Editorial
Lange Zeit verpönt, mittlerweile rehabilitiert, hat sich das Ornament längst wieder einen festen Platz in der Gestaltung erobert. In der architektur geht es derzeit nicht mehr nur darum, per Dekor von den Funktionen der Gebäude zu erzählen. neue Wege der Herleitung und Formfindung werden ausprobiert, das Ornament wird wahlweise als Bild, Bedeutungsträger, Funktion oder als Verbindung aus all dem definiert, je nachdem was Kontext und Bauaufgabe verlangen. ge
Inhalt
Diskurs
06 On European Architecture | Aaron Betzky
08 Magazin
14 Im Blickpunkt
Basel: Kräftemessen der Pharma-Giganten | Hubertus Adam
Ornament
17 Zum Thema: Die Rationalisierung der Fantasie | Ralf Wollheim
20 Bürogebäude in Köln, Gatermann Schossig | Markus Kilian
28 Statements zum Ornament
30 Bürogebäude in Lelystadt, René van Zuuk Architekten | Anneke Bokern
36 Parkhaus in München, Peter Haimerl | Roland Pawlitschko
40 Ornament entsteht aus dem Kontext, Interview mit Rüdiger Lainer, Wien | Achim Geissinger
44 Polizeiinspektion in Wien, Arquitectos ZT KEG | Oliver Elser
50 Medienfassade in Wien, Licht Kunst Licht mit Mader Stublic Wiermann | Oliver Elser; Holger Mader, Alexander Stublic, Heike Wiermann
56 In die Jahre gekommen: Institut du Monde Arabe in Paris | Sebastian Niemann
Empfehlungen
62 Ausstellungen / Kalender
64 Neu in… Berlin, Tübingen, Unterhaching
66 Bücher
Trends
72 Energie: Energiestandards | Friedemann Zeitler
78 Ökonomie: Architektur der Einkaufszentren | Gudrun Escher
80 Produkte
102 Schwachstellen: Die Notentwässerung von Flachdächern | Rainer Oswald
Die Rationalisierung der Fantasie
(SUBTITLE) Über einen Wiedergänger der Kulturgeschichte
Designer haben es einfach besser. Schon seit Jahren entwerfen sie opulent gemusterte Objekte, schwelgen in üppigen Dekoren und verwandeln historische Ornamente in zeitgenössisches Design. Über die Entwürfe, zum Beispiel von Hella Jongerius oder Marcel Wanders, regt sich niemand auf, sondern sie werden gefeiert und vor allem gekauft. In der Architektur hingegen werden neue Bauten mit stark ornamentierten Fassaden gerne als Sahnetörtchen oder städtebaulicher Zuckerguss abgetan. Dazu wird immer noch Adolf Loos’ Vortrag »Ornament und Verbrechen« bemüht, der vor bald einhundert Jahren mit fast religiösem Eifer gegen das Ornament polemisierte.
Loos verdammte nicht nur den Jugendstil mit seiner üppigen Formensprache, sondern gleich alles Dekorative. Und er prophezeite im pathetischen Predigtton eine Zukunft, die völlig auf Verzierungen, Muster und Ornamente verzichten werde. Denn, so Loos, nur primitive Kulturen würden alle Gegenstände mit Mustern überziehen – was in dem Vergleich mit der Tätowierung gipfelte, die nur Verbrecher oder vielleicht noch degenerierte Adelige trügen. Den Fortschritt der Kultur identifizierte er mit einem zunehmenden Verzicht auf die Dekoration. Und für einige Generationen sollte er beinahe Recht behalten. Tatsächlich verschwanden mit dem Werkbund, dem Bauhaus und dem International Style die Ornamente und üppigen Dekore. Architekten der Moderne und ihre Nachfolger entwarfen schlichte einfache Bauten, mit starker Betonung der Konstruktion und des puren Materials. Das Automobil, der Ozeandampfer und die Maschine wurden zum Vorbild der Bauten des Funktionalismus. Fritz Schumacher beschrieb diese Entwicklung in seinem Buch »Strömungen in deutscher Baukunst seit 1800« als die »Rationalisierung der Fantasie«.
Soweit die Theorie und der Kanon der Architekturgeschichte.
Doch in direkter Nachbarschaft zu den berühmten Siedlungen der Moderne in Berlin entstanden zur selben Zeit Bauten, die weiterhin historisierende Details oder leicht expressionistische Züge aufwiesen. Hier waren es die politisch eher konservativen Wohnungsbaugesellschaften der Angestellten, die den Geschmack ihrer Mieter trafen. Die Masse der Bauten der zwanziger Jahre trägt eher solche Züge. Und auch im Inneren entsprachen die Einrichtungen weniger den asketischen Vorstellungen des Bauhauses. Es war hauptsächlich eine intellektuelle Elite, die sich spartanisch mit wenigen Stahlrohrmöbeln einrichtete. Doch dies sollte das Leitbild für folgende Generationen werden. Plüsch, geblümte Tapeten und ornamentierte Möbel wurden als Kitsch, als Gelsenkirchener Barock geschmäht. Klar, glatt und einfach sollte nicht nur die Architektur, sondern auch die Einrichtung sein.
Spätestens in den fünfziger Jahren regierten die Gesetze der Ökonomie mit ihrer Forderung nach Effizienz und rationaler Gestaltung nicht nur in der Architektur, sondern auch im Design. Hier versuchte die Aktion »Die gute Form« die Massen geschmacklich zu erziehen. Ganz im Sinne einer puritanischen oder vielmehr protestantischen Arbeitsethik bestimmte die Effizienz nun nicht nur die Produktion, sondern auch den Alltag. Das Ornament und das üppige Dekor waren dabei als verschwenderisch, als unnütz und überflüssig gebrandmarkt, die funktionale und vor allem industrielle Gestaltung wurde dagegen Vorbild für eine Eleganz, der nichts mehr hinzuzufügen oder wegzunehmen ist.
Mit einer ähnlichen moralischen Rigidität wie schon bei Loos wurde die Reduktion auf das Wesentliche propagiert. Prunk und demonstrativer Luxus galten zwar nicht als verbrecherisch, aber zumindest als ungebildet. Denn nicht mehr Herkunft, sondern Bildung wurde zum Ausweis der Zugehörigkeit zu einer Oberschicht, wie Pierre Bourdieu in »Die feinen Unterschiede« darlegt. Die schmucklose, weiße Villa sparsam möbliert mit einigen Barcelona-Sesseln wurde zum Zeichen des gesellschaftlichen Aufstiegs, Architektur und Design Mittel zur sozialen Distinktion, Konsum zum Ausdruck eines sozialen Status. Tom Wolfes Polemik »Mit dem Bauhaus leben« richtet sich so weniger gegen die Dessauer Institution als vielmehr gegen den Umgang mit Möbeln, die einst als billig herzustellende Massenartikel entwickelt wurden und nun zum teuren, prestigeträchtigen Kultobjekt avancierten.
Doch das verdrängte Ornament meldete sich bereits als Gegenkultur zurück. Die Hippies mit ihren psychedelischen Plakaten, bunt gemusterten Stoffen und chaotischen, überbordenden Einrichtungen schufen sich eine wilde Alternative zur cleanen Welt des Establishments. Das Lustbetonte, das Erotische setzten sie der demonstrativen Askese entgegen. Schon Loos hatte mit Freud argumentiert und das Ornament sowie üppige Dekorationen als Sinnbild der wilden Triebe verbannt, die nun wieder zum Vorschein kamen. Kein Wunder, dass unter anderem Motive des Jugendstils wieder aufgegriffen wurden.
Doch erst die gemäßigt psychedelische Pop-Art und das von ihr beeinflusste Design wirkten sich auch auf die Architektur aus. Fassaden und Innenräume wurden plötzlich bunt und zeigten zumindest ornamentale Muster. Dabei wurden auch neue Materialien, vor allem Kunststoffe, ausprobiert, die als Fassadenverkleidungen die einfachen und streng gegliederten Konstruktionen farbig auflockerten. Denn gerade in den Variationen der Fassaden, bei der Wahl bestimmter Proportionen, Größen der Raster und der Materialien überlebte ein dekorativer Ansatz in der Moderne. Immer lagen ästhetische Entscheidungen zu Grunde, die wie bei einer Tapete mit Rapport, Wiederholung und Rhythmus arbeiteten.
Im ornamentalen Muster der Fassaden zeigte sich nicht die reine Logik der Konstruktion, sondern auch ein Wille zur Gestaltung, mit einem – wenn auch rudimentären Hang – zum Muster. So hatte auch die funktionalistische, rationale Gestaltung ihre blinden Flecken. Denn das Ornament war nie so ganz verschwunden. In kleinen Details überlebte es auch in der puristischen Moderne, setzt man deren eigene strenge Maßstäbe an. Schon die kräftig marmorierten Stein- oder Holzoberflächen bei den Villen Mies van der Rohes können als luxuriöses Ornament gelesen werden. Bei den glatt und schmucklos erscheinenden Fassaden des Seagram Buildings wird sogar die strukturelle Logik außer Kraft gesetzt. Denn die vertikal vor der Vorhangfassade verlaufenden Leisten aus bronzenen Doppel-T-Trägern dienen allenfalls als Sinnbild der tragenden Struktur im Inneren des Gebäudes, haben vorderhand aber nur den aufstrebenden Charakter des Hochhauses zu unterstreichen.
Doch diese minimalistischen Variationen der Fassaden, das Spiel mit dem Raster galt bald als ästhetische Unterforderung. Mit der Kritik an der Monotonie der Gestaltung und der »Unwirtlichkeit der Städte« brachte die Postmoderne Ornamente und Muster zurück in die Architektur.
Vor allem als Zitat tauchten plötzlich wieder Säulen, Ziergiebel, Friese und farbige, gemusterte Fassaden auf. Dies war weniger ein Schritt zurück in die gute alte Zeit, als ein ironischer, spielerischer Ansatz, zu dem auch das Wissen um einen Verlust gehörte. Doch die Fassaden wirkten häufig angeklebt, die Zitate überdeutlich und die Entwürfe wenig originell. Neue Ornamente oder Dekore wurden kaum entworfen, die Befangenheit im Zitat führte in ein Sackgasse. Aber das Bekenntnis zu einem affektiven Umgang mit Design und Architektur, der über die reine oder demonstrative Funktionserfüllung hinausging und Emotionen nicht ausschloss, sollte bleiben. Die Postmoderne legte die Basis für eine neue architektonische Komplexität, die Opulenz nicht ausschließt. Auch die Begeisterung von Robert Venturi und Denise Scott Brown für Las Vegas und seine »dekorierten Schuppen« sollte den Umgang mit Fassaden ändern.
Sehr frei nach Gottfried Semper wurde die Fassade nicht länger als wesentlicher Teil der Konstruktion angesehen, sondern als Bekleidung.
Denn für Semper war nicht die Tektonik mit Säule und Gebälk der Ausgangspunkt aller Gestaltung, sondern die Hülle, die seit Urzeiten dekoriert war. Muster und Ornamente hatten für ihn ihren Ursprung in den karibischen Bambushütten, im Flechtwerk der schützenden Matten und den Teppichen der Jurten. Damit ist das Ornament weder auf die Konstruktion bezogen noch eine überflüssige Zutat, sondern ein autonomes künstlerisches Gestaltungsprinzip. Theoretiker bezogen sich in den neunziger Jahren verstärkt auf Semper und das Prinzip der Bekleidung. Die Analogie von Wand und Gewand und der Ursprung des Ornaments in der Textilkunst erlaubten eine Interpretation des Ornaments im Sinne von Maskieren, Verhüllen und der Kleidung als Mode. Mark Wigely ging in »White Walls, designer dresses. The fashioning of modern architecture« sogar so weit, die weißen Wände der Moderne als Bekleidung im Gegensatz zur Struktur und der Konstruktion zu sehen.
Der neuen Sicht des Ornaments als autonomes Gestaltungsmittel entsprachen in den neunziger Jahren Bauten wie die Bibliothek von Herzog & de Meuron in Eberswalde. Die Fassade des streng kubischen Gebäudes ist aus Bildern zusammengesetzt. Die Motive aus der Kunstgeschichte sowie historische Fotografien von politischen und privaten Ereignissen, allesamt ausgewählt von dem Künstler Thomas Ruff, zeigen sich als reliefartige Vertiefung im Beton oder als Siebdruck auf wenigen Glaselementen. Je nach Lichteinfall ändert sich der Eindruck von einer stark strukturierten Oberfläche zu einer geschlossen wirkenden glatten Box. Ein anderes Beispiel für das autonome Ornament ist eine Bushaltestelle des Münchner Architekturbüros Hild und K in Landshut. Aus den Wänden aus Cortenstahl schnitten sie ein barockes Rankenmotiv heraus. Das Ornament wurde hier nicht appliziert und steht auch in keiner Verbindung zur Konstruktion: Die rostigen Stahlwände sind das Ornament. Auch zahlreiche Glasfassaden aktueller Gebäude, die mit Blättern, Laubkronen oder ähnlichen scherenschnittartigen Motiven bedruckt sind, betonen die Fassade als ornamentale Hülle. Dabei sind funktionale Aspekte wie der Sonnenschutz eher ein zusätzlicher Nutzen.
Aber es gibt auch noch einen eher traditionellen Zugang zum Dekor. Im Gegensatz zum applizierten Schmuck galt das Ornament des Klassizismus, das die Konstruktion oder Tektonik betont, weiterhin als legitim. In diesem Sinne könnte man Ornamente interpretieren, die aus der Konstruktion heraus entwickelt wurden. Am Anfang dieser Entwicklung steht das Institut du Monde Arabe von Jean Nouvel.
Für die Südfassade des Kulturzentrums wählte er einen technisch aufwändigen Sonnenschutz. Mechanisch verstellbare Elemente öffnen sich je nach Lichteinfall wie die Blenden eines Fotoapparats.
Einerseits wird das Licht durch diese konstruktiven Details gefiltert, anderseits ergeben die Blenden ein orientalisch anmutendes Muster. High-Tech-Architektur und traditionelles Ornament sind dabei auf beinahe spielerische Weise vereint. Auch die zahlreichen Rautenmuster bei Glasfassaden lassen sich als ein solches konstruktives Ornament lesen, sei es bei Rem Koolhaas’ Bibliothek in Seattle, Herzog & de Meurons Gebäude für Prada in Tokio oder bei einem Bürohaus von Schneider und Schumacher in Frankfurt.
Die neuen Ornamente oder gemusterten Fassaden sind natürlich nicht denkbar ohne neueste technische Errungenschaften. Erst computergesteuerte Produktionsmethoden wie die Lasertechnik erlauben Kleinserien oder die Fertigung von Unikaten zu vertretbaren Preisen. Aber auch für den Entwurf spielt der Computer eine wichtige Rolle, denn die Vorlagen für die Ornamente entstehen häufig erst am Bildschirm.
So ist das Ornament aus seiner Verbannung zurückgekommen. Es entspricht dem Bedürfnis nach lokaler Identität und befriedigt die Ansprüche an eine komplexer gestaltete Umwelt. Dabei beinhaltet das kommunikative Potenzial der Ornamente auch eine emotionale Komponente, die der rein funktionalistischen Architektur abhanden gekommen war. Mit welcher theoretischen Legitimation oder technischen Finesse auch immer, gerade die erwähnten Beispiele zeigen, dass meistens aus dem Kontext oder der Bauaufgabe heraus auf das Ornament zurückgegriffen wird. Es ist zwar aus der zeitgenössischen Architektur nicht mehr wegzudenken, aber es wird behutsam eingesetzt. Ein neues Rokoko ist somit nicht zu befürchten.db, Fr., 2006.11.03
03. November 2006 Ralf Wollheim
Ornament entsteht aus dem Kontext
Interview mit Rüdiger Lainer, Wien
db: Herr Lainer, vor einiger Zeit, als wir einmal über eines Ihrer Projekte, die Wohnbebauung Cobenzlgasse, sprachen, äußerten sie den Satz: »das mit dem Ornament, das ist jetzt aber durch.« stimmt diese Aussage so für Sie noch immer?
Sie stimmt insofern noch, als wir 2005 in der Cobenzlgasse das Ornament nach unserem Verständnis in seiner wohl extremsten Form angewendet haben. Mit diesem fast direkt-plakativen Umgang einer dekorativen Struktur hatten wir einen Endpunkt erreicht. Eine weitere Verwendung desselben Motivs würde für mich keinen Schritt nach vorn bedeuten. In unserer heutigen Arbeit taucht das Ornament nicht mehr so vordergründig auf, wie noch in der Cobenzlgasse, wo es quasi vorwitzig die Nase vorstreckt und sich eindeutig als ergänzender Schmuck des Gebäudes zu erkennen gibt.
Man bewegt sich beim Ornament immer auf einem schmalen Grat, und in der Cobenzlgasse hat es schon einen gewissen Überhang bekommen, der über das reine kontextuelle Arbeiten hinausgeht. Das hat mit der leisen Ironie zu tun, mit der wir die Aufgabe in Grinzing – diesem hehren Ort des Heurigen und des österreichischen Tourismus – angegangen sind.
Letztlich erscheint die organische Vegetabilität des Aluminiumrasters dort aber fast tautologisch, denn die kontextuellen Bezüge zur Umgebung am Ortsrand nimmt bereits der Baukörper in ausreichendem Maße auf. Das Ornament betont nochmals: Ich stelle Topografie dar, ich bin Natur.
Um Ihre Frage zu beantworten: In Zukunft versuchen wir präziser zu sein und nicht dasselbe zweimal zu sagen.
db: Sie sind in Salzburg geboren, leben jetzt in Wien – beide Städte sind stark vom Barock geprägt und damit zumindest oberflächlich auch vom Ornamentalen. Inwieweit hat dieses Schmuckhaft-Ornamentale des Barocks sie beeinflusst?
Die Lust am Barock war sicher nicht direkt mit der Lust am Ornament verknüpft, aber doch mit einer gewissen Zeichenintensität der Gebäude, des Gebäudegrundsatzes. Und dieses Element nehme ich auf. Aber unser Verständnis und unser Umgang mit dieser Zeichenintensität gerade auch der Fassade ist ein anderer.
Mich hat schon früh die makroästhetische Relevanz von Gebäuden interessiert.
Sie basiert für mich auf drei Ansätzen: 1. Die Lust am Kontextuellen: Wie kann ich eine Umgebung interpretierend in die Gebäudegrundstruktur einbeziehen? 2. Die Fragen rund um Semiotik, Zeichen, Intensitäten. Sie ergaben sich während meines Studiums aus dem Frust über diese ganze Bauwirtschaftsmoderne. Ich fragte mich, wie ich die Dichte an Informationen vermitteln kann, ohne postmodern-dekorativ sein zu müssen. Als Drittes kommt das Wiener Thema der Oberflächen hinzu, das erst mit Semper und seiner Auffassung von der »Bekleidung des Hauses«, dann mit Wagner und der Sezession sehr wichtig wurde und schließlich mit Loos’ Pamphlet »Ornament und Verbrechen« seinen Kulminationspunkt erreicht hat.
Schon in den ersten Projekten versuchte ich, die Signifikanz meiner Gebäude zu intensivieren, so dass sie eine gewisse Vieldeutigkeit im Straßenraum, also im Erlebnisraum, entwickelten, ohne dabei dekorativ zu sein.
Ornament als reine Oberfläche war aber nie das vordergründige Thema.
Ich verstehe Ornamente nicht als Vermittler eines abstrakten Bedeutungsgehalts, wie zum Beispiel Wagner, der organische Ornamente in eher technische Elemente transformierte, um sein Interesse an neuen Materialien und Produktionsmethoden darzustellen.
Für die Entwicklung der floralen Elemente der Cobenzlgasse war die Auseinandersetzung mit dem Kontrast Natur und Stadt wesentlich. Ein Thema, das mich schon immer interessiert hat, das ich aber nie unter dem Gesichtspunkt des Ornaments aufgefasst habe. Ornament per se interessiert mich eigentlich überhaupt nicht – außer vielleicht als architekturtheoretischer Hintergrund. Wenn man die Diskussionen nimmt, die mit Namen wie Semper, Wagner, Plečnik oder der Sezession verbunden sind, dann ist es schon spannend zu beobachten, wie jede Zeit versuchte, ihre Inhalte zu vermitteln.
db: Welchen Stellenwert hat dann das Dekor in Ihrer Arbeit?
Dekor wird dann interessant, wenn es in irgendeinem Bezug steht. Da gibt es in meiner Arbeit eine Entwicklung – meine früheren Gebäude waren sehr plastisch; die Fassaden versuchten, räumlich auf den jeweiligen Kontext zu reagieren. Bei späteren Projekten war es die Materialwahl und deren Kombination, die diese Vermittlung übernahmen und zu ornamentalen Strukturen führten: Wellpolyester, Bambus und Nirosta habe ich so kombiniert, dass eine neue semantische Intensität entstand. Das führte weiter zu Projekten, wie zum Beispiel dem Büro- und Fitnesscenter in der Hütteldorfer Straße, bei dem aus einer Diskussion mit dem Bestand, also wieder aus einem Kontext heraus, vegetabile Strukturen aus Aluminiumguss entstanden.
db: Dort wurde das System eines alten Fabrikgebäudes aus Stahlbetonskelett und vorgesetzter Ziegelwand in einem Anbau fortgeführt, dessen Tragstruktur aus Stahl mit einer unabhängigen Haut überzogen ist, die ihr ganz eigenes Leben entfalten kann.
Dieser Altbau ist ein faszinierendes Gebäude – mit seiner Lisenen-Gliederung kam der britische Industriestil nach Mitteleuropa. Wir fragten uns, welches Material man auf sinnfällige Weise zu diesem Backstein addieren könne.
Der simple Ansatz: Backstein ist Ton, ein Produkt aus der Erde, das gebrannt wird und als Einzelelement serielle Verwendung findet. Durch den Produktionsprozess bekam es unterschiedliche Farben und Strukturen. In der Fläche verwendet ergaben sich daraus changierende Oberflächen.
Eine Analogie hierzu fanden wir im Bauxit und folglich im Aluminium. Da Aluminium im Gegensatz zum Ziegel aber sehr gleichfarbig ist, galt es, für das seriell verwendete Einzelobjekt ein wiederholbares plastisches Modul zu entwickeln. Durch die Licht- und Schattenspiele erreichten wir das scheinbare Changieren des gleichfarbigen Aluminiums.
Ein zusätzlicher, in dem sehr dicht bebauten Bezirk bedeutsamer Punkt ist das Spiel zwischen natürlich und künstlich. Ein Thema, das sich durch die ganze Baugeschichte zieht. Der Wunsch, Natürlichkeit im Gebauten zu verewigen, war immer präsent. So sind sehr viele Ornamente an historischen Bauten aus dem Vegetabilen abgeleitet.
db: Haben sie eine bewusste Entscheidung getroffen, sich nicht geometrischen Ornamenten, sondern floralen, vegetabilen zuzuwenden?
Das war eine Entwicklung, die mit einem früheren Projekt begann, einem Wohnbau in der Wiedner Hauptstraße, dem »hängende Gärten« als Fassade mit natürlicher Vegetation vorgelagert sind. Die Tragstruktur der Laubengänge wird hier von Pflanzen überwachsen. Das Weiterführen dieses Spiels mit Pflanzen am Gebäude endete in der künstlichen Vegetation der Cobenzlgasse, wo eine natürliche Begrünung des komplexen Baukörpers schwierig zu kontrollieren schien. Für die Hütteldorfer Straße berechneten wir eine Modulgröße, suchten im Wiener Wald Blätter und Äste zusammen und legten sie so, dass immer ein Astende auf der anderen Seite anschließt und bildeten ein Element, das sich nach vier Seiten unendlich fortsetzen kann. Das wurde gegossen und nun tausendmal an der Fassade aneinandergereiht. Das Projekt mag ich wirklich sehr gern, denn es wirkt aufgrund der Vielzahl der Einzelelemente sehr abstrakt, gibt der Fassade ein leises Flimmern. Und man muss schon sehr nah hingehen, um die Äste und Blätter zu erkennen.
db: Bei Aedes hatten sie 2004 Gelegenheit, das Thema »Ornament und die Tiefe der Oberfläche« in einer Ausstellung zu präsentieren. Wie kommt räumliche Tiefe ins Ornament?
Das war eher eine Paraphrase zu einem Zeitpunkt, als die Ornamentdiskussion erstmals aufflammte.
Es gibt Projekte, bei denen das Thema bedeutsam ist, ja sie leben sogar davon. Andere bleiben davon unberührt, denn es geht nicht um den reinen Willen, Ornamente zu schaffen, sondern um anderes.
Nehmen wir zum Beispiel die Wiedner Hauptstraße, wo es um die Frage ging, wie kann ich in einer sehr grauen, engen Gasse eine Fassade gestalten? Unsere Lösung besteht aus einer acht Meter tiefen Fassade mit verschiedenen Schichten: vertikale Begrünung, Erschließungsschicht, Pufferschicht und »Nester« als Übergangsräume vor den eigentlichen Wohnungszugängen. Das bewirkt, dass man in einem nur 15 Meter breiten Straßenraum nicht Grau in Grau sitzen muss, es schafft eine bessere Belichtung für die dahinter liegenden Wohnungen und einen anderen Nutzraum dazwischen. So wird die Fassade sehr tief.
In der Hütteldorfer Straße hingegen, wo es allein darum ging, einen Kontext zu erzeugen, ist die Fassade sehr dünn. Sowohl die Ziegel- als auch die Aluminium-Schicht sind nur vorgestellte Vermittler zum Außenraum.
In unseren Kino-Projekten in Wien und in Salzburg wiederum gibt es Schichten zwischen zwei und sechs Metern Tiefe, die auch zusätzliche Nutzungen aufnehmen können – das reicht vom normalen Doppelschaligen, das ich als Wintergarten und Energiepuffer verwende, bis hin zum so genannten Transitorium, worin eine zusätzliche Erschließung enthalten ist.Diese Schichten vermitteln zwischen Stadtraum und dem eigentlichen Innenraum und bilden eine Art »nutzlosen Raum«, der in keinem Raumprogramm enthalten ist, aber eine Mediation übernimmt und fast eine Art usurpierter Raum ist.
Tiefe und Ausformung der Fassaden werden immer direkt aus dem Kontext heraus generiert, aus den Erfordernissen, Funktionalitäten, die man bedienen will, und münden nur gelegentlich in der Ausgestaltung eines ornamentalen Elements.
db: Wie wichtig ist die Rolle der Fassade und des Ornaments als Vermittler?
Man kann die Fassade als Mediator sehen. Für mich ist das aber kein wesentliches Thema. Ich glaube nicht, dass ich über das Ornament oder die Fassade die Marketingstruktur des Gebäudes aufbaue.
db: Es gibt allerdings einen Wettbewerbsbeitrag aus Ihrem Büro für die Firma Blaha, bei dem das Ornament als Fassadenhaut, aber auch als raumbildendes Element verwendet wird und sogar konstruktive Funktionen übernimmt. dort tritt das Muster nach außen hin am lautesten auf. Was hat es damit auf sich?
Dort hat das Muster natürlich eine sehr starke Zeichenwirksamkeit. Was mich dabei am meisten interessierte, war, wie schaffe ich eine Struktur mit zwei oder drei Fertigteilen? Im Prinzip ist es ein riesiger Zaun, der freilich durchlässig ist und als eine Art Puffer zwischen einer stark befahrenen Straße und den eher kontemplativen Innenräumen wirkt. Sicher haben alle Fassaden eine sehr starke Wirkung nach außen, insofern ist jede Fassade ein Mediator zwischen außen und innen und zwischen Nutzer und Marketing. Es geht uns aber nicht darum, von vornherein eine spektakuläre Fassade zu entwerfen. Fassaden, oder besser die Strukturen im Übergangsbereich werden bei uns immer aus dem Projekt, aus dem Konzept entwickelt.
db: Haben sie für sich ein genaue Definition, was Ornament ist, und was nicht?
Ich glaube, dass die Grenzen sehr fließend sind. Wenn ich das Ornament als das klassische Element begreife, das ich wie aus dem Katalog verwende, wie es im 19. Jahrhundert üblich war und wogegen sich Loos so stark gewehrt hat, dann würde ich sagen, haben wir im Büro eigentlich nie Ornamente gemacht.
Wenn ich aber Ornamente als mögliche Erscheinungsformen eines Gebäudes definiere, dann gibt es das Ornament sicher kontinuierlich in der ganzen klassischen Moderne. Nehmen Sie nur La Tourette mit der von Xenakis rhythmisch gestalteten Glaswand, die Sie als ornamentale Skulptur lesen können.
db: Die Wirtschaftskammer Niederösterreich, um ein anderes Beispiel aus Ihrem Büro anzuführen, wurde sehr zurückhaltend gestaltet. Ein Ornament ist nicht erkennbar, bestand hier nicht die Notwendigkeit, über das Ornament einen Kontext zu generieren?
Was mich bei der Arbeit interessiert, ist die Frage, wie ich durch eine leichte Verschiebung der Wirklichkeit eine andere Struktur, einen anderen Zusammenhang erzeugen kann, ohne radikal fremde Formen oder andere Strukturen zu verwenden. Wie kann ich in der sekundären Wahrnehmung das Gewohnte so verändern, dass etwas Zusätzliches entsteht?
Im erweiterten Sinn des Begriffs Ornament, ist die Fassade der Wirtschaftskammer sogar sehr ornamental. Die Fenster tanzen sozusagen auf der flächigen Fassade, verwischen dadurch die Geschossteilung und zeigen, dass dieses Gebäude über das Atrium auch vertikal zusammenhängt, dass es nicht nur eine Schichtung gibt, sondern auch eine Art Vernetzung.
Die Fenster wirken wie große Spiegel und treten mit der Umgebung in Kontakt. Die Fassade bekommt einen gewissen Abstraktionsgrad. Das ist nicht vordergründig als Ornament gedacht.
Im Vergleich zur Cobenzlgasse ist es schwerer als Ornament erkennbar, hat aber in meinen Augen die gleichen Intensitäten und damit auch eine gewisse Mediatorenfunktion wie das klassische Ornament. Spannend für mich ist, wie sich mit minimalen Verschiebungen ganz unterschiedliche Wirkungen erzielen lassen. Schauen wir nochmals auf die Wirtschaftskammer: Erstmal nur eine Lochfassade, die aber aus der Nähe ganz anders aussieht, und wenn man dann hineingeht, verschiebt es sich noch einmal.
Die Fensterteilungen sind dabei funktional hergeleitet: Ein Fensterflügel lässt sich während des Betriebs öffnen. Der zweite ist nur für Reinigungszwecke vorgesehen. Der dritte ist für die Normallüftung gedacht und wird in der Regel für die Nachtauskühlung verwendet. Daraus ergibt sich die Proportion des Bildes. Darunter liegt ein Raster mit engen Abständen, das mir eine sehr flexible Enteilung der Räume dahinter ermöglicht, obwohl alle Fensterelemente gegeneinander verschoben sind. Im Vordergrund stand dabei die Frage: Wie kann ich auf der einen Seite im Sinne von Flexibilität und Neutralität seriell sein, auf der anderen Seite den Bau aber auch mit einer Besonderheit überhöhen und wirksam werden lassen?
db: Eine letzte Frage: Wenn sie an der Akademie der bildenden Künste Studenten betreuen, wie vermitteln sie die eigenständige Entwicklung von kontextuellen Bezügen, von Fassaden als Mediator?
Ich muss sagen, dass wir kaum je wirklich über Fassaden sprechen. Die Fassade ist das relativ Letzte oder oftmals Unwesentliche. Was wir versuchen, ist, mit sehr konzeptuellen Ansätzen zu operieren. Es ist im Prinzip völlig egal, ob das ein absolut minimalistisch reduzierter Ansatz ist oder jemand kurvig bauen will. Wichtig ist die selbst gefundene Logik oder Argumentation, die dahintersteckt. Ich versuche, niemals, irgendwelche Präferenzen für Formen oder Richtungen wirksam werden zu lassen, und schaffe es auch, dass es zu völlig unterschiedlichen Arbeiten kommt. Wichtig ist, welche Dichte der Gedankenwelt dahintersteckt. Ob das in einer Kiste mit drei fein gesetzten Schlitzen endet oder in einem hochkomplexen Gefüge, ist im Prinzip egal. Das Einzige, womit ich subjektiv Probleme habe, sind Blobs im aktuellen Sinne. Meiner Meinung nach ergeben sie meistens entsetzliche Gebäude. Da muss jemand schon sehr fundiert argumentieren, formal sehr stringent sein, um mich zu überzeugen.
Das Interview führte Achim Geissinger am 11. September 2006 in Wien.db, Fr., 2006.11.03
03. November 2006 Achim Geissinger
verknüpfte Akteure
RLP Rüdiger Lainer + Partner
Rheingold
Der Bürobau im Rheinauhafen zelebriert das Prinzip der Einheit in der Vielfalt. Schillernd eloxierte Aluminiumpaneele und transparente Fassadenfelder bilden einen spannungsreichen Kontrast im Wechselspiel aus Licht und feinen Farbnuancen. Die vollflächig eben ausgeführte Fassadenhaut betont die kubische Form des Baukörpers und wird durch ausstellbare Lüftungsklappen spielerisch strukturiert.
Zwischen Bayenturm und dem sanierten Hafengebäude (ebenfalls von Gatermann Schossig), zwischen Rheinuferstraße und Uferbebauung steht das Bürogebäude als einer der ersten fertig gestellten Neubauten des Rheinauhafens im Süden der Kölner Altstadt. Das ehemalige Gelände des Kölner Hafens wird derzeit in ein modernes Büro- und Wohnviertel umgewandelt. Der städtische Rahmenplan, hervorgegangen aus der Wettbewerbsplanung mit markanten Kranhäusern von BRT, Hamburg, sieht auf zwei schmalen Bebauungsstreifen einen Wechsel von historischen Kontor- und Speichergebäuden wie dem berühmten »Siebengebirge« (Umbau: Kister Scheithauer Gross, Köln) mit modernen Wohn- und Bürogebäuden vor.
Sowohl die Nutzung als flexibles Mietbüro als auch die vorgegebene Kostengrenze veranlassten die Architekten, eindeutige Präferenzen zu setzen. Der innere Kern wurde auf ein absolutes Mindestmaß reduziert. Wesentliche Aufgaben fallen somit der Gebäudehülle zu: In ihrer visuellen und haptischen Erscheinung muss sie eine hohe ästhetische und dauerhafte Wertigkeit für die zukünftigen Nutzer repräsentieren. Gleichzeitig soll der Neubau sich zwischen den historischen Nachbarn behaupten und vermitteln. Anstatt des im Rahmenplan vorgesehenen umlaufenden Staffelgeschosses konzentrieren die Architekten das Bauvolumen des obersten Geschosses auf der nördlichen Seite. Zum Bayenturm hin nimmt sich der Baukörper deutlich zurück und verbindet so auf unprätentiöse Weise die unterschiedlichen Bauhöhen der historischen Nachbargebäude Hafenamt und Bayenturm entlang der Rheinuferstraße untereinander. Im Erdgeschoss reagiert das strenge kubische Bauvolumen auf den oberen Rücksprung mit einer transparenten Glasfassade.
Nach innen ist ein Höchstmaß an Flexibilität und Komfort gefordert, um die unterschiedlichen Wünsche zukünftiger Mieter berücksichtigen zu können. Zwei Eingänge von der Binnenstraße des Rheinauhafens her und eine zentrale Versorgungs- und Erschließungsschiene ermöglichen die flexible Aufteilung in Büro- und Geschäftsflächen auf sechs Geschossen mit Nutzungsformen vom Großraum bis zum Einzelbüro in variablen Größen.
Derzeit steht das Gebäude noch leer, obwohl der Rheinauhafen als Toplage vermarktet wird. Im zähen Ringen um die Vermietung von Büroimmobilien scheint auch die beste Architektur die Nähe zur lauten Rheinuferstraße und den verstellten Ausblick auf den Fluss nicht aufwiegen zu können.
Die elementierte Fassade beruht auf dem Prinzip der von Gatermann Schossig entwickelten Integralfassade. Die vorfabrizierten Fassadenelemente vereinen Tageslichtlenkung, manuelle und geregelte Lüftung, Schallabsorption und die komplexen Abläufe der Temperierung, um den flexiblen Innenraum frei von störenden Installationen zu halten. Der erforderliche Lüftungsquerschnitt verteilt sich auf jeweils nach außen kippende Fensterflügel und in den Bodenaufbau integrierte Lüftungsklappen. Innen liegender Sonnenschutz mit sp ezieller Lichtlenkung in Verbindung mit einer geregelten Nachtauskühlung und einer Bauteiltemperierung der massiven Geschossdecken gewährleisten durch die aufeinander abgestimmten Komponenten ein behagliches Büroklima und einen wirtschaftlichen Betrieb.
Die Innenseiten der geschlossenen Elemente lassen sich zusätzlich mit Akustikpaneelen oder Kühlelementen bestücken, um so auch erhöhte Komfortansp rüche berücksichtigen zu können. Die vollflächige Glasfassade des zurückgesetzten Dachgeschosses, die ebenfalls auf einen außen liegenden Sonnenschutz verzichtet, beeindruckt durch ihre filigrane, flächenbündige Oberfläche. Hier muss jedoch der Sonneneinstrahlung mit integrierten Kühlelementen entgegengesteuert werden.
Durch den Verzicht auf außen liegende Verschattungselemente wird eine absolut flächenbündige Fassade mit extrem schmalem Fugenbild möglich. Die Minimierung der Paneel- und Elementfugen auf nur 15 mm Breite und den unregelmäßigen Wechsel von offenen und geschlossenen vertikalen Elementen lässt eine lebendige, vibrierende Oberfläche entstehen. Durch die hohe Präzision und Bündigkeit verschmelzen die Elemente aus eloxierten Alupaneelen und Glasflächen zu einem objekthaften, solitären Körper aus einem Guss.
Je nach Blickwinkel und Sonneneinstrahlung spiegelt sich die Umgebung darin wider oder wird das Innere sichtbar.
Das Spiel der sich öffnenden Lüftungsklappen und Kippflügel – mal manuell unregelmäßig oder gleichmäßig im Takt – wecken Assoziationen an die Rhythmen der »Sinfonie der Großstadt« von Walter Ruttmann und Jacques Tatis »Mon Oncle«.
Für die Gestaltung der Oberfläche der Aluminium-Fassadenpaneele haben sich die Architekten nach intensiver Recherche für ein besonderes Verfahren entschieden. Um den Baukörper mit seiner absolut planen Außenhaut noch stärker als visuelle Einheit erscheinen zu lassen, überzieht ein organisch kristallines Muster die geschlossenen Fassadenelemente.
Ein vorgefertigtes, auf Pixeln basierendes Endlosmuster hebt sich mit glänzender Oberfläche vom matten, messingfarbenen Grund ab, so dass sich je nach Lichteinfall eine fast einheitliche Oberfläche ergibt oder das Muster in deutlichem Kontrast hervortritt. Erreicht wird diese Struktur durch eine leicht erhabene und eine weniger starke Materialschicht, die jeweils in unterschiedlichen Farbtönen bzw. Oberflächen (matt/glanz-) eloxiert ist. Dass dieses patentierte Verfahren derzeit nur von einer spezialisierten Firma in Neuseeland angewandt werden kann, hat die Bauherren trotz höherer Kosten und der Risiken der Lieferfristen nicht abgeschreckt. Die visuelle Wirkung der eigens angefertigten Musterfassade ließ die Bedenken in den Hintergrund treten.
Die an gefrorenes Eis auf Glasscheiben erinnernde Struktur erzeugt durch ihre richtungslosen Fasern« eine reflektierende visuelle Haut, deren Muster die Orthogonalität der Fassadenelemente bricht und sie mit einem abstrakten Rauschen überlagert.
Die gold-messing-farbenen Aluminiumpaneele und die grüntürkisen Glasscheiben erinnern an die rheinische Variante der Nachkriegsmoderne mit ihren verspielten Oberflächen und edel gefassten Messingprofilen und interpretieren sie neu.
Kann man von einer ornamentierten Fassade sprechen? Dazu wird es sicherlich unterschiedliche Interpretationsansätze geben. Der Grat zwischen reinem Dekor und Ornament als Träger eines integrierten symbolischen Systems ist bekanntlich recht schmal.
Die Frage nach dem Bildcharakter des solitären Gebäudes dagegen ist vielversprechend: Die Komposition der Fassaden als Ganzes mit ihrem vielschichtigen Äußeren fasziniert in ihrer komplexen visuellen Erscheinung. Sie ist weniger eine Addition einzelner funktionaler und gestalterischer Elemente als vielmehr ein bildhaftes, sich im wechselnden Licht wandelndes Objekt.
Der visuelle Reiz des absolut flächenbündigen Baukörpers liegt in dieser Vielschichtigkeit. Mit seinen schimmernden und glänzenden Oberflächen, seiner wechselnden Farbigkeit, dem spielerischen Wechsel geschlossener und transparenter Elemente und dem individuellen Öffnen und Schließen der Lüftungsflügel und -klappen erzeugt das Gebäude eine komplexe visuelle Poesie, die sich dazu wie selbstverständlich in die Umgebung einfügt.db, Fr., 2006.11.03
03. November 2006 Markus Kilian
verknüpfte Bauwerke
Kontor 19
Stark verästelt
Das auf einem schmalen Grundstück und unter strengen auflagen errichtete Bürogebäude ist auf allen vier Seiten mit einer Aststruktur aus vorgefertigten Betonelementen überzogen. der ornamentale Schleier lässt den Bau klar aus der Häuserzeile heraustreten, obwohl er dabei nur verhältnismäßig leise Töne anschlägt.
René van Zuuk ist eigentlich auf Skulpturalität sp ezialisiert. Bekannt wurde der inzwischen 44-jährige Architekt aus Almere vor zehn Jahren durch ein helmförmiges Schleusenwärterhaus nahe Groningen. In letzter Zeit folgten unter anderem ein blobbiger Pavillon für das Architekturzentrum Arcam in Amsterdam (siehe db 11/2003) und der Wohnblock »The Wave« in Almere mit seiner schuppigen, gewölbten Front. Beinahe alle seine bisherigen Gebäude sind frei stehende, expressiv geformte Solitäre mit Metallfassaden.
Dem entsprechend dürfte das Bürohochhaus an der Zilverparkkade in Lelystad eine ganz neue Herausforderung für ihn gewesen sein, galt es doch, einen in eine Häuserzeile eingeklemmten Bau mit rechteckiger Grundfläche zu entwerfen.
Defilee der Diven
Das Gebäude namens »Dominor« gehört zum Masterplan Lelystad-Zentrum, den West 8 vor fünf Jahren erstellt hat. Ähnlich dem benachbarten Almere, soll Lelystad, das ebenfalls auf einem der neuen Polder im IJsselmeer liegt, in den nächsten Jahren ein dichteres, funktional durchmischtes Stadtzentrum erhalten. Davon ist bisher allerdings noch nicht viel zu sehen. Aus dem Bahnhof Lelystad-Zentrum kommend, findet man sich in einer gesichtslosen Fußgängerzone mit niedriger, mausgrauer Bebauung aus den siebziger Jahren wieder. Einzig ein grellorangefarbenes Th eater, das UN Studio am Nordrand des Zentrumsgebiets bauen, und die hohe Gebäudezeile der Zilverparkkade an seinem Südrand stechen aus dem Einerlei hervor.
An der Zilverparkkade entstehen momentan zwölf Büro- und Wohnbauten nach dem Grachtenmodell: Schulter an Schulter stehend, bilden sie eine geschlossene Zeile, werden aber jeweils von einem anderen Architekten entworfen und unterscheiden sich auch in der Bauhöhe. Der niedrigste Bau wird vier, der höchste 14 Geschosse haben. Für das zweite Gebäude in der Zeile wurde René van Zuuk beauftragt, auf einem nur 220 Quadratmeter großen Grundstück einen neungeschossigen Bürobau mit auffälligem Äußeren und möglichst viel vermietbarer Fläche zu errichten. Angesichts dieser Vorgaben des Auftraggebers war schnell klar, dass einzig die Fassade gestalterischen Spielraum bot. Van Zuuks Bau besteht aus einer einfachen Betonschottenkonstruktion. Die zum Park orientierte Südfassade sowie die obersten zwei Geschosse der Westfassade, die über den niedrigeren benachbarten Bau hinausragen, sind komplett verglast. Vor der Glasfront brachte der Architekt eine zweite »Fassade« an: eine Netzstruktur aus kantigen Sichtbetonzweigen, die nur die Sockelzone frei lässt. Dieser ornamentale Vorhang liegt über dem anthrazitfarbenen Bau wie ein übergeworfenes Spitzendeckchen und lässt ihn selbst in der architektonischen Kakofonie der Zilverparkkade sofort ins Auge springen. Über die Signalwirkung hinaus, kommen der Struktur noch weitere Funktionen zu. Da der Auftraggeber keinen Kran auf dem Dach installieren wollte, mussten vor den geschosshohen Fenstern Balkone für Fensterputzer angebracht werden, obwohl der Masterplan keine auskragenden Elemente am Gebäude erlaubte. Also setzte Van Zuuk die Fenster etwa einen halben Meter in der Fassade zurück und brachte vor dem Betonskelett die Zweigstruktur an.
So entstanden zwischen den beiden Fassadenebenen die erforderlichen Balkone, die obendrein als Schutz vor Brandübergriff fungieren, während die Zweige als Brüstung dienen. Auf den ersten Blick erinnert die Zweigfassade sehr an den »Algue«-Vorhang, den die Bouroullec-Brüder für Vitra entworfen haben. Erst wenn man genauer hinsieht, fällt auf, dass Van Zuuks Fassade im Gegensatz zum Raumteiler der Bouroullecs nicht auf einer ständigen Wiederholung desselben Elements beruht. Stattdessen hat Van Zuuk, nach eigenem Bekunden inspiriert von M.C. Escher, eine Handvoll großer und kleiner Bausteine entwickelt, aus denen sich eine nahtlose, scheinbar wiederholungsfreie Struktur zusammensetzen lässt. Sie bietet aus unterschiedlichen Perspektiven jeweils einen anderen Anblick: Vom Fuß des Gebäudes aus besehen scheint die Fassade recht schwer und beinahe geschlossen. Im Inneren des Baus erweist sie sich jedoch als weitmaschig genug, um die Aussicht nicht zu behindern. Aus der Ferne betrachtet wirkt sie leicht und filigran.
Differenzierungen
Um der Konsequenz willen hat Van Zuuk das Motiv auf den Seitenwänden des Gebäudes fortgesetzt. Dort tauchen die Zweigelemente als Relief auf den dunkelgrauen Betonplatten auf, bleiben aber auf der geringen Fläche ziemlich wirkungslos. Besser funktioniert diese Strategie an der Rückseite des Baus. An die Stelle der geschosshohen Fenster treten dort horizontale Fensterbänder über geschlossenen Brüstungen, die wiederum aus den anthrazitfarbenen Betonplatten mit hellgrauem Zweigrelief bestehen. Vor den Fenstern scheint das blattlose Geäst weggeschnitten worden zu sein. An der Rückseite des Gebäudes wird auch seine Einteilung ablesbar. Eine vertikale Einkerbung unterteilt den Bau in einen schmaleren Teil, der Erschließung, Toiletten, Teeküchen und einen kleinen Büroraum beherbergt, und einen breiteren Teil, in dem die frei einteilbaren Bürogeschosse liegen. Dazwischen befindet sich ein Flur, der in einen kleinen Balkon in der Kerbe mündet und darüber Zugang zum Fluchttreppenhaus bietet. René van Zuuk ist mit seinem Entwurf ein paradoxes Kunststück gelungen: Obwohl »Dominor« der einzige Bau an der Zilverparkkade ist, der eine quasi-organische Ornamentik aufweist, ist er gleichzeitig der Bau mit dem wenigsten Schnickschnack in der Zeile. Und auch innerhalb des OEuvres von René van Zuuk wirkt er trotz oder gerade wegen seines ornamentalen Schleiers, nicht zuletzt aber auch wegen der Beschränkung auf wenige industrielle Materialien geradezu minimalistisch.db, Fr., 2006.11.03
03. November 2006 Anneke Bokern
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Bürogebäude in Lelystad