Editorial

Wirtschaft wächst zwar nur noch langsam, neue Gewerbegebiete durchwuchern aber nach wie vor die Stadtränder und die angrenzenden Landschaften. Ein Glücksfall also, wenn expandierende Unternehmen nicht auf der grünen Wiese bauen müssen, sondern bereits erschlossene Flächen nutzen oder sich gar an Ort und Stelle weiterentwickeln können. Aus dem Umgang mit der vorhandenen Bausubstanz erwächst dem Planer dabei eine Herausforderung in technischer wie auch gestalterischer Hinsicht, schließlich müssen alle Teile sowohl funktional als auch in ihrer Wirkung nach außen zusammenspielen. Ge

Technik

Als Richard Steiff, Neffe der Firmengründerin Margarete Steiff, im Jahr 1903 gemeinsam mit den Eisenwerken München einen Produktionsbau plante, war sich sicher niemand dem späteren Stellenwert des Fabrikgebäudes in der Architektur bewusst. Der Bauherr wollte ein funktionales Gebäude, in dem es sich angenehm arbeiten lässt, das den Mitarbeitern den notwendigen Luftwechsel und Lichteinfall garantiert und sich wechselnden Produktionsanforderungen anpassen kann – schließlich mussten hier täglich Hunderte von Filzelefanten und die ersten Teddybären der Welt produziert werden. Schon damals schien das Gebäude für seine Zeit genauso revolutionär wie die Entwicklung der Spielwarenfirma selbst. Binnen kürzester Zeit entstand durch die Vorfabrikation ein vollverglastes Gebäude mit der ältesten Vorhangfassade Deutschlands: In die zweischalige Hülle, einer so genannten Pufferfassade, sind das Tragwerk und Kastenfenster integriert. Die Baugenehmigung wurde damals »auf eigenes Risiko« erteilt – das Gebäude wird heute noch von Steiff genutzt. Übrigens: Am Erfolg und der Namensgebung der ersten Teddybären ist laut Firmenangabe Theodore Roosevelt, Spitzname Teddy, maßgeblich beteiligt. Er war angeblich leidenschaftlicher Bärenjäger. Mit Wirtschaftlichkeit und Möglichkeiten der Vorfabrikation beschäftigte sich über zwanzig Jahre später ebenso der Italiener Pier Luigi Nervi, durch den Anfang/Mitte des 20. Jahrhunderts auch eine ganze Reihe industrieller Gebäude entstand. cf

Inhalt

Magazin
03 Kommentar | Ulrike Zophoniasson-Baierl
06 Kaleidoskop

Neu in ...
14, 16 ... Darmstadt, Barcelona, Zürich

18 Ausstellungen
- Future City in London
- Maren Harnack
- Franz Gustav Forsmann in Hamburg
- Lars Quadejacob
- Architektur + Sport in München
- Roland Pawlitschko

23 Bücher

26 Essay
Soft Urbanism - Kommunikationsnetz von Stadtentwicklung und Massenmedien | Elizabeth Sikiaridi und Frans Vogelaar

Studenten-Werk
28 Planungen für den Frankfurter Flughafen | Laura Cychy, Janosch Boderke, Martin Trefon, TU Darmstadt

Gewerbe ausbauen
30 Zu diesem Heft / ge
31 Zum Thema: Themenbau und Inhaltsraum | Monika Gentner
34 Airbus Ausstattungsmontagehalle in Hamburg-Finkenwerder, Gerkan, Marg und Partner | Dierk Jensen
42 Büroerweiterung und Produktionshalle in Bregenz, Elmar Ludescher | Achim Geissinger
50 Nederlandsche Apparatenfabriek in Groenlo (NL), Bartijn Architecten | Robert Uhde
57 VKW-Werksgelände in Bregenz, Dietrich | Untertrifaller | Roland Pawlitschko
64 ... in die Jahre gekommen
Zeitungsdruckerei Süddeutscher Verlag in München | Karl J. Habermann

Technik
70 Zu den Themen? /? cf
71 Energetische Optimierung von Industriebauten | Roland Hatz
76 Ingenieurporträt: Pier Luigi Nervi | Annette Bögle

82 EDV: Software unter der Lupe: SkechUp 5 | Jürgen Roth
87 Produkte: Aufzüge, Beschläge
94 Schaufenster: Büromöbel | Rolf Mauer
98 Bildnachweis
99 Beteiligte Firmen
100 Autoren
101 Kalender
102 Vorschau; Impressum

Glasklare Sache

Die Liegenschaft des kontinuierlich wachsenden Glasereibetriebs wurde innerhalb der letzten dreißig Jahre bereits elfmal erweitert und umgebaut. Mit ihrem gestalterischem Anspruch behaupten sich die Bauten gegenüber den zum Teil sehr viel größeren Nachbarn und tragen zugleich die Kompetenz des Unternehmens in den öffentlichen Raum.

Ein wenig wirkt die Situation wie der ungleiche Kampf von David gegen Goliath: Eingezwängt zwischen ausgedehnten Fabrikbauten eines Beschlägeherstellers und dem zwar eleganten, aber quasi in erster Reihe stehenden und damit unübersehbaren Werkkomplex mitsamt Outlet-Center eines Strumpf- und Trikotagen-Konzerns (2002, Architekten fab02 [klas + läßer], Lustenau) nehmen sich die Werksbauten von Glas Marte vergleichsweise bescheiden aus.

Tatsächlich begreift sich der Handwerksbetrieb als mittelständisches Unternehmen und tut sich mit der Rolle des Global Players etwas schwer, obwohl er mit den Produktentwicklungen, die im eigenen Hause und in Kooperationen erarbeitet werden, durchaus in der Oberliga spielt.

Einengung und Chance

Das kleine Grundstück in Bahnhofsnähe, auf dem die Glaserei 1930 gegründet wurde, wird zwar noch genutzt, wurde aber in den siebziger Jahren zu klein. So entstand im Industriegebiet am westlichen Stadtrand zwischen Bregenzer Ache und See ein Isolierglaswerk, das im Lauf der Jahre elf Erweiterungen erlebte. Dazu gehört zum Beispiel eine Zuschneidehalle, die Hermann Kaufmann 1994 im rückwärtigen Bereich erstellte.

Die ursprüngliche Kleinteiligkeit um Höfe herum gruppierter Einzelgebäude wurde 2000 zu Gunsten einer vollflächigen Bebauung aufgegeben. Schließlich ist bebaubarer Grund in Vorarlberg knapp und somit teuer. So führte der Zwang, das Areal effizient ausnutzen zu müssen, zum Beispiel auch zur großflächigen Unterkellerung, was sich im Grundwasserschutzgebiet als nicht ganz triviale Aufgabe erwies.

Die vorerst größte Veränderung nahm 2002 mit der Aufstockung eines Bestandsgebäudes von 1974 ihren Anfang. Der ehedem in Bürotrakt und Halle unterteilte Massivbau direkt an der Straße hatte bereits eine Umgestaltung erfahren, bei der in die Halle ein Bürogeschoss eingehängt worden war. Elmar Ludescher setzte eine Stahlkonstruktion oben auf und fügte in diesem zweiten Obergeschoss im rechten Winkel eine weitere Bürospange ein. Er verband dadurch zwei vormals getrennt voneinander liegende Verwaltungseinheiten und erschloss somit auch die Tiefe des Grundstücks.

Beim Umgang mit der Außenansicht galt es zunächst, ein einheitliches Erscheinungsbild der unterschiedlichen Ausbaustufen zu erzeugen, ohne in die nach wie vor funktionstüchtige Substanz einzugreifen. Mit einer zweiten, vorgehängten Fassadenschicht in den Obergeschossen und etwas Farbe wurde viel erreicht - dass der Bau nicht aus einem Guss ist, fällt erst bei genauerer Betrachtung auf. Wurde das Erdgeschoss mit den Ausstellungsräumen weitgehend so belassen, wie es war, bekamen die Bürogeschosse darüber je eine Reihe beweglicher Ganzglaslamellen vorgesetzt. Deren Konstruktion wurde im Hause selbst entwickelt und zielt darauf ab, die Kosten für Wartung, Pflege und Instandhaltung der Anlage auf ein Minimum zu reduzieren. Die Außenseite der Lamellen wirkt durch ihre Titandioxid-Beschichtung wie ein Katalysator: Unter UV-Strahlung wird an der Oberfläche aktiver Sauerstoff freigesetzt, der organische Verschmutzungen anlöst oder gar ganz zersetzt. Ablaufendes Regenwasser verformt sich nicht zu Tröpfchen, sondern bildet einen dünnen Film, der den gelösten Schmutz unterwandert und wegspült.

Die zentral gesteuerten Lamellen werden automatisch der Sonne nachgeführt und fangen bis zu zwanzig Prozent der Sonnenenergie ab. Sie bilden den mechanischen Schutz leicht transparenter Screens, die sich ebenso wie die Lamellen auch individuell von den Rauminsassen steuern lassen - es sei denn, die Außentemperatur fällt unter 3° C; dann bleibt die Fassade zu. Die Lamellen schließen oben, unten und untereinander nicht ganz bündig ab und erlauben so auch in geschlossenem Zustand die Raumlüftung über Schiebefenster in der inneren Fassadenebene. Zudem fangen sie die Windlast ab und ermöglichen damit, dass die großflächigen, selbsttragenden Innenverglasungen mit wenigen, kaum sichtbaren Konstruktionsteilen auskommen.

Im Innern der neuen Büroetage ist die Offenheit der Fassade über die gesamte Raumhöhe erlebbar. Regalborde vor den Glaselementen dienen als Ablageflächen und machen gesonderte Absturzsicherungen unnötig. Die gesamte Innenraumgestaltung wurde sehr diszipliniert ausgeführt und wirkt dennoch nicht aseptisch. Glastrennwände sind rahmenlos in die grauen Filzböden gesenkt, weiße Wandscheiben von etwa einem Meter Breite rhythmisieren die Zimmerfluchten, das Grün von Gläsern und Pflanzen spiegelt sich im Metall von Profilen und Handläufen wider. Wo der Architekt gerne kompromisslose Betontreppen in die Stiegenhäuser eingestellt hätte, nutzte der Bauherr eine weitere Gelegenheit, seine Kompetenzen vor Augen zu führen, und verwendete mit weißen Punkten bedruckte Glastritte.

Vorerst zum Abschluss kamen die Erweiterungen und Umbauten im Sommer 2004, als die etwa 140 Meter lange, mit 5100 Quadratmetern größte Halle des Areals in Betrieb genommen wurde. Dort können seither Isolierglaselemente mit dem Maximalmaß von 3,2 auf 7,2 Meter hergestellt werden. Eines dieser Elemente dient in der Straßenfassade als Schaufenster, durch das ein kleiner Einblick in die Halle und in die Produktpalette des Unternehmens gewährt wird.

Liegende Fensterformate verleihen der Fassade einen ruhigen Charakter und unterstreichen die Länge der Halle. Im Innern ist alles, was dem Prinzip Tragen und Lasten entspricht und sich mit Schwere assoziieren lässt - die Stahlkonstruktion - in Schwarz gehalten, die leichteren Holzsheds im Dach als Lichtquelle in Weiß.

Als letzte Flächenreserve dehnt sich vor der neuen Halle der Parkplatz aus. Erweiterungsmöglichkeiten sind tatsächlich vorgesehen, stehen momentan aber nicht an. Sollten diese in ferner Zukunft ausgereizt sein, bleibt nur noch die Höhe - eine weitere Herausforderung für den Architekten. Aber Elmar Ludescher wird dafür sorgen, dass auch dann aus dem feingliedrigen David kein grobschlächtiger Goliath wird.

db, Sa., 2006.08.05

05. August 2006 Achim Geissinger



verknüpfte Bauwerke
Büroerweiterung und Produktionshalle

Zeitungsdruckerei Süddeutscher Verlag

Wenn ein Industriegebäude aus der Mitte der achtziger Jahre 2004 Aufnahme findet in einen »Entwurfsatlas Industriebau«, können die funktionalen wie die ästhetischen Aspekte der Architektur des Druckzentrums des Süddeutschen Verlages in München kaum an Gültigkeit verloren haben, und das trotz massiver Veränderungen in der Drucktechnik. Das Konzept der baulichen Abbildung der Produktion trägt bis heute. Der modulare Aufbau und eine hohe Detailqualität sorgen für Nachhaltigkeit.

Ist das kurz nach seiner Fertigstellung im Jahre 1985 mit Architekturpreisen überhäufte Druckereigebäude des Süddeutschen Verlages heute tatsächlich bereits „in die Jahre gekommen“, genügt es nur noch mit Mühe den komplexen Anforderungen einer nach wie vor nicht abgeschlossenen Entwicklung zur computergesteuerten Automatisierung, ist es nicht längst stilgerecht etikettiert in diversen Architekturführern abgelegt oder hat es sich seine unprätentiöse Frische erhalten? Die Recherchen zum vorliegenden Zwischenbericht sollten auch zu einem spannenden Ausflug in die jüngere Entwicklungsgeschichte der Drucktechnik führen.

Bereits mit Beginn der achtziger Jahre war die Umstellung der großen Zeitungsbetriebe von Blei- auf Fotosatz abgeschlossen. Da der Fotosatz keinen direkten Weg zum Hochdruck mehr zuließ, musste eine adäquate Plattenherstellung entwickelt werden. Die Qualitätserwartungen orientierten sich zunehmend am hoch entwickelten Farbfernsehen, einer hervorragenden Farbfotografie und den Ergebnissen des farbigen Tiefdrucks. Die Wende vom Hochdruck zum Offsetdruck zeichnete sich ab. Da die Abmessungen der nun erforderlichen Maschinen die bestehenden Räumlichkeiten in der Innenstadt endgültig zu sprengen drohten, stand eine Trennung der Zeitungsproduktion in Redaktion, Setzerei, Reproduktion und Verwaltung am Standort Innenstadt sowie Plattenherstellung, Druck, Weiterverarbeitung und Versand in einem neuen Druckzentrum in verkehrsgünstiger Lage bevor. Die mittlerweile verfügbare Technik machte die räumliche Trennung möglich und sinnvoll.

In relativ knapper Planungs- und Bauzeit wurde ein Gebäudekomplex realisiert, zu dessen Vorgeschichte Gottfried Knapp in seinem Beitrag in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Ein Haus, das Schule macht“ meinte „... Es gibt keinen bekannten Druckhaus-Prototypen. Gedruckt wurden die Blätter in Fabrikhallen ohne besondere Ausprägung.“ Das zur Verfügung stehende Grundstück in Steinhausen lag zwar, wie er ausführte, verkehrsmäßig günstig, war aber noch in einer Reihe von Einzelschritten zu arrondieren, bis die heute so selbstverständlich erscheinende Planung darauf umgesetzt werden konnte. Der Entwurfsgedanke, den Produktionsfluss räumlich darzustellen, führte zu einer Lösung, die den funktionalen Anforderungen im Inneren ebenso wie den Vorstellungen nach Ablesbarkeit dieser Ordnung von außen Rechnung trug.

Die vom Grundstück vorgegebene Ausrichtung des Volumens in Ost-West-Richtung ließ sich mit den zwei geplanten Rotationsmaschinen sinnvoll nutzen. Diese Maschinen, ein Fluchttunnel als Fundament und eine über eine Schrägverglasung natürlich belichtete, nur durch Treppenhäuser unterbrochene Verbindungstrasse bilden das Rückgrat des Gebäudes. Der streng modulare Aufbau der klassischen Stahlfachwerkkonstruktion bietet den erforderlichen Spielraum für die übersichtliche Positionierung der Maschinen und die Möglichkeit der Erweiterung an den äußeren Enden der Anlage. Von dieser Möglichkeit wurde bereits im Jahre 1994 mit Erfolg Gebrauch gemacht.

Helmut C. Schulitz meinte in seiner Beurteilung des Druckereigebäudes des Süddeutschen Verlages im Rahmen des Constructa-Preises 1986, dass hier mit einfachen Mitteln eine Architektur von hoher optischer Vielfalt erzeugt wurde. Man hätte nur unterschiedliche Inhalte mit entsprechenden Konstruktionen, materiellen und räumlichen Gestaltungsmitteln interpretiert, durch differenzierte Raumhöhen und Geschossebenen die dritte Dimension genutzt und nicht nur eine einzige Grundstruktur variiert, sondern mit intelligenten und künstlerischen Mitteln ein vielfältiges Baugefüge erzeugt.

Der Besuch des Gebäudes unter dem Gesichtspunkt „... in die Jahre gekommen“ führte nun zu erstaunlichen Beobachtungen.

Der Leiter des Druckzentrums hielt wohl mit seinen Problemen bei der bereits nach 15 Jahren anstehenden maschinellen Runderneuerung nicht hinter dem Berg. Dem Gebäude sieht man diese Strapazen heute jedoch kaum an. Gab es bei der Erstausstattung mit Europas größten Rotationsanlagen noch ausreichend Luft zwischen Maschine und Decke, so ist dieser Abstand heute aufgebraucht. Die Süddeutsche Zeitung kann erneut den Anspruch erheben, aus einer der größten und modernsten Zeitungsdruckereien Europas zu kommen. Der optische Vergleich der Maschinen fällt ebenfalls zu Gunsten der neuesten Generation aus. Sie sind in ihrer farblichen und formalen Gestaltung noch klarer und strenger geworden. Architektur und Maschine harmonieren besser denn je.

Zu denken gibt die Tatsache, dass heute Beschäftigte in größeren Gruppen nur noch im Bereich der Weiterverarbeitung zu sehen sind. Die Automatisierung hat weite Teile der modernen Zeitungsproduktion erfasst und zahlreiche Arbeitsplätze mit geringerer Qualifikation überflüssig gemacht. Stand mit dem Neubau die Gestaltung einer attraktiven, arbeitsplatzgerechten Umgebung im Vordergrund, so könnte man auf die Idee kommen, hier in Zukunft Ab-striche vorzunehmen. Wirtschaftlichkeitsüberlegungen der besonderen Art könnten wieder billigen Dunkelhallen, bestenfalls dekorierten Schuppen das Wort reden. Gott sei Dank ist bei der Leitung der Druckerei hiervon nichts zu hören. Im Gegenteil: die Imagewerbung des Hauses titelt mit den Schlagworten: „Architektur - Technologie - Umwelt - Logistik“. Ein dickeres Lob vom Nutzer kann sich der Architekt wohl kaum wünschen. Es bleibt zu hoffen, dass die positive Einstellung des Süddeutschen Verlages zu seinem schönen Druckereigebäude erhalten bleibt. Sicherlich lässt sich die Idee der Corporate Identity mit dem nebenan begonnenen Hochhaus noch verstärken. Zukünftig wird der Besucher dann auch einen werbewirksam imponierenden Blick von oben auf das Gebäude erhalten. Ästhetik trägt auch im Industriebau wesentlich zur Nachhaltigkeit bei.

Schlussendlich findet sich im aktuellen Entwurfsatlas Industriebau von Jürgen Adam, Katharina Hausmann und Frank Jüttner das SV-Druckzentrum aus dem Jahre 1985 in bester Gesellschaft mit neueren und neuesten Bauten aus dem In- und Ausland wieder. Das „... in die Jahre gekommen“ muss in Anführungszeichen gesetzt bleiben.

db, Sa., 2006.08.05

05. August 2006 Karl J. Habermann



verknüpfte Bauwerke
Zeitungsdruckerei Süddeutscher Verlag

Abwechslungsreich gestaffelt

Seit 1993 wurde der Hauptsitz des Unternehmens ausgehend von einigen Bestandsbauten sukzessive erweitert. Die Planung der Architekten integriert mehrere eigenständige Baukörper unterschiedlichen Charakters zu einer vielschichtig organisierten Gesamtanlage.

Wer den Hauptsitz des Unternehmens Nedap in der kleinen Gemeinde Groenlo bei Arnheim besucht, der wird überrascht sein: Denn statt auf einen deutlich als solchen markierten Produktionsstandort trifft der Besucher zunächst auf einen halb öffentlichen, mit einem lang gestreckten Wasserbecken sowie fünf Lichtsäulen gestalteten Vorplatz, auf dem das Unternehmen regelmäßig Konzerte stattfinden lässt. Eingefasst wird die Fläche durch zwei flach gehaltene und zurückhaltend mit Glas und Holz detaillierte Gebäudeflügel, die den Firmensitz sensibel in die kleinteilige Struktur der umliegenden Wohn- und Gewerbebebauung einfügen, ohne die Umgebung zu dominieren. Dahinter schließen sich auf einer Fläche von rund drei Hektar die übrigen Nedap-Gebäude an. Mit rund 600 Mitarbeitern entwickelt das 1929 in Amsterdam gegründete und seit 1947 vor Ort ansässige Unternehmen hier mikroelektronische Systeme für unterschiedlichste Anwendungen - von der biometrischen Identifizierung über die Warensicherung, Fahrzeugidentifikation und Nutztierbestandsverwaltung bis hin zu softwaregesteuerten Wahlgeräten.

Anfang der neunziger Jahre entschied Nedap, mit neuen Technologien neue Marktsegmente zu erschließen und dazu den aus mehreren, teilweise sheddachüberdeckten Hallen bestehenden Standort konsequent auszubauen und nachzuverdichten. Ganz bewusst sollte dabei auch der jetzt deutlich stärker markt- und kundenorientierten Organisationsstruktur Rechnung getragen werden, denn statt der bis dahin praktizierten Aufteilung in die Bereiche Verkauf, Einkauf, Entwicklung und Produktion besteht der Gesamtkonzern seitdem aus verschiedenen eigenständigen „Marktgruppen“ mit jeweils eigenen Entwicklungs- und Betriebsstrukturen.
Mit der Gesamtplanung des Projektes wurde auf persönliche Entscheidung des Nedap-Geschäftsführers A. J. Westendorp der Maastrichter Architekt Ruud Bartijn beauftragt, der auch für zwei vor Kurzem fertig gestellte Nedap-Gebäude außerhalb der Niederlande in Meerbusch bei Krefeld sowie in Madrid verantwortlich zeichnet. Ausgangspunkt seines im Laufe der Zeit mehrfach an neue Entwicklungen angepassten Entwurfes sind die teilweise erhalten gebliebenen, im Zuge der Erweiterung umgebauten und neu definierten Gebäude aus den fünfziger und sechziger Jahren. Rund um diesen Kern entstand eine labyrinthartig organisierte „Hülle“ mit fließendem Wechsel zwischen eher weiträumigen und kleinteiligen Strukturen - bestehend aus Neubauten, begrünten Innenhöfen, Patios, offenen Plätzen sowie einer neuen Wegeführung.

Für Orientierung sorgt dabei eine in Nord-Süd-Richtung quer durch das Ensemble führende Haupterschließungsachse, die die einzelnen Büro- und Werkstatteinheiten der verschiedenen Bereiche miteinander verbindet.

Der Unternehmensstruktur von Nedap entsprechend, entschied sich Ruud Bartijn dazu, die durch das unterschiedliche Alter der Bauten ohnehin vorhandene Heterogenität des Standortes durch eine kontrastreiche Form- und Materialgebung der neuen Elemente noch zu verstärken und damit die Eigenständigkeit der verschiedenen Unternehmensbereiche zu unterstreichen. Spitze und kantige Volumina treffen so überraschend auf runde Formen, Holz und Stahl stoßen hart und unvermittelt auf Ziegel, Glas, Glasbausteine, Sichtbeton, Naturstein oder Putzfassaden. Als architektonische Klammer dienen helles Mauerwerk mit horizontalen oder vertikalen Fensterbändern sowie Zedernholzfassaden mit quadratischen Öffnungen, um trotz der offensichtlichen Kontraste einen harmonischen Gesamteindruck zu erzielen.

Den Anfang machte 1992 der Umbau des dreigeschossigen ehemaligen Eingangsgebäudes am westlichen Rand des Areals. Um hier die großflächige Elektronik-Werkstatt zu integrieren, wurde die vorhandene Raumstruktur geöffnet und eine neue, durch ein lang gestrecktes horizontales Fensterband geöffnete Mauerwerksfassade vor die bestehende Tragstruktur gesetzt. Angrenzend entstanden kurz darauf das ebenfalls als Mauerwerksbau errichtete Metallzentrum und der zwischen beiden Elementen platzierte Neubau für den Bereich „Power Supplies“, dessen schräg zulaufende, als Pfosten-Riegel-Konstruktion errichtete Glasfassade entlang der Straße Oude Winterwijkseweg mit den Nachbarbauten kontrastiert.

Deutlich geschlossener präsentiert sich die 1997 im Nordosten des Areals fertig gestellte Erweiterung für den Bereich „Retail Support“. In Richtung des benachbarten Wohngebiets präsentiert sich der über einer leicht ins Erdreich versenkten Parkfläche platzierte - und als Reflex auf den Verlauf des angrenzenden Parallelwegs teilweise ellipsenförmig gestaltete - Baukörper mit einer zurückhaltend gestalteten Mauerwerksfront. In gegenüberliegender Richtung integrierte Ruud Bartijn eine lediglich durch wenige kleine Fenster geöffnete Außenhülle aus horizontal gegliedertem Zedernholz. Zusätzliche Kontraste erhält die kraftvoll komponierte Materialcollage durch die Integration eines komplett geschlossenen, in Sichtbeton gestalteten Anlieferungsbereiches mit einem der Rampe vorgelagerten „Tor“ als archaisch anmutende Zugangssituation.

Weiter südwestlich schließt der 1998 mit einer durchgehenden Glasfassade sowie weit auskragenden Sonnenschutzlamellen ausgebildete Empfangsbereich an. Der als Scharnier des gesamten Areals konzipierte Baukörper integriert nicht nur den offen und modern gestalteten Empfang, sondern fungiert auch als Erschließung für sämtliche übrigen Bereiche - darunter die im Obergeschoss direkt angrenzende, in einem umgebauten Altbau eingerichtete Kantine. Gleichzeitig mit dem Eingangsbereich wurde direkt davor in Zusammenarbeit mit dem Landschaftsplaner Arend Jan van der Horst ein Vorplatz geschaffen, auf dem fünf unterschiedlich hohe Lichtsäulen aus Stahlbeton die Stützenkonstruktion einer ehemals hier platzierten Werkhalle zitieren.

Nach Süden wird die Fläche durch einen lang gestreckten Neubau für den Bereich „Ideas“ begrenzt, der oberhalb des durchgehend mit Glas ausgebildeten Erdgeschosses komplett mit vertikal gegliedertem Zedernholz verkleidet wurde. Markanter Blickpunkt ist dabei das am westlichen Ende des Riegels hervorkragende, als Abschluss des Platzes konzipierte Volumen, in dem die technischen Anlagen untergebracht sind.

In manchen Bereichen erscheint die bewusst kontrastreiche Gegenüberstellung der unterschiedlichen Elemente etwas zufällig. Doch letztlich gelang es Ruud Bartijn mit dieser Strategie, die Größe der Gesamtanlage in überschaubare Einheiten mit jeweils eigener Identität zu untergliedern und so erfahrbar zu machen.

In der Summe ist eine collagenhaft verspielte, aber hoch flexible und abwechslungsreich organisierte „Stadt in der Stadt“ mit hoher Aufenthaltsqualität für die Mitarbeiter entstanden, die auf engstem Raum die verschiedenen Nedap-Geschäftsbereiche integriert. Dem gleichen Prinzip folgt auch die jüngste Erweiterung - der 2005 fertig gestellte, unmittelbar an den Empfangsbereich anschließende Konferenzbereich. Der kantig geschnittene und durch eine großflächige Glasfassade geöffnete Neubau bietet einen flexibel nutzbaren Raum für Präsentationen sowie zum Empfang von Kunden. Im angrenzenden Innenhof steht den Mitarbeitern ein Zen-Garten als naturnaher Erholungsraum zur Verfügung. Mit Blick auf einen neu angelegten Teich mit Dutzenden von Koi-Karpfen, die sich hier sichtbar wohl fühlen und bereits prächtig vermehrt haben.

db, Sa., 2006.08.05

05. August 2006 Robert Uhde



verknüpfte Bauwerke
Produktionsstätte Nederlandsche Apparatenfabriek „Nedap“

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