Editorial
Drei Elemente bestimmen das Wesen einer Brücke: Der Fluss oder der Abgrund, den sie überspannt. Die beiden Ufer, die sie verbindet und der Weg, der über sie führt. Was einfach klingt, ist doch komplex und vielschichtig in seiner Bedeutung. Brücken sind immer besondere Orte unserer Aufmerksamkeit gewesen. Sie vermögen die Charakteristik einer Landschaft, ihre »Größe« hervorzuheben und sie wie ein sorgfältig arrangiertes Tableau erscheinen zu lassen, obwohl (oder weil?) sie - auch als Riegel quer zum Flusslauf - gegen die Natur gesetzt sind. Brücken missachten natürliche Grenzen. Kein Wunder, dass früher Menschen glaubten, dieses Sakrileg mit Opfern, auch mit Menschenopfern, sühnen zu müssen. Etwas von dieser mythischen Überhöhung hat sich bis heute erhalten.
»Ein Hindernis überwindend, symbolisiert die Brücke die Ausbreitung unserer Willenssphäre über den Raum« sagt der Philosoph Georg Simmel im Aufsatz »Brücke und Tür« 1909. Und: Wer erinnert sich nicht mit wohligem Schauder an Fontanes dramatische Ballade über den Einsturz der schottischen Brücke am Tay »Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand …«
Jedoch, in erster Linie waren und sind Brücken Verbindungen von hier nach dort - ob aus Stein, Holz, Eisen oder Beton. Während die ersten Fachwerkbrücken aus Eisen noch deutlich von Holzkonstruktionen abgeleitet wurden, geriet die Tradition und damit die Kunst des Holzbrückenbaus mit dem Einzug der Stahlbetonbrücke in Vergessenheit. Sie verschwand, wie jene ephemeren Gebilde der hölzernen Lehrgerüste etwa eines Richard Coray, ohne die viele der klassischen Massivbrücken (z.B. von Maillart) nicht denkbar wären.
In den letzten zehn Jahren tauchen Brücken aus Holz wieder verstärkt auf - in der Schweiz, deren moderner Holzbau wegweisend ist, in Deutschland und auch in Österreich (siehe steirische Landesausstellung »Holz« in Murau, 1995). Die Vorzüge von Holz für den Brückenbau, besonders die der neuen Holzwerkstoffe, werden (wieder)erkannt. Wir sprechen von der Brücke in der Landschaft, die als landschaftsprägendes Element in der Ausführung in Holz höhere Akzeptanz erwarten kann.
Für Holz spricht sein geringeres Gewicht (ca.1/4 bis 1/5 des Betons), seine hohe Belastbarkeit, die Tatsache, dass mit der Entwicklung neuer plattenförmiger Werkstoffe als Fahrbahnelemente das Problem der Punktbelastung wegfällt. Dann die Möglichkeit der Vorfertigung und der schnellen Montage in exponierter Lage, die eine Errichtung vor Ort nicht erlaubt. Nicht zuletzt der kostengünstige Unterhalt, wenn bei Reparaturen Teile einzeln ausgetauscht werden können.
Zugegeben: trockene Fakten, doch Holz hat mehr, etwa Berührungsqualität. Brücken aus Holz laden zum Verweilen ein. Fußgängerbrücken ermöglichen konstruktive wie ästhetische Extravaganz durch größeren Spielraum bei der statischen Berechnung. Und sie werden - nicht nur in überdachter Form - zum raumbildenden Element in einer Inszenierung der Landschaft und des Querens. Auf das für historische Holzbrücken typische Dach kann heute verzichtet werden, wenn andere Maßnahmen des konstruktiven Holzschutzes Anwendung finden. Damit ist nicht nur der Weg frei für zeitgemäße Formen, Holzbrücken können technisch und ökonomisch konkurrenzfähig sein. In der Zusammenarbeit mit Architekten, die die meisten der Holzbrückenbauer wichtig finden, entstehen ungewöhnliche Bauten - Spannungsbögen, die Form und Funktion ausloten.
»Das Entstehen eines Tragwerks als Ergebnis der Verschmelzung von Technik und Kunst, von Erfundenem und Erlerntem, von Phantasie und Empfindung entwächst dem Kreis der Logik und dringt in das geheimnisvolle Reich der Eingebung vor, und über jeder Berechnung steht die Idee, die das Material in eine widerstandsfähige Form fügt, damit es seine Aufgabe erfüllt.«
Eduardo Torroja, Konstrukteur.
Karin Tschavgova
Inhalt
Zum Thema
Brückenschlag in Holz
Text: Karin Tschavgova
Ritzeratze! voller Tücke, eine Lücke in die Brücke. Annäherung an ein Bauwerk aus Holz.
Text: Christian Rapp
Projekte
Traversina Steg Graubünden/CH
von Jürg Conzett
Die Kaprizierte
Text: Karin Tschavgova
Brücke Val Tgliplat Graubünden/CH
von Walter Bieler
Die Straßentaugliche
Text: Karin Tschavgova
Brücke Gaißau Gaißau, Vorarlberg
von Hermann Kaufmann
Die Raumbildende
Text: Karin Tschavgova
Raabsteg Feldbach, Steiermark
von Lignum Consult
Die Systemische
Text: Karin Tschavgova
Gespräch
Grundsätzlich interessiert uns alles, was mit Konstruktion zu tun hat.
Walter Zschokke mit Jürg Konzett, Gianfranco Bronzini, Patrick Gartmann
Die Kaprizierte
Die filigrane Erscheinung des Traversina Stegs war geprägt von seiner exponierten Lage, einer tiefen Schlucht am Traversina Tobel, die im Zuge der Rekonstruktion eines historischen Wanderwegs auf den Spuren eines römischen Saumwegs gequert werden sollte. Der schwierige Standort verlangte nach einer leichten, vorgefertigten Konstruktion, die per Hubschrauber transportiert werden konnte und vor Ort nur mehr auf die Auflager gesetzt werden musste. Entstanden ist eine äußerst feingliedrige Fachwerkskonstruktion, die den Eindruck vermittelt, dass man nicht einen Stab herausnehmen dürfte, weil sie sonst wie ein Kartenhaus in sich zusammenfallen würde. Zugleich meint man eine starke innere Spannung zu spüren, den Kräfteverlauf unmittelbar und unverkleidet in Form umgesetzt zu sehen und das sich Stemmen gegen den Wind in der starken Spreizung der Untergurtseile zu erkennen.
Wenn in der materialreduzierten, ephemer wirkenden Stab- Seilkonstruktion auch die ungewöhnlichen Rahmenbedingungen visualisiert zu sein scheinen, so drückt der Traversina Steg doch mit ebensolcher Deutlichkeit und Vehemenz Experimentierfreudigkeit und Formwillen des Ingenieurs aus, der seine Arbeit als Kulturleistung sieht und sich dabei die Freiheit nimmt (und das Vergnügen gönnt), Form als eigenständige Qualität spüren zu lassen. Genau deshalb hätte der Traversina Steg auch ganz anders ausschauen können und so wird nach der Zerstörung der Brücke 1999 durch einen Felssturz der geplante neue Steg, etwa 70 m unter dem ersten, keine Neuauflage des Traversina Stegs sein, sondern sicherlich die Bewältigung einer neuen, mit Conzett'schem Entdeckergeist aufgespürten konstruktiven Herausforderung.zuschnitt, Sa., 2006.07.15
15. Juli 2006 Karin Tschavgova
verknüpfte Bauwerke
Neuer Traversina-Steg
Die Straßentaugliche
Die Brücke Val Tgliplat wird geprägt von der höchst unterschiedlichen topografischen und geologischen Situation der beiden Seiten des Baches und vom Verlauf des Geländes, das sich talwärts trichterförmig weitet. Daraus leiten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einerseits eine asymmetrische Zwischenabstützung auf der Seite des flachen Geländeverlaufs ab und einen trapezförmigen Grundriss, der durch unterschiedliche Spannweiten berg- und talseitig übermäßig große Eingriffe im Terrain vermeidet. Asymmetrie in der Abstützung, im Grundriss und in der Ausbildung unterschiedlicher Geländer verleiht der Brücke Spannung und gibt ihr die äußere Form, ihre Silhouette mit der sich verjüngenden V-Stütze, die durch die flächige Verschalung zum markanten Signet wird.
Das Haupttragsystem der Brücke Val Tgliplat besteht aus einer engen Schar von Längsträgern in bsh-Fichte mit unterschiedlicher Spannweite und Dimensionierung und der asymmetrischen Abstützung. Es wirkt eigentlich als einseitiges Sprengwerk, das sich gegen den Fels lehnt und dessen anderer - imaginärer - Teil vom Fels aufgenommen wird. Auf den Trägern liegt eine 13,5cm starke Kerto-Furnierschichtholzplatte, die die Radlasten verteilt und für die Horizontalaussteifung sorgt.
Walter Bielers Brücken sind immer in Holz ausgeführt. Die Qualität seiner Entwürfe ist mannigfaltig. Sie liegt im Eingehen auf die Topografie als konzeptuellen Ansatz, in der achtsamen Einfügung der Brücken in die Landschaft, in ihrer präzisen formalen Gestaltung und einer modernen, außergewöhnlich körperhaften Erscheinung.
Charakteristik
Die Brücke Val Tgliplat wird geprägt von der höchst unterschiedlichen topografischen und geologischen Situation der beiden Seiten des Baches und vom Verlauf des Geländes, das sich talwärts trichterförmig weitet. Daraus leiten Bieler und der beratende Architekt Reto Zindel einerseits eine asymmetrische Zwischenabstützung auf der Seite des flachen Geländeverlaufs ab und einen trapezförmigen Grundriss, der durch unterschiedliche Spannweiten berg- und talseitig übermäßig große Eingriffe im Terrain vermeidet. Asymmetrie in der Abstützung, im Grundriss und in der Ausbildung unterschiedlicher Geländer verleiht der Brücke Spannung und gibt ihr die äußere Form, ihre Silhouette mit der sich verjüngenden V-Stütze, die durch die flächige Verschalung zum markanten Signet wird. Asymmetrie ist hier nicht abstraktes, willkürlich festgelegtes Thema, sondern gebaute Konsequenz, abgeleitet aus der Topografie.
Tragwerk
Bielers Brücken basieren mehrheitlich auf dem Prinzip einer Fahrbahnplatte, welche die Last verteilt und auf eine darunterliegende, geschützte Tragstruktur abgibt. Das Haupttragsystem der Brücke Val Tgliplat besteht aus einer engen Schar von Längsträgern in bsh-Fichte mit unterschiedlicher Spannweite und Dimensionierung und der asymmetrischen Abstützung. Es wirkt eigentlich als einseitiges Sprengwerk, das sich gegen den Fels lehnt und dessen anderer - imaginärer - Teil vom Fels aufgenommen wird. Auf den Trägern liegt eine 13,5cm starke Kerto-Furnierschichtholzplatte, die die Radlasten verteilt und für die Horizontalaussteifung sorgt.
Holzschutz
Moderne, technisch neue Konstruktionen erfordern für den Graubündner Ingenieur auch die entsprechende Form. Um auf das für historische Holzbrücken typische Dach verzichten zu können und dennoch Dauerhaftigkeit zu erreichen, sind bei Bieler tragende Teile nie ungeschützt der Witterung ausgesetzt. Zwischen Belag und Fahrbahnplatte ordnet er eine wasserdichte Schicht an, außenliegende Teile der Tragstruktur erhalten eine Verschalung. Die Fahrbahn übernimmt die Funktion des Daches. Die seitlichen Geländer werden ebenso wie der Wetterschutz als Verschleißteile gesehen, die bei Bedarf ausgetauscht werden.
Bei der Val Tgliplat-Brücke wird die Kertoplatte durch eine Folie abgedichtet und ist mit einem 17cm starken Belag versehen. Eine Verkleidung aus Lärchenholz zieht sich von der Geländerbrüstung bis zur unteren Kante der Längsträger über die äußeren Teile der Zwischenabstützung und bildet so einen Schutzschild gegen Wasser.
Montage
Die schwierige Zugänglichkeit des Brückenortes machte einen Transport durch den Helicopter notwendig. Seine begrenzte Tragkapazität von 4,5 Tonnen war entscheidend für das statische Konzept. Sie führte zum Verzicht auf schwere Primärträger mit einem Sekundärtragsystem und zur Anordnung der engen Binderschar, die vor Ort mit der Fahrbahnplatte verbunden wurde.
Tragstruktur und Form der Brücke Val Tgliplat sind für den querenden Reisenden kaum sichtbar. Es spricht für den leidenschaftlichen Verfechter eines modernen Holzbrückenbaus, dass sie dennoch mit beeindruckender formaler Verve und Kraft durchgebildet wurde.zuschnitt, So., 2001.07.15
15. Juli 2001 Karin Tschavgova
verknüpfte Bauwerke
Brücke Val Tgiplat
Die Raumbildende
Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.
Die Brücke Gaißau verbindet das österreichische mit dem Schweizer Ufer. Die Forderung nach einer unterhaltsarmen Brücke und die Tatsache, dass an dieser Stelle einmal eine Holzbrücke gestanden ist, bedeutete für Hermann Kaufmann eine Herausforderung zur Neuinterpretation traditioneller überdachter Holzbrücken mit heutigen Mitteln.
Charakteristik
Je zwei massige Träger, die die Seitenwände bilden, dominieren die Brücke über den Alten Rhein. Sein Schweizer Ufer liegt etwas tiefer als das österreichische, was Kaufmann zu einem Konzept mit formaler Brisanz nützt. Indem er das Dach horizontal führt, ergibt sich ein konischer Längsschnitt. Zugleich legt er aber die geneigte Fahrbahn, also den Grundriss dazu gegenläufig konisch an. Das ergibt beim österreichischen Ufer ein quadratisches Portal, auf der schweizer Seite ein hochgestelltes Rechteck.
Tragwerk
Die zwei Hauptträger der Seitenwände mit dazwischenliegendem Zugband aus Stahl bilden ein unterspanntes Tragwerk. Sie bestehen aus jeweils zwei Leimbindern in der Höhe des Daches und über der Fahrbahn und dem parabelförmigen Zugband, das aus vier Flachstählen besteht, die jeweils an den Brückenenden sichtbar sind. Der Horizontalverband unter der Fahrbahn besteht aus Stahl. Das Dach aus einer einfachen Balkenlage, auf die eine 40mm starke Dreischichtplatte genagelt ist, gewährleistet zugleich die Stabilität des Obergurtes. Zwischenstützen über die gesamte Brückenlänge tragen das Dach.
Holzschutz
Die Träger sind beidseitig lärchenverschalt und damit witterungsbeständig. Der Bodenbelag besteht aus robusten gerillten Eichenbohlen. Chemischer Holzschutz wurde nicht angewendet.
Montage
Die Brücke wurde in Hard am Rheindamm zusammengebaut, auf einen Ponton verladen und über den Bodensee zum Alten Rhein geschifft, wo sie mittels Telekränen auf die Widerlager gesetzt wurde. Die Bauzeit betrug 2 Wochen. Die Radfahrbrücke Gaißau bietet ein Raumerlebnis, das an die alten Holzbrücken im Film »The bridges of Madison County«, USA, in der Regie von Clint Eastwood erinnert. Die Brücke als Zwischenwelt, als FlussRAUM. Hermann Kaufmanns Brücke macht das Queren bewusst, ohne hermetisch zu sein.
Annähernd brückenlange Horizontalschlitze, die die Dynamik des Radfahrens unterstreichen, geben den Blick frei auf die idyllische Flusslandschaft.zuschnitt, So., 2001.07.15
15. Juli 2001 Karin Tschavgova
verknüpfte Bauwerke
Brücke Gaissau