Editorial
Verkehrsbauten sind Schlüsselgebäude einer Nation. Das Ankommen in einer Stadt, an einem Flughafen, in einem Bahnhof vermittelt den ersten Eindruck eines Ortes, weckt Erwartungen und Vorfreude. Das Abreisen ist ebenso mit Emotionen verbunden: Abschiednehmen und einen letzten Blick werfen auf eine Stadt oder die Heimat. So sind Bahnhöfe, Flughäfen oder Strassenzüge die eigentlichen Repräsentationsbauten des Landes. Und doch sind sie bloss Durchgangsorte, an denen man nicht länger als notwendig verweilt. Grund genug, diesen Orten ein Gesicht zu geben.
«Transitzonen» heisst das vorliegende Steeldoc. Es zeigt drei neuere Verkehrsbauten, die prägenden Charakter auf die Menschen haben dürften, die sich durch sie hindurch die Schweiz erschliessen. Das Airside Center als Transitzone ist der prägnanteste Bau des neuen Zürcher Flughafens Unique. Wie ein grosser Flügel verbindet es Terminal A und B zu einem Gesamtkomplex. Der Flughafen hat damit eine Hauptfassade gewonnen und einen atemberaubend grosszügigen Raum, der das Ankommen, Abfliegen und Warten im Flughafen Zürich zu einer lebendigen Erinnerung macht.
Transit bedeutet auch Durchfahrt, und so sind Strassen hoch frequentierte Transitzonen, denen normalerweise wenig repräsentative Bedeutung beigemessen wird. Dass auch diese Räume bedeutungsvoll sein können, beweist die Lärmschutzverbauung an der Autobahn durch Chiasso, an der Grenze zwischen der Schweiz und Italien. Der Zweckbau wird zur bewegten Schutzgeste einer filigranen und doch imposanten Stahlkonstruktion. So wandelt sich das sonst anonyme Ein- oder Ausreisen auf dem grauen Asphalt zu einem lichterfüllten, architektonischen Raumerlebnis.
Schliesslich zeigen wir die Bahnhofpasserelle in Basel – nicht nur weil Bahnhöfe zu den traditionell wichtigsten Verkehrsbauten gehören, die immer wieder an die Anforderungen der Zeit angepasst werden müssen, sondern vor allem weil sich hier verschiedene Bautypologien zu einer ganz neuen Funktionalität vereinen. Die Passerelle des Bahnhofs Basel ist eine moderne Variante des «Ponte Vecchio» in Florenz: eine Brücke, die nicht nur Erschliessungsweg, sondern gleichzeitig Einkaufspassage, Flaniermeile und Repräsentationsbau ist. Passend zur Thematik der kommerziellen Nutzung von Transiträumen, hat Axel Simon einen Essay über Einkaufspassagen und ihren konstruktiven Wandel durch die Zeitepochen geschrieben. Wir wünschen viel Vergnügen beim Studium und der Lektüre der nachfolgenden Seiten von Steeldoc.
Evelyn C. Frisch
Inhalt
03 Editorial
04 Passagen – Bewegung unter dem Glashimmel
Essay von Axel Simon
08 Airside Center, Zürich Flughafen
Flügelschlag zwischen zwei Welten
16 Bahnhofpasserelle, Basel
Ein Gebirgszug aus Stahl
22 Lärmschutzverbauung, Chiasso
Schutzschild der eleganten Art
27 Impressum
Die Passage – Bewegung unter dem Glashimmel
Transiträume: Flughäfen verbinden Länder und Kontinente, Bahnhöfe lassen fremde Städte zusammenwachsen, Passagen führen von einer Strasse zur anderen. Doch anders als die beiden erstgenannten Gebäude dient die Passage nicht dem zeitweiligen Stillstand von Verkehrsmitteln – in ihr findet die Bewegung selbst statt. Ein kurzer Abriss der bewegten Geschichte eines Bautyps.
Glas überdeckt und durch die Mitte eines Baublocks führend ist die Passage der transitorische Raum schlechthin. Schon ihr Name löst vielfältige Bedeutungszusammenhänge aus, auch ausserhalb der Architektur: Durchfahrt, Schiffsüberfahrt, Durchreise, eine melodische Figur in der Musik, die Stelle eines literarischen Textes, in der Astronomie der Durchgang eines Gestirns durch den Meridian – immer aber hat die Passage etwas mit Bewegung zu tun. Abgeleitet ist das Wort vom lateinischen Passus, der Schritt.
Es ist also kein Wunder, dass Literaten und Philosophen von der Passage angeregt wurden, wie von keinem anderen Bautyp. Sie ist das Bauwerk des 19. Jahrhunderts par excellence, vielleicht auch weil sie, in ihrer ursprünglichen Form, gemeinsam mit ihrem Jahrhundert untergegangen ist. Walter Benjamin, der ausgehend von den Passagen ein Portrait des 19. Jahrhunderts schreiben wollte und es nach seinem Freitod 1940 als Fragment hinterliess, schrieb über sie: «An ihnen lässt sich schliesslich ablesen, wie die Epoche geworden ist und was aus ihr noch werden wird.»
Ihre Anfänge haben etwas mit einer Bewegung anderer Art zu tun: Der Sturm auf die Bastille wurde in den Gängen des Palais Royal ausgerufen – unmittelbar neben der ersten der Pariser Passagen, der Galeries des Bois. Das ist kein Zufall: Das Palais-Royal war der erste öffentliche Stadtraum, der vom rasenden Verkehr der Kutschen und Reiter, dem Dreck und Unrat der damaligen engen Strassen ungestört blieb – Promenade und Luxusmarkt, Ort der Agitation und des Amusements zugleich. Die Französische Revolution setzte die Gesellschaftsschicht frei, welche die bald rund ums Palais-Royal entstehenden Passagen bevölkerte: das Bürgertum. 1799 brachte der ägyptische Feldzug Napoleons den Pariser Bürgern nicht nur die ägyptische Mode, sondern auch eine Adaption des orientalischen Bazars – in der Passage reihen sich Einzelladen an Einzelladen, der Passant ist draussen und dennoch drinnen, betrachtet vom Wetter ungestört die Auslagen und spürt trotzdem die schützende Anonymität der Strasse unter seinen Füssen.
Um diese Illusion zu schaffen bedurfte es baulicher Mittel, die sich bei nahezu allen Passagen finden: Die Verbindung zweier belebter Strassen, weitgehend schwellenlose Eingänge, damit Strassenraum und Passagenraum zusammenfliessen können, und die architektonische Formulierung einer Aussenraum- Atmosphäre innerhalb der Passage mittels Hausfassaden und eines möglichst hautartigen, transparenten Daches. Wie auch bei den Bahnhöfen und grossen Hallen des 19. Jahrhunderts, findet sich auch hier die merkwürdige Mischung aus architektonischer Eklektik und ingeniöser Sachlichkeit – bekanntlich zählte man die filigranen Bauteile aus Eisen und Glas nicht zum baukünstlerischen Repertoire, sondern zur nackten Bedürfnisbefriedigung. Das «kalte Eisen machte die Gemüter frösteln», wie es Manfred Sack einmal umschrieb. In diesen glasgedeckten Räumen des Handels und der gesellschaftlichen Aktion vermischten sich Illusion und Wirklichkeit. Ihre Eigentümlichkeit sei es, schrieb Siegfried Kracauer, «Durchgänge zu sein, Gänge durchs bürgerliche Leben, das vor ihren Mündungen und über ihnen wohnte» – Transiträume eben.
Doch so poetisch diese Passagen manchen Zeitgenossen und uns heute erscheinen – sie verdanken sich einzig und allein dem beginnenden Kapitalismus, waren die «premier fruit de la spéculation mercantile», wie ein Pariser Fremdenführer schon 1815 schrieb. Mit ihnen war es möglich, die Grundstückspekulation auf die bis dahin noch unerschlossenen Hinterhöfe auszuweiten. Nach 1830 begann die Blüte der Pariser Passagen. Sie schossen förmlich aus dem Boden, brachten Rendite, wo es vorher keine gab, erschlossen alte Quartiere, ohne dass man die verfallenden Gebäude sehen musste und deckten den Finanzbedarf eines restaurativen Staates, der immer weitere Gebiete seiner Hauptstadt privatisierte. Dieser Bodenmarkt sowie die aufkommende Börse waren die Voraussetzungen dieser ersten Zentren des Einzelhandels und der Luxuswaren.
Der deutsche Emigrant Ludwig Börne fand 1830 für die neue Galerie d’Orléans enthusiastische Worte: «Sie ist breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgassen die wir in früheren Jahren gesehen, so sehr sie uns damals gefielen, sind düstere Keller oder schlechte Dachkammern dagegen. Es ist ein grosser Zaubersaal, ganz dieses Volkes von Zauberern würdig.» Passagen waren nun en vogue. Dank neuer Fertigungsmethoden wuchsen die Spannweiten der Glasdächer mit ihren filigranen Eisenkonstruktionen, die Dachformen wurden vielgestaltiger, die Passagen breiter, höher und prächtiger. Sie waren mit Gas beleuchtet, zu einer Zeit, in der die Strassen noch im Dunkel lagen. Mit Marmorböden, Spiegeln, goldenen Dekorationen und den ersten Reklametafeln ausgestattet, avancierten sie zum Träger des öffentlichen Lebens, zur Bühne einer neuen Gesellschaft, die sich aus Ständen zusammenmischte, die vorher streng getrennt waren.
Doch wo viel Licht, da viel Schatten: Eine Passage konnte dem Dichter Heinrich Heine als Wohnort und Teil seines Lieblingsspaziergangs dienen, in den Romanen eines Emile Zola oder Honoré de Balzac konnte sie aber auch zum düsteren Schauplatz sozialkritischer Tragödien werden. Als in Paris früh der Niedergang der Passage begann, wurde für die Literaten aus dem «Glashimmel» ein «Maulwurfsgang», aus dem «Kristallpalast» ein «Glassarg». Die ersten Passagen verschwanden schnell, weil sie dem Anspruch der Flaneure nicht mehr genügten. Oder sie befanden sich schlicht am falschen Ort. In Paris hiess er «rive gauche» – fern der Zentren des Luxus und der Moden fristeten die Passagen ein Schattendasein – und tun es meist noch heute.
Mitte des Jahrhunderts legte der Baron Haussmann die prachtvollen Boulevards an, gab der Stadt Trottoirs und Kanalisation. Gleichzeitig kam ein Bautyp auf, der die Passage zu verdrängen begann: 1852 wurde das «Bon Marché» als erstes Warenhaus eröffnet. War die Passage emanzipatorischer Ausdruck der Bürger nach der Revolution, so war das Warenhaus Ausdruck der Industrialisierung, der Massenproduktion und des Massenkonsums. Die Art und Weise des Verkaufs war ein vollkommen anderer, ebenso die Räume in denen er stattfand: Riesige Glaskuppeln ersetzten die gerichteten Sattel- und Tonnendächer der Passagen, geräumige Etagen blickten über Galerien in diese Zentralräume. Für Benjamin waren die Warenhäuser «der letzte Strich des Flaneurs. War ihm anfangs die Strasse zum Interieur geworden, so wurde ihm dieses Interieur nun zur Strasse, und er irrte durchs Labyrinth der Ware wie vordem durch das städtische.» Die Bewegung, konstituierendes Element der Passage, wurde zu ihrem Totengräber: Die Mobilität der Eisenbahn machte Ware und Käufer mobil, sorgte für schnelle Zirkulation und weltweiten Absatz. Aus dem Flaneur wurde der Konsument.
Doch als in Paris ihr Niedergang eingeläutet wurde, feierte die Passage in anderen Ländern freudigen Einstand – als nationales Symbol. So zeugte 1873 die Pracht der Berliner Kaisergalerie vom Selbstbewusstsein der neuen Deutschen Metropole des Handels und der Politik. Sechs Jahre zuvor eröffnete die Galleria Vittorio Emanuele II, mit einem Raumkreuz, dessen Ausmasse die der bekannten Passagenräume um ein Vielfaches übertraf. Zusammen mit der prachtvollen Ausgestaltung symbolisierte ihre schiere Grösse den Anspruch eines wiedervereinigten Italien – mit Seitenhieb in Richtung des römischen Kirchenstaates: Die zentrale Glaskuppel in Mailand hat exakt die Masse der Petersdomkuppel. Solch ein Raum ist nicht mehr auf den Zufallsverkehr abkürzender Passanten angewiesen – er ist selber Ereignis genug, um Menschen anzuziehen. Auch die Motivation, die zu diesem Höhepunkt der Passagenentwicklung geführt hat, war weniger eine Bewegung innerhalb der Gesellschaft, als ein statisches Moment: das Konstituieren einer Nation.
Die Moderne des 20. Jahrhunderts brachte den Passagen wenig Liebe entgegen. Erst in den 80er-Jahren entdeckte man sie wieder, ja es kam zu einer regelrechten Renaissance der Passage: Viele alte wurden sorgfältig aufpoliert, noch mehr neue entstanden aus dem mehr oder weniger glücklichen Versuch, das Prinzip Passage mit heutigen Mitteln und Ausnutzungsziffern umzusetzen – der Glashimmel musste dabei meist dran glauben. Kein Zufall ist es allerdings, dass sich viele neue so genannte Passagen an Orten des Verkehrs befinden – in Bahnhöfen oder Flughäfen. Sie machen sich die vorhandene Bewegung zunutze – das Shop- Ville im Zürcher Hauptbahnhof verzeichnet die höchsten Umsätze pro Quadratmeter in der Schweiz. Dieser kürzlich erst umgebaute Shopping-Untergrund wurde bereits 1970 angelegt: Als Zwangsweg der Passanten, die von der Bahnhofstrasse in den Bahnhof wollten. Nicht so verkehrsgünstig gelegene Passagen haben heute oft Probleme ihre Pächter zu halten – zu wenig potentielle Käufer verirren sich in ihre mehr oder weniger noblen Hallen.
Die Mall, später Nachfahre der Passage, hat vor den Toren der Stadt ihre eigene Lösung dieses Bewegungsmangels gefunden: Sie lockt die Passanten, mittlerweile zu Autofahrern geworden, in die Agglomerationen, wo es billigen Raum für ihr räumlich-mediales Spektakel gibt. Hier erlebt der einstige Illusionsraum eine Wiedergeburt als Raum des Events und der Animation. Die Glasdächer der Malls scheinen heute keine konstruktiven Beschränkungen mehr zu kennen, nur noch feuerpolizeiliche. Der Raum, den sie überspannen, soll den Besucher zu Kauf und Verzehr anregen. «Musik» berieselt ihn und zwei gegenüberliegende «Magnete» – meist ein grosses Kaufhaus und ein Fastfood-Tempel – ziehen ihn, scheinbar willenlos, durch die mehrstöckigen Wandelgänge. Nicht zufällig wählte der Regisseur George A. Romero 1977 eine frühe Shopping-Mall zum Schauplatz seines ersten Zombie-Films. Hier bewahrheitet sich spät das, was R. M. Schaper über die Passagen nach 1900 schrieb: An ihnen könne man «das physiognomische Altern der Moderne studieren: Wo die Architektur mit Eisen und Glas erprobt und erste Versuche in Richtung auf eine demokratische Öffentlichkeit unternommen wurden, sieht man jetzt lediglich abwärts führende Wege: In eine Vergangenheit, die der Fortschritt überwunden zu haben glaubt.»
Doch viele innerstädtische Beispiele lassen hoffen: Sie unterstützen das städtische Leben, indem sie die Wege der pendelnden Öffentlichkeit begleiten und verdichten. Sie bieten – meist relativ unspektakulär – beiläufige Räume des Alltags an, in denen die Menschen und ihre Bewegung das Ereignis sind. Wie unter den Glashimmeln vor 200 Jahren.Steeldoc, Mi., 2005.04.20
20. April 2005 Axel Simon
Flügelschlag zwischen zwei Welten
Ein lichterfüllter, betörend grosszügiger Raum empfängt die Fluggäste im neuen Zürcher Flughafen. Erbaut zwischen die bestehenden Terminals A und B, signalisiert das Airside Center deutlich das städtebauliche Anliegen nach einem neuen Zentrum. Es zentriert, ordnet und lenkt die Menschenströme und bietet Raum zum Verweilen. Es ist eine Transitzone zwischen der Welt des Abreisens und des Ankommens.
Kaum ein Flughafen bietet seinen Gästen eine grossartigere Willkommens- und Abschiedsgeste. Das Airside Center ist von einer gelassenen Heiterkeit erfüllt, die sich auf den Besucher überträgt. Eine gedämpfte Geräuschkulisse tut sich auf, fast meint man, flüstern zu müssen. Keine Hektik, kein Gedränge – man flaniert an edlen Boutiquen vorbei und betritt eine lichte Wartehalle mit gotischen Dimensionen. Der Blick geht nach oben, folgt dem grossen Schwung der Linien, misst die Höhe und die Tragkraft der Stützen. Man wünschte sich, noch etwas Wartezeit zu haben, um sich hier dem offenen Blick in die Landschaft und der Wirkung des Raumes hingeben zu können.
Warten, verweilen, ausschauen
Das Airside Center ist das Herzstück der 5. Ausbauetappe des Flughafens Zürich. Den Wettbewerb gewann 1996 die Planergemeinschaft Itten +Brechbühl, Nicholas Grimshaw & Partners, Ernst Basler +Partner sowie Ove Arup & Partners. Das Gebäude ordnet die luftseitige Abwicklung des Flugverkehrs, ist also eine Transitzone, die alle Zu- und Weggangswege koordiniert und lenkt. In ihm kommen sämtliche ankommenden und abfliegenden Passagiere zusammen, und von hier gelangen sie weiter zu den Gates A, B und via Skymetro zum Gate E (Dock Midfield). Das Airside Center ist Wartehalle, Shoppingmall und Aussichtsterrasse auf das Flugfeld zugleich. Dem Galeriegeschoss angelagert sind zwei, im Wesentlichen identische, mit Holz verkleidete Körper. Diese Binnenräume beinhalten Retaileinheiten und verschiedene andere Nutzungen auf zwei Ebenen. Sie folgen dem Schwung des Raums, gliedern und zonieren das Gesamtvolumen. Rund 60 Geschäfte des oberen Segments sind im Airside Center untergebracht. Trotz der kommerziellen Nutzung überwiegt der Eindruck einer angenehmen Umverteilungs- und Wartezone.
Komplexe Dachform Das weitgespannte Dach schwebt über einem an den Enden zusammenlaufenden Raum von 250 Metern Länge. Für die architektonische Idee des Dachflügels mussten eine mathematisch beschreibbare Form und ein Tragwerk entwickelt werden. Die Dachgeometrie ist ein Ausschnitt aus einer Translationsfläche, wobei das Dach in der Mitte zum Flugfeld am höchsten ist, sein niedrigster Punkt liegt landseitig auf der Symmetrieachse. Die Stahlkonstruktion sollte innen sichtbar bleiben. Entstanden ist ein doppelt gekrümmtes Flächentragwerk aus sich diagonal überschneidenden Fachwerken. Damit es gegen die Flügelspitzen hin zu keiner unschönen Verdichtung der Träger kommt, verkleinert sich der Abstand der Knotenpunkte stetig, so dass sich die Linien zur Spitze des Flügels hin verjüngen. Die Knotenpunkte liegen auf einem konstanten Achsmass von 7,75 Metern. Der Abstand zwischen Ober- und Untergurt der Fachwerkträger beträgt ebenfalls konstant 2,25 Meter. Das Dach ist ein doppelt gekrümmtes Flächentragwerk aus sich diagonal überschneidenden Fachwerken.
Getragen wird der fassadenseitige Randträger des Raumfachwerkes an sechs Stellen durch bis zu 17 Meter hohe V-förmig aufgehende Stützenpaare. Auf der Rückseite trägt eine regelmässige Stützenreihe. Das Dach ist in Querrichtung statisch bestimmt gelagert, wobei die V-Stützen die Wind- und Erdbebenkräfte aufnehmen. Die V-Stützen stehen auf eindrücklichen Vollstahlfüssen. Die Decke hat darüber hinaus ein Gefälle von rund 0,4 Prozent und gleicht damit die Höhendifferenz von 1,2 Metern zwischen den Terminals A und B aus. Darum hat jeder Stützenfuss und jedes Stützenpaar andere Abmessungen. Diese Stützenfüsse gehören zu den anspruchsvollsten Stahlarbeiten des Bauwerks. Sie sind aus 13 verschiedenen Teilen zusammengeschweisst.
Die komplexe Geometrie des Tragwerks führte zu stets unterschiedlichen Anschlusswinkeln der Stahlrohre. Im Obergurtknoten treffen sich bis zu sieben, im Untergurtknoten bis zu neun Stäbe. Jeder Knoten kommt aus Symmetriegründen höchsten zweimal vor. Die räumliche Durchdringung im Knoten hätte für die Bemessung und Fertigung einen enormen Aufwand erfordert. Darum werden die Kräfte durch Stahlplatten, die in Schlitzen in die Rohre eingeschweisst sind, in die Knoten eingeleitet. Die Kraftübertragung erfolgt durch gerade Schweissnähte.
Das Schaufenster zur Flugbahn
Ebenso anspruchsvoll wie die Tragstruktur erweist sich die Geometrie der grossen Glasfassade. An den Flügelspitzen muss sie eine Verformung durch Temperaturschwankungen von 3,5 Zentimeter aufnehmen können. Die Geometrie der Pfosten-Riegelkonstruktion basiert auf einem Kegel. Daraus ergeben sich trapezförmige Felder. Sie weichen allerdings nur fünf Millimeter vom Rechteck ab. Es konnten also rechtwinklige Standardscheiben gleicher Grösse verwendet werden, was die Kosten senkte. Die Pfosten sind am Dach unverschiebbar aufgehängt, das Fussdetail erlaubt die nötige Bewegungstoleranz. Das Zusammenwirken der Pfosten, der Riegel, der gebogenen Unterspannung und der geraden Verbindungen zwischen Pfosten und Unterspannung ergibt in der Fassadenebene einen senkrechten Vierendeelträger. Die Fassadenelemente wurden komplett im Werk hergestellt und ohne Schweissen auf der Baustelle montiert.
Nachts wirkt die Glasfront wie die Haut eines riesigen Leuchtkörpers. Weithin sichtbar, ist das Airside Center das neue Gesicht des Flughafens, der dadurch an internationaler Bedeutung gewinnt. Zwölf Monate Vorlauf- und zehn Monate Montagezeit waren nötig, um dieses Bravourstück der Ingenieurskunst in Stahl zu vollenden.Steeldoc, Mi., 2005.04.20
20. April 2005 Evelyn C. Frisch
verknüpfte Bauwerke
Airside Center
Ein Gebirgszug aus Stahl
Quer über die Geleise des Bahnhofs Basel spannt sich ein Gebirgszug aus Stahl. Die neue Durchgangs- und Verbindungshalle schafft luftigen Raum und Ordnung hoch über den windigen Perrons und lässt Altes und Neues zusammenwachsen. Hier lässt sich flanieren und verweilen, während der Strom der Reisenden geschickt in alle Himmelsrichtungen umverteilt wird.
Am Anfang stand ein Problem. Wie bei jedem Durchgangsbahnhof liegt das Hauptgebäude des Bahnhofs Basel längs zu den Gleisen. Die axiale Ordnung zur Stadt hin und die damit verbundene Absicht der Repräsentation reichte also nur bis in die Schalterhalle, während sich im Gleisbereich alles in unattraktiven, unterirdischen Dunkelzonen abspielte. 1996 führte die SBB einen Architekturwettbewerb durch, dessen Anforderung die Lösung dieses Problems war: nämlich eine repräsentative und dennoch funktionelle Verteilung der Reiseströme und gleichzeitig eine Verbindung der durch die Bahngleise getrennten Stadtteile zu schaffen.
Die neue Bahnhofpasserelle ist eine überirdische Shopping- und Verkehrszone, welche über den Perronbereich hinaus bis ins gegenüberliegende Stadtquartier reicht. Damit wird der Bahnhof wieder als Tor zur Stadt wahrgenommen und zudem als Bindeglied zwischen zwei getrennten Stadtteilen. Ankommende Bahnreisende fahren per Rolltreppe hinauf in diesen lichten Durchgangsraum, orientieren sich und fahren per Rolltreppe wieder hinab in die monumentale, historische Schalterhalle des Altbaus von 1904. Diese hat durch den funktionalen Befreiungsschlag ihre räumliche Ausstrahlung als repräsentative Empfangshalle zurückgewonnen. Die neue Passerelle über den Gleisen dient nicht nur als Verkehrsraum, sondern beherbergt zudem eine Ladenzone mit Cafés und Dienstleistungsangeboten. So wird der Weg zur Bahn gleichzeitig zur Flaniermeile und zum Einkaufserlebnis. Es versteht sich von selbst, dass die kommerzielle Nutzung ihren Beitrag zur Kostenoptimierung des Baus geleistet hat.
Die architektonische Antwort auf die komplexen funktionalen, städtebaulichen und gestalterischen Anforderungen findet sich in der Schnittlösung, denn der Grundriss war durch die Gleisgeometrie weitgehend bestimmt. Die gefaltete Dachlandschaft legt sich über die bestehenden Hallendächer und folgt dabei einer wie zufällig entstandenen topographischen Linie. Diese Bewegung könnte endlos fortgesetzt werden, doch spannt sie sich über die vormals triste Grauzone des Gleisareals und gibt dieser neue städtebauliche Prägnanz und Schärfe. Im Innenraum entstehen durch die Dachbewegung Sequenzen, welche durch die unterschiedliche Lichtverhältnisse akzentuiert werden.
Konstruktiv ist die Passerelle eine 1 Meter dicke Beton- Kastenkonstruktion mit einem Stahlaufbau – als Brücke konzipiert. Die leichte Stahl-Glaskonstruktion orientiert sich in der Materialisierung an der eleganten Stahlkonstruktion der Perronhalle. Die aussenliegende Stahlstruktur ist in Anlehnung an die bestehende Perronhalle eisenglimmergrau gestrichen und verleiht der Fassade Tiefe, Kraft und eine klare Vertikalgliederung. Der Stahlbau bleibt insbesondere im Bereich der Fassade sichtbar und wird damit zum generierenden Element der Gestaltung. Das Dach wurde aussen mit Aluminium eingedeckt, im Innenraum sind die Kassetten mit MDF-Holz-Platten ausgefacht und nehmen damit wiederum Bezug auf die historische Schalter- und Perronhalle.
Konstruktiver Seiltanz in mehreren Akten
Während der Bauphase musste der Bahn- und Personenverkehr ungehindert fliessen. Deshalb wurde das 185 Meter lange und 30 Meter breite Bauwerk als Schiebebrücke im Dreiwochentakt konstruiert. Die Stahlbeton-Hohlkastenplatte wurde in Abschnitten von 17 Metern gefertigt und hydraulisch vom Rangiergleisareal an ihren heutigen Standort verschoben. Anschliessend richteten die Stahlbauer das Dachgebirge aus Stahl auf. Die Haupttragelemente in Längsrichtung sind aus zusammengeschweissten Kastenträgern gebildet, welche von einer minimalen Höhe von 60 Zentimetern bis auf 2,60 Meter anwachsen. Sie ruhen auf einer Reihe von freistehenden Stahlpfeilern und tragenden Fassadenpfeilern. In Querrichtung kommen Stahlwalzträger (HEB 240) zur Anwendung. Diese Querträger sind im Bereich der alten Perronüberdachung auf der Westseite etwa 7,50 Meter auskragend und mussten deshalb entsprechend verstärkt werden um elastische Verformungen zu vermeiden. Die Bewegungen der Brückenplatte wurden sowohl auf die Stahltragstruktur als auch auf die Fassadenkonstruktion übertragen.
Das anspruchsvolle Brückenbauwerk wurde innerhalb von rund zwei Jahren erbaut, währenddem der Bahnbetrieb ununterbrochen lief. Dafür waren eine differenzierte Etappierung und ein entsprechend effizienter und trotzdem beweglicher Ablauf zu planen. Die Stahlkonstruktion wurde im Werk so weit als möglich vorfabriziert und auf der Baustelle innerhalb kürzester Zeit montiert. So hat Basel heute nach rund 100-jähriger Geschichte einen neuen Bahnhof, der mit einem Geniestreich das Alte mit dem Neuen, die eine Stadthälfte mit der anderen und die Bahnreisenden mit der Welt verbindet.Steeldoc, Mi., 2005.04.20
20. April 2005 Evelyn C. Frisch
verknüpfte Bauwerke
SBB Bahnhof Basel - Passerelle
Schutzschild der eleganten Art
Strassen sind die meistgenutzten Transitzonen der Schweiz. Dass auch diese Räume architektonische Qualitäten haben können, beweist die Lärmschutzverbauung an der Autobahn Chiasso an der Grenze zu Italien. Dank einer filigranen und doch imposanten Stahlkonstruktion wird der Zweckbau von Mario Botta zur eleganten Schutzgeste.
Von der Lärmschutzverbauung auf dem Autobahnabschnitt Süd der Strecke Chiasso – St. Gotthard profitieren nebst der Agglomeration von Chiasso gleich mehrere angrenzende Gemeinden. Bereits vor 10 Jahren hatte das Büro des Architekten Mario Botta mit der Planung der Lämschutzverbauungen dieser bewohnten Zonen begonnen. Das Projekt wurde in zwei Phasen ausgeführt: Der erste Abschnitt erfasst die Strecke Nord–Süd, längs der Via Como (Ex Viale Galli) zwischen den Brücken Picio und Pedrolini und erstreckt sich nördlich bis zum Colle di Pontegana mit einer Länge von zirka einem Kilometer; ein zweiter Abschnitt erfasst die Strecke Süd–Nord von der Landesgrenze her, vom Zollübergang Brogeda bis zum nördlichen Colle di Pontegana mit einer Länge von circa 1,6 Kilometern.
Das Einzugsgebiet von Chiasso lebt mit zahlreichen geografischen Einschränkungen: die Landesgrenze mit Zollübergang, der Güterumschlag der Bahn, der Fluss Breggia und der alles dominierende Autobahneinschnitt. Die Verlegung der Autobahn in einen Tunnel hätte eine willkommene Lösung zur Bekämpfung des Lärmpegels auf die Anwohnergebiete gebracht, und zudem wären die Verbindung der Wohngebiete überirdisch wieder verbunden gewesen. Doch diese bauliche Massnahme wäre weder finanziell realisierbar gewesen, noch in einem zumutbaren Zeitfenster. Es galt also, den urbanen Charakter der Autobahnschneise zu akzeptieren und durch eine angemessene Schutzverbauung die Lärmemissionen abzuhalten und dabei wenigstens die Transparenz zwischen den Wohngebieten zu gewährleisten.
Was ist schöner als eine baumbewachsene Allee? Von dieser Idee inspiriert, entwickelte das Büro des Architekten Mario Botta eine Reihe von «baumartigen», modularen Bauteilen, welche möglichst rasch und unkompliziert auf dem stark befahrenen Autobahnabschnitt montiert werden konnten. Mit einer Höhe von 8,5 Metern überschatten diese «Stahlbäume» heute die Via Como und die beiden Autobahnspuren auf einer Strecke von insgesamt 2,6 Kilometern. Die aus Stahlrohrprofilen konstruierten «Bäume» haben variable Durchmesser der «Äste» und Stahlgussknoten und säumen in einem Abstand von 10,5 Metern die Strasse. Die Fugen zwischen den Modulen erlauben die Korrektur und flexible Anpassung an den Geländeverlauf. Die Verglasung der Baumkrone besteht aus Verbundglas mit PVB Folie. Die Seitenwände setzen sich aus Verbundglasplatten und phono-absorbierenden Metallelementen zusammen.
Auf dem Autobahnabschnitt, der parallel zur Via Como läuft, unterscheiden sich drei «Baumarten»: Flussseitig (in Fahrbahnrichtung Süd–Nord) eine kleine Baumeinheit, die direkt auf die Stützmauer montiert ist; zwischen der N2-Fahrspur Nord–Süd und der Via Como eine grosse Baumeinheit, welche die ganze Abdeckung trägt; zur Abgrenzung von der Via Como nochmals eine kleine Baumeinheit, die den Gehsteig von der Strasse trennt. Statisch wird letztere Einheit von dem grossen Baum getragen, so dass hier weniger tiefe Fundamente nötig sind. Der restliche Autobahntrakt – nördlich und südlich – wird beidseitig von kleinen Baumstrukturen flankiert. Diese Lösung hat nicht nur den Viale Galli städteplanerisch aufgewertet, sondern sich im Vergleich zur traditionellen Lärmschutzeinrichtungen auch als effizienter erwiesen. Fährt man heute durch Chiasso Richtung Italien und zurück, fühlt man sich unter den Baumkronen aus Stahl gut aufgehoben.Steeldoc, Mi., 2005.04.20
20. April 2005 Evelyn C. Frisch