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Bauwerke

Artikel 12

27. Juli 2013Maik Novotny
Der Standard

Einer für alle

Ein moderner Idealist, ein technologisch versierter Humanist: Der Architekt Richard Rogers feiert seinen 80. Geburtstag.

Ein moderner Idealist, ein technologisch versierter Humanist: Der Architekt Richard Rogers feiert seinen 80. Geburtstag.

Der Aufschrei unter den Pariser Bürgern war enorm. Das, was da mitten in ihrer geliebten Stadt aus dem Boden wuchs, war alles andere als prunkvoll. Ein Gewühl und Gewürm aus Rohren und Schloten, bunt wie ein Spielgerüst. „Die Rückseite eines Kühlschranks!“, höhnten die Intellektuellen, und das war noch die harmloseste Schmähung.

In der Tat: Das Centre Pompidou hatte nichts von der steinernen Größe und hochkulturellen Gewichtigkeit, die Museen üblicherweise ausstrahlten. Es war nicht grand, es war im Grunde mehr Gerüst als Gebäude, aber es verfolgte andere, und ebenso französische, Ziele: Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

„Ein Ort für alle Menschen, jeden Alters, jeden Glaubens, für Reiche und Arme“ war der erste Satz, den seine britisch-italienischen Architekten Richard Rogers, Renzo Piano und Gianfranco Franchini sich notierten, als sie sich an den Entwurf für den Wettbewerb machten. Damals noch kaum bekannt, setzte sich das Team unter den 681 Einreichungen durch. Sie waren die Einzigen gewesen, die es schafften, das gesamte Programm auf der Hälfte des Baugrundstücks unterzubringen, die andere wurde zum öffentlichen Platz. Man weiß, wie die Geschichte ausging: Das lustige Museum mit der Glasröhrenfront wurde ein ebensolcher Erfolg wie der Platz davor.

Die Architekten gingen nach der Fertigstellung 1977 getrennte Wege, doch vor allem einer von ihnen blieb dem Prinzip der Offenheit treu: Richard Rogers, der diese Woche seinen 80. Geburtstag feierte. Kurz zuvor wurde außerdem an der Royal Academy in London eine Ausstellung über sein Werk eröffnet. Eine singuläre Ehrung, die fast einen Widerspruch darstellt, denn Rogers war nie ein Architekt, der darauf beharrte, seine Werke nur mit dem eigenen Namen zu unterschreiben. Teamarbeit wie die beim Centre Pompidou prägte seine gesamte Karriere.

1933 in Florenz geboren, zog Rogers mit seinen Eltern kurz vor Kriegsausbruch nach England, wo er Architektur studierte. 1963 gründete er mit seiner Frau Su Brumwell, Wendy Cheeseman und deren Gatte Norman Foster das Team 4. Es war die Zeit des Aufbruchs, in der vor allem in Großbritannien aus dem Glauben an eine bessere Zukunft zahllose öffentliche Bauten entstanden.

Norman Foster wurde später ebenso zum Superstar wie Renzo Piano. Rogers etablierte mit drei neuen Kollegen die Richard Rogers Partnership und begann seine produktivste Phase. Bei seinem Meisterwerk, dem Lloyd's Building in London, war zwar die fröhliche Siebzigerjahre-Buntheit des Centre Pompidou einer kühlen Blade Runner-Ästhetik gewichen, das Prinzip des Inneres-nach-außen-Stülpens war jedoch exakt dasselbe. Die wie Orgelpfeifen aus Schraubengewinden an der Außenseite arrangierten Stiegen- und Lifttürme erlauben im Inneren ein riesiges Atrium von erhabener Ruhe inmitten der Londoner City-Geschäftigkeit.

Es folgten Großbauten wie der Flughafen Madrid mit seinem geschwungenen Holzdach, der Londoner Millennium Dome (heute O2-Arena) und das Parlament für Wales in Cardiff. Konstruktionen, in denen Dächer und Stützen wie Haut und Knochen ineinandergreifen, in denen die Technologie nie zum Selbstzweck wird, sondern dazu dient, möglichst große Räume aufzuspannen.

Als Rogers 1987 den Wettbewerb für das Areal des Paternoster Square neben der St.-Paul's-Kathedrale mit einem Hybrid zwischen Gebäude und Stadt gewann, erhoben sich, wie damals in Paris, wieder die Gegenstimmen. Zu neu, zu kompliziert! Diesmal gewannen sie, denn mit Prince Charles, nebenberuflich Verfechter traditionalistischer Bauweisen, hatten sie einen prominenten Fürsprecher. Was stattdessen entstand, ist heute ein hilfloses, konfuses Gemisch aus historischen und modernen Versatzstücken.

An Anerkennung mangelte es Richard Rogers dennoch nicht: 1996 wurde er Lord, 2009 bekam er den Pritzker-Preis. Unter der Labour-Regierung war er Vorsitzender der Urban Task Force, die 105 Empfehlungen aussprach, um die ausblutenden Stadtzentren wieder lebenswert zu machen. „What is the city but the people“, hieß es schließlich schon bei seinem Landsmann Shakespeare.

Auch seine jüngsten Projekte zeigen den Konstrukteur als Menschenfreund. Da ist einerseits der 225 Meter hohe Glaskeil des Leadenhall Building, im Volksmund „Käsehobel“ genannt, das Rogers' eigenes (heute denkmalgeschütztes) Lloyd's Building nebenan zur Blechbüchse schrumpfen lässt. Statt eines von Security-Verteidigungswällen eingekeilten Bürogebirges soll es durch das Freilassen fast des gesamten Erdgeschoßes ein öffentlicher Ort werden. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit im Herzen der Hochfinanz.

Auf der anderen Seite ein kleines Projekt, das Maggie's Centre für Krebskranke in London. Ein terrakottaroter Pavillon in einem üppigen Garten, durch eine Mauer vor der lauten Straße geschützt, darüber ein luftiges, weit überstehendes Dach. Es ist vielleicht der Rogers-Bau, der am unmittelbarsten Begegnung, Schutz und Offenheit vermittelt. Schön ist es selbstverständlich auch. Nicht zufällig lautet der hellenische Eid, der als Motto an der Wand der Londoner Jubiläumsausstellung steht: „Ich werde diese Stadt schöner verlassen, als ich sie betreten habe.“

06. Juli 2009Carsten Krohn
Neue Zürcher Zeitung

Nachhaltige Städte

Der 1933 in Florenz geborene Richard Rogers zählt zu den einflussreichsten Architekten Grossbritanniens. Zusammen mit Renzo Piano realisierte er das Centre Pompidou in Paris. Sein besonderes Interesse gilt dem Städtebau. Mit Lord Rogers sprach Carsten Krohn in London.

Der 1933 in Florenz geborene Richard Rogers zählt zu den einflussreichsten Architekten Grossbritanniens. Zusammen mit Renzo Piano realisierte er das Centre Pompidou in Paris. Sein besonderes Interesse gilt dem Städtebau. Mit Lord Rogers sprach Carsten Krohn in London.

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12. Januar 2008Wojciech Czaja
Der Standard

Die Menschen brauchen Jazz

Letztes Jahr wurde dem britischen Architekten Lord Richard Rogers der Pritzker-Preis verliehen. Nun widmet ihm das Centre Pompidou in Paris, das er einst selbst entwarf, eine überaus sehenswerte Ausstellung.

Letztes Jahr wurde dem britischen Architekten Lord Richard Rogers der Pritzker-Preis verliehen. Nun widmet ihm das Centre Pompidou in Paris, das er einst selbst entwarf, eine überaus sehenswerte Ausstellung.

Februar 1977, Paris. Es regnet in Strömen. Richard Rogers steht vor dem Centre Georges Pompidou und betrachtet sein eben vollendetes Werk, als plötzlich eine ältere Dame an ihn herantritt und ihm freundlicherweise einen Platz unter ihrem Regenschirm anbietet. Was er denn von diesem Gebäude hielte, fragt Madame. Und Rogers antwortet stolz: „Ich bin der Architekt.“ Prompt bekam er mit dem Regenschirm eins über die Rübe gezogen.

Doch Madame war längst nicht die Einzige, die sich über das stählerne Ungetüm von Richard Rogers und Renzo Piano mokierte. Die Presse bezeichnete das Bauwerk als Pompidoleum, als Erdölraffinerie, als Nôtre Dame der Röhren. Die französische Tageszeitung Le Figaro sprach gar von einem „kulturellen King Kong“, der hier mitten ins historische Quartier Beaubourg implantiert wurde. Staatspräsident Georges Pompidou ahnte bereits, worauf er sich mit dem Bau seines Kunst- und Kulturzentrums eingelassen hatte. Als er das Modell zum ersten Mal sah, soll er gesagt haben: „Das wird ein Geschrei geben!“

Die Schreie des Entsetzens verwandelten sich im Laufe der Zeit in Jubelrufe und Euphorie. Dreißig Jahre später wird Rogers abermals nach Paris geladen. Das Centre Pompidou, längst etabliert als Brennpunkt zeitgenössischer Kunst, widmet seinem einstigen Architekten Richard Rogers eine eigene Werkschau. „Ich bin sehr erfreut darüber, dass ich in dieser Ausstellung präsentieren kann, was meine Kollegen und ich in den letzten 40 Jahren alles gemacht haben“, erklärt der heute 74-jährige Rogers anlässlich der Ausstellungseröffnung, „das Centre Pompidou ist dafür der perfekte Ort.“

Selten zuvor sei eine Architekturausstellung im Pompidou so gut besucht worden, sagt die zuständige Pressesprecherin Célia Faurie. Mit hunderten Schaulustigen füllt sich die Ausstellungshalle im Erdgeschoß. Ein weiteres Dutzend pickt an der Glasscheibe draußen am Gehsteig und lugt in die Geheimnisse des bunten Innenraums. Richard Rogers et Architectes ist keine von diesen üblich verdächtigen Nabelschauen, die einzig dazu dienen, den Architekten als großen Meister über alles Irdische zu stellen. Mehr als alles andere ist die Ausstellung ein Lehrpfad für Jung und Alt - informativ und aufschlussreich.

Besucher aller Altersklassen wandern mit Fotoapparat und Skizzenblock gewappnet durch den 1200 Quadratmeter großen Raum. Tafeln werden sorgsam studiert, Interviews werden abgehört und mitgeschrieben, mit bizarren Händeformationen und körperlichen Verrenkungen versucht der eine oder andere sogar, den statischen Kräfteverlauf einer abgehängten Halle nachzuahmen.

Keine Angst vor Konstruktion

„Meine Architektursprache entsteht aus einer Faszination, die eng verbunden ist mit der Konstruktion und mit dem Prozess des Werdens“, erklärt Rogers in geschriebenen Worten als Auftakt zur Ausstellung. Prompt steht am Eingang ein überlebensgroßer Knotenpunkt einer statischen Stahlkonstruktion - in knalligem Neonpink. „Viele Architekten machen einen wunderbaren Job, indem sie die Grenzen der heutigen Architektur ausloten und strapazieren. Ohne diese Strapazen gäbe es keinen Fortschritt. Dann würden wir heute immer noch in der Höhle sitzen.“

Im Video-Interview, das in der Ausstellung läuft, erinnert er sich ans erste Projekt, das damals noch in der Bürogemeinschaft Team 4 entstand - gemeinsam mit seiner Frau Su sowie mit dem Architektenehepaar Wendy und Sir Norman Foster: „Am ersten Haus haben wir jahrelang gearbeitet. Es war eine Tortur. Danach wussten wir, dass das so nicht weitergeht.“ Zwangsweise landete man bei Vorfertigung, bei Modularbauweise und bei günstigem Bauen für jedermann. Aus dieser Haltung heraus entstand schließlich das Centre Pompidou. „Irgendwo haben wir aufgeschnappt, dass am Wettbewerb angeblich 700 Teilnehmer beteiligt waren. Ich sagte: Vergiss es! Doch als wir hörten, dass wir 400 Pfund Druckkostenzuschuss bekämen, waren wir dabei!“ Rogers hält inne. „Und ich bin froh, dass Renzo und ich gewonnen haben. Denn wenn ich Wettbewerbe verliere, dann bin ich ziemlich sauer.“

Eines ist gewiss: Angst vor Farbe hat der charmante Brite nicht. Und das darf angesichts der sonst so biederen Gräulichkeit, mit der die zeitgenössische Architektur vielerorts daherkommt, durchaus als Chuzpe verstanden werden. Farbenfroh wie bereits das Centre Pompidou geben sich auch die Bauten heutiger Tage. Die Stahlkonstruktion des Flughafens Madrid Barajas ist in den schillernden Farben des Regenbogens lackiert - das Farbspektrum erstreckt sich über die ganze Länge des Terminals und dient dabei als Orientierungshilfe. Sind die Stützen orange, weiß man, dass man zum gelben Gate nicht mehr weit zu laufen hat. Gibt sich die Stahlkonstruktion jedoch als blau oder gar violett zu erkennen, dann steht einem noch ein langer Fußmarsch bevor.

Schauplatzwechsel. Unweit von Rogers' berühmten Lloyd's of London aus dem Jahr 1986 entsteht derzeit das Leadenhall Building. Mit seinen 50 Stockwerken zeichnet sich der zugespitzte Bau vor allem dadurch aus, dass die Konstruktion hinter der Glasfassade in bunten Farben schimmert - ein kleiner Tupfen im verregneten London. Und sogar der kleine Mann bekommt Farbe verpasst: Im britischen Milton Keynes, einer Planstadt aus den Sechzigerjahren unweit von London, stellt Rogers derzeit die Fertighaussiedlung Oxley Woods fertig. Die kistenförmigen Bauten mit ihren farbigen Akzenten sind der Beweis dafür, dass durchaus Gutes dabei herauskommen kann, wenn sich die Architektur der Großen mit der Häuslbauerei der Kleinen paart.

Richard Rogers holt weit aus: „Palladio, Schopenhauer und Schelling haben gesagt, Architektur sei gefrorene Musik - das will ich nicht. Meine Häuser sind Jazz.“ Die Praxis der Architektur ist untrennbar mit den sozialen und wirtschaftlichen Werten jedes Einzelnen verknüpft, erklärt Rogers, eine ästhetische Komposition, die gefrorener Musik gleicht, das ist für die Gesellschaft zu wenig.

Eigentlich wollte der gebürtige Florentiner ja Zahnmediziner werden. Doch seine Legasthenie machte ihm einen fetten Strich durch die Rechnung. Und so muss die Welt um eine verkannte Dentalkoryphäe trauern. Pech für die Medizin, Glück für die Architektur. Heute ist der zum Ritter erhobene Richard Rogers 74 Jahre alt, im Juni letzten Jahres wurde ihm in London der Pritzker-Preis verliehen. „Doch bevor Sie mich fragen: Nein, ich habe nicht vor, mich zur Ruhe zu setzen.“

[ Die Richard-Rogers-Retrospektive läuft noch bis 3. März. Täglich außer Dienstag, Centre Georges Pompidou, Paris. Von 24. April bis 10. August wird die Ausstellung im London Design Museum zu sehen sein. ]

30. März 2007Roman Hollenstein
Neue Zürcher Zeitung

Ein Meister des Hightech

Die Eröffnung der Kulturmaschine des Pariser Centre Pompidou machte Renzo Piano und Richard Rogers 1977 zu Stars. Neun Jahre später konnte Rogers mit dem...

Die Eröffnung der Kulturmaschine des Pariser Centre Pompidou machte Renzo Piano und Richard Rogers 1977 zu Stars. Neun Jahre später konnte Rogers mit dem...

Die Eröffnung der Kulturmaschine des Pariser Centre Pompidou machte Renzo Piano und Richard Rogers 1977 zu Stars. Neun Jahre später konnte Rogers mit dem Lloyds's Building eine Ikone des britischen Hightech vollenden. Auch wenn der 1933 in Florenz geborene Londoner dem technischen Ausdruck treu geblieben ist, werden seine Bauten heute nicht mehr von reiner Zukunftseuphorie bestimmt. Im Zentrum von Rogers' Entwurfsarbeit steht vielmehr das Ringen um eine umweltverträgliche Baukunst. Dies hält ihn aber nicht davon ab, Megaprojekte wie den Millennium Dome oder den im vergangenen Jahr eingeweihten Madrider Flughafen Barajas zu realisieren. Zu seinen bekannteren Werken zählen ausserdem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, die Justizpaläste von Bordeaux und Antwerpen sowie das walisische Regierungsgebäude in Cardiff. Bedeutender als seine Bauten waren in den vergangenen Jahren jedoch seine theoretischen Äusserungen. So skizzierte er 1997 seine Visionen für «Cities for a small planet» und beanstandete später die «erschreckenden architektonischen und städtebaulichen Standards» unserer Zeit. Nicht zuletzt für dieses ethische Engagement auf dem Gebiet der Architektur wird nun Lord Rogers of Riverside mit dem seit 1979 jährlich verliehenen und mit 100 000 Dollar dotierten «Nobelpreis der Architektur» ausgezeichnet. Damit setzt die im vergangenen Herbst um Toshiko Mori, Shigeru Ban und Renzo Piano erweiterte Jury einmal mehr auf einen bewährten Altmeister.

Profil

Auszeichnungen

2007 Pritzker-Preis

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