Editorial

Wie sinnvoll ist die Porta Alpina?

Die Lobbyarbeit der Bündner für die „Visiun Porta Alpina“ hat die Schweiz überrascht. Der Bahnhof mit Lift im Gotthard-Basistunnel ist innert Kürze zur kantonal und national geförderten Entwicklungsstrategie für das Bündner Oberland geworden. Bereits sind beträchtliche Mittel gesprochen, und ein machbares und bezahlbares Projekt steht bereit. Aldo Rota stellt es in seinem Artikel vor.

Über die touristische Stossrichtung, möglichen Nutzen und raumplanerische Folgen der Porta Alpina hingegen gibt es zwar Gutachten, aber bisher keine öffentliche Diskussion. Als öffentlich finanziertes Bauprojekt muss sich die Porta Alpina aber Fragen gefallen lassen. Die Infrastruktur in den Alpen wird über Bundesbeiträge und Finanzausgleich zu einem guten Teil von den Steuerzahlern im Mittelland finanziert. Diese sind auch das primäre Zielpublikum der alpinen Touristenorte. Es erscheint deshalb selbstverständlich, dass ein Projekt wie die Porta Alpina eine landesweite Diskussion verdient. Umso mehr, als sowieso eine grundsätzliche Auseinandersetzung über die Regionalpolitik und die künftige touristische Entwicklung des Landes ansteht.[1]

Auch wenn man die regionalpolitische Tradition nicht so rücksichtslos in Frage stellen will wie „Avenir Suisse“[2] und nicht den halben Alpenraum so pauschal als Brache bezeichnen mag wie das ETH-Studio Basel[3], so möchte man als Mittellandbewohner - gerade weil man viel Zuneigung zu den Alpentälern und ihren Bewohnern hat und sich bemüht, deren Perspektive zu verstehen - doch gern fragen dürfen: Ist die Porta Alpina eine Entwicklung in die richtige Richtung? Eine, die die Schweiz will? Und falls ja: Wird sie auch leisten können, was man sich in der Surselva von ihr verspricht?

Im Mittelland löst die Porta Alpina keine Begeisterung aus. Nicht wegen der Kosten, sondern weil die Agglomerationsbewohner in ihrer hektischen, lärmgeplagten Alltagswelt eher zu viel als zu wenig Technik um sich haben und sich zum Ausgleich in den Bergen nicht nur Resorts wie Davos oder Zermatt wünschen, sondern immer mehr eine ursprüngliche Landschaft und intakte Natur. Die Porta Alpina wird deshalb nicht als Vision wahrgenommen, sondern eher als Neuauflage jener „Wunder der Technik“, mit denen man im 19. Jahrhundert den Alpen zu Leibe rückte.[4]

Doch es gibt auch skeptische Bündner. Der Geograf und Tourismusexperte Stefan Forster betrachtet in seinem Artikel den 1999 eröffneten Vereinatunnel und sieht ernüchternd wenig Wirkung im Unterengadin. Da erscheinen die in Sedrun erwarteten Gäste-, Zuzüger- und Umsatzzahlen sehr optimistisch. Heute wachsen nur noch die Segmente Kulturtourismus und naturnaher Tourismus. Ist da die Porta Alpina nicht ein Zeichen, das in die falsche Richtung weist? Forster möchte endlich eine ernsthafte Diskussion um Alternativen zur traditionellen Erschliessungs- und Infrastrukturpolitik in den Bergen eröffnen. Diese Diskussion wird in den nächsten Jahren im gesamten Alpenraum unumgänglich sein, und sie betrifft uns alle. Ruedi Weidmann

[1] Werner Spillmann, Angelus Eisinger: Vom Wachsen und Schrumpfen der Städte. NZZ 29.5.2006.
[2] Hansjörg Blöchliger: Baustelle Föderalismus. Zürich 2005.
[3] Roger Diener et al.: Die Schweiz. Ein städtebauliches Porträt. Basel 2005.
[4] Helmut Stalder: Porta Alpina oder die Kolonisation der Alpen. Tages-Anzeiger 12.1.2006.

Inhalt

Machbar und bezahlbar
Aldo Rota
Die Porta Alpina als Projekt, technisch gesehen: Der Beitrag zeigt auf, welche Bestandteile des Gotthard-Basistunnels genutzt und in jedem Fall erstellt werden, wie die Station aufgebaut ist und dereinst funktionieren soll, wie sie lokal und regional vernetzt werden kann und wie sich ihre Bedienung in den dichten Eisenbahnfahrplan eingliedern lässt.

Eine Vision für die Surselva?
Stefan Forster
Ein Bündner Geograf und Touristiker stellt unbequeme Fragen zur Porta Alpina. Er vergleicht sie mit dem Vereinatunnel, der wenig Effekt hatte, plädiert für eine Abkehr von der «Doktrin der Erschliessung» und möchte die Diskussion um neue touristische Strategien anstossen.

Ein Vorläufer im Apennin
Aldo Rota
Im Apennin-Basistunnel, zwischen Bologna und Florenz, wurde schon vor 70 Jahren eine Kreuzungs- und Überholstation mit öffentlicher Verbindung zur Oberfläche erstellt.

Magazin
Freisetzung von Schadstoffen / Solaranlagen-Boom / Umweltschutzgesetz für Liechtenstein / Öko-Investitionen lohnen sich / Binding-Waldpreis 2006 für Amden / Messe Basel teilweise unter Schutz? / Park von Schloss Arenenberg soll wieder auferstehen / Abschied von einem Monument des Kalten Krieges /
Ausstellungen / Publikation / Leserbrief / Verkehr / Planung

Aus dem SIA
Energetische Herausforderung für Planer / Vorschau Kurse
2. Halbjahr 2006 / SIA-Normenforum / Auszeichnung SIA «Umsicht»: Eingabetermin

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Machbar und bezahlbar

Die Vision - heute konkreter das Projekt - Porta Alpina bewegt die Gemüter auch weit ausserhalb ihres Ursprungsgebiets im Bündner Oberland. Expertenmeinungen und Laienansichten verschiedenster Fachrichtungen, von nationaler Finanzpolitik bis zu lokaler Ortsplanung, ergeben ein kontroverses Bild. Unabhängig vom politischen Entscheidungsprozess ist die aktuelle Planung schon so weit fortgeschritten, dass der Realisierung aus technischer Sicht nichts im Weg steht.

Die Porta Alpina baut auf dem im Enstehen begriffenen Gotthard-Basistunnel (GBT) auf, weshalb zunächst die relevanten Merkmale dieses Schweizer Jahrhundertbauwerks rekapituliert werden: Der rund 57km lange GBT, der voraussichtlich 2015/16 in Betrieb genommen wird, besteht aus zwei parallelen eingleisigen Tunnelröhren mit ca. 7.7 m Innendurchmesser im Achsabstand von rund 40 m, die alle 312 m durch Querschläge verbunden sind. Ausser von den Portalen Erstfeld und Bodio wird der GBT auch von den Zwischenangriffen Amsteg, Sedrun und Faido aus aufgefahren (Bild 1). Die Zwischenangriffe Sedrun und Faido sind grob in den Drittelspunkten der Tunnellänge angeordnet und werden auf Tunnelniveau zu so genannten Multifunktionsstellen (MFS) für den Tunnelbetrieb ausgebaut. Der Zwischenangriff Amsteg liegt nur ca.7.4km vom Portal Erstfeld entfernt und wird nicht als MFS ausgebaut.

Rettung im Tunnel

Die MFS (Bild 2) fungieren als Gleisverbindungen für Tunnelwechsel in beiden Fahrtrichtungen, Tunnellüftungsstationen (Zu- und Abluft) für normalen Lüftungsbetrieb und Ereignislüftung (Brand im Tunnel), Technikstationen für Energieversorgung und Bahnbetrieb und als Nothaltestellen zur Kontrolle und Evakuation defekter oder gefährdeter Züge. Das Rettungskonzept im Ereignisfall sieht vor, dass die Passagiere eines in einer Nothaltestelle angehaltenen Zuges zur Nothaltestelle in der anderen Tunnelröhre gehen (Selbstrettung) und von dort auf dem Schienenweg aus dem Tunnel gelangen.

Die Nothaltestellen sind in beiden Fahrtrichtungen jeweils vor den Tunnelwechsel-Ästen angeordnet, damit der einfahrende Havariezug die Weichenzungen nicht spitz zu befahren hat (Entgleisungsgefahr). Das bedingt, dass die Enden der Nothaltestellen in Tunnellängsrichtung mindestens 860 m auseinander liegen. Die je 450 m langen Nothaltestellen (maximale Personenzugslänge) sind als einseitig erweiterte Tunnelröhren ausgebildet, die auf der Ausstiegs- bzw. Inspektionsseite einen 2.44 m breiten Perron in der üblichen Höhe von 0.55 m über Schienenoberkante aufweisen (das normale Tunnelprofil verfügt nur über tiefer liegende, weniger als 1.5 m breite Bankette). Von den Perrons führen jeweils sechs Verbindungsstollen im Abstand von 86 m, die durch Sicherheitstüren vom Tunnelraum abgetrennt sind, in den Seitenstollen, der die beiden Tunnelröhren überquert und als Rettungsweg die Nothaltestellen Nord und Süd verbindet.

Im Bereich der Nothaltestellen sind im Tunnelgewölbe je sieben Absaugebauwerke angeordnet, durch die die Abluft im Rahmen der normalen Tunnellüftung, insbesondere aber im Brandfall, gefasst und über separate Abluftstollen und abgetrennte Teilquerschnitte des Seitenstollens aus dem Tunnel abgezogen wird. Frischluft wird den MFS und den anschliessenden Tunnelröhren durch die Seiten- und Verbindungsstollen zugeführt. Im Brandfall können durch die Lüftungseinrichtungen bei einer Nothaltestelle gleichzeitig 250 m³/s Abluft abgesaugt und 200 m³/s Zuluft von aussen eingeblasen werden.

Der Schacht von Sedrun

Der Zwischenangriff bzw. die MFS Sedrun liegt auf 547mü.M., rund 800 m nördlich des Scheitelpunktes des Gotthard-Basistunnels auf Kote 550mü.M. und damit fast 800 m tiefer als der Vorderrhein in der Talsohle unterhalb des Dorfes Sedrun in der Surselva (Bündner Oberland). Die bauliche Erschliessung erfolgt von der Talsohle auf 1336mü.M. aus über einen rund 1000 m langen, 1996 erstellten horizontalen Zugangsstollen in der südlichen Talflanke, der in einer Kaverne über der MFS endet. Von hier führen zwei vertikale Schächte zu einer Schachtfusskaverne im zentralen Bereich der MFS, auf Höhe der Querkaverne zwischen den Tunnelröhren. Dieses Erschliessungskonzept unterscheidet sich grundlegend von jenem der auf Tunnelniveau gleich strukturierten MFS Faido, die über einen Stollen vom Talboden der Leventina aus erreicht wird.

Der im September 2002 fertig gestellte, nicht ausbetonierte Schacht I enthält für den Abtransport des Tunnel- ausbruchs eine Schachtförderanlage, wie sie im Bergbau gebräuchlich ist, und dient sowohl in der Bau- als auch in der Betriebsphase als Zuluftträger. Der Lift im Schacht mit separater Fördermaschinen-Kaverne am Schachtkopf (Bild 3) befördert täglich bis zu 6000t von den verschiedenen Vortriebsstellen anfallendes Ausbruchmaterial aus dem Tunnel. Der einzelne Korb mit Gegengewicht transportiert gegenwärtig rund 50t Material pro Fahrt mit einer Geschwindigkeit von 16 m/s zum Schachtkopf, von wo aus der Schutt mit einer Stollenbahn aus dem Berg gefahren wird.

In der ursprünglichen Planung ist vorgesehen, die Schachtförderanlage nach Abschluss der Hauptarbeiten am Baulos Sedrun etwa 2009 zu demontieren und anschliessend den Innenring des Schachtes mit einem Durchmesser von 7.30 m zu betonieren. Danach, etwa 2011, sollen die definitiven Bauten am Schachtkopf erstellt und eine kleine permanente Liftanlage für Betrieb und Unterhalt der MFS eingebaut werden.

Der später erstellte Schacht II ist bereits mit einem Innendurchmesser von 7 m ausbetoniert. Er wird, wie bereits in der Bauphase, im Tunnelbetrieb als Abluftschacht der MFS dienen. Von den Absaugventilatoren in der Schachtkopfkaverne gelangt die Abluft durch einen rund 450 m langen schrägen Entlüftungsstollen ins Seitental Val Nalps.
Seit der Fertigstellung des Schachtes I ist der Vortrieb der Tunnelröhren von Sedrun aus in Richtung Nord und Süd und der Ausbruch der MFS im konventionellen Sprengvortrieb im Gange. Die letzten Tunneldurchschläge am GBT werden voraussichtlich von Sedrun aus erfolgen: im Norden nach Amsteg ungefähr im Sommer 2008 und im Süden nach Faido etwa im Spätherbst 2008. Da der Beginn der Inbetriebsetzung des GBT auf 2013 geplant ist, verbleibt im Abschnitt Sedrun weniger Zeit für den Einbau der Bahntechnik, insbesondere der Gleise, als in den anderen Abschnitten. Die Baustelle Sedrun gilt daher für den gesamten GBT als zeitkritisch.

Die Idee Porta Alpina

Im Jahr 2000 traten verschiedene Gruppierungen in der Surselva mit der Idee an die Öffentlichkeit, die Nothaltestelle Sedrun zu einer regulären, öffentlichen Haltestelle im GBT auszubauen und die bestehende Schachtförderanlage nach Abschluss der Tunnelbauarbeiten in einen Personenlift umzubauen, damit die für den Zwischenangriff getätigten Investitionen langfristig und nachhaltig genutzt werden können. Dieses auf den einprägsamen (romanischen) Namen „Porta Alpina“ getaufte Vorhaben gewann bald eine überregionale Anhängerschaft und war, noch bevor der Tunnelvortrieb ab Sedrun einsetzte, Gegenstand verschiedener parlamentarischer Vorstösse auf nationaler und kantonaler Ebene zu seiner Unterstützung. Insbesondere hat der Nationalrat am 6. Oktober 2000 ein entsprechendes Postulat von Nationalrätin Brigitta Gadient einstimmig dem Bundesrat überwiesen. Am 28. März 2001 überwies zudem der Grosse Rat des Kantons Graubünden ein Postulat von Grossrat Placi Berther mit derselben Stossrichtung einstimmig an die Bündner Regierung.

Aufgrund des politischen Drucks wurden 2003 unter der Federführung des Kantons Graubünden eine Machbarkeitsstudie und weitere Abklärungen in Auftrag gegeben, die gezeigt haben, dass der Vorschlag sowohl in bautechnischer als auch in betrieblicher Hinsicht machbar und mit finanziell vertretbaren Investitionen realisierbar ist. Auf Grund dieser positiven Beurteilung hat die Ingenieurgemeinschaft Gotthard-Basistunnel Süd (IG GBTS) im Auftrag des Kantons Graubünden bis September 2005 ein Auflageprojekt ausgearbeitet.

Wesentlich ist dabei, dass es sich bei Porta Alpina nicht um eine zusätzliche Haltestelle, sondern um den Ausbau der für den GBT vorgesehenen Nothaltestelle Sedrun handelt. Die wichtigsten Anlagen (Perrons, Verbindungs- und Seitenstollen, Zugangsstollen zum Lift sowie Bauten und Anlagen für die Zu- und Abluft) werden ohnehin im Rahmen der MFS Sedrun erstellt. Als praktikable und kostengünstige Lösung bietet sich der Einbezug der beiden Nothaltestellen Nord (in der Oströhre) und Süd (Weströhre) an. Dabei muss in Kauf genommen werden, dass von den Zügen bis zum Schachtfuss (Lift) beachtliche Distanzen zurückzulegen sind.

Personentransportkonzept

Die von Norden kommenden Fahrgäste gelangen von der Haltestelle über die Warteräume und den Seitenstollen zu Fuss oder mit einem Elektrobus zum Lift am Schachtfuss (Fussdistanz Zugsmitte bis Lift ca. 380 m). Die Haltestelle Süd in der Tunnelröhre für die Fahrtrichtung Süd-Nord ist, bedingt durch die Position der Nothaltestelle, rund 760 m vom Lift entfernt. Über diese Distanz transportiert ein manuell bedienter Elektrobus die Fahrgäste durch den Seitenstollen über die Tunnelröhren hinweg zum Lift (Bild 4).

Der umgebaute, zweistöckige, geschlossene Personenlift im Schacht I befördert im automatischen Betrieb maximal 80 Personen in knapp 2 Minuten zum Schachtkopf. Die Geschwindigkeit von 12 m/s entspricht den schnellsten zurzeit in Betrieb stehenden Personenliften. Mit einer Beschleunigung/Verzögerung von 0.5 m/s2 (entspricht 0.05g) resultiert eine reine Fahrzeit von 102Sekunden. Im Schacht ist ausserdem für die Evakuation im Lift blockierter Passagiere eine autonome, schienengeführte Notfahranlage mit einem Korb für 15 Personen installiert.

In der Kaverne am Schachtkopf kann direkt in konventionelle Busse eingestiegen werden, die durch den bestehenden, ca. 1000 m langen Zugangsstollen zum Portal im Talboden, über den Vorderrhein in den rund 1.2km entfernten Ortsteil Zarcuns an der Kantonsstrasse A19 und nach weiteren 0.9km schliesslich zum Bahnhof Sedrun MGB (Matterhorn-Gotthard-Bahn, früher FO Furka-Oberalp-Bahn) fahren (Bild 6). Denkbar ist auch die Bedienung weiterer Touristikziele wie Bahnhof Disentis RhB/MGB (12km ab Portal), Skigebiet Disentis Nova Sport (11km ab Portal) oder Skilift Dieni/Sessellift Cungieri (je ca. 3km ab Portal).

Aus Sedrun abfahrende Fahrgäste benützen dieselben Transporteinrichtungen in umgekehrter Reihenfolge, wobei je nach Frequenz und Betriebsablauf Passagiere schon einige Zeit vor Ankunft ihres Zuges auf Tunnelniveau eintreffen. Auf Grund der extremen Druck- und Windverhältnisse und der Lärmeinwirkungen bei Zugsdurchfahrten im Tunnel und auch aus Sicherheitsgründen können sie jedoch nicht, wie sonst landesweit auch bei Hochgeschwindigkeitsstrecken üblich, einfach auf dem Perron auf ihren Zug warten. Da die Perrons erst nach Eintreffen eines Zuges betreten werden dürfen, sind pro Haltestelle (Fahrtrichtung) geschützte Warteräume zwischen Seitenstollen und Tunnelröhre erforderlich. Die Warteräume und die übrigen Einrichtungen für die Porta Alpina dürfen die Funktion der Nothaltestellen für die Evakuation der Passagiere von havarierten Zügen gemäss dem eingangs beschriebenen Rettungskonzept der MFS nicht beeinträchtigen. Deshalb werden die ankommenden Passagiere durch die Warteräume zum Elektrobus im Seitenstollen geführt und nicht durch die für Notfälle vorgesehenen Verbindungsstollen.

Die Personenführung in der Station ist umständlich (Bild 5) und beansprucht von der Ankunft eines Zuges in der Porta Alpina bis zum Eintreffen im Dorf Sedrun rund 20 Minuten. Die Leistungsfähigkeit der Porta Alpina ist durch die komplexen Abläufe und die Liftkapazität von 80 Personen pro Richtung und Fahrt eingeschränkt. Ab 160 Personen pro Zug können sich nennenswerte Wartezeiten von über 15 Minuten ergeben.

Bauliche Massnahmen

Für die Realisierung des oben beschriebenen Personentransportkonzepts der Porta Alpina sind bauliche Massnahmen erforderlich, deren Projektierung, teilweise mit Varianten, bis zur Baureife fortgeschritten ist:

- In jeder (Not)haltestelle werden, zwischen den Verbindungsstollen verteilt, zwei etwa 32 m lange, rund 10 m breite und im Gewölbe ca. 5.5 m hohe Warteräume erstellt (Bild 7). Jede dieser Wartehallen bietet Platz für 240 Personen (davon 60 Sitzplätze), verfügt über entsprechende Sanitärräume und ist durch teilweise verglaste Tore und Wände vom Perron in der Tunnelröhre getrennt.
- Beidseits der Eingänge zu den Warteräumen wird das Tunnelprofil auf rund 80 m Länge einseitig noch mehr aufgeweitet, sodass die Perronbreite in diesen Bereichen 4.0 m beträgt gegenüber den ca. 2.4 m Breite in der restlichen (Not)haltestelle (Bilder 8 und 9).
- Dazu kommen diverse bauliche Massnahmen für die Gestaltung der Personenverkehrswege auf Tunnelniveau. Zudem sind Einbauten und Anpassungen im Bereich von Schachtkopf und Schachtfuss (Bild 11) erforderlich.

Als Verbindung zum 800 m höher gelegenen Zugangsstollen wird die weitere Verwendung des vorhandenen Lifts im Schacht I (im Zuluftstrom) nach der Betonierung des Schachtes als zweckmässig erachtet (Bild 10). Dabei werden die Hauptkomponenten der heutigen Schachtförderanlage nach einer gründlichen Revision übernommen und an die im Kapitel „Personentransportkonzept“ beschriebenen Bedürfnisse der Porta Alpina angepasst.

Bahnbetrieb

Die Potenzialabschätzung geht von einem stündlichen Halt je Richtung in der Station Porta Alpina Sedrun aus, was 18 Zugspaaren pro Tag entspricht. Wird die Station weniger häufig bedient, steigen Pendler erfahrungsgemäss kaum auf den Zug um.
Das bahnbetriebliche Konzept baut auf den Grundlagen der FinÖV-Vorlagen von 1997 auf. Die A-Züge (EuroCity, InterCity) sind so knapp in die Knoten Zürich und Mailand eingebunden, dass ein Halt in der Porta Alpina nicht möglich ist und auch von der Haltestruktur her nicht zu rechtfertigen wäre. Bei einer Nachfrage von je 250 Ein- und Aussteigern pro Tag ist üblicherweise maximal ein Halt eines B-Zuges (InterRegio, RegioExpress) gerechtfertigt. Der weniger zeitkritische zweistündliche B-Zug Luzern/Zürich-Arth-Goldau-GBT-Bellinzona-Locarno wird zwischen 5 und 24 Uhr mit einem Zusatzzug zum Stundentakt ergänzt und in der Porta Alpina angehalten.

Da der B-Zug zwischen den langsameren Güterzügen verkehrt und mit dem Halt in der Porta Alpina deren Geschwindigkeitsniveau erreicht, wird die Kapazität im Tunnel durch den Halt kaum beeinträchtigt. Der zusätzliche B-Zug beansprucht zweistündlich ein eigenes Trassee, das nicht mehr für Güterzüge zur Verfügung steht.
Die Zeitersparnis von den nördlichen Zentren zum Bahnhof Sedrun MGB beträgt rund 1.5 Stunden, von Süden und von St. Gallen aus ist sie etwas kleiner.
Diese Zeitersparnis beschränkt sich auf die obere Surselva, insbesondere Disentis und Umgebung. Nach Ilanz hingegen bleibt der Weg aus den nördlichen Zentren via Chur kürzer.


Zusatz:

Kosten und Ertrag

Der Kostenrahmen der Gesamtinvestitionen für die Porta Alpina wird in den Erläuterungen des Grossen Rates des Kantons Graubünden zur Volksabstimmung vom 12. Februar 2006 „realistischerweise“ (d.h. bei einer „üblichen“ Kostenschätzungsungenauigkeit von -10/+30%) auf 50Mio. Fr. veranschlagt. Davon betragen die reinen Baukosten inklusive Umbau/ Erneuerung der Liftanlage 38Mio. Fr. Diese Angabe erscheint verhältnismässig tief, ist aber durch die relativ kleinen Ausbruch- und Bauarbeiten, die zusätzlich zu den bereits bestehenden oder im Bau befindlichen Anlagen der Nothaltestellen erforderlich sind, begründet. Für Fahrzeuge in der Station (konventioneller Bus für Niveau Schachtkopf, Elektrobus für Niveau Tunnel, Unterhaltsfahrzeuge und Werkstatteinrichtungen) werden rund 3.5Mio. Fr. veranschlagt, die in den Gesamtinvestitionen enthalten sind.

Die mutmasslichen jährlichen Betriebskosten werden auf rund 2.4Mio. Fr. geschätzt. Davon entfallen rund 1.7Mio. Fr. auf Personalkosten für zehn bis zwölf Mitarbeitende (die Station ist während der Betriebszeiten, 5 bis 24 Uhr, permanent mit zwei Personen besetzt, eine davon auf Tunnelniveau) und rund 0.7Mio. Fr. auf Energie- und Unterhaltskosten (beispielsweise wird die elektrische Energie für den Liftantrieb mit 120000 Fr. veranschlagt).
Weitere Kosten sind für das zusätzliche Bahnangebot für die Bedienung der Porta Alpina zu berücksichtigen, das bei der ausgewiesenen Nachfrage (siehe weiter unten) kaum kostendeckend produziert werden kann und daher grösstenteils bei den SBB bestellt werden muss. Die zu bestellende Menge der Zugskilometer ist abhängig vom Fahrplan und von den auszuhandelnden Abgeltungsmodalitäten. Der für die Zusatzleistungen im Bahnbetrieb abzugeltende jährliche Anteil wird grob zwischen 0 und 8Mio. Fr. veranschlagt.

Eine 2003 in Auftrag gegebene Bedürfnisabklärung für eine Tunnelstation Sedrun schätzt das Potenzial auf werktäglich rund je 250 Ankünfte und Abfahrten. Bei den Tagestouristen (Wintersport) wird von einem konzentrierten Durchschnitt von 1000 Personen pro Wochenende ausgegangen, wobei bis zu 500 Personen allein an einem schönen Wintersonntag erwartet werden. Der Verkehr dürfte zu etwa 75% von/nach Norden ausgerichtet sein.[1]
Die dem Projekt, unter Verwendung der oben stehenden Daten, zu Grunde gelegte Kosten-Nutzen-Analyse rechnet unter Berücksichtigung der Verkehrserträge mit einem Kostendeckungsgrad zwischen 86% und bestenfalls über 104%. Als zukünftige Betreiberin der Infrastruktur wird aus der Sicht der Bündner Regierung eine Bahnunternehmung (beispielsweise RhB oder MGB) favorisiert, die die Anforderungen einer reibungslosen Betriebsführung am besten zu erfüllen vermag.

Literatur
[1] Marktanalyse und Bedürfnisabklärung für eine Neat-Tunnelstation Sedrun (Porta Alpina), Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus, Universität St. Gallen, 2005.

TEC21, Fr., 2006.06.16

16. Juni 2006 Aldo Rota

Eine Vision für die Surselva?

Die Porta Alpina hat eine steile Karriere von der „Schnapsidee“ zum umjubelten Pionierprojekt hinter sich, sie ist ein Lehrstück für regionalpolitisches Lobbying. Doch wie so oft bei rasanten Aufstiegen geht unterwegs einiges vergessen, werden anstehende Fragen grosszügig übersprungen. Dieser Artikel möchte ein paar Fragen zur Porta Alpina und zur alpinen Raumentwicklung nachholen und die Diskussion um Chancen, Risiken und Alternativen eröffnen.

Der ländliche Raum steht aufgrund der sozioökonomischen Polarisierung vor grossen Herausforderungen. Die regionalpolitische Erschliessungs- und Infrastrukturpolitik der letzten 30 Jahre hat die räumlichen Disparitäten in der Schweiz nicht aufgehoben, im Gegenteil: Die Ungleichheiten akzentuieren sich. Auch die obere Surselva und der gesamte Gotthard-Raum sind davon exemplarisch betroffen. Aufgrund der demografischen Entwicklung, der Siedlungsstruktur und ökonomischer Kennzahlen lassen sich in Graubünden und im gesamten Alpenraum grundsätzlich vier Raumtypen mit je unterschiedlichen Entwicklungstendenzen beobachten:

- Zentrumsregionen mit stark urbanisiertem Kern und periurbanen Agglomerationsräumen. Neben dem Tourismus und übrigen Dienstleistungen sind in diesen Räumen oft auch Industrie und Gewerbe stark entwickelt. Zu diesem Raumtyp zählen das Churer Rheintal als wirtschaftlich diversifiziertes Kantonszentrum und die grossen Tourismuszentren wie Davos und das Oberengadin.
- Periurbane Regionen mit einer hohen Auspendlerquote in inner- oder oft auch ausseralpine Zentren. Charakteristisch ist bei diesem Raumtyp ein Bevölkerungswachstum mit geringer wirtschaftlicher Dynamik. Darunter fallen die Auspendlerregionen in Zentrumsnähe wie das Domleschg, das Schanfigg oder Gebiete in der Surselva.
- Ländliche Räume mit disperser Siedlungsstruktur und nach wie vor starker Prägung durch den Agrarsektor, Gewerbe und etwas Tourismus. Dieser Raumtyp weist eine mehr oder weniger ausgeglichene Bevölkerungsbilanz auf. Dazu können weite Teile Mittelbündens und der Surselva gezählt werden, das mittlere Prättigau, das Puschlav oder das Bergell.
- Entleerungsregionen mit starkem Bevölkerungsrückgang und sehr hohem Anteil an Landwirtschaft. Ausgeprägte Entleerungsräume wie in den Westalpen gibt es im Kanton Graubünden noch keine. Als potenziell gefährdet können höchstens das Safiental und das Calancatal bezeichnet werden.

Schrumpfende Dörfer

Wenn wir nun diese allgemeine Typisierung, die im Kern dem aktuellen Raumplanungsbericht des Bundes (ARE 2005) entspricht, auf den Gotthard-Raum umlegen, dann sticht die Porta Alpina mitten in den grössten zusammenhängenden ländlichen Raum der Schweiz. Dieser steht vor grossen Herausforderungen. Der landwirtschaftliche und der gewerbliche Strukturwandel führt auch hier zu erheblichen Problemen. Die traditionelle Berglandwirtschaft verliert ihre Bedeutung als Einkommensbasis. Im Gegensatz zu den 1960er- und 1970er-Jahren können die anderen Branchen diesen kontinuierlichen Rückgang nicht mehr auffangen. Seit den 1990er-Jahren stagniert der Tourismus. Die alpinen Wintersportorte verlieren kontinuierlich und zum Teil dramatisch Logiernächte, u.a. weil sich die Nachfrage nach Wintersportangeboten diversifiziert und nicht mehr alle Ski fahren wie noch in den 1970er-Jahren, als das Skifahren praktisch zur schweizerischen Sozialisation gehörte. In direktem Zusammenhang damit verliert das Gewerbe, das in den Randregionen über lange Zeit einen starken Beschäftigungseffekt hatte, seit 15 Jahren an Bedeutung. Und im Dienstleistungssektor entstehen im Gegensatz zu den Zentrumsregionen keine neuen Arbeitsplätze. Wir befinden uns mitten in einem kumulativen Schrumpfungsprozess des ländlichen Raumes: Wegen der fehlenden Beschäftigungsgrundlage wandert ein Teil der jüngeren Bevölkerung in die regionalen und nationalen Zentren ab. Daraus resultiert ein sozialer Substanzverlust, der wiederum oft dazu führt, dass die personellen Ressourcen für eine innovative Weiterentwicklung fehlen. Folge des Rückgangs der regionalen Wirtschaftskraft und des Abbaus von Arbeitsplätzen ist die Gefährdung der öffentlichen Infrastruktur und der Dienstleistungen.

Diese Entwicklung hat sich in den letzten Jahren akzentuiert, obwohl Milliarden von öffentlichen Geldern in den Ausbau der Verkehrserschliessung, den Aufbau der öffentlichen Infrastruktur und in die Unterstützung der Landwirtschaft geflossen sind. Das zeigt, dass die verkehrtstechnische Erschliessung und die öffentliche Infrastruktur nicht das alles entscheidende Kriterium für Entwicklungsperspektiven des ländlichen Raumes sind. Die Entwicklung im Gotthard-Raum unterstreicht diese These. Das Urnerland kämpft im oberen Reusstal mit gravierenden Strukturproblemen. Die oben ausgeführten kumulativen Degradierungsprozesse sind weit fortgeschritten, obwohl das obere Reusstal wohl zu den am besten erschlossenen ländlichen Räumen in Europa gehört. Dasselbe könnte über die Region der Tre Valli auf der Südseite des Gotthards gesagt werden.

Ein Tunnel oder ein Lift generieren noch keine Übernachtungen

Um die Bedeutung der Erschliessung zu untersuchen, bietet sich auch der Vereinatunnel an. Der Eisenbahntunnel mit Autoverlad verbindet das Prättigau mit dem Unterengadin. Um die Auswirkungen auf die räumliche Entwicklung seit der Eröffnung 1999 zu analysieren, hat das Bundesamt für Raumentwicklung einen Bericht vorgelegt (ARE 2006). Mit dem Vereinatunnel wurde die Erreichbarkeit des Unterengadins aus den Zentren des Mittellandes erheblich verbessert. Die Anreise mit der Bahn von Zürich wurde um zwei Stunden verkürzt und dauert heute noch rund 2 Stunden und 40 Minuten. Der Tunnel hat an der peripheren Lage des Unterengadins aber grundsätzlich nichts verändert. Er hat nicht zu einer Verlagerung des Personenverkehrs auf die Schiene geführt, die Nachfrage nach Zweitwohnungen im Unterengadin hat sich nicht erhöht, und auch die Preisentwicklung im Immobiliensektor wurde nicht beeinflusst. Nachdem sich die Logiernächtezahl kurzfristig erhöhte, liegt sie heute mit rund 840000 Logiernächten (gesamtes Unterengadin von Susch bis Martina) wieder auf dem Niveau von 1999. Geht man weitere zehn Jahre zurück, als die Logiernächte weit über eine Million Übernachtungen jährlich ausmachten, so hat das Unterengadin im Vergleich zu anderen Destinationen im Alpenraum gar überdurchschnittlich an Logiernächten eingebüsst. Deutlich zugenommen hat hingegen der Tages- oder Kurzaufenthaltstourismus. Dies wohl hauptsächlich, weil mit dem „Bogn Engiadina“ in Scuol ein attraktives Angebot vorhanden ist, das von der besseren Erreichbarkeit direkt profitiert. Die Eintritte ins Bad haben sich seit der Eröffnung des Vereinatunnels um ca. 25% erhöht. Da sich heute die Logiernächte auch in Scuol wieder auf dem Niveau von 1999 eingependelt haben, zeigt sich deutlich ein Problembereich der besseren Erreichbarkeit (Tagesdistanz). Als primäres Reisemotiv gilt ein Besuch der Hauptattraktion, der Anreiz, länger als einen bis zwei Tage in der Region zu bleiben, fällt weg. Das Unterengadin steht heute nicht so schlecht da wie andere Regionen. Wie weit dies auf den Vereinatunnel zurückzuführen ist bzw. ob die Entwicklung des Unterengadins ohne Vereinatunnel schlechter verlaufen wäre, kann hier wegen der Menge an Einflussfaktoren nicht untersucht werden.

Tatsache ist, dass in der oberen Surselva eine mit dem „Bogn Engiadina“ vergleichbare Hauptattraktion fehlt. Aufgrund der Analyse der räumlichen Auswirkungen im Unterengadin nach dem Bau des Vereinatunnels stellt sich die Frage, wie nachhaltig die Baukosten für die Porta Alpina angelegt wären. Es muss wohl die eher ernüchternde ökonomische Potenzialanalyse zur Porta Alpina von Thomas Bieger, Universität St.Gallen, als realistisch angesehen werden: „Mit einer signifikant steigenden Zahl von Übernachtungsgästen kann nicht gerechnet werden.“ (Bieger 2005) Die Analyse der Auswirkungen des Vereinatunnels zeigt weiter - und das scheint im Vergleich zur Situation im Gotthard-Raum sehr aufschlussreich -, dass sich die Beziehungen zwischen den Akteuren im Prättigau und im Unterengadin betreffend Kooperationsbemühungen, vernetzter Angebotsentwicklung und grundsätzlich neuer interaktiver ökonomischer und sozialer Prozesse nicht verändert haben, d.h., weiterhin praktisch inexistent sind. Dies relativiert auch die Hoffnung von Bundesrat Joseph Deiss, die Porta Alpina könnte als „Initialzündung“ für die Entwicklung im gesamten Gotthard-Raum wirken („Südostschweiz“ vom 18.5.2006), weil vorauszusehen ist, dass auch hier die topografischen und die kulturellen Grenzen nicht überwunden werden.

Die Porta Alpina verstellt den Blick auf wahrhaft neue Perspektiven

Die zunehmende Polarisierung der schweizerischen Raumentwicklung wird momentan kontrovers und heftig diskutiert. Vor allem die strukturschwachen Räume, die zu einem erheblichen Teil von öffentlichen Transferleistungen und Subventionszahlungen abhängig sind, kommen zunehmend unter Druck. Angestossen wurde die Debatte aus wirtschaftsnahen Kreisen, die unter dem Primat der neoliberalen Deregulierung eine rein ökonomische und kurzsichtige Kostenwahrheit fordern. Aber auch das ETH Studio Basel (Institut Stadt der Gegenwart), das unter der Federführung der Architekten Jacques Herzog, Pierre de Meuron, Marcel Meili und Roger Diener in ihrer Publikation „Die Schweiz - Ein städtebauliches Porträt“ den alpinen ländlichen Raum als „Brachland“ bezeichnet, hat einen wichtigen Beitrag zur aktuellen Debatte geleistet. Die Diskussion wird auch auf politischer Ebene geführt. Anlass dazu sind u.a. die Bemühungen, ein neues Konzept für die schweizerische Regionalpolitik zu erarbeiten, und die Bearbeitung der Vorlage für die Agrarpolitik 2011. Unabhängig davon, wie man die Ansätze und Konzepte im Einzelnen beurteilt, wird sehr deutlich, dass ein Umbruch im Gange ist und nach neuen regionalpolitischen, raumplanerischen und ökonomischen Steuerungsmechanismen gesucht wird.

Typisch - und ein Teil der bisherigen Problemlage - ist dabei auch die reflexartige Abwehrhaltung der politischen und meinungsbildenden Akteure aus dem Berggebiet gegen zum Teil durchaus konstruktive Diskussionsvorschläge. So verkümmert die sehr wichtige Diskussion auf ein reines Seilziehen um die Bewahrung der erheblichen staatlichen Transferleistungen. Dieses Seilziehen um die knapper werdenden Bundesgelder zeigt sich auch in einer gewissen Hyperaktivität in den strukturschwachen Räumen, was die Projektkonzepte und -entwicklungen angeht. Zwischen Genfersee und Unterengadin werden momentan zahlreiche mehr oder weniger innovative Projekte lanciert, die als rettende Strohhalme angesehen werden, aber in ihrer langfristigen Wirkung eher überschätzt werden. Diesen Projekten, die punktuell durchaus erfolgreich sein können, fehlt der gemeinsame neue Boden in der zunehmend urbanen Schweiz, die gemeinsame komplementäre Strategie zu den Metropolitanräumen für eine neue Idee des ländlichen Raumes. Sie funktionieren nach dem alten, bewahrenden Muster, das die Polarisierung der Raumentwicklung weiter verstärken wird. Vom Bund über die Kantone bis zu den Gemeinden werden je eigene „Raum-Welten“ neu erfunden. Die Raumplanung versucht diese einander überlagernden und oft widersprechenden „Welten“ zu ordnen. Die Akteure vor Ort zählen auf den solidarisch ausgeprägten „Bergmythos“ und die damit verbundene finanzielle Unterstützung von aussen.

Werden in der laufenden Diskussion über die Porta Alpina diese Grundsatzfragen ausgeklammert, wird die Porta Alpina als weiteres kostenintensives Beispiel für die überholte räumliche Bewahrungsdoktrin in die Geschichte eingehen. Dann würde sie keine neue Idee darstellen, sondern nach alter, regionalpolitischer Schule die Doktrin der Erschliessung und des Infrastrukturausbaus verfolgen. Sie ist in diesem Sinn nicht visionär. Denn es wird übersehen, dass das traditionelle Modell des Disparitätenausgleichs, der gutschweizerischen „räumlichen Gerechtigkeit“, der technokratisch geplanten und regionalpolitisch regulierten Bestandesbewahrung ausgedient hat und neue, differenzierte Entwicklungsstrategien notwendig werden.

Den ländlichen Raum neu denken

Es ist notwendig, dass der ländliche Raum selbstbewusst und in Zusammenarbeit mit den Metropolitanräumen neue Konzepte entwirft. Der räumliche Ausgleich muss neu gedacht werden. Die Lehren aus der Vergangenheit müssen integriert und die heutigen Realitäten akzeptiert werden. Dabei sollen nicht die Bewahrung der Transferleistungen für den ländlichen Raum im Vordergrund stehen, sondern neue sozioökonomische Chancen integriert werden. Anhand des Beispiels der Porta Alpina möchte ich drei Diskussionsbeiträge formulieren, die dies unterstreichen sollen:

1. Welche Landschaft wollen wir?

Diese an sich banale Frage steht am Anfang der Diskussion. Es muss geklärt werden, welche Landschaft die Gesellschaft in Zukunft möchte und wie viel sie kosten darf. Es braucht einen politischen Diskurs über die zukünftige Landschaftsentwicklung in der Schweiz. Heute dominieren Partikularinteressen, das „grosse Bild“ fehlt. Im Rahmen eines Teilprojektes des NFP 48 „Landschaften und Lebensräume der Alpen“ konnte gezeigt werden, dass sehr unterschiedliche Vorstellungen darüber bestehen, wie sich die Landschaft entwickeln soll. (Forster, 2006) Inneralpin herrscht nach wie vor eine eher funktionalistisch-technische Sicht auf die Landschaft vor, während die ausseralpine Bevölkerung ein romantisch-idyllisches Bild der Landschaftsentwicklung bevorzugt. Für die Erarbeitung von neuen Konzepten braucht es dringend Konsensbemühungen, die die unterschiedlichen Sichtweisen zusammenführen. Weder im Gotthard-Raum noch in der Surselva wurde diese Frage angegangen. Darum werden gleichzeitig sehr unterschiedliche und sich widersprechende „Landschaftsprojekte“ lanciert - beispielsweise das Nationalpark-Projekt „Parc Adula“, das auf einer kantonsübergreifenden Fläche mit der Greina-Hochebene im Zentrum die vielfältige Landschaft schützen und Wertschöpfung für die anliegenden Regionen generieren soll. Gleichzeitig wird in Andermatt, das von einem ägyptischen Investor eher zufällig und ohne Bezug zur Region auserwählt wurde, ein künstliches Ferien-Resort geplant. In der Surselva entstehen drei neue Golfplätze (neben dem bereits bestehenden in Sedrun), obwohl sehr fraglich ist, ob die Nachfrage überhaupt vorhanden ist. Die Aufzählung liesse sich verlängern. Bis auf Gemeindeebene hinunter wird ein eher widersprüchlicher Einzelprojekt-Aktivismus sichtbar ohne Konsens und ohne gemeinsame und abgestimmte Strategie für die Landschaftsentwicklung.

2. Wie nutzen wir das Potenzial der Differenz?

Die kulturelle, soziale und ökonomische Lebensweise auf dem Land unterscheidet sich heute nicht mehr wesentlich vom städtischen Alltag. Trotzdem - oder gerade deshalb - müssen die Differenzen neu definiert und fruchtbar gemacht werden. Die Globalisierung führt zur Suche nach Übersichtlichkeit im Regionalen. Die alltägliche Hektik fördert bei den Agglomerationsbewohnern des Schweizer Mittellandes die Sehnsucht nach Entschleunigung. Der unpersönliche Leistungsdruck im Beruf sucht im Wunsch nach einer „echten“, menschlichen Begegnung einen wohltuenden Ausgleich. Die gesichtslosen, zusammenwachsenden Agglomerationen wecken die ästhetische Lust nach intakten Landschaften. Die bisherige Strategie des Disparitätenausgleichs, der „räumlichen Gerechtigkeit“ durch Erschliessungs- und Infrastrukturplanung muss deshalb abgelöst werden. Nicht mehr die unmögliche Nivellierung des Raumes soll im Vordergrund stehen, sondern vielmehr müssen die unterschiedlichen, komplementären Qualitäten herausgestrichen werden. Denn im Unterschied (nicht als Abschottungs-, sondern als komplementäre Strategie) liegt das Entwicklungspotenzial für den ländlichen Raum. Differenzen aufzeigen heisst Rückbesinnung und Weiterentwicklung der eigenen Qualitäten in der Bewältigung eines globalen Strukturwandels.

Die Porta Alpina entspricht dem überholten räumlichen Nivellierungskonzept, verwischt die Differenzen zwischen ländlichen und städtischen Räumen und degradiert so letztlich einen Teil des originären Potenzials der Surselva, das gerade hier noch ausgeprägter erhalten ist als in anderen Schweizer Alpentälern.


3. Wie können Potenziale für naturnahen Kulturtourismus erkannt und genutzt werden?

In einem solchen komplementären Tourismuskonzept ist der ländliche Raum Träger der zunehmend wichtigen Kernwerte eines natur- und kulturnahen Tourismus. Diese Werte müssen besser genutzt werden, denn die Nachfrage danach wird steigen. In der Freizeit und im Tourismus spiegeln sich die veränderten gesellschaftlichen Bedürfnisse: Regionalität, Entschleunigung, Begegnung, intakte Landschaften und authentische Erlebnisse sind darum auch die zentralen Begriffe der Erwartungen an den natur- und kulturnahen Tourismus, der Natur und Landschaft schont, die authentische Kultur fördert und die regionale Wirtschaft des Ferienortes belebt. Eine Befragung der Hochschule Rapperswil von Anbietern im Bereich des naturnahen Tourismus ergab, dass diese mit einer Zunahme des Marktvolumens von bis zu 40% in den nächsten zehn Jahren rechnen. Heute bewegen sich die Gesamtausgaben der „naturnahen“ Schweizer Gäste jährlich bei etwa 2.3 Milliarden Franken. Der naturnahe Tourismus tritt aus seiner Nische heraus und wird zu einem wichtigen und interessanten Marktsegment.

In der Surselva, dem Vorderrheintal und der Gotthard-Region gibt es zahlreiche Beispiele von möglichen Zielen für naturnahen Kulturtourismus, deren Potenzial heute zu wenig genutzt wird und brachliegt. Dazu gehören u.a. die Rheinquelle, die Verkehrsgeschichte des Gotthards und des Furka-, Oberalp- und Lukmanierpasses, die Militärgeschichte im Zentrum des Reduit, die dichte Vielfalt an Sprachkulturen rund um den Gotthard, die Specksteinvorkommen, die überdurchschnittlich intakten Landschaftsräume etwa im Bleniotal, im Lugnez und in anderen Seitentälern.

Die Porta Alpina ist eine faszinierende Idee. Wie eine Feuerwehrrakete hat sie die 150 Täler Graubündens hell erleuchtet und eine an sich positive gemeinsame Sache geschaffen. Nachdem nun der helle Schein etwas verblasst ist und sich der Rauch verzieht, müssen die wichtigen, zum Teil natürlich unangenehmen Fragen endlich breit diskutiert werden. Es reicht nicht, nun
einfach punktuelle Konzepte nachzuschieben. Die wirklichen Grundsatzfragen für eine gemeinsame, nachhaltige Entwicklungsstrategie in der oberen Surselva und im gesamten Gotthard-Raum müssen zuerst geklärt werden.


Literatur
Amt für Raumentwicklung: Richtplanung Graubünden - Porta Alpina und nachhaltige Raumentwicklung. Zusatzbericht, 2005.
Bätzing, W.: Die Alpen. Entstehung und Gefährdung einer europäischen Kulturlandschaft. Beck-Verlag, München, 2003.
Bau-, Verkehrs- und Forstdepartement, Kanton Graubünden: Raumkonzept Gotthard. Grundlagen, Inhalte, Struktur und Prozess, 2005.
Bieger, T., Laesser, C.: Marktanalyse und Bedürfnisabklärung für eine Neat-Tunnelstation Sedrun - Porta Alpina. Institut für öffentliche Dienstleistungen und Tourismus, Universität St. Gallen, 2005.
ARE Bundesamt für Raumentwicklung: Räumliche Auswirkungen des Vereinatunnels - eine ex-post Analyse. Zusammenfassung, 2006.
ARE Bundesamt für Raumentwicklung: Raumentwicklungsbericht des Bundes 2005, Bern, 2005.
Caminada, Gion A.: Untersuchungen zur Surselva. ETH Zürich, Departement Architektur, 2004/2005.
Diener, R. et al.: Die Schweiz - Ein städtebauliches Portrait, ETH-Studio Basel, Institut Stadt der Gegenwart. Birkhäuser Verlag, 2005.
Forster, S., Buchecker, M., Hunziker, M., Meier, C.: NFP 48 „Zielvorstellungen und -konflikte hinsichtlich alpiner Landschaftsentwicklungen“. Landschaftsentwicklung im Albulatal und im Sursès - Handlungsempfehlungen für den Regionalverband Mittelbünden. WSL, Birmensdorf, 2006.
Schuler, M., Perlik, M., Pasche, N.: Nicht-städtisch, rural oder peripher - wo steht der ländliche Raum heute? ARE, Bundesamt für Raumentwicklung, Bern, 2004.
Siegrist, D., Stuppäck, S.: Potenzialstudie naturnaher Tourismus in der Schweiz. Institut für Freizeit, Tourismus und Landschaft der Hochschule Rapperswil, 2002.


Zusatz:

Finanzierung und Politik

Am 21. Dezember 2004 hat die Regierung des Kantons Graubünden dem Bundesrat ein Gesuch um Finanzierung des Vorhabens „Porta Alpina Sedrun“ eingereicht. Der Kanton Graubünden hat sich bereit erklärt, sich seinerseits an der Finanzierung zu beteiligen.

Am 12. Februar 2006 ist in Graubünden der Kantonsbeitrag von 40% (6Mio. Fr.) an eine Vorinvestition in die Porta Alpina von rund 15Mio. Fr. an der Urne bewilligt worden, nachdem sich der Bundesrat bereits am 19. Oktober 2005 für eine Mitfinanzierung der Vorinvestition mit einem Bundesanteil von 50% entschieden hatte. Die restlichen 10% (1.5Mio. Fr.) der Vorinvestition werden von den Gemeinden der Region Surselva aufgebracht. Damit können die Arbeiten im Bereich der Tunnelröhren (zusätzlicher Ausbruch für Perronverbreiterungen und Wartehallen), die im Hinblick auf das oberste Gebot, dass die Arbeiten für den GBT nicht verzögert werden dürfen, zeitkritisch sind, rechtzeitig ausgeführt werden. Die nicht unmittelbar die Tunnelröhren tangierenden Arbeiten für die Porta Alpina sind weniger zwingend mit der Fertigstellung des GBT gekoppelt und weisen noch einen gewissen Spielraum für Varianten und Anpassungen auf. Mit der aktuellen Vorinvestition werden die Optionen für alle zukünftigen utzungsmöglichkeiten gewahrt.

Die Kosten für die weniger zeitkritische Hauptinvestition belaufen sich demnach auf rund 35Mio. Fr. Wenn derselbe Verteilschlüssel wie bei der Vorinvestition angewendet wird, beträgt der Anteil des Kantons Graubünden 14Mio. Fr. (40%). Ein Entscheid des Bundes über die Mitfinanzierung der Hauptinvestition ist noch offen und hängt vom Ergebnis technischer Zusatzabklärungen und von einem „Raumkonzept Gotthard“ ab, welches von den Gotthard-Kantonen (Uri, Tessin, Wallis und Graubünden) erarbeitet wurde und noch zu konkretisieren ist.

Trotzdem (oder gerade deshalb) hat die Bündner Regierung am 12. Februar 2006 dem Stimmvolk eine Kreditvorlage über den gesamten Kantonsanteil von 20Mio. Fr. für Vor- und Hauptinvestition unterbreitet. Der deutliche positive Entscheid wird, so die nicht unberechtigten Hoffnungen der Promotoren, die Entscheidungsfindung des Bundes beschleunigen und erleichtern. Der Verpflichtungskredit des Kantons Graubünden steht unter der Bedingung, dass sich auch der Bund und die Region Surselva, im Rahmen ihrer Anteile an der Vorinvestition, an den gesamten Investitionskosten beteiligen, und ist zeitlich befristet: Wird die Hauptinvestition bis zur Inbetriebnahme des GBT, voraussichtlich 2016, nicht realisiert, verfällt der Kredit.

TEC21, Fr., 2006.06.16

16. Juni 2006 Stephan Forster

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