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14. Dezember 2016Maik Novotny
Der Standard

Harry Glück 1925–2016

Er war einer der produktivsten und umstrittensten Architekten Österreichs. Sein Wohnpark Alt-Erlaa in Wien, einst als „Betonburg“ beschimpft, gilt heute vielen als vorbildhaft. Jetzt ist Harry Glück im Alter von 91 Jahren gestorben.

Er war einer der produktivsten und umstrittensten Architekten Österreichs. Sein Wohnpark Alt-Erlaa in Wien, einst als „Betonburg“ beschimpft, gilt heute vielen als vorbildhaft. Jetzt ist Harry Glück im Alter von 91 Jahren gestorben.

18.000 Wohnungen: Damit könnte man eine veritable Kleinstadt errichten. Eine Aufgabe, die kaum ein Architekt als Lebenswerk vorweisen kann. Harry Glück, der jetzt im Alter von 91 Jahren verstorben ist, konnte das. Zwar baute er keine komplette Stadt aus dem Nichts, sondern nur einzelne Wohnanlagen, dennoch ist die Zahl auch heute noch unglaublich. Alleine sein wohl berühmtestes Werk, der Wohnpark Alt-Erlaa (Bauzeit: 1973–1985), dessen massive Riegel wie Schiffe im Wiener Süden in den Himmel ragen, beherbergt rund 9000 Bewohner.

Der Wohnpark ist bis heute, ebenso wie sein Architekt, in gleichem Maße geschätzt wie umstritten. Seinerzeit als „Betonburg“ tituliert, hat sich Alt-Erlaa aller Kritik zum Trotz als beliebte Wohnlage erwiesen: Seine Bewohner schätzen die dicht begrünten Balkone, die Schwimmbäder auf dem Dach, die Gemeinschaftsräume und Einkaufsmöglichkeiten im Haus.

Das Wohnen in der Stadt mit den Vorzügen der Natur zu kombinieren war eines der zentralen Anliegen Harry Glücks. Wer eine grüne Terrasse hat, braucht am Wochenende nicht aufs Land zu fahren, so sein Credo. Die Pools auf dem Dach, die er bei zahlreichen seiner Wohnanlagen errichtete, sah er als bewussten Transfer einer Luxusausstattung hin zum „gemeinen Volk“.

Kritik und Neid

Das brachte ihm seinerzeit einiges an Kritik ein: „Ich wurde von rechts angegriffen, weil ich den Luxus an die Proleten verschwende, und von links, weil ich es den Leuten zu gemütlich mache und sie den revolutionären Schwung verlieren“, resümierte er 2013.

Doch nicht nur die vermeintliche Verschwendung wurde ihm angekreidet. Auch die Massivität seiner Bauten geriet unter Beschuss, galten die Wohnmaschinen der Spätmoderne doch schon ab Ende der 1970er weltweit als unmenschlich und technokratisch. Dass die meisten seiner Bauten viele Fehler vermieden, die andere Wohnblocks jener Zeit tatsächlich zum Niedergang verdammten, wurde oft übersehen.

Nicht zuletzt wurde ihm von Kollegen seine stets gute Auftragslage übelgenommen, er galt als gutverdienender Technokrat mit Naheverhältnis zur Baugenossenschaft Gesiba. Die Kränkung aufgrund dieser jahrzehntelangen Kritik war ihm noch im hohen Alter anzumerken, auch wenn jüngere Generationen von Architekten seinem Werk heute weitaus positiver gegenüberstehen.

Geboren 1925 in Wien als Sohn eines Bankbeamten und einer Schneiderin, studierte Glück zunächst Bühnenbild und Regie am Max-Reinhardt-Seminar, bevor er zum Architekturstudium an die Technische Hochschule Wien wechselte. Seine Laufbahn begann er beim Altmeister Josef Hoffmann. 1966 gründete er sein eigenes Büro und spezialisierte sich schnell auf den Wohnbau.

Dem Typus treu geblieben

Der von ihm mitentwickelten Typologie der Terrassenhäuser wie in der Inzersdorfer Straße (1974) blieb er mit wenigen Abwandlungen sein Leben lang treu. Wie er selbst betonte, schätzten seine Auftraggeber auch die bautechnische Effizienz seiner Konstruktionen, eine Qualität, die ihn in den Augen seiner avantgardistischen Altersgenossen, die an der Akademie studiert hatten, suspekt machte.

Neben den zahllosen Wohnanlagen errichtete er auch weniger bekannte, aber lukrative Infrastrukturbauten für die Stadt Wien, etwa das heute dem Abriss geweihte Rechenzentrum an der Zweierlinie (1980) – ein Schicksal, das der Architekt selbst damals mit sachlichem Gleichmut kommentierte. Dass Harry Glück auch gegen stilistische Moden nicht ganz immun war, zeigt sein 1986 am Parkring errichtetes Hotel Marriott mit seiner heute deplatziert wirkenden postmodernen Verspieltheit.

Bis zuletzt aktiv

Sein Büro, das zur Blütezeit seiner Karriere rund 100 Mitarbeiter umfasste, gab er Ende der 1990er-Jahre auf, blieb aber trotz körperlicher Gebrechlichkeit bis ins hohe Alter aktiv, beteiligte sich gemeinsam mit Partnerarchitekten unermüdlich an Wettbewerben und realisierte solide Wohnbauten, etwa am Mühlwasser in Stadlau.

Die Anerkennung, die ihm so lange verwehrt blieb, erlangte Harry Glück erst rund um seinen 90. Geburtstag. Anfang 2015 wurde ihm das Goldene Ehrenzeichen der Stadt Wien verliehen, und der Publizist Reinhard Seiß ehrte ihn mit einer umfassenden Monografie. Die 18.000 Wohnungen bleiben als würdiges Denkmal seines Wissens und Wirkens.

14. Dezember 2016Reinhard Seiß
Die Presse

Kein Formkünstler, aber Pionier des sozialen Wohnbaus

Er war mit 18.000 Wohnungen der meistbauende – und zugleich wohl umstrittenste Architekt Österreichs. Grund für die breite Ablehnung des 1925 in Wien geborenen,...

Er war mit 18.000 Wohnungen der meistbauende – und zugleich wohl umstrittenste Architekt Österreichs. Grund für die breite Ablehnung des 1925 in Wien geborenen,...

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22. Juli 2006Wojciech Czaja
Der Standard

Glück für alle

Bisweilen grenzen die brutalen Wohnsilos der Menschen an die Massenhaltung von Tieren. Die Wohnbauten von Harry Glück indes waren und sind ein seltenes Beispiel für schönes Wohnen in der Menge.

Bisweilen grenzen die brutalen Wohnsilos der Menschen an die Massenhaltung von Tieren. Die Wohnbauten von Harry Glück indes waren und sind ein seltenes Beispiel für schönes Wohnen in der Menge.

Das Wort „Massenwohnbau“ mag er nicht besonders. Er spricht lieber vom „Wohnen für die große Zahl“. Unter dieser Prämisse hat Harry Glück vor 30 Jahren die Wohnhausanlage in Alt Erlaa hochgezogen. Ein Wahrzeichen der etwas besseren 70er-Jahre. Von der Architektenschaft wird er seitdem für seine pauschale, massenabfertigende Architekturauffassung abqualifiziert, die Bewohner indes suhlen sich im grünen Glück ihrer rundumblickenden Wohnungen. „Alt Erlaa ist das Konzept meiner Bauten, weil es mein bisher größtes Projekt ist“, erklärt der Architekt, „aber die Prinzipien sind an vielen kleineren Bauten genauso gut ablesbar.“

Architektenkenner werden in seinen Wohntürmen die „Ville Radieuse“ von Le Corbusier wiedererkennen. Auch dieser verfolgte in seiner Vision das Bild einer vertikalen Stadt, um zwischen den Häusern mehr Grün übrig zu lassen. Glück: „Natürlich gibt es da eine Verbindung. Aber es ist ja auch keine Schande, sich an Le Corbusier ein Beispiel zu nehmen.“ Architekt Harry Glück im Gespräch über das Wohnglück und die Zufriedenheit vom Urwald auf der Terrasse und vom Wasser auf dem Dach.

STANDARD: Es gibt kaum ein Foto von Ihnen ohne Hund.
Harry Glück: Meine Hunde haben mir immer schon große Freude bereitet. Der einzige Kummer, den sie bieten, ist der Umstand, dass sie nicht sehr lange leben. Der Hund ist eine Verbindung zur Natur. Ich weiß nicht, ob das jeder versteht - aber ich empfinde es so.

STANDARD: Aktuellen Studien zufolge gelten die Terrassenhäuser in Alt Erlaa nach wie vor als hoch geschätzt und gepriesen. Das hat sich nach 30 Jahren nicht geändert. Das Geheimnis Ihres Erfolges?
Glück: Vor über hundert Jahren hat sich ein gewisser Carl Hagenbeck in Hamburg ein Patent darauf geben lassen, Tiere in ihrer artgerechten Umwelt zu zeigen. Wir bauen heute für unsere Hühner und Kühe artgerechte Ställe und Ausläufe, damit sie glücklich sind. Doch es ist noch niemand auf den Gedanken gekommen nachzuforschen, was zu machen ist, um die Menschen glücklich zu machen. Die längste Zeit der Geschichte konnten sich nur die durch Besitz und Macht Privilegierten eine artgerechte Wohnform verschaffen. Meine Ambition war es, diese Vorteile auch für die große Zahl zu ermöglichen. Das sind eigentlich die grundlegenden Prinzipien der Aufklärung.

STANDARD: Sie wenden in Ihren Bauten grundlegende Parameter der Reichen an. Wie lauten die?
Glück: Sie können heute mit der Business-Class nach Bali fliegen. Sie können das Gleiche auch in der Touristenklasse machen. Herr Meinl segelt mit unserem Finanzminister auf einer privaten Yacht durch das Mittelmeer, weniger Privilegierte können das Gleiche auf einem Urlaubsschiff machen. Der Unterschied zwischen oben und unten ist graduell geworden. Auf dem Gebiet des Wohnens allerdings sind die Unterschiede nicht graduell, sondern grundsätzlich. Die Grundsätze der Reichen sind ganz einfach: Naturnähe, Verlangen nach Nähe und Erreichbarkeit klaren Wassers, Verlangen nach freier Aussicht und die Möglichkeit zur Kommunikation. Der Mensch ist ein soziales Wesen, gestraft wird er mit Einzelhaft. Der Mensch kann sich nur als Gruppe sein Überleben sichern - es konnte einer allein ja kein Mammutschnitzel erlegen. All diese Elemente gibt es in den Wohnformen der Reichen und Mächtigen. In meinen Wohnbauten versuche ich, so viel wie möglich von diesen Parametern einfließen zu lassen.

STANDARD: Anderen Großbauten in Wien ist diese hohe Wohnqualität in diesem Ausmaß nicht beschert.
Glück: Das ist eine Frage von Ambitionen. Der heutige Wohnbau ist gesellschaftspolitisch zu wenig ambitioniert! Meine Bauten hingegen definieren sich nicht über die Fassaden, sondern über die Angebote und Nutzungsmöglichkeiten. Ich folge dem Modell der englischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts: das größtmögliche Glück für die größtmögliche Zahl. Meine Bauten sind eingebettet in Grün, sind behindertengerecht und für Nichtbehinderte bequem, bieten Freiräume und Wasser. Das Schwimmbad auf dem Dach ist ein Ort der Schwerelosigkeit und außerdem jener Ort, an dem die Kommunikation zwischen den Bewohnern beginnt. Die meisten Großwohnbauten der 70er- und 80er-Jahre haben diese grundlegenden Komponenten der menschlichen Zufriedenheit ignoriert.

STANDARD: Ist der Swimming-Pool auf dem Dach ein Rezept, das allseits anwendbar ist?
Glück: Nein, aber der Pool hilft. Das offene Schwimmbad auf dem Dach ist außerdem ein Naturerlebnis. Die Schwimmbäder in unseren Wohnhausanlagen werden statistisch von über 90 Prozent der Bewohner aufgesucht, und zwar von zwei Dritteln regelmäßig, von einem Drittel gelegentlich. Das reicht offenbar aus, um Kommunikation in Gang zu setzen. Wenn jemand von der Arbeit heimkommt, sich auszieht und mit dem Lift aufs Dach fährt, so trifft er dort wahrscheinlich Tag für Tag die gleichen Nachbarn. Spätestens am dritten Tag wird er sie grüßen.

STANDARD: Was macht er im Winter?
Glück: Im Winter hat er die anderen schon kennen gelernt. Und deswegen fährt er zum Skifahren in die Berge.

STANDARD: Ist das Wohnen in der großen Menge nach heutigen Maßstäben noch gerechtfertigt?
Glück: Was heißt gerechtfertigt? Das Leben in der Stadt ist ein Leben mit der großen Zahl. Die Leute argumentieren immer mit romantischen Stadtvierteln und elitären Bezirken. Die 10.000 Bewohner von Alt Erlaa können das Stadtzentrum mit einem öffentlichen Verkehrsmittel sehr rasch und bequem erreichen. Im achten Bezirk brauchen Sie für 30.000 Einwohner ein paar Straßenbahnen, drei Autobusse und viel Fußmarsch dazwischen. Sie werden vom Straßenlärm gequält und haben enorme Parkplatz-Probleme.

STANDARD: Sie selbst aber wohnen mitten in der Stadt.
Glück: Ich bin zwar nicht so wohlhabend wie Herr Mateschitz, aber ich habe vor allem in früheren Jahren mehr verdient, als ein Bewohner von Alt Erlaa maximal verdienen darf, um dort eine Wohnung zu bekommen. Durch Zufall wohne ich in einem Haus im achten Bezirk an einem großen Park, von dem ein Teil sogar mir gehört. Ohne diese konkrete oder eine ähnliche oder vergleichbare Situation wäre ich schon längst am Stadtrand - in irgendeiner Wohnung in Alt Erlaa.

STANDARD: In der Architektenschaft wird Ihre Architektur in ästhetischer und kultureller Hinsicht wenig bis gar nicht geschätzt. Die Bewohner indes lieben ihre Wohnsituation. Warum klaffen hier akademische Auffassung und Praxiserfahrung so weit auseinander?
Glück: Die Relevanz dessen, was das Architekturfeuilleton als ästhetisch und anspruchsvoll bezeichnet, ändert sich alle fünf bis sechs Jahre. Ist diese Meinung daher relevant? Ich behaupte allerdings, dass einige meiner Bauten mit den angeblichen Musterbeispielen ästhetisch durchaus mithalten können. Sie sind nur nicht ganz so modisch. Bei der Ablehnung der Kollegen spielt aber sicherlich auch der Neid gegenüber einem materiell erfolgreichen Kollegen eine nicht unwesentliche Rolle.

STANDARD: Ich kann es mir nicht verkneifen: Sind Sie glücklich?
Glück: Eigentlich schon. Als Architekt habe ich sicherlich nicht alles erreicht, was ich für gut hielt. Aber ich kann mich - im Vergleich zu einem großen Teil meiner Kollegen - nicht beklagen. Und privat: Solange ich auf keine verrückten Ideen komme, muss ich mich ebenfalls nicht beklagen. Ich bin erträglich gesund und ich lebe seit 50 Jahren mit derselben Frau.

STANDARD: Sie sind mittlerweile 81 Jahre alt und arbeiten immer noch?
Glück: Ich arbeite ganz gerne.

STANDARD: Möchten Sie als weiser Mann der jungen Architektenschaft einen Ratschlag auf den Weg mitgeben?
Glück: Ich würde den Kollegen empfehlen, so schnell wie möglich auf Jus umzusatteln. Denn den meisten Architekten geht es um Selbstverwirklichung und nicht darum, für Menschen zu arbeiten. Wenn es weniger Architekten gäbe, wäre das wahrscheinlich kein Fehler.

12. Februar 2005Reinhard Seiß
Salzburger Nachrichten

Für Menschen sollst du bauen!

Dass Harry Glücks Terrassenhäuser die beliebtesten Wohnanlagen Wiens sind, spricht für ihn - nicht aber für den sozialen Wohnbau der Bundeshauptstadt, der heute hinter die Standards der 70er Jahre zurückgefallen ist. Zum 80. Geburtstag des Wohnbaupioniers.

Dass Harry Glücks Terrassenhäuser die beliebtesten Wohnanlagen Wiens sind, spricht für ihn - nicht aber für den sozialen Wohnbau der Bundeshauptstadt, der heute hinter die Standards der 70er Jahre zurückgefallen ist. Zum 80. Geburtstag des Wohnbaupioniers.

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Profil

Regie- und Bühnenbildstudium am Reinhardt-Seminar, Wien; ca. 12 Jahre als Bühnenbildner in Österreich, Deutschland und der Schweiz tätig; gleichzeitig Studium der Architektur; Abschluß Dipl. Ing. TU Wien; nachher Dr. tech. TU Innsbruck.
Seit 1966 eigenes Architekturbüro; 1975 Ausstellung im Museum des 20. Jh. in Wien; zahlreiche Veröffentlichungen, u.a. „Sozialer Wohnbau“, Molden, „Stadt und Lebensqualität“, DVA.

Publikationen

Harry Glück, , Müry Salzmann Verlag

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