Editorial

Ist man dieser Tage mit der Bahn unterwegs, kann es sein, dass man einem Zug mit der Aufschrift »Mitteldeutschland, immer eine Reise wert« begegnet. Doch wo liegt Mitteldeutschland eigentlich? Wo fährt dieser Zug nun wirklich hin? Früher war Mitteldeutschland ein rechtskonservatives Synonym für die DDR; verstanden wurde darunter das Gebiet zwischen der alten Bundesrepublik und den Gebieten diesseits der Oder-Neiße-Grenze. Doch inzwischen wird der Begriff wesentlich neutraler und unbefangener eingesetzt: Die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen verwenden ihn nicht nur, um ihre geografische Lage zu benennen, sondern auch, um sich selbstbewusst in der Bundesrepublik zu positionieren. Und vielleicht auch deshalb, weil »Ostdeutschland« nach wie vor weniger einladend klingt. Dass diese Region 17 Jahre nach der Wende auch in Bezug auf ihre neue Architektur eine Reise wert ist, zeigen wir anhand der ausgewählten Projekte. Es sind Architekturen, die an Traditionen anknüpfen, sich aber dennoch eigenständig präsentieren und zudem vielfach das Ziel haben, die wirtschaftliche Entwicklung der Region positiv zu beeinflussen. uk

Technik

Manchen Leser dürfte der anschließende Beitrag vielleicht irritieren, passt er doch wenig in die Reihe unserer bisherigen Technikartikel. Er leitet über zu einer Veränderung, die mit der nächsten Ausgabe im November beginnt. Diesen Einstieg sowie die bislang üblichen Technikbeiträge wird es in der gewohnten Form an dieser Stelle also nicht mehr geben; »Technik« wird zukünftig – angepasst an ein verändertes Informationsbedürfnis der Leser und um die »schwarze Kluft« zwischen den Hauptteilen Architektur und Technik aufzugeben – integrierter im Heft zu finden sein.
Die nachfolgende Reisereportage anlässlich des zwanzigsten Jahrestages der Tschernobyl-Katastrophe berichtet über den derzeitigen Umgang mit der Bauruine des ehemaligen Kernkraftwerks. Heute wie damals beschäftigen sich Ingenieure damit, wie sie die Umgebung bestmöglich vor weiter austretender Radioaktivität schützen können. Auf dem Reaktorgelände arbeiten noch bis zu viertausend Menschen, die meisten kommen fast täglich aus der Atomarbeiterstadt Slawutitsch östlich des Sperrgebiets angereist. Viele davon »flicken« den derzeitigen, baufälligen Schutzbau, den so genannten Sarkophag, bis endlich die geplante neue Halle Stück für Stück darübergezogen werden kann. Wann das aber schließlich exakt der Fall sein wird, ist noch offen. cf

Inhalt

Magazin
03 Kommentar | Olaf Bartels
08 Kaleidoskop
16 Neu in ... Ditzingen, Bregenz, Frankfurt
18 Ausstellungen
- Barcelona Pavillon. Mies van der Rohe und Kolbe. Architektur und Plastik in Berlin | Urte Schmidt
- Ideal City - Invisible Cities in Potsdam | Ralf Wollheim

22 Aktuell
Zur 10. Architekturbiennale in Venedig | Dirk Meyhöfer
24 Interview mit Luiz Eduardo Índio da Costa | Till Wöhler
28 Studenten-Werk
Analyse und Entwurf eines NS-Dokumentationszentrums | Heike Schmidt, Rudolf Heinz, TU München
21 Bücher

Zwischen Görlitz und Eisenach
30 Zu diesem Heft/uk?
31 Wolkenlabor des Instituts für Troposphärenforschung in Leipzig, schulz & schulz | Annette Menting
36 Zum Thema: Architekturtendenzen in den Neuen Ländern | Dr. Gudrun Escher
38 Neuorganisation der Trumpf-Werke in Neukirch, Barkow Leibinger | Matthias Grünzig
51 Mitteldeutsches Multimediazentrum in Halle, letzelfreivogel architekten | Claus Käpplinger
58 Neubau für die Informatik-Fakultät der TU Dresden, Architektengemeinschaft Zimmermann und Code Unique Architekten | Ulf Meyer
64 ...in die Jahre gekommen
Centrum-Warenhaus in Suhl | Tobias Michael Wolf

Technik
70 Zu den Themen/cf
71 Baumaßnahmen am ehemaligen Kernkraftwerk Tschernobyl | Reinhard Brüning
76 Ingenieurporträt: Ulrich Finsterwalder | Cengiz Dicleli
82 EDV: Darstellung virtueller Räume mittels Cave | Christine Fritzenwallner, Rolf Mauer
84 Produkte: Dämmung, Befestigungen
98 Schaufenster: Deckensysteme | Rolf Mauer

Grünes Glas und grauer Faserzement

Mit dem Neubau der Fakultät für Informatik der TU Dresden sollen die räumlichen Voraussetzungen für die Unterbringung aller Fachbereiche der Fakultät an einem Ort geschaffen werden. Nicht nur hier in Dresden ist die wirtschaftliche Zukunft der Stadt ganz wesentlich mit der erfolgreichen Stärkung von Forschung und Lehre verknüpft.

Informatikstudenten gelten als »Nerds« (Anmerk. d. Red.: amerikanischer, umgangssprachlicher Begriff für Fachidioten und Langweiler): Mit Karohemd und schlechter Haut interessieren sie sich nicht für das andere Geschlecht und verbringen ihre Tage in dunklen Räumen vor dem Bildschirm. So will es das Klischee. Der Neubau der Informatik-Fakultät der TU Dresden will zeigen, dass auch Informatiker ein ästhetisches Empfimden haben können. Das Gebäude ist durchaus maskulin in seiner Strenge, bietet aber durch seine Farb- und Materialwahl sowie die allgegenwärtigen Aussichten in Höfe und die Umgebung immer wieder Anlass, den Blick vom Bildschirm aufzurichten.

Informatik ist in Dresden nicht nur irgendein Fach unter vielen: Schon vor – und erst recht nach – der politischen Wende 1989 hing die wirtschaftliche Zukunft der Elbe-Metropole maßgeblich von Mi- kroelektronik und Informatik ab. Mit »AMD« und »Infineon« sind heute zwei große Arbeitgeber in der Stadt, die die Absolventen aus der örtlichen Uni saugen. Das Elbetal will zum ostdeutschen Silicon-Valley werden. Der Neubau verhilft dem Informatik-Fachbereich endlich zu der gestalterischen Geltung, der ihm wirtschaftlich gebührt. Die bisher über die ganze Stadt verstreuten Räume der Informatiker wurden nun in einem 35 Mio Euro teuren Gebäude an einem Standort konzentriert. Städtebaulich als geschlossene Anlage in der Südvorstadt konzipiert, bildet er eine Raumkante zur Nöthnitzer Straße und öffnet sich nach Süden.

Den beiden Architekten ist es gelungen, ein Gebäude zu planen, das technisch, aber nicht technoid ist und trotz seiner Größe von 8600 Quadratmetern übersichtlich bleibt, ohne stur zu wirken. Und das geht so: die Rechner-, Seminar- und Übungsräume, Forschungslabors und Büros sind in einem großen, eckigen »S« angeordnet. Dieses »S« bildet zwei etwa gleichgroße Höfe aus, von denen einer eine große Glashalle als Foyer und der andere – nur im Erdgeschoss – das große Rechenzentrum aufnimmt, das dank seines Gründachs für die oberen Stockwerke zum grünen, wenn auch nicht begehbaren Blickpunkt wird. Das Rechenzentrum mit 24-Stunden-Betrieb hat ein weitgehend separates, introvertiertes Leben, während sich das über vier Geschosse verglaste Foyer extrovertiert gibt: Von großen Seminarräumen umgeben öffnet sich die Eingangshalle nach Norden. Zwei gläserne Aufzüge und eine offene Stahltreppe werden über Brücken mit den Gebäuderiegeln verbunden. Die Halle ist nur leicht temperiert, das Rechenzentrum hingegen hochinstalliert was Daten, Lüftung, Kühlung und Sicherheit angeht. Tatsächlich sieht man das den sechs »PC-Pools« jedoch nicht an, die Architekten haben viel Mühe darauf verwendet, alle technischen Anforderungen zu erfüllen, ohne sich davon ihre Architektur dominieren zu lassen. Wer die George-Orwell-haften Räume verlässt, kann mit Blick auf einen Teich an offenen Arbeitstischen einen Kaffee trinken und wieder die analoge Welt genießen. Hölzerne Stege (ohne Brüstungen) laufen rückwärtig um das Gebäude, von denen aus die Studenten im Sommer ihre Füße in einem kleinen Gartenteich kühlen können.

Gebäudemäander

Die ringsum homogenen Fassaden haben geschosshohe Fenster, die in unregelmäßigen Abständen mit geschlossenen Flächen alternieren. Horizontale, mit grünem Farbglas verkleidete Brüstungsfelder werden durch große, senkrecht stehende Tafeln aus dunkel durchgefärbten Faserzementplatten überlagert. Diese sind, zum Beispiel in der Halle, aus akustischen Gründen grob perforiert. Um die Innenräume vor neugierigen Blicken zu schützen, haben die Architekten die Glasflächen mit einem Muster aus vertikalen Strichcodes in »Pacman-Grün« bedrucken lassen, die die Fassaden wie überdimensionale Lochkarten wirken lassen. In diesem Muster wiederum gibt es freie Flächen, die wie Fenster aussehen. Diese »Nullen und Einsen« sind von innen erstaunlich durchsichtig. Das selbst entworfene Muster haben die Architekten auch für die Brüstungsfelder verwendet, die mal vor einer massiven Brüstung liegen und mal frei. Die Gläser wurden in verschiedenen Ebenen bedruckt, so dass sie wie tiefe, geheimnisvolle 3D-Bilder wirken. Zusätzlich lassen sich die Räume mit geteilten Streckmetall-Screens, die sich vor die Fassaden fahren lassen, vor direkter Sonne schützen, damit keine Reflektionen den Blick auf die Bildschirme stören.

Die Büros der acht Institute liegen in den mäandrierenden, nahezu identischen Obergeschossen. Als Rückgrat fungiert ein alle Gebäudeteile verbindender Flur. Große Fenster entlang der einhüftigen Gänge sowie Fenster an ihren Enden bringen Licht in die Flure. Die Sichtbetonwände auf der einen Seite kontrastieren mit glatt-grünen Leichtbauwänden und Böden. Durch die fortlaufende Struktur des Baukörpers sind die Grenzen der Institute fließend und flexible Anpassungen der Raumgrößen möglich. Das gesamte Gebäude ist barrierefrei für Geh- und Sehbehinderte. Dass es kaum Veränderungen gegenüber dem Wettbewerbsentwurf gab, liegt daran, dass der Wettbewerbsbeitrag bereits eine ungewöhnliche Reife hatte. Nur um den Bau der Halle mussten die Architekten kämpfen.

Für die anfallenden hohen Wärmelasten ist der relativ hohe Anteil von massiven Bauteilen und unverkleideten Sichtbetondecken vorteilhaft. Das »Apfelgrün« taucht auch in den Epoxydharz-Fußböden im Erdgeschoss wieder auf. Die Böden der Obergeschosse haben einen schwarzen Kautschukbelag, der die Leuchtkraft des »Pacman-Grüns« noch verstärkt.

Mit Streckmetall-Paneelen verkleidete Wände verstecken die Akustikpaneele und Wandschränke, die Garderoben, Beamer und Kästen für Aushänge. Die Architekten haben hier ihre Handschrift bis zum Möbelbau durchgezogen. Die Trennung von Roh- und Ausbau geht sogar so weit, dass in den Seminarräumen alle elektrischen Schalter und auch die Steckdosen in die Türrahmen integriert wurden. Um Stützen im Raum zu vermeiden, gibt es tragende Außenwände. Die Giebelseiten haben Doppelfassaden, bei denen die äußere Lamellenfassade lediglich den Sonnenschutz in Form von Raffstores schützt. Ein derart aufwändiger Blendschutz und Verdunklungsmöglichkeiten haben wohl nur in einem Informatikbau ihre Berechtigung. Nach Norden sind die äußeren Lamellenfassaden fix, nach Süden beweglich.

Ohne aufgeregte Inszenierung ist den Architekten, deren bisher größtes Projekt der Bau war, ein zurückhaltendes, frisches und exaktes Gebäude gelungen, das einen willkommenen Ausgleich zur virtuellen Bildschirmrealität der Studenten liefert – ob mit oder ohne Karohemd.

db, Sa., 2006.10.14

14. Oktober 2006 Ulf Meyer



verknüpfte Bauwerke
Informatik-Fakultät TU in Dresden

Das CENTRUM-Warenhaus in Suhl

Das ehemalige CENTRUM-Warenhaus in Suhl im Thüringer Wald gilt als Meilenstein der Entwicklung einer modernen Warenhausarchitektur in der DDR. Gleichzeitig ist es ein markantes Beispiel für die Nachkriegsmoderne in Deutschland und, wie viele Vertreter dieser Zeit, akut vom Abbruch bedroht. Wie kam es zur Gestaltung moderner Warenhausbauten und -fassaden in der DDR? Was zeichnet sie aus und wie wird heute mit diesem Erbe umgegangen?

Die programmatische Rede Chruschtschows auf der Allunions-Konferenz der Bauschaffenden im Dezember 1954 in Moskau führte auch in der DDR zu einer Abwendung von der Architektur der »nationalen Tradition« und zu einer Hinwendung zur industriellen Bauweise unter dem Primat des Wohnungsbaus. Der neue städtebauliche Leitgedanke folgte der Architektur des Westens unter dem Motto der »gegliederten und aufgelockerten Stadt«. Mit dem Beschluss des fünften Parteitags der SED 1958 zur Neugestaltung der Zentren der Bezirksstädte bis zum Jahr 1965 rückte neben dem typisierten Wohnungsbau auch die individuelle Gestaltung der Innenstädte mit wichtigen Gesellschaftsbauten wieder ins Blickfeld der Planer: zentrale Fußgängerbereiche mit Stadthallen, Kinos, Hotels, Geschäften und Warenhäusern entstanden. Mit ihren Rastergrundrissen und geschlossenen kubischen Fassaden zeigen die Warenhausneubauten dieser Zeit eine starke Orientierung an der westeuropäischen und bundesdeutschen Kaufhausarchitektur. Die geschlossenen Baukörper ermöglichten flexible Grundrisse im Inneren und eine Maximierung der Stellflächen für Regale an den Außenwänden.

Zum 1. Januar 1965 wurde die Handelsstruktur in der DDR auf Grundlage eines Beschlusses des Zentral Komitees (ZK) der SED reformiert, indem alle von der staatlichen Handelsorganisation (HO) betriebenen Warenhäuser zur Vereinigung Volkseigener Warenhäuser (VVW) »CENTRUM« und die konsumgenossenschaftlichen Häuser zum zentralen Unternehmen »konsument« zusammengefasst wurden. Parallel zu dieser neuen Struktur entstand in mehreren Stufen ein neuer Warenhaustyp. Zunächst wurde 1966/67 anhand von Studien für das Warenhaus am Berliner Alexanderplatz versucht, analog zum typisierten Wohnungsbau eine durchbrochene Netzfassade aus Metall zu entwickeln, die dann in der ganzen Republik gleichsam als Markenzeichen ausgeführt werden sollte. Im selben Jahr schlug eine weitere Studie einen anderen gestalterischen Ansatz vor, und die beiden 1968 eröffneten nahezu baugleichen Warenhäuser in Cottbus und Hoyerswerda erhielten Fassaden aus unterschiedlichen Materialien: Der Bildhauer Harry Müller entwarf für das konsument-Kaufhaus in Cottbus eine plastische Vorhangfassade aus Betonplatten, wohingegen das CENTRUM-Warenhaus in Hoyerswerda als erstes in der DDR eine geschlossene Aluminium-vorhangfassade aus konkaven und konvexen Formen mit plastischen Graten erhielt.

Mittel der Identitätsstiftung

Die Abkehr von der typisierten Architektur wird im dritten Neubau des neuen Kaufhauskonzepts deutlich, der nicht etwa in der Hauptstadt Berlin, sondern zwischen 1966 und 1969 in Suhl entstand. Hier wurde im Rahmen der Neugestaltung des Stadtzentrums ein Altstadtquartier nahe dem Marktplatz abgebrochen. Auf dieser Fläche entstand als Verbindung zwischen Altstadt und sozialistischem Zentrum der rechteckige Kubus des Warenhauses. Durch die Lage Suhls im Talkessel war eine Erschließung in zwei Ebenen erforderlich, so dass der Zugang vom »Steinweg« aus ebenerdig erfolgte, während vom Busbahnhof im neuen Zentrum nur die Lebensmittel-Kaufhalle im Sockelgeschoss erreichbar war. Eine wirksame gestalterische und funktionale Lösung zur Erschließung der eigentlichen Eingangsebene des Kaufhauses stellt die an den Talseiten auf Geländehöhe des Steinwegs umlaufende breite Galerie dar, zu der die Schaufenster orientiert sind. Zu ihr führen mehrere Treppen hinauf, darunter die auffällige, doppelläufige Fächertreppe aus Stahlbeton nach einem Entwurf des Bildhauers Waldo Dörsch. Den oberen Abschluss des gläsernen Eingangsgeschosses bildet eine auskragende Betonplatte. Die Fassaden der beiden darüber liegenden Verkaufsetagen sind optisch durch ein um 1,20 Meter vorgehängtes Leichtmetallnetz als futuristischer Solitär zusammengefasst. Es ist der letzte ausgeführte Entwurf des berühmten Metallgestalters Professor Fritz Kühn (1910 – 67). Das zurückgesetzte Dachgeschoss diente als Aussichtsterrasse mit Café und nahm den betriebseigenen Kindergarten auf, der über einen Dachgarten mit Planschbecken verfügte.

Ziel der Planung war es, wie in allen Groß- und Bezirksstädten der DDR durch den Kontrast zwischen den industriellen Wohnbauten und den künstlerisch gestalteten Gesellschaftsbauten, zu denen auch die Warenhäuser zählten, den neuen sozialistischen Städten ein spezifisches Gesicht zu geben, also moderne Architektur als Mittel der Identitätsstiftung einzusetzen.

Umbauten nach 1990

Nach der Wiedervereinigung wurde das Warenhaus zunächst vom Karstadt Konzern übernommen, bevor 1991 die Kaufhof AG Eigentümer wurde. 1996 fanden die ersten tiefer greifenden baulichen Veränderungen statt. Damals wurde die Kühnsche Gitterfassade über dem Haupteingang zum Steinweg entfernt, wodurch die dahinter liegende Verglasung sichtbar wurde; in der Fassadenebene wurde eine Tafel mit dem Firmenzeichen angebracht. Außerdem wurde im Zuge der Errichtung des gegenüber liegenden Lauterbogencenters die Straße verlegt, so dass die breite Treppenanlage an der Talseite abgebrochen werden musste. An ihre Stelle trat eine Fußgängerbrücke über Busbahnhof und Straße. Neben der Brücke wurde dem Kubus ein neues Treppenhaus vorgesetzt, an das sich zur Altstadt hin ein zweistöckiger Geschäftshausbau mit Putzfassade, großen verspiegelten Fensterflächen und angedeutetem Traufgesims anschließt – dieser wird von C&A genutzt. Nach zwei Umstrukturierungen 1998 und 1999, die mit der Überschreibung der Immobilie an zwei Tochtergesellschaften einhergingen, wurde der Kaufhof zum Jahresende 2000 geschlossen.

Aktuelle Pläne

Bis Anfang 2006 suchte man nach neuen Nutzungsmöglichkeiten für das ehemalige CENTRUM-Warenhaus in Suhl. Im Februar legte die Immobilien-Gesellschaft Florana aus Weimar ihre Umbaupläne vor. Für 25 Millionen Euro sollen die oberen beiden Verkaufsetagen abgebrochen und das Haus zu einer Shopping Mall mit benachbartem Parkhaus umgestaltet werden. Dazu soll ab Oktober der Rest der Kühnschen Gitterfassade entfernt werden. Auch die umlaufende Galerie mit der Fächertreppe wird verloren gehen. Gegen die Pläne des Investors wehrt sich eine eigens gegründete Bürgerinitiative, die den Wert des vorhandenen Bauwerks der Nachkriegsmoderne betont und alternative Konzepte erarbeitet hat. Eine von den Bürgern geforderte Unterschutzstellung des Außenbaus lehnt das Thüringische Landesdenkmalamt mit Blick auf die Umbauten der neunziger Jahre ab.

Doch das Vorgehen in Suhl ist in den östlichen Bundesländern kein Einzelfall. Gerade die Architektur der DDR-Nachkriegsmoderne ist vielerorts akut bedroht. Neben den Ensemblen der sozialistischen Innenstädte, die schon jetzt größtenteils nicht mehr existieren, sind nun herausragende Einzelbauten in Gefahr. Dies betrifft vor allem die Warenhäuser, die durch gewandelte Einkaufsgewohnheiten einem erhöhten Veränderungsdruck ausgesetzt sind. Nach der Beseitigung der Netzfassade am Berliner Alexanderplatz stehen in diesem Jahr weitere schwere Verluste bevor. Neben dem hier vorgestellten Suhler Bau ist auch die futuristische Wabenfassade des CENTRUM-Warenhauses an der Prager Straße in Dresden vom Abbruch bedroht. Damit würden in einem Jahr zwei bedeutende Schöpfungen der Nachkriegsmoderne verloren gehen.

db, Sa., 2006.10.14

14. Oktober 2006 Tobias Michael Wolf



verknüpfte Bauwerke
CENTRUM-Warenhaus

Traditionell modern

Trotz allgemeiner Schrumpfungstendenzen in der Oberlausitz, erlebt die Gemeinde Neukirch bereits seit einigen Jahren eine erstaunliche Reindustrialisierung. Einen wesentlichen Beitrag hierzu leistet der Werkzeugmaschinenhersteller »Trumpf«, der in der Region zusätzliche Arbeitsplätze schafft und dabei auch noch neue Maßstäbe in der Industriearchitektur setzt.

Die Oberlausitz im östlichen Sachsen gilt gemeinhin als Krisenregion. Der Landstrich ist vor allem durch Strukturschwäche, eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Bevölkerungsschrumpfung geprägt. Umso überraschender ist die Entwicklung der 5600-Einwohner-Gemeinde Neukirch, die südlich von Bautzen liegt. Denn Neukirch konnte in den letzten Jahren einen erstaunlichen wirtschaftlichen Aufschwung verzeichnen, der dem Ort rund 800 neue Industriearbeitsplätze beschert hat. Heute produzieren in Neukirch mehrere Maschinenbauunternehmen, metallverarbeitende Betriebe und ein Fahrradhersteller. Der wichtigste Arbeitgeber ist aber der Werkzeugmaschinenhersteller »Trumpf Sachsen GmbH«, der in verschiedener Hinsicht Erfolgsgeschichte schreibt. So konnte die Firma zum einen in den letzten Jahren ein stetes Umsatzwachstum und einen Anstieg der Beschäftigten von 100 auf 327 verzeichnen, zum anderen gelang ihr zwischen 1993 und 2006 eine beispielhafte Neugestaltung ihres Firmengeländes.

Ausgangspunkt dieser Erfolgsgeschichte war ein Fabrikkomplex, der ursprünglich als Rucksack-, Gamaschen- und Pelerinenfabrik und später als Rationalisierungswerkstatt des Landmaschinenherstellers »Fortschritt« diente. Noch 1992 präsentierte sich das Areal als eine disperate »Gemengelage« aus Produktionsgebäuden aus der Zeit um 1900, 1970 und um 1980 sowie einer Fabrikantenvilla von 1921. Doch nach der Übernahme des Werks durch »Trumpf« im Jahr 1992 änderte sich das grundlegend. Bereits 1993 wurde vom Berliner Büro Barkow Leibinger Architekten ein Masterplan für die Neuorganisation des Firmenkomplexes erarbeitet, der eine planmäßige Umgestaltung des Areals »aus einem Guss« sichern sollte.

»Trumpf« produziert hoch entwickelte Wasserstrahlschneidmaschinen, Laserschneidmaschinen und Automatisierungskomponenten für Werkzeugmaschinen, die in Neukirch nicht nur hergestellt, sondern auch entwickelt werden. Für die Fertigung derart anspruchsvoller Produkte sind hoch qualifizierte und motivierte Fachkräfte erforderlich, die ihrerseits hohe Ansprüche an ihren Betrieb und ihr Arbeitsumfeld stellen. Das Anwerben und die langfristige Bindung dieser Fachkräfte wird umso wichtiger, da die Region seit Jahren mit Abwanderung zu kämpfen hat und bis 2008 mit einer Halbierung der Zahl der Schulabgänger zu rechnen ist. Im Konkurrenzkampf um qualifizierte Mitarbeiter setzt das Unternehmen auf ein gutes Betriebsklima und eben auch auf eine anspruchsvolle Architektur. Für die Architekten bedeutete dies eine doppelte Herausforderung: Sie mussten einen Firmenkomplex entwerfen, der nicht nur die besten Voraussetzungen für eine rationelle Produktion, sondern auch hervorragende Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten bietet.

Werksgelände mit architektonischem Anspruch

Wie muss ein Firmengelände aussehen, das Mitarbeiter an die Firma bindet und neue Beschäftigte anlockt? Zu dieser Frage gab es intensive Abstimmungen zwischen dem Büro Barkow Leibinger Architekten, der Firmenleitung und den Beschäftigten. Das Ergebnis der rund 60 Millionen Euro teuren Umgestaltung ist ein Komplex, der sich aus einem Arbeitsbereich und einem Erholungsbereich zusammensetzt. Der Arbeitsbereich besteht vor allem aus den sanierten alten Werkhallen und Neubauhallen, die in drei parallelen Reihen angeordnet sind. Bereits 1993 wurde die Mähfingerhalle von 1980 saniert, von 1996 bis 1998 folgte eine um 1970 errichtete Montagehalle, von 1998 bis 1999 wurde eine weitere Montagehalle aus der Zeit um 1970 umgebaut, zwischen 2002 und 2003 die Fabrikantenvilla von 1921 zum Schulungs- und Beratungszentrum umgebaut und -genutzt. Ergänzt wurden die sanierten Gebäude durch Neubauten: Zwischen 1996 und 1998 erfolgte der Neubau der Lackiererei, zwischen 1999 und 2000 entstand die Musterbauhalle; später folgten das von 2001 bis 2002 errichtete Verwaltungsgebäude und eine weitere Montagehalle, die von 2003 bis 2004 erbaut wurde.
Die Gestaltung des Arbeitsbereichs wird ganz von der Produktion beherrscht. Die Neubauhallen sind als Stahl- und Betonkonstruktionen mit großen Stützweiten ausgeführt, die eine hohe Flexibilität der Nutzung erlauben. Die Fassaden aus silbrigen Aluminiumblechen, Sichtbeton und Glasflächen unterstreichen den technischen Charakter der Gebäude. Im Innern sind helle und übersichtliche Arbeitsplätze untergebracht, die zur rationellen Produktion beitragen. Eine besondere Herausforderung war die Sanierung der denkmalgeschützten Fabrikantenvilla. Im Einklang mit der Denkmalpflege wurden die erhaltenen Art-Deco-Decken, farbigen Fenster und Holztäfelungen restauriert.

Verweise und Zitate

Einen deutlichen Kontrast zum Arbeitsbereich bildet der neu geschaffene Erholungsbereich, der den Beschäftigten die Pausen versüßen soll. Sein Kernstück ist das zwischen 2003 und 2006 errichtete Restaurantgebäude: Eine Remise aus der Zeit um 1900, ein Anbau aus der Zeit um 1980 und ein Neubau wurden hier zu einem zweigeschossigen Gebäude zusammengefasst, das unterschiedliche Funktionen beherbergt. Im Erdgeschoss befinden sich Ausstellungsräume und Werkstätten, während im Obergeschoss Veranstaltungssäle und Schulungsräume untergebracht sind. Den Höhepunkt aber markiert das ebenfalls im Obergeschoss gelegene Betriebsrestaurant, dessen lichte, mit hellem Lärchenholz ausgekleideten Räume eine angenehme Atmosphäre verbreiten. Die großen Panoramafenster erlauben einen wunderbaren Ausblick auf das Lausitzer Bergland und die beiden in das Dach eingeschnittenen Terrassen bieten im Sommer Freiluftplätze. Die Architektur unterstreicht den besonderen Charakter des Betriebsrestaurants. Im Gegensatz zu den anderen Werksgebäuden wurde dieser Bau mit anthrazitfarbenen Zinkblech-Schindeln verkleidet, die einen Bezug zu den schieferverkleideten Häusern der Nachbarschaft herstellen. Ergänzt wird der regionale Bezug durch die tieflaibigen Kastenfenster aus hellem Holz.

Die der Erholung dienenden Freiflächen auf dem Gelände sind nach Entwürfen des Berliner Landschaftsplanungsbüros Kiefer entstanden. Die Planer schufen gleich neben dem Restaurantgebäude eine Promenade mit edelstahlgerahmten Terrassen, Sichtbetoneinfassungen, Pflanzungen und Bänken; auf der anderen Seite des Betriebsrestaurants wurden Mitarbeitergärten angelegt, in denen im Sommer sogar Liegestühle zum Sonnenbaden bereitstehen.

Das Resultat der Um- und Neugestaltung ist ein Firmenkomplex, der von den Beschäftigten akzeptiert wird und zugleich beim Anwerben neuer Beschäftigter »enorm weiterhilft«, wie Bernd Wechler, der Produktionsleiter der Trumpf Sachsen GmbH, betont. Ergänzt wird die werbewirksame Architektur durch weitere Bemühungen für die Anwerbung neuer Mitarbeiter. So knüpft »Trumpf« Kontakte zu Schulen, um schon frühzeitig für eine Arbeit im Unternehmen zu begeistern, und veranstaltet regelmäßig Tage der offenen Tür, an denen sich Schüler und Studenten technischer Fachrichtungen über Ausbildungsmöglichkeiten informieren können. Aber auch Lehrer und Eltern werden von »Trumpf« eingeladen, damit sie sich ein eigenes Bild von dem Unternehmen machen können. »Wir wollen erreichen, dass die Bevölkerung mehr über den Werkzeugmaschinenbau und die damit verbundenen Zukunftschancen erfährt«, erklärt Bernd Wechler die Strategie. Zudem kooperiert das Unternehmen mit der TU Dresden, der TU Chemnitz und der Hochschule Zittau-Görlitz, um Fachkräfte auch außerhalb der Region für eine Tätigkeit in Neukirch zu interessieren. Und nicht zuletzt betreibt »Trumpf« eine vorausschauende Ausbildungspolitik: Um für den künftigen Mangel an Lehrlingen gewappnet zu sein, bildet das Unternehmen derzeit besonders viele Lehrlinge aus. »Während wir früher jedes Jahr nur vier bis fünf Lehrlinge hatten, bilden wir in diesem Jahr acht aus«, berichtet Wechler.

Besonders wichtig ist der Firma aber die Einbindung in die Region Oberlausitz. Nicht zuletzt deshalb vergibt sie jedes Jahr Aufträge im Wert von rund 19 Millionen Euro an Unternehmen vor Ort. Auch durch dieses Engagement beweist die Trumpf Sachsen GmbH, dass selbst eine vermeintliche Krisenregion eine wirtschaftliche Zukunft haben kann.

db, Sa., 2006.10.14

14. Oktober 2006 Matthias Grünzig



verknüpfte Bauwerke
Schulungszentrum mit Betriebsrestaurant

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