Editorial

Euphoriker behaupten, dass mit der Entwicklung neuer Holzwerkstoffe, vor allem der von leistungsfähigen Platten, die konstruktiv eingesetzt werden können, im Holzbau kein Balken auf dem anderen, respektive kein Stab neben dem anderen bleiben wird. Scheiben und Platten ersetzen Stäbe und Bretter.

Die Fläche in Holz kann sich vereinfachen: eine Reduktion von Schichten im tektonischen Aufbau bedeutet weniger Kältebrücken, große Flächen reduzieren die Fugen, ein möglicher diffussionsoffener Aufbau vereinfacht die Bauphysik. Rippen-Plattenelemente im Verbund sind leistungsfähig wie flächige Tragwerke und erübrigen aufwendige Querverstrebungen. Auch die horizontale Fläche emanzipiert sich, sie braucht keine Unterzüge und Sekundärlagen mehr.

Soviel ist offensichtlich. Aber ändert das etwas am Erscheinungsbild der Architektur? Kann der Wunsch der Moderne, die Fläche zu abstrahieren, sie autonom und damit frei zu stellen, im Holzbau nun Wirklichkeit werden - 80 Jahre nach dem Traum, der mangels damals vorhandener Technik nicht in konstruktiver Klarheit erfüllt werden konnte? Sicher ist: Die Unabhängigkeit von Modulordnungen erlaubt, Häuser freier und dynamischer zu planen, die technische Entwicklung von tragfähigen Materialien führt zu immer dünneren Bauteilen und die typische Holzfassade mit sichtbarer Konstruktion weicht einer größeren Vielfalt von Oberflächen, die neutraler wirken.

Vielleicht sollte man formale und räumliche Anliegen mit den Möglichkeiten neuer Holzwerkstoffe und - technologien nicht allzu hoch stecken. Die Beobachtung zeigt, dass sich Form und Ausdruck von Holzhäusern, die mit neuen Werkstoffen operieren, meist nicht wesentlich von jenen unterscheiden, die in »traditioneller« Skelett- oder Rahmenbauweise ausgeführt werden. Nicht in jedem Bau sind massive Platten schon auf den ersten Blick so innovativ angewandt wie im Ausstellungspavillon von Cheret & Bozic in Stuttgart. Die plastisch »gefaltete« Fassade besteht aus Flächen, die über große Distanzen frei gespannt sind und mit einfachen Fügeprinzipien gehalten werden.

Jedenfalls kann es nur darum gehen, Holzbau zu vereinfachen und aus den Fesseln der eigenen Tradition zu schälen. »Damit sind wir bei einem zentralen Anliegen der Architekten Meili & Peter, das Bauen mit Holz von den vertrauten Bildern zu befreien und den neuen Technologien neue Formen abzugewinnen, Formen, die andererseits diese Technologien thematisieren«.(1)
Aus diesem Grund hat sich die Redaktion entschieden, zum Thema Flächen auch die Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft in Biel vorzustellen, obwohl sie, eigentlich ein Skelettbau, weniger mit Platten als mit vorgefertigten Rahmen und Tafeln brilliert.
Karin Tschavgova

Inhalt

Zum Thema
Was bleibt, was wird gefällt?
Kehraus für traditionelles Holzbaudenken
Text: Karin Tschavgova

Vom Blockbau zur Vorfabrikation - Entdeckung der Fläche im Holzbau
Text: Christoph Affentranger

Projekte
Hochschule für Holzwirtschaft Biel / CH
von Marcel Meili, Markus Peter mit Zeno Vogel
Bildhafte Abstraktion
Text: Christoph Affentranger, Martin Steinmann

Bautechnikzentrum TU Graz Graz, Steiermark
von Werner Kampits
Konstruktion transparent gemacht
Text: Karin Tschavgova

Studio Bangert Schopfheim / D
von Dieter Thiel
Konstruktive(r) Rahmen für fließende Räume
Text: Karin Tschavgova

Gespräch
Die Freiheit ist immer dann grenzenlos, wenn ich materialkonform arbeite
»zuschnitt« mit Konrad Merz, Wolfgang Pöschl, Walter Schweran und Gerhard Schickhofer zum Thema »Neue Flächen in Holz«

Konstruktion und Fassade

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Es hängt vom Wissen und der Vorbildung der Betrachter ab, ob sie die Tragwirkung der Fassade richtig interpretieren. Wer in der Tradition der Moderne in jedem Bau eine Trennung in Traggerüst und Füllung vermutet, könnte aus der Betrachtung von Sockelzone und Attikageschoß den Eindruck erhalten, die Außenwand des Lehrgebäudes sei ein Skelettbau, weil von der Tragkonstruktion einzig die Auflagerpunkte über der Fundation und die voluminösen Stützen der Dachbinder sichtbar sind. Tatsächlich entspricht die Tragstruktur dieser Außenwand aber genau dem, was man sieht, nämlich einer flächigen, tragenden Wand, die wie eine durchlöcherte Scheibe wirkt.

Die Öffnungen in der Fassade zeichnen in ihren übergroßen Dimensionen das dahinter liegende Wandelement ab, welches zugleich allseitig als Fensteranschlag dient und im Brüstungsbereich als Überzug für die darunterliegende Decke wirkt. Auf diese Weise ist es möglich, große ungeteilte Fenster einzusetzen, deren Proportionen nicht mehr vom engen Abstand eines Ständers diktiert werden, sondern von ihrer Beziehung zu den großen Räumen.

Die Außenfassaden bestehen aus auf die Konstruktion angeschlagenen Platten aus unbehandelter Eiche. Alle äußeren Wände der Schulräume sind wegen der Scheibenwirkung in der Lage, als kontinuierliche Auflager der Deckenelemente zu dienen. Dies ermöglicht es auch, die Decken der Balkonräume direkt von Klasse zu Klasse zu spannen. Die Tragrichtung verläuft dabei parallel zur Fassade, also rechtwinkelig zu der der Decken in den Klassen. Damit ist eine von stützenden Elementen freie Verbindung der inneren Erschließung mit dem Außenraum möglich, der Raum »fließt« ungehindert ins Innere des Gebäudes.

zuschnitt, So., 2002.09.15

(3) Jürg Conzett und Markus Peter, ebenda

15. September 2002 Karin Tschavgova



verknüpfte Bauwerke
Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft

Bildhafte Abstraktion

Die bestehenden Schulbauten mit Werkhallen und Lagerschuppen der Hochschule in Biel sollten erweitert werden. Die Architekten Conzett, Bronzini, Gartmann fügten südlich des Areals die neuen Werkhallen direkt an den Bestand an. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude. Der 94 m lange und 17 m hohe Holzbau hebt sich von den flachen Nachbarbauten als markantes Zeichen ab. Das Flachdach kragt weit aus und bildet den Wetterschutz der Holzkonstruktion und der vorgehängten Eichenholzfassade. Der Erschließungskern wurde in Beton ausgeführt, die Schuleinheiten sind als selbsttragende Holzkonstruktion ausgeführt. In den Klassenzimmern sind verschiedene Holzarten für die Oberflächen verwendet worden. Bei allen Gebäudeteilen wurden Holz und Beton je nach konstruktiver Eigenschaft optimal zusammengefügt.
Die Hochschule für Holzwirtschaft wurde mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

Das Grundstück der Schweizerischen Hochschule für die Holzwirtschaft Biel liegt am Rand des Ortes direkt an der Hauptstraße. Eine Industriehalle, eine Wohnanlage, der Höhenzug des Juras und offene Felder bilden den Kontext. Hier sollte nach dem Willen der Bauherren die aus zweigeschoßigen Schulgebäuden mit flachen Giebeldächern sowie niedrigen Werkhallen und Lagerschuppen bestehende Anlage aus der Nachkriegszeit verdichtet werden. Mit zwei typologisch unterschiedlichen Eingriffen haben die Architekten das relativ große Raumprogramm auf dem engen Grundstück überzeugend untergebracht. Zum einen bauten sie die neuen Hallen der Verfahrenstechnik im südlichen Teil des Areals direkt an die bestehenden Werkhallen und verbanden so Alt und Neu zu einem grossen und flachen Bau. Als Gegenpol entstand ein viergeschoßiges, kubisches Lehrgebäude, das sich in seiner Mächtigkeit abhebt von den niedrigen Nachbarbauten mit ihren Giebeldächern. Das Besondere an diesem 94 m langen und 17 m hohen Ankerpunkt im städtebaulichen Kontext ist, dass es sich dabei um einen Holzbau mit einem Erschließungskern aus Beton und einer vorgehängten hinterlüfteten Fassade aus Eichenholz handelt.

Das dominante, weit auskragende Flachdach ist nicht nur eine formale Spielerei, sondern entscheidend für den Wetterschutz der Holzkonstruktion. Das Attikageschoß ist auf den Längsseiten um die Balkonschicht zurückversetzt. In den unteren drei Geschoßen durchbrechen auf beiden Hauptfassaden des Gebäudes eingezogene Terrassen die mit Fenstern horizontal strukturierten Wände und lassen das Tageslicht bis in die Erschließungszonen vordringen. In umgekehrter Richtung entstanden so Beziehungen aus dem Gebäude heraus in die Landschaft. Auf Kontraste als Kunstgriff setzen die Architekten im Inneren des neuen Lehrgebäudes. Auf der Ebene der Materialisierung tritt der rohe Beton der Korridore und Treppenhäuser in ein faszinierendes Wechselspiel mit den aus unterschiedlichen Holzarten gebildeten Oberflächen der Klassenzimmer und der übrigen Räume. Die Freude an Proportionen und präzisen Details bestimmt das ganze Gebäude.

Das von den Ingenieuren Conzett, Bronzini, Gartmann aus Chur erarbeitete konstruktive Konzept nutzt beide Materialien, Holz und Beton, optimal. So wurden etwa die den Baukern umgebenden Schuleinheiten als selbsttragende Holzkonstruktion ausgebildet. Dadurch werden die Betondecken des Erschließungskerns nicht durch die Vertikallasten des Holzbaus belastet. Sie tragen primär sich selbst und wurden deshalb als vorgespannte Flachdecken mit großen Spannweiten erstellt. Das Lehrgebäude und die Werkhallen der Hochschule für die Holzwirtschaft sind sichtbarer Beleg dafür, dass ein Bau aus Holz auch im städtischen Kontext bestehen kann. (1)

Die konstruktiven Entscheidungen folgen nicht apriorischen Vorstellungen über neue Arten, mit Holz zu bauen, die verschiedenen Konstruktionen sind vielmehr nach ihrer Zweckmäßigkeit verwendet, pragmatisch, von Fall zu Fall, nicht dogmatisch. Die Architekten haben nicht konstruktive Einheitlichkeit angestrebt: Sie hätte sie zu Entscheidungen geführt, die nicht nur in der Wirklichkeit einer Konstruktion begründet sind. Wenn es trotzdem eine Einheitlichkeit gibt, so liegt sie in der Art, die Konstruktion zu denken, nicht in der Konstruktion selber, die sich daraus von Fall zu Fall ergibt. (2)

Für den bis ins Detail klugen Einsatz des Baustoffes Holz wurde die Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft mit dem »Prix Lignum 1999« ausgezeichnet.

zuschnitt, Sa., 2001.09.15

(1) Christoph Affentranger
(2) Martin Steinmann aus: Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft, Biel Marcel Meili, Markus Peter mit Zeno Vogel Verlag Niggli AG, 2000

15. September 2001 Karin Tschavgova



verknüpfte Bauwerke
Schweizerische Hochschule für die Holzwirtschaft

Konstruktion transparent gemacht

Das Dachtragwerk der zentralen Versuchs- und Prüfhalle des Bautechnikzentrums der TU Graz wurde mit einer innovativen Konstruktion ausgeführt. Sie besteht aus punktgestützten, orthotropen Massivholzplatten mit ca. 22 m Spannweite - eine räumliche Fachwerkkonstruktion, für deren Obergurt das flächige Bauelement Brettsperrholz verwendet wurde. Die restlichen Fachwerkteile wurden in Stahlbau ausgeführt. Der Obergurt erfüllt mit einer Plattenstärke von nur 12,5cm eine Vielzahl von Funktionen. Durch die vorgefertigten Plattenelemente konnte eine relative starre Dachscheibe erzielt werden, mit der es möglich war, die Scheibenlasten des Daches in wenige Aussteifungspunkte zu leiten. Damit konnten die Wände als schlanke Pendelstützen und die Stirnseiten ganz ohne Aussteifung ausgeführt werden, wodurch die Halle in beiden Längsrichtungen erweiterbar bleibt.

Das Bautechnikzentrum der TU Graz besteht aus einer zentralen Versuchs- und Prüfhalle und drei eigenständigen, an die Halle angedockten Baukörpern, die Labors und im Obergeschoß Institutsräume enthalten. Während das Bauwerk, das als universitätseigene Planung unter Mitarbeit der Institute für Hoch- und Industriebau, Holzbau und Betonbau konzipiert wurde, in seiner Gesamtform die Durchmischung von Holz- und Betonbauweise in wenig schlüssiger Weise aufweist und sich das äußere Erscheinungsbild in heterogenem, manchmal allzu modischem Formenrepertoire zeigt, außerdem Details wenig sorgfältig durchgearbeitet sind, stellt das Dachtragwerk der Halle eine bemerkenswert innovative, höchst gelungene Konstruktion dar.

Sie besteht aus einer punktgestützten, orthotropen Massivholzplatte mit ca. 22 m freier Spannweite, genauer: einer räumlichen Fachwerkkonstruktion, für deren Obergurt das flächige Bauelement Brettsperrholz verwendet wurde. Die restlichen Fachwerkteile wurden als Stahlbauteile ausgeführt. Der Obergurt erfüllt mit einer Plattenstärke von nur 12,5cm eine Vielzahl von Funktionen. Die Längs- und die dazwischenliegenden Querlagen der fünfschichtigen Platten bilden gemeinsam das lastannehmende und lastabtragende Konstruktionselement der gesamten Dachfläche, die mit einer auf das Brettsperrholz aufgeleimten OSB-Platte zugleich den inneren Raumabschluss bildet.

Durch die großflächig hergestellten, vorgefertigten Plattenelemente mit einer wirtschaftlichen (Transport-)Breite von 3,2 m konnte mit wenig Aufwand eine relativ starre Dachscheibe erzielt werden, mit der es möglich war, die Scheibenlasten des Daches in einige wenige Aussteifungspunkte zu leiten. Es erlaubte nicht nur ein rundum laufendes Oberlichtband. Die Wände konnten als schlanke »Pendelstützen« und die Stirnwände ganz ohne Aussteifung ausgeführt werden, wodurch die Halle in beiden Längsrichtungen erweiterbar bleibt. Durch die flächige Tragkonstruktion war es auch möglich, einen sauberen, schichtweise getrennten Dachaufbau ohne Durchdringungen und Kältebrücken ausführen zu können. Insgesamt zeigt sich die Halle als konsequent durchdachte, klare und »ehrliche« Lösung, bei der versteckt angeordnete Aussteifungen entbehrlich blieben. Die formale Ausbildung der im Wortsinn »aufgesetzt« wirkenden Lichtsheds in Plattenrichtung wurde sichtlich den konstruktiven Erfordernissen untergeordnet.

zuschnitt, Sa., 2001.09.15

15. September 2001 Karin Tschavgova



verknüpfte Bauwerke
Bautechnikzentrum TU-Graz

31. 1969

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