen geben den Häusern einen wehrhaften Charakter, sie evozieren da und dort auch Bunkerhaftes. In vielen Fällen wurden diese charakteristischen Öffnungen im Lauf der Zeit zur Vergrößerung des Wohnraumes geschlossen, was die Erscheinung der Häuser massiv beeinträchtigt.

Ein Beispiel für eine völlige Entstellung ist das Haus Engel von Ze’ev Rechter. Bei dem 1933 errichteten Gebäude, das einen Innenhof dreiseitig um-faßt, machte sich der Einfluß von Le Corbusier insofern bemerkbar, als der Gebäudeteil am Rothschild-Boulevard - als Neuerung in Tel Aviv - auf Pilotis schwebte, um den Hof für die kühlenden Meereswinde zu öffnen. Nicht nur diese typische freie Erdgeschoßzone ist heute zugemauert, auch die Balkone an der Stirnseite sind geschlossen, und der ursprünglich helle Verputz ist mittlerweile sehr dunkel. Die helle Oberfläche brachte die Vorsprünge und das Überlappen der verschiedenen Volumen an der Fassade aber erst deutlich zum Ausdruck. Rechter gehörte zu den prominenten Architekten, die im britischen Mandatsgebiet Palästina wirkten. In der Ukraine geboren und in Rom und Paris ausgebildet, wurde er besonders von Le Corbusier beeinflußt, der neben Mendelsohn und dem Bauhaus als Vorbild für die damalige Entwicklung fungierte.

Eine weitere zentrale Figur dieser Zeit war der aus Deutschland immigrierte Richard Kauffmann, von dem städtebauliche Planungen im Sinne der Gartenstadtidee für Tel Aviv, aber auch für Jerusalem stammten. In der 3000 Jahre alten Stadt entstand nach Kauffmanns Konzept von 1922 der Stadtteil Rehavia, dessen moderne Bauten auf Grund der von den Briten festgelegten Bauordnung jedoch mit Stein verkleidet wurden und der sich heute als zentral gelegener, wohlhabender Wohnbezirk mit üppiger Vegetation präsentiert. Kauffmanns Haus Kroskal in Tel Aviv zeigt typische Elemente der dortigen Moderne. Es ist eines der noch seltenen Beispiele für vorbildhafte Renovierungen, bei der man Klimaanlagen an der Fassade und später hinzugefügte Fensterelemente zur Schließung des Balkons entfernte.

Die Vordächer, die sich teilweise ganz ums Haus ziehen, schaffen mit dem Treppenturm und seinem Glasstreifen einen prägnanten Horizontal-Vertikal-Gegensatz, und die wiederhergestellten langen Öffnungen bei den Loggien zeigen die spezifische Tel Aviver Interpretation des Bandfensters, wiederum durch das Klima bedingt und zur Verschattung gedacht. So spürt man an dieser nicht weit vom Meer entfernten Stelle ansatzweise die ursprüngliche helle, neue Atmosphäre der Stadt, deren eng aneinandergereihte Einzelhäuser die Tradition hinter sich ließen und den von Utopien geprägten Neubeginn in ihrer Sprachlichkeit und Farbigkeit symbolisierten.

Renoviert wird in Tel Aviv nach anderen Kriterien und Gesetzen als in Europa. Es gibt keinen Denkmalschutz, sondern nur eine Abteilung der Stadtverwaltung, die für die Erhaltung von Gebäuden zuständig ist. Diese listet in ihrem Programm, das auch die Erlaubnis zur Aufstockung und damit eine Möglichkeit zur Finanzierung von Renovierungen regelt, 450 schützenswerte Gebäude in drei Kategorien auf. Die aufgelisteten Gebäude müssen entsprechend den Anweisungen der Stadtverwaltung renoviert werden. Ein anderes lokales Gesetz verpflichtet die Besitzer grundsätzlich, ihre Häuser zu erneuern. Doch auch wenn Gesetze existieren, gibt es zu wenige Beamte, die deren Befolgung forcieren oder kontrollieren könnten. Das Haus Engel gehört zum Beispiel in jene Kategorie des oben genannten Programms, bei der keine Aufstokkung und damit keine grundsätzliche Veränderung erlaubt ist. Doch die Besitzer entziehen sich gänzlich ihrer Pflicht, und so wird dieses Haus auch in nächster Zukunft nicht wiederhergestellt werden.

Jede geglückte Renovierung beruht letztlich auf dem besonderen Engagement einer kleinen Gruppe von Personen innerhalb der Stadtverwaltung. Bereits der Verkauf des Hauses Kroskal von der Universität an Kunstsammler, die dann auch die Renovierung finanzieren konnten, wurde von Nitza Szmuk, Mitarbeiterin der städtischen „Preservation Group“, initiiert.

Die Vorbildwirkung, die von diesem Haus ausgehen soll, macht sich langsam bemerkbar. Denn anders als in Europa stellt in Israel der schlechte Zustand der Bausubstanz die Norm dar. Die Bevölkerung sieht erst jetzt, welches Niveau eigentlich möglich wäre, die Moderne rückt allmählich wieder ins Bewußtsein.

Spectrum, Sa., 1996.10.26



verknüpfte Bauwerke
Haus Kroskal

24. August 1996Margit Ulama
Spectrum

Zeile mit dem gefalteten Dach

Die Vorstellungen des Architekten, die Wünsche der Bewohner, die Bauordnung: Das alles sollte Architektur unter einen Hut bringen - wie sich am Wohnbau der Gruppe ARTEC im steirischen Bärnbach zeigen läßt.

Die Vorstellungen des Architekten, die Wünsche der Bewohner, die Bauordnung: Das alles sollte Architektur unter einen Hut bringen - wie sich am Wohnbau der Gruppe ARTEC im steirischen Bärnbach zeigen läßt.

Bärnbach, westlich von Graz, präsentiert sich liberal und architekturinteressiert. Obwohl der Ort nur 5000 Einwohner zählt, findet man zwei öffentliche Bauten mit besonderer Gestaltung. 1988 wurde das Glasmuseum von Klaus Kada fertiggestellt, ein im zentralen Bereich zerklüfteter Bau mit langer, gerader Seitenfront, der verschiedene Ausformungen von Glas demonstriert. Anfang der neunziger Jahre gestaltete dann Friedensreich Hundertwasser die Pfarrkirche.

Im Vergleich zum Glasmuseum ist dieser Bau leichter zugänglich: das blaue Mosaik an der Fassade, das Gras auf den Vordächern, die verschiedenen goldenen Kuppeln, die Wege mit unregelmäßiger Pflasterung und gewelltem Niveau. Dagegen der abstrakte Bau des Museums: Die Glassteine an der Seitenfront, die an kleine Eisblöcke erinnern, spielen auf ungewöhnliche Weise mit dem Material und stehen in unmittelbarem Gegensatz zu den hohen, durchsichtigen Scheiben des Eingangsbereiches. Die beiden Bauwerke zeigen die Pole auf, zwischen denen Architektur sich heute bewegt - unterhaltsame Ästhetik mit großer Publikumswirksamkeit auf der einen Seite, abstrakte Bauweise, die eines genauen Blicks bedarf, auf der anderen.

Es geht aber nicht um das Dilemma der Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten. Die Problematik liegt vielmehr in der mangelnden Schulung des Blicks; und ein ideeller Zugang zur Architektur und deren Geschichte wird in unserem System nicht geöffnet. Das Thema ist aus dem Unterricht in den meisten Fällen ausgeklammert, und doch betrifft es jeden - hinsichtlich der Wahrnehmung und der täglichen Lebenspraxis.

Dort bestimmt die Satteldachästhetik die Meinung der Mehrheit, alles andere stößt meist ohne Differenzierung auf Skepsis und Ablehnung. Doch das vielumstrittene Satteldach stellt natürlich eine Möglichkeit dar. In verschiedenen Wohnbauten entwickelte die Architektengruppe ARTEC eine eigene, prägnante Ästhetik, bei der diese Dachform in eine abstrakte Komposition eingegliedert wird. Heute arbeiten Bettina Götz und Richard Manahl unter dem Namen ARTEC, beim Projekt für Bärnbach gehörte der Gruppe noch Theo Lang an. Dieser Wohnbau ist ein weiteres Beispiel für die liberale Haltung der Gemeinde, die den aus einem Wettbewerb hervorgegangenen Entwurf ohne Einwände akzeptiert hat.

Zur Zeit wird die allgemeine Situation des Wohnbaus in der Steiermark jedoch von einer engen Sicht der Politik bestimmt, die wenig Interesse an architektonischen Neuerungen zeigt. Wie Wohnbau auszusehen habe, definiert eine vorgefaßte Meinung, eine pragmatische Sicht der Dinge. Auch in diesem Zusammenhang mangelt es an einer Differenzierung der Haltung. Architektur sollte jedoch über die Kriterien der bloßen Haltbarkeit und eindimensionalen Funktionserfüllung hinausgehen.

Es gibt verschiedene Perspektiven, um Architektur zu betrachten. So kann der ästhetisch- konzeptionelle Aspekt fokussiert werden, also die Sprachlichkeit, die ein Architekt zwischen allgemeinem Zeitgefühl und subjektivem Denken entwickelt. ARTEC haben - ein Zeichen von Qualität - zu einem in diesem Sinn spezifischen, unverwechselbaren Ausdruck in ihren Entwürfen gefunden. Ausgehend von einer breiten Palette von Materialien wie unlackiertem Holz, Sichtbeton, Ziegel, Blech oder Eternit und einem industriellen Produktionsgedanken passen sie das jeweilige klare Grundkonzept den Gegebenheiten an, ändern und überformen es. (ARTEC nennen Hermann Czech, neben Helmut Richter, als Vorbild.) So entstehen aus einfachen geometrischen Körpern teilweise plastische Gebilde, und dies trifft auch auf den Wohnbau in Bärnbach zu.

Die Grundstruktur bildet eine lange, durch tragende Querwände, sogenannte Schotten, unterteilte Zeile. In jedem Abschnitt, der auf diese Weise entsteht, liegt eine zweigeschoßige Wohnung. Erst am Ende der Zeile wird der Grundgedanke unter Beibehaltung der Querteilung variiert. Über diese Aneinanderreihung von Wohnungen legt sich ein weiteres Geschoß, ein plastisch geformter Bauteil, auf der einen Hausseite mit vorgelagerten Terrassen, auf der anderen mit einem Laubengang als Erschließung. Die Plastizität des Körpers entsteht aber durch das gefaltete Blechdach, das als geknicktes Betonelement zum Boden geführt wird und dabei einen eigenwilligen, offenen Raum für die Treppe zum Laubengang schafft.

Die Knicke des Daches sind nur aus der Vogelperspektive wirklich zu sehen, im Inneren erkennt man die Konstruktion. Ein dicker Leimbinder, der die Sparren für das Blechdach trägt, verläuft diagonal in jeder Wohnung und definiert diese als eigenständige Einheit.

So entstehen schräge Dachflächen und damit bewußt provozierte Unregelmäßigkeiten durch die Verschneidungen der geknickten Decke mit den Zimmerwänden, die die Orthogonalstruktur der Zeile beibehalten. Hier wird also ein traditioneller Dachboden mit seinen Unregelmäßigkeiten paraphrasiert. Probleme für die Bewohner ergeben sich insofern, als die Terrassentüren im oberen Abschluß der schrägen Dachkante folgen: Denn wie wird hier eine gerade Vorhangstange angebracht? - Dies führt zur anderen Betrachtungsebene der Architektur, die von den Ansprüchen der Bewohner ausgeht. Die Mehrzahl der Nutzer sieht nur die pragmatische Funktionserfüllung einer Wohnung, die Anzahl der Zimmer. Natürlich muß ein Grundriß in dieser Hinsicht den subjektiven Bedürfnissen entsprechen. Abänderungen wären bei dem Wohnbau in Bärnbach auch möglich gewesen, doch fehlte die Vermittlung der Genossenschaft zwischen Bewohnern und Architekten.

Alles, was über die Funktionserfüllung hinausgeht, wird jedoch von den Mietern kaum wahrgenommen. Der Grund dafür liegt eben darin, daß Architektur in unserem Bildungssystem kein Thema ist. Nur wenn es ein Unterrichtsfach Architektur gäbe, könnte eine gewisse Sensibilität für die Qualitäten einer Wohnung entstehen. Diese liegen beim Wohnbau in Bärnbach etwa in der durchgehenden Verwendung von bis zum Boden reichenden Fenstern. Dadurch werden besonders kleine Räume optisch erweitert. Die offene Verwendung der Treppe in den zweigeschoßigen Wohnungen erzeugt zusätzlich räumliche Weite. Doch eine solche Qualität muß man erst spüren, ebenso wie jene der Aus- und Durchblicke oder der Erschließung der oberen Wohnungen durch den Laubengang.

Neben den Vorstellungen der Architekten und den Wünschen der Bewohner sind die politisch-rechtlichen Voraussetzungen für den Wohnbau entscheidend. Steuernd wirken Bauordnung und Wohnbauförderung, die zusammen ein dichtes System von Vorschriften ergeben. Die enge Reglementierung, nicht nur in Österreich, wird immer wieder kritisiert. Oft drängt sich die Frage auf, wem diese eigentlich nütze. So wird im Wohnbau ein äußerst hoher Standard bezüglich Wärmedämmung und Schallschutz gefordert, der verteuernd wirkt. Die Kosten sind aber entscheidend für die Bewohner, auch beim geförderten Wohnbau und gerade in einer Region wie der um Bärnbach.

Andererseits ist es neuerdings Voraussetzung für die steirische Wohnbauförderung (und dies gilt für den zweiten Bauabschnitt in Bärnbach, der derzeit in Planung ist), alle Wohnungen behindertengerecht zu bauen. Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, ob dies bei den über den Laubengang erschlossenen Wohnungen sinnvoll ist, da hier für Behinderte erst ein Lift gebaut werden müßte, führt dies zu aufgeblähten Gangflächen und Bädern, ein Problem gerade bei kleinen Wohnungen. Zusätzlich müssen auch bei diesen Bad und WC voneinander getrennt sein, wodurch weiterer Wohnraum verlorengeht. Insgesamt betrachtet, mündet also der prinzipiell richtige Ansatz, behinderte Menschen in Rollstühlen bei der Planung zu bedenken, in Forderungen, die problematisch sind, weil sie sich auf alle Wohnungen beziehen. Architektur wird von den unterschiedlichsten Faktoren bestimmt, und das macht auch den Reiz dieses Mediums aus.

Der avancierte Architekt braucht - vor dem eigentlichen Entwurf - den Blick des Künstlers auf neue, ungewöhnliche Dinge. So finden ARTEC ästhetische Qualitäten in so unterschiedlichen Gegenständen wie einem Eierkarton, den Schneezäunen in der Gebirgslandschaft oder auch den scheinbar klobigen Betonteilen, die als Hangbefestigung an der Südautobahn dienen. Mit diesen Beispielen illustrierten die Architekten einen programmatischen Text zu ihrer Methodik des Entwerfens. Wie in der Kunst geht es also auch im architektonischen Bereich umeine Verschiebung innerhalb der Wahrnehmung - zuerst bei der Wahrnehmung der Umgebung durch die Architekten, dann bei der allgemeinen Rezeption der von ihnen gebauten Häuser.

Spectrum, Sa., 1996.08.24



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Wohnbau Wagenredergründe

01. Juni 1996Margit Ulama
Spectrum

Mit dem Hang und quer dazu

Schweben als Paradigma: Bei einem privaten Wohnhaus, dem Landhaus P. in Gramastetten, Oberösterreich, führen PAUHOF die Praxis ihrer Entwurfsmethode vor - ein architektonisches Manifest.

Schweben als Paradigma: Bei einem privaten Wohnhaus, dem Landhaus P. in Gramastetten, Oberösterreich, führen PAUHOF die Praxis ihrer Entwurfsmethode vor - ein architektonisches Manifest.

Immer wieder schafft ein Jahrzehnt seinen eigenen kulturellen Ausdruck, seine spezifischen Formen. Die architektonische Tendenz der neunziger Jahre ist unverkennbar. Auch wenn individuelle, konträre Ausdrucksformen, etwa von Hans Hollein oder Coop Himmelb( l)au, weiterbestehen - die Tendenz zur Vereinfachung bildet derzeit die breite Ausrichtung von Architekten. Abstrakte Entwurfsmethodiken knüpfen an jene der klassischen Moderne an. Formten damals die technologischen Errungenschaften die Basis für die ästhetischen Neuerungen, so entwickeln Architekten heute die Kompositionsweisen auf oft spielerische, subjektive, manchmal zum Manierismus neigende Weise weiter.

Allgemeiner Hintergrund ist der Minimalismus der deutschschweizerischen Tendenza; gleichzeitig ortet man eine Gegenreaktion zu früherer Geschichtsbezogenheit oder Expressivität. In diesem Sinn distanzieren sich Florian Riegler & Roger Riewe von der Dominanz der Grazer Schule, und in Wien wendete sich Adolf Krischanitz nach eigenen geschichtsreferentiellen Anfängen einer reduzierteren Formensprache zu. Michael Hofstätter & Wolfgang Pauzenberger operieren hingegen seit dem Beginn ihrer Zusammenarbeit Mitte der achtziger Jahre mit abstrakten Elementen. Ihr methodischer Ansatz baut sich logisch auf und wird besonders deutlich im Vergleich ihrer Kunstobjekte und Architekturentwürfe. Im jetzt realisierten Landhaus in Gramastetten erkennt man aber auch spezifisch architektonische Qualitäten. In den letzten Jahren hat sich das Gebiet um den Pöstlingberg nördlich von Linz, in der hügeligen Landschaft des Mühlviertels, immer stärker zum Wohngebiet der Städter entwickelt. Anspruchsvolle Architektur findet man äußerst selten. Lois Welzenbachers Haus Rosenbauer auf dem Pöstlingberg von 1930 scheint vergessen, obwohl es, wie auch das Landhaus Gamerith am Attersee von E. A. Plischke, laut Friedrich Achleitner zu den schönsten Beispielen eines „Bauens in der Landschaft“ zählt. Akzeptanz durch die Fachwelt und gängige Praxis stehen einander aber auch hier diametral gegenüber. In seinem Architekturführer konstatierte Achleitner vor mehr als zehn Jahren, daß das Haus von Plischke heute kaum mehr eine Chance hätte, „ein behördliches Genehmigungsverfahren durchzustehen“. Am mangelnden Verständnis für die Moderne hat sich bisher wenig geändert.

So wurde auch der Entwurf für das Landhaus P. beim zweiten Versuch eher zufällig genehmigt. Dabei zeigt es sich als Fremdkörper nur im Kontext der umliegenden Bebauung, nicht in bezug zur Landschaft. Mit einer weit ausgreifenden, einen Gartenhof begrenzenden Betonmauer folgt es den Schichtenlinien des Hanges, der auf der anderen Hausseite abfällt. Diese an Entwürfe von Mies van der Rohe erinnernde, über den Bau hinauslaufende Fläche fügt das Haus in die Landschaft ein. Über dem niederen Baukörper schwebt dann, quer dazu, ein zweiter, unabhängiger. In diesen beiden Bewegungen - einerseits mit dem Hang, andererseits quer zu diesem - interpretiert das Landhaus die Landschaft auf abstrakte Weise und ist darin dem Welzenbacherschen Bau wohl nicht zufällig ähnlich.

Das von PAUHOF zum allgemeinen Prinzip erhobene Komponieren mit Volumen, Flächen und linearen Elementen, das ohne Ornamentik und Symbolik, ohne Motive und insbesondere ohne Satteldach auskommt, wurde am Beginn dieses Jahrhunderts begründet. Als zentrales Paradigma galt dabei das Schweben der Architektur. Voraussetzung dafür waren neue Technologien, mittels deren man das traditionelle Lasten schwerer Gebäudeteile aufheben konnte.

Einerseits wurden Elemente eines Bauwerkes durch die groß-zügige Verwendung von Glasflä-chen oder spiegelnden Oberflä-chen, wie man sie bei Bauten von Mies sieht, entmaterialisiert und scheinbar gewichtslos, andererseits konnte ein Baukörper auf Grund neuer konstruktiver Möglichkeiten tatsächlich über dem Boden schweben - wie zum Beispiel die Villa Savoye von Le Corbusier.

Das Schweben als Paradigma der Architektur reflektieren PAUHOF in ihren Entwürfen immer wieder. Doch während in der Moderne zumeist das Eigengewicht ästhetisch aufgehoben wurde und nur in wenigen konstruktivistischen Projekten tatsächlich schwere Gebäudeteile schwebten, gehen Hofstätter & Pauzenberger häufig an die Grenzen des Möglichen, machen sie Architektur zum Wagnis. Dies praktizierten sie auch bei Objekten. Im Rahmen der Ausstellung „Raumkult“ 1989 in Linz hingen drei quadratische Betonplatten, zwei Meter lang und drei Zentimeter dick, vertikal an Schnüren von der Decke, ihr Gewicht völlig negierend. Dann, bei der Ausstellung „Application & Implication“ in Grenoble 1993, wurde vor der Präsentationswand ein rechteckiges, fünf Meter langes Gummiobjekt scheinbar von einer zarten Metallplatte an einem Ende getragen. Das Schweben des schweren Objekts wurde auch hier zum riskanten Unternehmen, es irritierte die Wahrnehmung.

Dieser Topos auch etlicher anderer PAUHOFscher Entwürfe wurde nun zum ersten Mal realisiert. Kaum merkbar abgehoben, liegt ein schwerer, metallverkleideter Quader auf dem darunterliegenden Bauteil, nur mit einem Glasschlitz dazwischen. Außen führt dieser schmale Glasstreifen somit ein paradoxes Lasten vor, innen provoziert er eine besondere Räumlichkeit im Wohn- und Eßbereich. Die tatsächlichen konstruktiven Verhältnisse sind verborgen, denn jede Seitenwand setzt sich aus einem Stahlfachwerk zusammen, das an einem aufragenden vertikalen Betonelement hängt. Diese Verankerung wird nun durch die Wärmedämmung und die Metallverkleidung verdeckt. So soll hier nicht die „konstruktive Wahrheit“ vor Augen geführt werden, sondern der Effekt mi-nimalistischen Schwebens.

Während sich der Kubus in Ostwestrichtung zur Landschaft öffnet, ist das Wohngeschoß südseitig zu dem durch die ausgreifende Betonmauer geschützten Hof in verglast. Im Gegensatz zum einfach in Schlafräume geteilten Obergeschoß konstituiert sich der Bereich darunter in der vielfältigen Differenzierung -der Wegführung, des Ausblicks, des Lichts, der Raumhöhen und Materialien.

Außen karg, entfaltet das Haus innen seine räumliche Vielfalt und knüpft auch in der durch Stufen und Treppe definierten spiralförmigen Bewegung an eine spezifische Tradition an: Loossche Ideen werden auf völlig neue Weise interpretiert. Zusätzlich wird die Bewegung in der Längsrichtung quasi gestoppt durch eine in der Querrichtung, also durch Stufen, durch die der Wohnraum tiefer liegt als der Eßbereich. Durch die Lage der Box entstehen besondere Raumzonen: ein Vordach an der Eingangsseite des Hauses (also eines ohne Motivik) sowie an der verglasten Südseite, eine Nische im Wohnraum mit geringerer Raumhöhe.

Da der Quader konsequent als eigener Körper behandelt ist, zieht sich die Metallverkleidung an der Unterseite weiter und bildet hier auf extravagante Weise die Deckenverkleidung des Wohn-/Eßbereichs. Im übrigen steht das technoide Äußere jedoch im Gegensatz zum beinahe gediegen wirkenden Innenausbau, der im Bereich der Garconnière bereits fertiggestellt ist.

Aufgeschlossenheit und Engagement bilden die Grundlage für die Realisierung dieses nüchternen, konstruktiv anspruchsvollen Baus. Nicht nur das Stahlfachwerk der schwebenden Box, auch die langen, im Garten vorgefertigten Betonteile, die im Erdgeschoß dem Mauerwerk samt Wärmedämmung vorgeblendet sind, konnten nur mit großem technischen Geschick ausgeführt werden. An der Realisierung des Hauses beteiligte sich auf entscheidende Weise Josef Hofstätter, dessen ebenfalls von PAUHOF entworfene Metallwerkstätte vor wenigen Jahren in unmittelbarer Nähe im Selbstbau entstanden ist. In der aktuellen Architekturdiskussion zum Thema „Box“ oder „Kiste“ wird manchmal vergessen, daß PAUHOF dabei eine zentrale Rolle einnehmen. Stringenz und Sinnlichkeit des Entwurfs kann man jetzt beim Landhaus P. in der Realität erleben.

Bei den unterschiedlichen Projekten von PAUHOF findet man immer wieder einen spezifischen „Sprachton“. Dabei setzt sich die architektonische Syntax jeweils aus ähnlichen Elementen zusammen, zum Beispiel taucht das flache, rechteckige Element mit einigen im Quadrat angeordneten runden Löchern als raumübergreifendes Dachelement beim Expo-Pavillon in Sevilla 1992, als schwarzes Gummiobjekt in Grenoble oder als Treppenbrüstung im Landhaus P. auf. Trotz ihrer ästhetischen Konsequenz haben Hofstätter & Pauzenberger nach der Metallwerkstätte in Gramastetten auch diesmal ein lebendiges, sensibel reagierendes Bauwerk realisiert.

Spectrum, Sa., 1996.06.01



verknüpfte Bauwerke
Haus P.

03. Februar 1996Margit Ulama
Spectrum

Von der Angst der Leere

Großzügiger Freiraum, Dynamik, Reduktion: Sonja Gasparin und Benny Meier haben den Klagenfurter Heiligengeistplatz neu gestaltet. Anmerkungen zu einer Kontroverse.

Großzügiger Freiraum, Dynamik, Reduktion: Sonja Gasparin und Benny Meier haben den Klagenfurter Heiligengeistplatz neu gestaltet. Anmerkungen zu einer Kontroverse.

Was die Idee einer Stadt betrifft, nämlich die Vorstellung, was eine Stadt ausmache oder wie sie konzipiert sein solle, äußert sich die Gegenwart ambivalent. Einerseits existieren nach wie vor Interesse und Vorliebe für historische Städte mit ihren beein-druckenden geschlossenen Plätzen, von Rom über Venedig, Siena bis Santiago de Compostela. Andererseits ist die Idee von definierten Straßen und Plätzen jedoch überholt, da unsere Städte sich entwickeln und dabei immer weiter ausgreifen, also periphere Gebiete erfassen, in denen der Begriff Stadt etwas völlig anderes bedeutet als im traditionellen Zusammenhang.

In den siebziger Jahren formulierten Colin Rowe und Fred Koetter eine nach wie vor aktuelle These, nach der die raum-schaffende architektonische Textur - womit eben die traditionellen historischen Städte gemeint sind - vom raumverdrängenden Objekt abgelöst wurde. In dem einen Fall stehen nicht die Geäude, sondern die städtischen Plätze im Vordergrund; in dem anderen ist eben das einzelne architektonische Objekt prmär geworden. Rowe & Koetter führen zur Illustration ihrer Idee von „Raumkörper“ versus „Bakörper“ Vasaris Uffizien in Florenz und Le Corbusiers Unité d’Habitation in Marseille an. Während diese dominant in der freien Wiese steht, ohne einen spezifischen Außenraum zu formen, bilden die Uffizien einen Innenhof mit identen Abmessungen wie die Unité.

Diese beiden Modelle der Stadt bilden die Folie, vor der sich gegenwärtige Entwicklun-gen vollziehen. Sie sind als ge-dankliche Referenz für Planungen im städtischen Umfeld insofern aktuell, als sie spezifische räumliche Situationen charakterisieren; letzteres bildet das Thema jeder architektonischen Planung im städtischen Kontext. Im konkreten Fall, beim Heiligengeistplatz im Zentrum von Klagenfurt, handelt es sich um einen Platz im traditionellen Sinn, um einen freien „Raum“ zwischen Gebäuden, auch wenn diesem die Geschlossenheit und klare Form von exemplarischen historischen Plätzen fehlt. Die Ostseite ist sogar völlig offen, der Heiligengeistplatz geht hier in den Landhauspark über, das Landhaus selbst tritt als Volumen in den Vordergrund.

Insgesamt ergibt sich im Zentrum von Klagenfurt eine Abfolge von drei Plätzen, an die beiden genannten reiht sich der Neue Platz mit dem berühmten Lindwurm. So bemerkt man in tangentialer Folge rechts und links der Wiesbadener Straße und deren Verlängerung öffentliche Räume mit verschiedenen Funktionen: einen repräsentativen, von alten Bäumen eingerahmten Platz, einen Park und den als Busbahnhof genutzten Heiligengeistplatz. In ihrer Gegensätzlichkeit prägen diese drei Plätze das Bild der Stadt, jeder Bereich wirkt sowohl für sich als auch im Kontext.

Der Heiligengeistplatz stand in den letzten Jahren im Zentrum heftiger Diskussionen. Lange Zeit waren die Busse über den gesamten Platz bis vor die Heiligengeistkirche verteilt, in der Lebendigkeit des Ortes grenzten profane und sakrale Funktionen hart aneinander. Insgesamt bestand also das vertraute Bild eines ausschließlich dem Verkehr dienenden Platzes, und Busbahnhöfe dieser Art üben einen eigenen Reiz aus. Begrenzt wurde der Bereich zum Park hin von einem ebenerdigen, elegant geschwungenen Pavillon mit Flachdach, in den fünfziger Jahren erbaut und somit aus einer Zeit, die bereits ihre Renaissance erlebt.

Diesen Bau wollte die Stadt vor einigen Jahren vergrößern und durch einen zweigeschoßigen Neubau ersetzen, dessen Plumpheit mit dem am gegenüberliegenden Platzende stehenden Quellehaus korrespondiert hätte. Der Bereich Heiligengeistkirche, Ursulinenkloster und Landhaus hätte damit seine architektonische Qualität eingebüßt; nur auf Grund vehementen Protestes besonders der Architekten Kärntens konnte die Realisierung verhindert werden. Es folgte ein Wettbewerb und eine lange, konfliktreiche Planungsgeschichte. Daß das schließlich realisierte Projekt von Gasparin & Meier auch im Sinne der Architekten umgesetzt wurde, beruht auf deren Hartnäckigkeit und Ausdauer.

Natürlich folgte auch hier prompt die Kritik. Von Steinwüste war die Rede, ohne die ästhetischen Qualitäten der Wüste zu bedenken, sodaß das, was eigentlich als Kritik gemeint war, sich in deren Gegenteil verkehrt. Von Verkehrschaos ist die Rede, ohne zu bedenken, daß einerseits noch im Frühjahr die Umfahrung von Klagenfurt fertiggestellt wird, andererseits das langfristige Verkehrskonzept die Innenstadt vom Durchzugsverkehr freihalten will. Und natürlich ist ein von Autos oder Bussen verparkter Platz einfach schöner als ein leerer - oder?

Hat man Angst vor der Leere? Städtischer Freiraum konstituiert eine Stadt, gibt ihr weite Dimensionen und läßt so öffentliche Gebäude wirken. Dabei kommt es eben nicht nur auf die Besonderheit der angrenzenden Gebäude an, sondern ebenso auf Maßstab und Konzeption der Freiräume selbst. Plätze sind auch in den bekannten italienischen Städten traditionell gepflastert, und zwar aus praktischen und ästhetischen Gründen. Der Boden bildet dadurch eine einheitliche Fläche und - mit den Hausfassaden als Wänden - einen klaren, nach oben hin offenen Raum.

Am Heiligengeistplatz waren die Rahmenbedingungen für die Gestaltung vorgegeben, inner-halb der bestehenden Situation konnten die Architekten aber modellieren. Sie sahen den Platz vor der Kirche im Gegensatz zu jenem vor dem Landhaus und wollten diese Dualität in einem befestigten und einem begrünten Bereich klar definieren und sichtbar machen. Dabei zeigt sich der Landhauspark momentan - auch auf Grund von Windbruch - weniger denn je als Park, sodaß dessen Gestaltung unbedingt notwendig wäre.

Gasparin & Meier schlagen ein kreuzförmiges Wegesystem vor, mit dem sie die Idee einer früheren Sternallee aufnehmen, und markieren die Grenze von Park und Straße durch eine Baumreihe. Diese derzeit noch nicht existierenden Bäume führen sie am angrenzenden Heiligengeistplatz mit einemzylindrischen Turm und den einzelnen Inseln der Haltestellen weiter und grenzen so auch hier den Platz von der Straße ab. Die hohen Solarleuchten wiederholen die Krümmung und markieren die Fahrlinie der Busse. Zwischen Leuchten und Kirche liegt der eigentliche Fußgängerbereich mit einzelnen Bänken und Bäumen (die man sich in ihrer späteren Größe vorstellen muß), und trotz dieser Teilung können die Fußgänger sich auf dem gesamten Platz frei bewegen.

Die Leistung der Architekten liegt vor allem in der subtilen Definition unterschiedlicher Bereiche des Platzes bei einheitlicher Pflasterung des Bodens. So entsteht ein großzügiger Freiraum vor der Kirche, die ungewöhnlicherweise mit der Längsseite zum Platz schaut. In der Nacht wird diese Fassade jetzt angestrahlt, ebenso jene des Landhauses gegenüber. Die Beleuchtung modelliert den Platz auf neue Art, hebt die Trennung von Fußgänger- und Busbereich hervor und ist dort am stärksten, wo die hohen Leuchten dichter stehen, metaphorisch einen Wald bilden. Diese unterschiedliche Wirkung bei Tag und Nacht korrespondiert mit dem Gegensatz von Platz und Park.

Die Gestaltung bezieht alle Elemente ein, auch die Kioske an der Stelle des früheren Pavillons und die darunterliegenden Toiletten. In das System der Stadtwerke einzugreifen erfordert natürlich viel Energie, doch jetzt stehen an Stelle der üblichen schweren Anzeigen für die Buslinien schlanke, rote Stelen bei den Haltestellen. Die reduzierte, abstrakte Gestaltung ist in eine allgemeine Entwicklung mit ausgeprägter österreichisch-schweizerischer Verbindungslinie eingebettet. Und in Barcelona wurden bereits in den achtziger Jahren ambitionierte Platzgestaltungen realisiert, einigen von diesen liegt eine ähnliche Haltung zugrunde.

Gasparin & Meier verbinden ihre Architektur aber mit Anspielungen und Dynamik. Die dichter stehenden Lampen und die schnittigen Warteinseln wecken Assoziationen, der Glaskubus mit der Treppe zu den Toiletten scheint im Wasser zu versinken, der Turm am äußersten Eck erinnert an eine überdimensionale Litfaßsäule. Der genaue Blick entdeckt eine Fülle von Details; gleichzeitig ist Klagenfurts Busbahnhof nun ein ungewöhnlich „moderner“ Platz, auf der Höhe der Zeit, mit einer weiten, befreienden Geste.

Spectrum, Sa., 1996.02.03



verknüpfte Bauwerke
Heiligengeistplatz

04. November 1995Margit Ulama
Spectrum

Neues Leben an den Rändern

Die Bauten von Karin Bily & Paul Katzberger am Mühlgrundweg in Wien-Donaustadt: städtische Wohnhäuser an der Peripherie, die ihre Umgebung nicht zerstören, sondern weiterwirken lassen.

Die Bauten von Karin Bily & Paul Katzberger am Mühlgrundweg in Wien-Donaustadt: städtische Wohnhäuser an der Peripherie, die ihre Umgebung nicht zerstören, sondern weiterwirken lassen.

Spricht man vom aktuellen Wiener Wohnbau, so evoziert man als Ort sogleich die Peripherie der Stadt, unter anderem die Bezirke jenseits der Donau. Während dort die Bautätigkeit floriert, hat auf theoretischer Ebene der Diskurs zum Thema Peripherie seinen Höhepunkt überschritten und sich auf die Frage nach der nötigen Urbanität einer Siedlung am Rand der Stadt verlagert. Die zahlreichen neuen Wohnanlagen und Siedlungen in diesem Gebiet umkreisen das Thema gleichsam und beantworten es auf jeweils eigene Art.

Die Frage nach dem dort notwendigen städtischen Charakter resultiert aus der Ambivalenz, daß eine Siedlung an der Peripherie zwar noch zur Stadt gehört, aber nicht „Stadt“ im eigentlichen Sinn sein kann, definiert sich jener Randbereich doch im zufälligen Nebeneinander von Wohnhäusern, Feldern, Stadtautobahnen und Gstetten.

Kann für eine Siedlung in solch einem Gebiet Urbanität, ein Platz, eine Mitte, tatsächlich grundlegend sein? Ist die Siedlungsstruktur nicht zu locker für einen Platz im städtischen Sinn, der eine gewisse Frequenz der Bewegung braucht und dem unterschiedliche Funktionen zugeordnet werden sollten, um das primäre Wohnen zu ergänzen? Oder ist eine städtische Struktur im herkömmlichen Sinn nicht einfach eine traditionelle Kategorie, die für die gegenwärtigen Entwicklungen keine Gültigkeit mehr hat?

Jedenfalls erweist es sich als unlogisch, die Idee der Stadt mit einem Platz und einer Mitte auf ein nichtstädtisches Gebiet zu übertragen. Trotzdem strahlt die Siedlung Biberhaufenweg, Mitte der achtziger Jahre als Prototyp eines „städtischen Versuchs“ mit Platz, Anger und Gasse als Grundlage des Konzepts gebaut, heute eine positive Atmosphäre aus. Doch Urbanität oder einen eigentlichen Platz findet man auch hier nicht. Das, was als solcher bezeichnet wurde, ist eher ein baulich klar definierter, begrünter Außenraum.

Die Antwort auf das spezifische Konzept dieser Siedlung folgte Anfang der neunziger Jahre in nächster Nähe. Die annähernd parallelen Zeilen der Siedlung Pilotengasse stellen eine pure Reihung von Wohneinheiten dar, Geschlossenheit oder ein Zentrum wird durch die leichte Krümmung der Zeilen nur angedeutet. Was lapidar formuliert ist, zeigt sich als adäquater Gestus am Stadtrand, und anstelle der Frage nach Urbanität an der Peripherie erweist sich wohl jene nach räumlicher Strukturierung und Differenzierung als produktiver.

Nicht weit entfernt von diesen beiden beschriebenen Siedlungen wurde kürzlich am Mühlgrundweg eine Wohnhausanlage für die Genossenschaften „Neues Leben“ und „Wogem“ fertiggestellt (die weiteren Architekten sind Melicher, Schwalm-Theiss & Gressenbauer, Hilde Filas, Walter Stelzhammer und Bernd Wilda), deren Konzept eine Idee birgt, die quasi zwischen den genannten Beispielen liegt. Das Gebiet der Anlage, ein Quadrat mit etwas verzogenen Kanten, wird von einer Art Wohnstraße erschlossen, an der kleinere Bauten für Infrastruktureinrichtungen wie Geschäfte und Büros liegen und die außerdem der Zufahrt von Einsatz- und Müllfahrzeugen dient.

Diese Wohnstraße könnte für die Bewohner einen öffentlichen Bereich darstellen, der der peripheren Lage der Siedlung angemessen ist. Dort, wo sie im rechten Winkel auf die gebietsbegrenzende Straße trifft, nimmt der Bau für die Infrastruktur eine Pizzeria auf, die sich bereits jetzt, kurze Zeit nach der Fertigstellung der Anlage, zum lebendigen Punkt entwickelt hat. Daneben gibt es ein Kindertagesheim als notwendige Ergänzung.

Die Wohnbauten sind nun auf der restlichen verkehrsfreien Fläche gleichmäßig verteilt, kleinere Blöcke mit Wegen dazwischen, trotz der Vorgärten etwas eng und dicht. Die eigentliche Idee der Gesamtanlage – also die Wohnstraße mit ihrer Öffentlichkeit einerseits und die in Nordsüd- und Ostwestrichtung verteilten Wohnblöcke andererseits – erscheint als logisches Konzept für die periphere Lage.

Doch diese wohl erkennbare Idee ist nicht prägnant umgesetzt (der städtebauliche Entwurf stammt von Melicher, Schwalm-Theiss & Gressenbauer), die Wohnstraße hat zuwenig den Charakter einer Straße, die übrigen Bauten sind weder nach einem klaren orthogonalen Schema noch wirklich zufällig verteilt. Der öffentliche Bereich wird neben den Sonderbauten für die Infrastruktur nur durch die Asphaltierung hervorgehoben, und man vermißt die klare räumliche Differenzierung, die diesen Teil der Anlage vom restlichen unterscheiden würde.

Trotzdem entsteht insgesamt der Eindruck einer guten Wohnatmosphäre. Architektonischen Anspruch kombiniert mit ästhetischer Stringenz, also Logik, Präzision oder auch Klarheit, findet man besonders bei den beiden Wohnblöcken von Karin Bily und Paul Katzberger für die Genossenschaft „Neues Leben“. Verzierungen oder unmotivierte Elemente fehlen hier, der Entwurf gewinnt auf sachliche Weise seinen Ausdruck. Bily & Katzberger konzipierten einen langen, geraden und einen würfelförmigen Baukörper an der nordwestlichen Ecke der Anlage, die gemeinsam gegensätzliche Gestaltungsmöglichkeiten der Architektur vorführen, sowohl im Material und in den Oberflächen als auch in der Fassadengestaltung.

So ist der lange Baukörper traditionell gemauert und weiß verputzt, der Würfel hingegen verwendet das modernere Stahlbetonskelett mit Wärmedämmung und Aluminiumverkleidung. Letzteres ist im Wohnbau vielleicht etwas ungewohnt, die Assoziationen mögen in Richtung Bürobau gehen. Die Metallverkleidung, die durchgehenden Fenster und der schmale Sockel aus Glasbausteinen, die alle in einer Ebene liegen, bilden einen hermetischen Block mit vier gleichen Fassadenflächen. Bezüglich der Bewohner dieses Hauses denkt man an Singles oder Paare, und tatsächlich findet man hier durchgehend kleinere Wohnungen. Diese bestehen aus zwei oder drei aneinandergereihten, neutralen Räumen, die durch das allseitige Fensterband offener wirken, als dies mit üblichen Fenstern der Fall wäre.

Genauso konsequent wie in diesem Baukörper das Fensterband sind im anderen die vertikalen, bis zum Boden reichenden Einzelfenster verwendet. Sie rhythmisieren den Bau und führen im Inneren zu einem besonderen Raumeindruck, gerade bei den großen Wohn- und Eßräumen mit vier solchen Elementen. Der Blick nach außen ist weit, erfaßt die Nähe und geht in die Ferne. Anders verhält es sich beim Fensterband, das einen horizontalen Panoramablick bietet.

Diese gegensätzlichen Elemente, die im frühen 20. Jahrhundert eine heftige Kontroverse provozierten, führen Bily & Katzberger in der zeitlichen Distanz als Möglichkeiten vor. Sowohl das einzelne vertikale als auch das durchgehende horizontale Fenster erweisen sich in den beiden Wohnbauten als praktikabel und verleihen diesen einen spezifischen Ausdruck.

Bily & Katzberger bewegen sich in der Tradition der Moderne, die heute von unterschiedlichen Architekten eine neue Interpretation erfährt. Während in den Fensterformen gegensätzliche Positionen gleichsam vorgeführt werden, nimmt die eine Fassade an der Stirnseite mit ihren schmalen, liegenden Öffnungen und den Fenstern in Form von Bullaugen direkt die Ästhetik der zwanziger Jahre und die damals aktuelle Schiffsmetaphorik auf.

Doch wie präsentieren sich die Wohnbauten dem unmittelbaren Benutzer oder Bewohner? Die Architekten konnten trotz der beschränkten Möglichkeiten im sozialen Wohnbau eine anspruchsvolle Gestaltung der Treppenhäuser realisieren. Besonders die Erschließung im Zentrum des kleineren Baukörpers besticht durch ihre nüchterne Eleganz, die durch die schwarzen Kunststeinplatten, die weißen Wände und die grauen Metallgeländer entsteht.

Als kleinen Gag gibt es nebeneinander zwei unabhängige Treppenläufe, über die jeweils eine Haushälfte erreicht wird. Man kann also nicht direkt zum Nachbarn gegenüber, sondern muß nach unten, die richtige Treppe nehmen und wieder hinauf. Um die Treppen liegen die Bäder und Toiletten der Wohnungen mit Vorraum und Eingang, und dieser Bereich hängt jeweils wie ein Appendix an der Raumflucht entlang der Fassade. Eine großzügige Terrasse mit einem eigenen, kleinen Vorraum findet man für jede Wohnung im letzten Geschoß.

Im anderen Bau gibt es größere Wohnungen, alle mit Loggia, die meisten durchgehend von der einen Seite des Baukörpers bis zur anderen, also nach Westen und Osten orientiert. Die Grundrisse spielen hier mit Enge und Weite, das heißt, man hat die Vorräume teilweise recht knapp bemessen, um die tatsächlichen Räume größer konzipieren zu können und auch um sie durch den Gegensatz größer erscheinen zu lassen.

Durch die rigiden gesetzlichen Bestimmungen müssen die Vorräume durch Türen abgetrennt werden, wodurch manchmal äußerst enge Stellen entstehen. Einige Bewohner ließen daher – ganz im Sinne der Architekten – eine Türe einfach weg. Es bleibt ein offener, trotzdem aber räumlich erfahrbarer Vorraum. Eine andere Idee der Architekten war es, die verschiedenen Zimmer der Wohnung durch zwei Türen zu erschließen, sodaß Wege im Sinne von Rundgängen möglich werden. Und jede Loggia ist, als weiteres Detail, durch ein großes Schiebeelement aus Glas abtrennbar. Man kann also zwischen einer offenen Terrasse und einem Wintergarten wählen.

Bei den einfach und zugleich vielfältig konzipierten Wohnbauten von Bily & Katzberger entdeckt man dann plötzlich doch Urbanität, die aber der Umgebung entspricht. Durch die klare Gestaltung, durch die gleiche Reihung einer Vielzahl von Wohnungen entsteht nämlich der Eindruck von Anonymität, und gerade das entspricht dem Charakter einer Stadt. Indem die Bauten aber gleichzeitig einfach auf der Wiese stehen, lassen sie die Umgebung als solche bestehen, sie lassen die Peripherie in ihrem spezifischen heterogenen Ausdruck unverändert.o: ORF

Spectrum, Sa., 1995.11.04



verknüpfte Bauwerke
Wohnanlage Mühlgrundweg - Bauteil Katzberger

22. April 1995Margit Ulama
Spectrum

Enge Lücke, offenes Wohnen

Wie vollzieht sich die Auftragsvergabe? Welche Kriterien bestimmen die Architektur? Wie entsteht eigentlich guter Wohnbau? Ein kleiner Ausschnitt von wiederkehrenden Fragen – und ein Beispiel aus Wien.

Wie vollzieht sich die Auftragsvergabe? Welche Kriterien bestimmen die Architektur? Wie entsteht eigentlich guter Wohnbau? Ein kleiner Ausschnitt von wiederkehrenden Fragen – und ein Beispiel aus Wien.

Mehr als ein halbes Dutzend Kräne, die in den Himmel ragen, unzählige Rohbauten, eben erst aus dem Boden geschossen, und daneben noch freie, weite Felder – das ist der Blick, der sich vor kurzer Zeit entlang der Brünner Straße im Norden Wiens geboten hat, und ein ähnlicher Blick wird sich auch noch längere Zeit bieten. Denn hier liegt eine der Entwicklungsachsen im Rahmen der Stadterweiterung, allein hier sollen Tausende Wohnungen errichtet werden. Mit den verschiedenen Stadterweiterungsgebieten im Nordosten und auch im Süden von Wien reagiert man auf die steigenden Ansprüche der Bevölkerung bezüglich Wohnraum, auf die wachsende Zahl von kleineren Haushalten, auf die Zunahme der Bevölkerung in den letzten Jahren ganz allgemein – nicht zuletzt auf Grund der Zuwanderung.

Natürlich wurde für die geschilderte Entwicklung bereits ein neues Schlagwort gefunden. Von der zweiten, der „neuen“ Gründerzeit ist die Rede. Dieser Begriff bezieht sich aber auch auf Entwicklungen im dichtbebauten Stadtgebiet, auf die sogenannte „innere Stadtentwicklung“, also die Ausnützung von größeren Flächen wie ehemaligen Kasernen oder Gewerbeflächen, aber auch kleineren wie Baulücken.

Man könnte annehmen, auf dieser konkreten Ebene des Bauens müsse es leicht sein, Qualität zu erzielen beziehungsweise zu finden. Man könnte glauben, qualitätsvoller Wohnbau sei leichter möglich als qualitätsvoller Städtebau als Grundlage für die beschriebene Stadterweiterung an den Rändern. Aber sogar beim – im Vergleich zu der äußerst komplexen städtebaulichen Materie relativ einfachen – konkreten Objekt findet sich architektonischer Anspruch eher selten.

Qualität ist natürlich in weiten Teilen ein subjektiver Begriff, höchstens technische und funktionelle Belange lassen sich einigermaßen objektivieren. Es enttäuscht jedoch, daß in vielen Fällen das Interesse an Qualität zu fehlen scheint, wie divergent diese auch verstanden sei. Für die Auftraggeber, also die Wohnbaugenossenschaften oder die Gemeinde, stehen die funktionierende Bauabwicklung und die Einhaltung ökonomischer Grenzen im Vordergrund. Die Auftragsvergabe folgt vielfältigen Kriterien, nur nicht dem einen Kriterium, dem des architektonischen Anspruchs.

In dieser sicherlich etwas verkürzt beschriebenen Situation findet man wohl Ausnahmen, zu denen unter anderem jener vor kurzer Zeit von Dieter Henke und Marta Schreieck für die Österreichische Beamtenversicherung errichtete Wohnbau im 17. Bezirk, in der Kainzgasse, zählt. Von einer allgemeinen Baukultur und dem entsprechenden Bewußtsein ist man aber weit entfernt. Das hieße nämlich, das kreative Potential an

Architekten nicht nur in besonderen Fällen zu fördern (wie zum Beispiel beim Schulbauprogramm der Gemeinde Wien), sondern generell und umfassend. Das hieße weiters, nicht nur einen bestimmten, eng gefaßten Kreis von engagierten Architekten zum Zug kommen zu lassen, sondern eine breite Palette. Erst dann kann eine Baukultur entstehen, die sich auch durch eine hohe durchschnittliche Qualität auszeichnet.

In der Realität ist es jedoch oft schwierig – gerade für junge Architekten –, die Spirale von Gutachterverfahren und Direktaufträgen zu öffnen. Manchmal kommt jedoch der Zufall ins Spiel – im übrigen eine Kategorie der Kunstproduktion, hier im Sinne eines ganz alltäglichen Moments –, so bei den Architekten Eva Ceska und Friedrich Priesner.

In den ersten Jahren ihrer Zusammenarbeit konnten sie für das Architekturbüro Ceska & Musil zwei Wohnprojekte planen und realisieren. In der Folge erhielten sie dann den direkten Auftrag der Genossenschaft „Schönere Zukunft“ für den Bau des Wohnhauses in der Braunhirschengasse.

Das Selbstverständnis der Genossenschaft zeigte sich dabei in der weitgehenden Freiheit, die den Architekten bei der Planung zugestanden wurde, natürlich nur unter Einhaltung des engen finanziellen Rahmens, der die Voraussetzung für die Wohnbauförderung darstellt. Die zugestandene Freiheit oder vielmehr das mangelnde Interesse bezog sich also auf die Planung und deren Qualität. Was aber zeichnet diesen Wohnbau nun aus?

Um bei seiner Funktion zu bleiben: die konzeptuell durchdachten und gleichzeitig wohnlichen Grundrisse. Dabei findet man in der schmalen Baulücke nur eine Wohnung pro Geschoß. Treppe und Lift liegen hinter dem durchgehenden Glasstreifen an der Straßenfront. Von hier betritt man den Vorraum, der ein Kabinett und die Küche an der Hofseite erschließt, außerdem den Wohn- und Eßraum in der Hausmitte, durchgehend von der Hof- zur Straßenfront und daher zweiseitig belichtet; vom Wohnraum geht man dann weiter in einen Zwischenflur, der links und rechts jeweils zu einem Zimmer führt, dazwischen liegt das Bad.

Ein Kennzeichen dieses Grundrisses ist der an den Wohnbereich anschließende Zwischenflur, der die Schlafräume mit dem Bad erschließt. Dieses Konzept verwendete Josef Frank bereits 1932 in dem von ihm geplanten Haus in der Wiener Werkbundsiedlung, später bezeichnete es Friedrich Achleitner als „amerikanischen Grundriß“.

Betrachtet man die einzelne Wohnung des neuen Baus in der Braunhirschengasse genauer, erkennt man eine frappante Ähnlichkeit zu jenem Haus von Josef Frank, auch wenn dieses ein freistehendes Einfamilienhaus ist. Die grundsätzliche Aufteilung der Wohnräume in der jeweils annähernd quadratischen Grundform gleicht sich. In beiden Fällen liegen Vorraum und Zwischenflur auf einer mittigen Querachse, sodaß die Bewegung zwischen beiden und die Achse des durchgehenden Wohnraumes eine Kreuzform ergeben.

Frank versetzte Vorraum und Flur jedoch leicht und knickte dadurch den Weg, eine kleine Irritation, ein kleines Detail; die Bewegungsachse wird zur Bewegungslinie. Diese Form der versetzten Gehlinie in der Querrichtung kann man auch bei Ceska/Priesner beobachten, wie das Photo des Wohnraumes zeigt. Die Bewegung trennt diesen außerdem in die unterschiedlichen Bereiche des Wohnens und Essens.

Ceska/Priesner modernisieren den Grundriß aber, zum Beispiel durch die Verwendung von raumhohen Glasflächen, die den Wohnraum zum Vorzimmer und zur Küche hin öffnen, und auch der Zwischenflur ist nur optisch durch eine mattierte Glasscheibe markiert. Vorraum und Küche ragen in den Wohnraum hinein, was die visuelle Öffnung zum Vorzimmer erst ermöglicht. Eine Wohnung dieser Art braucht natürlich eine „offene“ Haltung des Benutzers, eine grundsätzliche Vorliebe für Ein- und Durchblicke, für raumhohe gläserne Abtrennungen. Allgemeiner Zweck dieser Elemente ist es jedenfalls, im sozialen Wohnbau, also bei beschränkten Raumhöhen und Grundrißflächen, eine räumliche Weite zu erzeugen. Und tatsächlich: Trotz der Standardhöhe von 2,5 Metern wirkt der Wohnraum nicht gedrückt, auch wenn man die großzügigen Höhen eines Altbaus gewöhnt ist.

Zu dieser Raumwirkung trägt auch das große, bis zum Boden reichende Fenster im Wohnraum bei, das aus fixen und beweglichen Teilen besteht. Es weitet den Raum nach außen, ähnlich wie die Glastüren zum Balkon an der Hofseite.

Diese optische Vergrößerung ist auch und besonders bei den einzelnen kleinen Zimmern notwendig. Sie kommt zum Tragen, obwohl deren Fensterbrüstungen mit Eternittafeln abgedeckt sind und nur ein schmaler, vertikaler Glasteil bis zum Boden reicht. Zur psychologischen Vergrößerung der Räume trägt aber auch eine Irritation der Geometrie bei. Da die Grundform des gesamten Baus ein leicht verzogenes Quadrat, also ein Rhombus ist, sind auch die Räume kaum merkbar schräg.

Diese geometrische Ordnung überlagern die Architekten mit einer neuen Richtung, die im rechten Winkel zur Fassade steht. Besonders effektvoll wirkt dies im mittig gelegenen Wohnbereich, dessen eine Wand, die zur Küche hin, auf die Weise gleichsam schräg steht. Der Wohnraum verjüngt sich somit zur Hofseite, die im Ansatz barocke perspektivische Wirkung bedeutet eine leichte Dynamik und optische Verlängerung für den Raum. Eva Ceska und Friedrich Priesner studierten beide an der TU Wien, als Enddreißiger zählen sie noch immer zur jungen Generation der Architekten. Ihre architektonische Haltung zeichnet sich durch einen Pragmatismus aus, der in ästhetischer Hinsicht an die Moderne anschließt. Der Fenstertypus mit den verschiedenen, unterschiedlich gelagerten Teilen, das lapidare Vordach über dem Eingang, die von oben bis unten durchgehende, gerasterte Glaswand vor dem Stiegenhaus – das sind einzelne „moderne“ Elemente. Unübersehbar gleichzeitig die Abweichungen. Nicht nur die Materialien und Details unterscheiden sich (jede Zeit produziert eben ihre eigenen), auch die oben genannten Elemente. Die Stiegenhausverglasung ist wie zufällig und unregelmäßig unterteilt, und gegensätzliche Strukturen sowie Materialien sind in der Fassade bewußt collagiert. Diese Collage setzen die Architekten an der Rückseite des Hauses fort. Durch einen eingeschoßigen Bau, ein Atelier oder Büro, entsteht ein kleiner Innenhof, die Bewegung von der Straße wird durch eine halbkreisförmige Wand aufgefangen. Deren organische Form materialisiert sich auch in einem organischen Material, einem Sichtziegelmauerwerk.

Das Büro selbst ist dann völlig unorganisch, also weiß und geometrisch, mit einem offenen, zweigeschoßigen Raumteil in der Mitte, ein „weißes Architekturexperiment“ in Miniaturform. So entwickelt sich aus einer pragmatischen Haltung doch wieder eine spezifische architektonische Position, die Assoziationen in verschiedenster Richtung zuläßt. Die heterogene Collage, die Überlagerung von Richtungen, die teilweise kargen und spröden Materialien – all das hat Referenzen und führt doch zu einem eigenen Gestus der Architektur.

Spectrum, Sa., 1995.04.22

Profil

Architekturstudium in Wien; lebt in Wien. Gründerin und Leiterin des Architekturfestivals TURN ON (2003-2024 alleinige Leiterin, ab 2024 kuratorische Leitung), Schriftstellerin, Architekturtheoretikerin und Kuratorin von Architekturwettbewerben und -symposien. 1998–2000 Gastprofessorin an der Universität für Gestaltung in Linz. Mitarbeit bei: NZZ, ARCH+, Die Presse, archithese, BauArt u. a. Publikationen: „Diese andere Seite der Welt / 3 Akte“, gem. mit Peter Waterhouse, Graz 1989; „Die dritte Person“, Roman, Wien 1994; „Reflexion in Architektur. Neuere Wiener Beispiele“, Wien 1995; „Wäßrige Luft“, zwei Erzählungen, Wien 1997.

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