Dobrović in Dubrovnik begibt sich auf die Spuren von Vergangenheit und Gegenwart der in den 1930er Jahren in der mediterranen Landschaft um die süddalmatinische Adria-küste entstandenen Avantgardearchitektur. In umfassenden historischen, theoretischen und phänomenologischen Betrachtungen zu Geschehnissen und Bauformen beschreiben die Architekten Krunoslav Ivanišin und Ljiljana Blagojević in ihren beiden Essays ein spezifisches, doch gleichzeitig universelles Venture in Modern Architecture. Auf einem Gebiet von nur zehn Quadratmeilen über einen Zeitraum von weniger als zehn Jahren erbaute der Architekt Nikola Dobrović (1897–1967) vor 70 Jahren diese durch und durch modernen Villen, Gärten und Hotels, die hier in Entwurfszeichnungen, Schwarz-Weiß-Fotografien aus ihrer Entstehungszeit und aktuellen Farbfotografien von Wolfgang Thaler präsentiert werden. Die Farbaufnahmen veranschaulichen die Schönheit dieser im Verfall befindlichen heroischen architektonischen Werke der internationalen Moderne und vermitteln eindrucksvoll ihre beredte mediterrane Unverwüstlichkeit.

ISBN
978-3-86859-357-0
Sprache
Englisch
Publikationsdatum
2015
Umfang
160 Seiten, ca. 80 Abb.
Format
Hardcover, 24 x 30 cm

Presseschau
20. Februar 2016Maik Novotny
Der Standard

Ado­nis an der Adria

Ei­ne Aus­stel­lung in Zag­reb wid­met sich den Bau­ten des Ar­chi­tek­ten Ni­ko­la Do­bro­vić in und um Du­brov­nik. Wie­der­ent­deckt hat sie der ös­ter­rei­chi­sche Fo­to­graf Wolf­gang Tha­ler.

Glas und Be­ton, Tra­ban­tens­täd­te, Häu­ser wie Ma­schi­nen: Das Kli­schee­bild der mo­der­nen Ar­chi­tek­tur ist ein so ur­ba­nes wie grau­es. Und es ist falsch. Denn es las­sen sich reich­lich be­wei­se fin­den, dass der Ge­burts­ort der Mo­der­ne in der ar­ka­di­schen Land­schaft des Mit­tel­meer­raums liegt. Die weiß­ge­tün­chten ku­bi­schen Bau­ten, die den jun­gen Le Cor­bu­sier 1911 auf sei­ner „Voya­ge d’Orient“ auf dem Bal­kan und in der Tür­kei fas­zi­nier­ten, fan­den sich spä­ter in sei­ner Ar­chi­tek­tur wie­der, und der le­gen­dä­re 4. Cong­rès In­ter­na­tio­nal d’Ar­chi­tec­tu­re Mo­der­ne (CI­AM), der 1933 die Char­ta von At­hen zu­sam­men­stell­te, die folg­en­rei­che Ge­set­zes­ta­fel der mo­der­nen Ar­chi­tek­tur, fand auf dem Schiff Pa­tras zwi­schen Mar­seil­le und At­hen statt. Die For­de­rung nach „Licht, Luft und Son­ne“ lässt sich auch als ro­man­ti­scher Sehn­sucht­sex­port vom Mit­tel­meer in die in­ter­na­tio­na­le Welt le­sen.

Dass der vom auf­säs­si­gen jun­gen Te­am X ge­lei­te­te 10. Kon­gress der CI­AM im hei­ßen Au­gust 1956 in Du­brov­nik Sta­ti­on mach­te, passt ge­nau ins Bild. Die Mo­der­ne al­ler­dings war schon vor ih­nen im süd­li­chen Dal­ma­tien an­ge­kom­men: in Ge­stalt ei­nes strah­lend wei­ßen Ho­tels mit aus­schwin­gen­den Bal­ko­nen – und ku­bi­schen Vil­len –, die auf dün­nen Stüt­zen ba­lan­cier­ten.

Sie al­le stam­men aus der Fe­der des Ar­chi­tek­ten Ni­ko­la Do­bro­vić – ei­nes in­ter­na­tio­na­len Eu­ro­pä­ers mit deutsch-ser­bi­schen Wur­zeln. Er wur­de 1897 im un­ga­ri­schen Pécs ge­bo­ren und stu­dier­te in Prag, be­vor er in den 1920er-Jah­ren erst­mals ver­such­te, im jun­gen Staat Ju­gos­la­wien Fuß zu fas­sen. 1934 zog er schließ­lich nach Du­brov­nik, wo ei­ne in­ten­si­ve Schaf­fens­pha­se be­gann.

Feu­er­werk an Ide­en

Wie­der­ent­deckt wur­de die­ses jetzt vom Wie­ner Fo­to­gra­fen Wolf­gang Tha­ler. Schon für sei­nen 2012 er­schie­ne­nen Bild­band Mo­der­nism In-bet­ween: The Me­dia­to­ry Ar­chi­tec­tu­res of So­cia­list Yu­gos­la­via hat­te er die reich­hal­ti­ge Ar­chi­tek­tur des block­frei­en Staa­tes do­ku­men­tiert. Un­ter al­len spek­ta­ku­lä­ren Bau­ten war es das ele­gan­te Grand Ho­tel auf der klei­nen In­sel Lo­pud, das sei­ne Neu­gier weck­te. Al­so reis­te Tha­ler er­neut an die Adria, auf den Spu­ren des Ar­chi­tek­ten. „Do­bro­vić hat hier in kur­zer Zeit ein kom­pak­tes Werk ge­schaf­fen. Die Häu­ser sind ge­bau­te Ex­pe­ri­men­te, ein rich­ti­ges Feu­er­werk an Ide­en auf klein­stem Raum“, er­klärt Tha­ler: „Au­ßer­dem hat das Ju­gos­la­wien die­ser Zeit ar­chi­tek­to­nisch ein völ­lig an­de­res Ge­sicht als die Ti­to-Ära.“ Näch­ste Wo­che wird die Do­ku­men­ta­ti­on im Ar­chi­tek­turm­useum Oris in Zag­reb aus­ge­stellt. Zu­sam­men­ge­tan hat sich Tha­ler da­für mit dem Zag­re­ber Ar­chi­tek­ten Kru­nos­lav Iva­ni­šin, der ein be­son­de­res Ver­hält­nis zu Do­bro­vić mit­brach­te: Er wur­de in der „Vil­la Ado­nis“ ge­bo­ren, die der Ar­chi­tekt für Iva­ni­šins Groß­el­tern ge­baut hat­te. Das hat ihn bis heu­te ge­prägt. „Man kann ihn durch­aus als ei­nen der be­sten mo­der­nen Ar­chi­tek­ten Eu­ro­pas be­zeich­nen“, sagt Iva­ni­šin. „Da­bei war er so­wohl ein me­di­ter­ra­ner Re­gio­na­list als auch ein mo­der­ner, welt­läu­fi­ger Eu­ro­pä­er. Er brach­te die Bau­tra­di­tio­nen Du­brov­niks mit ih­ren sta­ti­schen, stein­ern-ar­chai­schen Häus­ern und die Tech­no­lo­gie des In­dus­trie­zeit­al­ters zu­sam­men.“

In der Tat sind Do­bro­vićs Häu­ser kei­ne aus dem Nichts ge­lan­de­ten Kopf­ge­bur­ten, son­dern ge­nau auf To­po­gra­fie und Kli­ma zu­ge­schnit­ten. Sei­ne Be­geis­te­rung für die wuch­ti­ge Fes­tungs­mau­er von Du­brov­nik mün­de­te in der ta­pe­te­nar­ti­gen Stein­fass­ade sei­ner Vil­la Svid, die wie ein ar­chai­scher Tem­pel im rau­en Ge­län­de steht, aus dem sie ge­formt scheint. Bei der Vil­la Ado­nis wie­der­um ließ der Ar­chi­tekt den Steil­hang, auf dem sie steht, wie ei­nen Tun­nel durch das Haus lau­fen. „Auch die Sym­me­trie, die sich in vie­len sei­ner Häu­ser fin­det, ist sehr un­ty­pisch für die Mo­der­ne, aber sehr ty­pisch für die tra­di­tio­nel­len dal­ma­ti­ni­schen Häu­ser“, er­klärt Iva­ni­šin.

Am auf­fäl­ligs­ten ist die­se Sym­me­trie in der Vil­la Ado­nis mit ih­ren bei­den spiegel­bild­li­chen Ein­gän­gen: ei­ner für die Be­sit­zer, ei­ner für das Per­so­nal. Ein In­diz für die bürg­er­li­che Kli­en­tel sei­ner Auf­trag­ge­ber: Zahn­ärz­te, Bank­be­am­te und Rechts­an­wäl­te. Da­bei drück­te der cha­rak­ter­star­ke Ar­chi­tekt sei­nen Häus­ern durch­aus buch­stä­blich sei­nen Stem­pel auf: Do­bro­vić gab sei­nen Vil­len thea­tra­li­sche Na­men und küm­mer­te sich da­bei nicht groß um die Mei­nung sei­ner Auf­trag­ge­ber. Die Na­men wie Ado­nis, Ru­sal­ka, Ves­na und Svid wur­den in die Be­ton­brüs­tung der Dach­ter­ras­sen ein­ge­stanzt und ver­wei­sen, wie die Ar­chi­tek­tin Lil­ja­na Bla­go­je­vić im Buch zur Aus­stel­lung schreibt, auf grie­chi­sche und sla­wi­sche Sa­gen­ge­stal­ten aus myt­ho­lo­gi­schen Zwi­schen­rei­chen. Ein Pa­ra­de­bei­spiel für die ro­man­ti­sche Tie­fen­grun­die­rung der ra­tio­na­len Mo­der­ne.

Ro­man­ti­sche Grun­die­rung

Nach dem Krieg ging Do­bro­vić nach Bel­grad und wur­de dort ein­fluss­rei­cher Pla­ner und Hoch­schul­leh­rer. Die be­schau­li­che Adria­küs­te wuchs der­weil im Ti­to-Ju­gos­la­wien zur bau­lich auf­ge­la­de­nen Tou­ris­ten­de­sti­na­ti­on an. Die Ho­tels der Nach­kriegs­zeit wa­ren grö­ßer, wuch­ti­ge und vom ar­chi­tek­to­ni­schem Wa­ge­mut des stol­zen jun­gen Staats er­füllt. Do­bro­vić’ klei­nes Grand Ho­tel mit sei­nem bürg­er­li­chen Ten­nis­platz auf dem Dach ge­riet lang­sam in Ver­ges­sen­heit und steht heu­te aus­ge­beint und leer in sei­nem ver­wil­der­ten Park.

Die me­di­ter­ra­ne Mo­der­ne ließ Do­bro­vić je­doch auch in der Haupt­stadt nicht los: Sein be­deu­tend­stes Werk, das 1963 fer­tig­ge­stell­te Ge­ne­ral­stabs­ge­bäu­de der Ju­gos­la­wi­schen Volks­ar­mee, war trotz sei­ner mo­nu­men­ta­len Di­men­sio­nen aus den glei­chen Bau­stei­nen zu­sam­men­ge­stellt wie sei­ne Vil­len in Du­brov­nik: ei­ne ta­pe­te­nar­ti­ge Stein­ver­klei­dung aus qua­dra­ti­schen, roh ge­bro­che­nen Plat­ten, ei­ne sym­me­tri­sche An­ord­nung, ein baum­be­stand­ener Platz da­vor. Ein dal­ma­ti­ni­scher Trans­fer, dem nur ein kur­zes Le­ben be­schie­den war: Der beim Na­to-Bom­bar­de­ment 1999 schwer ge­trof­fe­ne Bau wur­de nach jah­re­lan­ger öf­fent­li­cher De­bat­te 2015 end­gül­tig ab­ge­ris­sen.

Die letz­te Rück­kehr zum Ur­sprung sei­ner ar­chi­tek­to­ni­schen Ide­en blieb Do­bro­vić ver­wehrt: Schon schwer krebs­krank, ent­warf er 1965 ein Som­mer­haus für sich und sei­ne Frau Ivan­ka, di­rekt un­ter­halb der Vil­la Ves­na auf der In­sel Lo­pud, mit Blick auf das Meer – na­tür­lich mit ar­chaisch-stein­er­nen Wän­den, die je­doch fast zen­tri­fu­gal aus­ein­an­der­zu­flie­gen schie­nen. Es soll­te nicht mehr da­zu kom­men. Am 11. Ja­nu­ar 1967 starb Do­bro­vić in Bel­grad. Sei­ne er­sten Wer­ke wur­den zu sei­nem wert­voll­sten Nach­lass.

Der Standard, Sa., 2016.02.20

[ Aus­stel­lung: „Do­bro­vić in Du­brov­nik“, Ar­chi­tek­tur­zen­trum Oris, Zag­reb, 23. 2. – 6. 3. 2 016. Das Buch zur Aus­stel­lung ist im Jo­vis-Ver­lag er­schie­nen. ]

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