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15. August 2017Andrea Eschbach
Neue Zürcher Zeitung

Die Geburt des Designs aus dem Geist der Poesie

Der Designer Ettore Sottsass stellte in den siebziger Jahren das Design auf den Kopf. Zu seinem hundertsten Geburtstag schauen verschiedene Museen auf sein vielfältiges Werk zurück.

Der Designer Ettore Sottsass stellte in den siebziger Jahren das Design auf den Kopf. Zu seinem hundertsten Geburtstag schauen verschiedene Museen auf sein vielfältiges Werk zurück.

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17. Januar 2008Michael Kasiske
Bauwelt

Ettore Sottsass 1917-2007

In hohem Alter wandeln sich Prominente häufig zur Legende. Nicht so Ettore Sottsass. Das verdankt sich zum einen seiner bis zum Schluss ungebroche­nen Aktivität, zum anderen seinen Objekten und Bauten, deren Frische aus der jeweiligen Aktualität resultierte. „Jedes Ding war zum Spielen da“, schrieb Sott­sass in den 70er Jahren, als er seine parallel zur Popart entwickelte Methodik bereits kultiviert hatte: Auf das Wesentlichste reduzierte Grundformen und geometrische Archetypen wurden mit dekorativen Elementen versehen, die Alltagsgegenständen entlehnt waren. Indem er „kalte“ Formen vermied, strebte er eine sinnliche und assoziationsreiche Wahr­nehmung an, die Emotionen erzeugen sollte.

In hohem Alter wandeln sich Prominente häufig zur Legende. Nicht so Ettore Sottsass. Das verdankt sich zum einen seiner bis zum Schluss ungebroche­nen Aktivität, zum anderen seinen Objekten und Bauten, deren Frische aus der jeweiligen Aktualität resultierte. „Jedes Ding war zum Spielen da“, schrieb Sott­sass in den 70er Jahren, als er seine parallel zur Popart entwickelte Methodik bereits kultiviert hatte: Auf das Wesentlichste reduzierte Grundformen und geometrische Archetypen wurden mit dekorativen Elementen versehen, die Alltagsgegenständen entlehnt waren. Indem er „kalte“ Formen vermied, strebte er eine sinnliche und assoziationsreiche Wahr­nehmung an, die Emotionen erzeugen sollte.

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verknüpfte Zeitschriften
Bauwelt 2008|04 Die Kunst der Gegenwart

04. Januar 2008Wojciech Czaja
Der Standard

Der Zucker in meinem Leben

Zeit seines Lebens wollte der Architekt und Designer Ettore Sottsass den Menschen das Leben versüßen: mit Schönheit, mit Ironie, mit Überfluss. Letzten Montag ist er gestorben.

Zeit seines Lebens wollte der Architekt und Designer Ettore Sottsass den Menschen das Leben versüßen: mit Schönheit, mit Ironie, mit Überfluss. Letzten Montag ist er gestorben.

„Wenn uns irgendetwas retten kann, dann die Schönheit“, hatte Ettore Sottsass einst gesagt. Mit jahrzehntelang anhaltendem Elan machte sich der gebürtige Innsbrucker bereits in den Fünfzigerjahren an die Arbeit und entwarf in seinem Architektur- und Designstudio ein Ding nach dem anderen: Badezimmerarmaturen, Türklinken, unzählige Kannen, Tassen und Vasen, Bestecke in allen erdenklichen Materialien, Drehstühle, Tischlampen, nicht zu vergessen seine wild gemusterten Bücherregale aus der Ära „Memphis“.

Das hübscheste Objekt aller Zeiten - zumindest aus der Sicht von Sekretärinnen, Journalisten und sonstigen sich tippend über Wasser haltenden Menschen - ist jedoch die knallrote Valentine, Jahrgang 1969. Die schlichte und elegante Schreibmaschine aus dem Hause Olivetti, der Sottsass in Zusammenarbeit mit Perry King erstmals so etwas wie Charakter und Persönlichkeit verliehen hatte, war in einem ebenso roten Kofferetui aus Kunststoff zuhause und gilt bis heute als die Schreibmaschine aller Schreibmaschinen. Sottsass: „Die Valentine ist jene Sorte Gegenstand, die einsame Dichter dazu bringt, an einem Sonntag in ihrem Landhaus Gedichte zu komponieren.“ Heute gehört sie zur Kollektion des MoMA in New York.

Vergangenen Montag verstarb Sottsass 90-jährig in seinem Haus in Mailand. Wenig bekannt ist bis heute, dass sich der Designer und Künstler zeit seines Lebens intensiv mit Architektur beschäftigte. 1935 begann er sein Architekturstudium am Polytechnikum in Turin, nur vier Jahre später schloss er mit Diplom ab. Wie viele seiner Generation ließ er sich niemals in ein berufliches Schema pressen. „Es gibt keine Grenzen zwischen Architektur, Skulptur, Design und Malerei“, lautete seine feste Überzeugung. Nur wenn man die Grenzen zwischen den Disziplinen auflöst und das Leben in seiner Ganzheit betrachtet, könne sich der Prozess des Entwerfens frei entfalten.

Die meisten Architekturprojekte entstanden in den Achtziger- und Neunzigerjahren. In Belgien, Italien, Singapur, in der Schweiz und in den USA baute Sottsass etliche Einfamilienhäuser, bei denen er sich sogar um die Inneneinrichtung und um die Auswahl der Keramik kümmerte, in Moskau schuf er eine Fabrik, in Ravenna ein Museum, in China einen Golfklub.

Als einmaligen Ausrutscher darf man wohl den Flughafen Malpensa in Mailand bezeichnen. „Ich gebe zu, dass ich bei Malpensa manche Sachen einfach vermasselt habe, ich habe die ganze Zeit gearbeitet, als hätte ich einen privaten Bauherren vor mir“, wird Ettore Sottsass später zurückblicken. „Ich wollte einen Ort für jene Menschen schaffen, die ankommen, warten und abfliegen, stattdessen habe ich irgendwann erkannt, dass ein zeitgenössischer Flughafen nichts anderes ist als ein Shoppingcenter.“

Bauen ist eine Metapher

Das lässt den überzeugten Anthropologen nicht in Ruhe. „Es gibt nur wenige Architekten, die erkennen, dass Bauen die Metapher eines Landes und seiner Politik ist“, sagt Sottsass. „Ich habe manchmal sogar das Gefühl, dass ich mit meiner auf den Menschen bedachten Herangehensweise ganz allein dastehe - das macht das Entwerfen anstrengend.“

Von Mailand hat er gelernt. Dem öffentlichen Bauen kehrt Sottsass wieder den Rücken und widmet sich fortan den Privatbauherren. „Ich spreche immer davon, dass ich Häuser für den Menschen baue. Eigenartig ist, dass sich diese Menschen immer nur als Millionäre und Milliardäre herausstellen. Es sind Intellektuelle, Galeristen, Sammler. Die Armen aber, die mich ebenso interessieren würden, kommen einfach nicht zu mir. Sie müssen sich wohl damit zufriedengeben, was ihm Rahmen ihrer Möglichkeiten liegt.“ Andererseits, erklärt er, sei das alles nicht so schlimm, schließlich liege der Reiz darin, das Haus für den Milliardär so mondän und so raffiniert wie möglich zu machen. „Ich weiß nicht, ob das gut oder schlecht ist, aber er ist so.“

1999 entsteht eines der außergewöhnlichsten jemals realisierten Bauwerke. Im belgischen Lanaken, unweit der niederländischen Grenze, plant Sottsass das sogenannte Birdhouse für seinen Freund Ernest Mourmans, seines Zeichens Architekt und Galerist. Das Gebäude spiegelt das Architekturverständnis von Sottsass wider wie kein anderes. Statt einer klaren homogenen Form, wie es dieser Jahre Mode ist, sprengt Sottsass das Gebäude in mehrere kleine Pavillons, die durch Korridore, Gärten und Atrien wieder ein Ganzes ergeben.

In unterschiedlicher Bauweise und mit ebenso unterschiedlichen Raumstimmungen steht es Mourmans und seiner Familie frei zu entscheiden, wo die beiden Kunstsammlungen und wo die Menschen wohnen. Mittelpunkt des Hauses ist eine Voliere für Mourmans exotische Vögel. Die bunten Tiere sind von überall im Haus zu sehen.

Die architektonischen Grundelemente sind bewusst überdeutlich dargestellt. Oft hat man das Gefühl, dass sich hier jemand über den Sinn für Ästhetik lustig macht, bisweilen kippen die Entwürfe ins Ironische. Sottsass spricht von „radikaler Architektur“ - eine harte Kritik an der zeitgenössischen Baukultur also. Mit seinen Freunden Hans Hollein, Arata Isozaki, Michele de Lucchi, Andrea Branzi und einigen mehr gründet er 1981 die Gruppe Memphis. Mit ihren skulpturalen und knallbunten Objekten erteilt er dem nüchternen Funktionalismus eine Abfuhr. Möbel und Einrichtung sollten nicht mehr nur unauffällig ihren Dienst erfüllen, sondern auch Gefühle auslösen. Billige Materialien werden mit wertvollen kombiniert, grelle Muster werden mit kreischenden Farben gemischt, die Möbel und Häuser kommen plump und klobig daher - Postmoderne in ihrer Hochblüte eben.

Genug des guten Geschmacks

„Ach, Memphis!“, blickt der Mann mit den traurigen Augen in seinen späten Jahren zurück, „Memphis war eine große Verwirrung. Wir dachten weder daran, das Zeug zu verkaufen, noch daran, den anderen den Weg zu ebnen. Wir haben's einfach gemacht und basta. Was passiert ist, ist passiert.“ Der Unbekümmertheit dieser Tage konnte er bis zuletzt etwas abgewinnen: Memphis habe vom puren Überfluss gelebt. Die Möbel, Keramikobjekte und Inneneinrichtungen waren absurd und monumental. In erster Linie waren sie Emotion, nur nebenrangig erfüllten sie auch eine Funktion. „Wenn es wahr ist, dass wir in einer Gesellschaft des Überflusses leben, dann muss sich die Gestaltung dieser Gesellschaft auch anpassen, nur das ist von Dauer“, hatte der große Italiener einst gesagt. Das Überflüssige? „Das ist wie Liebe machen, ohne die Notwendigkeit, dabei auch Kinder machen zu müssen.“ Oder anders: „Für mich ist Obsoleszenz der Zucker in meinem Leben.“

Zum 90. Geburtstag widmete die Stadt Triest dem Jubilar eine Ausstellung unter dem Titel „Ich will wissen warum“. 170 Werke und Projekte sind noch bis 6. März 2008 in der alten Fischhalle im Salone degli Incanti zu sehen. Einige davon werden erstmals öffentlich gezeigt. Man solle die Gegenstände fühlen und nicht nur benutzen. Wenige Tage vor seinem Tod äußerte Ettore Sottsass einen einzigen Wunsch: „Ich möchte, dass die Leute die Ausstellung mit Tränen in den Augen verlassen.“

03. Januar 2008Andrea Eschbach
Neue Zürcher Zeitung

Der aufsässige Poet

Er sei, sagte Ettore Sottsass, ebenso wenig Missionar wie Vorreiter. «In meiner Vorstellung von Design gibt es keine philosophischen oder belehrenden Elemente.»...

Er sei, sagte Ettore Sottsass, ebenso wenig Missionar wie Vorreiter. «In meiner Vorstellung von Design gibt es keine philosophischen oder belehrenden Elemente.»...

Er sei, sagte Ettore Sottsass, ebenso wenig Missionar wie Vorreiter. «In meiner Vorstellung von Design gibt es keine philosophischen oder belehrenden Elemente.» Das klingt bescheiden, zurückhaltend beinahe. Doch Sottsass' Werke haben viel Staub aufgewirbelt. Keiner hat das Berufsbild des Designers so umfassend erweitert wie der italienische Architekt, Gestalter und Künstler. Der Doyen des italienischen Designs hat nahezu alles gestaltet, was sich gestalten lässt – und damit stets polarisiert. Übervater und Altmeister, Guru und Innovator – der Etiketten für Sottsass existieren viele. Sein Werk ist vielschichtig, die Umbrüche und Neuanfänge haben Designgeschichte geschrieben. Der Blick zurück verleitet zur Legendenbildung. Die häufig vorgenommene Zweiteilung in Sottsass, den Industriedesigner aus Olivetti-Tagen, und Sottsass, den künstlerischen Rebellen der achtziger Jahre, greift allerdings zu kurz. Die Wahrheit liegt vielmehr in der ständigen Durchdringung von experimenteller und professioneller Arbeit, dem Nebeneinander von Auftragsprojekten im Industriedesign und visionären, freieren Entwürfen. Die Grenzen zwischen Kunst und Design waren bei Sottsass stets fliessend: Sein reiches Œuvre umfasst Architektur, Möbel-, Grafik- und Industriedesign, Keramik, Zeichnung, Photographie und grundlegende Essays. Als «homo universalis des elektronischen Zeitalters» würdigte ihn der Münchner Verleger Abrecht Bangert 1994 in einer Laudatio.

Industriedesign und Memphis-Möbel

Die Architektur bildet gleichsam die Klammer in Leben und Werk: Am 14. September 1917 in Innsbruck als Sohn des rationalistischen Architekten Ettore Sottsass sen. geboren, hatte der junge Sottsass zunächst Arbeiterwohnhäuser in Norditalien und auf Sardinien entworfen. Nebenbei experimentierte er – nicht ohne Erfolg – als Maler und Keramiker. Noch war nicht zu ahnen, dass er im Alter den Rationalismus rigoros hinterfragen und schliesslich damit brechen sollte. Sein Aufstieg zum international gefeierten Designer war verbunden mit dem Büromaschinenunternehmen Olivetti: 1958 bot ihm – «wie durch ein Wunder», erinnerte sich Sottsass – Adriano Olivetti an, seine elektronischen Geräte zu gestalten. Für das Design der ersten stationären Grosscomputer suchte das Unternehmen keinen Praktiker, sondern einen von industriellen Zwängen unbelasteten Gestalter. Die Wahl fiel auf den damals 41-jährigen Aussenseiter Sottsass, der weder von seiner Ausbildung noch von seiner Erfahrung her das Zeug zum Industriedesigner zu haben schien. Rund drei Jahrzehnte lang dauerte die fruchtbare Zusammenarbeit, Sottsass avancierte zum Chef des System-Designs bei Olivetti. Zum fulminanten Einstieg geriet ihm 1959 der Grossrechner «Elea 9003», entworfen in knapp zwei Wochen und im gleichen Jahr mit dem begehrten «Compasso d'oro» ausgezeichnet. Ihm folgten Generationen preisgekrönter Büromaschinen wie etwa die Reiseschreibmaschine «Valentine» von 1969. In diesem leuchtend roten Objekt, das weit entfernt vom gewohnten grauen Gebrauchsgegenstand war, verdichtete Sottsass – gemeinsam mit Perry A. King – das Lebensgefühl der Pop-Art.

Bei allem Erfolg hatte Sottsass schon Anfang der sechziger Jahre den immergleichen Kreislauf von Produktion und Konsum industrieller Produkte hinterfragt. «Sind wir Diener der Industrie oder sind wir Designer?», hielt er provokativ fest. Sich der Verantwortung zu entziehen, war seine Sache nicht. Mit Gestaltung könne man «Stellung gegen die Barbarei der modernen Industriegesellschaft beziehen und ihr etwas entgegensetzen, das mehr Würde hat und sich des Wertes der menschlichen Existenz besser bewusst ist.» Die Haltung machte ihn schnell zum Impulsgeber und Promoter eines neuartigen Verständnisses von Gestaltung. Und während er noch zeichenhafte Büromaschinen entwarf, legte er bereits den Grundstein für ein subjektiveres, experimentierfreudiges Design. Immer stärker distanzierte er sich vom Funktionalismus, beeinflusst von der amerikanischen Popkultur und Literaten der Beat-Generation wie Allen Ginsberg. «Die betört mich nicht», verkündete er freimütig. Sottsass' Inspiration war die Poesie: 1970 entstanden die ersten mit Laminat beschichteten «Mobili Grigi», neongrelle Fiberglasbetten und -spiegel für Poltronova. Die Welle des «Radical Design» erfasste Italien. Sottsass, der nie an einer Schule gelehrt hatte, wurde zur wichtigsten Leitfigur der Radikalen, aber auch zum «Begründer einer Bewegung gegen seinen Willen», wie ihn seine langjährige Lebensgefährtin Barbara Radice charakterisierte. Die Hoffnung der jungen Rebellen, durch Design und Architektur die Welt verändern zu können, erfüllte sich aber nicht, die Bewegung ebbte ab.

Sottsass führte seine Revolte jedoch fort. Während er weiterhin Olivetti als Berater eng verbunden blieb, gehörte er 1973 zu den Gründern von «Global Tools», einer Vereinigung von radikalen Architekten und Intellektuellen, wenig später schloss er sich dem Mailänder Studio «Alchimia» um Alessandro Mendini an. Das von Mendini propagierte «neue Handwerk» lag Sottsass jedoch fern. 1980 gründete er im Alter von 63 Jahren «Sottsass Associati» – als Primus inter Pares einer Gruppe junger Gestalter und Architekten. Ein Jahr später versetzte er mit der Design-Gruppe «Memphis» die Welt der Gestaltung in Aufruhr. «Wir haben gewissermassen ein Fenster geöffnet», blickte Sottsass zurück. «Vor uns tat sich eine neue Landschaft auf, und wir sahen, dass es auch dort Flüsse, Wälder, Felsen gab.» Und diese Design-Landschaft war bunt, multifunktional und uneindeutig: Mit der Vorstellung der schönen, nützlichen und funktionalen Gestaltung hatten die frechen Möbel und Leuchten der Mailänder Gruppe wenig zu tun. «Form follows fun», lautete das Motto, das ein Jahrzehnt prägen sollte. Die bunten oder pastellfarbenen Möbel und Leuchten in exzentrischen Formen schienen aus einer Traumwelt zu stammen, sie waren poetisch, sinnlich, bizarr. Respektlos mixten Sottsass und seine Mitstreiter Holz, Kunststofflaminat und Metall, zitierten historische Elemente und verwandten üppige Ornamente.

Zurück zur Architektur

Aber was als Revolution begonnen hatte, verkam schnell zur modischen Attitüde: Schon bald überschwemmten unzählige Kopien «im Stil von Memphis» den Markt. Die Protagonisten zogen sich zurück, Ende der achtziger Jahre löste sich die Gruppe auf. Sottsass hatte genug vom Industriedesign. Statt an «einer zweifelhaften technokratischen Entwicklung» teilzunehmen, wollte er künftig nur noch Design schaffen, das alle Sinne anspricht. Sinnlicher als Design erschien ihm jedoch zunehmend das Gebaute. In den letzten Lebensjahren verlagerte sich der Akzent in Sottsass' Schaffen zusehends in Richtung Architektur. Mit seinen Mailänder Partnern Marco Zanini, Johanna Grawunder, Mike Ryan und James Irvine hat Sottsass zahlreiche Bauwerke realisiert: darunter in den frühen achtziger Jahren die mit farbigen Säulen und bunten Teppichböden ausgestatteten Showrooms für die Bekleidungsfirma Esprit. Ihnen folgten Bauten wie das Haus Wolf in Colorado (1987–89), ein wie von Kinderhand zusammengewürfelter Bau aus bunten, kubischen Elementen, ein Wohnhaus für den Zürcher Galeristen Bruno Bischofberger (1991–98) sowie der Innenausbau des Flughafens Malpensa bei Mailand (1994–98).

Sottsass' grösster Antrieb war seine rastlose Neugier. «Sein Leben scheint einer zentrifugalen Kraftlinie entlang zu verlaufen, die ihn dazu treibt, sich unaufhörlich in einem Strudel von Unsicherheiten, Pannen, Umschichtungen, Ambiguitäten und Spannungen selbst neu zu erfinden», schrieb Barbara Radice 1993 in ihrer Sottsass-Biographie. Kurz nach der Eröffnung einer bis zum 6. März dauernden Retrospektive im Salone degli Incanti in Triest ist der Unermüdliche, der so viel Angst vor dem Stillstand hatte, am 31. Dezember im Alter von 90 Jahren in seiner Mailänder Wohnung gestorben.

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