Die in „reprint“ gesammelten Kommentare, Essays, Kritiken, Aufsätze, Interviews, Manifeste und Polemiken geben einen Einblick in den heterogenen Architekturdiskurs der vergangenen hundert Jahre in und über Tirol.

Texten von bzw. Gespräche mit:
Raimund Abraham, Friedrich Achleitner, Wilhelm Adamer, Horst Christoph, Friedrich Falch, Hans Feßler, Ingo Feßler, Theodor Fischer, Hans-Jürgen Fischler, Hans Fritz, Norbert Fritz, Josef Garber, Leopold Gerstel, Karl Giannoni, L. Gigl, Heinrich Gimbel, Richard Gratl, Albert Gruber, Johann Georg Gsteu, Samuel Guyer, Hans Haid, Hans Halhammer, Heinrich Hammer, Robert B. Hartwig, Ludwig Haßlwanter, Krista Hauser, Wulfing Hauser, Guido Heigl, Karolus Heil, Arno Heinz, Ernst Heiß, Norbert Heltschl, Ernst Heismayr, Ekkehard Hörmann, Roman Hollenstein, Clemens Holzmeister, Reinhardt Honold, Ernst Hortner, Hans Illmer, Karl Innerebner, Klaus Juen, Peter Jungmann, Gabriele Kaiser, Otto Kapfinger, Ludwig Kittinger, Oskar Kleschatzky, Rudolf Kloss, Arnold Klotz, Rainer Köberl, Gretl Köfler, Peter Koller, Fritz Kolneder, Christian Kühn, Josef Lackner, Frohwalt Lechleitner, Franziska Leeb, Hans Loch, Adolf Loos, Peter Lorenz, Klaus Lugger, Werner Maiacher, Josef Manfreda, Dieter Mathoi, Thomas Moser, Friedrich Neubauer, Walter Neuzil, Johann Obermoser, Horst Parson, Karl Paulmichl, Georg Pendl, Wolfgang Pfaundler, Karl Pfeiler, Wolfgang Pöschl, Hubert Prachensky, Michael Prachensky, Otto Rauter, Helmut Reitter, Sigbert Riccabona, Arno Ritter, Hanno Schlögl, Erika Schmeissner-Schmid, Paul Schmitthenner, Hans Seberiny, Alwin Seifert, Elisabeth Senn, Kristian Sotriffer, Dietmar Steiner, Wilhelm Stigler jun., Herbert Stifter, Jörg Streli, Christian Streng, Alfred Strobl, Titus Taeschner, Heinz Tesar, Herwig van Staa, Liesbeth Waechter-Böhm, Lois Welzenbacher, Johannes Wiesflecker, Kunibert Zimmeter.

ISBN
3-7065-4032-0
Sprache
deutsch
Publikationsdatum
2005
Umfang
368 S.,

Presseschau
19. März 2005Hubertus Adam
Neue Zürcher Zeitung

Vom Brauen zum Bauen

(SUBTITLE) Neunutzung eines Denkmals der Moderne in Innsbruck

Weithin sichtbar erhebt sich das einstige Sudhaus des «Adambräu» von Lois Welzenbacher nahe dem Innsbrucker Hauptbahnhof. In dieser Inkunabel des Neuen Bauens befindet sich nun ein Architekturzentrum für den Westen Österreichs.

Kaum eine andere Grossstadt wird derart stark von Bergen beherrscht wie Innsbruck, das seine historische Bedeutung der Verkehrslage verdankt. Die Route zum Brennerpass, dem niedrigsten Übergang über die Ostalpen, stösst hier auf das Inntal und begünstigte die Entwicklung der Stadt mit ihrem noch heute relativ kompakt erhaltenen historischen Zentrum.

Wie auch in anderen alpinen Regionen unterlag die Bewertung des Gebirgsraums seit etwa 1800 einem sukzessiven Wandel. Höhepunkt war Ende der 1920er Jahre der Bau der Seilbahnen auf die Nordkette und den Patscherkofel, deren Stationsgebäude von zwei lokalen Vertretern einer moderaten Moderne, Franz Baumann und Hans Fessler, stammen. Doch auch im Stadtzentrum selbst konnte das Neue Bauen Fuss fassen: In den Jahren 1926/27 entstand das Verwaltungsgebäude der Elektrizitätswerke, 1926 bis 1931 der Komplex der Brauerei «Adambräu». Beide Bauten wurden von dem 1889 in München geborenen Lois Welzenbacher errichtet, der als einer der Pioniere der Moderne in Österreich gelten kann. Seine grandiosen, organisch geschwungenen Einfamilienhäuser in Zell am See zählen zu den Inkunabeln der Architektur des 20. Jahrhunderts; und es war Welzenbacher - und nicht etwa Adolf Loos oder Josef Frank -, der 1932 das zeitgenössische Bauen Österreichs auf der legendären Ausstellung «Modern Architecture» im New Yorker Museum of Modern Art vertrat.

Architektonische Preziose

Ohne Zweifel, das traditionell konservative Tirol tat sich in der Vergangenheit mit dem architektonischen Erbe der Moderne schwer. Nur knapp entging Welzenbachers Parkhotel Seeber aus dem Jahr 1931 in Hall dem Abriss (NZZ 22. 5. 04); andere Beispiele des Neuen Bauens, darunter Fesslers Berghotel auf dem Patscherkofel, sind weiterhin bedroht. Auch der Wert der Welzenbacher-Bauten auf dem nahe beim Hauptbahnhof gelegenen «Adambräu»-Areal wurde zunächst von offizieller Seite nicht erkannt. Nach der Einstellung des Braubetriebs 1994 drohte dem über mehrere Jahrzehnte gewachsenen Ensemble der Totalabriss. Doch die beiden Welzenbacher-Bauten galten Kennern als Preziosen.

Zunächst hatte der Architekt 1926/27 das turmartige Sudhaus errichtet, in dem der Brauprozess entsprechend der funktionalistischen Logik der Zeit in vertikaler Abfolge organisiert war: In der oberen Hälfte des Gebäudes befanden sich - unter Waage und Wassertank - die betonierten Malzsilos, in der unteren die Räumlichkeiten für den eigentlichen Brauprozess. Die Kupferkessel der Maisch- und Würzpfanne sowie des Maisch- und Läuterbottichs waren hinter der geschossübergreifenden Eckverglasung zeichenhaft inszeniert. Die werbewirksame Zurschaustellung des Produktionsprozesses wurde durch die Versalien des Markennamens «Adambräu» an der Strassenfassade und auf dem Dach unterstützt. 1930/31 entstand als Welzenbachers zweiter Baukörper das benachbarte, ebenfalls turmähnliche Kühl- und Lagerhaus, das sogenannte Kühlschiff.

Nach der Unterschutzstellung im Jahr 1995 kam die Idee auf, das stadtbildprägende Sudhaus für die Architektur zu nutzen. Vier Jahre später spannten das Architekturforum Tirol und das Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck zusammen, um ein gemeinsames Nutzungskonzept vorzulegen. Die Machbarkeitsstudie der ortsansässigen Architekten Rainer Köberl, Erich Wucherer, Thomas Giner und Andreas Pfeifer schuf die konzeptionellen, der Ankauf des Sudhauses durch die Stadt Innsbruck die planerischen Voraussetzungen für den Umbau, der mit der Neueröffnung des «Adambräu» als des gemeinsamen Standorts beider Architekturinstitutionen Mitte Januar abgeschlossen werden konnte.

Das 1993 gegründete Architekturforum Tirol, das sich nun «aut» (architektur und tirol) nennt, bespielt den unteren Teil des Gebäudes. Arno Ritter, der engagierte langjährige Leiter, ohne den es das «aut» nicht gäbe, hat jetzt 300 Quadratmeter Ausstellungsfläche zur Verfügung. Vier Ausstellungsräume auf drei miteinander verbundenen Ebenen gruppieren sich um die «aut:lounge». Hier, wo hinter grossflächiger Verglasung einst Maisch- und Würzpfanne installiert waren, laden von Franz West gestaltete Stühle zum Lesen von Architekturzeitschriften ein. Die mit dem Umbau beauftragten Architekten haben die Raumstruktur so weit wie möglich erhalten: Bohlen decken die Kesselöffnungen im Boden ab, Schwarz und Weiss sind die vorherrschenden Farben. Zwischen den Extremen des denkmalpflegerischen Purismus und der prätentiösen Umwidmung wurde ein überzeugender, wenn auch im Detail zu diskutierender Weg gefunden, der neuen Bedürfnissen einen gebührenden Raum gewährt. - Ein Film der Videokünstlerin Sabine Jelinek dokumentiert im Untergeschoss den Umbau, ergänzt durch historische Dokumente. Im Übrigen setzt Ritter mit seiner Eröffnungsausstellung «Vermessungen. Hörbilder zu Architektur und Tirol» auf akustische Eindrücke, so dass die neuen Räume, die ja auch alte sind, in ihrer Rolle als Hauptakteure gestärkt werden.

Auf Nachbauten einer Liege, die Welzenbacher für das Haus Thumersbach in Zell am See entworfen hat, kann man sich Texte über Stadt und Welt, Raum und Farbe anhören. Wiedergabegeräte im Geschoss darunter spielen ausgewählte Texte des Tiroler Architekturdiskurses der vergangenen hundert Jahre ab. Es ist konsequent, dass als Publikation anlässlich des Umzugs in den Welzenbacher-Bau unter dem Titel «Reprint. Ein Lesebuch zu Architektur und Tirol» eine Anthologie erschienen ist, welche diese Texte und noch eine Reihe anderer in chronologischer Reihenfolge versammelt. In Zeiten, da Architekturverlage ihr Publikum vornehmlich durch Bilderorgien überwältigen, ist die Veröffentlichung dieses umfassenden Lesebuchs - einer Fundgrube zum Teil entlegen publizierter Beiträge - äusserst verdienstvoll.

Forum und Archiv für Baukunst

Das Archiv für Baukunst der Universität Innsbruck nutzt die geschickt in zwei Ebenen unterteilten und mit Durchbrüchen versehenen Malzsilos als Archivräume, während das Geschoss darüber Büros und Ausstellungsbereich beherbergt. Die Eröffnungsausstellung zeigt die Tiroler Baukunst seit 1900 anhand ausgewählter Zeichnungen, Modelle und Fotos aus den eigenen, durch Leihgaben ergänzten Beständen. Dabei reicht die Spannweite von modernen Regionalisten wie Franz Baumann, Hans Fessler oder Siegfried Mazagg über Clemens Holzmeister, Wilhelm Stigler und Josef Lackner bis hin zur Dekonstruktivistin Zaha Hadid, von der Studien für die Sprungschanze auf dem Bergisel zu sehen sind. Die architektonische Moderne Tirols wurde bisher wenig bearbeitet, und es ist zu erwarten, dass Reiner Graefe und Christoph Hölz mit Ausstellungen und Publikationen künftig einige Forschungslücken schliessen werden. Die Sammlungstätigkeit selbst soll sich nicht auf Tirol beschränken, sondern durchaus auch benachbarte Regionen wie Südtirol oder Vorarlberg umfassen.

Dass es mit Unterstützung von Stadt, Land und Bund gelungen ist, die ambitionierte Umwidmung eines Meisterwerks von Welzenbacher für zwei im Aufbau begriffene Architekturinstitutionen in die Tat umzusetzen, spricht für die Wertschätzung, welche Architektur in Österreich geniesst. Das neue Haus steht aber auch für eine architektonische Kultur, mit welcher das zuvor gerne als hinterwäldlerisch bezeichnete Tirol seit den neunziger Jahren internationale Aufmerksamkeit zu erregen weiss.

Neue Zürcher Zeitung, Sa., 2005.03.19



verknüpfte Bauwerke
Adambräu – Umbau Sudhaus

4 | 3 | 2 | 1